„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt wer-den.“ (Di Fabio 2007: 16) So steht es in Artikel 3 des Grundgesetzes.
Jedoch gehören Mobbing und Ausgrenzung aufgrund der Herkunft, des sozialen Status und des Aussehens zum gesellschaftlichen Alltag vieler Kinder. Viele von ihnen leiden immer früher unter den verbalen und teils körperlichen Angriffen anderer.
Diese Problematik macht auch den Hauptprotagonisten der in dieser Arbeit analysierten problemorientierten Bilderbücher „Irgendwie Anders“, „Der Regenbogenfisch“ und „Pepe Pinguin“ zu schaffen. Doch in welcher Form werden Heterogenität und Differenz aufgegriffen und dargestellt? Können diese Werke sogar dazu beitragen, die Akzeptanz von Andersartigkeit in unserer Gesellschaft zu steigern? Ziel der vorliegenden Arbeit ist zu zeigen, dass problemorientierte Kinder- und Jugendliteratur diese Außenseiterproblematik anschaulich aufgreift und sich somit als ein wichtiges Medium in der kindlichen Entwicklung hin zu einem reflektierten, toleranten Individuum herausstellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Bilderbuch
2.1 Die Geschichte des Bilderbuchs
2.2 Text- und Bildinterdependenz
2.3 Der Einsatz von Bilderbüchern in der Grundschule
2.4 Funktionale Aspekte des Bilderbuchs
3. Problemorientierte Kinder- und Jugendliteratur
4. Außenseiter in der Kinder- und Jugendliteratur
4.1 Was ist ein Außenseiter?
4.2 Kinder als Außenseiter
4.3 Außenseiter als Thema historischer und moderner Kinder- und Jugendliteratur
5. Irgendwie Anders
5.1 Sachanalyse
5.2 Zur Gestaltung der Außenseiterproblematik auf Text- und Bildebene
6. Der Regenbogenfisch
6.1 Sachanalyse
6.2 Zur Gestaltung der Außenseiterproblematik auf Text- und Bildebene
7. Pepe Pinguin
7.1 Sachanalyse
7.2 Zur Gestaltung der Außenseiterproblematik auf Text- und Bildebene
8. Vergleich der Außenseiterdarstellung
9. Fazit
10. Literaturverzeichnis
11. Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ (Di Fabio 2007: 16) So steht es in Artikel 3 des Grundgesetzes.
Jedoch gehören Mobbing und Ausgrenzung aufgrund der Herkunft, des sozialen Status und des Aussehens zum gesellschaftlichen Alltag vieler Kinder. Viele von ihnen leiden immer früher unter den verbalen und teils körperlichen Angriffen anderer.
Diese Problematik macht auch den Hauptprotagonisten der in dieser Arbeit analysierten problemorientierten Bilderbücher „Irgendwie Anders“, „Der Regenbogenfisch“ und „Pepe Pinguin“ zu schaffen. Doch in welcher Form werden Heterogenität und Differenz aufgegriffen und dargestellt? Können diese Werke sogar dazu beitragen, die Akzeptanz von Andersartigkeit in unserer Gesellschaft zu steigern? Ziel der vorliegenden Arbeit ist zu zeigen, dass problemorientierte Kinder- und Jugendliteratur diese Außenseiterproblematik anschaulich aufgreift und sich somit als ein wichtiges Medium in der kindlichen Entwicklung hin zu einem reflektierten, toleranten Individuum herausstellt.
Bevor diese beiden Forschungsfragen genauer untersucht werden, greift das erste Kapitel das Thema „Bilderbuch“ auf und stellt einen Überblick über die historische Entwicklung dieses Untergenres der Kinderliteratur dar. „Inzwischen ist es auch für viele Grundschulen zu einer Selbstverständlichkeit geworden, den Schülern […] Bilderbücher anzubieten.“ (Born 2000: 88) Diese positive Entwicklung liegt hauptsächlich daran, dass Bilderbücher eine zunehmend wachsende Bedeutung in der Literaturdidaktik finden und in der gegenwärtigen Zeit fest im Deutschunterricht der Grundschulen verankert sind (vgl. Halbey 1997: 6). Anschließend werden die funktionalen Aspekte dieses Buchgenres und sein Einsatz in der Grundschule dargestellt. Diese Komponenten bilden einen Überblick über die Einsatzmöglichkeiten und den pädagogischen Wert von Bilderbüchern, der diesen in der Vergangenheit oftmals abgesprochen wurde.
