Das Recht auf Arbeit und der Zugang zum Arbeitsmarkt sind Grundlagen für ein erfülltes Leben in unserer Gesellschaft - das gilt für behinderte und nichtbehinderte Menschen gleichermaßen. In der UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 wurden diese Grundrechte in noch nie dagewesener Deutlichkeit deklariert.
Dieses Buch widmet sich dem System der Behindertenhilfe in Deutschland und erläutert, wie der Übergang in die Arbeitswelt für beeinträchtige Personen gestaltet werden kann. Wie können und sollten Konzepte zur gesellschaftlichen Inklusion heutzutage aussehen? Sind die Einrichtungen und Praktiken der Behindertenhilfe noch zeitgemäß?
Aus dem Inhalt:
Geschichtliche Entwicklung der Erwerbstätigkeit behinderter Menschen
Werkstätten als Arbeitsraum – Chance oder Endstation?
Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihre Zielsetzung
Von der Förderschule in die Arbeitswelt
Menschen mit Behinderung und Arbeitslosigkeit
Inhalt
Torsten Scholz (2012): Inklusion von Menschen mit geistiger Behinderung am Arbeitsplatz vor dem Hintergrund der UN-Konvention für Behindertenrecht
Einleitung
Teilhabe und Arbeit bei Behinderung
Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) im Überblick
Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Bezug auf Teilhabe am Arbeitsleben
Kritische Reflexion der Werkstätten im Hinblick auf Teilhabe am Arbeitsleben in Bezug auf die UN-Konvention
Fazit
Literatur
Franziska Haas (2013): Soziale Inklusion. Integration von Menschen mit geistiger Behinderung in den Arbeitsmarkt
Danksagung
Abkürzungsverzeichnis
Einführung
Entwicklungen in der Behindertenhilfe
Menschen mit (geistigen) Behinderungen in der Arbeitsgesellschaft
Übergang von der Förderschule in die Arbeitswelt
Entwicklungsaufgaben und Besonderheiten Jugendlicher im Übergang
Empirische Sozialforschung an der Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung
Fazit/Ausblick
Literaturverzeichnis/Quellenverzeichnis
Vera Papadopoulos (2011): Inklusion und Exklusion. Menschen mit Behinderung und Arbeitslosigkeit
Inklusion im Zusammenhang mit der Sozialen Arbeit mit Menschen mit Behinderung
Umgang mit Behinderung – Realität und normative Vorschläge
Anwendung der Arbeitsansätze auf meinen Arbeitsbereich (Projektleitung MAE- Maßnahmen)
LITERATURVERZEICHNIS
Einzelpublikationen
Torsten Scholz (2012): Inklusion von Menschen mit geistiger Behinderung am Arbeitsplatz vor dem Hintergrund der UN-Konvention für Behindertenrecht.
Die aktuelle Beschäftigungssituation in den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und ein Ausblick in die Zukunft
Einleitung
Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) gehören in Deutschland nach wie vor zu den bestetablierten und bekanntesten Institutionen im Bereich der Hilfeleistungen für Menschen mit Behinderung und dabei insbesondere für den Personenkreis der Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Die Institution der Werkstatt gilt dabei als sehr typisch für die deutsche Behindertenhilfe, denn es handelt sich um ein stark etabliertes, institutionalisiertes System, das in anderen Ländern in der Form weniger verbreitet nd damit exemplarisch für die deutsche Hilfelandschaft ist, die immer noch sehr stark von Sondereinrichtungen mit aussonderndem, „beschützendem“ Charakter dominiert wird.
Doch eben diese Stellung als Sondereinrichtung könnte für die künftige Entwicklung der Werkstätten-Landschaft zum Problem werden, denn es kommt eine neue Herausforderung auf die Behindertenhilfe zu, die Sondereinrichtungen in naher Zukunft möglicherweise infrage stellen und auf jeden Fall deren zukünftige Entwicklung prägen wird: Das von den Vereinten Nationen (United Nations, Abk. UN) verabschiedete Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen („Convention on the Rights of Persons with Disabilities“), vereinfacht UN-Behindertenrechtskonvention genannt, wurde verabschiedet, um die Rechtslage für Menschen mit Behinderung zu verbessern und Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen, von denen Menschen mit Behinderung besonders bedroht sind (vgl. Rothfritz 2010). Zu diesem Zweck werden erstmals wichtige Grundrechte für Menschen mit Behinderung in noch nie dagewesener Form und Deutlichkeit als Menschenrechte verankert, dabei auf behinderungsspezifische Probleme abgestimmt ausformuliert und für alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verpflichtend eingeführt. Auch das Recht auf Arbeit wird dabei formuliert und bekräftigt. Inwiefern dies nun Auswirkungen auf die einzelnen Einrichtungstypen der Behindertenhilfe haben wird, ist noch umstritten – sicher ist aber, dass die Konvention die Zukunft des gesamten Behindertenhilfe-Systems prägen wird, und das insbesondere in Deutschland, wo, wie erwähnt, immer noch stationäre, institutionelle Einrichtungen das Bild prägen und die Hilfeleistungen häufig als starr, unflexibel und stark aussondernd kritisiert werden und in den vergangenen Jahrzehnten auch nur wenig spektakuläre Reformen durchgeführt werden konnten. Der Weg, den Menschen insbesondere mit geistiger Beeinträchtigung hierzulande gehen, ist nach wie vor in den meisten Fällen von Anfang an institutionell vorgezeichnet: Wenn man schon als Kind in eine Förder- oder Lernhilfeschule gerät, hat man in der Regel wenig Möglichkeiten, das Aussonderungssystem früher oder später zu verlassen – stattdessen folgt auf die Lernhilfeschule der Berufsbildungsbereich, der sich bereits in der Werkstatt für behinderte Menschen befindet, und dann die Arbeit in der Werkstatt selbst; ein Wechsel auf dem ersten Arbeitsmarkt ist kaum möglich. Auch bei der Wohnsituation sieht es wenig besser aus – geistig beeinträchtigte Menschen leben immer noch überwiegend bei ihren Eltern, und wenn nicht dort, in ganz klassischen stationären Wohnheimen, aber nur selten selbstständig oder in ambulant betreuten Wohneinrichtungen. In einigen anderen Ländern Europas lassen sich bereits wesentlich erfolgreicher umgesetzte Konzepte zur Auflösung der Sondereinrichtungen und Integration behinderter Menschen in gemeinschaftlich von Menschen mit und ohne Behinderung genutzte Einrichtungen beobachten; so etwa die Auflösung des Sonderschulsystems und die Integration lernbehinderter Kinder in die Regelschulen in Ländern wie Italien und Schweden oder die Integration behinderter Menschen in gemeinsam von behinderten und nicht behinderten Menschen genutzten Wohnquartieren in England durch das „Community Care“-Konzept. In Deutschland sind solche Reformen bislang kaum geschehen.
Die Aufgabe von Hilfeeinrichtungen für Menschen mit Behinderung ist es, Teilhabe zu ermöglichen, wobei den Werkstätten die spezielle Aufgabe zukommt, Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Mit diesen Überlegungen verbindet sich deshalb das Interesse, im Rahmen dieser Arbeit zu klären: Was bedeutet Teilhabe am Arbeitsleben und inwiefern werden Werkstätten für behinderte Menschen im Anbetracht der UN-Behindertenrechtskonvention ihrer Aufgabe gerecht, Menschen mit Behinderung Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen?
Meine Hypothese ist dabei, dass Sondereinrichtungen der Behindertenhilfe ihrer Aufgabe, Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, nur ungenügend nachkommen und mit Blick auf die UN-Konvention für Behindertenrecht eigentlich als nicht mehr zeitgemäß anzusehen sind und rein rechtlich keinen Bestand mehr haben werden, da die UN-Konvention die Grundrechte von Menschen mit Behinderung dahingehend erweitern wird, dass Sondereinrichtungen zunehmend in Frage zu stellen sind und stattdessen Möglichkeiten der Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu fördern sind.
