Im Laufe dieser Legislaturperiode sollen im Rahmen des Steuervergünstigungsabbaugesetztes neue Regelungen des Einkommensteuergesetzes in Kraft treten. Die steuerliche Belastung eines Teils der Kapitaleinkünfte soll durch einen ermäßigten Steuersatz auf 25 % begrenzt werden. Diese ermäßigte Besteuerung würde als Endbesteuerung wirken, d.h. die Einkommensteuer wäre mit dem Steuerabzug abgegolten. Im Vorblatt des Gesetzentwurfs der Bundesregierung 1 wird erkannt, dass die geltende Zinsbesteuerung dem besonderen Charakter der Kapitaleinkünfte nicht gerecht wird. Die Umsetzung des Gesetzentwurfs soll den Anreiz vermindern der Steuerbelastung auszuweichen und somit den Kapitalstandort Deutschland attraktiver machen. Da in diesem Gesetzentwurf aber keine generelle steuerliche Gleichbehandlung von Kapitalerträgen angestrebt wird und auch keine Neutralitätsüberlegungen in der Stellungsnahme zum Referentenentwurf zu finden sind, muss dieser nun auf seine ökonomischen Wirkungen hin untersucht werden. Auch die Zweckmäßigkeit der Zinsbesteuerung überhaupt wird einer Überprüfung unterzogen werden. Auf die Berücksichtigung von Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer wird im Einklang mit der einschlägigen Literatur aus Vereinfachungsgründen verzichtet. Im folgenden Text werden nach einer historischen Betrachtung der Kapitalertragsbesteuerung und der Beschreibung des zu beurteilenden Gesetzentwurfs Neutralitätsüberlegungen angestellt. Es werden zuerst drei Formen der Neutralitätsanforderungen an ein Steuersystem beschrieben, um diese später als Kriterien zur Beurteilung des Gesetzentwurfs zu verwenden. Im Anschluss werden zwei idealtypische Steuersysteme vorgestellt. Die Untersuchung des Gesetzentwurfs auf Folgen für die Investitions- und Finanzierungsplanung ist das Kernstück des Textes und wird im nächsten Kapitel ausgeführt. [...]
Inhaltsverzeichnis:
1. Einführung
1.1. Historische Betrachtung
1.2. Beschreibung der gesetzlichen Neuregelungen
2. Neutralitätsüberlegungen
2.1. Argumente für die Entscheidungsneutralität
2.2. Formen der Entscheidungsneutralität
2.2.1. Investitionsneutralität
2.2.2. Konsumneutralität
2.2.3. Finanzierungsneutralität
2.3. Beispiele neutraler Steuersysteme
2.3.1. Zinsbereinigte Einkommensteuer
2.3.2. Cash-flow-Besteuerung
2.4. Kritische Würdigung
3. Ökonomische Analyse
3.1. Fiskale Folgen
3.2. Investitionsfolgen
3.3. Finanzierungsfolgen
4. Schlussbemerkung
Abkürzungsverzeichnis:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einführung
Im Laufe dieser Legislaturperiode sollen im Rahmen des Steuervergünstigungsabbaugesetztes neue Regelungen des Einkommensteuergesetzes in Kraft treten. Die steuerliche Belastung eines Teils der Kapitaleinkünfte soll durch einen ermäßigten Steuersatz auf 25 % begrenzt werden. Diese ermäßigte Besteuerung würde als Endbesteuerung wirken, d.h. die Einkommensteuer wäre mit dem Steuerabzug abgegolten.
