Wie organisieren unautorisierte Migrantinnen ihr Leben? Wann und wo werden sie in der Einwanderungsgesellschaft sichtbar und welche Rollen nehmen sie ein? Wie können sie in der sozialen und arbeitsrechtlichen Bewegung in den USA verortet werden? Die Arbeit klärt diese Fragen vor allem mithilfe neuer und emanzipatorischer Ansätze der Gewerkschaftsbildung.
Politische und ökonomische Transformationsprozesse werden dazu als Resultat von Globalisierung, Migrationsströmen und ihrer Auswirkungen auf den internationalen Arbeitsmarkt, der weltweiten Umstrukturierung von Arbeitsverhältnissen sowie dem Abbau der sozialen Sicherungssysteme skizziert. Andererseits werden aber auch die direkten Taktiken, Praktiken und Strategien sozioökonomischen Handelns, Politiken, Denkweisen und die Frage der Repräsentation von Migrantinnen, welche als aktive Akteure in diesem Entwicklungsprozess gesehen werden, herausgestellt.
Die Arbeit stützt sich unter anderem auf die Analyse von ExpertInnen-Interviews, Primärquellen, Zeitungsartikeln und wissenschaftlichen Publikationen. Um einen adäquaten Eindruck vermitteln zu können, wurden neben diesen Zugängen auch direkte Gespräche mit haupt-und ehrenamtlichen Organisatoren, Kampagnenleitern, Mitgliedern und vor allem mit den beteiligten Akteurinnen geführt.
Gliederung
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
Kontext der Erhebung
Zentrale Fragestellungen
2. Theoretisch-konzeptioneller Rahmen
Begriffserklärungen
2.1 Literaturüberblick
Zugang zum Untersuchungsgegenstand
2.2. Forschungsdesign und Methodik
ExpertInneninterviews
Qualitative Auswertung
3. Theoretische Ansätze der Migrationsforschung
3.1 Migrationstheoretische Ansätze – interdisziplinäre Betrachtungen
Das Neoklassische Modell
Theorie des dualen Arbeitsmarkts
Historisch-strukturelles Modell und Weltsystemtheorie
Migrationssystemtheorie und neue Ansätze
3.2 Netzwerke und transnationale soziale Räume
3.3 Die Autonomie der Migration
3.4 Migration, Arbeit und Geschlecht
4. Reise ins ›gelobte Land‹ - Transnationale Migration in die USA
4.1 Wirtschaftsabkommen, Migrationspolitiken und ihre Auswirkungen auf Wanderungsprozesse am Beispiel Mexiko – USA
Entwicklungen von 1848 bis 2. Weltkrieg
Das Bracero-Programm und erste arbeitsrechtliche Organisierungen
Amnestisierung und transnationale Wirtschaftabkommen
Entwicklungen nach 9-11 bis heute
4.2 Regionale und sektorale Konzentration migrantischer Arbeitskraft
und Differenzierung nach race-class- gender und Aufenthaltstitel
4.2.1 Sektorale Konzentration und Segmentierung nach Ethnizität
Differenz und Identität
Residentiale Konzentration und transnationale Communities
4.2.2 Differenzierung nach Status und Aufenthaltstitel
Exkurs Aufenthaltstitel
Differenzierung nach Geschlecht
4.3 Migration und Arbeit am Beispiel Kalifornien und der Bay Area
4.4 Zugang zum Arbeitsmarkt und gesetzliche Grundlagen
Auslegung rechtlicher Grundlagen
Castro vs. Hofman Plastic
4.5 Beschäftigungsverhältnisse (undokumentierter) MigrantInnen
4.5.1 Hotel- und Gastronomiegewerbe
4.5.2 Domestic Work
4.6 Barrieren und Schwierigkeiten für arbeitsrechtliche Organisierung
5. Gewerkschaftliche Interessenvertretung von MigrantInnen
und die Positionierung der US-amerikanischen ArbeiterInnenbewegung
5.1 Krise und Wandel der Gewerkschaft als soziale Bewegung
5.2 ›Organizing is Mobilizing‹
– taktische & inovative Strategien arbeitsrechtlicher Organisierung
Exkurs: Ablauf von Organzing-Kampagnen
5.3 Verortung von MigrantInnen in neuen Arbeitskämpfen
5.3.1 Gewerkschaftliche Organisierung von MigrantInnen in den USA
und ihre Partizipation in der ArbeiterInnenbewegung
5.3.2 Organisierung undokumentierter MigrantInnen
5.3.3 Organisierung von Repräsentation von Migrantinnen
– eine weitere Herausforderung für Gewerkschaften?
5.4 Gegenwärtige Entwickelungen der US- Gewerkschaften
und die Zukunft der ArbeiterInnenbewegung
›Change to Win‹ und die widersprüchliche Transformation
des Hoffnungsträgers
Wie viel Führung und wie viel Mitbestimmung vertragen
die Gewerkschaften
5.5 Perspektiven aktueller ArbeiterInnenkämpfe und die Zukunft
der US-Gewerkschaften als Bündnispartner für MigrantInnen
5.6 alternative Organisierungsansätze: ein Vergleich
Worker Center
Home Town Associations
6. Resümee
– MigrantInnen als Träger sozialer und politischer Transformationen
7. Literatur- und Quellenverzeichnis
7.1 Bibliographien
7.2 Publikationen von Institutionen & Organisationen
7.3 Zeitschriften, Zeitungen
7.4 Weiterführende Quellen und Links
7.5 Filmmaterial
8. Anhang
8.1 Leitfaden ExpertInnen
8.2 Leitfaden AkteurInnen
8.3 Übersicht besichtigte & Organisationen
8.4 Übersicht Interviewpartner
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. Abbildung (alle im Text Abbildungen sind nach diversen Quellen selbstgestaltet)
1. Einleitung
Weltweit sind nach Schätzungen der International Organization for Migration (IOM) etwa 200 Millionen Menschen, annähernd 3 % der Weltbevölkerung, in ›Bewegung‹[1] – ein Großteil von ihnen ArbeitsmigrantInnen (IOM 2004; Weltbank 2005). Internationale Wanderungsbewe-gungen - bedingt durch globale Umstrukturierungsprozesse - nehmen je nach Motivation der migrierenden Personen unterschiedliche Formen an; auch die Gründe und Faktoren, welche den vielschichtigen Verlauf der Migration beeinflussen, sind heterogen, plural und diversifiziert wie die Gruppen der Migrierenden selbst.[2] Sie können geschlechtsspezifische Aspekte beinhalten und reichen von dem Erlangen ökonomischer oder individueller Vorteile durch die Migration, von existentiellen Notwendigkeiten wie der Sicherung des Lebens-unterhalts bis zur Migration als Teil von Überlebensstrategien aus. Weitere Faktoren können Heirat, gezwungene Migration auf Grund von Flucht, Vertreibung oder Menschenhandel, freiwillige Entscheidungen der Migrierenden angesichts verbesserter Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten wie auch die Neubewertung beruflicher Qualifikationen oder einfach Lust auf Veränderung und Abenteuer sein (Treibel 2006: 105ff.).[3]
Die Intensität der Migrationsströme[4] und die unterschiedlichen Dynamiken der weltweiten Zunahme von Migration – seien sie innerhalb eines Landes, international oder interkontinental – haben Einfluss auf Millionen von Menschen wie auch auf soziale, ökonomische und demographische Strukturen.
Gerade die Vereinigten Staaten von Amerika sind seit jeher geprägt durch den Einfluss von Migrantinnen und Migranten sowie deren Nachkommen. Eine Konstante in der Entwicklung des Landes ist die Arbeitsmigration, durch welche nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das alltägliche, sozio-kulturelle und politische Klima auf vielfältigste Art und Weise geprägt ist. In den letzten Jahrzehnten ist vermehrt die Migration aus Ländern Lateinamerikas – besonders aus Mexiko – sowie Asiens in die USA gewachsen.
Einige US-Bundesstaaten zählen – auf Grund des inzwischen überproportionalen Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund sowie aus ethnischen Minderheiten – zu den sogenannten ›Majority-Minority States‹, also Bundesstaaten, in denen die Anglo/Euro-amerikanische weiße Bevölkerung weniger als 50% der Einwohner ausmacht. Kalifornien als der bevölkerungs-reichste und multiethnischste Staat der USA ist nach wie vor einer der häufigsten Ziele für MigrantInnen. Sowohl soziale Gründe wie die Vormachtstellung diverser ethnischer Communities, als auch die geopolitischen und ökonomischen Bedingungen des Bundesstaats spielen für die Migration nach Kalifornien eine überragende Rolle. Hinsichtlich der Verteilung von MigrantInnen auf dem Arbeitsmarkt der USA ist eine Polarisierung in hochqualifizierte Arbeitskräfte auf der einen und niedrig-qualifizierte auf der anderen Seite charakteristisch.
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Auseinandersetzung mit der Frage, wie sowohl die US-amerikanische Gesellschaft, ihre politischen und ökonomischen Repräsentanten, aber auch Institutionen wie die US-amerikanischen Gewerkschaften mit der Thematik der Migration umgehen und welche wirtschaftliche, soziale, aber auch politische Kraft MigrantInnen in den USA inzwischen haben (Kapitel 5/6). Hierfür werden sowohl die Faktoren, die Auswirkungen auf Migrationsbewegungen haben, analysiert (Kapitel 3), wie auch anhand des Beziehungs-geflechts zwischen den USA und Mexiko – woher der größte Anteil an MigrantInnen in die Vereinigten Staaten von Amerika kommt – der Einfluss wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen auf Migrationsprozesse skizziert (Kapitel 4). Zentrale Auseinandersetzung ist dabei, welche Rolle inzwischen weibliche, unautorisierte Migrierende sowohl in dem Prozess der Migration, wie auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und sozialen Teilhabe in der Einwanderungsgesellschaft sowie in der sozialen und arbeits-rechtlichen Bewegung in den USA besitzen und welche Schwierigkeiten diesen im Wege stehen (Kapitel 3.4/4.2/5.3). Der Fokus liegt hierbei auf der Fragestellung, inwieweit gerade Migrantinnen im ›Land der unbegrenzten Möglichkeiten‹ als eigenständige Subjekte auftreten, ihre Interessen und Vorstellungen artikuliert und wahrgenommen werden können. Hierfür werden insbesondere die Organisierungsversuche und -ansätze der US-amerikanischen Gewerkschaften (5.2) wie auch die Tätigkeitsfelder direkter Unterstützungs- und Advokatsnetzwerke für MigrantInnen skizziert (5.4). Ebenso werden Handlungs- und Repräsentationsmöglichkeiten für (undo-kumentierte) Migrantinnen in den USA sowie Barrieren und Zugangsschwierigkeiten – bedingt durch unterschiedliche Machtkonstellationen, welche Einfluss auf Mechanismen der Differen-zierung und somit auf die soziale Verortung von Personen haben können (4), analysiert.
Kontext der Erhebung
Als im Mai 2006 im Zuge der Reform des Immigrationsgesetzs in zahlreichen Städten der USA Massendemonstrationen stattfanden, traten politische und gesellschaftliche Spannungen, welche sich in dem Einwanderungsland über Jahrzehnte aufgestaut hatten, an die Oberfläche. Höhepunkt der Proteste war eine neue Welle von Bürgerrechtsbewegungen, welcher ein großes Potential für gesamtgesellschaftliche und politische Veränderungen zugeprochen wurde (Bacon 2006, Arauz 2007). Ausgehend von diesem Akt der Selbstbehauptung formierten sich mit der Unterstützung von zivilgesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Gruppen im ganzen Land Proteste, welche besonders in den großen Metropolen der Vereinigten Staaten (Chicago, Houston, San Francisco, Los Angeles...) spürbar waren.