Ich werde mich dabei auf die Klärung der Begriffe „Teilhabe“ und „Arbeit“ konzentrieren und herausstellen, was Teilhabe bedeutet, bzw. was Leistungen zur Teilhabe sind. Des Weiteren werde ich erklären, was Arbeit der soziologischen Definition nach eigentlich ist und inwiefern die Werkstätten aktuell wirklich Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen. Ich werde möglichst vermeiden, eine rechtliche Definition von Teilhabe anhand der gängigen Paragraphen zu finden, da dies zu sehr einer juristischen Arbeit gleichkäme, was den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
Im dritten Kapitel werde ich dann die Werkstätten für behinderte Menschen, wie sie in Deutschland verbreitet sind, kurz beschreiben, indem ich die geschichtliche Entwicklung der Beschäftigung behinderter Menschen und im darauf folgenden Kapitel den heutigen Entwicklungsstand der Beschäftigung in Werkstätten aufzeige. Anschließend werde ich im vierten Kapitel versuchen, die UN-Behindertenrechtskonvention darzustellen, und dabei aufzeigen, wie Arbeit dort gesehen wird und welche Rechte Menschen mit Behinderung in Bezug auf Arbeit der Konvention nach zustehen und wie gut dies der aktuellen Arbeitssituation entspricht. Ich werde mich dabei so weit wie möglich auf die Hilfeeinrichtungen für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung beschränken, da diese immer noch den größten Anteil unter den in den Werkstätten beschäftigten Menschen ausmachen. So waren im Jahr 2011 unter den 291.711 Beschäftigten in den Werkstätten rund 77.41% Menschen mit geistiger Beeinträchtigung (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. 2011). Zudem wird dieser Personenkreis noch einmal vor gänzlich andere Herausforderungen gestellt als Menschen mit körperlicher Behinderung. Des Weiteren werde ich mich bei der Beantwortung der Forschungsfrage so weit wie möglich auf den Aspekt der Teilhabe beschränken. Es folgt ein abschließendes, kritisches Fazit.
Teilhabe und Arbeit bei Behinderung
In diesem Kapitel werde ich werde ich den Begriff der Teilhabe im Kontext von Hilfeleistungen für Menschen mit Behinderung und anschließend den Begriff der Arbeit aus soziologischer Sicht definieren und dabei vor allem herausstellen, was Arbeit für Menschen mit Behinderung bedeutet und wie Teilhabe am Arbeitsleben definiert und realisiert wird.
Ich werde mich auf die soziologische Definition von Arbeit beschränken, da Arbeit aus zahlreichen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und dementsprechend verschieden definiert werden kann – sei es rechtlich, pädagogisch oder soziologisch. Ich werde mich dabei auf die soziologische Definition beschränken, da diese zum Ausdruck bringt, was Arbeit für die Gesellschaft wie für den Einzelnen bedeutet. Daraus werde ich dann ableiten, inwiefern die Teilhabe am Arbeitsleben, die in den Werkstätten geleistet wird, aus soziologischer Sicht zufriedenstellend ist.
Teilhabe, Integration und Inklusion
Der Begriff der Teilhabe wird im Bereich der Sozialen Arbeit in verschiedensten Zusammenhängen verwendet, sei es als übergeordnetes Ziel oder als konkrete Hilfeleistung. Doch so einfach und einleuchtend der Begriff auf den ersten Blick scheinen mag, so schwierig ist es dann doch, genauer zu definieren, was damit eigentlich gemeint ist. Denn tatsächlich handelt es sich dann doch um einen reichlich abstrakten und allgemein gefassten Begriff. Ursprünglich war der Begriff auch tatsächlich eher philosophisch als praktisch geprägt (vgl. Pöld-Krämer 2007), erst im Laufe der Zeit wurde er dann konkreter ausformuliert.
Versucht man zunächst einmal zu definieren, was Teilhabe eigentlich meint, so ist dies schon eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Teilhabe kommt von Teilnehmen und Teilhaben an etwas. Rein rechtlich gesehen meinte Teilhabe schon immer die Teilnahme an der Gesellschaft; vor dem Gesetz sind alle Mitglieder einer Gesellschaft Teilhaber (vgl. Welti 2005). Es kommt zudem selten bis nie vor, dass mit den Begriff der Teilhabe nicht auch die Begriffe „Integration“ oder „Inklusion“ in Verbindung gebracht werden. Inklusion ist dabei der modernere der beiden Begriffe, der heutzutage häufiger angewandt wird, während der Begriff der Integration als veraltet gilt. In Folgenden werde ich deshalb versuchen, diese beiden Begriffe kurz zu definieren. Auch hier kann man verschiedene Wege der Definition anwenden, sei es aus pädagogischer oder soziologischer Sicht, wobei ich mich auf die soziologische Definition beschränken werde, da die pädagogische Definitionsweise mehr auf die konkrete pädagogische Arbeit bezogen ist, die soziologische Sichtweise hingegen auf die theoretischen Konzepte zur Umsetzung.
Integration bedeutet der soziologischen Definition nach, dass eine Minderheit oder Randgruppe den Normen und Lebensweisen der Mehrheitsgesellschaft angepasst werden soll (vgl. Fachlexikon der sozialen Arbeit 2007). Diese Sichtweise zeigt bereits, warum der Begriff heutzutage als veraltet angesehen werden kann, da es sich mehr um eine Form der Anpassung und Unterwerfung handelt, zudem wird auch impliziert, dass die Gruppe der Minderheit innerhalb der Mehrheitsgesellschaft als eigene Gruppe erhalten bleibt, aber keine wirklicher Austausch und keine Vermischung stattfindet. Da es heutzutage jedoch darum gehen soll, Vielseitigkeit und Unterschiedlichkeit zu fördern, stellen pädagogische und soziologische Konzepte zum Umgang mit Minderheiten heute wesentliche eher Dialog und Diversität in den Mittelpunkt. In Bezug auf die Arbeit mit behinderten Menschen bedeutet dies zum einen, dass die Zusammenarbeit und das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung gefördert werden soll, und zum anderen, dass Menschen mit Behinderung nicht bloß Mitglieder der nicht behinderten Mehrheitsgesellschaft sein sollen, sondern auch auf ihre Bedürfnisse abgestimmt inkludiert und gefördert werden sollen. Da dies jedoch mehr bedeutet als Integration, wurden der Begriff und das Leitbild der Integration heute immer öfter von dem der Inklusion abgelöst.
Inklusion hingegen bedeutet wesentlich eher als Integration Einbeziehung und Zugehörigkeit, was auch schon im Wort zum Ausdruck kommt, das vom lateinischen „inclusio“ („Einschluss“) abgeleitet wurde. In einer inklusiven Gesellschaft sind alle Menschen unabhängig von äußerlichen Merkmalen wie Geschlecht, Ethnizität, körperlicher Verfassung und Intelligenz als gleichberechtigte Mitglieder akzeptiert und werden in ihrer Verschiedenheit gefördert (vgl. Niehoff 2007). Schon der Systemtheoretiker Luhmann ersetzte in seinen Theorien von Gesellschaft Integration durch Inklusion und beschrieb Inklusion als das spezifische Verhältnis zwischen Mensch und Gesellschaft (vgl. Wansing 2005). Es wird in inklusiven (im Gegensatz zu integrativen) Gruppen nicht mehr zwischen verschiedenen Einzelgruppen unterschieden, sondern nur noch eine homogene Gruppe gesehen, die ihre Mitglieder in ihrer Verschiedenheit wahrnimmt und dabei als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft akzeptiert und fördert. Zudem wird neben der institutionellen zunehmend auch die emotionale und soziale Ebene des Zusammenlebens wahrgenommen (vgl. Hinz, ohne Jahreszahl). Auch die UN-Behindertenrechtskonvention greift, wie später weiter ausgeführt werden wird, den Begriff der Inklusion auf und fördert die Rechte von Menschen mit Behinderung unter dem Leitbild der Inklusion statt Integration.
Das Inklusionskonzept mag einem freilich als eine sehr stark beschönigende Idealvorstellung vorkommen, weshalb man es sich eher als Vision und Leitbild vorstellen kann. In Bezug auf die Arbeit mit behinderten Menschen hat dies zur Folge, dass Sondereinrichtungen nach dem Leitbild der Inklusion zumindest in Frage zu stellen sind und deshalb die Zukunft der Behindertenhilfe stattdessen in inklusiven Einrichtungen erfolgen sollte, um zu ermöglichen, dass die gesamte Biographie behinderter Menschen in gemeinsamen Einrichtungen mit Menschen ohne Behinderung stattfinden kann, angefangen bei inklusiven Kindergärten und Schulen über geneinsame Arbeitsplätze bis hin zu gemeinsamen Wohneinrichtungen. Dem steht in der Realität jedoch das nach wie vor dominierende, etablierte System der stationären Sondereinrichtungen gegenüber; zudem ist die Beschäftigtenzahl in den Werkstätten seit Jahren steigend, weshalb anzunehmen ist, dass sich das Werkstattwesen in den kommenden Jahren eher noch weiter ausdifferenzieren wird. So ist alleine in den vergangenen drei Jahren die Zahl der Beschäftigten von 277.201 im Jahr 2009 auf 284.884 im Jahr 2010 und 291.711 im Jahr 2011 gestiegen (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. 2011).
