„Das Radio verkündete Revolutionen und Kriege, begleitete eine Epoche des stürmischsten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels, beschleunigte die Umlaufbahn des Aufstiegs und Falls von Macht, informierte, überredete und versuchte nicht minder, Informationen und Propaganda zu paralysieren; es wollte Herrschaft festigen, manipulierte die Aktivitäten ganzer Volksmassen, es half Diktatoren und Demokratien sowie den jeweiligen Opponenten und wurde zu einem konstitutiven Faktor im öffentlichen Leben.“
Dieses Zitat des Berliner Historikers Willi Alfred Boelcke würdigt das Radio als ein neues Medium des 20. Jahrhunderts in seinem historischen Kontext und beschreibt seine kaum zu überschätzende Bedeutung. Dabei kann stets die Frage gestellt werden, inwiefern das Radio in seiner Geschichte instrumentalisiert wurde oder als weitestgehend unabhängiges Medium funktionierte. In seiner deutschen Geschichte mag das Radio während der Weimarer Republik redaktionelle Freiheiten besessen und genutzt haben. Im Moment der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde es zu einem eindeutigen Propaganda-Organ. Im Gefüge des sich beinahe nahtlos anschließenden Kalten Krieges ist die Stellung des Radios auf einmal schwieriger zu beurteilen. Während auf sozialistischer Seite von einer staatlichen Programm- und Sendehoheit ausgegangen werden kann, ist es kaum möglich, die direkte staatliche Einflussnahme auf die vermeintlich freien Medien der liberal-kapitalistischen westlichen Welt zweifelsfrei zu ermitteln. Der Frage nach der redaktionellen Autarkie zwischen tiefsten machtpolitischen Konflikten ist der zentrale Aspekt dieser Arbeit.
Einleitung
„Das Radio verkündete Revolutionen und Kriege, begleitete eine Epoche des stürmischsten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels, beschleunigte die Umlaufbahn des Aufstiegs und Falls von Macht, informierte, überredete und versuchte nicht minder, Informationen und Propaganda zu paralysieren; es wollte Herrschaft festigen, manipulierte die Aktivitäten ganzer Volksmassen, es half Diktatoren und Demokratien sowie den jeweiligen Opponenten und wurde zu einem konstitutiven Faktor im öffentlichen Leben.“[1]
Dieses Zitat des Berliner Historikers Willi Alfred Boelcke würdigt das Radio als ein neues Medium des 20. Jahrhunderts in seinem historischen Kontext und beschreibt seine kaum zu überschätzende Bedeutung. Dabei kann stets die Frage gestellt werden, inwiefern das Radio in seiner Geschichte instrumentalisiert wurde oder als weitestgehend unabhängiges Medium funktionierte. In seiner deutschen Geschichte mag das Radio während der Weimarer Republik redaktionelle Freiheiten besessen und genutzt haben. Im Moment der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde es zu einem eindeutigen Propaganda-Organ. Im Gefüge des sich beinahe nahtlos anschließenden Kalten Krieges ist die Stellung des Radios auf einmal schwieriger zu beurteilen. Während auf sozialistischer Seite von einer staatlichen Programm- und Sendehoheit ausgegangen werden kann, ist es kaum möglich, die direkte staatliche Einflussnahme auf die vermeintlich freien Medien der liberal-kapitalistischen westlichen Welt zweifelsfrei zu ermitteln. Der Frage nach der redaktionellen Autarkie zwischen tiefsten machtpolitischen Konflikten ist der zentrale Aspekt dieser Arbeit.
Gegenstand der Betrachtung ist der Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS), der von Westberlin aus nicht nur ganz Westdeutschland, sondern auch und vor allem Bürger der DDR erreichte, informierte und für sie eine Einzelstellung einnahm. Zu seinen größten Herausforderungen zählten schon in seinen Anfangsjahren, neben den ersten Berliner Magistratswahlen und der Berlinblockade, die Aufstände vom 17. Juni 1953. Die damalige Redaktion befand sich in Konflikt mit ihrem eigenen Gewissen, den Forderungen und Hoffnungen ihrer Hörer und der Aufständischen sowie der amerikanischen Außenpolitik. Diese Konfliktlage mit ihren wesentlichen Hintergründen zu entwirren, die politische, gesellschaftliche und personelle Geschichte des RIAS zu umreißen und die Position, Bedeutung und Einflusslage des RIAS während der Aufstände vom 17. Juni zu erörtern, sind die Ziele dieser Arbeit.