Der zentrale Begriff der problemorientierten Kinder- und Jugendliteratur wird in der vorliegenden Arbeit wiederkehrend aufgegriffen, sodass eine definitorische Bestimmung erforderlich ist und in Punkt 3 erfolgt. Ein Themengebiet dieser Literaturgattung ist die Außenseiterthematik, die in allen vorliegenden Werken behandelt wird. Punkt 4 gibt einen Überblick darüber, was ein Außenseiter ist, welche Erscheinungsformen bereits im Kindesalter auftreten und wie diese Thematik im Laufe der Jahrhunderte in der Kinder- und Jugendliteratur abgehandelt wurde.
Nach Bearbeitung dieser theoretischen Grundlagen werden die drei exemplarisch aufgegriffenen Bilderbücher „Irgendwie Anders“, „Der Regenbogenfisch“ und „Pepe Pinguin“ einer Sachanalyse unterzogen. Des Weiteren wird ein intensiver Blick auf die Außenseiterdarstellung geworfen, wobei zwischen der Ausgrenzung auf Text- und Bildebene differenziert wird. Die unterschiedlichen Darstellungen werden anschließend einem Vergleich unterzogen und die Ergebnisse vor dem Hintergrund der zugrunde liegenden Fragestellungen zusammengefasst und resümiert.
2. Das Bilderbuch
„Vor noch nicht langer Zeit stand für unterschiedliche Forschungsrichtungen die Frage im Vordergrund, was Kinder und Jugendliche lesen sollten – heute geht es eher um die Frage, was getan werden kann, damit sie lesen.“ (Kretschmer 2003: 12) Kinder wachsen heute in einer schnelllebigen Mediengesellschaft auf, in der das Medium Buch in Konkurrenz oder zumindest in Koexistenz zu anderen Medien steht. Bilderbücher stellen hier insbesondere für jüngere Kinder einen guten Kompromiss dar: Sie verbinden Wort und Bild und eignen sich daher besonders zum Einsatz im Grundschulbereich (vgl. Kretschmer 2003: 12ff.).
Das Bilderbuch ist eine eigene Gattung im Bereich der Kinderliteratur und bezeichnet ein „reich illustriertes Buch, das speziell für Kinder – vorwiegend für Kinder, die noch nicht lesen können, also für Klein- und Vorschulkinder – von Erwachsenen geschrieben und gestaltet wird“ (Dietschi Keller 1996: 17). Bei einem Bilderbuch handelt es sich somit um ein Medium mit hoher Bilddominanz und visueller Ästhetik. Text und Bild stehen in einem engen Zusammengang. Das Bild steht im Vordergrund, wobei das gedruckte Wort als Hilfsmittel dient und das Bild unterstützt (vgl. Baumgärtner 1990: 4).
Die umfangreichen inhaltlichen und gestalterischen Möglichkeiten innerhalb der Bilderbücher benötigen eine Systematik und Einteilung, um eine gewisse Übersichtlichkeit zu gewährleisten. Das Medium lässt sich in Elementarbilderbücher, Szenenbilderbücher, religiöse, realistische und fantastische Bilderbücher, Tierbilderbücher, Sach- und Märchenbilderbücher einteilen.
Im Folgenden stellt Kapitel 2.1 eine Übersicht über die historische Entwicklung des Bilderbuches, seinen heutigen Einsatz in der Grundschule und die damit verknüpften Funktionen dieses Mediums dar.
