Die vorliegende Arbeit soll untersuchen, inwieweit das Gesetz eine steuernde Funktion im gesellschaftlichen System einnehmen kann und welche Rahmenbedingungen für eine solche Funktionsmöglichkeit des Gesetzes bestehen. Dabei wird zunächst eine Vorüberlegung zur Problematik des Steuerungsbedarfes angestellt, aus der die Verknüpfung der Thematik dieser Arbeit mit dem Konstrukt der Systemtheorie deutlich werden soll. Abschließend wird die tatsächliche Funktion des Gesetzes und die dafür bestehenden systemischen Rahmenbedingungen anhand der Systemtheorie nach Niklas Luhmann erörtert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Vorüberlegung: Problematik des Steuerungsbedarfs
2.1 Steuerungstheorie als Teil der Systemtheorie
2.2 Das Steuerungsdilemma
2.3 Fazit
3. Recht in der Systemtheorie nach Niklas Luhmann
3.1 Der Komplexitätsbegriff
3.2 Komplexitätsreduktion
3.3 Erwartungs-Erwartungen
3.4 Anwendung auf das Recht
3.5 Die Komplexität der Gesellschaft und des Rechtssystems im offenen Staat
4. Der Gesetzesbegriff als Spiegel der Gesellschaft
5. Schlussfolgerungen: Gesetz als Instrument der Steuerung?
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Als Ausdruck einer rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungsordnung weist die Gewaltenteilung dem Gesetz eine zentrale Funktion zu. Das parlamentarische Gesetz ist nach wie vor ein Angelpunkt der gesamten Systembildung, weil es als Steuerungsinstrument gegenüber der Verwaltung und als Kontrollmaßstab für die Gerichte wirkt.“[1]
In diesem Zitat nach Eberhard Schmidt-Aßmann wird der Steuerungsanspruch des Gesetzes im demokratischen Rechtsstaat [2] deutlich. Und auch Roman Herzog hob diesen Aspekt des parlamentarischen Gesetzes hervor:
„[…] Seit sich der Gesetzesbegriff von der Vorstellung der reinen, gewissermaßen zielfreien Normierung (sog. Normgesetz) zunehmend entfernt und gewichtige Elemente der Problembewältigung und der Steuerung gesellschaftlicher Geschehensabläufe in sich aufgenommen hat (sog. Maßnahmegesetz), besitzt der Gesetzgeber, d.h. konkret aber das unmittelbar vom Volk gewählte Parlament den Schlüssel zu einem der wichtigsten Steuerungsinstrumente, die der moderne Staat und seine Verfassung zu vergeben haben.“[3]
Eine Schlüsselrolle des Gesetzes ist es, die Verknüpfung von Demokratie und Rechtsstaat herzustellen [4], doch bedeutet dies auch, dass es einem Instrument der Sozialgestaltung durch Steuerung der Gesellschaft gleich kommt? Spontan fallen zu dieser Thematik jüngste Entwicklungen wie die am 01.01.2007 in Kraft getretenen Vorschriften zum Elterngeld im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz BEEG oder aber auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz AGG ein, die einen steuernden Effekt im Sinne von Sozialgestaltung haben könnten und auch sollten.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich hinterfragen, inwieweit das Gesetz eine steuernde Funktion im gesellschaftlichen System einnehmen kann und welche Rahmenbedingungen für eine solche Funktionsmöglichkeit des Gesetzes bestehen.
Dabei wende ich mich als erstes einer Vorüberlegung zur Problematik des Steuerungsbedarfes zu, aus der die Verknüpfung der Thematik dieser Arbeit mit dem Konstrukt der Systemtheorie deutlich werden soll, um folgend die tatsächliche Funktion des Gesetzes und die dafür bestehenden systemischen Rahmenbedingungen anhand der Systemtheorie nach Niklas Luhmann zu erörtern. Zuerst setze ich mich mit den aus-schlaggebenden Aspekten der Systemtheorie auseinander, bevor ich anschließend ihre Anwendung auf das Recht skizziere. Es folgt eine Betrachtung dessen, was gemäß systemtheoretischen Annahmen die Folgen der Komplexität der Gesellschaft und des Rechtssystem im offenen Staat sind.
Die Analyse der Steuerungsfunktion des Gesetzes beinhaltet des Weiteren auch die Berücksichtigung dessen, welche Wirkung Rechtsvorschriften in der Gesellschaft haben. Es muss sich gefragt werden, inwiefern das in Gesetzen zum Ausdruck kommende Recht dem ‚in der Gesellschaft gelebten Recht’ entspricht: wird das, was Gesetze in binär kodierter Form als Recht und Nicht-Recht (bzw. Unrecht) deklarieren, auch von der Gesellschaft als sinnvolle Handlungsanleitung aufgefasst und in entsprechender Weise umgesetzt? Aus diesem Blickwinkel heraus befasst sich der vierte Abschnitt dieser Arbeit mit dem Gesetzesbegriff als Spiegel der Gesellschaft.
Abschließend ziehe ich im letzten Abschnitt Schlussfolgerungen aus den vorangegangenen Überlegungen, um den Zusammenhang von Steuerung und Gesetz darzulegen.