Benachteiligten und ausgeschlossenen Menschen Teilhabe zu ermöglichen, war und ist eines der Hauptanliegen der Sozialen Arbeit. Beruhend auf Studien und Theorien sozialer Ungleichheit, nach denen es in einer Gesellschaft immer soziale Unterschiede und Ungleichheiten gibt, wovon Randgruppen besonders betroffen sind, ist es die Aufgabe, Teilhabe von Menschen, die von der Gesellschaft aus welchen Gründen auch immer exkludiert wurden, wiederher- und sicherzustellen (vgl. Wansing 2005). Dennoch gibt es in der Sozialen Arbeit keine einheitliche Definition von Teilhabe. Was mit dem Begriff gemeint ist und wie er umgesetzt wird, ist zunächst einmal davon abhängig, in welchem Bereich der Sozialen Arbeit man sich befindet. So wird der Begriff der Teilhabe nicht nur im Bereich der Behindertenhilfe angewandt, sondern beispielsweise auch im Bereich der Armen-Fürsorge (vgl. Pöld-Krämer 2007). Grundsätzlich sind Teilhabe-Leistungen dort nötig, wo Personengruppen aufgrund spezifischer Risikofaktoren gesellschaftliche Ausgrenzung und damit Exklusion droht. Da Behinderung zu den Hauptrisikofaktoren gesellschaftlicher Exklusion zählt (vgl. Wansing 2005), bedarf es hier besonders sensibler und ausgefeilter Konzepte, um Teilhabe zu ermöglichen und sicherzustellen. Die Hilfeleistungen der Behindertenhilfe sind deshalb darauf ausgerichtet, die behinderungsspezifischen, verminderten Teilhabemöglichkeiten zu kompensieren und dadurch Teilhabe zu ermöglichen. Auch im Sozialgesetz ist Behinderung deshalb definiert als Einschränkung von Teilhabemöglichkeiten (§ 2 SGB IX), die durch Rehabilitations- und Teilhabeleistungen des sozialen Systems auszugleichen sind.
Die Leistungen zur Teilhabe lassen sich dabei in verschiedene Kategorien unterteilen:
Das eine sind ganz praktische Probleme, die deshalb als praktische Teilhabe zusammengefasst werden, wie etwa die Unerreichbarkeit von Orten, die nur über eine Treppe zu erreichen sind für Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, oder auch die Frage, ob immer genug Behindertenparkplätze oder barrierefreie Fluchtwege vorhanden sind. In diesen Fällen kann man die Teilhabemöglichkeiten durch Barrierefreiheit verbessern, die dazu beiträgt, dass für Menschen mit Behinderung z. B. nicht nur ein Treppenhaus, sondern auch ein Fahrstuhl zur Verfügung steht. Doch Barrierefreiheit ist nicht nur auf räumlich-physikalische Probleme bezogen, sondern auch auf kognitive. So gibt es etwa das Problem, dass viele Menschen mit geistiger Beeinträchtigung nicht oder kaum lesen können und deshalb auf einen Vorleser angewiesen sind oder geistig nicht in der Lage sind, schwierige Texte zu verstehen und deshalb einfache Erklärungen benötigen. Hierfür gibt es Barrierefreiheit in Schriftform, die bedeutet, dass für geistig behinderte Menschen oder Analphabeten Texte durch Bilder verständlich gemacht werden oder es zusätzlich einen vereinfachten Text gibt.
Daneben gibt es aber noch weitere Formen der Teilhabe, die schon wesentlich komplexer sind, nämlich die Ermöglichung der gesellschaftlichen Teilhabe.
Darunter fallen alle Hilfeleistungen, die über die rein physikalische Barrierefreiheit hinausgehen und die soziale Inklusion des behinderten Menschen in die Gesellschaft fördern sollen. Was darunter zu verstehen ist und wie genau dies zu geschehen hat, ist schwer zu definieren. Man möchte behinderten Menschen Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen, doch was ist eigentlich gesellschaftliche Teilhabe? Gemäß der heutigen Inklusionstheorien soll möglichst das Miteinander aller Gesellschaftsmitglieder gefördert werden. Können Sondereinrichtungen wie Wohnheime und Werkstätten, die Menschen mit Behinderung ja immer noch von der Gesellschaft weitgehend abgrenzen, überhaupt gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen? Diese Fragen werden in der Behindertenhilfe heute kontrovers diskutiert.
Diese gesellschaftliche Teilhabe kann man dann noch einmal unterteilen in weitere Unteraspekte, die man in zwei Hauptkategorien unterteilen kann:
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
und
Teilhabe am Arbeitsleben.
Unter Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind alle Hilfeleistungen zu verstehen, die die Inklusion behinderter Menschen außerhalb des Arbeitsbereichs fördern, also etwa Angebote der Bildung, Freizeit, usw. Dabei gehen die beiden Begriffe bis zu einem gewissen Grad ineinander über, denn Arbeit gilt als „wesentliche[r] Aspekt für gesellschaftliche Teilhabe“ (Kühn/Rüter 2008: 13). Über Arbeit wird auch die Freizeit und der Zugang zur Erwachsenenbildung und die soziale Interaktion gestaltet und gefördert (vgl. Fischer/Heger/Laubenstein 2011). Teilhabe am Arbeitsleben ist somit auch ein wichtiger Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe; wer nicht am Arbeitsleben teilhaben kann, dem droht die gesellschaftliche Exklusion (vgl. ebd.).
Historische Ansichten zur Teilhabe behinderter Menschen
Da Behinderung rechtlich und soziologisch als Einschränkung von gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten gesehen wird, ist es die Aufgabe der Behindertenhilfe, Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Dies gibt der Sozialen Arbeit mit behinderten Menschen zudem ein klares Ziel vor: Während in anderen Bereichen der Sozialen Arbeit oft Unklarheit über das genaue Ziel der Arbeit herrscht, so ist hier die Ermöglichung von gesellschaftlicher Teilhabe zum Ausgleich der behinderungsbedingten Einschränkungen von Teilhabemöglichkeiten als Zielvorgabe klar definiert. Die Ansichten darüber, wie dies geschehen soll und was dabei unter Hilfeleistungen und Partizipation respektive Teilhabe genau zu verstehen ist, haben sich im Laufe der Zeit mehrfach geändert. Im Folgenden werde ich kurz die unterschiedlichen Bedeutungen von Teilhabe in Rahmen der Behindertenhilfe darstellen. Dabei soll es weniger darum gehen, die historische Entwicklung aufzuzeigen, sondern lediglich aufzuzeigen, wie sich die verschiedenen Ansichten zur Teilhabe im Laufe der Zeit verändert haben.