2.1 Die Geschichte des Bilderbuchs
Der Begriff „Bilderbuch“ wurde in verschiedenen Epochen unterschiedlich definiert. Das Bilderbuch heute ist nicht mit den Bilderbüchern aus der Vergangenheit vergleichbar. Hauptunterscheidungsmerkmal ist der Adressat. Heute richten sich Bilderbücher an die Jüngsten unserer Gesellschaft, die Kinder, früher hingegen an Erwachsene. Neben dem Unterscheidungsmerkmal des Adressaten verfolgte diese Literaturgattung in der Vergangenheit andere Funktionen. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit dienten Bilderbücher beispielsweise zu Propagandazwecken. Da ein Großteil der Gesellschaft des Lesens nicht kundig war, diente diese illustrierte Darstellung zur Vermittlung bestimmter Inhalte (vgl. Engelbert-Michel 1998: 11).
Die Erfindung des Buchdruckes Mitte des 15. Jahrhunderts steigerte auch die Verbreitungsmöglichkeiten von Bilderbüchern, die zuvor von Mönchen handschriftlich vervielfältigt wurden. Der Buchdruck stellte somit einen wichtigen Meilenstein in der Geschichte des Bilderbuchs dar (vgl. Engelbert-Michel 1998: 11).
Eine erste Orientierung des Bilderbuchs am Kind als Adressat ist seit Ende des 17. Jahrhunderts festzustellen. Es handelte sich hierbei um ABC-Bücher, die dem Lesenlernen dienten, illustrierte Fabelbücher oder Bilderbücher, die religiöse Themen aufgriffen. Diese können als Vorreiter des modernen Bilderbuchs bezeichnet werden. „Orbis sensualium pictus“ von Johannes Amos Comenius aus dem Jahr 1658 gilt als der Beginn der Kinder- und Jugendliteratur. Comenius legte den Schwerpunkt daher auf die bildliche Darstellung, sodass dieses Werk „zum großen Anschauungs- und Elementarwerk für junge Leser in Adels- und Bürgerfamilien und in den Haushalten gebildeter Stände […]“ (Engelbert-Michel 1998: 12) wurde. Den großen Erfolg belegen die hohen publizierten Stückzahlen und die Übersetzung in sechs weitere Sprachen (vgl. Engelbert-Michel 1998: 11 ff.).
Als ein weiteres wichtiges Werk ist Friedrich Justin Bertuchs „Bilderbuch für Kinder“ zu nennen. Hierbei handelte es sich um 12 Bildbände und 24 Kommentarbände, die im Zeitraum zwischen 1790 und 1830 erschienen. Bertuchs Bände stellten reine Sachbilderbücher dar, eine „angenehme Sammlung von T[h]ieren, Pflanzen, Blumen, Früchten, Mineralien, Trachten und allerhand andern unterrichtenden Gegenständen aus dem Reiche der Natur, der Künste und Wissenschaften; alle nach den besten Originalien gewählt, gestochen und mit einer kurzen wissenschaftlichen und den Verstandes-Kräften eines Kindes angemessenen Erklärung begleitet“ (Baumgärtner 1990: 8).
Der Wandel vom Sachbilderbuch zum poetisch-fiktionalen Bilderbuch erfolgte erst im 19. Jahrhundert. In der Folgezeit diente das Bilderbuch als wichtiges Werkzeug der Erziehung und sollte den Kindern eine vernünftige Beziehung zu ihrer Umwelt vermitteln. „Der Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann aus dem Jahre 1845 ist hier als eines der bekanntesten Werke zu nennen. Anhand der Geschichten des gleichnamigen Hauptprotagonisten wurde vor den Folgen von Fehlverhalten gewarnt, was nach Walter Scherf als „unsentimentale Verhaltensbelehrung“ bezeichnet werden kann (vgl. Baumgärtner 1990: 9 ff.).
