Zwischen Esoterik, Ökologie und Sozialer Frage – Wie sich der deutsche Rechtsextremismus neu verpackt und Brückenköpfe in die Mitte der Gesellschaft bildet.
Rechtsextremismus ist in Europa nach wie vor ein äußerst aktuelles Thema, wie die Diskussionen um die nouvelle droite in Frankreich oder die Erfolge der FPÖ in Österreich gezeigt haben. Ein Land steht aufgrund seiner Geschichte besonders im Fokus der Aufmerksamkeit: Die BRD als Nachfolgestaat des 3. Reiches.
Der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland kann auf eine wechselvolle Geschichte – geprägt von Erfolgen und Misserfolgen – zurückblicken. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg sind es die „Integrationskraft des politischen Systems“ sowie die „ökonomische Prosperität“ , die verhindern, dass rechtsextreme Parteien und Organisationen die ideologischen Gegebenheiten in der deutschen Bevölkerung nach 1945 nutzen können. Ende der 60er Jahre – nach Jahren der politischen Bedeutungslosigkeit des organisierten Rechtsextremismus – beginnt der Aufstieg der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Doch auch auf diese Phase des Erfolgs folgt aufgrund politischer und gesamtgesellschaftlicher Veränderungen und interner Streitigkeiten innerhalb der NPD ein weiterer Niedergang des organisierten Rechtsextremismus. Mit dem Zerfall der NPD kommt es nun zu einer – für die vorliegende Arbeit besonders relevanten – ideologischen und strategischen Neuformierung in deren Folge Schlagworte wie Ethnopluralismus, Befreiungsnationalismus und Sozialismus an Bedeutung gewinnen. Anfang der 80er Jahre beginnt ein neuerlicher Aufstieg des deutschen Rechtsextremismus. Einer der Höhepunkte ist hier die Entstehung der Republikaner 1983.
Bis zur deutschen Wiedervereinigung haben sich trotz zahlreicher Verbote rechtsextremer Parteien und Organisationen, trotz eines Terrorismus von Rechts und – vielleicht gerade aufgrund – folgenreicher Veränderungen und Modifikationen in Ideologie und Taktik in weiten Teilen der deutschen Rechten, mit der NPD, Deutsche Volksunion (DVU) und den Republikanern (REP) drei rechtsextreme Parteien als konstante politische Kräfte etablieren können. Nach der Wende kommt es zu einem erneuten Aufstieg des Rechtsextremismus, der mit den Anschlägen von Hoyerswerda 1991 und Rostock – Lichtenhagen 1992 – nicht wie oftmals konstatiert – seinen Anfang und nicht etwa seinen Höhepunkt findet. [...]
Inhalt
1. Einleitung
2. Theoretischer Teil
2.1. Definitionen
2.1.1. Rechts
2.1.2. Extremismus und Radikalismus
2.1.3. Rechtsextremismus
2.2. Theorien zu Rechtsextremismus und kollektiver Identität
2.2.1. Die Selbst – Kategorisierungs – Theorie
2.2.2. Politisierte kollektive Identität
2.2.3. Die Theorien Sozialer Bewegungen
2.2.3.1. Das Konzept der Relativen Deprivation
2.2.3.2. Der Ressourcen – Mobilisierungs – Ansatz
2.2.3.3. Framing – Ansatz
3. Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland
3.1. Geschichtlicher Abriss
3.2. ‚Alte Rechte‘ und ‚Neue Rechte‘
3.3. ‚Alte Rechte‘
3.4. ‚Neue Rechte‘
4. Die klassischen Verpackungen des deutschen Rechtsextremismus
4.1. Der Rudolf – Heß – Gedenkmarsch in Wunsiedel
4.2. Soldaten- und Heldengedenken in Halbe
5. Neue Verpackungen und Brückenköpfe in die Mitte der Gesellschaft
5.1. Ökologie von rechts
5.2. Rechtsextremismus Globalisierung und Soziale Frage
5.2.1. Soziale Frage, Globalisierung und neue Strategien von rechts
5.3. BRAUNE ESOTERIK
5.3.1. Jan van Helsing und die Wesensmerkmale rechter Esoterik
Fazit
Literaturverzeichnis
Onlinequellen:
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
Rechtsextremismus ist in Europa nach wie vor ein äußerst aktuelles Thema, wie die Diskussionen um die nouvelle droite in Frankreich oder die Erfolge der FPÖ in Österreich gezeigt haben. Ein Land steht aufgrund seiner Geschichte besonders im Fokus der Aufmerksamkeit: Die BRD als Nachfolgestaat des 3. Reiches.
Der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland kann auf eine wechselvolle Geschichte – geprägt von Erfolgen und Misserfolgen – zurückblicken. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg sind es die „Integrationskraft des politischen Systems“ sowie die „ökonomische Prosperität“[1], die verhindern, dass rechtsextreme Parteien und Organisationen die ideologischen Gegebenheiten in der deutschen Bevölkerung nach 1945 nutzen können. Ende der 60er Jahre – nach Jahren der politischen Bedeutungslosigkeit des organisierten Rechtsextremismus – beginnt der Aufstieg der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Doch auch auf diese Phase des Erfolgs folgt aufgrund politischer und gesamtgesellschaftlicher Veränderungen[2] und interner Streitigkeiten innerhalb der NPD ein weiterer Niedergang des organisierten Rechtsextremismus. Mit dem Zerfall der NPD kommt es nun zu einer – für die vorliegende Arbeit besonders relevanten – ideologischen und strategischen Neuformierung in deren Folge Schlagworte wie Ethnopluralismus, Befreiungsnationalismus und Sozialismus an Bedeutung gewinnen. Anfang der 80er Jahre beginnt ein neuerlicher Aufstieg des deutschen Rechtsextremismus. Einer der Höhepunkte ist hier die Entstehung der Republikaner 1983.[3]
Bis zur deutschen Wiedervereinigung haben sich trotz zahlreicher Verbote rechtsextremer Parteien und Organisationen, trotz eines Terrorismus von Rechts und – vielleicht gerade aufgrund – folgenreicher Veränderungen und Modifikationen in Ideologie und Taktik in weiten Teilen der deutschen Rechten, mit der NPD, Deutsche Volksunion (DVU) und den Republikanern (REP) drei rechtsextreme Parteien als konstante politische Kräfte etablieren können.[4] Nach der Wende kommt es zu einem erneuten Aufstieg des Rechtsextremismus, der mit den Anschlägen von Hoyerswerda 1991 und Rostock – Lichtenhagen 1992 – nicht wie oftmals konstatiert – seinen Anfang und nicht etwa seinen Höhepunkt findet. In der Folge gelingt es den drei großen Parteien NPD, DVU und REP immer wieder bei Regional- und Landtagswahlen Erfolge zu verbuchen[5]. Bereits die Wahlerfolge rechtsextremistischer Parteien in Sachsen und Brandenburg im Jahr 2004 ließen die politische Öffentlichkeit aufschrecken, zuletzt gelingt der NPD am 17.09.2006 in Mecklenburg – Vorpommern mit 7,3% der Einzug in den Landtag.
