Schon in den ersten Jahren seines Schüler- Daseins wird das Kind mit zwei
sogenannten ‚Übergängen’ konfrontiert, die große Veränderungen oder gar
Probleme mit sich bringen können. Das Kind muss sich innerhalb weniger Jahren
an das Sein und die Struktur unterschiedlicher Bildungsinstitutionen gewö hnen
und jeweils eine neue Rolle annehmen.
Die Grundlage dafür bildet das deutsche Schulsystem, welches auf der
Reichsschulkonferenz des Jahres 1920 konzipiert wurde. Dort wurde die
vierjährige Grundschulzeit manifestiert, die auf den Besuch der weitergehe nden
Schulen vorbereiten sollte. Der Elementarbereich blieb jedoch autonom und
wurde nicht in das System integriert. Potenzielle Übergangsprobleme, so wie sie
in dieser Arbeit dargestellt werden, sind also primär Folgen bildungspolitischer
Entscheidungen der Vergangenheit.
Als fundamentaler Einschnitt in das Leben eines Kindes ist zweifelsfrei der
Übergang vom Kindergarten zur Grundschule zu bezeichnen. Während die
Familie, als Ort der primären Sozialisation, noch durch Emotionalität und
individuelle Erziehungsintentionen gekennzeichnet war, übernahm der
Kindergarten im Folgenden weitere pädagogische Aufgaben, die zwar ebenfalls
affektiv und personenorientiert, aber bereits im Sinne der Gesellschaft vollzogen
wurden.
An diesem Punkt knüpft nun die Institutio n Grundschule an. Sie ist die unterste
Stufe der schulischen Bildungshierarchie und somit für die sekundäre
Sozialisation zuständig.
Lerngegenstände der Schule unterscheiden zu denen innerhalb der Familie durch
ihre Objektivierung1. Die Schule selbst wird zu einem eigenständigen Raum, der
das alltägliche Leben des Kindes beeinflusst und eigene Regeln und Normen
beinhaltet.
Anders als die Eltern, aber ähnlich der Funktion der Erzieherin im Kindergarten,
repräsentiert die Person des Lehrers in ihrer pädagogischen Arbeit Intentionen
eines sozialen Gefüges, sei es der Staat, eine Religion oder andere Gemeinschaften. [...]
1 Meulemann, Heiner: Soziologie von Anfang an. Wiesbaden 2001. S. 240f.
Inhaltsverzeichnis
1.ÜBERGÄNGE IN DEN ERSTEN SCHULJAHREN
2. DER ÜBERGANG VOM KINDERGARTEN ZUR GRUNDSCHULE
2.1 Schulfähigkeit und Schuleingangsdiagnostik
2.1.1 Der Schulreifegedanke von Artur Kern
2.1.2 Die ‚ökosystemische Sichtweise’ – der Schulreifegedanke Nickels
2.2 .3 Neuere Ideen zur Schuleingangsdiagnostik
2.2 Kindliche Erwartungen vor dem Schuleintritt
2.3 Übergangsprobleme zur Einschulung
2.4 Maßnahmen zur Minderung von Übergangsproblemen in der Grundschule – Zukunftorientierte Perspektiven
3. DER ÜBERGANG VON DER GRUNDSCHULE ZU DEN WEITERFÜHRENDEN SCHULEN
3.1 Vorfreude oder Angst ?
3.2 Die Schulwahlentscheidung
3.2.1 Gründe für die Schulwahlentscheidung
3.3 Veränderungen beim Übergang und ihre möglichen Folgen
3.4 Ideen zu strukturellen Veränderungen in der BRD
4. SCHLUSSBETRACHTUNG: KOMMUNIKATION ALS MITTEL ZUR LÖSUNG VON ÜBERGANGSPROBLEMEN
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG: Beispiel-Fragebögen
1. Übergänge in den ersten Schuljahren
Schon in den ersten Jahren seines Schüler- Daseins wird das Kind mit zwei sogenannten ‚Übergängen’ konfrontiert, die große Veränderungen oder gar Probleme mit sich bringen können. Das Kind muss sich innerhalb weniger Jahren an das Sein und die Struktur unterschiedlicher Bildungsinstitutionen gewöhnen und jeweils eine neue Rolle annehmen.
