Unerträglichen Schmerzen endlich entkommen, das Leiden beenden und friedlich einschlafen – ein verständlicher Wunsch für viele Todkranke und Sterbende. Doch ist es für Angehörige und Ärzte ethisch vertretbar, Sterbehilfe zu leisten? Gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe, also zwischen Tun und Unterlassen?
Die Frage nach dem selbstbestimmten kontrollierten Tod beschäftigt die Menschen seit der Antike und ist doch aktueller denn je. Der vorliegende Band erläutert die Begrifflichkeiten und beleuchtet die Positionen von Kirche, Staat und Medizin vor dem Hintergrund ethischer Werte. Am Beispiel der Schweiz wird dabei ein mögliches Modell diskutiert, das die Beihilfe zum Suizid durch eine Sterbehilfeorganisation erlaubt.
Aus dem Inhalt:
Aktive und passive Sterbehilfe
Positionen von Kirche und Gesellschaft
Autonomie und Menschenwürde
Situation in Langzeitpflegeinstitutionen
INHALTSVERZEICHNIS
Christoph Staufenbiel (2011): Sterbehilfe - Ein Spannungsverhältnis zwischen Moral, Recht und Religion
Vorwort
Einleitung
Begriffsbestimmungen und deren Abgrenzung zueinander
Unterschiedliche Positionen zur Sterbehilfe und ihre Argumentation
Das moralische Dilemma der Sterbehilfe am Fall von Ramón Sampedro
Legalisierung aktiver Sterbehilfe - ein Versuch eines Lösungsansatzes
Fazit
Literatur - und Quellenverzeichnis
Thomas Must (2007): Sterbehilfe. Das Recht auf einen moralisch gerechtfertigten Freitod
Einleitung
Zum Vorverständnis
Das Recht zum Freitod
Mögliche Contra-Positionen und Missverständnisse
Fazit: Das Recht freiwillig zu sterben
Literaturverzeichnis
Maria Röttger (2009): Beihilfe zum Suizid und aktive Sterbehilfe im Kontext von Menschenwürde und Autonomie. Eine Auseinandersetzung auf praktischer, ethischer und theologischer Ebene
Einleitung
Begriffsbestimmungen und Rechtsgrundlagen
Praktische Umsetzung
Soziale Einflussfaktoren
Ethische Argumentationen
Theologische Aspekte
Konsequenzen für Medizin und Pflege
Fazit
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Helmut Kaiser (2001): „Sterbehilfe“ in Langzeitpflegeinstitutionen. Überlegungen zur Beihilfe zum Suizid aus theologisch-ethischer Perspektive
Das Vorgehen
Problem- und Situationsanalyse
Argumentationsmodelle, Begründungen, Verhaltensalternativen
Urteilsentscheid
Zusammenfassung oder die Forderung nach Evaluation, Kritik und
Mitbestimmung
Christoph Staufenbiel (2011): Sterbehilfe - Ein Spannungsverhältnis zwischen Moral, Recht und Religion
Vorwort
„Ramón träumt sich ins Meer, taucht ein und unter, wann immer es ihm die Fantasie erlaubt. Denn er liebt das Meer, auch wenn es ihm fast das Leben nahm. Vor 27 Jahren hatte er einen Unfall, als er in dieses Meer sprang - seither ist er querschnittsgelähmt, ist sein Körper gestorben. Und seit 27 Jahren möchte er, dass auch sein Kopf sterben kann. Aber für den Tod würde er Hilfe brauchen (…).“1
Das Schicksal von Ramón Sampedro basiert auf einer wahren Geschichte und wurde im Jahr 2004 verfilmt. Ramón Sampedro ist seit 1968 querschnittsgelähmt und an den Rollstuhl gefesselt. Er lehnt diesen jedoch strikt ab, da er mit diesem Hilfsmittel nicht leben kann. Er ist entschlossen zu sterben, er möchte sterben, aber er darf nicht.2 Seine Sehnsucht nach dem Tod formuliert er in einem seiner Gedichte. „Ins Meer hinein, ins Meer, in seine schwerelose Tiefe, wo die Träume sich erfüllen und Zwei in einem Willen sich vereinen, um zu stillen eine große Sehnsucht".3
Mehrere Jahre kämpfte Ramón Sampedro vor spanischen Gerichten darum, aus dem Leben scheiden zu dürfen, doch 1993 verliert er den Prozess. Seine Familie weigert sich, ihm beim Sterben zu helfen. Erst im Jahr 1996 lernt er Ramona Maneiro kennen, die auf seine Anweisung eine Wohnung mietet und am 12. Januar 1998 Ramón hilft, mit einem Strohhalm aus einem Glas Wasser versetzt mit Zyankali zu trinken. Seinen Tod ließ er mit einer Videokamera dokumentieren. Nach fast dreißig Jahren gefesselt an das Bett starb er qualvoll.4
Wäre es nicht sinnvoll aufgrund der Umstände, den Wunsch von Ramón Sampedro, sterben zu wollen, zu berücksichtigen, um ihm einen würdevollen Tod ohne Schmerzen zu ermöglichen? Welche Argumente sprechen dafür und welche dagegen? In nachfolgenden Abschnitten dieser Modularbeit soll auf diese Schwerpunkte eingegangen werden.
Einleitung
Das Thema der Sterbehilfe ist ein hoch aktuelles, brisantes und sehr sensibles Thema. Was passiert, wenn solch ein Schicksalsschlag wie von Ramón Sampedro das Leben derart verändert, dass der Wunsch von unheilbar kranken Menschen oder gelähmten Menschen geäußert wird, sie durch den Tod zu erlösen? Es ist sehr schwierig nachzuvollziehen, dass jemand freiwillig den Wunsch äußert, sterben zu wollen, wenn man als Angehöriger oder als außenstehende Person nicht direkt betroffen ist.
Der Verfasser verfolgt mit der Auseinandersetzung mit diesem Thema das Ziel, dass der Leser für das Thema der Sterbehilfe durch einen authentischen Fall sensibilisiert wird und die Möglichkeit bekommt, die Sterbehilfe aus einer objektiven Sicht zu betrachten, um am Ende eventuell für sich persönlich zu entscheiden, ob aktive Sterbehilfe legalisiert werden oder verboten bleiben sollte.
Bewusst steht der Titel der Modularbeit: „ Sterbehilfe - Ein Spannungsverh ä ltnis zwischen Moral, Recht und Religion “ für die unterschiedlichen Positionen der Sterbehilfe, Befürworter und Gegner, die sich auf die moralischen, rechtlichen und religiösen Aspekte stützen.
Um einen Einblick in die Thematik zu ermöglichen, gliedert sich die Modularbeit wie folgt:
Im zweiten Abschnitt wird eine Auflistung von Begriffsbestimmungen und deren Abgrenzung zueinander aufgeführt, um einen Überblick über die einzelnen Begriffe zu geben, die mit dem Thema der Sterbehilfe einhergehen. Dieser Schritt ist erforderlich, da durch ihn eine theoretisch fundierte Diskussion im späteren Verlauf der Modularbeit gestützt werden kann.
Des Weiteren werden unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Sterbehilfe dargestellt, die es dem Leser ermöglichen sollen, das Thema aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. Im vierten Abschnitt wird das moralische Dilemma der Sterbehilfe am Fall von Ramón Sampedro dargestellt und mit Pro- und Contra-Argumenten begründet und diskutiert. Im nachfolgenden Abschnitt wird unter der Berücksichtigung der theoretischen Erkenntnisse der Versuch unternommen, Lösungsansätze zu präsentieren, wie in Zukunft mit dem Thema Sterbehilfe umgegangen werden könnte. Zuletzt folgt das Fazit mit persönlichen Feststellungen und Kritikansätzen zu dem Thema.
Begriffsbestimmungen und deren Abgrenzung zueinander
Häufig wird bei Sterbehilfe von Tötung und sogar von Mord gesprochen. Daher erfolgt in diesem Abschnitt eine Abgrenzung der Begrifflichkeiten zueinander, die mit der Sterbehilfe in Kontext gebracht werden, sowie deren Begriffsbestimmung. Dieser Vorgang ist notwendig, um die richtige Verwendung der Begrifflichkeiten im Verlauf der Modularbeit zu gewährleisten und um eine sachliche Diskussion zu ermöglichen. Daher gilt es an dieser Stelle zu klären, was unter den Begriffen Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen, unterlassene Hilfeleistung, aktive, passive sowie indirekte Sterbehilfe und Sterbebegleitung zu verstehen ist.