Insgesamt kann man festhalten, dass es in der BRD seit 1990 einen quantitativen und qualitativen Schub im Bereich des Rechtsextremismus gegeben hat. Qualitativ, was die Bandbreite unterschiedlicher rechtsextremer Erscheinungsformen angeht. Gerade die – sich seit einigen Jahren im Aufwind befindliche - Biobewegung ist ein Beispiel für einen relativ jungen Bereich, in dem sich rechtsextreme Kernelemente finden lassen. Quantitativ, was beispielsweise die Anzahl rechtsextremer Straftaten und Aktionen betrifft. So lag die Zahl der registrierten rechtsextremen Straftaten 1990 bei rund 2.000, 2004 bei 12.553 und 2006 bei rund 18.000.[6] Ein trauriges und aktuelles Beispiel ist die Hetzjagd von Mügeln und die Diskussionen im Anschluss dieses rechtsextremen Ausbruchs. Mügeln hat wie so viele andere rechtsextreme Ausbrüche allerdings auch gezeigt, wie leicht Debatten am eigentlichen Problem vorbei geführt werden und wie der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik fehl eingeschätzt wird. Rechtsextremismus scheint immer nur dann zu existieren, wenn Migranten gejagt werden oder Politiker Hitlervergleiche ziehen.[7] Problematisch daran ist, dass verkannt wird, dass Rechtsextremismus nicht nur dann existiert, wenn er in den Medien in großem Maßstab Beachtung findet.
Das Thema Rechtsextremismus wurde in der Vergangenheit und auch aktuell in den Medien, Politik, Literatur insgesamt in der Gesellschaft der Bundesrepublik nur sehr begrenzt wahrgenommen. Diese Begrenzung findet geographisch, politisch und gesellschaftlich statt. 1. Geographisch: Kommt es zu einer rechtsextremen Aktion, wird zunächst meist die Region wahrgenommen, in der diese Aktion stattgefunden hat. In Mügeln war es beispielsweise der Osten Deutschlands als vermeintliche Hochburg und Brutstätte des deutschen Rechtsextremismus. Für einen Großteil der Republik existiert das Problem im Verlauf der sich anschließenden Debatten faktisch gar nicht. 2. Politisch: Im Anschluss an einen Ausbruch des Rechtsextremismus läuft die Suche nach dem Schuldigen auf der politischen Ebene fast immer ähnlich ab. Die NPD als Agitator, Organisator und geistiger Brandschatzer, bis auf die DVU und maximal noch die Republikaner bleibt hier der Rest der bundesrepublikanischen Parteienlandschaft ohne jede Verknüpfung zum Rechtsextremismus. 3. Gesellschaftlich: So wie der Rechtsextremismus im öffentlichen Diskurs nur in einer bestimmten Region und nur als Folge des Wirkens ganz bestimmter rechter Parteien existiert, sind es nur bestimmte Menschen, die sich an rechtsextremen Ausbrüchen beteiligen. Ob es nun Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Skinheads oder vereinsamte, desillusionierte Jugendliche sind oder im ‚besten Fall‘ Menschen, die alles zugleich sind, der Großteil der Gesellschaft der Bundesrepublik bleibt hier aussen vor.
Durch die Begrenzung des Themas Rechtsextremismus und der entsprechenden Diskurse wird das Problem zu einem Randproblem. Die Verantwortlichkeiten werden so aus der Mitte der Gesellschaft ausgeblendet. Für den deutschen Rechtsextremismus – allen voran die ‚Neue Rechte‘ – ist es deshalb relativ einfach, in andere Bereiche der Gesellschaft einzudringen. Neue ‚Verpackungen‘ verhindern einen Aufschrei in der Gesellschaft und machen rechtsextreme Einstellungen und Ideologeme salonfähig. Die Gefahr ist dann am größten, wenn Rechtsextremismus gar nicht mehr als solcher erkannt und wahrgenommen wird, da er an Stellen und in Formen auftritt, wo und wie man ihn nicht vermutet oder vermuten will. Es ist also überaus wichtig, in der Lage zu sein, Rechtsextremismus und rechtsextreme Ideologeme überall in der Gesellschaft als solche zu identifizieren und ihnen begegnen zu können. Gerade im Bezug auf eine wehrhafte Demokratie und einen starken Verfassungsstaat ist eine solche Fähigkeit überhaus erstrebenswert.
Im Rahmen der Arbeit soll es um die Frage gehen wie es dem deutschen Rechtsextremismus bzw. seinen Ideologemen gelingt, Brückenköpfe in die Mitte der Gesellschaft zu bilden und wie er sich für dieses Unterfangen neu verpackt. Als Brückenköpfe werden in dieser Arbeit Berührungspunkte zwischen dem deutschen Rechtsextremismus, seinen ideologischen Bestandteilen und den zu untersuchenden Themenbereichen verstanden. Die Mitte der Gesellschaft soll in dieser Arbeit nicht anhand von spezifischen Klassen, Schichten oder Milieus definiert werden. Gesellschaftliche Mitte soll hier alles das sein, was mehr oder weniger einem gesellschaftlichen Mainstream – oder auch einer gesellschaftlichen Normalität – zuzuordnen ist – also kein Extrem darstellt. Repräsentativ für die Mitte der Gesellschaft werden in der vorliegenden Arbeit die Ökologiebewegung, die Anti-Globalisierungsbewegung in Verbindung mit der sozialen Frage und die Esoterikszene untersucht werden. Es soll davon ausgegangen werden, dass der deutsche Rechtsextremismus dann Brückenköpfe in die Mitte der Gesellschaft gebildet hat, wenn es ihm gelingt, inhaltlich und ideologisch Verbindungen zu den drei zu untersuchenden Bereichen herzustellen. Je eindeutiger und zahlreicher sich diese ideologischen Berührungspunkte darstellen, desto erfolgreicher ist der Rechtsextremismus logischerweise auch auf dem Weg in die gesellschaftliche Mitte. Warum sollte der deutsche Rechtsextremismus überhaupt versuchen, in die Mitte der Gesellschaft zu gelangen? Die Antwort auf diese Frage ist relativ simpel: über den Zugang zu Bewegungen wie der Antiglobalisierungsbewegung oder der Ökologiebewegung will der deutsche Rechtsextremismus seine Werte und Ansichten in die gesellschaftliche Mitte transportieren. So will er sich in gesellschaftliche Diskurse einbringen und die Distanz zwischen sich und anderen gesellschaftlichen Bewegungen, Gruppierungen, Organisationen – bzw. allgemein der Mitte der Gesellschaft – verringern. So erhofft sich der deutsche Rechtsextremismus auf dem Weg zur Verwirklichung seiner ideologischen Ziele zusätzliche Ressourcen wie Mitglieder oder auch nur Sympathisanten. Als ‚Verpackungen‘ sollen in der vorliegenden Arbeit die Agitationsfelder des Rechtsextremismus und die im Zusammenhang mit diesen relevanten Ideologeme verstanden werden. Es wird zwischen ‚alten‘ bzw. klassischen oder auch traditionellen und ‚neuen‘ Verpackungen unterschieden. ‚Alte Verpackungen‘ sind zum Beispiel die Agitationsfelder Helden- und Soldatengedenken auf denen der deutsche Rechtsextremismus eher klassische Ideologeme präsentiert. Als neu verpackt soll ein Rechtsextremismus verstanden werden, der sich mithilfe modifizierter Ideologeme bewusst in Ökologie-, Anti-Globalisierungsdiskurse und den Esoterikbereich einbringt. Aufgrund dieser ‚neuen‘ Verpackungen ist der Rechtsextremismus der Bundesrepublik meines Erachtens nur schwer zu identifizieren. Eine weitere These stellt die Annahme dar, dass der deutsche Rechtsextremismus in allen drei untersuchten Bereichen Anknüpfungspunkte findet. In diesem Zusammenhang setzt auch die Vermutung an, dass der Rechtsextremismus eine Vielzahl an Erscheinungsformen besitzt. Es wird im Vorfeld der Analyse davon ausgegangen, dass der deutsche Rechtsextremismus in seinem Bestrebungen Brückenköpfe in die gesellschaftliche Mitte zu bilden – aufgrund einer an dieser Stelle unterstellten Wandlungsfähigkeit – erfolgreich ist. Diese Wandlungsfähigkeit ermöglicht ihm zudem die Anpassung an bestehende gesellschaftliche Verhältnisse.
