Erst im zweiten Teil des Nibelungenliedes greift Rüdiger von Bechelaren in das Geschehen ein. In acht Aventiuren ist er präsent 1 , in der 20., 27. und 37. Aventiure tritt er am häufigsten auf. Die 37. Aventiure ist Rüdiger gewidmet. Diese drei Aventiuren bilden den jeweiligen Kern der drei Komplexe, in die Jochen Splett die Rüdigerpartien des Nibelungenliedes strukturiert. Genauer gesagt orientiert sich Spletts Gliederung an der Rolle des Markgrafen in diesen Aventiuren. Er schlägt eine Dreiteilung der Rüdigerhandlung vor: Rüdiger als Werber Etzels, Rüdiger als Gastgeber der Burgunden und Rüdigers Gewissenskonflikt. 2 Der in der 37. Aventiure geschilderte Konflikt ist das zentrale Strukturelement der Rüdi-gerhandlung, die beiden anderen Komplexe sind auf ihn bezogen. Sie bereiten den Konflikt, den Rüdiger in einem Gespräch mit Etzel und Kriemhild in der 37. Aventiure selbst offenbart, auf vielfältige Art und Weise vor. Rüdiger ruft „harte jâmerlîchen“ 3 aus: „ Swelhez ich nu lâze unt daz ander begân, 4 sô hân ich boeslîche unde vil übele getân.“ Hier spricht einer, der sich offensichtlich in einem Dilemma befindet. Wie er sich auch entscheidet, für das eine oder das andere, er empfindet diese Entscheidung immer als moralische Niederlage. Hier offenbart Rüdiger seinen Konflikt, der äußerlich ein Bindungskonflikt zwischen der triuwe zu den Burgunden und der triuwe zu Etzel und Kriemhild ist und innerlich moralische, ja religiöse Dimensionen aufweist. Ziel dieser Arbeit ist es, den Konflikt Rüdigers zu analysieren und zu interpretieren. Dabei gilt es zu fragen, wie es zu diesem Konflikt kommt, warum er für Rüdiger ein Dilemma darstellt, welche Dimensionen er aufweist und wie er eventuell gelöst werden kann. Abschließend wird der Konflikt auf der Basis der Thesen der relevanten Forschungsliteratur bewertet. Die Analyse und Interpretation des Konfliktes der am stärksten individualisierten und damit für die Nibelungenforschung auch interessantesten Nebenfigur bezieht sich ausschließlich auf den Text des Nibelungenliedes in der Handschrift B. Eine Einbeziehung von Textvarianten der anderen Handschriften und eine Berücksichtigung der Nibelungenklage würde den Schwerpunkt der Arbeit von einer möglichst detaillierten und differenzierten inhaltlichen Interpretation in Richtung eines Textvergleichs verschieben. Abgesehen wurde auch von einer Analyse der Vorstufen des Nibelungenliedes und der Sagengeschichte. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Verortung des Konfliktes in der 37. Aventiure
- Konfliktformulierung
- Formulierung des Konfliktes als Dilemma
- Konsequenzen des Konfliktes für Rüdiger
- Konfliktkonstitution
- Konfliktvoraussetzungen
- Rüdigers Verhältnis zu Etzel
- Rüdigers Verhältnis zu den Burgunden
- Parteibindungen
- Bindung an Kriemhild
- Bindungen an die Burgunden
- Konfliktvoraussetzungen
- Konfliktlösungsversuche
- Rüdigers Entscheidung
- Deutung der Entscheidung
- Die Schildszene
- Der Kampf gegen die Burgunden
- Rüdigers Tod
- Abschließende Bewertung des Konfliktes
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Das Ziel dieser Arbeit ist es, den Konflikt Rüdigers im Nibelungenlied zu analysieren und zu interpretieren. Die Analyse soll die Entstehung des Konfliktes, seine Auswirkungen auf Rüdiger und seine möglichen Lösungsansätze untersuchen. Abschließend wird der Konflikt unter Bezugnahme auf die relevante Forschungsliteratur bewertet.
- Analyse des Konfliktes zwischen Rüdigers Pflichten als Vasall und seine Bindung an die Burgunden
- Untersuchung der moralischen und religiösen Dimensionen des Konfliktes
- Bewertung des Konfliktes im Kontext der Nibelungenforschung
- Detaillierte Interpretation des Konfliktes aus der Perspektive der Handschrift B
- Einbeziehung der relevanten Forschungsliteratur
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt Rüdiger von Bechelaren als eine der interessantesten Nebenfiguren des Nibelungenliedes vor. Sie beschreibt die Bedeutung seiner Konflikte und die Gliederung der Rüdigerhandlung in drei Komplexe nach Jochen Splett.
Das zweite Kapitel verortet den Konflikt Rüdigers in der 37. Aventiure und analysiert die zentralen Sinneinheiten der Handlung. Rüdigers Dilemma wird durch die Ereignisse nach dem Saalbrand, die Forderung nach militärischer Hilfe von Etzel und die öffentliche Beschuldigung durch einen Hunnen deutlich.
Im dritten Kapitel wird der Konflikt Rüdigers als Dilemma zwischen seinen Pflichten als Vasall Etzels und seinen Verpflichtungen als Freund und Gastgeber der Burgunden dargestellt. Die Analyse zeigt, wie Rüdiger in einem Konflikt zwischen zwei triuwen gefangen ist und seine Handlungen moralisch und religiöse Dimensionen aufweisen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit dem Konflikt des Rüdiger von Bechelaren im Nibelungenlied, der sich aus seinem Vasallenverhältnis zu Etzel und seinen Bindungen an die Burgunden ergibt. Die Analyse fokussiert auf die triuwe als zentrale moralische Kategorie, das Dilemma des Konfliktes, die religiösen Dimensionen der Handlung und die Interpretation des Nibelungenliedes in der Handschrift B.
- Citation du texte
- Christoph Herold (Auteur), 2002, Rüdiger von Bechelarens dilemmatischer Konflikt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27120