Vom Anbeginn der Geschichte bis etwa zum Zweiten Weltkrieg gab es keinerlei ernsthafte Konzepte für die Teilhabe von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Über die Jahrhunderte hinweg lebten sie in ihren Familien und ab dem Mittelalter immer häufiger auch in Zucht- oder Arbeitshäusern und später in Pflegeheimen. An die gesellschaftliche Inklusion dieser Menschen war damals noch lange nicht zu denken, sie hatten lediglich ihren Familienverband als soziales Umfeld. Wenn überhaupt gab es erst ab der Renaissance und dem damit verbundenen humanistischen Denken erste Überlegungen, dass auch behinderte Menschen in ihrer Würde geachtet werden müssen und man diesem Personenkreis Hilfeleistungen anbieten müsse, was im 17. Jahrhundert zu den ersten stationären Hilfs- und Pflegeeinrichtungen führte (vgl. Scheibner 2000). Konzepte zur gesellschaftlichen Teilhabe oder gar zur Erwerbsarbeit gab es aber nicht, stattdessen wurden Menschen mit geistiger Beeinträchtigung weiterhin ausgesondert, und die Hilfeleistungen beschränkten sich auf Pflegeleistungen. Im Dritten Reich wurde schließlich dafür gesorgt, Menschen mit Behinderung aus der Gesellschaft zu entfernen durch die massenhafte Zwangssterilisierung und schließlich die systematische Ermordung im Rahmen des Euthanasie-Programms. Deshalb beginnt die Entwicklung ernsthafter Konzepte zur Partizipation und Teilhabe behinderter Menschen erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein erstes konkretes Konzept zur Gleichbehandlung und Integration von Menschen mit Behinderung war das Normalisierungsprinzip, das bereits 1959 von dem dänischen Juristen Niels Erik Bank-Mikkelsen entwickelt wurde und in Dänemark und Schweden, später auch in den USA Verbreitung fand. In Deutschland sorgte dieses Konzept erst ab den 1980er Jahren für ein allmähliches Umdenken (vgl. Schlummer/Schütte 2006). Es war speziell auf Menschen mit geistiger Behinderung zugeschnitten und forderte, wie bereits der Name deutlich macht, eine „Normalisierung“ der Lebenssituation geistig behinderter Menschen, indem ihnen ein möglichst „normales“ Leben ermöglicht werden sollte, was einen normalen Tagesablauf, Jahreszeitenwechsel, Jahres-Rhythmus usw. umfasste. Anders als häufig kritisch angemerkt wird, war der Gedanke des Normalisierungsprinzips dabei nicht eine Anpassung an einen bestimmten, als „normal“ empfundenen gesellschaftlichen „Mainstream“, sondern lediglich eine Angleichung der Lebensbedingungen und -voraussetzungen. Teilhabe sollte dem Normalisierungsprinzip zufolge also durch die „Normalisierung“ bzw. Angleichung von Lebensverhältnissen realisiert werden, wobei sich die Normalisierung ausdrücklich auf Lebensverhältnisse und nicht auf Personen bezog (vgl. u.a. Wansing 2005, Schlummer/ Schütte 2006). Auch wenn das Normalisierungsprinzip einen zweifelsohne sehr richtigen und wichtigen Ansatz darstellte und seine Gedanken bis heute diskutiert werden, gilt es heute dennoch als eher überholt, da zum einem die Konzeption der „einheitlichen“ Lebensführung im Zuge zunehmender Individualisierung von Lebensverhältnissen als immer weniger zeitgemäß gilt und es zunehmend schwer fällt, zu definieren, was für einem Menschen eigentlich ein „normaler“ Tagesablauf oder „normale“ Lebensverhältnisse sind. Zum anderen beinhaltet der Begriff auch eine stigmatisierende und diskriminierende Wirkung, da er impliziert, dass die üblichen Lebensverhältnisse behinderter Menschen nicht als „normal“ angesehen werden, was mit dem heutigen Gedanken der Inklusion, in der alle Gesellschaftsmitglieder gleich behandelt werden, zunehmend schwer vereinbar ist. Deshalb wird heutzutage anstelle von Normalisierung immer öfter der Begriff der „Gleichstellung“ verwendet. Gleichstellung wird zunehmend zu einem bestimmenden Begriff der Behindertenpolitik und zeigt den Paradigmenwechsel weg von der defizitorientierten, auf Unterschiede zwischen Personengruppen zielenden Perspektive hin zur Anerkennung von allen Mitgliedern einer Gesellschaft als gleichberechtigte Teilhaber. Neben der Chancen-gleichheit zielt Gleichstellung auch auf die Beseitigung von Unterschieden und damit auch auf die Beseitigung von Diskriminierung und Ungleichbehandlung ab (vgl. Baer 2007). Damit einher geht auch der Paradigmenwechsel von der Integration zur Inklusion, der die Gleichstellung anerkennt und auf die Beseitigung von Unterschieden und Benachteiligungen ausgerichtet ist.
Im Jahr 2001 erschien eine neue, seitdem gültige Definition von Behinderung und Teilhabe durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den Begriff von Behinderung neu definiert und zu einem „Verständniswandel“ (Wansing 2005: 79) beigetragen hat. Die WHO veröffentlichte 2001 die „International Classification of Function, Disability and Health“ (ICF), die den Nachfolger der 1980 erschienen „International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps“ (ICIDH) darstellt und den Begriff der Behinderung im Vergleich zum Vorgänger gänzlich neu definiert. Neu ist vor allem, dass es im Gegensatz zum Vorgänger-Konzept erstmals ein für alle Behinderungsarten übergreifendes Gesamtkonzept gibt, um Behinderungen zu klassifizieren und objektivierbar zu machen. In diesem Zusammenhang hat sich auch die Sicht auf Behinderung geändert – während in der ICIDH noch eine wesentlich defizitorientiertere Sicht auf Behinderung zu finden war, hat sich die Perspektive nun gewandelt, und die Ressourcen-Orientierung steht im Mittelpunkt, was auch schon im Namen zum Ausdruck kommt. Behinderung wird mit der ICF nicht mehr als Zuschreibung spezifischer Defizite definiert, sondern als Zusammenspiel individueller Möglichkeiten und Kontextfaktoren unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen und Umwelteinflüssen. Die zentralen Elemente dabei sind Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Konkret wird zwischen den Dimensionen Körperstrukturen (anatomische Teile des Körpers), Körperfunktionen, Aktivität und Teilhabe unterteilt und auch die sogenannten Umweltfaktoren, also das gesamte Umfeld des behinderten Menschen, berücksichtigt. Behinderung wird nun als Zusammenspiel negativer Kontextfaktoren beschrieben (vgl. u.a. Schlummer/Schütte 2006, Wansing 2005). Der Teilhabe kommt dabei hohe Bedeutung zu. Teilhabe wird in der ICF nun als „Einbezogen-sein in eine Lebenssituation“ („involvement in a life situation“) definiert; Behinderung wird infolgedessen als Defizit von Teilhabe konstruiert (vgl. Welti 2005). Behinderung ist demzufolge eine Beeinträchtigung der Möglichkeiten der Teilhabe an der Gesellschaft. Die Sozialgesetzgebung hat deshalb das Ziel, Menschen mit Behinderung gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen, was auch bereits im §1 des SGB IX verankert ist (vgl. Welti 2005). Die Einrichtungen der Behindertenhilfe sind demnach Einrichtungen, deren Auftrag es ist, Menschen mit Behinderung Teilhabe zu ermöglichen. Insgesamt wird Behinderung damit nicht mehr als Grundlast eines Menschen angesehen, sondern als Zuschreibungsprozess. Es handelt sich nicht mehr um einen passiven Zustand, sondern um einen aktiven Prozess – man ist nicht, sondern wird vielmehr behindert. Dies dient auch der Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderung – durch die neue Definition soll die Sicht stärker auf die behinderungsbedingten Benachteiligungen der betroffenen Menschen gelegt werden und dadurch Menschenrechtsverletzungen vorgebeugt werden (vgl. Rothfritz 2010). Im Zuge dessen findet auch beim Prinzip der Hilfeleistungen für behinderte Menschen seitdem ein Paradigmenwechsel statt: Anstelle von bloßer „Förderung“ in Form von defizitorientierten Hilfeleistungen steht zunehmend das Leitbild der Selbstbestimmung der Klienten im Vordergrund, was zur Folge hat, dass die Entscheidungs- und Mitbestimmungsrechte sowie die Auswahlmöglichkeiten der Klienten gestärkt werden. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention fördert diesen Ansatz und stellt die individuelle Förderung und Achtung behinderter Menschen in den Mittelpunkt. Inwiefern dies jedoch in der Realität wirklich umsetzbar ist und umgesetzt wird, wird im weiteren Verlauf der Arbeit dargestellt.
Die UN-Behindertenrechtskonvention enthält allerdings keine konkrete Definition von Behinderung. Sie lehnt sich bei ihrer Sicht auf Behinderung aber eng an das soziale Modell von Behinderung nach der ICF an und sieht Behinderung als dynamischen Prozess und nicht mehr als defizitorientierten, medizinisch definierten Zustand (vgl. Demke 2011).
Die Funktion und Bedeutung von Arbeit
Im Folgenden werde ich kurz definieren, was Arbeit im Kontext von Behinderung und Teilhabechancen bedeutet. Ich werde mich auf die soziologische Sichtweise beschränken, da diese die Bedeutung von Arbeit für den Menschen als Individuum, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes zu beschreiben. Darauf aufbauend werde ich dann erklären, inwieweit die Beschäftigung in Sondereinrichtungen der eigentlichen Bedeutung von Arbeit wirklich entspricht.