Die vorliegende Fragestellung soll mittels der Literaturanalyse bearbeitet werden. Anhand dieser sollen im ersten Teil der Arbeit zunächst die wesentlichen Begriffe erläutert werden. Um die Ausgangsfrage der Arbeit beantworten zu können, werden im Folgenden relevante Theorien wie zum Beispiel die Theorien kollektiver Identität und Theorien sozialer Bewegungen dargelegt. Im Anschluss daran sollen die ideologischen Kernelemente des Rechtsextremismus an sich, der ‚Alten‘ und ‚Neuen Rechten‘ herausgearbeitet werden. Im nächsten Schritt werden zunächst die klassischen Verpackungen des deutschen Rechtsextremismus untersucht, worauf die Betrachtung der neuen Verpackungen im Zusammenhang mit Ökologie, Anti-Globalisierung und Sozialer Frage und der Esoterik folgt, bevor ein abschließendes Fazit gegeben werden soll.
Es wurde sich – da zentrales Thema der deutsche Rechtsextremismus ist – hauptsächlich auf deutschsprachige Literatur konzentriert. Dennoch wurde im Zusammenhang mit Theorien kollektiver Identität und sozialer Bewegungen auch auf englischsprachige Standardwerke wie beispielsweise ‚Why men rebel‘ von Ted Gurr zurückgegriffen. Neben sehr allgemeinen Werken zum Themenkomplex Rechtsextremismus wie Butterwegges‚Rechtsextremismus‘ fand auch weniger allgemein gehaltene Literatur wie beispielsweise Heller und Maegerles‚Die Sprache des Hasses‘ Verwendung. Daneben stellte sich das Internet als nützliche Quelle dar. Seiten wie die der Bundeszentrale für politische Bildung und einzelner Landeszentralen lieferten eine Vielzahl wertvoller Informationen. Seiten linker und rechtsextremistischer Gruppierungen und Parteien dienten zudem als nützliche Quelle für Zitate und Abbildungen und schärften zudem den Blick für die Brisanz und Reichweite der untersuchten Problemlage.
Zur aktuellen Quellenlage im Hinblick auf das Thema Rechtsextremismus in der Bundesrepublik lässt sich festhalten, dass es ein äußerst reichhaltiges Angebot gibt. Die Literatur bewegt sich in einem thematisch großzügig gesteckten Rahmen. Gleichzeitig besteht hinsichtlich der behandelten Themen ein deutliches Ungleichgewicht. Themenblöcke wie Nationalsozialismus, Faschismus und ‚Neue Rechte‘ werden recht oberflächig – dafür aber quantitativ sehr gut – behandelt. Dieser Quantität steht oftmals ein Mangel an neuen Erkenntnissen gegenüber. Es scheint an verschiedener Stelle so, als würden die gleichen Ergebnisse von Buch zu Buch neu präsentiert, so wird in wenigen Büchern eine deutliche Veränderung in der ‚Neuen Rechten‘ bzw. allgemein im deutschen Rechtsextremismus diagnostiziert. Dies wiederum widerspricht meiner Annahme, dass der deutsche Rechtsextremismus aufgrund eines Wandels so erfolgreich ist, in die Mitte der Gesellschaft vorzustossen. Dem reichenhaltigen Angebot an großen Themenblöcken wie Faschismus, Nationalsozialismus steht ein eher unterdurchschnittliches Angebot an speziellen Themen im Zusammenhang mit Rechtsextremismus wie Esoterik, Biopolitik, Neuheidentum oder Ethnopluralismus gegenüber. Ein weiteres Problem ergibt sich zudem im Umgang mit Definitionen. In der Literatur findet sich eine Fülle an Definitionen zum Themenbereich Rechtsextremismus, die zum Teil irritierend uneinheitlich sind und stellenweise ganze Kernelemente des Rechtsextremismus ausser acht lassen. Wie oben bereits erwähnt, wird der Rechtsextremismus in der Literatur sehr begrenzt dargestellt. Die gesellschaftliche Mitte besitzt in der aktuellen Literatur nur eine marginale Bedeutung im Zusammenhang mit Rechtsextremismus. Dies wiederum trägt meine Meinung nach wesentlich zu weit verbreiteten Fehlein- und Unterschätzungen des Rechtsextremismus bei.
