Eine Bestandsaufnahme aus dem Jahr 2000, inwieweit Mexiko formaljuristisch und in der politischen Praxis die Anforderungen an einen klassischen demokratischen Rechtsstaat erfüllt. Zudem ein kompakter Überblick über das politische System Mexikos und die politischen Entwicklungen in den Jahren vor der Jahrtausendwende.
Inhaltsverzeichnis:
1. Wahlen vom 2. Juli als Voraussetzung für politischen Wandel?
2. Demokratie und demokratische Legitimation – eine Definition
3. Überblick über den Staatsaufbau Mexikos
4. Inwieweit werden politische Praktiken in Mexiko demokratischen Ansprüchen gerecht?
5. Erfüllt die Verfassung Mexikos demokratische Prinzipien?
6. Wichtige demokratische Reformen in der Amtszeit Ernesto Zedillos
7. Mexiko auf dem Weg zu einer stabilen Demokratie – noch ein weiter Weg?
1. Wahlen vom 2. Juli als Voraussetzung für politischen Wandel?
Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Mexiko am 2. Juli dieses Jahres überraschte die gesamte Weltöffentlichkeit. Kaum jemand hatte erwartet, dass sich der Präsidentschaftskandidat der PAN, Vicente Fox mit einem Stimmenanteil von 42,5 % gegen seine Konkurrenten Francisco Labastida von der favorisierten PRI (36,1%) und Cuauhtémoc Cárdenas von der PRD (16,6%) so klar durchsetzen würde. Die einfache Mehrheit genügte Vicente Fox, um als gewählter Präsident aus den Wahlen hervorzugehen und somit die 70jährige Regierungszeit der PRI zu beenden. Wichtige Voraussetzung für den Wahlsieg Foxs, der von einer Mehrheit der Mexikaner als historischer Erfolg gefeiert wurde, war ohne Zweifel auch die Politik des noch amtierenden Präsidenten Ernesto Zedillo von der PRI, der im Gegensatz zu den vorangegangenen Präsidenten die Demokratisierung des Landes ernsthafter und intensiver betrieben hatte, auch wenn damit gerechnet werden musste, dass dies nachteilig für seine Partei sein würde. Was den Demokratisierungsprozess Mexikos betrifft, könnte der Regierungswechsel im Dezember entscheidende Impulse geben. Um den eingeschlagenen Weg erfolgreich fortführen zu können, muss sich Vicente Fox jetzt fragen: Wie demokratisch ist Mexiko? Wo bestehen noch Demokratiedefizite, die es in der bevorstehenden sechsjährigen Regierungszeit zu beseitigen gilt? Eine erfolgreiche Bewältigung dieser Herausforderung würde bedeuten, dass neben dem wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre auch die internationale politische Anerkennung Mexikos wachsen würde. Dies wiederum wäre in jeder Hinsicht als ein großer Schritt nach vorn zu werten, für ein Land, das versucht, Anschluss an die Staaten der ersten Welt zu finden.
In dieser Arbeit werde ich ausgehend von einer Definition von „Demokratie“ und von einem kurzen Überblick über die politische Struktur in Mexiko zunächst untersuchen, inwieweit gängige politische Praktiken dem Anspruch der Demokratie gerecht werden. Hierauf werde ich beleuchten, inwieweit die mexikanische Verfassung demokratische Kriterien erfüllt. Daraus wird logisch folgen, was in Mexiko noch verändert werden muss, damit das Land sich zu einer international anerkannten Demokratie entwickeln kann.
Eine wichtige Orientierungshilfe für das Verfassen dieser Arbeit war für mich das Werk des Mexikaners Ignacio Marván Laborde, „¿Y Después Del Presidencialismo? – Reflexiones Para La Formación De Un Nuevo Régimen“. In dem 1997 erschienenen Werk kommt es dem Autor vor allem darauf an, zu zeigen, dass der Demokratierückstand in Mexiko zu einem nicht unbedeutenden Teil in der mexikanischen Verfassung begründet ist, und nicht – wie mehrheitlich angenommen wird – aus der ungenügenden Einhaltung derselben resultiert. Weitere wichtige Quellen waren für mich die mexikanische Verfassung selbst sowie zahlreiche für das Thema relevante Internetseiten.