Der 1. Mai, der internationale Tag der Arbeit – welcher in den USA beinahe schon in Vergessenheit geraten war – gewann wieder an sozialer und politischer Prägnanz. Seitens gewerkschaftlicher Institutionen, Bürgerrechtsgruppen und Unterstützungsnetzwerken von/für MigrantInnen wurde die gesellschaftliche Resonanz wie auch die politische und mediale Aufmerksamkeit genutzt, um sich für die Themen Identität, Repräsentation, Freiheit und Sicherung der Grundrechte von Minderheiten und der Schätzungen zufolge knapp zwölf Millionen MigrantInnen, welche in den Vereinigten Staaten ohne gültige Papiere leben, einzusetzen (Arauz 2007). Während der Protesten knüpften zahlreiche Initiativen an diese Thematik an, um einerseits politische und rechtliche Forderungen durchzusetzen, andererseits aber auch das Bewusstsein der Menschen zu stärken, auf deren Rücken die Wirtschaft des Landes maßgeblich getragen wird (Chacón 2005). Mit dem Niederlegen der Arbeit und dem Einsatz für ihre Rechte machten die ArbeiterInnen nicht nur auf die ungleichen sozialen Verhältnisse aufmerksam, sondern auch »ihre ökonomische Schwäche zur moralischen Stärke« (Choi 2008a) und wurden so zu handelnden Akteuren, welche zuvor wenig oder keine Macht und kaum eine gesellschaftliche Lobby besaßen.
Im Mittelpunkt vorliegender Arbeit steht die emanzipatorische Einbringung und Partizipation eben dieser AkteurInnen in den USA und die Faktoren, welche im besonderem Fokus Frauen mit Migrationshintergrund an einer aktiven Teilhabe hindern und einschränken. Da es sich hierbei um gesamtgesellschaftliche Prozesse handelt, welche maßgeblich zu gesellschafts-politischen Veränderungen beitragen können, ist eine Analyse sowohl der ökonomischen, sozialen und demographischen wie auch historischer und kontemporärer Faktoren, welche einen erheblichen Einfluss auf Migrationsregime haben, erforderlich:
Hierbei entwickelten sich zentrale Fragestellungen:
- Inwieweit treten Migrantinnen als sichtbare Subjekte sozialen, kulturellen und politischen Kontexts des Einwanderungslands USA auf?
- Was hindert sich an einer sozialen/politischen Wahrnehmung?
- Wo erschließen sich Handlungsspielräume und welche?
- Inwieweit werden weibliche Migrantinnen sowie Undokumentierte in die derzeitige ArbeiterInnenbewegung in den USA involviert?
- Welche Positionen und Ansätze werden seitens gewerkschaftlicher und zivil-gesellschaftlicher Organisationen vertreten, um gezielt niedrig entlohnte und prekär beschäftigte, (undokumentierte) Migrantinnen in demokratische Prozesse einzu-gliedern und rechtliche Absicherungen zu garantieren?
- Welche Herausforderungen entstehen hierbei für die US-amerikanischen Gewerkschaften in besonderer Hinsicht auf traditionelle Vertretungsstrukturen?
- Wo liegen insbesondere die Unterschiede und Schwierigkeiten in Organisierung von Migranten und Migrantinnen im Vergleich zu US-Bürgern?
- Inwieweit wirken sich Faktoren wie Ethnizität, Geschlecht und Aufenthaltstitel auf die Organisierung aus?
Der regionale Fokus der Arbeit ist die San Francisco Bay Area als eine der traditionellen Migrationsziele, in welcher die Hauptuntersuchungsorte und -felder der qualitativen Studie liegen (4.3). Die Untersuchung fand hierbei auf zwei Ebenen statt: Einerseits wurden Strukturen und Konzepte der jeweiligen Organisationen, Unterstützungsnetzwerke und Gewerkschaften, andererseits explizit die Mikroebene, die Handlungsebene zwischen einzel-nen Akteuren, untersucht. Kalifornien und die San Francisco Bay Area nehmen nicht nur wegen der räumlichen Konzentration und der Anzahl dort lebender MigrantInnen eine Sonderposition ein, sondern gehören zu den Vorreitern jener Kräfte, welche sich für die Belange von MigrantInnen ohne Papiere einsetzen und in den letzten Jahren zu einer starken sozialen und politischen Bewegung hinsichtlich sozialer und arbeitsrechtlicher Organisierung geworden sind.[5] Anhand zweier Arbeitsbereiche (Hotelgewerbe/Domestic Work) (4.5) werden folgende Sektoren exemplarisch beschrieben, in denen in erster Linie (undokumentierte) Migrantinnen integriert sind.
Mit der Themenauswahl werden wesentliche Aspekte angesprochen und der Versuch unternommen, die Komplexität und Dimensionen der Handlungsrahmen zu begreifen, ihre theoretischen Zusammenhänge und eine grundlegende Orientierung darzustellen, und Praxisbezüge aufzuzeigen. Hierbei wurde sowohl das Gesamt aus Hintergründen wie auch aktuelle Probleme betrachtet. Trotz der Bemühung einer multi-perspektivischen Bearbeitung der Thematik muss unterstrichen werden, dass die Erhebung keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat und von der subjektiven Wahrnehmung und Interpretation der Verfasserin geprägt ist.
2. Theoretisch-konzeptioneller Rahmen
Für den theoretischen Rahmen der Arbeit wie auch für die qualitative Erhebung und Konzeption der Studie wurde ein Set unterschiedlicher inter- bzw. transdisziplinärer Forschungsstränge herangezogen. In der Analyse und Ausarbeitung wurden hierbei verschiedene Theorietraditionen, Wissenskontexte und Ansätze zahlreicher VertreterInnen miteinander verknüpft, um der spezifischen Thematik der Fragestellung gerecht zu werden. Die einzelnen theoretischen Zugänge spiegeln sich zum Teil im chronologischen Ablauf der Arbeit wider; in manchen Themenkomplexen überschneiden sich die Dimensionen auf Grund der Komplexität der strukturellen Analyse. Bevor im Weiteren ein Überblick über für die Arbeit herangezogene Literatur und Quellen wie der Ablauf der qualitativen empirischen Erhebung skizziert wird, werden die für diese Arbeit wesentliche Begrifflichkeiten definiert.
Begriffserklärungen
MigrantIn – Migrierende –Menschen mit Migrationshintergrund
In der vorliegenden Arbeit wird die Schreibform MigrantIn und MigrantInnen, aber auch die geschlechtsneutrale Form Migrierende verwendet. Für letztere steht hierbei besonders der Prozess der Migration im Vordergrund. Die Beschreibung MigrantIn wird auf Grund der Les-barkeit herangezogen. Der Begriff soll alle Geschlechter einbeziehen, auch diese, welche nicht den binäre Einteilungen und symbolischen Formen von weiblich und männlich unterliegen. Als MigrantIn/Migriende werden Menschen mit Migrationshintergrund gesehen, welche in einem anderen Land geboren und/oder aufgewachsen sind, als in dem sie arbeiten und leben. Ebenso eingeschlossen sind Menschen, deren Eltern migriert sind und welche hierdurch unterschiedliche kulturelle und sprachliche Erfahrungshorizonte haben (2/3. Generation). Mit der Definition Migrantin wird sich explizit auf weiblich sozialisierte Personen bezogen.
(Un)Sichtbarkeit – Visualität/Visibilität
Mit dem Begriff der ›Sichtbarkeit‹ wird in dieser Arbeit eine Denkfigur aufgegriffen, die in den politischen Debatten um die Anerkennung marginalisierter und subalterner Gruppen eine zentrale Rolle spielt. Hierbei sollen sowohl Repräsentationsbedingungen, Handlungsfähig-keiten, die Komplexität von Macht- und Herrschaftsstrukturen, wie auch Subjektpositionen diskurskritisch und semiotisch analysiert werden. Dieser Begriff schließt an feministische, antirassistische und postkoloniale Kritiken an. Unter der Kategorie der Sichtbarkeit/Visibilität muss zwischen dem ›Zu-Sehen-Geben‹, dem ›Sehen‹ und dem ›Gesehen-Werden‹ differenziert werden (Schaffer 2008:12).
Undokumentierte – unautorisierte – irreguläre MigrantInnen
In der vorliegenden Arbeit wird anstellt des Terminus ›Illegale‹ der neutralere Begriff irreguläre /unautorisierte MigrantInnen wie auch Undokumentierte/Sans Papiers verwendet. Letztere Begriffe sind nicht in allen Fällen zutreffend, da auch Menschen unter diesen Terminus fallen, welche über Papiere verfügen. Allerdings sind diese im Aufnahmeland häufig nicht gültig oder veritabel. Im Gegensatz dazu ist der Begriff der ›illegalen Migration‹ problematisch, da er »eine pejorative Konnotation hat und suggeriert, dass Menschen illegal sein können, obwohl sie erst durch staatliche Politiken und Praktiken dazu gemacht werden, das heißt [...] illegalisiert« werden (Schwenken 2005:19).
Grenzübertritt oder Aufenthalt der MigrantInnen können illegal sein, nicht aber die Person selbst. Im amerikanischen Sprachgebrauch wird – auch von offizieller Seite – der Begriff ›alien‹ verwendet, um im Ausland geborene Menschen zu kategorisieren. Unautorisierte MigrantInnen werden seitens der US- Einwanderungsbehörde als ›deportable aliens‹ oder ›illegal aliens‹. bezeichnet.
Arbeitskämpfe –ArbeiterInnenbewegung
Für den Titel der Arbeit wurde der Pluralbegriff ›Arbeitskämpfe‹ gewählt, da die Singularform für die Verfasserin zu dogmatisch und einseitig wirkt. Die Mehrzahlform lässt im Gegensatz zum Begriff des Arbeitskampfes offen, inwieweit ArbeiterInnen als aktive Akteure auftreten. Pluralität und Diversität der Aufstände wie auch die Frage der Partizipationsmöglichkeiten und Widerstandspraktiken sollen mit dieser Begrifflichkeit unterstrichen werden (Silver 2004).
Mit dem Begriff der ArbeiterInnenbewegung sind sowohl die durch Gewerkschaften etc. institutionalisierte Form wie auch die Bewegungen, in welchen die ArbeiterInnen als aktive Subjekte in den Vordergrund rücken, gemeint.
Community Im Kontext dieser Arbeit wird der Begriff ›Community‹ verwendet. Er bezeichnet hierbei mehr als Bevölkerungsgruppen auf Grund ethnischer Gemeinschaft. Darüber hinaus sind soziale und kulturelle Aspekte wichtig, sowie die residentiale Verortung von Gemeinschaften/ Nachbar-schaften. Denn die US-amerikanische Stadtplanung und urbane Struktur sind dadurch gekennzeichnet, dass sich verschiedene Stadtviertel deutlich in ihrer sozialen Zusammen-setzung unterscheiden. Im Weiteren wird der Community-Begriff auch im Sinne Ferdinand Tönnies Gemeinschaftsbegriff als Gegenbegriff zu Gesellschaft verwendet. Gemeinschaft ist hierbei durch ein einheitliches Prinzip (Abstammung, Ort, Sprache, Bräuche etc.) gekennzeichnet und durch Zusammenleben organisiert (Tönnies, 1988: 101).
Chicano – Mexican-American – Latino – Hispanic
Der Terminus ›Chicano‹ wurde ursprünglich als pejorative Bezeichnung für Nachkommen mexikanischer MigrantInnen gebraucht. In den 1960ern wurde die Bezeichnung ›Chicano‹ als Symbol der Selbstbestimmung und ethnischen Herkunft seitens der Mitglieder der Community akzeptiert. Im alltäglichen Kontext wie auch von offizieller Seite werden unter den Begriff ›Hispanic‹ und ›Latino‹ Bevölkerungsgruppen lateinamerikanischer Herkunft subsumiert; dies schließt Menschen mit ein, welche mexikanischer, puertorikanischer, kubanischer, zentral- und südamerikanischer Herkunft, aber auch spanischer Abstammung sind. Chicano/Mexican-American/Hispanic/Latino ist allerdings nicht immer eine Selbstbeschreibung. Die in den USA lebende lateinamerikanische Bevölkerung bezeichnet sich selbst gerne als ›La Raza‹, einfach nur ›Raza‹ oder ›the People‹ (Martínez 1998:2).