2. Theoretischer Teil
Die vorliegende Arbeit stützt sich auf eine Vielzahl unterschiedlicher Theorien. Grundlegend für einen sich wandelnden Rechtsextremismus und die daran beteiligten Akteure ist eine gefestigte kollektive Identität auf der aufbauend eine Aussenabgrenzung als Gruppe möglich wird. Würde dies nicht gelingen, könnten der deutsche Rechtsextremismus und die daran angeschlossenen Gruppen, Organisationen und Personen, nur sehr begrenzt in andere Gruppen und Organisationen und damit auch nur schwer in andere gesellschaftliche Bereiche expandieren. Vielmehr liefe er Gefahr, selbst durch andere gesellschaftliche Akteure unterlaufen und beeinflusst zu werden und damit letztendlich an Einfluss zu verlieren. Dementsprechend kommt den Theorien kollektiver Identität eine zentrale Bedeutung zu, in diesem Zusammenhang spielen das Konzept der postheroischen Gesellschaft und vor allem die Theorie der Selbstkategorisierung eine große Rolle. Theorien der kollektiven Identität spielen hinsichtlich der klassischen bzw. traditionellen Verpackungen des deutschen Rechtsextremismus eine wesentliche Rolle. Mit Blick auf die vermeintlich neuen Verpackungen kommt den Theorien und Ansätzen aus der Bewegungsforschung eine große Bedeutung zu. Schließlich handelt es sich bei der Antiglobalisierungs- und Ökologiebewegung um soziale Bewegungen, in die der deutsche Rechtsextremismus organisatorisch und ideologisch einzudringen versucht. Neben dem Ressourcen-Mobilisierungs-Ansatz (RM-Ansatz) und der Theorie der Relative Deprivation (RD) kommt dem Framing-Ansatz eine Schlüsselrolle zu.
2.1. Definitionen
Die Literatur zum Themenkomplex des deutschen Rechtsextremismus weist einen Mangel an feststehenden Definitionen auf. Es scheint daher zur Regel geworden zu sein, dass jeder Autor seinen Arbeiten eine eigene Definition des Rechtsextremismus voranstellt.[8] Im Themenkomplex des Rechtsradikalismus werden die Begriffe ebenso unscharf verwendet. Winkler beklagt das „Fehlen einer anerkannten und präzisen Wissenschaftssprache“, was „eine der größten Schwächen der Rechtsextremismusforschung“ darstellt.[9] Im Vorfeld dieser Arbeit soll auch hier eine Definition des Rechtsextremismus stehen, die Klarheit hinsichtlich des Forschungsgegenstandes und eine irritationsfreie Verwendung der wichtigsten Begriffe erlauben soll. Es soll hier unter anderem geklärt werden, was unter den Begriffen Rechts, Extremismus, Radikalismus, Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus zu verstehen ist. Der Begriff des Rechtsextremismus soll zudem nicht nur begrifflich, sondern zunächst auch inhaltlich grob definiert werden.
2.1.1. Rechts
Die Klassifizierung von politischen Standpunkten in ‚links‘ und ‚rechts‘ ist Ausdruck dyadischen Denkens, d.h. ein Ausdruck des Denkens in Paarbeziehungen und stellt einen Grundzug menschlichen Denkens dar. Die politische Dyade ‚links-rechts‘ und was heute unter den politischen Richtungsbezeichnungen links und rechts verstanden werden kann, hat seinen Ursprung in den Volksvertretungen der französischen Revolution. Dort saßen die konservativen Kräfte vom Präsidenten der Nationalversammlung aus gesehen rechts und die revolutionären, fortschrittlichen Kräfte links. Erst im Laufe der Zeit ist aus einer rein räumlichen Dyade eine inhaltlich programmatische und somit eine antithetische Dyade geworden.[10] An dieser Einteilung und diesem Bild hat sich bis heute theoretisch nichts verändert. Es ist nach wie vor möglich, im Hinblick auf Fragen wie der nach sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit deutlich zwischen linken und rechten Parteien zu unterscheiden. Bezüglich immer neuer und zunehmend differenzierterer Probleme in der Gegenwart gestaltet sich dieses Unterfangen jedoch immer schwieriger.[11] So ist es mittlerweile durchaus möglich, dass dieselbe politische Doktrin oder Partei zugleich als rechts wie auch links eingestuft werden kann. Trotz dieser Krise der Dyade links-rechts wird ‚Links‘ heute immer noch mit einer egalitären, horizontalen politischen Vision verbunden[12], während ‚Rechts‘ für eine nicht-egalitäre vertikale politische Vision steht.[13]
2.1.2. Extremismus und Radikalismus
Der Begriff ‚radikal‘ geht auf das lateinische Wort ‚radix‘ (Wurzel) zurück und bezeichnet das politische Ziel, eine Gesellschaft grundlegend zu verändern. Politische Aktivitäten und Organisationen sind aber nicht schon dann verfassungsfeindlich, nur weil sie eine bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben, dementsprechend folgte dem Begriff ‚Radikalismus‘ der des ‚Extremismus‘. Radikalismus definiert heute mehr oder die weniger „die Grauzone zwischen dem Extremismus, der die freiheitlich demokratische Grundordnung ablehnt, und den Kräften, die sich noch innerhalb dieser Ordnung bewegen.“[14] Problematisch ist zudem, dass der Begriff des Radikalismus in der Zeit der Aufklärung und der bürgerlich-demokratischen Revolution durchaus eine positive Bedeutung besaß. Allein vor diesem historischen Hintergrund ist es sinnvoll auf diesen Begriff zu verzichten, wie es in dieser Arbeit auch geschehen soll.[15]
Der Begriff des Extremismus ist als eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche antidemokratische Bestrebungen zu verstehen. Demokratie wird hier mit dem modernen Verfassungsstaat westlicher Art gleichgesetzt. Wenn allerdings Links- und Rechtsextremismus unter einem allgemeinen Extremismusbegriff subsumiert werden, gehen wesentliche Unterschiede zwischen beiden verloren. So stellt sich der Rechtsextremismus trotz der bereits angesprochenen Heterogenität dennoch immer noch wesentlich homogener und in seinem Selbstverständnis antidemokratischer dar, als dies der Linksextremismus tut.[16]
2.1.3. Rechtsextremismus
Der Begriff des ‚Rechtsradikalismus‘ wurde im Jahr 1974 im Sprachgebrauch des Verfassungsschutzes durch den des ‚Rechtsextremismus‘ ersetzt.[17] Die demokratische Mitte einer Gesellschaft ist demnach von Extremismus, besser gesagt von Rechts- und Linksextremismus umgeben, die Beide den demokratischen Verfassungsstaat abschaffen wollen.[18]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1