Unterlassene Hilfeleistung
„Der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung ist eine Straftat im Sinne des Strafgesetzbuchs.“5 In §323c StGB werden die Voraussetzungen für diesen Tatbestand geregelt, dass „jeder Mensch dazu verpflichtet ist, einem anderen Menschen in einer Notlage Hilfe zu leisten.“6 Oftmals wird dieser Begriff insbesondere mit Verkehrsunfällen in Verbindung gebracht, wobei ein Mensch einem anderen Menschen keine Hilfe anbietet, obwohl dies erforderlich ist. Dazu kann es reichen, dass der Helfer die Polizei sowie den Notruf verständigt und den Unfallort absichert. Die unterlassene Hilfeleistung kann dabei vorsätzlich, aber auch nicht vorsätzlich sein.
Tötung auf Verlangen
„Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden(...)“7, so wird nach Tatbestand aus dem §216 StGB von Tötung auf Verlangen gesprochen. In Deutschland sind diese Regelungen strikt festgeschrieben. Wenn eine Person A beispielsweise in die Tötung einwilligt, darf eine andere Person B diese Person A nicht töten. Der Person B würde, im Fall einer Tötung von Person A, vorsätzlich handeln.
Totschlag
Totschlag ist ein Strafbestand aus dem §212 StGB und definiert sich wie folgt: „Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.“8 Der Totschlag erfolgt affektiv und nicht wie bei einem Mord durch Mordlust.
Mord
Mord ist ein Strafbestand aus dem §211 StGB. Als Mörder wird eine Person bezeichnet, wenn diese „aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.“9 Ein Mörder handelt vorsätzlich und aus niedrigen Beweggründen. Ein Mörder plant daher eine Tötungstat und handelt nach grausamen Methoden.
Aktive Sterbehilfe
Nach Arndt ist die aktive Sterbehilfe „das Töten von Patienten wird durch einen aktiven, nicht gebotenen medizinischen Eingriff gezielt verkürzt oder beendet. Dies geschieht aus Mitleid, um weiteres Leiden zu verhindern (...). Eine gezielte Tötungshandlung ist in Deutschland verboten und als Tötungsdelikt strafbar.“10
Charakteristisch ist hierbei, dass es um die gezielte Tötung und das gewollte Beenden des Lebens eines Patienten geht. Der Vorgang wird vom Arzt vorgenommen und kontrolliert.
Es werden dabei die freiwillige aktive Sterbehilfe und die unfreiwillige aktive Sterbehilfe unterschieden. Die freiwillige aktive Sterbehilfe erfolgt aufgrund eines Einverständnisses des Patienten, der dazu in der Lage ist, sich schriftlich oder mündlich zu äußern. Die unfreiwillige Sterbehilfe erfolgt nicht aufgrund eines Einverständnisses des Patienten, da der Patient nicht mehr in der Lage ist, aufgrund eines schlechten gesundheitlichen Zustands sich zu äußern.11
Passive Sterbehilfe
„Passive Sterbehilfe ist das Unterlassen oder Beenden von außerordentlichen lebensverlängernden Maßnahmen bei sterbenden Patienten. Dies ist nach deutschem Recht straflos.“12
Die passive Sterbehilfe zielt demnach darauf ab, lebensverlängernde, künstliche Maßnahmen zur Erhaltung der Lebensfunktionen des Patienten zu beenden. Die passive Sterbehilfe erfolgt, wenn keine Aussicht auf Heilung besteht. Rechtlich ist diese Art der Sterbehilfe legitimiert, wenn der Patient vorher sein Einverständnis abgegeben hat.13 Dieses
Einverständnis wird auch Patientenverfügung genannt. Die
Bundesärztekammer hat im Gesetzesantrag im Jahr 2006 beschlossen, dass die passive Sterbehilfe im Einzelfall vertretbar ist.14
Indirekte Sterbehilfe
„Die indirekte Sterbehilfe umfasst therapeutische Maßnahmen im Bereich der Symptomkontrolle, die den Sterbeprozess für den Patienten erleichtern. Sie haben Nebenwirkungen, die eine Lebensverkürzung nach sich ziehen. Diese ist jedoch nicht das Ziel der Maßnahme, wird aber in Kauf genommen (z. B. Schmerzbehandlung mit der Folge einer Atemdepression).“15
Im Zentrum der indirekten Sterbehilfe steht dabei die Schmerzlinderung des Patienten, um dem Sterbenden unter humanen schmerzfreien Bedingungen das Sterben zu erleichtern. Dies erfolgt mithilfe von Medikamenten. Die Verkürzung des Lebens des Patienten wird dabei in Kauf genommen. Indirekte Sterbehilfe ist straflos und in Deutschland immer mehr verbreitet.
Sterbebegleitung
„Sterbebegleitung heißt vor allem, den Weg des schwerkranken Patienten durch seine physischen und psychischen Schmerzen zu begleiten und zu lindern - für ihn da zu sein und den Prozess des Sterbens mitzugehen und aushalten zu können.“16
Es geht darum, den Patienten in der Phase des Sterbens zu unterstützen. Die Sterbebegleitung ist für Ärzte und das Krankenhauspersonal verpflichtend. Weiterhin unterstützen meist Familienangehörige den Sterbenden. Es ist aufgrund der heutigen wirtschaftlichen Zwänge und des heutigen Lebenswandels bedingt, dass das Zusammenleben von mehreren Generationen immer schwieriger wird und dadurch die Begleitung von Familienangehörigen nicht mehr zu bewältigen ist. Oftmals findet die Sterbebegleitung in Hospizhäusern statt, wo Sterbende von ausgebildetem Pflegepersonal bis zum Tod begleitet werden.17
Unterschiedliche Positionen zur Sterbehilfe und ihre Argumentation
Nachdem im vorangegangenen Abschnitt Begriffsbestimmungen und deren Abgrenzung hinsichtlich der Sterbehilfe erfolgten, werden nachfolgend die unterschiedlichen Positionen zu dem Thema dargestellt. Diese begründen sich durch Argumente, die für und gegen die Sterbehilfe stehen. Es ist notwendig die unterschiedlichen Positionen aufzuzeigen, da diese eine objektive Herangehensweise an das Thema der Sterbehilfe ermöglichen und dem Leser die Möglichkeit geben, sich eine eigene Meinung bilden zu können.
Position der christlichen Kirche
Die Positionen der evangelischen sowie katholischen Kirche sind dabei relativ konform. „Aktive Sterbehilfe muss Tabu bleiben“18 fordert die evangelische Kirche. Auch die katholische Kirche lehnt die aktive Sterbehilfe ab.19
Das vordergründige Argument beider Kirchen begründet sich daraus, dass nur Gott der Schöpfer über Leben und Tod bestimmt und daher kein Mensch über das Ende des Lebens eines anderen Menschen entscheiden darf. Auch Suizid ist nicht erlaubt, denn das wäre gegen Gottes Willen. So im Zitat aus Jesaja, Kapitel 45: „Ich erschaffe das Licht und mache das Dunkel, ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil. Ich bin der Herr, der das alles vollbringt.“20 Es würde also dem christlichen Glauben widersprechen, das Sterben durch ein aktives Eingreifen vorzeitig zu beenden.
