Wir schreiben den 13. September 2009, 20 Uhr 30. Das gesamte deutsche Volk ist in einem „german village“ vereint und hockt gespannt vor dem Fernseher.
Naja, nicht das gesamte Volk, aber immerhin 14 Millionen Deutsche halten es
für lohnenswert, sich das „TV- Duell des Jahres“ zwischen der Kanzlerin und
ihrem Herausforderer anzusehen. Beim letzten Mal, 2005, waren es allerdings
noch 21 Millionen Zuschauer, die auf einem der Sender das Aufeinandertreffen
sahen. Für einige der teilnehmenden Fernsehkanäle wird das Ringen um
dieses hohe Staatsamt allmählich zur Bürde. Sat1 trifft es mit deutlich weniger
als einer Million Zuschauern am stärksten. Möglicherweise wird es sich das
nächste Mal gar nicht mehr an der Ausstrahlung beteiligen, sondern zeigt
stattdessen den zigsten Fortsetzungsfilm des Kassenschlagers „Wanderhure“.
Die „Diktatur der Einschaltquote“ fordert ihre Opfer und „das private
Profitinteresse stellt die Quotenorientierung vor den politischen
Informationsauftrag“. An der Vorberichterstattung zum TV- Duell wird das
dürftige Interesse des Souveräns sicher nicht liegen. Das Duell wurde
beworben als Fernsehereignis des Jahres, wie eine „Mischung aus ‚Oscar‘-
Filmpreisverleihung und Boxkampf“. Kanzlerin und Kandidat im direkten
Schlagabtausch. Wer gerät zuerst ins Stocken? Wer hat sich besser
vorbereitet? Welche Strategien verfolgen die beiden Kontrahenten? Das Volk
sitzt live dabei in der Arena der Gladiatoren. [...]
„Massenmedien sind Mittel – für die Zwecke derer, die sie beherrschen.“ (Unbekannt)
Das TV- Duell
Wir schreiben den 13. September 2009, 20 Uhr 30. Das gesamte deutsche Volk ist in einem „german village“[1] vereint und hockt gespannt vor dem Fernseher. Naja, nicht das gesamte Volk, aber immerhin 14 Millionen Deutsche halten es für lohnenswert, sich das „TV- Duell des Jahres“ zwischen der Kanzlerin und ihrem Herausforderer anzusehen. Beim letzten Mal, 2005, waren es allerdings noch 21 Millionen Zuschauer, die auf einem der Sender das Aufeinandertreffen sahen. Für einige der teilnehmenden Fernsehkanäle wird das Ringen um dieses hohe Staatsamt allmählich zur Bürde. Sat1 trifft es mit deutlich weniger als einer Million Zuschauern am stärksten. Möglicherweise wird es sich das nächste Mal gar nicht mehr an der Ausstrahlung beteiligen, sondern zeigt stattdessen den zigsten Fortsetzungsfilm des Kassenschlagers „Wanderhure“. Die „Diktatur der Einschaltquote“[2] fordert ihre Opfer und „das private Profitinteresse stellt die Quotenorientierung vor den politischen Informationsauftrag“[3]. An der Vorberichterstattung zum TV- Duell wird das dürftige Interesse des Souveräns sicher nicht liegen. Das Duell wurde beworben als Fernsehereignis des Jahres, wie eine „Mischung aus ‚Oscar‘- Filmpreisverleihung und Boxkampf“[4]. Kanzlerin und Kandidat im direkten Schlagabtausch. Wer gerät zuerst ins Stocken? Wer hat sich besser vorbereitet? Welche Strategien verfolgen die beiden Kontrahenten? Das Volk sitzt live dabei in der Arena der Gladiatoren.
Nachdem die letzten Sekunden heruntergezählt wurden, geht es endlich los. Die Kamera zeigt die Sicht von oben in den Ring. Vorn stehen die beiden Protagonisten. Als kleiner Showeffekt würde nur noch ein brachialer, heroischer Soundtrack aus Hollywood fehlen. Naja, vielleicht beim nächsten Mal.