Die Bezeichnung Extremismus ist durch den verfassungsfeindlichen Charakter einer Person, Gruppe oder Organisation als entscheidendes Merkmal gekennzeichnet. Als radikal hingegen werden diejenigen bezeichnet, die sich verfassungskonform äussern. [19] Diese Begriffsverwendung entspringt der konservativen Staatslehre und der Totalitarismustheorie. [20] Als ‚rechtsradikal‘ bezeichnen Merten/Otto Einstellungen und Handlungen, wenn sie zur Durchsetzung der rechtsextremen Zielsetzungen „Gewalt als grundsätzlich legitimes Mittel“ akzeptieren. [21] Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Begriffe, die alle mit einander verknüpft sind, schlägt Butterwege vor, auf den Begriff des Rechtsradikalismus zu verzichten und sich auf den des Rechtsextremismus zu einigen, selbst wenn hier weiter eine gesellschaftliche Randständigkeit des Phänomens vermittelt wird. [22] Rechtsextremismus kann zudem nicht als eine einheitliche Ideologie verstanden werden, sondern stellt ein heterogenes Gemisch unterschiedlichster Begründungszusammenhänge und Sichtweisen dar. Deutlich wird dies in der organisatorischen Zersplitterung der extremen Rechten, beispielsweise in der Auseinandersetzung zwischen ‚Neuer‘ und ‚Alter Rechten‘. Damit die Begriffe rechtsradikal und rechtsextrem nicht zu Irritationen, Verwechselungen und Unübersichtlichkeit führen, wird sich in der vorliegenden Arbeit auf die Begriff Rechtsextremismus, rechtsextremistisch bzw. rechtsextrem beschränkt. Es bietet sich an Rechtsextremismus inhaltlich anhand verschiedener ideologischer Kernelemente, die grundsätzlich einer rechtsextremen Einstellung zugeordnet werden können wie z.B. Nationalismus und Rassismus, festzumachen.[23]
Nach Backes ist „unter Rechtsextremismus […] die Gesamtheit der Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen zu verstehen, die, organisiert oder nicht, von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit von Menschen ausgehend, nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangt und das Gleichheitsgebot der Menschenrechtsdeklaration ablehnt. Rechtsextremismus räumt der ‚Gemeinschaft‘ eindeutigen Vorrang vor dem Individuum ein, verlangt die Unterordnung des Bürgers unter eine deutlich obrigkeitsgläubig orientierte Staatsraison und verwirft jeden Wertepluralismus liberaler Demokratie mit der Stoßrichtung, Demokratisierung rückgängig machen zu wollen“.[24]
Pfahl-Traughber erkennt vier ideologische Besonderheiten des Rechtsextremismus: 1. Die Einstellung gegenüber dem Gleichheitsprinzip (als grundlegende Unterscheidung zum Linksextremismus), 2. Die Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit im Politikverständnis, 3. Antipluralistisches und identitäres Gesellschaftsverständnis mit der angestrebten Willenseinheit von Führung und Volk, 4. Autoritarismus auf der politischen Ebene, d.h. die Gesellschaft steht in einem einseitig dominierenden Verhältnis unter dem Staat.[25]
Stöss sieht ebenso wie Pfahl – Traughber vier zentrale Merkmale des Rechtsextremismus. Zum Einen macht er als zentrales Merkmal eine Verbindung von übersteigertem Nationalismus und imperialistischen Großmachtstreben und zum Zweiten die Negation universeller Freiheits- und Gleichheitsrechte des Menschen aus. Ferner kennzeichnet sich der Rechtsextremismus durch eine Stoßrichtung gegen parlamentarisch – pluralistische Systeme, die auf der Volkssouveränität und dem Mehrheitsprinzip beruhen und als viertes Merkmal durch ein gesellschaftliches Leitbild einer angeblich der natürlichen Ordnung entsprechenden ‚Volksgemeinschaft‘.[26] Für Bobbio bezieht sich der Rechtsextremismusbegriff auf einen ‚antiliberalen Antiegalismus‘, d.h. auf die Negation des Gleichheits- und Freiheitsprinzips.[27] Rechtsextrem sollen demnach all die Formen des politischen Extremismus genannt werden, die den Ethos fundamentaler Menschengleichheit implizit und explizit negieren.[28]
Zusammenfassend kann man unter dem Begriff des Rechtsextremismus also antiliberale, antiegalitäre, antipluralistische und autoritäre Bestrebungen verstehen, die insgesamt den Ethos fundamentaler Menschengleichheit negieren. Damit wird auch den im Verfassungsschutzbericht 2006 angebrachten Merkmalen des Rechtsextremismus genüge getan: „So lehnen Rechtsextremisten das für jedes Individuum geltende universale Gleichheitsprinzip ab, wie es Art. 3 des Grundgesetzes konkretisiert“ und „treten in aller Regel für ein autoritäres politisches System ein, in dem ein Staat und ein – nach ihrer Vorstellung homogenes – Volk als angeblich natürliche Ordnung zu einer Einheit verschmelzen.“[29]
Diese zentralen Merkmale des Rechtsextremismus finden sich auch in den ideologischen Kernelementen wieder, auf die noch näher eingegangen werden wird. Es muss festgehalten werden, dass es sich – wenn in dieser Arbeit von einem deutschen Rechtsextremismus die Rede ist – nicht nur um Ideologieelemente oder Bestrebungen handelt, die durch diese zentralen Merkmale gekennzeichnet sind. Unter Rechtsextremismus wird im Rahmen dieser Arbeit auch jeder Akteur, d.h. jede soziale Bewegung, Partei, Kameradschaft oder einzelne Person verstanden, die im Rahmen einer kollektiven rechtsextremen Identität eben oben definierte Merkmale und die entsprechenden Kernelemente des Rechtsextremismus transportiert bzw. für sich selbst in Beschlag nimmt. Es muss auch Klarheit darüber herrschen – das nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Entwicklungen im deutschen Rechtsextremismus – kaum davon ausgegangen werden kann, dass es einen reinen idealtypischen Rechtsextremismus gibt. Dieser Annahme würde bereits die Tatsache entgegenstehen, dass ‚Neue‘ und ‚Alte Rechte‘ durch z.T. gegensätzliche ideologische Kernelemente gekennzeichnet sind. So vertritt die ‚Neue Rechte‘ die Idee einer Nation Europa, während die ‚Alte Rechte‘ einen radikalen übersteigerten Nationalismus – der sich im Falle Deutschlands, eben nur auf Deutschland bezieht. Rechtsextreme Ideologeme existieren in einer Vielzahl an Varianten und Modifikationen.
2.2. Theorien zu Rechtsextremismus und kollektiver Identität
Beim Rechtsextremismus handelt es sich um ein Phänomen, das in den Kontext von sozialen Gruppen oder strukturierter Systeme sozialer Gruppen eingebettet ist. Rechtsextremisten handeln nicht als isolierte Individuen. Sie tun dies weder als Mitglieder von Organisationen mit entsprechender politischer Zielsetzung (wie z.B. Parteien, Kameradschaften, Zeitungen etc.) noch als Aktivisten ohne eine formale Mitgliedschaft. Sie teilen vielmehr spezifische Ideen und Handlungen mit Gruppen anderer Menschen, während sie gleichermaßen in Abgrenzung zu politischen Gegnern ihre Ideen zum Ausdruck bringen und handeln. Sie sind also in ein System von Beziehungen zwischen Eigen- und Fremdgruppe eingebunden.[30][31] Die geteilten spezifischen Ideen und Handlungen helfen dabei, eine rechtsextreme Identität in der sozialen Welt herzustellen und zu festigen. Die Identifikation mit der Eigen- und die Abgrenzung zur Fremdgruppen, d.h. die Herstellung einer gefestigten kollektiven Identität innerhalb des deutschen Rechtsextremismus, sind für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung, da sie die Grundlage und Bedingung für eine Expansion des deutschen Rechtsextremismus in andere gesellschaftliche Bereiche und Gruppen bilden. Ohne eine gefestigte kollektive Identifikation liefe der deutsche Rechtsextremismus Gefahr, dass seine Akteure ihrerseits durch kollektive Identitäten anderer gesellschaftlicher Gruppen beeinflusst und gegebenenfalls ‚abgeworben‘ werden. Es soll hier zunächst um die Definition kollektiver Identität und die Selbst – Kategorisierung, d.h. die Selbstverortung in einer durch soziale Gruppen strukturierten Gesellschaft gehen.