Race – ethnicity In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff ›race‹ mit Ethnizität übersetzt und stellt ein wesentliches identitätsstiftendes Moment dar. Hierbei soll sowohl auf kulturelle Differenzen, Herkunft, Nationalität und Hautfarbe wie auch auf Sprache, ethnische und kulturelle Identität, Geschichte, Kultur und Religion verwiesen werden. Diese Definition wendet sich gegen Konzepte von Ethnien, die von einer homogenen, statischen und naturalisierten Kultur ›sozialer Einheiten‹ ausgehen. Auch die Verwendung des Begriffs ›Ethnizität‹ ist nicht unproblematisch: Zum einen, da er nahe legt, dass es hier lediglich um ›kulturelle Differenzen‹ geht, also Macht- und Herrschaftsmechanismen ausgeblendet werden können; zum anderen scheint er den Begriff der ›Rasse‹ zu ersetzen und sich damit gegen antirassistische Kritik zu immunisieren.
Class – Klasse
Der Begriff Klasse wirft ebenfalls viele Fragen auf. Ist er heute überhaupt noch relevant? Müsste man nicht – angesichts der Pluralisierung der Gesellschaft und der »Individualisierung von Lebenslagen und Biographiemustern« (Beck 1986) – eher von ›Schichten‹, ›pluralisierten Lebensweisen‹, Milieus, Lebensstilen und Lebensweisen (Hradil 1992) reden?
Im klassisch marxistischen Sinn definieren sich Klassen über den Eigentum an Produktions-mitteln, den Produktionsweisen einer Gesellschaft und dem Entwicklungsgrad der Produktiv-kräfte (Marx 1953/1977). Die Formation von Klassen lässt sich allerdings nicht nur durch den ›Besitz an Produktionsmitteln‹ erklären, und kann nicht allein auf ihre ökonomische Funktion reduziert werden. Vielmehr müssen hier weitere Faktoren hinzugezogen werden. Dazu gehören beispielsweise Konsumnormen, staatliche Regulierungen, Formen der Reproduktion von Arbeitskraft und der Modus der Verteilung (Marx 1977; Lipietz 1985). Darüber hinaus sind Klassen als ›Struktur sozialer Beziehungen‹ zu konzeptionalisieren. Die Betrachtung des Begriffs Klasse ist für die Diskussion im US-amerikanischen Raum interessant, da in diesem Kontext die Existenz von spezifischen Klassenunterschieden und einer potentiellen Klassen-gesellschaft meist negiert werden und US- Gesellschaft sich in klassischen marxistischen Sinne auch durch die Ökonomisierung der Lebenswelt und damit einhergehenden Ungleichheits-strukturen kennzeichnet. Die Übergange sind allerdings fließend. (Appovoo 26.02.2009, Sanchez 15.03.2009)
Gender – Geschlecht
Der Begriff ›Geschlecht‹ hat im Gegensatz zum englischen Begriff ›gender‹ den Nachteil, dass er sowohl biologische als auch soziale Assoziationen hervorruft. Im Englischen gibt es dagegen die begriffliche Unterscheidung zwischen ›sex‹ (biologisches Geschlecht) und ›gender‹ (soziales Geschlecht). Einige deutsche Geschlechterforscherinnen bevorzugen deshalb den Begriff ›Gender‹, um die mehrdeutigen Assoziationen zu umgehen.
Für den Kontext der Arbeit wird der Begriff Geschlecht in Verwendung gezogen, da die Begriffserklärungen nicht immer deutlich voneinander trennbar sind. Geschlecht wird hierbei gesehen als grundlegender Faktor sozialer Ungleichheit und ist ein wichtiger Ordnungsfaktor in Beziehungen zwischen Individuen, Gruppen, Institutionen und innerhalb von Gesell-schaften. Es ist institutionalisiert in Familienstrukturen, Gemeinschaften und dem Staat und kann sowohl Einfluss haben auf Arbeitsteilung, den Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten wie auch die Interpretation von Arbeit (Seppel 2008).
Domestic Work
Das Arbeitsfeld ›Domestic Work‹ umfasst unterschiedliche Aufgabenbereiche von Dienst-leistungen im häuslichen Bereich wie Versorgung und Betreuung von Kindern, Pflege von Senioren und Menschen mit Erkrankungen oder Behinderungen, sowie die Erledigung von Einkäufen/Besorgungen/Botengängen, die Zubereitung von Mahlzeiten, Wäschewaschen, Reinigungs- und Hausmeistertätigkeiten etc.. Da die deutsche Begriffsbeschreibung ›Hausan-gestellte/Haushilfe‹ nicht der konnotativen und mehrfachen Bedeutung der Aufgaben und Beschäftigungen der Menschen, welche in Privathaushalten arbeiten, entspricht, wird der englische Begriff ›Domestic Worker‹ verwendet.
2.1 Literaturüberblick
Zum Zugang der Arbeit wurden wissenschaftliche Auseinandersetzungen der (transnationalen) Bewegungs-, Raum-, Migrations- und Netzwerkforschung herangezogen (Faist 2000, Ories 1997), welche in spezifischer Sicht geschlechterpolitische Integrationsforschung, Mobili-sierungsstrategien, die Einbindung von sozialen Bewegungen und NRO thematisieren und einen wichtigen Bezugsrahmen und Sets an Methoden liefern, in dem sich Handlungs-bedingungen und Aktivitäten der AkteurInnen analysieren lassen (Rucht 1994).
Bei der Thematik der (Selbst-)Organisierung, welche die Frage nach Partizipation und Partizipationsmustern von Migrantinnen aufgreift, wurde sich an antirassistische, post-koloniale und feministische Theorien gelehnt. (Gutiérrez- Rodriquez 2004). Im Weiteren wurden zahlreiche Studien herangezogen, welche die Thematik von Ethnizität und Identitätskonstruktionen in postmodernen Gesellschaften aufgreifen (Schwenken 2005).
Weitere Grundlagen bildeten Studien zur Gewerkschaftsforschung mit besonderem Fokus auf die Strategien des Organizing sowie globalisierungs- und gesellschaftskritische Texte. Empirische Fallstudien zur Organisierung von MigrantInnen im europäischen wie auch im transatlantischen Kontext zählten hierbei als Basis, um Kriterien für die eigene Studie zu entwickeln. Für die qualitative Erhebung wurde sich auf die Methoden qualitativer Sozialforschung nach Girtler (1997), auf die Technik der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2008), das Framing Konzept nach Benford/Snow (2000) sowie auf die Auswahl-strategien der ›Grounded Theory‹ (Glaser/Strauss 2005) gelehnt.
Zugang zum Untersuchungsgegenstand
Der Fokus der qualitativen Erhebung lag in geographischer-räumlicher Hinsicht auf den urbanen Zentren der San Francisco Bay Area/Kalifornien. Hierbei wurden sowohl sozio-kulturelle, politische wie auch ökonomische Faktoren in den einzelnen Districts (Stadtteilen) untersucht. Der Zugang zum Feld entwickelte sich durch bereits existierende Kontakte zu WissenschaftlerInnen und MigrantInnen in der Region.
2.2 Forschungsdesign und Methodik
Auf Grund der Komplexität des Forschungsgegenstand wurde kein inhaltlich und methodisch festgelegter Rahmen, sondern eher die Kombination unterschiedlicher Verfahren der qualitativen Sozialforschung herangezogen (Datentriangulation). Für die Dokumentenanalyse wurden sowohl Primär – und Sekundärliteratur, wissenschaftliche Publikationen, empirisches Material, deskriptive Statistiken, wie auch Veröffentlichungen von Organisationen/ Institutionen, Periodika, Beschlüsse, Reden, Pressemitteilungen und Gesetzestexte des US-amerikanischen Parlaments sowie Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften gesichtet (Ereignisdatenanalyse). Mit Hilfe der Recherche im Internet sowie des Heranziehens von Videobeiträgen, Bildern, Selbstdarstellungen von AkteurInnen im Netz, Teilnahme an Diskussionen in Foren und Emailverteilern wurden aktuellere Entwicklungen verfolgt (Vgl. Überblick im Anhang/Quellenverzeichnis).[6]
Im Vorfeld der Erhebung wurden Kontakte zu WissenschaftlerInnen aus unterschiedlichen Disziplinen, GewerkschaftlerInnen/OrganizerInnnen, Organisationen, welche sich für Migrant-Innen einsetzen, wie auch zu JournalistInnen und BürgerrechtlerInnen hergestellt und während der Herausarbeitung des theoretischen Rahmens intensiviert. Der Inhalt der Dokumente wurde nach Kriterien kategorisiert, sich daraus ergebene Fragestelllungen und einem Set aus ›Framings‹ entwickelt. Hierbei wurde sich an die ›soziale Bewegungsforschung‹ und den › Framing-Ansatz‹, einem nach Prozessen und Aktivitäten orientiertem Konzept von Benford/Snow 2000 gelehnt. Es wurde kategorisiert, welche AkteurInnen sowohl auf Mikro-, Makro- wie auch Mesoebene beteiligt sind und wie sie untereinander interagieren, welche Strategien, Taktiken, Praktiken (auch widerständige und subversive) außer- und innerhalb von Institutionen, Gruppen und der Communities entwickelt werden.
Die Ergebnisse wurden in Form von Mindmaps visualisiert, die Quellen aufbereitet, kodiert und archiviert (Theoretisches Sampling) (Glaser/Strauss).[7] Vor Ort wurden Kontakte zu den möglichen InterviewpartnerInnen und Organisationen aufgenommen und erweitert und unter-schiedliche Veranstaltungen (Kunstausstellungen, Filmbeiträge) besucht.
Durch teilnehmende Beobachtung – die sich, je nach Situation und Kontext, sowohl offen wie auch fokussiert entwickelte – wurden politische und soziale Veranstaltungen (Demonstrationen, Diskussionen, Treffen von Organisationen) sowie Interaktionen unter den AkteurInnen erfasst. Hiermit konnte der Einblick in Beziehungsgeflechte, den Aufbau und die Funktionsweise der Netzwerke, wie auch die Sicht auf das soziale, kulturelle und politische Leben und der Alltag der AkteurInnen vertieft werden, die individuellen Bedeutungen der Sachverhalte und die daraus resultierenden Handlungsmotive, ihre Komplexität und Ganzheit im alltäglichen Kontext in Zusammenhang gebracht werden (Flick 1995:14). Die Ergebnisse wurden in einem Forschungstagebuch dokumentiert, protokolliert und ausgewertet.
ExpertInneninterviews
Im weiteren Verlauf wurden zahlreiche sowohl problem- wie auch themenzentrierte und Interviews mit Kontaktpersonen geführt, welche zum Teil festgehalten und transkribiert wurden. Bei Wunsch auf Anonymisierung wie auf Aufnahmeschwierigkeiten entstanden Mitschriften, wobei sich hier an thematischen Einheiten orientiert wurde. Interviewt wurden sowohl ExpertInnen (HochschuldozentInnen, MitarbeiterInnen von MigrantInnenorganisa-tionen, haupt- und ehrenamtliche Organizer, Institutionen, Journalisten, Bürgerrechtler etc.) wie auch Migrierende selbst. ExpertInnen und ihr feldspezifisches Wissen haben eine zentrale Stellung in der Arbeit. Nach Bogner/Menz (2001) zielt das ExpertInneninterview auf »Rekonstruktion und Analyse einer spezifischen Wissenskonfiguration«, da ExpertInnen als Funktionsträger innerhalb institutioneller oder organisatorischen Kontexten fungieren. Für die Studie wurden Personen als ExpertInnen ausgewählt, die über verschiedene Dimensionen des Expertenwissens verfügen. Ein Großteil engagiert sich lobbypolitisch für die Rechte von MigrantInnen oder ist in politischen Institutionen tätig. Die Leitfäden für die Interviews wurden je nach Kontext und Erfahrungshorizont der interviewten Person angepasst[8].