2. Demokratie und demokratische Legitimation – eine Definition
Der Begriff „Demokratie“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Herrschaft des Volkes“. Betrachtet man die Realität der heutigen politischen Systeme, so wird klar, dass diese Grundbedeutung nicht ausreicht um diejenige politische Ordnung zu beschreiben, die wir nach modernen Kriterien als Demokratie bezeichnen.
Um bewerten zu können, inwieweit demokratische Regeln in Mexiko eingehalten werden, muss also der Begriff der Demokratie näher definiert werden. Hierbei ergibt sich die Schwierigkeit, dass in der Politikwissenschaft keine einzig- und alleingültige Definition existiert, sondern mehrere miteinander konkurrieren. Der deutsche Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann spricht von demokratischer Legitimation als Grundvoraussetzung für die Demokratie, die er bei der Einhaltung folgender vier Kriterien erfüllt sieht[1]:
1. Eine demokratische Verfassung,
2. demokratisch kontrollierte Verfahren,
3. Grundrechte und Grundwerte, die den einzelnen aber auch Opposition und Minderheiten schützen, z.B. Presse-, Vereinigungs-, Versammlungsfreiheit sowie
4. die Anerkennung und das Vertrauen der Bürger in diese demokratische Ordnung
Giovanni Sartori dagegen begnügt sich in seinem Werk „Demokratietheorie“ mit einer weitaus weniger griffigen Definition von Demokratie[2]:
„Demokratie ist ein System, in dem niemand sich selbst auswählen kann, niemand sich die Macht zum Regieren selbst verleihen kann und deshalb niemand
sich unbedingte und uneingeschränkte Macht anmaßen kann.“
Er verzichtet auf eine präzisere Definition mit dem Hinweis auf die große Vielfalt und Zeitgebundenheit jeder definitorischen Festlegung. Zwar ermöglicht Sartoris Definition bei der Anwendung auf ein konkretes politisches System, relativ einfach festzustellen, ob es sich nun um eine Demokratie handelt oder nicht, aber sie lässt z.B. im Gegensatz zu von Alemanns Definition keinerlei Abstufungen zu, der es bei dieser Arbeit bedürfen wird. Aus demselben Grund möchte ich mich bei der Untersuchung der mexikanischen Demokratie hauptsächlich auf die im Grundkurs behandelte „freiheitliche demokratische Grundordnung“ stützen, die mir für diese Zwecke am geeignesten erscheint, weil sie wohl am besten ein modernes und allgemeingültiges Demokratieverständnis widerspiegelt. Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist definiert als eine Ordnung:
„die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt.“
Zu ihren grundlegenden Prinzipien sind mindestens zu rechnen:
- „die Achtung vor den [...] Menschenrechten, vor allem dem Recht auf Persönlichkeit, auf Leben und auf freie Entfaltung,
- die Volkssouveränität,
- die Gewaltenteilung,
- die Verantwortlichkeit der Regierung,
- die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,
- die Unabhängigkeit der Gerichte,
- das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien
- mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“[3]
Inwieweit die mexikanische politische Ordnung diese Kriterien in der Theorie sowie in der Praxis erfüllt und wo (noch) demokratische Defizite auszumachen sind, werde ich im folgenden detailliert untersuchen.