„Arbeit“ ist ein Begriff, der einerseits jedermann geläufig ist und der, wenn man einmal überlegt, was darunter genau zu verstehen ist, dennoch schwer zu definierten ist. Man kann ihn, abhängig vom wissenschaftlichen Blickwinkel, auf nahezu jede erdenkliche Weise erklären, sei es aus rechtlicher, soziologischer, pädagogischer, betriebswirtschaftlicher, ethischer oder physikalischer Sicht. Hinzu kommt, dass es sich um einen hochgradig subjektiven, nie vollständig objektivierbaren Begriff handelt, dessen Definition und Auslegung auch immer „von der jeweiligen Realität eines Menschen“ (Fischerauer 2005: 3) abhängig ist. Zudem unterliegt Arbeit auch immer einer natürlichen Evolution durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Umwälzungen, die Auswirkungen auf das Leben der Menschen und damit auch auf die Bedeutung und das Verständnis von Arbeit hatten. Ich werde mich im Folgenden auf die aktuelle Sichtweise beschränken, die den gängigen Definitionen entspricht, aber vielleicht in einigen Jahren auch schon wieder als überholt gelten kann, insbesondere im hier dargestellten Kontext des Arbeitsfeldes der Werkstätten für behinderte Menschen, da durch die UN-Konvention und andere Reformversuche vielleicht auch schon bald hier Arbeit anders definiert werden kann.
Arbeit als (Erwerbs-)Tätigkeit
Arbeit ist auch im soziologischen Kontext keinesfalls eindeutig definiert. Es finden sich vielerorts gängige Kurzdefinitionen, die Arbeit beispielsweise als „zielgerichtete, soziale, planmäßige und bewusste, körperliche und geistige Tätigkeit“ (Gabler Wirtschaftslexikon (Hrsg.) 2011) oder auch als „zweckgerichtete, verstandesgeleitete menschliche Tätigkeit, die […] dem Erwerb des Lebensunterhalten dient“ (Promberger 2008) beschreiben. So abstrakt diese Definitionen auch klingen mögen, so steckt dennoch bereits vieles darin, das hilfreich ist, sich von dem Begriff ein Bild zu machen. So wird in beiden Erklärungsansätzen impliziert, dass Arbeit einen speziellen Zweck und ein spezielles Ziel verfolgt. Zudem geht die zweite Definition noch weiter und erweitert den Begriff um den Aspekt des Lebensunterhalts. In der Tat wird in der Soziologie davon ausgegangen, dass ein sehr wichtiger Aspekt der Arbeit auch der Erwerb des Lebensunterhaltes ist, was eigentlich alle Tätigkeiten, die nicht bezahlt werden, wie etwa ehrenamtliche Arbeit, ausschließt. Natürlich kann man auch nicht bezahlte Tätigkeiten als „Arbeit“ definieren, weshalb zur Abgrenzung zu nicht bezahlten Tätigkeiten auch von Lohnarbeit oder Erwerbsarbeit die Rede ist. Zudem muss man auch den Begriff „Lebensunterhalt“ differenziert betrachten, denn dabei kann unterschieden werden zwischen dem Erwerb von überhaupt irgendeiner Form von Lohn, aber auch von so viel Lohn, dass man damit auch wirklich seine Lebenshaltungskosten decken kann. Mit Lebensunterhalt ist dabei letzteres gemeint. Lebensunterhalt bedeutet das Erwirtschaften von ausreichend Geld, um seine Lebenshaltungskosten decken zu können.
Des Weiteren erwirtschaftet man nicht nur für sich selbst den Lebensunterhalt, sondern trägt auch dazu bei, die Wirtschaftsleistung des Arbeit gebenden Unternehmens und der gesamten Volkswirtschaft zu steigern, denn „Arbeit ist in allen Kulturen die Grundlage der Ökonomie“ (Giddens, zit. nach Fischerauer 2005). Daran werden bereits deutlich die Doppelfunktion der Arbeit und der Kreislauf der Wirtschaft sichtbar, denn Arbeit dient sowohl dem Individuum als auch der Gesellschaft.
Dennoch gilt Arbeit trotz ihrer großen Bedeutung für den Menschen nicht als grundsätzlich positiv belegt, sondern der Begriff ist auch immer mit negativen Folgen wie Mühe, Anstrengung, Stress, Erschöpfung, etc. verbunden (vgl. u.a. Aßländer 2005).
Die soziale Bedeutung von Arbeit
Es besteht Konsens darüber, dass Arbeit neben der Selbstverwirklichung und dem Erwerb von Lebensunterhalt auch eine soziale Funktion hat und maßgeblich dazu beiträgt, auch die Sozialisation des Arbeitenden zu fördern. Dabei geht die soziale Funktion der Erwerbsarbeit über die bloße soziale Integration in die Gruppen der Arbeitskollegen und die Kommuni-kation mit Vorgesetzten oder Kunden weit hinaus: Sowohl das Selbstwertgefühl als auch die soziale Anerkennung werden durch den Beruf und den daraus resultierenden sozialen und ökonomischen Status maßgeblich beeinflusst (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon 2011), manche reden gar davon, dass „Arbeit […] nicht nur die Voraussetzung für materiellen Wohlstand [bildet], sondern [sie] wird selbst zum Ausweis des tugendhaften Lebens und bildet die Grundlage der vollwertigen bürgerlichen Existenz“ (Aßländer 2005: 31) und dass „Arbeit heute ein lebensnotwendiger Bestandteil unseres kulturell und gesellschaftlich gewachsenen Daseins“(Fischer/Heger/Laubenstein 2011: 7) ist. Auch hier wird deutlich, wie sehr das gesellschaftliche Ansehen und die gesamte Sozialisation des Individuums von der Arbeit geprägt werden.
Bezieht man die soziale Bedeutung von Arbeit im Hinblick auf Sicherung des Lebens-unterhalts und Erwerb von Status nun auf Menschen mit geistiger Behinderung, so ist davon auszugehen, dass Arbeit für Menschen mit Behinderung in Vergleich zu Menschen ohne Behinderung grundsätzlich von gleich großer Bedeutung ist, da für jeden Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, der Erwerb des Lebensunterhalts wichtig ist. Auch ist anzunehmen, dass die meisten Menschen mit Behinderung grundsätzlich gerne arbeiten (vgl. Hirsch/Kasper 2010). Für Menschen mit und ohne Behinderung ist ihr Arbeitsplatz ein wichtiger Ort der Sozialisation, an dem soziale Kontakte geknüpft und gepflegt werden. Es kann jedoch durchaus angenommen werden, dass Arbeit für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung eine mindestens ebenso große, tendenziell vielleicht sogar noch größere Bedeutung hat (vgl. Kühn/Rüter 2008), sei es, weil die Möglichkeit der Selbstverwirklichung für behinderte Menschen bei der Arbeit besonders groß ist, da sie es aufgrund ihrer geistigen Defizite schwerer haben, sich selbst zu verwirklichen, sei es, weil durch die nicht immer gegebene Barrierefreiheit ihre gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten in ihrer Freizeit eingeschränkt sind, was die Bedeutung des Arbeitsplatzes als Ort der sozialen Interaktion erhöht.
Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) im Überblick
Um mich dem Ziel einer kritischen Auseinandersetzung mit den Werkstätten unter dem Aspekt Teilhabe zu nähern, werde ich zunächst einen Überblick über den Einrichtungstyp der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) bieten, um aufzuzeigen, wie und woraus sich das heutige Werkstatt-Wesen entwickelt hat und wie der heutige Entwicklungsstand der Werkstätten ist.
Der Einrichtungstyp der Werkstatt für behinderte Menschen ist heute die dominierende Form der beruflichen Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung in Deutschland. Die überwiegende Zielgruppe sind dabei nach wie vor Menschen mit geistiger Beeinträchtigung – sie machen 77,41% der deutschlandweit 291.711 Beschäftigten in den Werkstätten aus (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. 2011). Die Zahl der Werkstatt-Plätze steigt dabei seit Jahren kontinuierlich. Die Gründe hierfür sind recht verschieden: Zum einem hat die Zeit des Dritten Reiches zu einem Bruch der Entwicklung der Behindertenhilfe geführt, sodass infolge der massenhaften Ermordung und Zwangssterilisation behinderter Menschen zur Zeit des Dritten Reichs eine ganze Generation behinderter Menschen praktisch ausgelöscht wurde. Dadurch gibt es in den heutigen Hilfeeinrichtungen fast ausschließlich nach dem Krieg geborenen Menschen mit Behinderung, die zudem allmählich ins Rentenalter kommen, sodass man sich erst jetzt mit dem Phänomen älterer behinderter Menschen auseinandersetzen muss. Zum anderen gibt es nach wie vor kaum Alternativen zur Beschäftigung in den Werkstätten, da es an Möglichkeiten der Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt fehlt, wie ich im Folgenden näher ausführen werde. Zudem sorgen auch neue Arten von Behinderung für eine Erweiterung des Klienten-Kreises, darunter insbesondere die steigende Zahl von Menschen mit psychischer bzw. seelischer Behinderung (vgl. Kühn/Rüter 2008).