„Ohne den RIAS hätte es den Aufstand so nicht gegeben“, formulierte es der damalige Chefredakteur des RIAS, Egon Bahr 50 Jahre nach den Ereignissen vom 17. Juni 1953.[2] Aber inwiefern beeinflusste die „freie Stimme der freien Welt“ die Bevölkerung auf dem gesamten Gebiet der DDR wirklich? Was gehört zur Legendenbildung nach dem Aufstand, was zur Propaganda beider Seiten und was ist historische Realität? Dafür muss die Arbeit des RIAS in das Spannungsfeld zwischen West- und Ostberlin eingebettet werden, ebenso wie zwischen deutschen Journalisten und ihren amerikanischen Direktoren und auch zwischen dem Kreml und Washington. Vor allem die „RIAS-Legende“[3], nach der die Aufstände des 17. Juni durch den RIAS als Organ des amerikanischen Geheimdienstes CIA ausgelöst und gesteuert worden seien, muss in dieser Arbeit aufgegriffen und mit der historischen Realität kontrastiert werden.
Wissenschaftliche Leistungen bei der Perspektivierung des 17. Juni aus Sicht des RIAS lieferte die anschauliche Monografie von Herbert Kundler besonders ausführlich. Kundler verstarb 2004, zwei Jahre nach der Veröffentlichung seiner RIAS-Biografie und war von 1951 bis zu seiner Pensionierung 1991 im RIAS tätig, zuletzt als geschäftsführender Intendant.
Unter den genannten Voraussetzungen soll sich diese Studienarbeit mit dem RIAS, der unter dem Leitspruch „Eine freie Stimme der freien Welt“ stand, und seiner Rolle am 17. Juni 1953 beschäftigen. Als flexibelstes und schnellstes Medium der ersten Jahrhunderthälfte sorgte der Sender aus Westberlin für die rasche Ausbreitung des Aufstands auf dem gesamten DDR-Gebiet. Dies ist ein Phänomen, das auch aus heutiger Perspektive bedeutsam ist. Das zeigt der Blick auf die Allianzen, die über soziale Netzwerke während des Arabischen Frühlings entstanden oder die onlineorganisierte Protest- und Petitionskultur, die sich dadurch augenblicklich und weltweit verbreitet. Durch diese heutigen Formen der medialen Protestverbreitung findet eher eine Erweiterung als eine Ablösung der Rundfunk-Übertragungswege statt. Das Radio hat letztlich bedeutend weniger Substitutionseffekte in seiner Reichweite und Hörerzahl gegenüber dem Internet zu verzeichnen als das Fernsehen oder die Printmedien.
Hörfunk im frühen Kalten Krieg
Zwischen den Trümmern der ehemaligen Reichshauptstadt nahm der „Berliner Rundfunk“ bereits am 13. Mai 1945 seinen Sendebetrieb auf. Zuvor hatte noch Joseph Goebbels‘ „Kampfsender Berlin“ der Reichshauptstadt seine letzten Parolen zugerufen. Unmittelbar nach Abzug der deutschen Soldaten am 1. Mai hatten sowjetische Pioniere eine behelfsmäßige Verbindung vom absichtlich nicht beschossenen „Haus des Rundfunks“ in der Charlottenburger Masurenallee zum Sender Tegel gelegt und es der sowjetischen Besatzungsmacht so ermöglicht, zum ersten Mal das Wort an die Berliner Bevölkerung zu richten. In der ersten einstündigen Sendung wurde die Wehrmachtskapitulation verlesen und Stalin, sowie der Berliner Stadtkommandant Nikolaj Bersarin sprachen zu den Besiegten. Zu Beginn dieses ersten massenmedialen Einsatzes spielte die sowjetische Sendeleitung die Nationalhymnen aller Siegermächte.[4] Ein Rundfunkauftritt, der schon im nächsten Jahr kaum mehr denkbar war.