Im Vorblatt des Gesetzentwurfs der Bundesregierung1 wird erkannt, dass die geltende Zinsbesteuerung dem besonderen Charakter der Kapitaleinkünfte nicht gerecht wird. Die Umsetzung des Gesetzentwurfs soll den Anreiz vermindern der Steuerbelastung auszuweichen und somit den Kapitalstandort Deutschland attraktiver machen. Da in diesem Gesetzentwurf aber keine generelle steuerliche Gleichbehandlung von Kapitalerträgen angestrebt wird und auch keine Neutralitätsüberlegungen in der Stellungsnahme zum Referentenentwurf zu finden sind, muss dieser nun auf seine ökonomischen Wirkungen hin untersucht werden. Auch die Zweckmäßigkeit der Zinsbesteuerung überhaupt wird einer Überprüfung unterzogen werden. Auf die Berücksichtigung von Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer wird im Einklang mit der einschlägigen Literatur aus Vereinfachungsgründen verzichtet
Im folgenden Text werden nach einer historischen Betrachtung der Kapitalertragsbesteuerung und der Beschreibung des zu beurteilenden Gesetzentwurfs Neutralitätsüberlegungen angestellt. Es werden zuerst drei Formen der Neutralitätsanforderungen an ein Steuersystem beschrieben, um diese später als Kriterien zur Beurteilung des Gesetzentwurfs zu verwenden. Im Anschluss werden zwei idealtypische Steuersysteme vorgestellt. Die Untersuchung des Gesetzentwurfs auf Folgen für die Investitions- und Finanzierungsplanung ist das Kernstück des Textes und wird im nächsten Kapitel ausgeführt.
1.1. Historische Betrachtung
Schon im Kapitalertragssteuergesetz vom 29. März 1920 wird erkennbar, dass die Kapitalmarktpolitik für die damalige Reichsregierung einen ebenso hohen Stellenwert hatte wie die Steuerpolitik. Das Problem der Kapitalflucht aus steuerrechtlichen Gründen wurde als sehr gewichtig angesehen2.
Insbesondere nach Ende des zweiten Weltkriegs war die Finanzverwaltung wegen des enormen Kapitalbedarfs an einer schonenden steuerlichen Behandlung von Kapitalanlegern im Inland interessiert. Dieses Ziel wurde durch einen Erlass des Direktors für Verwaltung der Finanzen des vereinigten Wirtschaftsgebiets vom 2. August 19493 verfolgt.
Mit dem Inkrafttreten des § 30a AO 1977 am 3. August 1988 ist der „Schutz der Bankkunden“ auf eine gesetzliche Grundlage gestellt worden. Hintergrund war wohl die Einführung der sogenannten „kleinen Kapitalertragsteuer“ (10%) auf Zinsen, die eine Transferierung von Kapital ins Ausland befürchten liess. Als Gegenstück hierfür sollte offensichtlich die hohe Anonymität der Sparer locken.
Die bisher bedeutsamste Entscheidung zum § 30a AO 1977 ist der Beschluss des BVerfG vom 27. Juni 19914. In dieser wurde unter anderem ausgesprochen, dass durch § 30a AO 1977 „im Ergebnis lediglich ein Hindernis für die Gewährleistung von Gleichheit im steuerlichen Belastungserfolg verfestigt“ worden sei, womit „die Verantwortbarkeit des Gesetzgebers für eine erneute Nachbesserung offen zutage“ trete. Steht eine Erhebungsregelung einem Besteuerungstatbestand in der Weise gegenüber, dass der Besteuerungsanspruch nicht geltend gemacht werden kann, und hat dieses der Gesetzgeber zu verantworten, so führt die Gleichheitswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit der betroffenen Steuernorm - so das BVerfG. In Anwendung dieser Grundsätze hat das BVerfG den Gesetzgeber verpflichtet, spätestens mit Wirkung zum 1. Januar 1993 „durch hinreichende gesetzliche Vorkehrungen für die Zukunft“ die Besteuerungsgleichheit zu gewährleisten.
Diese angemahnte „Vorkehrung“ bestand ab dem 1. Januar 1993 in der Anhebung des Sparerfreibetrags5 auf 6000 DM pro Person und einer auf die Einkommensteuer anrechenbaren Zinsabschlagsteuer und nicht in der Abschaffung des § 30a AO 1977. Mit Wirkung zum 1. Januar 2000 wurde der Sparerfreibetrag auf 1550 € pro Person halbiert und zum 1.Januar 2003 auf 1601 € erhöht.
