Die folgende Arbeit wird sich mit dem Schriftsteller und Pädagogen Walter Kempowski unter dem Gesichtspunkt der von ihm, als Pädagoge, beschriebenen zwei Lehrertypen „Kindergartentante“ und „Rattenfänger“ beschäftigen.
Die Forschungslage über den Autor Kempowski ist im Allgemeinen noch ausbaufähig.
Kempowski hat im Verhältnis zu Kollegen, wie Günter Grass, wenig Anerkennung als Schriftsteller bekommen. Es gibt jedoch diverse Arbeiten von Dritten, wie Dirk Hempel oder Michael Neumann und Gerhard Henschel, die sich mit seinen Werken und seinen biographischen Hintergründen befasst haben.
Sein Arbeitsschwerpunkt der Pädagogik scheint in der Öffentlichkeit auf den ersten Blick hinter seiner Arbeit als Schriftsteller zurück zu fallen und vergleichsweise wenig Beachtung zu finden, und doch finden sich in fast allen Gesamtwerken, die auch in der Sekundärliteratur dieser Arbeit angegeben sind, einzelne Kapitel zum Thema Pädagogik, bzw. Lehrertypen. Pädagogische Situationen und Schulszenen ziehen sich, wie ein roter Faden, durch Kempowskis Werke. Außerdem kann er selbst auf eine lebenslang gestaltete Schulpraxis zurückblicken.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Einleitung
1.1 Fragestellung und Struktur der Arbeit
1.2 Pädagogische Biographie von Walter Kempowski
1.2.1 Kempowski als Lehrer
1.2.2 Kempowski als Schriftsteller
1.3 Die Entwicklung der modernen Pädagogik in Deutschland
1.3.1 Die drei Phasen der Entstehung
1.3.2 Kritik an der Reformpädagogik
2 Darstellung der Lehrertypen in ausgewählten Werken
2.1 Unser Herr Böckelmann
2.2 Schöne Aussicht
2.3 Heile Welt
3 Fazit
Literaturverzeichnis
„Daß Unterrichten auch dem Lehrer Spaß machen muß - sonst hält man es nicht 30 Jahre
aus -, das begreifen sie nicht. Jede Stunde, in der nicht gelacht wird, ist eine verlorene Stunde.“
Walter Kempowski am 10. Juli 1989
Vorwort
Für mich war Walter Kempowski ein relativ unbekannter Autor aus der Nachkriegszeit. Zum ersten Mal hörte ich im Seminar „Walter Kempowski im Unterricht“ an der JustusLiebig-Universität Gießen von ihm.
Mir hat die Vielzahl der Anknüpfungsmöglichkeiten an seiner Person und seinen Werken besonders gefallen. Kempowski als Pädagoge und Schriftsteller, aber auch Jugendlicher, der im zweiten Weltkrieg aufgewachsen ist und die Nachkriegszeit miterlebt hat, weist diverse Möglichkeiten der Vertiefung im Unterricht für Deutschlehrer auf. Für mich, als angehende Lehrerin, war dieser Aspekt besonders beeindruckend.
Aufgrund seiner eigenen beruflichen Tätigkeit als Lehrer und pädagogischen Ausarbeitungen einer Didaktik „ vom Kinde aus “ (vgl. Neumann 1980, o.S.), erscheint mir das Thema im Hinblick auf meine eigenen Interessen als Lehramtsstudentin, sehr inspirierend. Meine Erfahrungen im Bereich des Förderschullehramtes mit dem Förderschwerpunkt „Geistige Behinderung“ stützen sich, genau wie Kempowskis Ansichten, zum großen Teil auf diverse Ansätze der Reformpädagogik, weshalb ich diese genauer betrachten möchte.
Kempowski war ein Verfechter der Reformpädagogik, was sich bei Betrachtung seiner biographischen Daten direkt offenbart. Er hat eine eigene Didaktik entworfen und beschäftigte sich mit einem kindzentrierten Lehren innerhalb der Kulturtechniken, besonders im Schwerpunkt „Lesen lernen“. Seine pädagogischen Methoden und Sichtweisen wurden von Michael Neumann (1980) beschrieben und veröffentlicht. In den letzten zehn Jahren vor seiner Pensionierung forschte er an der Universität Oldenburg und propagierte die Reformpädagogik, was für ihn aufgrund der derzeitigen Reformen im Schuldienst nicht mehr möglich war. Sein Leben ist seit Beginn der Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit geprägt von den Ideen und Ansichten der Reformpädagogik, welche er praktisch als Lehrer selbst anwendete und in seinen Texten als Schriftsteller immer wieder thematisierte.
