Die Tempesta (Galleria dell’ Accademia, Venedig) des venezianischen Malers Giorgione gehört seit jeher zu den rätselhaftesten Gemälden der Kunstgeschichte. Über 60 Interpretationsversuche sind in den letzten 150 Jahren zu der kleinen Tafel vorgelegt worden; ein erheblicher Anteil dieser Interpretationsansätze sucht dabei nach einer literarischen Vorlage für das Bildthema der Tempesta. Ausgehend von der „Ruhenden Venus“ (Gemäldegalerie Dresden) wird in dem Aufsatz die Tempesta einer vergleichenden und konsequent narrativen Untersuchungsmethode unterworfen. Dabei zeigt sich zum einen, dass wesentlichen kompositorischen Elementen, vor allem die Verwendung von Bildachsen - sowohl bei der Dresdener Venus, als auch in der Tempesta - eine wichtige interpretatorische Bedeutung zukommt, zum anderen, dass beide Bilder nicht nur eine statische, sondern auch eine ausgreifende narrative Dimension haben, die weit über die unmittelbar sichtbaren Bildgegenstände hinausgeht.
Nach einer kurzen Darstellung der kunsthistorischen Forschungsgeschichte, die das Thema „Liebe“ in der Tempesta behandelt hat – wobei den Beobachtungen von
Bernhard Aikema (Verona) eine besondere Bedeutung zugemessen wird -, wird die
narrative Methode auf das Bild selbst angewandt. Nach dem Aufzeigen einer Reihe von „ungestellten Fragen“ der Kunstgeschichte an das Bild wird eine zunächst werkimmanente Interpretation vorgelegt, die verdeutlicht, dass das Schlüsselthema der Tempesta in den Bereich der zeitgenössischen Liebesphilosophie gehört.
Besonderes Augenmerk gilt dabei der Figur des stehenden Mannes und seiner
achsialen Beziehung zum Blitz, sowie der Figur der Frau im Kontext der dargestellten Stadt, bei der es sich um Padua handeln dürfte. Neben der statischen Ebene arbeitet der Autor eine narrative Bildebene heraus, die eine sublime aber doch eindeutig erotische Deutung des Bildes überaus wahrscheinlich machen. Im Folgenden wird der historische Kontext der Liebesphilosophie in Oberitalien des Cinquecento, ausgehend von Petrarca über Diacceto, Leone Ebreo und Pietro Bembo skizziert. Hierbei zeigt sich eine thematische Nähe der Tempesta zu einem Abschnitt von Bembos „Gli Asolani“ (Erstausgabe 1505). Der Autor geht dabei
jedoch nicht davon aus, dass dieser Abschnitt gleichsam eine literarische Vorlage für das Werk des Meisters aus Castelfranco ist, sondern dass Giorgione sein Werk als autonomen Debattenbeitrag in der Liebes- und Zivilisationsphilosophie des Cinquecento verstanden haben wollte.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Von Liebe und Methode
Unerhörte Fragen
Von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen
Die Geburt der Zivilisation
Gewitter oder „Liebessturm“?
Von der Natur zur Zivilisation
Aspekte der Liebestheorie im Venedig des 16. Jahrhunderts
Fazit
Quellen
Literatur
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