Ebenfalls im Rahmen dieser Gleichbehandlungsbemühungen wurde oben genannter Gesetzentwurf zur Neuregelung der Zinsbesteuerung vom 17. März 2003 entwickelt. Dieser Gesetzentwurf soll im folgenden näher erörtert werden.
1.2. Beschreibung der gesetzlichen Neuregelungen
Im oben genannten Gesetzentwurf wird ein Übergang vom Zinsabschlag zur Zinsabgeltungssteuer mit einem Steuersatz von 25 %6 auf Kapitalertrage vorgeschlagen. Dieser reduzierte Steuersatz soll diejenigen Kapitalerträge belasten, die bis dato der Zinsabschlagsteuer unterlegen haben7, auch wenn es sich dabei um Einkünfte aus Gewerbebetrieb handelt. Zusätzlich sollen auch im Ausland bezogene Bankzinsen dieser Abgeltungssteuer unterworfen werden. Sparerfreibetrag und Werbungskosten-Pauschbetrag sollen weiterhin bereits beim Steuerabzug durch Erteilung eines Freistellungsauftrags berücksichtigt werden.
Im Zuge der Günstigerprüfung8 besteht ein Wahlrecht, für alle Kapitalerträge einheitlich eine Veranlagung nach den allgemeinen Vorschriften des Einkommensteuerrechts durchzuführen. Im Fall von privaten Sparzinsen ist damit sichergestellt, dass die Steuerbelastung 25 % nicht übersteigt.
2. Neutralitätsüberlegungen
2.1. Argumente für die Entscheidungsneutralität
Für die Entscheidungsneutralität eines Steuersystems sprechen folgende Argumente. Gesamtwirtschaftlich können zusätzliche gesellschaftliche Kosten, die sogenannten „excess burden“, genannt werden9. Diese entstehen, wenn sich die Rangfolge der Handlungsalternativen eines Individuums allein wegen des Einflusses einer Steuer verändern. Es kommt dann gesamtwirtschaftlich nicht zu einer optimalen Ressourcenallokation, wie sie sich in einer Welt ohne Steuern einstellen würde10.
Einzelwirtschaftlich wirken sich die Folgen der Nichtneutralität in der notwendigen Miteinbeziehung der Steuern in das Planungskalkül der Unternehmung aus. Dieses hat erhebliche Planungskosten zur Folge, die zusätzlich zur Steuerbelastung auftreten11. Außerdem hat der Fiskus nur durch ein entscheidungsneutrales Steuersystem die Möglichkeit zielgerichtete Steuerpolitik mit Lenkungsfunktion zu betreiben, da ihm sonst der Eichstrich zur Messung seines Erfolgs fehlt12.
2.2. Formen der Entscheidungsneutralität
Die Forderung nach Entscheidungsneutralität eines Steuersystems umfasst Investitionsneutralität, Konsumneutralität und Finanzierungsneutralität.
2.2.1. Investitionsneutralität
Investitionsneutralität ist dann gegeben, wenn sich die Rangfolge verschiedener Handlungsalternativen auch nach Berücksichtigung der Besteuerung nicht verändert. Dies lässt sich anhand des Kapitalwertkriteriums zeigen. Es muss gelten:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2.2. Konsumneutralität
Konsumneutralität ist dann erfüllt, wenn sich die durch subjektive Konsumpräferenzen und Renditeerwartungen festgelegte Entscheidung, in welcher Form ein Individuum seine Mittel anteilig spart und konsumiert, nicht durch die Besteuerung verzerrt. Somit ist eine optimale intertemporale Kapitalallokation gewährleistet. Das Verhältnis Zinssatz vor und nach Steuer zur Zeitpräferenzrate ist also gleich:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
und damit13
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Zeitpräferenzrate entspricht dem Zinssatz.
Die Konsumneutralität ist also erfüllt in Steuersystemen in denen die Zinserträge steuerfrei und die Zinsaufwendungen nicht zum Abzug zugelassen sind.