Dem Hörfunk kommt in den ersten Nachkriegsjahren eine Bedeutung sondergleichen zu. Das wird allein durch die eilig installierten Sendestationen im ganzen Besatzungsgebiet deutlich. Neben dem zunächst sowjetischen Monopol in Berlin, hatten Briten und Amerikaner bereits vor dem Mai 1945 mit der Installation von Rundfunkanstalten begonnen. Vor der deutschen Kapitulation waren Gespräche über einen gemeinsamen Rundfunkbetrieb der Siegermächte gescheitert und auch die Westalliierten zogen einen eigenen Betrieb vor. Dabei wurde aus westalliierter Sicht die Möglichkeit verpasst, den „Deutschlandsender“ in Wusterhausen gemeinsam weiter zu nutzen und sich damit auch im Ostsektor der Stadt zu positionieren, war doch der sowjetische „Berliner Rundfunk“ im britischen und französischen Sektor untergebracht. So nahmen „Radio Hamburg“ am 4. Mai und kurze Zeit später auch der „Nordwestdeutsche Rundfunk“ (NWDR) ihren Betrieb als erste alliierte Radiosender wieder auf. Ebenso eilig errichteten und reaktivierten die amerikanischen Besatzungsmächte Stationen in Stuttgart, Frankfurt und München. Um den Überblick über die Rundfunkanstalten des neu aufgeteilten Deutschlands zu vervollständigen ist noch der französische „Südwestfunk“ in Baden-Baden zu erwähnen, der ab dem 30. März 1946 sendete.
Nach diesem raschen Aufbau schien jedoch der Fokus auf alliierter Seite verschoben. Ein gemeinsames „antifaschistisches Programm“ war zunächst Konsens in sonst unergiebigen Gesprächen im Juli 1945. Die Westalliierten bemühten sich augenscheinlich gar nicht um eine direkte Einflussnahme auf das sowjetische Meinungsmonopol in Berlin. Erst als sich am Ende des Jahres die Entstehung der SED abzeichnete und Politiker anderer Parteien zunehmend weniger oder nur noch zensiert zu Wort kamen, sahen sich die Amerikaner im Zugzwang. Trotz der diplomatisch geäußerten „Bedenken“[5] einiger KPD- und Berliner Magistratsmitglieder geht der DIAS (Drahtfunk im amerikanischen Sektor) am 7. Februar 1946 auf Sendung.
Zusammen mit dem britischen „Studio Berlin“ des NWDR nahmen der „DIAS“ und der „Berliner Rundfunk“ Einfluss auf ein bedeutendes Ereignis im Oktober 1946 – die Groß-Berliner Magistratswahlen. Diese endeten mit einem Wahlerfolg der SPD (48,7%) und einer angesichts der bereits eindeutigen Positionierung des „Berliner Rundfunks“ schwachen SED (19,8%). Als einige Ostberliner Bezirke keine Zahlen mehr durchgaben, errechneten die „DIAS“-Mitarbeiter selbst das vorläufige Wahlergebnis und so konnte es dann auch die Nachrichtenagentur Reuters melden.[6] Der „Berliner Rundfunk“ schien seine Etablierung mit einem guten Jahr Vorsprung vor den beiden Westsendern durch eine allzu einfache Propaganda verspielt zu haben. So bewertet zumindest der Berliner SPD-Vorsitzende Franz Neumann, der Sowjetsender hätte sich „nach Kräften bemüht, die Entwicklung der Demokratie in Berlin durch plumpe und geschmacklose Sendungen aufzuhalten.“[7] Diese Aussage sollte im Weiteren zu einer Abkehr der SPD vom „Haus des Rundfunks“ führen. Nun schlägt sich die wachsende Anspannung auch auf die Personalpolitik nieder. Am Beispiel des NWDR, der vier Mitarbeiter kommunistischen Hintergrunds wegen „mangelnder Kompetenz“ entlassen hat, wird rasch deutlich, in welche Richtungen sich die Medienlandschaft des Besatzungsgebiets entwickelt. Im Oktober 1947 verkündet der Militärgouverneur der sowjetischen Besatzungszone Lucius D. Clay, die neue redaktionelle Linie des US-Senders. „Mit der ‚Operation Back-Talk‘ […] begann RIAS, in seinen Programmen mit den deutschen und sowjetischen Kommunisten Tacheles zu reden.