Die Werkstatt ist auch außerhalb des sozialen Systems als Einrichtungstyp der Behindertenhilfe bekannt, und eigentlich hat jeder eine recht konkrete Vorstellung davon: „Die Werkstatt“ ist der Ort, wo Menschen mit Behinderung, die aufgrund ihrer Behinderung nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können, beschäftigt werden. Doch auch wenn bekannt ist, dass Werkstätten dem Personenkreis der behinderten Menschen Arbeit bieten, so ist vieles doch der breiten Masse recht unbekannt und verborgen – so etwa die Tatsache, dass die Werkstätten eigentlich nur eine zeitlich begrenzte Möglichkeit der Beschäftigung bieten und ihren Klienten eigentlich den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen sollen. Dass der breiten Masse bislang auch kaum bekannt ist, dass Menschen mit Behinderung auch außerhalb der Werkstätten arbeiten und im Klischee davon ausgegangen wird, dass sie stattdessen ausschließlich in den Werkstätten arbeiten, zeigt bereits ein viel kritisiertes Problem der Werkstätten auf, nämlich, dass sie in der Kritik stehen, zu selten den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen und stattdessen das Schicksal eines geistig behinderten Menschen immer noch weitgehend biographisch vorbestimmt scheint und ausschließlich in Sondereinrichtungen stattfindet – ist man einmal in der Förder- oder Sonderschule gelandet, folgt auf diese der Berufsbildungsbereich (BBB) der Werkstatt für behinderte Menschen und auf diese dann eine meistens lebenslang andauernde Arbeit in der Werkstatt. Fast vergessen bzw. unbekannt ist dabei die Tatsache, dass die Beschäftigung in den Werkstätten eigentlich kein dauerhafter Zustand sein soll.
Geschichtliche Entwicklung der Beschäftigung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung
Im Folgenden werde ich zunächst einen kurzen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Beschäftigung behinderter Menschen von den Anfängen bis zur Etablierung der Werkstätten bieten und mich dabei insbesondere auf die Beschäftigung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung konzentrieren, da diese, wie zuvor schon erwähnt, noch immer den mit Abstand größten Anteil der Beschäftigten in den Werkstätten ausmachen und es erklärt werden sollte, warum dieser Bereich sich so weit ausdifferenzieren konnte.
Der Umgang mit behinderten Menschen im Laufe der Geschichte
Menschen mit Behinderung hat es von Anfang der Menschheitsgeschichte an gegeben. Schon immer wurde dabei auch schon zwischen solchen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen unterschieden. Zudem haben sich diese beiden Personengruppen auch schon immer recht unterschiedlich entwickelt, was ihr Ansehen in der Gesellschaft und den gesellschaftlichen Umgang mit ihnen betraf. So wurden Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, die früher meistens „Krüppel“ oder, insbesondere, wenn es sich um Kriegsversehrte handelte, „Invaliden“ genannt wurden, oft deutlich besser behandelt, als geistig beeinträchtigte Menschen. So ist etwa aus den ersten Hochkulturen (Ägypten, Griechenland, Rom) überliefert, dass körperlich behinderte Menschen durchaus gesellschaftliche Teilhabe-Möglichkeiten hatten und zum Beispiel im alten Rom körperlichen Einschränkungen mit „relativer Toleranz“ (Kreissl 2004: 13) begegnet wurde, auch soll es im alten Rom bereits um 300 vor Christus eine stationäre Pflegeeinrichtung für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung gegeben haben (vgl. Kreissl 2004). Allerdings betrafen solche Beispiele wie gesagt, in der Regel nur Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, während Menschen mit geistiger Behinderung noch einmal vor ganz andere Schwierigkeiten gestellt wurden.
Das hauptsächliche Problem im Umgang mit geistig beeinträchtigten Menschen war jahrhundertelang, dass aufgrund mangelnder medizinsicher und psychologischer Kenntnisse der Forschung ihre geistigen Defizite nicht richtig eingeordnet und diagnostiziert werden konnten und Menschen mit geistiger Beeinträchtigung mit psychisch kranken und geistig verwirrten Menschen auf eine Stufe gestellt und als eine Gruppe zusammengefasst wurden, die zudem jahrhundertelang abwertende, verachtende Bezeichnungen wie „Schwachsinnige“, „Irre“, „Verrückte“, „Blödsinnige“, etc. (vgl. u.a. Meisinger 2000) erhielten.
Der Mangel an wissenschaftlichen Erkenntnissen über geistige Behinderung sorgte jahrhundertelang auch dafür, dass Menschen mit geistiger Behinderung religiösen Erklärungsversuchen und exorzistischen Ritualen ausgesetzt waren – Behinderung wurde der damaligen, religiös geprägten Mentalität entsprechend dämonisiert und als göttliche Strafe angesehen, insbesondere geistig behinderte Menschen wurden zudem häufig für von bösen Geistern oder Dämonen besetzt gehalten. Die Lage für geistig behinderte Menschen verbesserte sich erst mit der Aufklärung im 16. Jahrhundert, als sich nicht nur das allgemeine Menschenbild positiv wandelte, sondern auch das Psychiatriewesen sich allmählich ausbildete und Menschen mit geistiger Beeinträchtigung nun zunehmend dem Bereich der Psychiatrie zugeordnet wurden und erste stationäre, geschlossene Einrichtungen für die Versorgung dieses Personenkreises entstanden.
Erste Arbeitseinrichtungen für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung
Sucht man nun nach den ersten Möglichkeiten der Beschäftigung für geistig behinderte Menschen, so wird man lange Zeit nicht fündig werden. Es ist anzunehmen, dass geistig beeinträchtigte Menschen jahrhundertelang nicht gearbeitet haben, sondern entweder bei ihren Familien oder später in den stationären Hospizen und Verwahrungsanstalten untergebracht waren und dort nie Arbeit im Sinne von Erwerbsarbeit geleistet haben, schon gar nicht in beschäftigungsähnlichen Verhältnissen, sondern hauptsächlich versorgt wurden. Es bestand „[j]ahrhundertelang […] nur eine Möglichkeit der Unterbringung.“ (Hotter 2008: 163). Somit wurde ihnen die Möglichkeit der Teilhabe am Arbeitsleben jahrhundertelang verwehrt.
Erst im 19. Jahrhundert gab es erste ernsthafte Versuche, sozial schwachen Randgruppen, darunter auch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, Arbeit anzubieten – in Form der sogenannten Zucht- oder Arbeitshäuser (vgl. u.a. Bramberger 2008). Dabei handelte es sich um Sondereinrichtungen, in denen Menschen mit Behinderung und andere damals geächtete Randgruppen wie etwa Bettler, Diebe, Prostituierte und Homosexuelle (vgl. Häßler/Häßler 2005), die in der normalen Arbeitswelt unerwünscht , aber in begrenztem Maße arbeitsfähig waren, einfache, zumeist handwerkliche Tätigkeiten verrichteten und dafür auch bescheiden entlohnt wurden. Die Motivation dahinter war in dem meisten Fällen keinesfalls eine pädagogische, sondern eher das Bedürfnis der aufstrebenden Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts, angesichts des wachsenden Bedarfs an Arbeitskräften möglichst jeden Bürger, der auch nur begrenzt arbeitsfähig war, in die Arbeitswelt zu integrieren. Die Zustände in diesen Anstalten waren auch noch weit entfernt von pädagogischen Einrichtungen, sondern müssen recht grausam gewesen sein, denn anstelle von pädagogisch ausgebildetem Personal gab es lediglich „Wärter“, die die Arbeit beaufsichtigten und bei Regelverstößen körperliche Strafen androhten und durchsetzten (vgl. Kreissl 2004). Dennoch war es das erste Mal, dass (arbeitsfähige) Menschen mit Behinderung in einer Sondereinrichtung einfache Tätigkeiten verrichten konnten und dadurch eine Möglichkeit der Teilhabe am Arbeitsleben bekamen, was dem späteren Konzept und Prinzip der Werkstätten bereits recht gut entspricht. Es war auch das erste Mal, dass Menschen mit Behinderung mit Arbeit ein bescheidenes Einkommen verdienen konnten, zudem wurden auch die Industriebetriebe eingebunden, die Arbeitsaufträge in die Arbeitshäuser auslagerten, was ebenfalls schon recht exakt dem noch heute in den Werkstätten gebräuchlichen Prinzip der Werkstatt entspricht.