Zwar wird die aktive Sterbehilfe sowohl in der katholischen Kirche als auch in der evangelischen Kirche strikt abgelehnt, die passive Sterbehilfe ist jedoch bei beiden Kirchen geduldet.21 Passive Sterbehilfe setzt dennoch voraus, dass das Einverständnis des Patienten vorliegt. Dies bedeutet dann, dass die Ärzte auf lebensverlängernde Maßnahmen bei einem unheilbar kranken Menschen verzichten.22 Ebenfalls stimmt die christliche Kirche der indirekten Sterbehilfe zu, da im Vordergrund die Schmerzlinderung steht, um ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen.23
Position des deutschen Ethikrates
Der deutsche Ethikrat ist ein unabhängiger Sachverständigenrat, der sich aus unterschiedlichsten Vertretern der Gesellschaft zusammensetzt. Dazu gehören 26 Mitglieder aus Wissenschaftsgebieten wie der Philosophie, Theologie, Medizin, Naturwissenschaften und anderen Bereichen der Wissenschaft. Der deutsche Ethikrat hat unter anderem den Auftrag, unterschiedliche ethische Ansätze aus verschiedenen Blickwinkeln zu diskutieren und in Beziehung mit ethischen Grundwerten zu setzen.24 Somit beschäftigt sich der deutsche Ethikrat ebenfalls mit ethischen Fragen der Sterbehilfe und vertritt eine ganz klare Position und zwar „Sterbenlassen statt Sterbehilfe.“25
Die aktive Sterbehilfe wird dabei abgelehnt, da diese moralisch nicht vertretbar ist und „soll auf jeden Fall strafbar bleiben.“26
Auch den Begriff der Sterbehilfe, in Bezug auf die Formen aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe, lehnt der Ethikrat ab, um Missverständnisse hinsichtlich der Begrifflichkeiten zu vermeiden. Stattdessen wird wie bereits erwähnt vom Sterbenlassen gesprochen.27 Durch den Gebrauch der neuen Terminologie „soll der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen stärker in den Vordergrund gerückt werden. Die 'inaktive Sterbehilfe' hingegen sieht der Ethikrat als keine konkrete Form der Sterbehilfe an.“28 Damit ist gemeint: „jeder unheilbar Kranke und Sterbende habe Anspruch darauf, unter menschenwürdigen Bedingungen behandelt, gepflegt und begleitet zu werden (…). Bei allen Maßnahmen sei der Wille des Betroffenen entscheidend. Jeder Patient habe das Recht, eine medizinische Maßnahme abzulehnen, auch wenn diese Maßnahme sein Leben verlängern könnte.“29
Position der Bundesärztekammer
Eindeutig ist ebenfalls die Einstellung der Ärzteschaft. Nur 30% der Ärzte befürworten eine aktive Sterbehilfe unter den Bedingungen, dass eine „hoffnungslose Prognose, die gute Kenntnis des Patienten sowie ein hoher Leidensdruck“30 zutreffen. Hingegen lehnen 70% der Ärzte eine aktive Sterbehilfe mit dem Argument ab, dass sie nicht diejenigen sein wollen, die beispielsweise die Todesspritze verabreichen sollen.31 An dieser Stelle wird der Konflikt mit dem hippokratischen Eid deutlich, der besagt: „Ich werde niemandem, auch auf eine Bitte nicht, ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen (…).“32 Die 30% der Ärzte, die die aktive Sterbehilfe befürworten, führen des Weiteren als Argument an, dass durch die Entwicklung der modernen Medizin und der dadurch entstandenen Möglichkeiten die ethischen Probleme des hippokratischen Eides vertretbar wären. Die ethische Ausgangseinstellung von Ärzten ist, „Menschen gesund zu erhalten, Krankheiten zu erkennen und zu bekämpfen, Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen.“33
Aktuell werden in der Medizin die indirekte sowie die passive Sterbehilfe geduldet. Eine aktuelle Regelung der Bundesärztekammer hinsichtlich der Grundsätze zur Sterbebegleitung bietet den Ärzten mehr rechtliche Sicherheiten bei der Begleitung und Betreuung von todkranken Menschen. Denn „bislang galt die Beihilfe zur Selbsttötung eines todkranken Patienten ausdrücklich als ‚unethisch’. Jetzt heißt es lediglich: ‚Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe.’“34 Diese Regelung der Grundsätze stärkt das Selbstbestimmungsrecht der Patienten und ermöglicht es den Ärzten, indirekte sowie die passive Sterbehilfe ethisch zu vertreten.35
Position der Bevölkerung
Im Jahr 2011 wurden auf einem Umfrageportal-Allensbach 1800 Menschen zum Thema: ‚Sind Sie für oder gegen die aktive Sterbehilfe?’ befragt. Dabei befürworten ca. 58% die aktive Sterbehilfe, 20% sind unentschieden und die wenigstens mit knapp 19% sind dagegen.36 Wie repräsentativ diese Umfrage im Hinblick auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden.
Eine Umfrage aus dem Jahr 2001 bis 2002 zeigt folgendes Ergebnis. Eine Zustimmung zu den unterschiedlichen Formen der Sterbehilfe, darunter auch aktive Sterbehilfe, liegt mindestens bei 50%.37
Eine weitere Umfrage zur aktiven Sterbehilfe wurde von der Deutschen Hospiz Stiftung vom Jahr 1997 bis 1995 vorgenommen, wobei 1000 Menschen bei der Befragung teilgenommen haben. So befürworten nur 35% der Befragten die aktive Sterbehilfe.38 56% befürworten die Hospizarbeit, also die Sterbebegleitung bis hin zum Tod.
Interessant an der Studie ist, dass es beim Meinungsbild über die aktive Sterbehilfe geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. So befürworten 40% aller Männer und nur 31% aller Frauen die Sterbehilfe.
Die Ergebnisse der vorgestellten Umfragen zeigen, dass die Meinungen sehr unterschiedlich sind. Deutlich wird jedoch, dass die Sterbehilfe überwiegend befürwortet wird.
Das moralische Dilemma der Sterbehilfe am Fall von Ramón Sampedro
„Vierzig Sekunden dauert es ungefähr: Sekunden, in denen der Körper verrückt wird und einem alle möglichen Gedanken durch den Kopf schießen. Sekunden intensivsten Lebens, in denen Angst und Glück auf den gleichen Namen hören; Sekunden, auf die ein Leben Jahre lang gespannt blieb. Ramón Sampedro schaut während dieser Sekunden in die Kamera, die er vor seinem Bett hat aufstellen lassen. 'Ich glaub, es geht los', sagt er noch. Die Andeutung eines Lächelns begleitet das letzte Wort: 'Wärme'. Dann rollen die Augäpfel nach hinten; man sieht das Weiße; im offenen Mund verklumpt die Zunge zum Pfropf. Der Kopf schnellt hin und her. Dann ist es vorbei.“39
Ramón Sampedro starb allein, schmerzvoll und menschenunwürdig. Sollen daher schwerkranke Menschen vom ihrem Leiden erlöst werden? Und sollen auch die Menschen Sterbehilfe in Anspruch nehmen dürfen, die wie im Fall von Ramón schwerbehindert sind?
Die Befürworter der Sterbehilfe würden dem zustimmen, die Gegner seinen Tod stark verurteilen.
In diesem Abschnitt wird demzufolge der Versuch unternommen, das moralische Dilemma der Sterbehilfe am Fall von Ramón Sampedro aus der Sicht der Befürworter und Gegner darzustellen. Zu Beginn jedoch muss geklärt werden, was unter einem moralischen Dilemma zu versteht ist.
Ein „moralisches Dilemma beschreibt eine Situation, in der mindestens zwei moralische Prinzipien miteinander - oder sogar mit sich selbst - in Konflikt geraten, indem sie dem Handelnden zwei völlig entgegengesetzte Handlungen vorschreiben.“40
Das moralische Dilemma im Fall von Ramón Sampedro besteht darin, dass Ramón sich auf sein Selbstbestimmungsrecht berufen hat und sterben will. Er kann sich jedoch aufgrund seiner Querschnittslähmung nicht selber töten und verpflichtet eine andere Person, dies zu tun. Diese Person steht jedoch vor einem Handlungskonflikt, denn rechtlich gesehen macht sich diese Person strafbar. Nach deutschem Recht wäre der Fall von Ramón kein Mord und auch kein Totschlag. Allerdings könnte dies dem Tatbestand Tötung auf Verlangen nach §216 StGB zugeordnet werden. Aus rechtlicher Sicht darf, auch trotz Einverständnis des Patienten, niemand die Tötung vornehmen.
Wird der Fall aus der Sicht der Befürworter von Sterbehilfe dargestellt, so greifen folgende Argumente. Eins der wichtigsten Argumente ist dabei, dass jeder Mensch das Recht auf Selbstbestimmung hat und daher die Entscheidung, freiwillig und menschenwürdig aus dem Leben scheiden zu wollen, jedem selbst überlassen sein sollte. Demgegenüber steht das Argument der christlichen Kirche. Gott allein bestimmt, wann der Tod eintritt, und daher darf kein Mensch über das Ende eines Lebens bestimmen.
Ein weiteres Argument für die aktive Sterbehilfe wäre die Solidarität. In Anbetracht dessen, dass im Fall Ramón ein vollwertiges Leben aufgrund seiner Querschnittslähmung nicht möglich ist und er auf die Hilfe anderer angewiesen ist, muss er die Möglichkeit bekommen, auf Wunsch aus dem Leben scheiden zu können. Ramón fühlt sich als Belastung für seine Mitmenschen und möchte diese Last niemandem mehr zumuten.
Die aktive Sterbehilfe würde Ramón ein sanftes Sterben ohne Schmerzen ermöglichen, denn die Medizin verfügt über solche Möglichkeiten, dass der Patient friedlich und ohne Schmerzen einschläft.