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte eine Masse an Bilderbuchveröffentlichungen mit sich. Kritiker bemängeln in dieser Epoche jedoch die Qualität der erschienenen Werke, die „[…] Jahr für Jahr farbliche Süßigkeiten [präsentierten], die geschmacksverheerend auf das große und kleine Publikum eindrangen. Der glatte geleckte Öldruck beherrschte das Feld; fürchterliche lithographische Buntdrucke zeugen von der Geschmacksverwilderung. Die Bilder, die keine Farbe zeigten, waren zuweilen noch erträglich, obgleich auch sie in der Zeichnung der Geschmacklosigkeit ihren Tribut zollten […]“ (Baumgärtner 1990: 11). Die bildnerische Darstellung in diesen Werken schien fern der Realität. So vermenschlichte der Schweizer Künstler Ernst Kreidolf Blumen oder Insekten und schrieb ihnen menschliche Verhaltensweisen zu. Kreidolfs Werke zeichneten sich durch eine starke gestalterische Orientierung an den Strömungen der zeitgenössischen Kunst (Jugendstil) aus, die fortan von vielen Bilderbuchautoren aufgegriffen wurde.
Jene Orientierung an der epochalen Kunst wurde 1933 strikt unterbunden. Die Erwachsenen sollten fortan ihren erzieherischen Aufgaben nachkommen, wozu insbesondere die Vermittlung der vorherrschenden politischen Ideologie zählte. Bilderbücher dienten somit als Mittel politischer Indoktrination und wurden in dieser Hinsicht streng überwacht. Das „Bilderbuch für Groß und Klein“ mit dem Titel „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid, trau keinem Juden bei seinem Eid“ aus dem Jahr 1936 stachelte die Gesellschaft zu Hass und Gewalt gegenüber den Juden an und vermittelte somit die Rassenideologie der Regierung (vgl. Baumgärtner 1990: 12 f.). Werke jener Zeit sind heute schwer anzutreffen, da viele dem Krieg zum Opfer fielen oder durch die von den Besatzungsmächten angesetzten Säuberungsaktionen vernichtet wurden (vgl. Aley 1973: 325).
1945 fand der Nationalsozialismus zwar ein Ende, doch mit ihm kämpfte auch das Bilderbuch um seinen Fortbestand. Zum einen waren viele Produktionsstätten im Krieg zerstört worden, zum anderen grenzten sich Familien von Traditionen ab (wozu auch der Umgang mit dem Bilderbuchgenre gehörte), um einen Neuanfang zu beginnen und Altes hinter sich zu lassen. Verlage griffen auf Altbewährtes zurück und publizierten Bilderbücher aus den Jahren vor 1933 (vgl. Baumgärtner 1990: 13f.)
Das Jahr 1945 begann mit der Veröffentlichung des Grimmschen Märchens „Die Bremer Stadtmusikanten“. Zwar handelt es sich hierbei um ein wichtiges Werk der Bilderbuchgattung, doch an diesen Erfolg konnte lange Zeit nicht angeknüpft werden (vgl. Aley 1973: 357). Wirklich neue Ansätze waren erst um 1960 zu beobachten (vgl. Baumgärtner 1990: 14).
Fortan haben sich aufgegriffene Themen und Gestaltungsmöglichkeiten im Medium Bilderbuch potenziert. Bilderbücher bieten eine hohe gestalterische und inhaltliche Vielfalt. Beispielsweise wirkten sich um 1970 Pop-Art-Einflüsse auf die bildnerische Gestaltung der Bilderbücher aus. Die antiautoritären Bewegungen dieser Zeit waren auch in den Bilderbüchern zu spüren, die fortan feststehende Normen missachteten. Die 80er- und 90er-Jahre standen hingegen für surrealistische Elemente, also die Nähe zu Traum und Absurdität (vgl. Thiele 2000 28ff.).