Der Aufbau der Gespräche mit MigrantInnen, besonders mit undokumentierten, gestaltete sich schwieriger, da die Interviewsituationen meist spontan und selten planbar waren; sie liefen je nach Interviewpartner sowohl vom zeitlichen Umfang (15-180 Minuten) wie auch in der Intensität und auf Grund der Gesprächsatmosphäre unterschiedlich ab.
Sprachliche Barrieren wie auch anfängliche Skepsis und Misstrauen seitens der Gesprächs-partner musste durch allmähliches Heranführen an die Thematik durch einen sensiblen Umgang umgangen werden. Auf Bandaufnahmen wurde an einzelnen Stellen verzichtet, anstelle dessen während des Interviews punktartige Notizen (Memos) gemacht, welche zu einem späteren Zeitpunkt ausgearbeitet wurden (Gedächtnisprotokoll). Die Interviewführung war hierbei sowohl auf spezifische Themen und Probleme fokussiert, allerdings auch so strukturiert, dass sie sich je nach Gesprächslage, und subjektiven Erfahrungswelten und Biographien der Befragten offen gestalten ließ, und somit einen starken ethnographischen und narrativen Charakter hatte.
Qualitative Auswertung
Für die Analyse der gewonnen Daten wurden die mitgeschnittenen Gespräche transkribiert[9], Notizen systematisiert und aufbereitet. Um das Material übersichtlich zu gestalten, wurden die Interviews im Zuge der Verschriftlichung nach dem Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring auf die Aspekte reduziert, welche im Bezug zu den Dimensionen der Untersuchung stehen (Mayring 1997/2002). Die gewonnenen Aussagen sollen hierdurch auf »eine knappe, nur auf den Inhalt beschränkte Form umgeschrieben« (Mayring 1997:60) werden. Diese Methode wurde gewählt, da sich mit ihr für die Fragestellung relevante Aspekte systematisch aus dem Interviewmaterial herausfiltern lassen und in einem mehrstufigen Verfahren klassifiziert werden können. Die Daten – sowohl Inhalte der Interviews wie auch bereits bearbeitete theoretische Zugänge – wurden kategorisiert, das Material reduziert, theoretisch kodiert (Glaser/Strauss 1967) und für die Interpretation miteinander in Korrelation gesetzt. Mit Hilfe des Framing-Konzepts wurden dabei die AkteurInnen ihrer Verortung in die gesellschaftliche Kontextstruktur entsprechend zugeteilt. Dieses Modell wurden für die Analyse im Rahmen der Erhebung herangezogen, da mit diesem soziale Bewegungen und die Beteiligung von unterschiedlichen AkteurInnen analysiert werden können.
Unterschiedliche Frames wurden hierfür entwickelt, die, da es sich um sich verändernde und sich ausweitende Progresse handelt, kontinuierlich erneuert werden müssen, da sie unter-schiedliche Formen der Mikromobilisierung. Insgesamt lässt sich dieses Konzept in vier verschieden Frames einteilen: Der › Collective action frame› greift hierbei auf, um welche kollektiven sozialen Bewegungen es sich handelt. Der ›Diagnostic Frame‹ wird zur Identifi-zierung von zentralen – auch sozial konstruierten – Problemen, dem Benennen der Ursachen und die Positionierung der AkteurInnen der sozialen Bewegung bzw. Gegenbewegungen herangezogen. ›Prognostic Frame‹ greift auf, was aus der Sicht der Bewegung getan werden kann. Lösungen, Handlungsstrategien und Aktionspläne werden artikuliert. Der ›motivational frame‹ ist auf das Innere der Bewegung und die konkreten Aktivitäten gerichtet. Die Aus-führungen der Arbeit basieren zum Teil auf den Ergebnissen der durchgeführten empirischen Untersuchung. Diese Herausarbeitung diente als Grundlage für die Verschriftlichung der Arbeit, wobei die verschiedenen komplexen Zusammenhänge und Dimensionen in reflexiver Auseinandersetzung systematisch aufbereitet und kontinuierlich ausgearbeitet wurden.
3. Theoretische Ansätze der Migrationsforschung
Der Soziologe Petrus Han sieht den Migrationsvorgang als einen »komplexe[n] Prozess, der von seiner Entstehung und von seinem Verlauf her durchgehend multikausal und multi-faktorial bestimmt wird« (Han 2005:15).[10] Zu Migrieren kann eine Entscheidung sein, die sich nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich manifestiert. Migration heute ist weniger permanent als noch vor hundert Jahren. Denn durch Dimensionen sozio-ökonomischen Wandels und den damit einhergehenden grenzüberschreitenden Bewegungen von Gütern, Handel, kulturellen Produkten und Praktiken, wie auch der Verbesserung von Kommunikations- und Transport-technologien seit Mitte der 1970er[11], ist nicht nur die Vernetzung von Menschen über Landesgrenzen hinweg verstärkt worden, sondern auch die Möglichkeit, Migration innerhalb einer Biographie als eine temporäre Entscheidung zu treffen und/oder zu variieren.
Migration ist sowohl in den Herkunfts- als auch in den Zielländern deutlich spürbar, so dass Castles und Miller das globale Phänomen von Wanderungsbewegungen als »Zeitalter der Migration«, als »age of migration« (Castles/Miller 2003) beschreiben.
3.1 Migrationstheoretische Ansätze – interdisziplinäre Betrachtungen
Die Vielfältigkeit der Gründe für die Entscheidungen zu migrieren spiegelt sich auch in der Komplexität der Perspektiven theoretischer Zugänge wider, die im Folgenden im Ansatz skizziert werden.[12] Innerhalb dieser Betrachtungsweisen werden Faktoren, die zu internatio-nalen Migrationen führen, nach Ursachen ökonomischer, historischer, struktureller, kollektiver und individueller Art gewichtet.
Das Neoklassisches Modell[13]
Im Mittelpunkt neoklassischer Migrationstheorie steht das Individuum als rational handelndes Subjekt, welches ökonomische Entscheidungen nach Aspekten der eigenen wirtschaftlichen Nutzenmaximierung fällt.[14] So sind diesem Modell nach die Abläufe der Migration deter-miniert durch Entwicklungen auf der Makroebene – wie ökonomische Prozesse, an denen sich das Individuum orientiert und nach ihnen Entscheidungen richtet.
Dem Konzept nach wird internationale Arbeitsmigration primär durch Lohnunterschiede zwischen Ländern verursacht und durch Arbeitsmarktmechanismen beeinflusst.[15] Der Migrierende wägt ab, ob Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten durch Migration verbessert werden können.[16] Individuelle Charakteristika wie auch soziale Rahmenbe-dingungen, welche die Kosten der Migration senken, lassen internationale Migration attraktiver erscheinen. Für Massey et al. ist Migration die »Summe individueller Migrations-entscheidungen, die auf der Basis individueller Kosten-Nutzen-Analysen getroffen wurden« (Massey 1998, zit. in Alt 2005).[17]
Neoklassische Theorien der Migration stellen für zahlreiche Wissenschaftler allerdings einen zu simplifizierten Ansatz dar, durch welchen aktuelle, aber auch zukünftige Wanderungs-bewegungen nicht genügend beschrieben werden können. Denn dem Migrierenden werde eine zu starke individuelle Entscheidungskraft zugesprochen, wodurch Faktoren wie politische oder wirtschaftliche Resolutionen, welche Migrationsströme gezielt lenken können, in den Hintergrund gestellt werden (Sassen 1998; Portes 1996). Zollberg regt an, insbesondere das Thema der Arbeitsmigration unter Aspekten des Einflusses transnationalen Kapitals zu untersuchen, welche wiederum Push- und Pullfaktoren und im Weiteren auch die Entscheidungen von Migrierenden beeinflussen (Zollberg 1989, in Castles 2003:25).
Theorie des dualen Arbeitsmarkts[18]
Im Fokus dieses Ansatzes stehen Sogfaktoren der Zielländer, welche durch strukturelle Bedürfnisse der Wirtschaft hervorgerufen werden. Internationale Migration basiert demnach weitgehend auf Nachfrage nach Arbeitskraft und wird bestimmt von Rekrutierungsmaß-nahmen durch Arbeitgeber, durch diese beauftragte, spezialisierte Agenturen[19], aber auch durch Programme seitens Regierungen[20]. Migranten sind nach diesem Konzept die Antwort auf Nachfrage und struktureller Bestandteil aller modernen, post-industriellen Ökonomien.[21] Arbeitgeber verfolgen hierbei das Interesse, MigrantInnen anzuwerben, ihnen ihre Arbeit lukrativ zu machen, aber gleichzeitig Löhne niedrig zu halten. Soziale und institutionelle Mechanismen verstärken das Halten eines niedrigen Lohnniveaus im Interesse der Wirtschaft. Selektiv gelenkte Einwanderung kann allerdings unter Umständen zu »ethnische[n] Enklaven als dritte[n] Arbeitsmarkt« (Massey 1998, zit. in Han 2005) führen – gerade bei starker regionaler Konzentration einer Migrantengruppierung kann dies ein eigene, unabhängige, strukturelle Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften erzeugen. Kritiker dieses Ansatzes sehen jedoch im Weiteren das Verhalten der AkteurInnen im Migrationsprozess – neben den ökonomischen Bedingungen – durch historisch-strukturelle Faktoren beeinflusst (Portes 1989).
Historisch-strukturelles Modell und Weltsystemtheorie
Geprägt durch Wallersteins Konzept der Weltsystemtheorie und marxistische Ansätzen poli-tischer Ökonomie liefert das historisch-strukturelle Modell seit den 1970er Jahren alternative Erklärungen für die Ursachen internationaler Migration. Im Vordergrund dieser Herangehens-weise stehen ungleiche Verteilungen ökonomischer und politischer Macht in der Welt-wirtschaft, deren Grundlage kolonial- oder postkolonialgeschichtliche Entwicklungen bilden. Internationale Migration wird als Konsequenz historischer Transformationen gesehen, da auf schon existierende Relationen und Geflechte zwischen den ehemaligen Kolonialmächten und ihren früheren Kolonien - wie Sprache, Verwaltung und Transportmöglichkeiten - zurückge-griffen werden kann. Diese bestehenden Strukturen ermöglichen eine vereinfachte Mobili-sierung billiger Arbeitskraft aus ›unterentwickelten‹ peripheren Räumen. Migration unterliegt dem Modell nach den Dynamiken des globalen Markts und kennzeichnet sich durch die Dominanz einiger Länder gegenüber der Abhängigkeit anderer (Castels 2003; Sassen 1988; Cohen 1987). Verstärkt werden die Interdependenzen durch konstruierte Migrationssysteme wie wirtschaftliche Verbindungen zwischen zwei oder mehreren Ländern.[22] Neben politisch und ökonomisch bedingten Herangehensweisen wird Migration im Weiteren auch als ein ›soziales Produkt‹ (Boyd 1989: 640) gesehen, welches durch Entscheidungsdynamiken von Familien und Bevölkerungsgruppen z.B. gleicher nationaler, ethnischer oder religiöser Herkunft (Portes 1989) beeinflusst werden kann.