Die Gegner drehen den Kern der Aussage um und vertreten die Position, dass aus Solidarität dem Menschen geholfen werden muss, die Krankheit oder die Schmerzen zu ertragen. Außerdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass mögliche Komplikationen auftreten und dadurch Schmerzen und Leid verursacht werden.
Die Pro- und Contra-Argumente verdeutlichen, dass das Thema Sterbehilfe eines sehr sensiblen Zugangs bedarf. Dazu kommt, wie im Fall von Ramón Sampedro, dass der Umgangs mit extremen Behinderungen die Diskussion um Legalisierung der Sterbehilfe noch komplizierter macht, denn Ramón hat keine unerträgliche Schmerzen, ist nicht depressiv und steht nicht unmittelbar vor einen bevorstehenden Tod. Trotzdem empfindet er seine Existenz als würdelos. Daher ist es schwierig zu beurteilen, ob sein Tod gerechtfertigt ist oder nicht.
Legalisierung aktiver Sterbehilfe - ein Versuch eines Lösungsansatzes
Unter der Betrachtung der Pro- und Contra-Argumente hinsichtlich der Legalisierung von aktiver Sterbehilfe ist an dieser Stelle zusammenfassend eine eindeutige Antwort: Legalisierung „Ja“ oder „Nein“ nicht möglich. Das Thema ist sehr komplex und daher kann der Verfasser nur den Versuch unternehmen, Lösungsansatze zu formulieren.
Das Thema der Sterbehilfe sollte mehr im öffentlichen Diskurs stehen und aus der Schublade der „Tabu-Themen“ hervortreten. Die Menschen müssen mehr aufgeklärt werden, doch zuerst muss eine gesetzliche Grundlage und Regelung geschaffen werden. Daher ist es wichtig, über das Thema zu diskutieren und sich von starren Pro- und Contra-Argumenten etwas zu lösen und diese mehr auszubauen. Vor allem muss vom Fall zum Fall ein individueller Zugang gefunden werden.
Wichtig ist jedoch, dass Möglichkeiten der Genesung und Leidensbegrenzung ausgeschöpft sein müssen und der Betroffene zum Zeitpunkt seiner Willensbekundung psychisch gesund sein muss. Daher sollte rechtlich gesehen eine Patientenverfügung im Vorfeld ausgestellt werden, um rechtliche Problematiken für die Beteiligten zu vermeiden.
Ein Missbrauch kann auf diese Weise verhindert werden, denn die Behandlung von schwerkranken Patienten ist teuer und auch die lebenslange Pflege wie bei Ramón ist ein Kostenfaktor für das Gesundheitswesen und die Versicherungen.
Es muss daher sichergestellt werden, dass aus der Möglichkeit, aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, kein Zwang entsteht. Im Fall Ramón kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene durch seine Pflegebedürftigkeit sich nicht genötigt gefühlt hat, die Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, um seinen Mitmenschen und Angehörigen nicht zur Last zu fallen.
Daher wäre es notwendig, dass Richtlinien eingeführt werden im Hinblick auf Hilfe durch Begleitung zur Sterbehilfe. Ein weiterer Vorschlag bezieht sich auf den Ausbau von Hospizen. Bedeutend ist ebenfalls die ärztliche Aufklärung von Betroffenen und deren Angehörigen, denn dadurch kann die Fähigkeit zur Einwilligung sterben zu wollen überprüft werden und Fremdbestimmtheit durch Dritte kontrolliert werden.
Weiterhin sollten Varianten der gewünschten Begleitung und Betreuung angeboten werden, sowie eine Freistellung der Angehörigen von der Arbeit, um ein sterbendes Familienmitglied begleiten zu können. Ein realistischer Lösungsweg für Deutschland wäre der Ausbau der Palliativmedizin mit Möglichkeiten zur Sterbehilfe, da dabei die Lebensqualität der Betroffenen bis zum Ableben im Vordergrund steht.
Fazit
Nach der Auseinandersetzung mit dem Thema und dem Abwiegen von Pro- und Contra-Argumenten kann sich der Verfasser trotz der Fülle an Argumenten und der herangezogenen Literatur zu dem Thema nicht endgültig positionieren, ob aktive Sterbehilfe legalisiert werden sollte oder nicht. Es wird der Anschein erweckt, als ob es sich um den Begriff selbst handelt und nicht um die einzelnen Schicksale.
Die Debatte in Deutschland sollte daher intensiver ausgebaut werden und es müssten weitere Perspektiven und Erfahrungsberichte aus Ländern berücksichtigt werden, in denen aktive Sterbehilfe legal ist, beispielsweise in Belgien.
Um den Weg der Legalisierung zu gehen, müssen viele rechtliche, ethische, moralische und religiöse Aspekte berücksichtigt werden. Die Debatte sollte jedoch Flexibilität erlauben, um sich nicht auf den Pro- und ContraArgumenten zu versteifen.
Daher ist es wichtig, dass gesetzliche Regelungen und Rahmen geschaffen werden, damit allen Menschen ein würdiges Leben und Sterben ermöglicht werden kann.
Bedenken hat der Verfasser, dass wenn aktive Sterbehilfe legalisiert wird, der Tod als ein leichter Ausweg akzeptiert wird und es vermehrt zu Fällen des Missbrauchs kommen könnte. Der Tod nimmt dann einen Charakter einer „Medizin“ an, die wie eine Tablette genommen werden kann und „Heilung“ in Form des Todes eintritt.
Für den Verfasser stellt sich die Frage, inwieweit die Menschen in Deutschland, deren Leben vor allem in der Großstadt durch Konsum und Leistungsdruck bestimmt ist, in der Lage sind, mit solchen Dimensionen wie der Entscheidung über Leben und Tod umzugehen? Stumpfen die Menschen dann nicht ab, wenn es um den Tod geht? Wann wird die moralische Grenze überschritten? Setzt das Überschreiten in dem Moment ein, wenn die Legalisierung einsetzt? Zwar könnten die Gesetze wieder geändert werden, aber was ist mit denen, die bis dahin getötet wurden? Auch im Fall von Ramón Sampedro ist es schwer zu urteilen, da nur er selbst wirklich wissen konnte, wie es ihm psychisch und physisch erging. Daher ist es schwer für Menschen, darüber zu diskutieren, die nicht ein ähnliches Schicksal erlitten haben.
Als persönliche Erkenntnis kann der Verfasser zusammenfassend sagen, dass jedem Menschen das Recht gewährt werden muss, über das eigene Leben und die Art und Weise sowie den Zeitpunkt des Ablebens zu bestimmen. Daher sollte dieser Wunsch respektiert werden. Was für den Verfasser unverzichtbar ist, ist eine intensive medizinische und psychologische Begleitung und Unterstützung der Betroffenen, deren Angehörigen und des medizinischen Personals.
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Thomas Must (2007): Sterbehilfe. Das Recht auf einen moralisch gerechtfertigten Freitod
Einleitung
Bei einem Autounfall wird Herr A. schwer verletzt und muss sofort ins Krankenhaus. Nach einigen Notoperationen stellen die Ärzte fest, dass dem Patienten letztlich aufgrund seiner schweren Verletzungen nicht mehr geholfen werden kann und er bald sterben wird. Wie viel Zeit dem Patienten noch bleibt, können die Ärzte jedoch nur vage vermuten. Um den prophezeiten Tod hinauszuzögern, müssen verschiedene Maschinen dessen Leben erhalten und Schmerzmittel soweit möglich das Leid lindern. Er selbst ist bei Bewusstsein und kann unter extremen Schmerzen manchmal auch sprechen. Andere Bewegungen sind nicht ausführbar, bis auf gelegentliche, krampfartige Zuckungen. Seine Angehörigen trauern um sein Leid, aber noch viel mehr darum, dass er unter solchen Umständen und Schmerzen auf seinen Tod hinsiecht. In Anwesenheit des behandelnden Arztes bittet der Patient diesen plötzlich um einen letzten Wunsch: Keine Schmerzen mehr. Sterben.