Wie herausgestellt wurde, durchlief das Bilderbuch viele Epochen, die die Werke der jeweiligen Zeit sowohl künstlerisch als auch inhaltlich mitbestimmt und gestaltet haben. Das problemorientierte Bilderbuch, das Gegenstand dieser Arbeit ist, seine Entwicklung und inhaltliche Gestaltung werden in Kapitel 3 gesondert thematisiert
2.2 Text- und Bildinterdependenz
Text und Bild arbeiten im Bilderbuch eng zusammen und ergänzen sich gegenseitig. Betrachtet man Text und Bild jedoch vorerst einmal getrennt, so fallen erhebliche Unterschiede bezüglich der Umsetzungsmöglichkeiten auf. Kann ein Textautor die Handlung beliebig durch weitere Informationen wie Rückblicke in die Vergangenheit oder Vorausblicke in die Zukunft ausweiten, so ist der Bildkünstler hingegen stark eingeschränkt. Er kann lediglich Einblicke in einen bestimmten Handlungsmoment geben (vgl. Baumgärtner 1990: 14 f.). Dennoch ergänzen sich Text und Bild in der Bilderbuchgattung gegenseitig, unterstützen sich und potenzieren somit die Kraft der Geschichte.
Dieses Verhältnis von Bild und Text kann unter inhaltlichen und formalen Gesichtspunkten betrachtet werden.
Inhaltsbezogene Aspekte
Bilderbücher definieren sich durch die Dominanz des Bildes gegenüber dem Text. Die Aussagen des Textes werden über das Bild vermittelt, wohingegen der Text dieses durch tiefergehende Informationen ergänzt. Hier ist auf die oben genannten Umsetzungsmöglichkeiten von Text und Bild zu verweisen. „Entscheidend für ein gelungenes, qualitätsvolles Bilderbuch ist […] nicht die Wiederholung der Textaussage mit bildnerischen Mitteln […], sondern die Identität von Bild und Sprache im Sinne von integrativer Ganzheit.“ (Maier 1992: 6)
Wort und Bild bilden somit eine Wort-Bild-Einheit, die dann besteht, wenn „[…] Sprache und Bild ihrer jeweiligen Leistung gemäß erzählend funktional genutzt werden“ (Grünewald zitiert in: Hollenstein/Sonnenmoser 2006: 46). Stehen Bild und Text in keinem Bezug zueinander oder besitzen die Bilder einen rein konstitutiven Charakter, so kann von keiner Wort-Bild-Einheit gesprochen werden (vgl. Hollenstein/Sonnenmoser 2006: 46 f.).
Formale Aspekte
Die formalen Aspekte des Verhältnisses von Text und Bild können als „Layout“ bezeichnet werden. Das Layout beinhaltet die Anordnung von Text und Bild. Diese Anordnung sollte einen harmonischen Gesamteindruck vermitteln, ohne dass die Informationsentnahme aus beiden Komponenten eine Schwierigkeit darstellt. Die beiden Komponenten können auf verschiedene Weisen miteinander verbunden werden: Bild und Text können ineinander übergehen, wenn der Text in das Bild integriert ist, aber auch separiert angeordnet werden. Erstere Anordnungsmöglichkeit kann jedoch zu Schwierigkeiten führen, wenn der Text wichtige Bildaspekte überlagert oder die Illustrationen dunkel gehalten wurden. Dies stellt insbesondere für den ungeübten Leser, der oftmals in die angegebene Altersgruppe von Bilderbüchern fällt, ein unüberwindbares Hindernis dar (vgl. Hollstein/Sonnenmoser 2006: 46 f.).
Bei der Auswahl von Bilderbüchern sollte die Wort-Bild-Relation beurteilt werden, damit diese ihren Zweck erfüllt. Hierzu sollte man sich fragen, ob Wort und Bild ihre spezifische Erzählleistung erfüllen, die Anordnung von Text und Bild eine problemlose Informationsentnahme aus beiden Komponenten ermöglicht und das Bilderbuch einen harmonischen Gesamteindruck vermittelt (vgl. Hollenstein/Sonnenmoser 2006: 48).