Migrationssystemtheorie und neue Ansätze
Diese Methoden können als Kombination bereits skizzierter Herangehensweisen verstanden werden. Ausgangspunkt für Wanderungsbewegungen sind existierende Verbindungen zwi-schen Herkunfts- und Zielländern. Jene können ihre Ursprünge in der Geschichte des Kolonialismus haben, aber auch durch politischen Einfluss oder wirtschaftlichen und kulturellen Austausch bedingt sein. Hierbei wird jede Wanderungsbewegung als Ergebnis dieser Interaktion sowohl auf Makro- wie auch auf Mikroebene gesehen[23]. Die zwei Ebenen sind durch Netzwerke und Organisationen – Strukturen der Mesoebene – miteinander ver-bunden. Die Makroebene ist gefestigt durch zwischenstaatliche Beziehungen, welche einen signifikanten Einfluss in Entsende- und Aufnahmeländern haben. Beispiele hierfür sind Migrationspolitiken, Arbeitsgesetze oder politische Ökonomie des globalen Markts und inner- bzw. außerstaatliche Kontrollen. Mikrostrukturen hingegen sind von Personen oder Personen-gruppen erweiterte soziale (in-)formelle Netzwerke[24], durch die Migration erleichtert wird (Castels 2003: 27). Die Gründe der Migration liegen letztlich in einer Kombination von Push- und Pullfaktoren, welche einerseits Menschen zur Emigration zwingen, und Ursachen in den Zielländern, welche andererseits Anreize und Motivation geben, zu immigrieren (Baum-gartner/Castells/Massey et. Al 1998). Ein weiterer Aspekt spielt neben diesen Verflechtungen ökonomischer, politischer und sozialer Art die Rolle des kulturellen Kapitals[25] – dem spezi-fischen Wissen über Länder, Kapazitäten der Organisierung der Reise – das den Umgang mit Assimilation und Akkulturation in der neuen Umgebung beeinflusst. Diese Kompetenzen können erweitert werden durch den Austausch mit bereits migrierten Menschen, welcher sich in den letzten Jahrzehnten durch die mit der Globalisierung einhergehenden Verbesserungen von Transport- und Informationstechnologien optimiert hat, wodurch sich unterschiedliche Formen der Kommunikation zwischen Migrantengruppen und deren Herkunftsregionen intensiveren konnte. Diese zirkulierende und sich wiederholende Mobilität von Informationen und Interaktionen von Menschen führen zu der Entstehung transnationaler Räume.
3.2 Netzwerke und transnationale soziale Räume
Migrationsprozesse verlaufen nicht immer unidirektional – eben von einem nationalen Raum in den anderen; sie entkoppeln sich zunehmend von sozialen Räumen des nationalstaatlichen Rahmens.[26] Im Mittelpunkt der Migration stehen stattdessen Netzwerke, welche transnational kooperieren und interagieren. Sie bieten wesentliche Anhaltspunkte für Emigrierende und Hilfestellungen für Immigrierende[27].
Da existierende Migrationsmodelle dem Verständnis der Komplexität des Gegenstands nicht gerecht werden konnten, entwarfen Glick Schiller et al. Anfang der 1990er Jahre als neuen Migrationstypus das Konzept des ›Transmigranten‹[28] – dem Menschen mit Migrations-hintergrund, der sich in transnationalen Kontexten bewegt. Hierdurch entstehen durch globale, technologische, polit-ökonomische Faktoren und kulturelle Entwicklungen transnationale Räume (Schwenken 2005/Faist 2000). Die Dimensionen dieser Räume zeigen sich in der Intensität transnationaler Vernetzung von Communities[29], innerhalb derer Strategien sowohl politischer Repräsentation als auch kollektiven Handelns entstehen können. Transnationale Räume werden charakterisiert durch
»verdichtete ökonomische, politische und kulturelle Beziehungen zwischen Personen und Kollektiven, welche die Grenzen von souveränen Staaten überschreiten. Sie verbinden Menschen, Netzwerke und Organisationen in mehreren Orten über die jeweilige Staatsgrenze hinweg.« (Faist 2000:10).
Die Muster dieser transnationalen Bezüge sind nicht neu, wie die Migrationsforschung aufzeigt (Hoerder 2002; Sassen 1994). Es ist vielmehr eine Erweiterung des Begriffs der Ketten-migration und der Netzwerktheorie; denn Migrierende schöpfen aus den Erfahrungspotentialen bereits Migrierter, akkumulieren Wissen und nutzen vorhandene Infrastrukturen:
»Chain migration can be defined as that movement in which prospective migrants learn of opportunities, are provided with transportation and have initial accommodation and employment arranged by means of primary social relationships with previous migrants.« (McDonald/McDonald 1974:227 zit. in Han 2005:13).
Im Vordergrund transnationaler Migration steht neben diesen individuellen Interaktionen allerdings die Ausweitung »pluri-lokaler transnationaler Sozialräume« (Pries 2001:9) - also der zirkulierende Austausch zwischen zwei oder mehr Ländern, Regionen, ethnischen oder religiösen Gemeinschaften. Soziale Felder des Herkunftslands stehen in Verbindung mit dem Aufnahmeland und sind geprägt durch Beziehungen wie der Gestaltung des Alltagslebens über nationalstaatliche Grenzen hinweg:
»Transmigrants are immigrants whose daily lives depend on multiple and constant interconnections across international borders and whose public identities are configured in relationships to more than one nation-state.« (Glick Schiller/ Basch/ Szanton 1994: 125)
Die Auswirkungen des transnationalen Prozesses spiegeln sich in vielen Lebens- und Erlebnis-welten wider und beeinflussen Handeln, Errungenschaften, aber auch Ängste von Individuen und Familien (Han 2005). Soziale Netzwerke bieten gerade zu Beginn der Migration und Immigration einen ›Sicherheitsanker‹. Dieser kennzeichnet sich durch das Bereitstellen von materieller wie auch emotionaler Verbundenheit, Loyalität und Hilfestellungen bei Arbeits- und Wohnungssuche. Ethnische Communities vermitteln kollektive Sicherheit und Zuge-hörigkeit, »wirken stabilisierend und ambivalent zugleich« (Treibel 2006:114). Folglich können sich durch die in sozialen Netzwerken vorhandene sozio-kulturelle Infrastruktur und Unterstützungsbereitschaft bereits Migrierter oder Zugehöriger gleicher ethnischer, nationaler oder auch religiöser Herkunft für zahlreiche Einwanderer Möglichkeiten öffnen, sich schneller in den Arbeitsmarkt und in das soziale und kulturelle Leben zu integrieren. Dies untermauert häufig den Aufbau einer spezifischen ›ethnischen Identität‹. Ein zu starkes Bewusstsein dieser eigenen Ethnizität kann allerdings auch zu Überbewertung und ›Idealisierung der eigenen Herkunft‹ führen. Trotz der Ressourcen, welche durch diese sozialen Beziehungen mobilisiert werden, darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich gerade in migrantischen Netzwerken klare hierarchische Machtstrukturen manifestieren und starke Abhängigkeiten – ökonomischer, psychischer, sozialer und geschlechtsspezifischer Art – entstehen können[30].
3.3 Die Autonomie der Migration
»To migrate is certainly to loose language and home, to be defined by others, to become invisible or, even more worse, a target; it is to experience deep changes and wrenches in the soul. But the migrant is not simply transformed by this act; he also transforms his new world. Migrants may well become mutants, but it is out of such hybridization that newness can emerge.« (Salman Rushdie zit in Ha 1999: 84 )
Die Entscheidung zu migrieren kann, wie bereits erwähnt, auf Grund eines eigenständigen Entschlusses einer Person fallen, aber auch im Kontext von Familien und Gemeinschaften entstehen, wie Han formuliert:
»Migration [ist] selten das Ergebnis individueller Entscheidung […], sondern in der Regel ein soziales Produkt […], Ergebnis der Interaktion bzw. des Zusammenspiels von übergeordneten strukturellen Einheiten« (Han 2003: 87).
So diversifiziert theoretische Ansätze der Migration sind, so unterschiedlich sind also auch die Formen der Migration, die Integration in die Ankunftsgesellschaft, die Annahme von Arbeit, wie auch die Rückkehr und Wiedereinbindung in die Herkunftsgemeinschaft, geprägt.
Ebenso vielfältig gestaltet sich der Migrationsweg – nämlich je nach Position des Migrier-enden in der Familie, nach Alter, sozialer Schicht und Zugang zu ökonomischen[31] und individ-uellen Ressourcen wie sozialem Kapital[32], aber auch nach Geschlecht[33] (Tuider/ Wienold 2009:13). Migrationsprozesse und ihre Subjekte sind allerdings nicht nur von diesen und bereits skizzierten Strukturen abhängig, sondern können unter Umständen eigene Praxen bilden. Denn der Verlust von identitätsstiftenden Bezügen, Verunsicherung und das Erfahren von Dislokalisation durch die Migration schaffen für den Migrierenden neues Potential zur Bildung neuer, »vielfältiger Netzwerkidentitäten« (Nachtigall/Nieden/Pieper 2004:2).
Durch den erweiterten Erkenntnishorizont können Chancen entstehen, soziale Praktiken zu hinterfragen, eigenständige Strategien zu entwickeln und mit dem Phänomen der Marginali-sierung selbstbewusst umzugehen (Ha 1999: 82; Schwenken 2005).
Römhild sieht neben den Möglichkeiten ökonomischer Verbesserung durch die Migration auch Chancen, neue Perspektiven zu projizieren und Grenzen zu öffnen:
»Dabei spielt Migration und generell Mobilität eine zentrale Rolle, denn sie bringt Bewegung in diese Verhältnisse, in die Beziehung der Menschen zu Räumen, Gesellschaften und Kulturen. Migration, Mobilität wird zur – jedenfalls imaginierbaren – Option gerade für die Unterprivilegierten, die Randständigen der globalen Hegemonie, sich einen besseren Platz auf der Welt zu suchen.« (Römhild 2007: 215).
Diese Widerstandskonzeption lässt das Subjekt zum Akteur werden und kann als Möglichkeit von Empowerment[34] gesehen werden. Aus diesen subjektiven Aneignungsprozessen können Migrierende subversives und emanzipatorisches Potential entwickeln. Anstelle der Zu-schreibung gerade von Migrantinnen als ›objektivierte Opfer‹ der Migration wird das auto-nome Handeln des Migrierenden, welches als aktive Flucht hin zu einer anderen Lebens-alternative lesbar ist, um sich gleichfalls relativ flexibel den Anforderungen des globalisierten Kapitalismus anpassen zu können, in den Vordergrund gestellt (Nachtigall/zur Nieden/Pieper 2004). Im Diskurs um Kontrolle und Praktiken der Migration dürfen die verschiedenen Positionen von MigrantInnen allerdings nicht voreilig unter dem Schlagwort der Autonomie subsumiert werden: Denn, es entstehe hierdurch, so Benz/Schwenken (2000),
»die Gefahr, das komplexe Verhältnis von Staat, Migration und Gesellschaft als eine schlichte Gegenüberstellung Staat versus MigrantIn als autonomes (Kollektiv-)Subjekt zu konzeptionalisieren und gesellschaftliche Konflikte auf einen Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit zu reduzieren, ohne dass die viel weitreichenderen Rahmenbedingungen und Reproduktionskontexte problematisiert würden.«
Um die Positionierung von Migranten und gerade von Migrantinnen zu analysieren, müssen folglich unterschiedliche Aspekte in Betracht gezogen werden, welche gewisse strukturelle Rahmenbedingungen für Akteure bieten und je nach Kontext und individuellen Erfahrungen variieren (vgl. Treibel 2006: 188f.). Dennoch ist es gerade unter geschlechtsspezifischen[35] Aspekten interessant zu untersuchen, inwieweit z.B. Migrantinnen als Akteurinnen auftreten und welche emanzipativen Wege hierbei realisiert werden können, so dass Frauen erweiterte Autonomie und Unabhängigkeit erreichen und sich ihre Positionen gerade im Hinblick auf Geschlechterbeziehungen in Familien wie auch in Herkunfts- bzw. Ankunftsgesellschaften und Gemeinschaften verändern können. Um auf diese Gesichtspunkte eingehen zu können, ist allerdings ein Einblick in die komplexen Zusammenhänge des Phänomens der Migration hinsichtlich der Zusammenstellung nach Geschlechtern und spezifischen Rollen, welche gerade Migrantinnen im Prozess der Migration einnehmen, erforderlich.