Die Grundlage dafür bildet das deutsche Schulsystem, welches auf der Reichsschulkonferenz des Jahres 1920 konzipiert wurde. Dort wurde die vierjährige Grundschulzeit manifestiert, die auf den Besuch der weitergehenden Schulen vorbereiten sollte. Der Elementarbereich blieb jedoch autonom und wurde nicht in das System integriert. Potenzielle Übergangsprobleme, so wie sie in dieser Arbeit dargestellt werden, sind also primär Folgen bildungspolitischer Entscheidungen der Vergangenheit.
Als fundamentaler Einschnitt in das Leben eines Kindes ist zweifelsfrei der Übergang vom Kindergarten zur Grundschule zu bezeichnen. Während die Familie, als Ort der primären Sozialisation, noch durch Emotionalität und individuelle Erziehungsintentionen gekennzeichnet war, übernahm der Kindergarten im Folgenden weitere pädagogische Aufgaben, die zwar ebenfalls affektiv und personenorientiert, aber bereits im Sinne der Gesellschaft vollzogen wurden.
An diesem Punkt knüpft nun die Institution Grundschule an. Sie ist die unterste Stufe der schulischen Bildungshierarchie und somit für die sekundäre Sozialisation zuständig.
Lerngegenstände der Schule unterscheiden zu denen innerhalb der Familie durch ihre Objektivierung[1]. Die Schule selbst wird zu einem eigenständigen Raum, der das alltägliche Leben des Kindes beeinflusst und eigene Regeln und Normen beinhaltet.
Anders als die Eltern, aber ähnlich der Funktion der Erzieherin im Kindergarten, repräsentiert die Person des Lehrers in ihrer pädagogischen Arbeit Intentionen eines sozialen Gefüges, sei es der Staat, eine Religion oder andere Gemeinschaften. Sie handelt nicht aufgrund individueller Ziele, sondern im Auftrag einer Autorität. Dass das Kind dies befähigt ist, dies nachzuvollziehen, ist lediglich einer der vielen Umstände, die sich mit dem Übergang ergeben muss.
Der Übergang zur weiterführenden Schule ist ein weiterer Einschnitt in das junge Schülerleben, der besonders wegen des Aspekts der Selektion Probleme mit sich bringt.
Eins haben die Übergangsprobleme gemein: Sie resultieren häufig aus einer unzureichenden Kooperation und Abstimmung der unterschiedlichen Bildungsinstitutionen. Das Kind steht im Mittelpunkt bildungspolitischer Unstimmigkeiten und noch nicht gelöster Problematiken. Daher ist es eine logische Konsequenz, dass diesen Übergängen entwicklungspsychologisch und sozialpädagogisch eine große Bedeutung beigemessen werden muss.
Welchen spezifischen Problemen begegnet das Kind innerhalb der ersten Schuljahre? Inwiefern agieren Entwicklungsprozesse und Anpassungsvorgänge Hand in Hand und können Anpassungsprobleme im weiteren Verlauf die Entwicklung behindern? Und, vor allem: Was können pädagogisch ausgebildete Kräfte tun, um Übergangskrisen zu vermeiden?
Dies sind die zentralen Fragen, auf die in der folgenden Hausarbeit eingegangen wird. Dabei soll der Fehler vermieden werden, Antworten über den Stereotyp des Schülers, den ‚Normschüler’, zu finden. Aufgrund aktueller Diskussionen über die Einzigartigkeit des Schülers, soll auch hier der individuelle Aspekt im Vordergrund stehen.
Wie kann jeder Schüler den Übergang meistern? Natürlich sind in diesem Zusammenhang Diskussionen über die Lehrerausbildung nicht zu vermeiden, da die Lehrkraft noch immer die entscheidende Person in der Institution Schule darstellt. Jedoch muss man mit einem Blick in die Zukunft andere Rolleninhaber innerhalb der kindlichen Umwelt miteinbeziehen.
2. Der Übergang vom Kindergarten zur Grundschule
Diesem ersten Übergang ist in der veröffentlichten Literatur weitaus mehr Beachtung geschenkt worden, als dem später erfolgendem Wechsel zur Sekundarstufe I. Dies mag besonders mit dem Umstand zusammenhängen, dass das Kind mit dem Schuleintritt einen der wichtigsten Schritte erlebt, sich aus dem familiären Umfeld zu lösen.