3. Überblick über den Staatsaufbau Mexikos
Die Verfassung[4] der vereinigten Staaten von Mexiko besagt, dass Mexiko eine repräsentative und demokratische Bundesrepublik ist, die aus 31 Teilstaaten und einem „Distrito Federal“ (Mexiko-Stadt) besteht. Die Bundesstaaten sind unabhängig, was ihre Innenpolitik betrifft, sofern sie nicht im Widerspruch zur Bundesverfassung steht. Die politische Ordnung Mexikos beruht auf dem Prinzip der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative, deren Kompetenzen durch die Verfassung reguliert und beschränkt werden. Es liegt ein präsidiales Regierungssystem vor, der Präsident der vereinigten Staaten von Mexiko ist zugleich Regierungschef, Staatschef und Oberbefehlshaber der militärischen Streitkräfte. Der Präsident wird alle sechs Jahre direkt vom Volk gewählt und kann nicht wieder gewählt werden. Die Legislative besteht aus zwei Kammern, einem Abgeordnetenhaus, der sogenannten „Cámara de Diputados“ und dem Senat. Erstere besteht aus 500 Abgeordneten, von denen 300 nach dem Mehrheitswahlrecht und 200 nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden. Die Anzahl der Abgeordneten pro Staat richtet sich nach der jeweiligen Einwohnerzahl, die Verfassung legt aber fest, dass jedem Staat mindestens zwei Mandate zukommen. Der Senat hingegen besteht seit der Verfassungsreform von 1996 aus 128 Senatoren, von denen ein Viertel, also 32 nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden. Die restlichen 96 Mandate werden in den einzelnen föderativen Einheiten vergeben, wobei jeder einzelnen je 3 Mandate zufallen. Die stärkste Partei eines jeden Staates entsendet zwei Senatoren, die zweitstärkste einen. Die Vertreter des Abgeordnetenhauses werden alle 3 Jahre gewählt, die Senatoren alle 6 Jahre. Beide können nicht direkt für die nächste Legislaturperiode wiedergewählt werden. Während Präsident und Legislative also vom Volk gewählt werden, werden die Vertreter der Judikative, elf oberste Richter für eine Amtszeit von 15 Jahren vom Präsidenten ernannt, wobei der Senat allerdings mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen muss. Sollte der Senat zwei Vorschläge des Präsidenten ablehnen, so bedarf es beim dritten Vorschlag nicht mehr seiner Zustimmung. Seit 1996 gibt es zusätzlich den sogenannten „Consejo de la Judicatura Federal“, einen Rat der Bundesgerichtsbarkeit. Er besteht aus sieben Richtern, die die Gerichtsbarkeit der Bundesstaaten und Kommunen vertreten und deren primärer Aufgabenbereich der Schutz der Individualrechte und der Souveränität der Bundesstaaten sowie die Entscheidung bei Verfassungsstreitigkeiten ist.
Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Mexiko kann nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beider Kammern der Legislative geändert werden, wenn zusätzlich noch mehr als die Hälfte der Parlamente der Bundesstaaten zustimmt.
Zur Gesetzgebung ist zu sagen, dass jeweils beide Kammern ein Gesetz verabschieden müssen, damit es Gültigkeit erlangt, es sei denn, es handelt sich um Gesetze, die laut Verfassung ausdrücklich nur in den Zuständigkeitsbereich einer der beiden Kammern fallen. Die Gesetzesinitiative kann vom Präsident, von den beiden Kammern des Bundesparlaments sowie von den einzelnen Parlamenten der Staaten ausgehen.
4. Inwieweit werden politische Praktiken in Mexiko demokratischen Ansprüchen gerecht?
Die zuvor dargestellte politische Ordnung scheint auf den ersten Blick die theoretischen Grundlagen für eine funktionierende Demokratie zu schaffen. Doch in der Realität treten zahlreiche Faktoren auf, die es nicht erlauben, das politische System Mexikos als solche eine funktionierende Demokratie anzuerkennen.
Ein erstes grundlegendes Demokratiedefizit ergibt sich aus der langjährigen absoluten Vormachtsstellung einer Partei, der Partei der „institutionalisierten Revolution“, kurz PRI. Seit ihrer Gründung 1929 ist sie auf Bundesebene ununterbrochen an der Macht und hat auch das Geschehen in der Politik der Bundesstaaten und Kommunen in der Vergangenheit dominiert. In ihrer 70jährigen Herrschaftszeit hat die Partei den Staat durchsetzt und konnte so mit Hilfe der mächtigen Staatsgewerkschaften ein System von umfassenden Machtzirkeln, Stützpunkten, willfährigen Gehilfen und Kanälen bis in die Justiz, Medien, Wirtschaft und Universitäten hinein aufbauen, mit dessen Hilfe sie das Land bis vor kurzem fast wie ihr Eigentum beherrscht hat[5]. So fielen alle politischen Entscheidungen von Bedeutung fast zwangsläufig zu Gunsten der PRI. Zum Präsidentschaftskandidaten der Hegemonialpartei ernannt zu werden war lange Zeit gleichbedeutend mit der Ernennung zum Präsidenten. Jede Bewegung außerhalb der PRI war zum Scheitern verurteilt, die vorherrschende Partei hatte also die Wahl, entweder Bewegungen willkürlich scheitern zu lassen, oder sie ins PRI-Programm zu integrieren, um sie so steuern und kontrollieren zu können. Falls sie zudem populär und erfolgsversprechend waren, konnte die PRI sogar noch die Früchte dieser Bewegungen ernten und oft als ihre eigenen Erfolge verbuchen. Zwar wird der Partei seit langem vorgeworfen, die Demokratisierung in Mexiko zum Zweck der eigenen Machterhaltung zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen, doch durch Demokratisierungsversprechen und geschickt eingesetzte vereinzelte Reformen, sowie wohl aufgrund fehlender Rebellionsbereitschaft bei der mexikanischen Bevölkerung, ist es der PRI gelungen, immer wieder an der Macht zu bleiben. Allerdings muss erwähnt werden, dass seit Mitte der 80er Jahre der externe Druck durch die zunehmende Globalisierung und der größer werdende interne Widerstand die Situation des PRI erschwert haben, andere Parteien sukzessive aufgewertet wurden und der Demokratisierungsprozess immer mehr beschleunigt wurde. Dies machte sich auch spätestens ab 1988 in jeder Wahl bemerkbar und gipfelte 2000 in der verlorenen Präsidentschaftswahl. Bei den Präsidentschaftswahlen vor 1988 hatte die PRI nie unter 60% der Stimmen, oft sogar zwischen 80% und 90% erreicht.