3.4 Migration, Arbeit und Geschlecht
Migration wurde lange als männliches Phänomen beschrieben. In Berichten um internationale Wanderungsbewegungen traten vor allem junge Männer als Akteure von Migrationsprozessen auf, die meisten auf der Suche nach einem besseren Leben fern der Heimat (Dannecker 2006:4). Diese Wahrnehmung spiegelte sich nicht nur in medial verbreiteten Bildern, sondern auch in amtlichen Statistiken und wissenschaftlichen Diskursen wider. Männer galten als diejenigen, welche aktiv das Projekt der Migration planten und realisierten. Frauen hingegen blieben in akademischen Debatten weitgehend unsichtbar (DeLaet 1999; Lutz 2002; Schwenken 2002) und wurden häufig lediglich als nachziehende, abhängige Familienange-hörige stereotypisiert, mit Passivität und geringerer Mobilität assoziiert oder unter reduktioni-stischer Betrachtungsweise unter die männliche Bezeichnung ›Migrant‹ subsumiert.[36]
Die Tatsache, dass auch Frauen in zunehmendem Maße bewusst Landesgrenzen überschreiten, um eigene Lebensentwürfe und Vorstellungen zu realisieren, wird auch heute noch ambivalent gesehen. Erst in den letzten Jahren entwickelte sich ein differenziertes Bild zu der Darstellung von Frauen als signifikante Schlüsselfiguren im Migrationsprozess. Sowohl diese Dynamiken als auch der gestiegende Anteil und das vermehrte Auftreten von Frauen in neuen Migrationstypologien werden als ›Feminisierung der Migration[37] ‹ beschrieben.
Bei genauer Betrachtung der Entwicklung von Migrationsströmen lässt sich allerdings erkennen, dass nicht nur Zahl die weiblicher Migrierender, sondern Migrationsbewegungen allgemein gewachsen sind. Der Anteil von Frauen ist laut Berichten der International Labor Organisation (ILO) kontinuierlich angestiegen, von 41 Millionen im Jahre 1975 (47,4%), auf 95 Millionen (46,6%) im Jahr 2005 (Fry 2006).
Mehrere Entwicklungen sind hierbei zu beobachten: So wurden durch Produktions-verlagerungen seit Ende der 1960er Jahre eine wachsende Anzahl von Frauen in den Welterwerbsmarkt integriert.[38] Dies ging zeitgleich einher mit bereits skizzierten wirtschaft-lichen Prozessen dieser Zeit. Durch die Restrukturierung der Weltwirtschaft wurden Frauen als kostengünstige und flexibel einsetzbare Arbeitskräfte für Produktion und Dienstleistung gewonnen (Morokvasic 1983; Han 2003).[39] Engle sieht im Weiteren die Entwicklungen der Globalisierung als Katalysator für die weitere Arbeitsmigration von Frauen:
»The demand of migrant labour and the feminization of migration is driven by the dynamics of corporate globalization.« (Engle 1997, o.S.).
Allerdings müssen diese Umstrukturierungsprozesse und die Deregulierung der Arbeit durch die Liberalisierung der Märkte unter geschlechtsspezifischen[40] Merkmalen differenziert betrachtet werden. Denn die Prozesse der Globalisierung sind gekennzeichnet durch Brüche und haben häufig unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen. So besteht beispielsweise ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der steigenden Beschäftigung von Frauen in westlichen Ländern – insbesondere in urbanen Zentren[41] – und dem Bedarf von Migrantinnen z.B. im Bereich der Domestic Work.[42] Folglich ist
»in westlichen post-industriellen Gesellschaften eine Spaltung in hoch-qualifizierte, gut verdienende Dienstleistungsklasse einerseits und zunehmend ethnisierte und äußerst prekäre Sektoren andererseits zu verzeichnen. Qualifizierte ›nationale‹ Frauen besetzen in wissens- und informationsintensiven Wirtschaftsbereichen gut dotierte Arbeitsplätze, während sich unter anderem Migrantinnen im sogenannten ›gering-qualifizierten‹ Dienstleistungsbereich über Wasser halten«, so Seppelt (2008).
Ulrich Beck beschreibt diese Entwicklungen als »halbierte Moderne« (Beck 1986: 118). Er kennzeichnet hiermit die Dialektik zwischen emanzipatorischen Progress bei gleichzeitiger Beibehaltung der Fundamente traditioneller Gesellschaftsformen in Industriegesellschaften. Neue feministische Untersuchungen in der Migrationsforschung versuchen diese Interde-pendenzen zu analysieren und neben strukturellen Bedingungen auch die individuelle Handlungsebene herauszuarbeiten.
Denn neben den negativen Auswirkungen der Globalisierung entfalten sich auch viele positive Phänomene - gerade im Hinblick auf Geschlechterbeziehungen. Treibel verweist hierbei auf das emanzipatorische Potential, das Migration gerade für Frauen birgt. So entstünden für Frauen neue Möglichkeiten aus Abhängigkeiten, patriarchaler und familiärer Bevormundung zu entkommen und den Umstand als Veränderung der persönlichen Situation zu nutzen:
»Migration ist also auch Emanzipationsprozess. Wann und wo dieser einsetzt, ist von den strukturellen Rahmenbedingungen einerseits sowie den Interessen und individu-ellen Erfahrungen der Migrantinnen andererseits abhängig.« (Treibel 2006: 118).
4. Reise ins ›gelobte Land‹ – Transnationale Migration in die USA
Die Historie der Vereinigten Staaten von Amerika ist seit jeher eng verknüpft mit den Ge-schichten von Einwanderern aus allen Teilen der Erde. Jahrhundertelang inspirierte der Mythos des amerikanischen Traums[43] Personen, ihre Heimat zu verlassen und in den jungen Staat zu migrieren. Die Arbeitskraft dieser Menschen trug zum Wachsen und der Prosperität der ›nation of immigrants‹ und seiner Wirtschaft bei; die unterschiedlichen Einflüsse formten die Gesellschaft. Träume von Freiheit und Reichtum, aber auch Notwendigkeiten wirtschaftlicher, sozialer, politischer und religiöser Art und die Vorstellungen von unmittelbarer Teilhabe an besseren Bedingungen des Lebens kennzeichnen auch gegenwärtig das alltägliche, sozio-kulturelle und wirtschaftliche Leben sowie die jüngste Geschichte des Landes, das seit langem schon von migrantischer Arbeitskraft geprägt ist.
Bereits in den 1940ern sahen US-Ökonomen Arbeitsmigration als Notwendigkeit für die Volkswirtschaft und noch immer sind die Tätigkeiten von MigrantInnen ein bedeutender Faktor für eben diese (Hanson 2004).[44] Durch den Strukturwandel der Weltökonomie seit den 1970ern ist der Bedarf an Arbeitskraft in unterschiedlichen Sektoren der US-amerikanischen Wirtschaft und hiermit die grenzüberschreitende Migration in die USA gestiegen. Gegenwärtig sind ca. 22 Millionen der etwa 40 Millionen Menschen, welche außerhalb der USA geboren wurden, auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt aktiv (Abb.1, S.26). Offizielle Zahlen vari-ieren nach Angaben des Bureau of Labor Statistics und weiteren Institutionen zwischen 15% und 25% der gesamten Arbeitskraft des Landes[45] (BLS 2006; Urban Institute 2005; MPI 2008:20). Ein großer Teil der amerikanischen Bevölkerung ist mit 47 Millionen Menschen lateinamerikanischer Herkunft[46] (13-15%) – unter ihnen ein Großteil mexikanischer Ab-stammung, die nach Angaben der mexikanischen Regierung mit mehr als 30,3 Millionen Menschen die größte Minderheitengruppe in den USA stellt (63% der Hispanics).
Von diesen sind etwa elf Millionen Menschen außerhalb der USA geboren und mexikanische Staatsbürger (Pew Hispanic Center 2007).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Abb.1)
Die USA gelten neben Kanada und Australien als eines der ›klassischen‹ Einwanderungs-länder. Bis Mitte der 1960er Jahre kam die Mehrheit der Einwanderer aus Europa, während sich in den letzten Jahrzehnten der regionale Schwerpunkt der Herkunftsländer in Richtung Lateinamerika und Asien verschoben hat.[47] Im Zuge der Einwanderungswelle Ende der 1960/70er Jahre wanderten viele MigrantInnen in die USA, ein Großteil als temporäre Arbeits-kräfte, die in unterschiedlichen Industriezweigen[48] benötigt wurden. In den letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Bevölkerungsanteil der im Ausland geborenen Menschen, die auf dem Territorium der USA leben, auf 37 Millionen im Jahr 2008 angestiegen. Prognosen gehen davon aus, dass er sich bis zum Jahr 2010 um weitere 4 Millionen Menschen auf 41 Millionen belaufen wird (Abb.1, S. 26).
Die Anzahl der Menschen, die in den USA ohne gültige Papiere leben und arbeiten, wird derzeit auf rund 12 Millionen geschätzt.[49] Etwa ein Viertel der erwachsenen lateinameri-kanischen Bevölkerung – ein Großteil von ihnen mexikanischer Herkunft – lebt in den USA undokumentiert (Arauz 2007).
Migrantinnen spielen eine wesentliche Rolle in den Migrationsströmen in die USA. Während der wirtschaftlichen Nachfrage der 1970er überwog der Anteil migrierter Frauen gegenüber dem männlicher Migranten. Die Migration von Frauen in die Vereinigten Staaten hat sich seit den 1980ern mehr als verdoppelt – nach Angaben des Pew Hispanics Center und der US Census Bureaus von 7,3 Millionen im Jahr 1954, auf 15,6 Millionen im Jahr 2000 und 17,2 Millionen im Jahr 2004[50]. Frauen stellen hiermit bereits seit Mitte der 1950 etwa die Hälfte, in manchen Regionen sogar die Mehrheit der Einwanderer in den USA (Fry 2006/Abb. 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Abb. 2: Migration & Geschlecht USA)
Die Meinungen der US-amerikanischen Bevölkerung sind hinsichtlich der Debatten um den Umgang mit Einwanderern und dem Einfluss von Migration auf das Land gespalten, obgleich das Selbstverständnis der USA von Einwanderung geprägt ist und heute mehr als 15% der Bevölkerung MigrantInnen der 1. Generation sind (UN 2006).
Die Ambivalenz im Umgang mit dem Themenkomplex der Migration zeigt sich besonders seit den Anschlägen auf das World Trade Center im Jahre 2001 neben der Durchsetzung immer restriktiver Politiken, verschärfter Kontrollen und Sicherung der Grenzen auch im Zulauf rechtsgerichteter Gruppierungen[51] auf der einen Seite und Organisationen, Politikern, und Advokat-Netzwerken, die sich für die Belange von Menschen mit Migrationshintergrund einsetzen, auf der anderen.
Migrationsprozesse unterliegen, wie bereits erwähnt, sowohl sozialen Dynamiken als auch politischen Kräfteverhältnissen. Grundlage dieser Migrationsregime, welche vielmals die Ent-scheidungen der Migrierenden direkt oder indirekt bedingen, sind neben nationalen Politiken intergouvernementale Übereinkommen sowie politische und wirtschaftliche Vereinbarungen supranationaler Institutionen wie die der WTO und des IWF (Scheidauer 2000; Karakayali/ Tsianos 2005). So lenken neben direkten Migrationspolitiken der US-Regierung auch multilaterale Institutionen die Migrationsregime in die USA.[52] Die Vormachtstellung dieser Organisationen manifestiert sich im Rahmen internationaler Wirtschafts- und Finanz-abkommen wie auch in der Zuweisung von Regelungsbefugnissen an Nationalstaaten, welche diese einerseits an internationale Normen und Regeln bindet, andererseits deren hegemoniale Stellung stabilisieren kann.[53] (Karakayali/Tsianos 2005).
Auf Grund der kontrastreichen Geschichte und der Intensität der Migrationsströme zwischen Mexiko und den USA soll im Folgenden anhand der Beziehungen zwischen den beiden Ländern Relationen wirtschaftlicher, politischer und sozialer Art exemplarisch skizziert werden. Die Betrachtung historischer Entwicklungen und der Überblick zu wesentlichen migrationspolitischen Maßnahmen erscheint insofern bedeutsam, da diese eine essentielle Grundlage für das Verstehen des kontemporären Kontextes, in welchem sich MigrantInnen in den USA bewegen, bilden.