2.3 Der Einsatz von Bilderbüchern in der Grundschule
Kinder orientieren sich stark am Leseverhalten ihrer Eltern. Aufgrund der zahlreichen konkurrierenden Medien rückt das Lesen von Büchern in der Freizeit immer weiter in den Hintergrund. Immer weniger Kinder erleben lesende erwachsene Bezugspersonen, die einen adäquaten Umgang mit Literatur vermitteln und als lesendes Vorbild fungieren. Das Medium Buch muss somit Einzug in die Klassenzimmer finden, doch natürlich stellt sich die Frage, welche Umsetzungsmöglichkeiten es hier gibt (vgl. Kretschmer 2003: 35).
Damit Kinder zu Lesern werden, brauchen sie ein breites, vielfältiges Angebot an Literatur, um daraus ihren Interessen gemäß auswählen zu können. Die Grundschule sollte freie Lesezeiten einrichten, in denen sich die Schülerinnen und Schüler mit ihrem ausgewählten Buch zurückziehen können. Kinder brauchen diese festen Zeiten und Rituale und somit einen strukturierten Schultag. Trotz fehlender Lesevorbilder zuhause erleben sie die Faszination von Bildern und Büchern, wodurch die Lesemotivation steigt. Klassengemeinschaften sind meist sehr heterogen, sodass die Kinder auch über unterschiedliche Lesefertigkeiten, aber auch Leseinteressen verfügen (vgl. Kretschmer 2003: 35f.). Das Angebot innerhalb der Klassenzimmer muss somit ein breites Spektrum bieten, das diese Heterogenität aufgreift. Der Leseunterricht der Grundschule muss zudem einen selbstständigen Umgang mit Literatur fördern und den Kindern eine interessenbezogene Auswahl ermöglichen (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2008: 31).
Das Lesenlernen stellt einen langwierigen Prozess dar, der von vielen Kindern als mühsam wahrgenommen wird. Bilderbücher bieten hier natürlich eine gute Ausgangssituation. Durch die Kombination von Text und Bild dienen sie als Verbindungsglied zwischen vorschulischen literarischen Erfahrungen und den Anforderungen des Leseunterrichts. Durch den geringen Textanteil und das Zusammenspiel mit den meist bunt illustrierten Bildern überfordern Bilderbücher nicht, sondern wecken die Leselust und fördern so die Lesemotivation (vgl. Hollstein 1999: 107 f.). Zusätzlich zur Stärkung der Leselust kann an Bilderbüchern das Interpretieren erprobt werden. Neben dem Lesenlernen mithilfe von Bilderbüchern können mit ihnen auch erste Schreibübungen und Textproduktionen umgesetzt werden. Die Kinder schreiben anhand der anregungsreichen Bilder erste eigene Geschichten, was zu einem vertieften Verständnis des Zusammenhangs zwischen Text und Bild führt.
Conrady warnt jedoch davor, „[…] das Buchlesen zu verschulen. Ein Buch sollte nie extensiv im Sinne des Gesamtunterrichts ausgeschlachtet werden. Zum Lesen verlocken muss der Maßstab allen pädagogischen Handelns sein“ (Conrady zitiert in: Hollenstein 1999: 108). Die Freude am Umgang mit Bilderbüchern muss im Vordergrund stehen. Doch die Grundschule stellt einen geeigneten Ort dar, um einen abwechslungsreichen, kreativen und anregenden Umgang mit dem Medium Bilderbuch umzusetzen, da sie alle Kinder erreicht (vgl. Hollenstein 1999: 108).
2.4 Funktionale Aspekte des Bilderbuchs
Das Medium Bilderbuch dient zur Vermittlung verschiedener fächerübergreifender Kompetenzen. Durch die meist basalen, kurzen Sätze und den motivierenden bildlichen Charakter fördert es die Leselust (vgl. Thiele 2000: 177). Im Folgenden werden die verschiedenen Kompetenzbereiche des Einsatzes von Bilderbüchern dargestellt, um die Bedeutung dieses Mediums für die kindliche Entwicklung darzustellen.