Herr A. hat damit einen Willen geäußert, der im Laufe der Geschichte bis heute für brisante Diskussionen gesorgt hat. Er entschließt sich für den Freitod, d.h. für die eigenwillige Tötung seiner selbst. Dieser Tatbestand ist freilich besonders heute nicht mehr das Problem. Doch Herr A. ist nicht imstande, sich selbst zu töten und bittet darum den Arzt um Hilfe: Sterbehilfe. Eine der größten Problematiken in der Medizin, Ethik, Religion und im Recht, die den betroffenen Arzt sowohl in einen Gewissens- als auch Rechtskonflikt treibt, wird heute in Politik, Medizin und Philosophie mehr denn je diskutiert. Dogmatische Gebote und Verbote aus Religion und Tradition scheiden die Gesellschaft und errichten eine kaum überwindbare Mauer zwischen den Befürwortern und Gegnern der Sterbehilfe. In der vorliegenden Arbeit soll die Position der Befürworter eingenommen werden, um im Hinblick diverser Argumente aufzuzeigen, dass der Mensch ein Recht auf den moralisch gerechtfertigten Freitod hat und das auch, wenn er selbst dazu nicht imstande ist und über die Sterbehilfe sein Recht einfordern muss.
Zweck dieser Arbeit ist nicht im Hauptaspekt die Unterscheidung zwischen der allgemein erlaubten passiven und der fast überall verbotenen aktiven Sterbehilfe, sondern generell darzulegen, dass der Mensch ein Recht auf diese Hilfe hat, sei es passiv oder aktiv. Da die Gesetzeslage von Staat zu Staat sehr unterschiedlich ausfällt, sollen hier nicht alle Beispiele aufgeführt werden. Diskussionsmittelpunkt ist die Lage in Deutschland und gegebenenfalls der Vergleich zu den Niederlanden und der Schweiz. Zu Beginn sollen bestimmte Begrifflichkeiten geklärt werden, die wichtig für das Verständnis der vorgelegten Argumentationen sind. Danach werden diverse Argumente und Positionen herangezogen, die ein solches Recht, inklusive der Sterbehilfe, befürworten und gar fordern, wobei der Ausdruck „uneingeschränkte Sterbehilfe“ verwandt wird, der jedoch nichts anderes meint als die Erlaubnis zur aktiven, passiven und indirekten Sterbehilfe. In einem dritten Punkt stehen verschiedene Meinungen der gegnerischen Position zur Verfügung, die unter anderem mithilfe der vorangegangenen Pro-Argumente negiert werden sollen. Abschließend ist zu sagen, dass, wie bereits weiter oben gesagt, nicht die Unterscheidung zwischen der aktiven und passiven Sterbehilfe im Mittelpunkt dieser Arbeit steht, sondern die Frage nach der moralischen Rechtfertigung zu einem Freitod mittels der Anwendung der Sterbehilfe.
Zum Vorverständnis
Um die hier geführte Argumentation nicht in die Irre verlaufen zu lassen und Missverständnissen vorzubeugen, werden die wichtigsten Begriffe angeführt und verdeutlicht, inwiefern sie in der vorliegenden Arbeit zu verstehen sind und wie sie verwendet werden. Besonders die Erläuterung und Festlegung der Begriffe „Freitod“ und „Sterbehilfe“ ist von großer Bedeutung, da in herrschenden Diskussionen und der themenverwandten Literatur eine einheitliche Definition in der Form nicht vorzufinden ist.
Der Begriff des Freitods
Der Freitod beschreibt grundsätzlich das freiwillige Sterben. In der Antike waren es vor allem römische Heerführer, die sich bei einer schweren Niederlage das Leben nahmen, um ihre Ehre zu retten. Ein Tod, der moralisch vollkommenen vertretbar schien: mors voluntaria - ein Begriff, den besonders japanische Offiziere noch bis ins 20.Jahrhundert hinein als moralischen Ausweg aus einer „unehrenhaften“ Situation vorzogen. Von der „helden-umwobenen“ Definition wird hier jedoch eher abgesehen, um sich auf die der antiken Philosophie zu stützen: Der Freitod im Sinne eines würdigen oder friedlichen Sterbens, sowie es die Stoa und besonders die Eudaimonie lehrt. Somit sollte ein unnötiges Leiden für einen ruhigen und friedlichen Tod aufgegeben werden. Auch hier beschreibt man diesen
Freitod als mors voluntaria, wodurch noch einmal der Charakter der freiwilligen Handlung zum Ausdruck kommt. Schon bald jedoch wurde der Begriff des Freitods durch den christlich geprägten „Selbstmord“ ersetzt. Nun war der einstige antike Begriff zu einer verwerflichen Sünde mit einem moralisch arg negativen Beigeschmack umformuliert worden. Der Selbstmord stand jetzt für das gewaltsame Nehmen eines Lebens, in dem Fall des eigenen, das nach religiöser Auffassung heilig ist. Genau in diesem Punkt setzt auch die heutige Diskussion zu diesem Thema und die Uneinigkeit der Parteien an: Der Streit um „Freitod“ oder „Selbstmord“.41 In der weiteren Argumentation spielt dennoch das antike Verständnis des Freitods eine Rolle. Gesetzlich gesehen ist die Absicht zum Freitod und der Freitod selbst in Deutschland nicht strafbar.42
Der Begriff der Sterbehilfe
Aus dem Wort selbst ist bereits das wichtigste Verständnis herauszunehmen: Die Hilfe zum Sterben. Doch lässt diese Definition viel Spielraum übrig, um dieses Wort für die jeweilige Situation passend auszulegen. Schwierig ist dabei besonders die Wertung nach dem bloßen „Sterbenlassen“ und dem „aktiven Töten“, wovon hier jedoch abgesehen wird, um den Schwerpunkt dieser Arbeit nicht zu weit ausufern zu lassen. Daher ist man sich bis heute soweit einig, die Sterbehilfe in drei Formen zu untergliedern, um die Intensität der Absicht des Helfenden zum gewollten Tod deutlich zu machen:
Passive Sterbehilfe
Hierbei geht es um das bloße Nichtstun des Helfenden. Man überlässt den Sterbenden seiner selbst. D.h. man unterlässt jegliche Versuche, den Tod hinauszuzögern oder zu beschleunigen. Er wird weder mit Medikamenten noch mit Maschinen versorgt, um einen dieser Vorgänge zu erreichen. Die passive Sterbehilfe ist in allen Staaten gesetzlich erlaubt und wird in heiklen Fällen sogar empfohlen.43
Indirekte Sterbehilfe
Bei der indirekten Sterbehilfe wird der Arzt insofern tätig, als dass er versucht, die Schmerzen des Sterbenden soweit wie möglich zu lindern. Er nimmt dabei als Nebenwirkung auch das Risiko des Sterbens in Kauf, d.h., dass der Patient aufgrund der durchgeführten Schmerzbehandlung stirbt. Diese Form der Sterbehilfe ist zwar in den meisten Staaten, so auch in Deutschland, gesetzlich erlaubt, doch ist sie problematisch, da sie wegen dem aktiven Tun des Arztes bereits der aktiven Sterbehilfe sehr nahe kommt. Einziger Unterschied ist hier die Absicht des Arztes, die sich nicht direkt auf den Tod des Sterbenden richtet, sondern auf die Linderung der Schmerzen.44
Aktive Sterbehilfe
Wird der Arzt direkt tätig und beabsichtigt mit einer Medikamentengabe oder anderen Behandlungen den Tod des Sterbenden, spricht man von aktiver Sterbehilfe.45 Wichtigstes Argument hier ist eben genau diese Absicht als solches, die sie von der indirekten Sterbehilfe unterscheidet. Der beschleunigte Tod des Sterbenden ist das Ziel dieser Behandlung. Diese Form der Sterbehilfe ist das am meisten diskutierte Problem dieser Thematik. Nach dem Gesetz gibt es kaum Staaten, die die aktive Sterbehilfe erlauben. Doch gibt es erhebliche Unterschiede bei der negativen Sanktionierung im Falle der aktiven Sterbehilfe. Während in den Niederlanden diese Art der Hilfe gesetzlich unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt, ist sie in Deutschland verboten, so dass der Verurteilte mit zum Teil sehr hohen Gefängnisstrafen rechnen muss.46 Gerade in diesem Punkt versuchen die verschiedenen Positionen zu einer
Einigung zu gelangen, um eine einheitliche (negative oder positive) Sanktionierungsform für die aktive Sterbehilfe zu erhalten.47
Der Freitod in Form der Sterbehilfe Nachdem nun die beiden Begriffe „Freitod“ und „Sterbehilfe“ im Zuge dieser Arbeit erläutert wurden, muss noch darauf eingegangen werden, wie sie in Einklang miteinander gebracht werden können:
Wählt ein Sterbender oder jemand, der zum Sterben bereit ist, den Freitod, kann aber aufgrund seines körperlichen Zustands nicht selbst den Akt des Tötens vollziehen, bittet er um Sterbehilfe:
„(…) Bittet ein Patient um Sterbehilfe, so handelt es sich um einen selbstgewählten Tod, denn es ist letztlich der Patient, der durch die Äußerung seines Wunsches den eigenen Tod herbeiführt. (…)“48
Während die passive und indirekte Sterbehilfe in der Tat nur eine Hilfe zum selbst gewählten Tod ist und der Betroffene sich in dem Fall „selbst“ tötet, sei es durch das Annehmen von Schmerzmitteln oder das Ablehnen einer Behandlung, ist der Freitod im Sinne der aktiven Sterbehilfe etwas problematischer. Denn hier wird der Betroffene von jemand anderem getötet.49 Zu verstehen ist dieser Freitod vielleicht nur insoweit, dass man den freien Willen und den Wunsch zu sterben als eine Aufforderung an den anderen sieht, getötet zu werden. Die Aufforderung wird somit als die eigentlich freiwillige Handlung des Betroffenen angesehen.