Die Kanzlerin guckt kurz befremdlich, als ob sie sagen will: „Bin ich schon im Fernsehen“, dann ertönt ihr Name, sie weiß jetzt, dass sie zu sehen ist und setzt ihr nonchalantes Lächeln auf. Der Kandidat, sonst eher blass und unscheinbar, steht nun cool und lässig da, halb auf das Pult gestützt mit einem leichten Grinsen, nicht zu sehr, sonst würde es arrogant wirken. Der Zuschauer ist hier unerbittlich, jede Kleinigkeit wird genau registriert. Er muss sich also zusammenreißen, irgendwie Sympathie ausstrahlen und nicht, wie sonst, die Aura eines steifen Beamten. Immerhin „steigert mediengerechtes Auftreten die Popularität von Politikern“[5] und das Massenmedium Fernsehen „entscheidet zunehmend darüber, wer und was sozial und politisch existiert.“[6]
Das Duell wird, wie immer, auf mehreren Sendern zeitgleich übertragen. Politik ist wichtig, Politik ist allgegenwärtig, soll das heißen, niemand kann sich ihr entziehen. Vier Journalisten stehen den beiden Kandidaten gegenüber. Heute Abend sind sie die vox populi: Peter Klöppel von RTL, Maybrit Illner vom ZDF, Peter Limburg von Sat1, Frank Plasberg vom ARD. Bei der rasanten Vermehrung der Fernsehsender, kann man nur hoffen, dass es nicht noch mehr Moderatoren werden. Aber vielleicht könnte man dann auch noch ein oder zwei Kandidaten dazustellen, damit das Verhältnis wieder ausgeglichen ist. Frank Plasberg hat sich bereits im Vorfeld mit seiner Kritik an dem Format für ein weiteres Mal TV-Duell unmöglich gemacht. Er wird 2013 nicht wieder dabei sein. Stattdessen schickt der ARD Anne Will ins Ringen. Für ProSieben wird Blödelbarde Stefan Raab dabei sein. Die Idee war, durch ihn die junge Generation heran zu locken. Dann schalten die Zuschauer wenigstens wegen dem Moderator ein, wenn schon nicht wegen der Kandidaten. Vielleicht hat es geklappt, immerhin sahen 17,6 Millionen zu.
Doch zurück zum TV-Duell zwischen Merkel und Steinmeier. Sichtlich nervös steht nun diese Tetrachie von Deutschlands erfahrensten Journalisten vor den beiden Protagonisten. Die sonst coole Maybrit Illner begrüßt das Publikum mit „liebe Zuschauerinnen und Zuschauerinnen“, ein Fauxpas, man zuckt unfreiwillig zusammen als Unbeteiligter vor der Glotze und spürt förmlich die Nervosität der Fernsehteams im Studio nebenan. Schalten die Männer jetzt ab oder sehen sie das Duell lediglich nicht mehr beim ZDF? Maybrit Illner indes lächelt den anfänglichen Ausrutscher einfach weg und macht weiter als wäre soeben nicht geschehen. Was soll’s, war ja kein Weltuntergang. Sie spricht von einem „besonderen Duell“, da es nun nur noch zwei Wochen bis zur Bundestagswahl sind. Für alle diejenigen, die trotz der Wahlplakate im ganzen Land und den endlosen Diskussionen in Internet und Fernsehen, noch nicht wissen, warum sich diese beiden Menschen da vorn gegenüberstehen. Aber es sei auch deshalb, so Illner, ein besonderes Duell, weil wir „im Jahr eins der größten Welt- und Finanzkrise seit dem Krieg“ stehen. Der Satz hat gesessen, auch wenn der Kontext nicht ganz klar ist. Aber jetzt schaltet so schnell sicher keiner mehr ab, wo es sich doch hier um eine Sendung historischen Ausmaßes handelt, wie Mondlandung oder Mauerfall. Die ganze Show wird nun an diesem Satz gemessen. Anschließend spricht Peter Klöppel, der, zur Sicherheit, noch einmal wiederholt, dass es sich hier um eine einzigartige Veranstaltung handelt. Vielmehr Neues hat er nicht beizutragen, aber darum geht es auch nicht. Hauptsache, die einleitenden Sätze wurden von einem öffentlich-rechtlichen und einem privaten Journalisten vorgetragen. Gerechtigkeit im Fernsehzeitalter. Niemand soll zu kurz kommen, niemand soll sich benachteiligt fühlen.
Dann beginnt das Duell. Plasberg stellt die erste Frage an den Herausforderer, die naheliegendste, nämlich warum die Kanzlerin weg muss. Der Kandidat gibt die naheliegendste Antwort, nämlich, weil er Kanzler werden will. Die ganze Spannung, die vorher wochenlang aufgeladen wurde, ist nach einer halben Minute dahin. So vorhersehbar wie die Fragen sind auch die Antworten. Die Nüchternheit der deutschen Politik ergreift Besitz über die Dramatik der Berichterstattung.
Falls sich jetzt schon einige Zuschauer entschieden haben, diesen Mann zu wählen, damit sie umschalten können auf ein anderes Programm, sagt der Kandidat gleich zweimal hintereinander, dass am 27. September Wahlen sind. Damit wissen die potenziellen Wähler schon einmal, wann sie ihre Demokratie füttern dürfen, hoffentlich wissen sie auch, wo sie ihr Kreuz machen müssen, aber der Kandidat kann schlecht seinen eigenen Namen nennen, das ziemt sich nicht.
[...]
[1] Vgl. Herbert Marshall McLuhan’s „global village“.
[2] Bourdieu, Pierre: Über das Fernsehen. S. 22.
[3] Detterbeck: Parteiendemokratie in der Mediengesellschaft, S. 54.
[4] Pfetsch, Dejan: Medien als Akteure und Instrumente im politischen Prozess, S. 34.
[5] Detterbeck: Parteiendemokratie in der Mediengesellschaft, S. 60.
[6] Bourdieu, Pierre: Über das Fernsehen, S. 28.
- Quote paper
- Eric Buchmann (Author), 2013, Die Arena ist eröffnet! Das TV-Duell 2009 zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/270230
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