Regeln und Pflichten treten nun viel stärker in den Vordergrund, als dies in den ersten Lebensjahren der Fall war. Die Schule möchte über diese Verpflichtungen und Regeln eine Sozialisation des Kindes erreichen. Diese sekundäre Sozialisation unterscheidet sich zu der innerhalb der Familie besonders durch ihre Inhalte. „Was Kinder im Umgang mit anderen Familienmitgliedern beiläufig erwerben, müssen Schüler in der Schule planmäßig lernen“.[2]
Um diesen neuen Anforderungen gerecht zu werden, muss das Kind „schulfähig“ sein. Was darunter zu verstehen ist, wird im Folgenden erklärt werden.
2.1 Schulfähigkeit und Schuleingangsdiagnostik
2.1.1 Der Schulreifegedanke von Artur Kern
Artur Kern erschuf den Begriff der sogenannten ‚Schulreife’, der innerhalb seines 1951 erschienenden Buches ‚Sitzenbleiberelend und Schulreife[3] ’ auftaucht. Darin stellte er fest, dass bis zu einem Drittel aller eingeschulten Kinder während der damaligen achtjährigen Volksschulzeit nicht versetzt wurde. Er schloss durch seinen persönlich konzipierten Schulreifetest darauf, dass dieses Problem primär mit der Reife des Kindes beim Schuleintritt zusammenhinge. Seinen Untersuchungen zur Folge gebe es einen optimalen Punkt in der kindlichen Entwicklung, an dem man das Kind einschulen sollte, um ein erfolgreiches Durchlaufen der Schulbahn zu garantieren. Diejenigen Kinder, die anhand seines Testes für noch nicht schulreif gehalten würden, sollten seiner Meinung nach vom Schuleintritt ‚zurückgestellt’ werden, um eine Art ‚Nachreifung’ zu vollziehen.
Kern ging von einer gleichmäßig verlaufenden Entwicklung unterschiedlicher Kompetenzen aus, so dass der Test selbst lediglich ein spezifisches Merkmal erfasste, die visuelle Gliederungsfähigkeit. Dabei blieben seelische und soziale Aspekte unberücksichtigt. Auch auf mögliche Einflüsse bestimmter Umweltfaktoren ging Kern nicht ein. Außerdem wurde nicht bedacht, inwiefern die schulinterne Organisation, wie Klassengrößen, die Lehrerbelastung oder die Vermittlungsmethodik auf eine erfolgreich verlaufende Schullaufbahn Einfluss haben könnten. Somit ist zwar der Schulreifetest Kerns zum Schuleintritt eine gewisse Hilfe, die auch heute noch als Grundlage für die Schuleingangstests fungiert, sollte aber nicht mehr als einziges Verfahren angewandt werden.
2.1.2 Die ‚ökosystemische Sichtweise’ – der Schulfähigkeitsgedanke Nickels
Schon Ende der sechziger Jahre konnte H. Nickel im Kontext zu Kerns Schulreifetheorie nachweisen, dass die Schulfähigkeit nicht altersabhängig, sondern trainierbar ist. Sie unterliegt also Lernprozessen, denen in der Schule Bedeutung beigemessen werden sollte.
In den achtziger Jahren entwickelte er eine weitergehende Perspektive der Schulfähigkeit, die sich auf das Gesamtsystem Schulanfänger-Schule bezog.