Das Recht zum Freitod
Um das Recht zum Freitod moralisch zu rechtfertigen, bedarf es einer Betrachtung danach, ob geltende moralische Wertevorstellungen in irgendeiner Weise betroffen und gegebenenfalls verletzt oder gar missachtet wurden. Hauptaspekt liegt bei der eudaimonistisch geprägten Ethik, besonders in der Form der Stoa: Das wahre Leben steht im Mittelpunkt und ein lebensunwertes Leben soll vermieden werden. Die Menschenwürde ist darüber hinaus ein weiterer Aspekt, mit der ein gutes und lebensunwertes Leben unterschieden werden kann. Aus diesem Grundrecht des Menschen lässt sich dessen Recht zum Freitod und auch die dazu benötigte Sterbehilfe ableiten.
Eudaimonie und Stoa
Der Stoiker Seneca fragt zu Recht:
„(…) Soll ich etwa auf die Grausamkeit einer Krankheit (…) warten, da es mir doch freisteht, allen Qualen zu entgehen und alles Widerwärtige hinter mir zu lassen? (…)“50
Betrachtet man den Freitod nach einer eudaimonistischen Sinnrichtung, so steht im Mittelpunkt das gute Leben. Ziel ist demnach, das gute Leben zu erreichen oder zu erhalten. Um in den Genuss eines solchen Lebens zu kommen, benötigt man zwei Arten von Bedingungen: Zum einen die Grundlage des Lebens, wie die Güter der Vitalität (Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Unterkunft, Verpflegung, usw.), und zum anderen Formen moralischer Werte wie Tugenden, Platz und Aufgabe in der Gesellschaft und das Gelöstsein von die Seele beunruhigenden Problemen. Beide Bedingungen sind insofern miteinander verknüpft, dass die Grundlage des Lebens als Vorraussetzung für die Verwirklichung des guten Lebens bestehen muss. Ist diese Vorraussetzung nicht gegeben, kann auch das gute Leben nicht verwirklicht werden. Doch nach einer eudaimonistischen Ethik kann man nur das gute Leben leben, wogegen ein bloßes Vorhandensein schlichtweg abgelehnt wird und als moralische Rechtfertigung für den Freitod gelten kann.51
Angewandt auf das benannte Beispiel ergibt sich folgende Situation:
Herr A. verfügt nur noch bedingt oder gar nicht mehr über die Güter der Vitalität, seine körperliche Unversehrtheit ist dauerhaft nicht mehr vorhanden. Damit ist die Vorraussetzung für ein gutes Leben nicht mehr möglich, da bereits die Grundlage fehlt. Er hat keine Möglichkeit mehr, seinen Platz und seine Aufgabe in der Gesellschaft wahrzunehmen und ist erst recht nicht mehr imstande, sich der Gelöstheit seiner Seele hinzugeben, weil er durch seinen körperlichen Zustand und vor allem durch die Schmerzen daran gehindert wird. Es handelt sich nur noch um ein bloßes „Am-Leben-sein“, um ein „Dahinvegetieren“, das aufgrund des zu erwartenden Todes auch keine Verbesserung seines Lebenszustands zulässt. Die Eudaimonie, die Glückseligkeit, scheitert hier völlig und ist nicht wieder herzustellen, was den entscheidenden Aspekt ausmacht - das gute Leben kann unter keinen Umständen mehr erreicht werden. Herr A. hat damit eine moralische Rechtfertigung, sein Leben selbst zu beenden. Seneca drückte dies so aus:
„(…) Weiß ich aber, dass ich diesen Schmerz ohne Unterbrechung werde ertragen müssen, dann werde ich gehen, nicht wegen des Schmerzes an sich, sondern weil er mich an allem hindert, weswegen man lebt. (…)“52
Ähnlich könnte sich Herr A. auch rechtfertigen. Denn die Stoiker, allen voran Seneca, sahen in dem guten Leben das einzig wahre Leben, ein anderes war nicht vorstellbar:
„(…) Gut sterben aber heißt, der Gefahr entgehen, schlecht zu leben. (…)“53
„Schlecht zu leben“ hieße für Herrn A., tagtäglich die Schmerzen zu erleiden und qualvoll auf den Tod zu warten. „Gut sterben“ könnte er, wenn man ihm die Schmerzen gänzlich nehmen würde, d.h. ihm die Sterbehilfe zukommen lässt, zu der er aus moralischen Gründen berechtigt ist. Aus seinem Zustand geht nämlich hervor, dass er den selbst gewählten Freitod nicht selbst durchführen kann, weswegen er auf die Sterbehilfe angewiesen ist. Diese Auffassung kann zudem noch mit modernen Rechtsvorlagen verteidigt werden. Die Europäische Menschenrechtskonvention von 1974 sagt nämlich zum einen aus:
„(…) Zu der Entscheidungs- und Willensautorität gehört auch die Möglichkeit, gegenüber sich selbst (…) auf das eigene Leben zu verzichten, solange man in der Lage ist, darüber verantwortlich zu urteilen und danach zu handeln. (…)“54
Somit wird allgemein als geltend angesehen, dass Herrn A. das Recht auf seinen selbst gewählten Freitod zuerkannt werden muss. Weiter noch fordert die Konvention indirekt auch eine gewisse Hilfeleistung Dritter ihm gegenüber:
„(…) Der Entscheid eines verantwortlich urteilenden und handelnden Menschen zum Suizid in Ausübung seines Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrechts ist zu respektieren. (…)“55
„Der Entscheid ist zu respektieren“ stellt eine sehr definitionsreiche Forderung an Dritte dar. In gewisser Form ist die Sterbehilfe hiervon ableitbar, denn „zu respektieren“ heißt, Herrn A. an seinem Freitodversuch nicht zu hindern. Eine passive Sterbehilfe ist einwandfrei herauszulesen. Eine indirekte und aktive Sterbehilfe kann demnach nur hineininterpretiert werden, wenn mit dem Respektieren auch das aktive Helfen verbunden ist, sofern Herr A. seinem Entscheid nicht von selbst nachkommen kann.
Die Würde des Menschen
Bereits im deutschen Grundgesetz wird die Stellung des Individuums deutlich hervorgehoben und gefestigt:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.“56
Herr A. hat demnach das Recht, seine Würde zu erhalten. Die Befriedung dieses Bedürfnisses sieht er darin, würdevoll zu sterben. Doch was genau heißt das? Ein Ausdruck der Menschenwürde ist der Aspekt der Willensautonomie, d.h. Herr A. kann sich auf seinen freien Willen, den Freitod zu wählen, berufen.57 Institutionen, die diesem Willen im Wege stehen oder ihn gar missachten, verletzen damit die gesetzlich zugestandene Würde von Herrn A., was schließlich zur Verletzung eines obersten Prinzips von Gesetzesentwürfen auf der ganzen Welt führt. In diesem Sinne ist zu verstehen, warum der freiwillige „Selbstmord“, bzw. insbesondere der Versuch, im Allgemeinen nach dem Gesetz straffrei bleibt. Im Rückschluss darauf, dass, wie oben angemerkt, die Sterbehilfe als eine Form des Freitods gesehen werden kann, müssen auch der Wunsch von Herrn A. und vor allem die Umsetzung durch die Sterbehilfe in jedem Fall straffrei bleiben. Doch hierbei verfangen sich die Gesetze in Kontroversen: Ein Arzt könnte Herrn A. nun sogar „alle“ benötigten Mittel zum Freitod zur Verfügung stellen, wie z.B. eine Spritze mit einer Überdosis Schmerzmittel, den „Ausschaltknopf“ für eine lebenswichtige Maschine oder sonstige lebensverkürzende Maßnahmen. Soweit hätte man die Würde von Herrn A. noch respektiert und der Arzt hätte sich keiner Beschuldigung strafbar gemacht. Man stelle sich nun vor, Herr A. nutzt die gebotene Möglichkeit und wendet eine dieser Maßnahmen an. In dem Moment nach der Anwendung muss der Arzt jedoch - nach dem Gesetz - sofort reagieren und Herrn A. davor bewahren, tatsächlich zu sterben. Handelt der Arzt nicht entsprechend, muss er damit rechnen, strafrechtlich dafür belangt zu werden. Der Arzt muss also, um sich selbst zu schützen, Herr A. mit allen Mitteln wiederbeleben bzw. am Leben erhalten.58 Doch stellt genau diese Handlung einen direkten Verstoß gegen dessen Würde dar, von der möglichen Verschlechterung seiner Qualen mal ganz abgesehen, die auf den Rettungsversuch des Arztes folgen könnte. Es wurde ausdrücklich gegen dessen Willensautonomie verstoßen, die, wie oben erwähnt, zum Ausdruck seiner Menschenwürde zu zählen ist. Aus dieser Tatsache ergibt sich die Forderung nach der Wahrung der Menschenwürde in dem Sinne, dass dem zum Freitod Willigen die entsprechende Sterbehilfe, ob passiv oder aktiv, zukommen muss, um dem ersten Artikel des in dem Fall deutschen Grundgesetzes gerecht zu werden.