1. Förderung der sprachlichen Kompetenz
Im Zentrum des Umgangs mit dem Medium Buch steht die sprachliche Kompetenzförderung der Rezipienten. Zum einen werden Sprachmuster vermittelt, zum anderen wird der Wortschatz des Lesers bzw. des Zuhörers erweitert (vgl. Landherr 1996: 19). Bilderbücher besitzen einen hohen Aufforderungscharakter, der zu Denkprozessen und deren Versprachlichung führt und somit sowohl die allgemeine Sprachentwicklung als auch die narrativen Fähigkeiten der jungen Rezipienten fördert (vgl. Hagemann 1981: 66).
2. Förderung allgemeiner kognitiver Kompetenzen
Neben der Förderung sprachlicher Kompetenz entwickeln sich durch den Bilderbucheinsatz auch kognitive Kompetenzen. Hier sind insbesondere die Förderung der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses zu nennen.
Kain unterteilt die Aufmerksamkeit von Kindern in folgende vier Komponenten: die Aufmerksamkeitsaktivierung, die Ausdauer, die selektive Aufnahmefähigkeit und die geteilte Aufmerksamkeit.
Die Aufmerksamkeitsaktivierung (Alertness) lässt sich durch den allgemeinen Wachheitszustand des Rezipienten definieren. Wichtige Bilddetails und Inhalte können beispielsweise aufgrund von Müdigkeit nicht ausreichend wahrgenommen und verarbeitet werden. Bilderbücher besitzen einen hohen Aufforderungscharakter, sodass die Aufmerksamkeit seitens des Rezipienten erhalten werden kann.
Bilderbücher können die Ausdauer der Aufmerksamkeit (Vigilanz) durch ihre Komplexität, also die bildliche Dichte und die Länge der Satzstruktur steigern, da sie dem Niveau des Rezipienten angepasst und mit fortschreitender kognitiver Fähigkeit angepasst werden kann.
Durch Such- oder Wimmelbilder, aber auch durch gezielte Fragen kann die selektive Aufmerksamkeit gefördert werden. Die Kinder lernen, sich auf zentrale Aspekte des Bilderbuches zu konzentrieren und anderweitige Ablenkungen auszublenden.
Die geteilte Aufmerksamkeit beschreibt die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig wahrzunehmen. Der Rezipient muss sich auf Bild und Text gleichzeitig konzentrieren und Gehörtes und Gesehenes in einen sinnkohärenten Zusammenhang bringen. Kinder stellen sich das Geschehen beim Betrachten der Bilder vor. Diese Bilder werden präsent im Kopf gespeichert und dienen dem Abruf von Erinnerungen. Durch den Input des Textes erhalten die Rezipienten zusätzliche Informationen und Wissen über die dargestellte Handlung (vgl. Kain 2006: 20 f.).
Im Anschluss an das Gelesene ist es sinnvoll, die Kinder zur Kommunikation anzuregen und sie somit zu einem reflektierten Umgang mit Literatur zu bewegen, um neben der Aufmerksamkeit auch die Gedächtnisfähigkeit zu trainieren. Gedächtnisprozesse lassen sich nach Kain in drei Phasen einteilen: die Wahrnehmung und Enkodierung, die Abspeicherung und das Abrufen von Erinnerungen.
In der Phase der Wahrnehmung und Enkodierung werden Informationen zunächst bewusst oder unbewusst aufgenommen. Anschließend wird dieses Wissen innerhalb der Abspeicherungsphase gefestigt und eingeprägt, um in einem entsprechenden Kontext abgerufen werden zu können (3. Phase) (vgl. Kain 2006: 21 f.).
3. Förderung emotionaler Kompetenzen
Bilderbücher, insbesondere problemorientierte Bilderbücher, thematisieren auf anschauliche Art und Weise den Umgang mit Gefühlen. Auch hier lassen sich vier verschiedene Ebenen voneinander unterscheiden:
Der sogenannte Emotionsausdruck , also der Gesichtsausdruck, die Körperhaltung und die Stimme, fördern die Wahrnehmung bzw. die Analyse von Gefühlen.