Einen heftigen Bruch erlitt die Entwicklung der Behindertenhilfe in Deutschland durch die Zeit des Dritten Reichs. Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 und die Gräueltaten gegenüber allen, die nicht ihrem Idealbild des „Ariers“ entsprachen, wurden die Hilfeleistungen für behinderte Menschen praktisch zunichte gemacht. Körperlich und geistig behinderte Menschen waren wie auch andere Randgruppen der Diskriminierung, Verfolgung, massenhaften Zwangssterilisierung und schließlich der systematischen Ermordung im Rahmen des sogenannten Euthanasie-Programms schutzlos ausgeliefert. Insgesamt wurden durch die Gräueltaten der Nationalsozialisten geschätzte 350.000 bis 400.000 Menschen mit Behinderung zwangssterilisiert und ca. 70.000 ermordet (vgl. Bosse 2005). Dies war nicht nur ein fürchterliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern warf auch die Entwicklung der Behindertenhilfe in Deutschland quasi auf den Nullpunkt zurück, sodass nach dem Krieg praktisch von vorne begonnen werden musste.
Dennoch gab es nach dem Krieg recht schnell wichtige Impulse für die Integration von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft, auch für die Teilhabe am Arbeitsleben. Diese neuen Ansätze gingen von zwei Gruppen aus: zum einem von den Eltern geistig behinderter Kinder, zum anderen von der Gruppe der im Krieg verletzen Soldaten, den Invaliden.
Die Etablierung der ersten Werkstätten
Auch wenn es, wie im vorigen Kapitel erwähnt, auch schon vor der Etablierung der ersten Werkstätten Versuche gab, Menschen mit Behinderung Arbeit zu geben, wird in der Fachwelt heute die Meinung vertreten, dass es für die Werkstätten keinen direkten historischen Vorgänger gibt, auch, wenn man die Zucht- und Arbeitshäuser des 18. und 19. Jahrhunderts durchaus als solche sehen kann (vgl. Cramer 2009). In der Tat gab es vor der Einführung der ersten Werkstätten sicher zumindest keinen derart zielgerichteten und mit pädagogischem Hintergrund angesetzten Versuch, Menschen mit Behinderung Teilhabe am Arbeitsleben in institutionalisierter Form zu ermöglichen.
Die ersten Werkstätten in Deutschland wurden zu Beginn der 1950er Jahre eingerichtet. Das Konzept der Werkstätten war damals bereits nicht mehr neu und wurde auch nicht in Deutschland erfunden – die ersten Werkstätten wurden bereits in den 1920er Jahren in den Niederlanden als Arbeitseinrichtungen für Sonderschul-Abgänger eingerichtet, in Deutschland entstand die erste Einrichtung 1927 in Düsseldorf (vgl. Meisinger 2001). Sie hatten noch zahlreiche verschiedene Bezeichnungen, meistens „schützende“ oder „beschützte“ Werkstätten, manchmal sogar „Bastelwerkstätten“ oder „Bastelstuben“. Diese Bezeichnungen mögen heute veraltet klingen, sagen aber eigentlich schon sehr viel über den (damaligen) Charakter der Werkstatt aus, denn sie bringen gleich zwei Dinge zum Ausdruck: Zum einem kommt in den Begriffen „(be)schützend“ oder „geschützt“ das bis heute gültige, wenngleich im Zuge der heutigen Anrechte auf Teilhabe und Inklusion zunehmend als überholt geltende Prinzip der Werkstätten als Sondereinrichtungen zum Ausdruck, in denen die Beschäftigten in einem „beschützenden“ Ort, der auf ihre Defizite und Bedürfnisse abgestimmt ist, Arbeit verrichten können. Zum anderen kommt in Begriffen wie „Bastelstuben“ oder „Bastelwerkstätten“ auch ein heute komplett überholtes Bild der Werkstätten zum Ausdruck, nach dem es sich um Einrichtungen handelte, in denen damals in der Tat noch eher „gebastelt“ und einfache Tätigkeiten verrichtet wurden, die eher der reinen Beschäftigung der Klienten dienten und eher wenig kommerziellen Anspruch hatten, wohingegen in den heutigen Werkstätten professionelle Arbeit verrichtet und Fertigungs- und Dienstleistungs-Aufträge erfüllt werden, weshalb das gesamte Werkstatt-Wesen mittlerweile ein hartes Geschäft ist, das mit „Bastelstuben“ nicht mehr viel zu tun hat.
Auch die Finanzierung war in der Anfangszeit noch wenig professionell. So waren die ersten Einrichtungen hauptsächlich von privaten Organisationen durch Spendengelder finanziert worden und erhielten kaum öffentliche Gelder (vgl. Meisinger 2001). Die Hauptzielgruppe der Werkstätten waren damals schon Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Wirklich in Fahrt kam die Werkstattbewegung dann in den 60er Jahren, insbesondere mit der Einführung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) im Jahr 1961. Die Entwicklung der Werkstätten hängt somit untrennbar mit der allgemeinen sozialpolitischen Entwicklung der Bundesrepublik zusammen (vgl. Fachlexikon der sozialen Arbeit 2007). Um die rechtlichen Vorschriften weiter zu konkretisieren, wurde dann 1980 die Werkstättenverordnung (WVO) eingeführt, die unterhalb des BSHG die genauere Ausgestaltung der Werkstätten regelt und den Grundsatz der einheitlichen Werkstatt einführte, der bis heute regelt, welche Anforderungen eine Werkstatt zu erfüllen hat, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. (§1 WVO). Die Entwicklung der Werkstätten schritt stetig fort und unterlag und unterliegt bis heute zahlreichen Wandlungen und Kurswechseln sowohl rechtlicher als auch finanzieller und wirtschaftlicher Natur, so wie eben auch der Arbeitsmarkt und die nationale und weltweite Wirtschaft ständigen Wandelungen ausgesetzt sind. Die Entwicklung schlägt sich auch in den laufend wechselnden Bezeichnungen nieder: Aus den „Beschützenden“ oder „Geschützten Werkstätten“ wurde mit Einführung des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) 1974 die „Werkstatt für Behinderte“ (WfB), die 2001 durch Einführung des Neunten Buches des Sozialgesetzes schließlich zur „Werkstatt für behinderte Menschen“ (WfbM) wurde. Die verschiedenen Bezeichnungen drücken dabei sowohl die fortschreitende Professionalisierung des Werkstatt-Konzepts aus, das sich heute als professionelles und auf die Bedürfnisse der Wirtschaft wie der Beschäftigten abgestimmtes System präsentiert und mit den anfänglichen „Bastelstuben“ nicht mehr viel gemein hat, aber auch die veränderte Sicht auf Menschen mit Behinderung, die heute nicht mehr bloß „Behinderte“ genannt werden, sondern politisch korrekt „Menschen mit Behinderung“ oder zumindest „Behinderte Menschen“, um den betroffenen Personenkreis nicht alleine auf ihre Defizite zu reduzieren und somit Stigmatisierung vorzubeugen.
Die Einführung des neunten Buches des Sozialgesetzes am 1. Juli 2001 wird als „Meilenstein einer fortdauernden Entwicklung“ (Schlummer/Schütte 2006: 16) angesehen. Das SGB IX regelt seitdem die „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“ und löst das 1974 eingeführte Schwerbehindertengesetz ab. Damit sind die Rechte behinderter Menschen nicht nur auf eine neue Ebene gehoben worden, sondern auch übersichtlicher zusammengefasst (vgl. Minniger/Hinterholz/Westermann 2007). Das SGB IX brachte auch einige Neuerungen für die Werkstätten mit sich, so etwa den rechtsgültigen Anspruch auf einen Vertrag über die Arbeit in der Werkstatt (vgl. Mosen 2007) oder auch die Werkstätten-Mitbestimmungsverordnung (WMVO), die als sehr wichtiges Instrument angesehen wird, um die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten zu fördern. Doch auch, wenn die Einführung des SGB IX einige wichtige Neuerungen für die Lage von Menschen mit Behinderung gebracht hat, auch in Bezug auf die Werkstätten, so geschieht dessen Umsetzung bislang noch sehr zögerlich (vgl. ebd.).