2.2.1. Die Selbst – Kategorisierungs – Theorie
Die Selbst-Kategorisierungs-Theorie[32] geht von einer Diskontinuität zwischen Erlebtem und dem Verhalten des Menschen als Individuum auf der einen Seite und als Mitglied einer Gruppe auf der anderen Seiten aus.[33] Identität bezeichnet hier ein Produkt von kognitiven Prozessen der Selbstverortung in einer durch soziale Gruppen strukturierten Gesellschaft.[34] Identität besitzt zudem einen Prozesscharakter, d.h. man kann und muss von einer grundsätzlichen Wandelbarkeit ausgehen. Gerade für den Rechtsextremismus ist dieser Prozesscharakter von großer Bedeutung, da er impliziert, dass rechtsextreme Identität immer wieder bestätigt werden muss, um nicht aufgebrochen zu werden. Untersucht werden kann die kollektive Identität einer Gruppe beispielsweise anhand von Gruppensymbolen, Ritualen, in der Gruppe geteilten Überzeugungen und Werten.[35] Die Selbst-Kategorisierungs-Theorie beschäftigt sich mit dem Selbst als Repertoire kognitiver Repräsentationen, die zur Verfügung stehen, um sich selbst zu interpretieren bzw. zu definieren. Eine Person identifiziert sich demnach über mehr als nur ein Konzept des Selbst. Diese Konzepte sind hoch differenziert und bilden ein kognitives System und können je nach Situationszusammenhang vergleichsweise unabhängig voneinander funktionieren. Kognitive Repräsentationen des Selbst können in diesem Zusammenhang als Selbstkategorisierungen in Vergleichen mit Personen und/oder Gruppen gesehen werden. In anderen Worten als „kognitive Strukturierungen des Individuums selbst um eine als identisch (äquivalent, ähnlich, austauschbar) wahrgenommene Klasse von Stimuli (‚intra-class similarities‘) in Abgrenzung zu anderen, davon differierenden Stimuli (‚inter-class differences‘).“[36]
Die Ideologie des Rechtsextremismus definiert sich selbst als eine Ideologie der Stärke und Überlegenheit gegenüber den ‚Anderen‘[37]. Akteure, die diese Ideologie für sich in Beschlag nehmen, können diese nutzen, um einen positiven und gesteigerten Selbstwert (self-esteem) zu schaffen und aufrechtzuerhalten, dies gilt für Gruppen und im stärkeren Maße für die einzelnen Mitglieder. Es ist diese Kraft, die Personen dazu bringt, sich Gruppen anzuschließen.[38] Für rechtsextreme Gruppen heißt das wiederum, gelingt es ihnen Selbstwert als Ressource bereitzustellen, erhöhen sie ihre Chancen, dass sich ihnen Personen anschließen. Nach Tajfel ist kollektive Identität stark mit einer individuellen Standortbestimmung im sozialen Umfeld verbunden. Dieser Standort basiert auf wahrgenommenen positiv bewerteten und mit angenehmen Emotionen verbundenen Gruppenzugehörigkeiten. Individuen identifizieren sich auf der einen Seite mit der Eigengruppe, die diese Emotionen bereitstellt. Auf der anderen Seite definieren sie sich als Gruppenmitglieder in Abgrenzung von ‚unähnlichen‘ Fremdgruppen.[39] Im Falle des Rechtsextremismus beispielsweise versorgt die Mitgliedschaft zu einer rechtsextremen Gruppe z.B. einer neonazistischen Kameradschaft das Individuum mit positiven und angenehmen Emotionen wie Stolz und Überlegenheit, was wiederum eine positive Identifikation mit der Gruppe fördert. Im selben Moment definiert das Individuum sich – und seine Gruppe - in Abgrenzung zu ‚feindlichen‘ und ‚unähnlichen‘ Gruppen wie der Antifa und anderen linken Gruppen. Dementsprechend werden das Erlangen und Bewahren eines positiven Selbstwertgefühls als motivationale Basis der Selbstkategorisierung und -verortung verstanden.[40] „Für alle Selbstvergleiche mit ‚Anderen‘ gilt also, dass sie eine Kategorisierung von ‚Anderen‘ als Teil einer Selbst-Kategorie auf höherem Abstraktionsniveau voraussetzen. Umgekehrt basieren individuelle Selbst-Kategorisierungen auf Vergleichen mit Mitgliedern der Eigengruppe, Kategorisierungen von Eigen- und Fremdgruppe auf Vergleichen mit ‚anderen Menschen‘ und Kategorisierungen des ‚menschlichen Selbst‘ auf Vergleichen mit anderen ‚Lebensformen‘.“[41]
Kategorisierungen sind grundlegend für Gruppen und damit auch für soziales Verhalten. Kollektive Identität besitzt somit auch eine konstitutive Rolle als ‚soziales Bindemittel‘ sozialer Bewegungen, sowohl der ‚Neuen Sozialen Bewegungen‘ wie auch rechtsextremer Bewegungen. Bewegungsförmige Elemente lassen sich im rechtsextremen Spektrum eher im Umfeld der NPD und Jungen Nationalisten (JN), in der Neonazi-Szene und im Bereich einer rechtsextremen Skinhead-Subkultur finden. Individuen, die rechtsextremen Bewegungen, Gruppen und Organisationen angehören, sind anderen Bewegungen, gesellschaftsübergreifend gesehen, im relativen Status unterlegen. Dieser Status kann sich auf die gesellschaftliche Akzeptanz oder/und politische und staatliche Repressionen begründen. Diese und weitere Faktoren dienen nicht ausschließlich einem positiven Selbstwert, der aber eine wesentliche Ressource einer kollektiven Identität darstellt. Wobei eine kollektive Identität wiederum von Selbst-Kategorisierungen und Gruppenzugehörigkeit abhängt. Individuen, die einer benachteiligten und im relativen Status unterlegenen Gruppe angehören, haben also verschiedene Möglichkeiten, diesen Missstand zu beheben und werden auch bestrebt sein genau dies zu tun.[42] Sie können zum Einen von ihrer Gruppe in eine mit höherem Status wechseln, dieser kann physisch und psychologisch erfolgen. Zum Anderen – und dies ist im Bezug auf den Rechtsextremismus und seine Akteure von zentraler Bedeutung – können Individuen zu der Einsicht gelangen, dass sie diese unvorteilhaften Bedingungen nicht auf sich selbst gestellt, sondern nur mir der Eigengruppe als Ganzes verändern können. Dies wiederum zieht die wahrgenommene Notwendigkeit einer kollektiven Strategie des sozialen Wandels nach sich. Für Mitglieder rechtsextremer Bewegungen, Organisationen und Gruppen heißt das also: entweder ich verlasse meine Gruppe oder ich identifiziere mich noch stärker mit dieser und nutze diese gefestigte kollektive Identität, um gegen die den nachteiligen Status bedingenden Faktoren zu kämpfen. Da die Zugehörigkeit zu rechtsextremen Gruppen grundsätzlich einer unmittelbaren rechtsextremen Ideologisierung folgt oder unter Umständen auch vorausgeht, ist also eher mit Letzterem zu rechnen. Dies wiederum verdeutlicht meines Erachtens umso mehr die Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgeht.