Die Schulreife wird seiner Meinung durch folgende Komponenten interdependent beeinflusst[4]:
- Vom Schüler selbst und seinen individuellen Lernvoraussetzungen
- von der Schule samt ihrer strukturellen und lernbedingten Besonderheiten
- von der „Ökologie“, d.h. von der schulischen und häuslichen Umwelt
von der Gesamtsituation der hiesigen Gesellschaft samt ihrer Regeln, Werte und Normen
Auf diese Perspektive baut heutzutage beispielsweise das sogenannte ‚Kieler Einschulungsverfahren“ auf, das stark von der Beurteilungsfähigkeit einer Lehrkraft geprägt ist. Im Gegensatz zu traditionellen Schulreifetests werden Beobachtungen innerhalb einer unterrichtsähnlichen Situation starke Bedeutung beigemessen. Daneben stehen individuelle Gespräche mit Eltern und den Erzieherinnen im Mittelpunkt dieser Diagnostik. Kritisiert wird das Verfahren dahingehend, dass die Entscheidung von der subjektiven Einschätzung der Lehrkraft abhängt, so dass die klassischen Testgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität nicht ausreichend erfüllt werden können. Gisela Kammermeyer[5] schlägt dahingehend vor, der Position der Erzieherin stärkeres Gewicht beizumessen, welche ebenfalls Beobachtungen durchführt. In einem kooperativen Gespräch könnte dann über eine mögliche Schulreife debattiert werden.
2.1.3 Neuere Ideen zur Schuleingangsdiagnostik
Auf die Ideen Nickels aufbauend, sollte nach Burgener- Woeffrey[6] mit der Schuleingangsdiagnostik eine Kind- Umfeld- Analyse erfolgen, in der auf die besondere Gesamtsituation jedes Kindes eingegangen werden sollte. Das Urteil erfolge durch Teams, die aus Erzieherinnen und Lehrkräften bestünden.
Den vorschulischen Einrichtungen kommt in den neueren Konzepten sehr viel größere Bedeutung zu. Sie sind der Ort, wo auf schulisches Lernen vorbereitet werden müsse.
Dies kann besonders im Spiel erfolgen: Sowohl der Umgang mit Objekten, als auch mit Menschen wird im Spiel erlernt und gefördert. Über diesbezügliche Kommunikationen wird die sprachliche Kompetenz gefördert.
Kammermeyer[7] verweist außerdem auf die Förderung sogenannter ‚proximaler Fähigkeiten’, die bereits im Vorschulalter erfolgen sollte, um die Schulfähigkeit zu stärken. Die Autorin nennt als grundlegendes proximales Schulfähigkeitskriterium die sogenannte „phonologische Bewusstheit“[8]. Diese Fähigkeit lenke die„Aufmerksamkeit auf den formalen Aspekt der Sprache“.[9] Überprüft werde sie beispielsweise anhand des Erkennens von Reimen oder des Heraushörens von bestimmten Lauten.
Im Zusammenhang mit der Thematik der Schuleingangsdiagnostik sollte jedoch angemerkt werden, dass in Deutschland zur Zeit darüber reflektiert wird, im Zuge eines integrativen Schulanfangs auf diagnostische Verfahren völlig zu verzichten. Die Schulfähigkeit jedes Kindes soll individuell gefördert und trainiert und nicht anhand von Normwerten einer bestimmten Kategorie zugeordnet werden.
[...]
[1] Meulemann, Heiner: Soziologie von Anfang an. Wiesbaden 2001. S. 240f.
[2] Meulemann, Heiner: Soziologie von Anfang an. Wiesbaden 2001. S. 240f.
[3] Kern, Artur: Sitzenbleiberelend und Schulreife. Ein psychologisch-pädagogischer Beitrag zu einer inneren Reform der Grundschule. Freiburg 1951.
[4] Kammermeyer, Gisela: Schulfähigkeit und Schuleingangsdiagnostik. In: Wolfgang Einsiedler, Margarete Götz, Hartmut Hacker, Joachim Kahlert, Rudolf W.Weck, Uwe Sandfuchs (Hrsg.): Handbuch Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. Regensburg 2001. S.253- 263.
[5] Vgl. Kammermeyer: Schulfähigkeit und Schuleingangsdiagnostik. S.260.
[6] Vgl. Kammermeyer: Schulfähigkeit und Schuleingangsdiagnostik. S.260.
[7] Vgl. Kammermeyer: Schulfähigkeit und Schuleingangsdiagnostik. S.260.
[8] Vgl. Kammermeyer: Schulfähigkeit und Schuleingangsdiagnostik. S.260.
[9] Vgl. Kammermeyer: Schulfähigkeit und Schuleingangsdiagnostik. S.260.
- Citation du texte
- Berit Schmaul (Auteur), 2004, Übergänge innerhalb der Grundschule - Das Kind zwischen Anpassungs- , Integrations- und Lernprozessen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26989
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