“[8] Aus dem bislang unpolitischen Format „Berlin im RIAS“ wurde „Deutschland im RIAS“, das Reportagen aus Westdeutschland brachte. Ab November sendete in der gesamten US-Zone nun auch das Format „Freiheit gegen den Totalitarismus“. Über diese Rundfunkkanäle wurde klassische und zugleich hochmoderne Propaganda betrieben. Denn auch der „Berliner Rundfunk“ dokumentiert im Dezember den SED-Volkskongress in der Sendung „Hier spricht Deutschland“ und richtet sich explizit an die Bevölkerung in den westdeutschen Zonen.[9] Aus einem streng geheimen Gesprächsprotokoll zwischen Stalin, Pieck und Grotewohl geht im Weiteren hervor, dass auch der „Deutschlandsender“ in Wusterhausen an die SED übergeben werden sollte. Dagegen hätte aus Sicht des Chefs der sowjetischen Militäradministration (SMAD) Sokolowski bislang gesprochen, dass der reichweitenstarke Sender den Deutschen durch die Westalliierten unmittelbar wieder „weggenommen“ worden wäre, er hätte „unter vierseitiger Kontrolle“ stehen müssen. Pieck spricht den ausdrücklichen Wunsch nach diesem Sender aus und Stalin geht sogar weiter und bietet einen europaweiten Sender an.[10] Ein Gedanke Stalins, den das westliche Nationalkomitee für ein freies Europa teilte und mit „Radio Free Europe“ am 4. April 1950 in die Tat umsetzte. Die Redaktion in New York produzierte und der Strahler in München sendete Beiträge für die Bevölkerung in Mittel- und Osteuropa. Wenn man den Wandel vom westlich geduldeten Hörfunkmonopol der Sowjets bis zu einem „Ätherkrieg“ im gespaltenen Europa nachvollziehen will, dann nur über einen der ersten Höhepunkte des Kalten Krieges – die Berlinblockade.
[...]
[1] Boelcke, Willi A.: Die Macht des Radios. Frankfurt/Berlin/Wien, 1977, S. 15.
[2] Brink, Nana: Bahr: RIAS war Katalysator des Aufstandes, In: Deutschlandradio Kultur: Kulturinterview vom 01.09.2006, Berlin 2006.
[3] Holzweißig, Gunter: Der 17. Juni 1953 und die Medien. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2003 (23), S. 33.
[4] Rogasch, Wilfried: Ätherkrieg über Berlin. Rundfunk als Instrument politischer Propaganda, In: Deutsches Historisches Museum: Deutschland im Kalten Krieg 1945-1963, Berlin 2013, S. 1.
[5] vgl. Rogasch, S. 3.
[6] Kundler, Herbert: 60 Jahre RIAS. Vom DIAS zum RIAS – Das Gründungsjahr 1946, aus „RIAS Berlin – eine Radiostation in einer geteilten Stadt“, http://www.riasberlin.de/rias-hist/riad-hist-60jahre.html (Zugriff am 23.07.2013).
[7] vgl. Rogasch, S. 3.
[8] Schultze, Peter: „Sie waren eine wunderbarer Team!“, In: Rexin, Manfred (Hrsg.): Radio-Reminiszenen. Erinnerungen an RIAS Berlin, Medienanstalt Berlin-Brandenburg, Berlin 2002, S. 55.
[9] vgl. Rogasch, S. 3.
[10] Laufer, Jochen P. et al.: Die UdSSR und die deutsche Frage. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation, Bd. 3, 6.10.1946-15.06.1948, Berlin 2004, S. 545.
- Citation du texte
- Leonard Kehnscherper (Auteur), 2013, Der RIAS und der Aufstand vom 17. Juni 1953, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/270004
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