Das Sterben heute
Erst seit dem 20. Jahrhundert verfügt der Mensch über Möglichkeiten, das Leben zu verlängern und das Sterben hinauszuzögern. Die Situation, in der sich Herr A befindet, wäre noch im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts völlig unvorstellbar gewesen. Damals wäre ein Mensch solchen Verletzungen sofort erlegen. Doch heute vermag es die Medizin, den gebrochen Körper noch einige Zeit am Leben zu erhalten. Das Bild eines Krankenzimmers ist heute mehr denn je zum Symbol dieser Möglichkeiten geworden: Überall Maschinen, Apparaturen, Schläuche, Blut- und andere Flüssigkeitsbeutel - und sie alle hängen irgendwie am Körper eines Patienten in der Mitte des Raumes. Furchtbare Visionen über die Zukunft lassen bei diesem Anblick so manchem die Adern gefrieren und man fragt sich: ‚Werde auch ich einst dort liegen, gefesselt an derartige Apparaturen?’ Doch wollen die Menschen, die wie Herr A. leiden, unter solchen Bedingungen wirklich weiterleben? Die Angst vor diesem Horrorszenario führt viele in die Arme der Sterbehilfe, mit deren Hilfe man einem solchen „Vorhandensein“ entrinnen kann. Auch hier spielen wieder die bereits genannten Punkte über die Menschenwürde und die Eudaimonie eine große Rolle. Kann man denn solch einen Zustand als würdiges Weiterleben bezeichnen? Wohl kaum, denn man ist schließlich seiner kompletten Autonomie und Selbstbestimmung beraubt, da man sein Schicksal in den Händen dieser Apparaturen sieht. Ein friedliches oder gar glückliches Sterben ist demnach nicht möglich und wird so zur Utopie,59 die dem Betroffenen noch deutlicher zeigt, wie „elendig“ doch seine Situation zu sein scheint und obendrein auch demütigend wirken kann. Ohne den medizinischen Fortschritt negativ zu deuten, muss doch gesagt werden, dass eine solche Prozedur bei Sterbenden, sofern sie sie nicht selbst verlangen, nicht angebracht ist, denn die Vorstellung von einem bloßen „Zombie-Dasein“ steht in keinerlei Verhältnis zu einem „lebenswerten Leben“. Dieses Argument bekräftigt noch einmal die Notwendigkeit einer uneingeschränkten Sterbehilfe, die den Menschen die Angst vor solchen Visionen, und damit auch vor der Medizin, nehmen könnte. Man sollte somit selbst entscheiden können, ob man sich dieser Behandlung wirklich verschreiben muss, wenn eine prekäre Situation, entsprechend Herrn A., dies verlangen sollte. Diese Angst könnte damit zu einem weiteren Punkt gezählt werden, den Freitod moralisch zu rechtfertigen.60
Mögliche Contra-Positionen und Missverständnisse
Die meisten hervorgebrachten Argumente, die sich gegen die uneingeschränkte Sterbehilfe richten, sind stark historisch bedingt: Religionen, allen voran das Christentum, pochen auf ihre „heiligen“ Gebote und Verbote, Ärzte stellen sich hinter den Hippokratischen Eid und ihre Berufsordnung und besonders in Deutschland wird an Fehler in der Vergangenheit erinnert. Um diese Argumente jedoch umzuwerfen, wäre es notwendig, uralte Traditionen, Sitten und Gesetze schlagartig zu reformieren. Der Bibel und dem Hippokratischen Eid müsste man mit einem „Rotstift“ begegnen und den deutschen Nachkriegsgenerationen wäre zu sagen, dass sie die Vergangenheit ruhen lassen sollten. Doch solch signifikante Einschnitte oder Verbesserungen lassen sich nicht so einfach durchsetzen (teilweise auch verständlich). Es bedarf daher einer gründlichen Auseinandersetzung mit diesen Argumenten unter Berücksichtigung ihrer Geltung in der Vergangenheit und heute.
Dogmatische Gebote und Verbote
Die Religion nimmt eine der größten Contra-Positionen zur Debatte um die Sterbehilfe ein. Mit dem Gebot „Du sollst nicht töten“ werden sämtliche Versuche, zu einer Einigung zu gelangen, bereits im Keim erstickt. Phrasen wie „Gott gab dem Menschen das Leben, deshalb kann auch nur er es ihm wieder nehmen“, sind ständige Begleiter dieser Debatten. Solch stark dogmatisch veranlagte Gebote und Verbote hindern jegliches Vorankommen zu diesem Thema.61 Doch der Einfluss der Kirche wird immer mehr zurückgedrängt, denn ein Staat kann sich in der heutigen Zeit kaum noch an religiöse Traditionen oder Vorschriften orientieren. Der Vormarsch des Atheismus bzw. des „Nicht-Religiösen“ wächst zunehmend und die Kirche verbucht mehr Aus- als Eintritte62. Somit kann und darf die Religion keine Rolle mehr bei den aktuellen Diskussionen zum Thema Sterbehilfe spielen, besonders weil religiöse Vorschriften viele Menschen überhaupt nichts mehr angehen: Wer keinen Glauben hat, hat auch nicht die Pflicht, sich auch nur im geringsten an die Gebote und Verbote Gottes oder der Kirche zu orientieren. Doch eine Regierung, die sich eben auf solche Traditionen beruft, unterdrückt damit die Meinung nicht-religiöser (hier mehr noch nicht-christlicher) Menschen bzw. benachteiligt sie, indem man ihnen die Möglichkeit auf einen Freitod durch die aktive Sterbehilfe entzieht. Somit verweigert man Herrn A. das Recht auf den eigenen Freitod und missachtet seine Menschenwürde, indem man in Bezug auf die Gewalt Gottes die Tötung seiner selbst unterbindet. Gerade wenn Herr A. auch noch zu den Menschen gehört, die sich von der Kirche abgekehrt haben oder gar niemals etwas mit ihr zu tun hatten, kommt es zu einer strengen Form der Missachtung seiner Meinungsfreiheit.
Gebote und Verbote kommen jedoch nicht nur aus dem Bereich der Religionen, auch Klauseln verschiedener Berufsgruppen beziehen sich oft auf Regelwerke, so wie es in der Medizin der Fall ist: Schon aus dem Hippokratische Eid lässt sich eine Tendenz gegen die Sterbehilfe herausinterpretieren. Der dritte Artikel des Eides drückt sich dabei wie folgt aus:
„Auch werde ich niemandem ein tödliches Mittel geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde, und werde auch niemanden dabei beraten; (…).“63
Mit diesem Verbot wird jedoch die Sterbehilfe als Ganzes bereits abgelehnt. Viele Ärzte sehen hierin die Bestätigung dafür, sich gegen die Sterbehilfe, zumindest die aktive, zu entscheiden. Bestärkt werden sie dabei durch die moderne Fassung dieses Eides, der Berufsordnung:
„Der Arzt darf - unter Vorrang des Willen des Patienten - auf lebensverlängernde Maßnahmen nur verzichten und sich auf die Linderung der Beschwerden beschränken, wenn ein Hinausschieben des unvermeidbaren Todes für die sterbende Person lediglich eine unzumutbare Verlängerung des Leidens bedeuten würde. Der Arzt darf das Leben des Patienten nicht aktiv verkürzen. (…)“64
[...]