4.1 Wirtschaftsabkommen, Migrationspolitiken und ihre Auswirkungen auf Wanderungsprozesse am Beispiel Mexiko – USA
Los Tigres del Norte- Somos Más Americanos: »Ya me gritaron mil veces que me regrese a mi tierra porque aquí no quepo. Yo quiero recordarle al gringo - yo no cruce la frontera, la frontera me cruzo. América nació libre y el hombre la dividió. Ellos pintaron la raya para que yo la brincara y me llaman invasor. Es un error bien marcado nos quitaron ocho estados - quien es aquí el invasor? Soy extranjero en mi tierra y no vengo a darles guerra, soy hombre trabajador.«[54]
Entwicklungen von 1848 bis zum 2. Weltkrieg
Schon Mitte des 19. Jahrhunderts – nach der militärischen Eroberung und Annektierung des Nordens Mexikos durch die Vereinigten Staaten[55] – wanderten zahlreiche MexikanerInnen ›al norte‹ in die USA ab. Chacón und Davis erklären, dass diese massive Auswanderung sowohl seitens der mexikanischen wie auch der US-amerikanischen Politik gefördert wurde. So sei die Emigration in die USA ein »integraler Bestandteil« (Chacon/Davis 2007:123) der mexikanischen Wirtschaft[56]. Arbeitgeber auf der anderen Seite der Grenze sahen die Im-migrantInnen als Lösung für den Arbeitskräftemangel; die US-Wirtschaft nahm migrantische ArbeiterInnen bereitwillig auf.[57] Denn Mexikaner galten als ›genügsame‹, ›ungebildete Arbeit-er‹, welche sich nicht widersetzten und denen man selbst unter schwierigen Bedingungen, harte Arbeiten abverlangen konnte[58] - ein Bild, das sich bis heute in der Wahrnehmung vieler manifestiert hat. Während der Mexikanischen Revolution (1910-1920) und der darauffolgend-en Konterrevolution (1926-1934) migrierten eine weitere Million MexikanerInnen in die USA.
In der Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre jedoch wurden in den USA die Stimmen gegen die mexikanische Bevölkerung lauter; staatliche Autoritäten reagierten mit ersten Abschie-bungen (Urban Institute 2005). Gleichzeitig sollte eine 1924 eingeführte Quotenregelung die Einwanderung in die Vereinigten Staaten reduzieren.[59] Diese Politiken und öffentlichen Stellungnahmen entfachten und verschärften die Ressentiments der weißen amerikanischen Bevölkerung; der Mythos der ökonomischen Gefahr durch Angehörige ethnischer Minder-heiten wurde durch Gesetzgebungen im Laufe der US-amerikanischen Geschichte wieder-holend lanciert[60] und seitens reaktionärer Zeitungen und rechter Gewerkschaften[61] unterstützt.
Das Bracero-Programm und erste arbeitsrechtliche Organisierungen
Als für Rüstungsindustrie und Landwirtschaft während des zweiten Weltkriegs Arbeitskräfte benötigt wurden, setzte man in den USA erneut auf Einwanderer. So wurden zwischen 1942-1964 im Rahmen des Bracero[62] -Programms mehr als vier Millionen MexikanerInnen durch private Arbeitsvermittler, aber auch staatliche Stellen als temporäre Gastarbeiter angeworben. Damit einher ging parallel der Zuwachs der Anzahl undokumentierter Einwanderer. Durch die Massenabwanderung in den Norden entstanden Migrationsrouten und -muster, die sich nachhaltig verfestigten. Die US-Regierung unter McCarthy reagierte auf die illegale Zuwan-derung mit der ›Operation Wetback[63] ‹ und ließ zwischen 1951-1954 ca. zwei Millionen undokumentierte MexikanerInnen aus den USA abschieben (Urban Institute 2005). Nichtsdestotrotz befürwortete Mexiko das Abkommen, da es für den mexikanischen Staat als nützlich angesehen wurde. Einige US-Gewerkschaften und Bürgerorganisationen jedoch bezogen gegen die Politik, aber auch wider den Braceros selbst, welche sie in erster Linie als Rivalen betrachteten, Stellung, denn ArbeitsmigrantInnen konnten, so Chacón,
[...]
[1] Seit dem 2. Weltkrieg haben Migrationsbewegungen kontinuierlich zugenommen. Allein in den Jahren 1965- 2000 hat sich die Anzahl migrierender Menschen nach einem Bericht der IOM mehr als verdoppelt – von 75 auf 150 Millionen weltweit. (IOM 2002; Castles 2003: 4). Prognosen gehen davon aus, dass im Jahre 2050 mindestens 230 Millionen Menschen nicht in ihren Herkunftsländern leben werden (IOM 2004; Weltbank 2005).
[2] Menschen migrieren als ArbeiterInnen, hochqualifizierte SpezialistInnen und ExpertInnen, UnternehmerInnen, sind Flüchtlinge auf Grund politischer Geschehnisse, Verfolgungen und Vertreibung oder Umweltkatastrophen und ziehen als Angehörige bereits migrierten Familienmitgliedern nach.
[3] Der Begriff der Migration wird in den Sozialwissenschaften als Bewegung von Personen(gruppen) im Raum (spatial movement) verstanden, welche einen dauerhaften Wohnortwechsel bedingt (vgl. Han 2005:7).
[4] Migrationsstrom (migration stream): Richtung von Auswanderungsort zum Einwanderungsort.
[5] Vgl. Interview Brooke Anderson von EBASE am 28.02.2009 in Oakland.
[6] Die Schwierigkeit bei der Analyse von Internetquellen liegt darin, dass Berichte häufig vereinfacht dargestellt werden und die Inhalte gerade komplexer Sachverhalte in Pro- & Kontra -Blöcken skizziert werden.
[7] »Theoretisches Sampling bezeichnet den Prozess der Datensammlung zur Generierung von Theorien, wobei der Forscher seine Daten gleichzeitig sammelt, kodiert und analysiert und dabei entscheidet, welche Daten als nächstes gesammelt werden sollen und wo sie zu finden sind« (Glaser/Strauss 1967).
[8] Leitfäden und Auflistung der interviewten ExpertInnen und besuchten Institutionen liegen im Anhang vor.
[9] Auszüge der transkribierten Aufnahmen liegen im Anhang vor.
[10] Die Grundlage für die Motivation der Migration bilden sogenannte ›Push‹- und ›Pullfaktoren‹ (Schub- und Sogfaktoren). Pushfaktoren können sozio-ökonomischen Ursachen wie Instabilität im Herkunftsland, repressive Systeme, Kriege, Umweltkatastrophen, Folgen des Kolonialismus oder Mangel ökonomischer Möglichkeiten sein. Pullfaktoren, welche Menschen in die Zielländer bewegen, sind dortige Anreize ideeller, materieller, sozialer, politischer, ökonomischer und kultureller Art, wie demokratische Sozialstrukturen, wirtschaftliche Prosperität, bessere Ausbildungs- und Verdienstmöglichkeiten, aber auch die Nachfrage und das gezielte Anwerben von Arbeitskräften für den Arbeitsmarkt der Zielländer (Han 2005:15ff.; Le Breton Baumgartner 1998 ).
[11] In den 1970ern löste die Wirtschaftsform des Postfordimus den Fordismus ab – geprägt durch Flexibilisierung des Arbeitsprozesses, Verlagerung von Produktionseinheiten, der Liberalisierung der Märkte und dem Wegfall staatlicher Sicherungssysteme, was immense Auswirkungen auf Migrationsentscheidungen hatte.
[12] Es wurde sich vor allem auf Theorien gestützt, die für den Inhalt der Arbeit als relevant gesehen wurden. Auf weiterführende theoretische Ansätze kann daher auf Grund des Ausmaßes der Arbeit nur hingewiesen werden.
[13] Neoklassische Migrationsmodelle gelten als älteste Konzepte der Migrationstheorien. Sie beruhen auf den ›Gesetzen der Wanderung‹, die Ravenstein bereits 1885 formulierte (vgl. Ravenstein 1885:167ff.).
[14] In den Wirtschaftswissenschaften bezeichnet als homo oeconomicus.
[15] In der Ökonomik spricht man von Asymmetrien zw. zwei Ländern, v. a. im Bezug auf Lohnunterschiede.
[16] Vgl. hierzu auch den Ansatz der Rational Choice Theorie nach Esser.
[17] Vgl. Humankapitaltheorie: Das gewinnmaximierende Individuum fällt seine Migrationsentscheidung, indem es in die Regionen und Länder migriert, von denen es sich den größten Nettovorteil verspricht.
[18] Konzept nach dem US-amerikanischen Ökonom Michael J. Piore (*1940).
[19] Diese Agenturen verlangen z.T. immense Gebühren für die ArbeiterInnen, mit denen Reisekosten, Visa, Risikozuschläge, Zinssätze, ev. Kredite und Arbeitskosten der Agenturen abgedeckt werden sollen. Die Grenze zu illegalen Maßnahmen durch Schlepperbanden (Coyotes) ist hierbei fließend.
[20] Z.B. Bracero-Programm der amerikanischen Regierung (1942-1964). Vgl. hierzu Punkt 4.1.
[21] Im Weiteren können auch die Gastarbeiterprogramme der deutschen Regierung genannt werden, durch welche auf Druck seitens der Wirtschaft ab 1955-1973 ArbeiterInnen vor allem aus Italien, Griechenland, Spanien, Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und dem damaligen Jugoslawien rekrutiert wurden.
[22] Als Bsp. könnte das Freihandelsabkommen NAFTA zählen, auf das in Punkt 4.1 noch näher eingegangen wird.
[23] Makrostrukturen beziehen sich auf institutionalisierte Faktoren, während Mikrostrukturen Netzwerke, individuelle Praktiken und Vorstellungen der Migrierenden selbst einbeziehen.
[24] Informelle Netzwerke schließen Verhältnisse und Interaktionen zwischen Menschen, Familien, Haushalten und Freundschaften ein, wie auch Beziehungen zu und innerhalb von sozialen, kulturellen, religiösen Gemeinschaften (communities) (vgl. Castels 2003:27).
[25] Bourdieu (1930-2002) unterscheidet zwischen vier Kapitalarten: soziales, ökonomisches und symbolisches Kapital, welches je nach Kontext unterschiedliche Gewichtung haben kann; kulturelles Kapital manifestiert sich in drei Formen: verkörpertes Kapital durch verinnerlichten Zustand von Handlungsdispositionen/institutionalisiertes (Titel) und objektiviertes kulturelles Kapital in Form von Gütern (vgl. Erel 2004:176).
[26] Der Entwurf des Sozialen Raums wurde von dem französischen Soziologen Piere Bourdieu entwickelt, um soziale Strukturen und individuelle Positionen darstellen zu können. Die Soziologin Martina Löw analysiert das Konzept Raum als eine relationale Anordnung sozialer Güter und Lebewesen.
Die Entstehung des Raumes wird hierbei als soziales Phänomen begriffen, welches von gesellschaftlichen Entwicklungen abhängt. In der Raumsoziologie wird im Weiteren das Entstehen von Räumen durch soziales Handeln und die Abhängigkeit des Handelns von räumlichen Strukturen analysiert (Löw 2007).
[27] Die Entwicklung transnationaler Räume wird gefördert durch interpersonelle Bindungen, private (Familienangehörige, Nachbarn, Freunde) kulturelle, wirtschaftliche, politische, ethnische oder religiöse, aber auch kommerzielle und kriminelle (Agenturen, Einzelpersonen) Netzwerke, wie auch durch Institutionen. Sie stellen die Erstanlaufstellen im Zielland dar und sind wichtiger Faktor für die erfolgreiche Migration (Alt 2000; Schwenken 2005).
[28] LeVoy/Verbruggen (2005) verwenden auch den Begriff des ›Shuttle-Migranten‹, da diese Personen zwischen zwei Nationen pendeln. Das eine Land steht für sie mehr im Bezug zu emotionalen Bindungen wie Familie und Freunde, das andere wird mit wirtschaftlichen Tätigkeiten in Verbindung gebracht. Dieser Begriff kennzeichnet zwar Bewegungsabläufe, beschreibt allerdings nach Meinung der Verfasserin den komplexen Verlauf, Bezüge und Muster sozialer und wirtschaftlicher Art, welche sich in mind. zwei sozialen Räumen abspielen, nur ungenügend.