Der heutige Entwicklungsstand der Werkstätten
Zahlen und Fakten
Wenn man die noch sehr bescheidenen Anfänge in den 50er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts sieht, ist es doch recht beeindruckend, wie schnell sich in den seitdem vergangenen Jahrzehnten das Werkstattwesen in Deutschland zu einem bundesweit verbreiteten Einrichtungstyp entwickelt hat. Heute existieren genau 701 Werkstätten in Deutschland, in denen 291.711 Beschäftigte arbeiten (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. 2011). Die Werkstätten sind heute eine wichtige Stütze der Behindertenhilfe in Deutschland und die wichtigste Form der Hilfeleistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung. Dabei kommt ihnen eine Doppelfunktion zu, da in den Werkstätten nicht nur Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht wird, sondern sie die Beschäftigten auch auf die Teilhabe vorbereitet, es ist deshalb auch von einem „Doppelcharakter der Werkstatt“ (Haines/Jacobs 2002) die Rede.
Trotz der einheitlichen gesetzlichen Grundlagen sind die Werkstätten in ihrer konkreten räumlichen und konzeptionellen Ausgestaltung auch heute noch recht unterschiedlich: Es gibt Werkstätten mit angegliedertem Wohnheim und sogenannte Wohnstätten, die wie ein eigener, kleiner Stadtteil mit Werkstatt, Wohnmöglichkeiten und Geschäften aufgebaut sind; auch sind einige Werkstätten auf bestimmte Arten von Behinderung zugeschnitten. So gibt es Werkstätten für geistig behinderte Menschen, die angesichts der Tatsache, dass 80% aller Beschäftigten in den deutschen Werkstätten eine geistige Behinderung haben, logischerweise am häufigsten vertreten sind. Daneben gibt es aber auch eine wachsende Anzahl an Werkstätten und Arbeitsbereichen für Menschen mit psychischer bzw. seelischer Behinderung, die aufgrund ihrer spezifischen psychischen Probleme auf dem ersten Arbeitsmarkt kaum vermittelbar sind und auch nur schwer noch in bestehende Werkstätten integriert werden können. Die Klientengruppe der rein körperlich behinderten Menschen stellt in den Werkstätten noch immer eine kleine Minderheit dar, sei es, weil sie nur körperlich und nicht geistig eingeschränkt sind und deshalb mehr Durchsetzungsfähigkeit besitzen und leichter auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelbar sind, sei es, weil Unternehmen immer noch zögern, Menschen mit geistiger Behinderung bei sich einzustellen.
Aufnahmekriterien
Werkstätten für behinderte Menschen bieten ihren Klienten, die meistens Beschäftigte genannt werden, zwar Arbeit, die aufgrund der Tatsache, dass die meisten verrichteten Tätigkeiten mittlerweile hochprofessionelle Auftragsarbeiten für Industriekunden oder auch professionelle Dienstleistungen sind, auch immer mehr einen Beschäftigungsverhältnis auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ähneln. Dennoch gibt es einige Unterschiede, die die Werkstatt noch immer zu einem besonderen Arbeitsort machen:
Trotz ihres Charakters als Wirtschaftsbetrieb, in dem Waren produziert und Dienstleistungen angeboten werden, sind Werkstätten nach wie vor Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation und somit noch immer Einrichtungen des sozialen Hilfesystems, aber keine „ausschließlich leistungsbetonte[n] Produktionsbetrieb[e]“ (Cramer 2009: 86).
Werkstätten für behinderte Menschen stehen allen Menschen mit Behinderungen offen, zunächst unabhängig von den Grad und der Schwere der Behinderung, solange sie nicht, noch nicht oder noch nicht wieder als auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelbar gelten. Ausgenommen sind lediglich Menschen mit Behinderung, die aufgrund ihrer Behinderung eine Selbst- oder Fremdgefährdung darstellen. Zudem muss ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit vorliegen. Wichtigste Gesetzesgrundlage hierfür ist § 137 SGB IX, in dem die Aufnahmekriterien für die Werkstätten geregelt sind. Wer nun als behindert bezeichnet werden kann und wer nicht, ist dabei zweifelsohne schwer zu definieren, und eine Abhandlung, was eigentlich Behinderung ist, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Deshalb beschränke ich mich hier auf die aktuelle rechtliche Definition, demnach gilt ein Mensch als behindert und damit in einer Werkstatt aufnahmeberechtigt, dessen körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht sodass seine Teilhabemöglichkeiten gefährdet sind (§ 2 SGB IX).
Menschen mit Behinderung haben zudem ein Anrecht auf einen Werkstatt-Platz. Im Unterschied zu Arbeitnehmern auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt brauchen sie sich deshalb nicht zu bewerben, sondern müssen lediglich ein Aufnahmeverfahren durchlaufen.
Die Beschäftigten sind zudem auch unkündbar, denn das Anrecht auf den Platz in der Werkstatt ist grundsätzlich zeitlich unbefristet. Darin besteht ein weiterer Unterschied zum ersten Arbeitsmarkt, den man durchaus kritisch sehen kann, denn Menschenmit Behinderung wird auf diese Weise zwar ein sicherer Arbeitsplatz gegeben, andererseits kann man kritisch einwerfen, dass die Beschäftigten dadurch nie, so wie Angestellte auf dem ersten Arbeitsmarkt, in Gefahr geraten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und um ihren Arbeitsplatz kämpfen müssen, obwohl Teilhabe am Arbeitsleben eigentlich auch solche Risiken beinhalten sollte, da sie auf dem ersten Arbeitsmarkt seit Jahrzehnten üblich sind. Andererseits ist durch die liberalen Aufnahmekriterien gesichert, dass Menschen mit Behinderung einen Platz in der Werkstatt bekommen und auch nicht verlieren können – sofern sie ihn benöitgen.
Die Sonderstellung der Werkstätten wird auch dadurch verdeutlicht, dass in fachlichen Diskurs die Werkstätten als „dritter Arbeitsmarkt“ bezeichnet werden. Als „erster Arbeitsmarkt“ gilt im Unterschied dazu der Arbeitsmarkt der freien Wirtschaft, als „zweiter Arbeitsmarkt“ der Bereich der vorbereitenden Maßnahmen auf einen Arbeitsplatz (vgl. Kühn/Rüter 2008).
Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Bezug auf Teilhabe am Arbeitsleben
Das folgende Kapitel setzt sich mit der UN- Behindertenrechtskonvention und ihre Auswirkungen auf die Hilfelandschaft in Deutschland in Bezug auf die Teilhabe am Arbeitsleben auseinander.
Allgemein wird die UN-Konvention, die die Rechte von Menschen mit Behinderung weltweit neu definiert und auf eine neue Stufe stellten soll, als großer Fortschritt gewertet, es ist die Rede von einer „umfassenden[n] Bedeutung für die [inter-]nationale Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse“ (Demke 2011: 28). Gleichwohl wird auch von Befürwortern darauf hingewiesen, dass „[d]ie Realisierung der UN-BRK […] eine Herausforderung für sozialpolitische Verantwortungsträger dar[stellt]“ (ebd.) und es zu „erheblichen legislativen und administrativen Herausforderungen“ kommen wird (Bernstoff 2007, zit. nach Demke 2011). Hier zeigt sich bereits, dass sich die Umsetzung in den einzelnen Vertragsstaaten schwierig gestalten wird, was wiederum die Frage aufwirft, inwieweit die UN-Konvention wirklich Auswirkungen haben wird, sowohl auf die Lebensverhältnisse von Menschen mit Behinderung als auch auf die Hilfeleistungen in den Staaten, die sich verpflichtet haben, sie umsetzen. Auch stellt sich die Frage, inwieweit die neuen Rechte für Menschen mit Behinderung sich auf die allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse in den Staaten auswirken werden.
Grundsätzliches zur UN-Konvention
Die Vereinten Nationen (UN) haben am 13. Dezember 2006 das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, verabschiedet; 2008 trat es offiziell in Kraft. Das Abkommen wird für einen Mitgliedstaat der UN verpflichtend, wenn dieser es anerkennt. Mittlerweile gilt die Konvention für gut drei Viertel aller Länder der Welt, darunter auch Deutschland. Die Konvention wird vereinfacht und abgekürzt UN-Behindertenrechts-konvention genannt, deshalb wird dieser Begriff der Einfachheit halber auch in dieser Arbeit verwendet. In Deutschland wird die Konvention seit März 2009 verpflichtend anerkannt (vgl. Fischer/Heger/Laubenstein 2011).
[...]
- Citar trabajo
- Torsten Scholz (Autor), Franziska Haas (Autor), Vera Papadopoulos (Autor), 2013, Das Recht auf Arbeit. Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/269621
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