Im Bereich des Rechtsextremismus kommt im Bezug auf kollektive Identität – die eine wesentliche Rolle in Konflikten zwischen rechtsextremen Gruppen untereinander und mit ‚Fremdgruppen‘ ausserhalb des Rechtsextremismus spielen – der politisierten kollektiven Identität eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.[43]
2.2.2. Politisierte kollektive Identität
Simon und Klandermans definieren politisierte kollektive Identität als eine Form kollektiver Identität, die der expliziten Motivation von Gruppenmitgliedern unterliegt, sich zu engagieren.[44] Politisierte kollektive Identität zeichnet sich gegenüber der ‚bloßen‘ kollektiven Identität dadurch aus, dass sich ihre Träger – d.h. die Gruppenmitglieder – intendiert im Machtkampf engagieren, aufmerksam und selbstbewusst als Kollektiv im Wissen um die gesellschaftliche Arena der Auseinandersetzung agieren. Wenn beispielsweise auf rechtsextremen Demonstrationen besonders auf ordentliches und diszipliniertes Auftreten geachtet wird, so hat dies auf der einen Seite sicher auch ideologische Gründe, auf der anderen Seite stellt dieses Auftreten auch einen Ausdruck politisierter kollektiver Identität dar, wenn es darum geht, sich von linken Gegendemonstrationen abzuheben und so Sympathien zu gewinnen, während man der linken Seite so Sympathieverluste zufügen will. Die Politisierung kollektiver Identität setzt die Wahrnehmung geteilter Missstände, bei denen es sich um illegitime Ungleichheit, unvermittelt auferlegte Missstände, Verletzung von Prinzipien und/oder bedrohte Privilegien handeln kann, voraus.[45] Kollektive Identität trägt zur Homogenisierung innerhalb der Eigengruppe bei. Selbst-Kategorisierungen auf der kollektiven Ebene tragen ihrerseits zu einer Deutung von Erfahrungen als gemeinsame sozusagen als ‚unsere‘ Erfahrungen bei. Sie fördert das geteilte Erleben und schärft die Wahrnehmung oben genannter Missstände. Gleichzeitig bedarf es zur Politisierung einer Gruppe externer Gegner, die für die missliche als negativ angesehene Lage verantwortlich gemacht werden können. Zuschreibung von Verantwortlichkeiten (adversarial attributions) auf einen Gegner – eine Fremdgruppe – und kollektive Identität bedingen und verstärken einander. Aufgrund der Zuschreibung von Verantwortlichkeiten auf Fremdgruppen fördert die politisierte kollektive Identität Stereotypisierungen. Auf der Stufe der ‚adversarial attributions‘ wird das kollektive Selbstverständnis in Beziehung zu anderen Gruppen geschärft. Das geteilte Schicksal der Gruppe erhält hier in Begriffen und Ideologien Bedeutung: „the growing awareness of shared grievances and a clearer idea of who or what is responsible for these grievances reflect a distinct cognitive elaboration of one´s worldview providing group members with a meaningful perspective on the social world and their place in it“.[46] Es ist dabei relativ unbedeutend, ob die Gruppe in der Auseinandersetzung als Sieger oder Verlierer hervorgeht, da sie Anerkennung als sozialer Akteur erhält und ihre Mitglieder entweder zu Helden oder zu Märtyrern werden.[47] Die Eigen- und Fremdgruppendifferenzierung als Ausdruck kollektiver Identität kann dann gestärkt werden, wenn ein externer Gegner ausgemacht werden kann.[48] Die kollektive Identität einer Gruppe wird in dem Maß politisiert, in dem die Mitglieder einer Gruppe versuchen, die Konfrontation in einen umfassenden Machtkampf zu überführen. Dies geschieht dann, wenn neben der Eigen- und der Fremdgruppe auch die Gesellschaft allgemein dazu gedrängt wird, entweder für die Eigengruppe oder den potentiellen Gegner Position zu beziehen. Dies wiederum impliziert, dass die Gruppenmitglieder, die eigene Identität als Bestandteil dieser übergeordneten, inklusiven Kategorie ‚Gesellschaft‘ begreifen, woraus sie ihren berechtigten Anspruch auf gesellschaftliche Unterstützung ableiten. Erst mit der Einbeziehung der Gesellschaft allgemein (bzw. die Einbeziehung von Repräsentanten derselben) als dritte Partei, ist die Politisierung der kollektiven Identität abgeschlossen.[49] Politisierte kollektive Identität motiviert demzufolge nicht nur das gegen einen Gegner gerichtete kollektive Handeln, sondern ebenso das Werben um eine dritte Partei (Gesellschaft) als einen Verbündeten. Im Zusammenhang mit dem deutschen Rechtsextremismus können wir von einer politisierten kollektiven Identität sprechen. Zunächst engagieren sich fast alle rechtsextremen Akteure bewusst in einem Machtkampf innerhalb der gesellschaftlichen Arena, sie nehmen gemeinsam verschiedene Missstände wahr wie beispielsweise den vermeintlichen Verlust einer nationalen Identität und teilen auch die Sicht auf diese Missstände. Über Gedenkmärsche und Heldengedenken wird diese geteilte Wahrnehmung zusätzlich ritualisiert und ein externer Gegner – hier zum Beispiel Alliierte oder Juden – für die Missstände wie die ‚Besatzung Deutschlands‘ verantwortlich gemacht. Bei den neuen Verpackungen werden die alten Gegner mit neuen Missständen in Verbindung gebracht die USA beispielsweise mit der Globalisierung. In dieser Auseinandersetzung mit Gegner werden dem Rechtsextremismus ohnehin innewohnende Stereotypisierungen zusätzlichen bestätigt. Dahinter steht unter anderem die Hoffnung und Strategie als sozialer Akteur Anerkennung durch die Gesellschaft zu erhalten. Die Besetzung neuer Themen und neue Verpackungen spielt hierbei eine herausragende Rolle.