2. Vorüberlegung: Problematik des Steuerungsbedarfs
Das Gesetz ist zentraler Bestandteil unseres Rechtssystems, welches ein Teilsystem der Gesellschaft darstellt. Dieses Teilsystem erfüllt eine gesamtgesellschaftliche Funktion, indem es für das Treffen von Entscheidungen zuständig ist, die ihrerseits zur Ordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse außerhalb des Rechtssystems beitragen sollen. [5] Dabei ist anzunehmen, dass sich das Teilsystem Recht und das System Gesellschaft wechselseitig beeinflussen: das Rechtssystem beeinflusst durch das Setzen von formalen und materiellen Normen, die durch die Exekutive ausgeführt werden und nach deren Auslegung die Rechtsprechung im Falle von Konflikten entscheidet, die Gesellschaft; die Gesellschaft des demokratischen Staats wiederum wählt diejenigen, die als Akteure in der gesetzgebenden Instanz, dem Parlament, tätig werden. Sie entscheidet sich somit für oder gegen angebotene Gestaltungsimpulse bzw. Programme jener zur Wahl stehenden Akteure und nimmt auf diese Weise Einfluss.
Fraglich ist im Hinblick auf die Thematik von Steuerung durch Gesetz jedoch, in-wieweit ein Bedarf an Steuerung überhaupt besteht und ob die effiziente Steuerung eines Systems generell möglich ist.
2.1 Steuerungstheorie als Teil der Systemtheorie
Die Systemtheorie beruht auf der Eigenlogik, Autonomie und operativen Geschlossenheit komplexer Systeme. [6] Diese Komponenten lassen annehmen, dass die Beeinflussung und damit einhergehende Steuerung eines solchen Systems praktisch stets aussichtslos sein müsste; in theoretischer Hinsicht ist das Problem der Steuerung jedoch zentral, da es die Frage nach der Möglichkeit und der Qualität der Interaktion zwischen Systemen stellt. Trotz der oben genannten Komponenten komplexer Systeme – oder aber gerade durch sie – handelt es sich bei der Systemtheorie um eine System-Umwelt-Theorie. [7] Da Systeme über eine ihnen eigene Logik verfügen und sie operativ geschlossen sind, lassen sie sich voneinander abgrenzen. Alles, was nicht der speziellen Eigenlogik und der operativen Geschlossenheit eines bestimmten Systems folgt, gehört somit der Umwelt dieses Systems an. [8] Ins Blickfeld gerät also die Gestaltung der Umweltbeziehungen eines Systems, durch die es nicht isoliert bleibt und die seine Beeinflussung von außen gewähr-leistet. [9] Es kommt somit zu der Frage: durch welche Qualität der Umweltbeziehungen eines Systems kommt es zum steuernden Einfluss von außen auf dieses System? An dieser Stelle wird die Bedeutung von Steuerungstheorie als Teil der Systemtheorie erkenn-bar.
Auch Rechtssystem und Gesellschaft können im Lichte einer ‚System-Umwelt-Bezie-hung’ betrachtet werden: auch wenn es sich beim Rechtssystem um ein Teilsystem der Gesellschaft handelt, so kann es zugleich als deren Umwelt betrachtet werden, und zwar gilt dies für alle Bereiche der Gesellschaft, die nicht der Eigenlogik und operativen Geschlossenheit des Rechtssystems unterliegen und somit diesem System nicht angehören. Daher kann die Frage gestellt werden, ob sich die Beziehung ‚Gesellschaft - Rechtssystem’ derart gestaltet, dass von einer steuernden Wirkung des Gesetzes als konstituierendes Element des Rechtssystems die Rede sein kann.
2.2 Das Steuerungsdilemma
In Hinblick sowohl auf die Eigenlogik eines Systems als auch auf die Rolle seiner Umweltbeziehungen befasst sich Steuerungstheorie mit den möglichen Formen der geordneten Verschränkung von operativer Geschlossenheit einerseits und externer Anregung andererseits. Steuerung kann somit weder auf externe Eingriffe noch auf interne Dynamiken reduziert werden. [10] Die Reduktion auf einen der beiden Aspekte birgt folgende Gefahren: Das Verlassen auf interne Dynamiken eines Systems lässt sich mit Nicht-Steuerung gleichsetzen. Das System wird dabei seiner Eigendynamik überlassen; dies gewährleistet zwar die maximale Nutzung der system-internen Möglichkeiten, allerdings ohne dabei Rücksicht auf negative Folgen für die Umwelt des Systems zu nehmen. [11] Die Systemumwelt ist jedoch elementare Vorrausetzung für die Existenz eines Systems, denn sein Bestehen ist bedingt durch die Abgrenzung des System von seiner ihn umgebenden Umwelt. Daher kann bezüglich der maximalen Nutzung der dem System innewohnenden Möglichkeiten von einer selbstzerstörerischen Eigendynamik die Rede sein.
Die alleinige Konzentration auf Regulation von außen hingegen würde den Möglichkeitsraum des Systems zu stark beschneiden und es somit seiner kreativen und innovativen Züge berauben. [12] Somit kann die Steuerungsproblematik ins Dilemma von selbstzerstörerischer Eigendynamik eines Systems einerseits und übermäßiger Regulation zwecks Kontrolle andererseits geraten. [13] Eine Lösung für dieses Dilemma anzubieten ist Anspruch der systemtheoretischen Steuerungstheorie. Sie setzt dabei auf die resonante Verschränkung von Eigenlogik eines Systems und extern vorgegebenen Möglichkeiten und Restriktionen. [14]
[...]
[1] zitiert in Schuppert 2003, S. 550.
[2] Schuppert 2003, S. 550.
[3] zitiert in Schuppert 2003, S. 550 f.
[4] Schuppert 2003, S. 551.
[5] Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechts, 1981, S. 267.
[6] Willke 1995, S. 1.
[7] Willke 1995, S. 2 .
[8] Krause 1996, S. 7.
[9] Willke 1995, S. 2.
[10] Willke 1995, S. 4.
[11] Willke 1995, S. 6.
[12] Willke 1995, S. 6 ff.
[13] Willke 1995, S. 9.
[14] Willke 1995, S. 10.
- Arbeit zitieren
- Hendrik Kahlbach (Autor:in), 2007, Steuerung durch Gesetz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/270089
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