[29] Als Bsp. kann die Entstehung transnationaler Räume in den USA herangezogen werden. Dort leben viele Menschen mit Migrationshintergrund und ethnische Minderheiten in Communities, welche auch lokal in bestimmten Districts (Stadtteilen) abgegrenzt sind. Vgl. hierzu Punkt 4.3..
[30] (1) ökonomisch: z.B. durch das Erwarten von Überweisungen ins Herkunftsland (remittances), welche dort als wichtige finanzielle Quelle gesehen werden. (2) psychisch: Wie dem Ausspielen von Positionen z.B. bei Arbeit und Entlohnung. Häufig sind gerade MigrantInnen Personen (meist Männern) der gleichen nationalen Herkunft vorgesetzt. (3) geschlechtsspezifisch. Zahlreiche Quellen verweisen auf sexualisierte Gewalt in diesen Abhängigkeiten: Patriarchale und sexistische Wertvorstellungen und Praktiken, welche nicht nur auf den Herkunftskontext beschränkt sind, sondern auch in Aufnahmegesellschaften reproduziert werden (Schöttes/Treibel 1998: 112).
[31] Ökonomisches Kapital bezeichnet nach Bourdieu den Besitz, das Vermögen, Einkommen und Eigentumsrechte und nicht nur das Verfügen über Geld und Einkommen.
[32] »Social capital are those ressources that help people or groups to achieve their goals in ties and the assets inherent in patterned social and symbolic ties that allow actors to cooperate in networks and organizations, serving mechanisms to integrate groups and symbolic communities« (Faist 2000:12).
[33] Effekte des sozialen Kapitals interagieren stark mit geschlechtsspezifischen Momenten (Castro doMar 2004).
[34] Strategien und Maßnahmen, welche geeignet sind, den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung zu erhöhen bzw. Interessen selbstverantwortlich und -bestimmt zu vertreten – wie dem Gewinnen von Kontrolle (z.B. über die eigene Person, aber auch Finanzen etc.), gesteigertes Selbstwertgefühl, Zugang zu Ressourcen, Erweiterung von Handlungsspielräumen und Perspektiven oder Veränderung der Position in der Familie und Gemeinschaft.
[35] Geschlecht/Gender kann wie Ethnie/Nation, Klasse/Schicht Merkmal sozialer Ungleichheit sein. Soziale Spaltungen laufen entlang dieser Faktoren und überlagern sich gegenseitig (Seppel 2008). Vgl. Begriffserklärungen S.8.
[36] Diese Vorstellungen wurden auch durch mediale Verarbeitung der Migration und permanente Wiederholung von Bildern mit Migrantinnen als Opfer verstärkt (Henning 2008).
[37] Hiermit ist nicht nur die gestiegene Anzahl von Frauen in der Migration gemeint, sondern auch die ihr zu Grunde liegenden vergeschlechtlichen Bedingungen in den Herkunft- und Zielländern. Frauen haben weltweit den größten Anteil an irregulären, flexibilisierten Beschäftigungsverhältnissen inne (Lenz 2000; Wichterich 1998). Ganze Arbeitssegmente sind immer mehr auf Migrantinnen zugeschnitten (Seppel 2008).
[38] Gerade die Migration junger Frauen wurde und wird allerdings auch von ihren Familien unterstützt, da Frauen als zuverlässiger gelten, Rücküberweisungen zu senden (vgl. Castles 2003:28).
[39] Vgl. Abb. 2, S.28 für die USA.
[40] Dannecker spricht von einer »transnationalen Geschlechterordnung« (Dannecker 2006:6), die weltweit auf der Konstruktion beruht, dass Frauen für die meisten mechanischen Arbeiten besonders geeignet sind. Zu der internationalen Teilung der Arbeit entlang geschlechtsspezifischer Linien vgl. auch Punkt 4.2.3/4.5.2.
[41] Vgl. hierzu auch Anderson 2000.
[42] Diese Nachfrage wird von einigen WissenschaftlerInnen als eigener Pullfaktor gesehen (Treibel 2006:16). Zu der Situation von Domestic Workers vgl. auch Punkt 4.5.2.
[43] Der Mythos des ›American Dreams‹ kann als eigenständiger Pullfaktor gesehen werden.
[44] Nicht nur für die USA, sondern auch für die Herkunftsländer sind die Erträge, welche MigrantInnen in Form von Rücküberweisungen (remasas) einbringen, rentabel. Die IADB schätzt die Transfers für das Jahr 2005 auf ca. $ 57 Milliarden. Sie bilden eine wichtige Quelle der legalen Deviseneinkünfte der meisten lateinamerikanischen Staaten. Über 1/3 dieser Rücküberweisungen gingen allein nach Mexiko (etwa $ 20 Milliarden - mehr als die Einnahmen des Landes durch den Tourismus). Hiermit kommen die Remesas der in den USA lebenden MexikanerInnen direkt nach den Erträgen aus Öl und den Exporten aus den Maquiladoras (Dannecker 2006; Chacón/Davis 2007:187). Auch die US-Banken machen mit den ›remesas‹ durch Transfergebühren immense Gewinne, etwa $ 1,5 Milliarden im Jahr 2005 allein durch Überweisungen nach Mexiko (Ebd.:166).
[45] Exakte Angaben zu den Beschäftigungsverhältnissen von MigrantInnen sind schwer zu machen, da ein Großteil Arbeiten verrichtet, welche z.Tl. dem informellen Sektor oder der Privatwirtschaft zugerechnet werden; manchen Personen werden auf Grund der Ausführung mehrere Tätigkeiten auch mehrfach erfasst.
[46] Nach Angaben des Pew Hispanic Center bilden die Hispanics die stärkste Minderheit und haben zahlenmäßig im Jahr 2005 die Afroamerikaner überholt. Die mex. Bevölkerung in den USA entspricht etwa 1/10 der Gesamtbevölkerung Mexikos (Hanson 2004:2).
[47] Mit den ersten Einwanderungswellen in die USA gelangten vornehmlich EuropäerInnen in den jungen Staat. Unterschiedliche Ereignisse beeinflussten die Zuwanderungen: 1848-1854 wurden zahlreiche Menschen durch den Goldrausch in Kalifornien angelockt, ihre Heimat zu verlassen. Ende des 19. Jahrhunderts fanden vor allem Mitglieder der jüdischen Community Zuflucht in den USA; Anfang bis Mitte des 20. Jh. waren die beiden Weltkriege auslösende Faktoren, die die Migration in die USA bis weit in 1960er hinein prägten. Besonders während des 2. Weltkriegs wurde, da es kriegsbedingt an ArbeiterInnen mangelte, auf migrantische Arbeitskraft gesetzt. Mitte der 1950er erfolgten wiederum die ersten Ausweisungen der noch zehn Jahre zuvor angeworbenen GastarbeiterInnen.
[48] Bis heute noch stellen MigrantInnen einen erheblichen Anteil der Arbeitskräfte des Landes. Gerade im Niedriglohnbereich ist die Anzahl von meist niedrig qualifizierten MigrantInnen hoch. Neben der Agrarwirtschaft sind Bereiche wie das Bauwesen, Hotel- und Restaurantgewerbe, Gesundheitssektor, Gartenarbeit, Reinigungssektor, Lebensmittelindustrie und weitere Dienstleistungen zu nennen wobei die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Sektor wie auch formeller und informeller Arbeit fließend sind.
[49] Beinahe ein 1/3 der gesamten im Ausland geborenen Bevölkerung (MPI 2006:15). Zu der Situation und der Entwicklung von Sans Papiers in den USA vgl. Punkt 4.2.
[50] Allein der Mangel an aktuellen Statistiken zu Geschlecht &Migration spiegelt die o.e. Thematik wider. Daten zu einer geschlechtsspezifischen Bestimmung lassen sich ab dem Zeitraum ab 2004 kaum finden.
[51] Vgl. Interview mit Brooke Anderson/EBASE am 26.02.2009 in Oakland.
[52] Vgl. Regimetheorie, welche als Weiterentwicklung der Interdepedenztheorie zu verstehen ist. Im Fokus der Analyse stehen gesellschaftliche Prozesse, welche von Nationalstaaten nicht oder nur ungenügend ausgeführt werden (können) und daher nicht intergouvernemental - also zwischen Regierungen stattfindend- sondern durch unterschiedliche supranationale Akteure und Netzwerke gesteuert werden (Karakayali/Tsianos 2005).
[53] Gerade die USA nehmen häufig eine Sonderposition ein. In Bezug auf die Thematik der Migration sind hier u.a. Konventionen der ILO zu nennen (11, 87, 98, 143), welche von den USA nicht ratifiziert wurden, aber auch die Vormachtstellung des Landes in transnationalen Wirtschaftsabkommen.
[54] Die mexikanische Musikgruppe Los Tigres del Norte zu ihrer Sicht der US-amerikanisch-mexikanischen Geschichte und über das Gefühl des Fremdseins im ›eigenen‹ Land.
[55] Nach der Niederlage im Krieg 1848 musste Mexiko 55% seines Territoriums im Rahmen des Vertrags von Guadalupe Hidalgo abgeben. Im Gegenzug zahlten die USA 15 Millionen Dollar Kompensation für verursachte Kriegsschäden. Die an die USA abgegebene Fläche von zwei Millionen km² umfasst die heutigen Bundesstaaten Kalifornien, Arizona, Nevada, Utah, Teile Colorados, New Mexikos und Wyoming. Texas war 1835/36 von Mexiko unabhängig geworden und der US-Union beigetreten. Die US- Grenze wurde daraufhin an den Rio Grande (Texas/New Mexiko) verlegt. (Chacón, Davis 2007/Arauz 2007/Apavoo am 26.02.2009).
[56] Chacón verweist hier auf den Einfluss bereits erwähnter Transferleistungen durch in den USA lebender Migrant_
Innen an Familien, Gemeinden etc. in Mexiko.
[57] Durch ›Reservearmee‹ von ArbeiterInnen wurden Löhne gedrückt und gewerkschaftlich Organisierte ausgespielt. Anfang des 20. Jhs wurden Lohnskalen auf der Grundlage von Ethnizität entworfen (Chacón/Davis 2007:145).
[58] So beschreibt beispielsweise das BICS im Jahre 1909 mexikanische Tagelöhner wie folgt: »Der Peón ist ein zufriedenstellender Streckenarbeiter, da er fügsam, ungebildet […] [ist]« (Chacón/Akers 2007:143).
[59] Dies galt zunehmend für Einwanderer aus China, Japan, süd- und osteuropäischen Staaten. National Quota System und Asian Exclusion Act von 1924 und galt offiziell noch bis 1965 (Daniels 1977/ Chacón, Davis 2007:36).
[60] Neben dem potentiellen ökonomischen Risiko wurden Ängste von sexueller Bedrohung durch ethnische Minderheiten geschürt. Im Rassenmischungsgesetz von 1903/1933 wurde z.B. das Verbot, sich »mit Negern [sic!], Mongolen, Mulatten und Malayen« (zit. nach Davis 2007:46) zu verheiraten, gesetzlich verankert.
[61] So formten die Gewerkschaften 1905 die Japanese and Korean Exclusion League (Chaón, Davis 2007:36).
[62] Bracero: mit den Händen Arbeitender. Abgeleitet von spanisch brazo=der Arm.
[63] Pejorative Bezeichnung: ›wetback‹ zu dt. ›Nassrücken‹ oder Zusammensetzung der Worte ›nass‹ (wet) und ›zurück‹ (back), womit MigrantInnen (und die Abschiebung dieser) gemeint werden, die durch den Rio Grande geschwommen waren, um die Grenze zu überqueren. Im spanischen Sprachgebrauch werden illegal Eingereiste daher häufig auch einfach ›mojados‹ (die Nassgewordenen) genannt.
- Quote paper
- Constanze Lemmerich (Author), 2009, No more invisible? Soziale und gewerkschaftliche Partizipation von Migrantinnen in den USA, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/271786
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