1 Einleitung
1.1 Fragestellung und Struktur der Arbeit
Die folgende Seminararbeit wird sich mit dem Schriftsteller und Pädagogen Walter Kempowski unter dem Gesichtspunkt der von ihm, als Pädagoge, beschriebenen zwei Lehrertypen „Kindergartentante“ und „Rattenfänger“ beschäftigen.
Die Forschungslage über den Autor Kempowski ist im Allgemeinen noch ausbaufähig. Kempowski hat im Verhältnis zu Kollegen, wie Günter Grass, wenig Anerkennung als Schriftsteller bekommen. Es gibt jedoch diverse Arbeiten von Dritten, wie Dirk Hempel oder Michael Neumann und Gerhard Henschel, die sich mit seinen Werken und seinen biographischen Hintergründen befasst haben.
Sein Arbeitsschwerpunkt der Pädagogik scheint in der Öffentlichkeit auf den ersten Blick hinter seiner Arbeit als Schriftsteller zurück zu fallen und vergleichsweise wenig Beachtung zu finden, und doch finden sich in fast allen Gesamtwerken, die auch in der Sekundärliteratur dieser Arbeit angegeben sind, einzelne Kapitel zum Thema Pädagogik, bzw. Lehrertypen. Pädagogische Situationen und Schulszenen ziehen sich, wie ein roter Faden, durch Kempowskis Werke. Außerdem kann er selbst auf eine lebenslang gestaltete Schulpraxis zurückblicken.
Kempowski war ein großer Anhänger der Reformpädagogik. Die Entwicklung seiner pädagogischen Ansichten im Bezug auf die Reformpädagogik, werden daher in einem ersten Kapitel aus biographischer Sicht erläutert, weshalb es mir notwendig erscheint, in einem anschließenden Kapitel die Entwicklung und Entstehung der reformpädagogischen Bewegungen in Deutschland sowie zugehörige Kontraste aus der vorhergehenden Zeit des 19. Jahrhunderts genauer zu beleuchten.
In einem letzten Schritt möchte ich die beiden Lehrertypen anhand ausgewählter Textstellen aus Kempowskis Romanen „Unser Herr Böckelmann“ (1979), „Schöne Aussicht“ (1981) und „Heile Welt“ (1998) darstellen und mit seinen selbst formulierten Ansichten vergleichen, um auf diese Weise eine Zuordnung von Kempowskis pädagogischer Einstellung zu einem der beiden Lehrertypen belegen zu können. Das letzte Kapitel wird sich mit einer Inkonsequenz innerhalb der positiven Darstellung des favorisierten Lehrertyps beschäftigen und einem persönlichen Fazit bezüglich der Kategorisierung und Sinnhaftigkeit dieser Kategorisierung.
1.2 Pädagogische Biographie von Walter Kempowski
Am 29. April 1929 wurde Walter Kempowski als dritter und jüngster Sohn eines Reeders in Rostock geboren (vgl. Pfeifer o.J., o.S.).
Aufgewachsen in der Gesellschaft des gehobenen Wirtschaftsbürgertums, war er bereits in seiner Kindheit von Kultur, Bildung und einer finanziell wohlsituierten Familie umgeben, was sein Denken und Handeln über die Jugendzeit hinweg, bis hin ins hohe Erwachsenenalter, geprägt hat (vgl. Hempel 2004, 24). Einen weiteren großen Einfluss hatte seine Mutter, Margarethe Kempowski, die als sozial engagiert, gefühlvoller und warmherziger Mensch beschrieben wird (vgl. a.a.O., 33).