Auf der Ebene des Emotionsvokabulars können Bilderbücher das passive Verständnis von Emotionswörtern durch gezielte Betonung und Erklärung vertiefen, um diese anschließend aktiv anzuwenden (z.B. durch gezieltes Benennenlassen der Emotionswörter). Zudem werden erste Synonyme durch Verweise auf ähnliche Emotionswörter erlernt.
Die Ebene des Emotionsverständnisses vermittelt den Rezipienten Wissen über den Auslöser von Emotionen, also den Bezug zwischen Ereignissen und den darauf folgenden Emotionen. Zudem wird sich der Rezipient über mögliche Konsequenzen von Verhaltensweisen bewusst. Außerdem wird thematisiert, wie sich Gefühle verändern und auflösen können, und dass jede Emotion über eine unterschiedliche Intensität verfügen kann.
Die letzte Ebene, die Emotionsebene, lässt sich in die Komponenten Bewusstsein und Regulation einteilen. Auf der Bewusstseinskomponente werden die Kinder angeregt, sich in die Figuren einzufühlen, also Empathie durch Vergleiche zu entwickeln. Hinsichtlich der Regulation lernen die Rezipienten zu schildern, ob und wie sich ein Gefühl durch ein Ereignis verändert und inwieweit sich Gefühle bei anderen vorgegebenen Handlungen verändern würden (vgl. Kain 2006: 23 ff.).
Ziel von Bilderbüchern auf emotionaler Ebene ist somit die Förderung von Empathie. Hier ist jedoch zwischen der kognitiven (das Bewusstsein der Entstehung von Gefühlen bei einer anderen Person) und der emotionalen Komponente von Empathie (sich in eine andere Person hineinzuversetzen) sowie dem Mitgefühl (Thematisierung der Sorge um eine andere Figur) zu differenzieren.
Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Darstellung der Außenseiterproblematik in problemorientierter Kinder- und Jugendliteratur liegt, wird die Förderung der sozialen und interkulturellen Kompetenz durch den Bilderbucheinsatz gesondert im Folgenden aufgegriffen.
4. Förderung der sozialen und interkulturellen Kompetenz
In einer Gesellschaft, die von kontinuierlicher Immigration, Multikulturalität und Multiethnizität geprägt ist, rückt der Erwerb der interkulturellen Kompetenz in den Vordergrund der Kompetenzförderung. Von diesen Faktoren abhängig wächst die Konfrontationshäufigkeit mit kulturellen Überschneidungssituationen. Diese sind bereits in der Grundschule präsent, denn häufig liegen sehr heterogene Lerngruppen vor, die sich aus Schülerinnen und Schülern verschiedenster Herkunftsländer und Religionen zusammensetzen. Somit stellt der Erwerb interkultureller Kompetenz eine wichtige Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben dar. Allerdings scheinen große Defizite hinsichtlich dieser Thematik vorzuliegen, da nahezu täglich Schlagzeilen über ethnische Konflikte und Kriminalität gegenüber ausländischen Mitbürgern an die Öffentlichkeit gelangen. Zudem sprechen Wahlerfolge rechtsorientierter Parteien für die Präsenz einer hohen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in Deutschland (vgl. Dierckx 2010: 14ff.).
Doch wie kann dieser bestehenden Problematik entgegengewirkt werden? Kognitionspsychologische Untersuchungen belegen die Notwendigkeit der Förderung im frühen Kindesalter. Die Sichtweisen über fremde Religionen und Kulturen werden in der primären Sozialisationsphase insbesondere durch erwachsene Vertrauenspersonen wie Eltern oder Lehrer geprägt. Kinder sind in der frühen Kindheitsphase noch nicht in der Lage, individuelle Einstellungen zu Fremdheit zu entwickeln, da ihnen kognitive Strukturen fehlen (vgl. Dierckx 2010: 34ff.).
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- Quote paper
- Leonie Hillebrand (Author), 2014, Die Darstellung von Außenseitern in problemorientierter Kinder- und Jugendliteratur am Beispiel der Bilderbücher "Irgendwie Anders", "Der Regenbogenfisch" und "Pepe Pinguin", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/270888
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