2.2.3. Finanzierungsneutralität
Finanzierungsneutralität ist dann erreicht, wenn die Art der Vertragsgestaltung von Finanzierungsbeziehungen die Vorteilhaftigkeit von Investitionsobjekten nicht beeinflusst14. Wenn also der Kapitalwert einer Investition nicht von der Entscheidung beeinflusst wird, ob das Unternehmen die Investition mit einer Erhöhung des Eigenkapitals oder mit Hilfe eines Kredits finanziert. Wenn Bruttosoll- und Bruttohabenzinssatz identisch sind, dann muss der negative Kapitalwert eines Kredits nach Steuer dem positiven Kapitalwert einer Finanzanlage in gleicher Höhe nach Steuer betragsmäßig entsprechen.
2.3. Beispiele neutraler Steuersysteme
2.3.1. Zinsbereinigte Einkommensteuer
Das Modell der „Zinsbereinigten Einkommensteuer“ geht vor allem auf Broadway/Bruce15 und Wenger16 zurück. Es basiert auf der Erkenntnis, dass die durch die steuer- und handelsrechtlichen Periodisierungsregeln entstandenen Verzerrungen bei den Zinseffekten beseitigt werden können, wenn eine kalkulatorische Verzinsung auf das zu Beginn der Periode gebundene Kapital steuerlich verrechnet wird17. Dies gilt unter der Annahme, dass die Summe der mittels Ertrags- und Aufwandsrechnung ermittelten Periodengewinne über die Totalperiode mit der Summe der
Zahlungsüberschüsse übereinstimmt18. Die Steuerbemessungsgrundlage ist also der (Steuerbilanz-)Gewinn vermindert um die marktübliche Verzinsung des Eigenkapitals, was der Verzinsung des Ertragswertes zu Beginn der Periode entspricht19. Abschreibungswahlrechte haben keinen Einfluss auf den Barwert der Steuerzahlung, da es zu keinem Zinseffekt kommt. Weitere Merkmale der „Zinsbereinigten Einkommensteuer“ sind die Steuerfreiheit der Zinsen und das Realisationsprinzip bei der Periodisierung. Zur Bestimmung des Kapitalwerts gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wird der so gewonnene Periodengewinn der Steuer unterworfen, ergibt sich:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die hier gezeigte Rangfolgeinvarianz garantiert die Investitionsneutralität und die faktische Nichtbesteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen aufgrund der Zinsbereinigung garantiert die Konsum- oder intertemporale Neutralität20. Im vollkommenen Kapitalmarkt senkt eine Kreditaufnahme in t-1 zum Zinssatz i den Eigenkapitalbestand in t und somit den Schutzzins für diese Periode. Gleichzeitig senken die Schuldzinsen aber auch den (bilanziellen) Gewinn, da sie als Betriebsausgabe abziehbar sind. Die Verringerung der beiden Größen erfolgt jeweils um i*FK. Im Ergebnis hat die Fremdfinanzierung keinen Einfluss auf den Kapitalwert, die Finanzierungsneutralität ist gewährleistet.
[...]
1 Referentenentwurf vom 17. März 2003
2 Hellwig, Peter;
3 „erster Bankenerlass“
4 2 BvR 1493/89, BStBl. II 1991, 654, BVerfGE 84, 239
5 § 20 (4) EStG 1993
6 § 32c (1) EStG Entwurf
7 Kapitalerträge gemäss § 43 (1), S.1, Nr.7 und 8 sowie Satz 2 EStG Entwurf
8 § 32c (2) EStG Entwurf
9 Treisch, C.; S.368
10 zur Höhe der Zusatzlast siehe Treisch, C.; S.368 3
11 Treisch, C.; S.368
12 Schneider, D; S.239 ff
13 Treisch, C.; S.369
14 Kiesewetter, D.; S.25
15 Broadway/Bruce 1984
16 Wenger, E.; 1983; 1985; 1986
17 sog. Lücke - Theorem
18 sog. Kongruenzprinzip
19 Treisch, C.; S.372
20 Wagner, F.W./Wissel, H; S.12
- Quote paper
- Fritz Baldus (Author), 2003, Investitions- und Finanzierungsplanung nach Einführung der abgeltenden Zinsbesteuerung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26832
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.