[...]
[1] Schubarth/ Stöss 2000: 47
[2] 1969: Die Bundestagswahl führt zur sozialliberalen Koalition in deren Folge sich die CDU/CSU derart konservativ in der Opposition positioniert, dass der NPD die Wählerbasis verloren geht.
[3] Butterwege 2002: 46ff
[4] Für die Republikaner gilt der Begriff rechtsextrem laut Verfassungsschutzbericht 2000, S. 26, S. 28 nur begrenzt, da „nicht davon ausgegangen werden [kann], dass alle Mitglieder der REP rechtsextremistische Ziele verfolgen oder unterstützen“
[5] Pfahl-Traughber, Armin 2006: Wer wählt rechtsextremistisch? Online im Internet unter: Bundeszentrale für politische Bildung <http://www.bpb.de/themen/ZMQY7O,0,Wer_w%E4hlt_rechtsextremistisch.html> [Stand 12.02.2006]; Ausführliche Informationen zu Wahrergebnissen in Deutschland. Online unter: Wahlen in Deutschland < http://www.wahlen-in-deutschland.de/> [Stand 12.02.2008]
[6] O.V. 2007: Rechtsextreme Straftaten auf Höchststand. Online unter: Spiegel Online Politik <http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,474351,00.html> [Stand 10.02.2008]; Stöss 2005: 153, Grafik 17
[7] Rath, Christian 2007: Klage gegen Vorratsspeicherung. Online unter: Die Tageszeitung <http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/klage-gegen-vorratsdatenspeicherung/> [Stand 1.02.2008]
[8] Vgl. z.B. Klein 2003; Stöss 2005; Pfahl-Traughber 2002
[9] Winkler 2000: 38
[10] Szanya 1999: 7ff
[11] Butterwegge 2002: 1
[12] Entsprechend der Losung der französischen Revolution liberté, égalité, fraternité
[13] Szanya 1999: 11
[14] Glossar zum Themenkomplex Rechtsextremismus: Eintrag Rechtsradikalismus. Online unter Bundeszentrale für politische Bildung <http://www.bpb.de/themen/CNCDW9,50,0,Glossar.html#art50> [Stand 8.02.2008]
[15] Butterwegge 2002: 19
[16] Ebd.: 18ff
[17] Jaschke 2001: 24
[18] Müller 1995: 157ff
[19] Schubarth/ Stöss 2000: 17ff; So gelten beispielsweise die Republikaner als rechtsradikal, da sie sich verfassungskonform äussern, wohingegen die NPD aufgrund der Ablehnung der staatlichen Grundordnung als rechtsextrem einzustufen ist – Vgl. Verfassungsschutzbericht 2006: 52, Erläuterung 5 zur Grafik Rechtsextremismuspotential.
Online unter: Bundesministerium des Inneren <http://www.bmi.bund.de/Internet/Content/Common/Anlagen/Broschueren/2007/Verfassungsschutbericht__2006__de,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/-Verfassungsschutzbericht_2006_de.pdf> [Stand 10.02.2008]
[20] Vgl. Pfahl-Traughber 2006 und Backes/Jesse 1993
[21] Merten/Otto 1993: 19
[22] Butterwegge/ Lohmann 2001: 16; Decker/Brähler 2006: 11ff; Stöss 2005: 19f Die durch den Begriff des Rechtsextremismus implizierte Randständigkeit des Phänomens und seiner Trägergruppen, wirft die Frage auf, inwiefern eine Verantwortung der politischen und gesellschaftlichen Mitte für Probleme den Rechtsextremismus betreffend ausgeblendet wird. Wie in dieser Arbeit noch gezeigt werden wird, überschneiden sich eine Vielzahl von Themen der Rechten mit denen der Mitte. Dementsprechend ist es äußerst gefährlich, wenn sich die politische Mitte gegenüber rechtsextremen ‚Infizierungen‘ als immun betrachtet.
[23] Glossar zum Themenkomplex Rechtsextremismus: Eintrag Rechtsextremismus. Online unter Bundeszentrale für politische Bildung <http://www.bpb.de/themen/CNCDW9,48,0,Glossar.html#art48> [Stand 2.02.2008]
[24] Butterwegge 2002: 19, 21
[25] Pfahl-Traughber 2006: 16
[26] Butterwegge 2002: 22
[27] Backes 2003: 48
[28] Ebd.: 49
[29] Bundesministerium des Inneren (Hg.): Verfassungsschutzbericht 2006 . Online unter: Bundesministerium des Inneren <http://www.bmi.bund.de/Internet/Content/Common/Anlagen/Broschueren/2007/Verfassungsschutbericht__2006__de,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/-Verfassungsschutzbericht_2006_de.pdf> [Stand 10.02.2008]
[30] Kollektive Identitäten bezeichnen spezielle Elemente von Gruppenkulturen. Sie umfassen symbolische Repräsentationen, die sich auf das Selbstverständnis und den Charakter einer Gruppe beziehen, denen sich ihre Mitglieder zugehörig fühlen
[31] Identifikation mit Eigengruppe, bei gleichzeitiger Abgrenzung zu Fremdgruppen Vgl. Klein 2003: 15
[32] Vgl. Klein 2003
[33] Vgl. Brown/ Turner 1981
[34] Klein 2003: 16
[35] Ebd.: 16
[36] Ebd.: 17
[37] Dies können zum Beispiel Ethnien, Nationen, soziale Gruppen etc. sein.
[38] Vgl. Festinger 1954; Tajfels 1978, 1982; Tajfel/Turner 1979, 1986; Klein 2003
[39] Klein 2003: 17
[40] Eine negative Selbstbewertung ruft so psychologische Aktivitäten zur Wiederherstellung eines positiven Selbstwerts hervor
[41] Turner et al. 1987: 48f; Klein 2003: 24
[42] Klein 2003: 36
[43] Konflikte zwischen rechtsextremen Gruppen finden z.B. im Rahmen der Diskussion um ‚Neue‘ und ‚Alte Rechte‘ oder in der Auseinandersetzung mit der neuen Erscheinung sogenannter Autonomer Nationalisten statt.
[44] Simon/ Klandermans 2001: 323
[45] Vgl. Klandermans 1997; Klein 2003; Simon/Klandermans 1997;
[46] Simon/Klandermans 2001: 327, zitiert nach Klein 2003: 43
[47] Klein 2003: 43
[48] Ebd.: 42
[49] Ebd.: 43ff
- Citation du texte
- Jan Sydow (Auteur), 2008, Zwischen Esoterik, Ökologie und Sozialer Frage. Wie sich der deutsche Rechtsextremismus neu verpackt und Brückenköpfe in die Mitte der Gesellschaft bildet., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268307
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