Diese so eindeutige Dominanz einer einzigen Partei war und ist teilweise noch Voraussetzung, Ursache, aber auch Nährboden für eine Reihe von demokratischen Defiziten in der politischen Praxis Mexikos. Das gemeinsame Merkmal dieser Demokratiedefizite ist schnell gefunden: die PRI missachtet demokratische Prinzipien bewusst und bedient sich undemokratischer Mittel, um ihre Machtstellung abzusichern. Natürlich muss sie befürchten, dass eine zunehmende Demokratisierung einen offenen Parteienwettbewerb mit sich bringen würde, was in Konsequenz zu einer Schwächung ihrer eigenen Stellung führen würde. Erstes Interesse der PRI muss es daher sein, die Macht an höchster Stelle zu zentrieren, um Entscheidungen möglichst unbeeinflusst und ohne Widerstände treffen zu können. So lässt es sich erklären, dass der Föderalismus und die vertikale Gewaltenteilung oft nur auf dem Papier bestehen. Die Regierungen der Bundesstaaten haben zwar formal beachtliche Kompetenzen und sind in vielen Bereichen weitgehend unabhängig, da aber die Bundesregierung die Verteilung des Haushalts regelt, wird die Vergabe von Geldern an die Bundesstaaten davon abhängig gemacht, inwieweit sie sich an die Vorgaben und Weisungen von oben halten. Da dies oft deren einzige bedeutende Einnahmequelle ist, verfügt die Zentralregierung hier über ein geeignetes Druckmittel. Für die Gemeinden sieht es oft noch schlechter aus, wie Cabrero in seinem Vortrag bemerkt:[6]
[...]
[1] vgl. Ulrich von Alemann, Probleme der Demokratie und der demokratischen Legitimation, „Gibt es Alternativen zum demokratischen Parteienstaat?“, Vortrag, Oktober 1995, aus http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/politik/DownLoads/online/text_prob-demokratie.html, 27.08.00
[2] vgl. Ulrich von Alemann, Probleme der Demokratie und der demokratischen Legitimation, „Gibt es Alternativen zum demokratischen Parteienstaat?“, Vortrag, Oktober 1995, aus http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/politik/DownLoads/online/text_prob-demokratie.html, 27.08.00
[3] Grundkurs: Einführung in das Studium der politischen Systeme, II.6., Folie 1
[4] vgl.: Instituto Federal Electoral de México, El Sistema Político Electoral Mexicano, “Características Básicas” aus http://www.ife.org.mx, 09.09.00
[5] vgl. Heinrich Potthoff, Wende zu einer wirklichen Demokratie, “Die Republik Mexiko im Umbruch”, aus Politik und Zeitgeschichte, 9/2000 (Das Parlament)
[6] Zitat: Enrique Cabrero Mendoza, Mexican Local Government in Transition. “Fleeting Changes or Permanent Transformation?”, Vortrag, Liverpool, April 1998, aus http://www.bham.ac.uk/IDD/cabrslas.htm, 17.09.00
- Citar trabajo
- Michael Vogler (Autor), 2000, Wie demokratisch ist Mexiko? Eine kritische Untersuchung, inwieweit demokratische Prinzipien im politischen System Mexikos in Theorie und Praxis erfüllt werden, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27056
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