1 Userkritiken und Wertungen. Online im WWW unter URL: http://www.filmstarts.de/kritiken/38281- Das-Meer-in-mir.html [Letzter Zugriff: 09.03.2011].
2 Vgl. Userkritiken und Wertungen. Online im WWW unter URL: http://www.filmstarts.de/kritiken/38281-Das-Meer-in-mir.html [Letzter Zugriff: 09.03.2011].
3 Brachmann , 2005, o. S. Online im WWW unter URL: http://www.berlinonline.de/berliner- zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2005/0309/feuilleton/0002/index.html [Letzter Zugriff: 09.03.2011].
4 Vgl. ebenda.
5 Schmidt, u.a., 2009, S. 120.
6 Schmidt, u.a., 2009, S. 120.
7 STGB. Juristisches Informationsdienst, Tötung auf Verlangen. Online im WW unter URL:http://dejure.org/gesetze/StGB/216.html [Letzter Zugriff: 09.03.2011].
8 STGB. Juristisches Informationsdienst, Totschlag. Online im WWW unter URL: http://dejure.org/gesetze/StGB/212.html [Letzter Zugriff: 09.03.2011].
9 STGB. Juristisches Informationsdienst, Mord. Online im WWW unter URL:http://dejure.org/gesetze/StGB/211.html [Letzter Zugriff: 09.03.2011].
10 Arndt, 2005, S. 34.
11 Vgl. Giesen, 1992, S. 18.
12 Arndt, 2005, S. 33.
13 Vgl. Sterbehilfe und Euthanasie. Online im WWW unter URL: http://www.uwenowak.de/arbeiten/sterbehilfe.xhtml [Letzter Zugriff: 05.03.2011].
14 Vgl. Gesetzesantrag der Länder Saarland, Thüringen, Hessen. Online im WWW unter URL: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/gesetzesantrag_sterbehilfe_230-06.pdf [Letzter Zugriff: 05.03.2011].
15 Nagele, u.a., 2009, S. 214.
16 Kulbe, 2008, S. 29.
17 Vgl. Schubert, 2003, S. 94.
18 Evangelische Kirche in Deutschland. Online im WWW unter URL: http://www.ekd.de/gesellschaft/pm137_2004_rv_kommentar_azm_sterbehilfe.html [Letzter Zugriff: 05.03.2011].
19 Vgl. Katholischer Standpunkt zur aktiven Sterbehilfe. Online im WWW unter URL: http://wikis.zum.de/dsd/index.php/Katholischer_Standpunkt_zur_aktiven_Sterbehilfe [Letzter Zugriff: 05.03.2011].
20 Müller, 2003, S. 303.
21 Vgl. EKD. Statement bei der Pressekonferenz zur "Christlichen Patientenverfügung" in Düsseldorf. Online im WWW unter URL: http://www.ekd.de/presse/693.html [Letzter Zugriff: 05.03.2011].
22 Vgl. Ebenda.
23 Vgl. Patiententestament. Indirekte Sterbehilfe. Online im WWW unter URL: http://patiententestament.mcneubert.de/sterbehilfe/indirekte-sterbehilfe/ [Letzter Zugriff: 05.03.2011].
24 Vgl. Deutscher Ethikrat, Auftrag. Online im WWW unter URL: http://www.ethikrat.org/ueber- uns/auftrag [Letzter Zugriff: 05.03.2011].
25 Scholters, 2007, o. S. Online im WWW unter URL: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,426719,00.html [Letzter Zugriff: 09.03.2011].
26 Ebenda.
27 Vgl. Ebenda.
28 Ebenda.
29 Ebenda.
30 Klinkhammer, u.a., 2011, o.S. Online im WWW unter URL: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=80940 [Letzter Zugriff: 09.03.2011].
31 Vgl. Ebenda.
32 Der hippokratische Eid. http://www.fachschaft-medizin.de/download/sonstiges/HippoEid.pdf [Letzter Zugriff: 09.03.2011].
33 Ebenda.
34 Neue Rechtslage. Online im WWW unter URL: http://www.morgenpost.de/printarchiv/politik/article1548846/Aerzteschaft-lockert-Grundsaetze-zur- Sterbehilfe.html [Letzter Zugriff: 09.03.2011].
35 Vgl. Ebenda.
36 Vgl. Aktive Sterbehilfe aus Sicht der Bevölkerung. Online im WWW unter URL: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/163331/umfrage/aktive-sterbehilfe-aus-sicht-der- bevoelkerung/ [Letzter Zugriff: 09.03.2011].
37 Emmerich, 2009, S. 1.
38 Vgl. Deutsche Hospizstiftung, Was denken die Deutschen wirklich über Sterbehilfe? Online im WWW unter URL: http://www.hospize.de/ftp/langzeit_web.pdf [Letzter Zugriff: 05.03.2011].
39 Brachmann, 2005, o. S. Online im WWW unter URL: http://www.berlinonline.de/berliner- zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2005/0309/feuilleton/0002/index.html [Letzter Zugriff: 05.03.2011].
40 Moralische Dilemma-Diskussion. Online im WWW unter URL: http://blog2.anknuepfen.de/wp- content/uploads/2008/02/moralisches-dilemma-lind8.pdf [Letzter Zugriff: 05.03.2011].
41 F. Thiele: Aktive und passive Sterbehilfe. S.10ff. Zum umgedeuteten Begriff des Freitods auch H. Küng: Menschenwürdiges Sterben. S.62f.
42 A. Eser: Möglichkeiten und Grenzen der Sterbehilfe aus der Sicht eines Juristen. S. 154.
43 F. Thiele: Aktive und passive Sterbehilfe. S.16f.
44 Einige sehen in der Unterscheidung zwischen indirekter und aktiver Sterbehilfe bereits ernste gesetzliche Schwierigkeiten. So auch A. Eser: Möglichkeiten und Grenzen der Sterbehilfe aus der Sicht eines Juristen. S. 171.
45 F. Thiele: Aktive und passive Sterbehilfe. S.15.
46 M.-O. Baumgarten: The Right to Die? S.237f.
47 A. Eser: Möglichkeiten und Grenzen der Sterbehilfe aus der Sicht eines Juristen. S. 176ff.
48 F. Thiele: Aktive und passive Sterbehilfe. S.10.
49 Ebd. S.10
50 Seneca: Briefe an Lucilius 70. in: W. Weinkauf: Die Philosophie der Stoa. S.314.
51 W. Kamlah: Philosophische Anthropologie. S.171f. und 175ff.
52 Seneca: Briefe an Lucilius 58,32-37. in: W. Weinkauf: Die Philosophie der Stoa. S.309.
53 Seneca: Briefe an Lucilius 70. in: Ebd. S.312.
54 M.-O. Baumgarten: The Right to Die?. S.93.
55 Ebd. S.93.
56 GG Artikel 1 (1).
57 H. Ruegge: Sterben in Würde? S.65.
58 M.-O. Baumgarten: The Right to Die? S.265f.
59 H. Ruegger: Sterben in Würde? S.55f. Ruegger sieht jedoch in einem friedlichen Sterben weniger ein würdiges Sterben. In dieser Arbeit jedoch wird die These vertreten, dass zu einem würdigen, im Sinne der Willensautonomie, Sterben auch ein friedliches, im Sinne der Vermeidung enormer Leiden und Anstrengungen einer Behandlung, dazugehört.
60 H. Küng: Menschenwürdig Sterben. S.55 und 61f.
61 H. Küng: Menschenwürdig Sterben. S.51und 53f.
62 Nach aktuellen Studien (am Beispiel Deutschland) verliert die Kirche, allen voran die katholische, jährlich erheblich an Einfluss. Vgl. dazu C. Weber: Der Gottesinstinkt. S.71.
63 U. Wiesing: Der Hippokratischer Eid. Artikel 3. S.41.
64 Bundesärztekammer: Die Berufsordnung. § 16. S.86. Vgl. dazu J. Rachels: Aktive und passive Sterbehilfe. S.254.
- Arbeit zitieren
- Christoph Staufenbiel (Autor:in), Thomas Must (Autor:in), Maria Röttger (Autor:in), Professor Helmut Kaiser (Autor:in), 2014, Der Wunsch nach dem Tod. Zur ethischen Vertretbarkeit von Sterbehilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/269582
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