Unter Beachtung der christlichen Grundsätze der eigenen Fröbelausbildung, ging es Margarethe bei der Erziehung ihrer Kinder darum,
„[…] sie einer schon angelegten eigenen Bestimmung zuzuführen, sie ‚nachgehend ‘ zu behüten und nicht autoritär Wege vorzuschreiben. Kerngedanke war die ständige Anregung der schöpferischen Möglichkeiten - eine liberale Auffassung, die der totalitären Zeit entgegenstand“ (a.a.O., 40).
Hier finden sich bereits erste Ansichten der Reformpädagogik wieder.
1935 besuchte er die St. Georg-Schule für Knaben und begegnete dort seinem ersten Klassenlehrer Hans Märtin. Dieser und Johannes Gosselck, sein Lehrer auf dem späteren Realgymnasium, waren wichtige Schlüsselfiguren für Kempowski, der sie als humane Lehrerfiguren bezeichnete und ihren Fotos einen respektvollen Ehrenplatz auf seinem Schreibtisch zugewiesen hat (vgl. a.a.O., 40ff.). Die schulische Situation und die Lehrerfahrungen bei dem „Halbgott“ Märtin und dem „ewigen Vater“ Gosselck beeinflussten ihn nachträglich und verstärkten seinen Wunsch, selbst Dorfschullehrer zu werden.
Offensichtlich beeindruckt von der Menschenfreundlichkeit beider Lehrer, dem Unterricht ohne Fibel und der magischen Erscheinung durch den bewusst gewählten Kleidungsstil von Märtin sowie der Naturverbundenheit Gosselcks, finden wir ähnliche Verhaltensweisen und Lehrmethoden bei Kempowski in der eigenen, späteren Unterrichtspraxis wieder, welche er im Werk „Kempowski der Schulmeister“ von Michael Neumann beschreiben ließ (vgl. a.a.O., 41ff.).
Beide Lehrer empfand Kempowski als „Rettung“, da sie aufgrund ihrer menschlichen und liebevollen Art eine Ausnahmesituationen innerhalb der autoritären Zeit des Nationalsozialismus für ihn darstellten, an denen er festgehalten hat (ebd.).
Im März 1948 wurde er vom sowjetischen Militärtribunal aufgrund des Spionagevorwurfs zu 25 Jahren Haft verurteilt. Im Zuchthaus Bautzen konnte Kempowski durch die Leitung des internen Chores erste pädagogische Erfahrungen sammeln und es ergaben sich intensive Gespräche mit einem ostpreußischen Dorfschullehrer, der von seinen Erfahrungen berichtete, was ihn in seinem Berufswunsch, den er nach der Entlassung aus dem Zuchthaus, zu erfüllen suchte, wiederholt bestätigte (vgl. Neumann 1980, 7). Die Wahl des Lehrerberufes erscheint im Hinblick auf die Familiengeschichte der Kempowskis erst einmal ungewöhnlich, da diese fast vollständig kaufmännisch orientiert war. Der einzige Anknüpfungspunkt im Stammbaum der Kempowskis ist der Schneider Kempowski, der um 1801 als Dorfschullehrer tätig war. (vgl. Hempel 2004, 11) Nach vorzeitiger Entlassung im Jahre 1956 holte Walter Kempowski sein Abitur nach und begann ein Lehramtsstudium an der pädagogischen Hochschule in Göttingen. Dort machte er weitere einschneidende Erfahrungen mit dem derzeitigen Rektor Heinrich Heise, dessen Ansichten sich auf das gesamte Studium und Kempowskis Einstellung ausgewirkt haben, ja, sie sogar entscheidend prägten (vgl. Hansel 2010, 190ff.): Das Lehramtsstudium in Göttingen stand ganz klar im Zeichen reformpädagogischer Ideen (vgl. Maiwald 2010, 334).
Er besuchte Vorlesungen des Reformers Heise und befasste sich mit der Geschichte der Reformpädagogik, die seinen eigenen Idealen entsprach. Besonders die Auffassungen und Lehren Heises, die 1960 in seinem Werk „Die entscholastisierte Schule“ veröffentlicht wurden und eine Schule proklamieren, die sich gegen die Wort- und Stillsitzschule des 19. Jahrhunderts wendet, faszinierten und inspirierten Kempowski. Heise griff die Ideen von Pestalozzi, Fröbel, Goethe, Dewey/Kilpatrik, Kerschensteiner und weiteren Reformpädagogen und deren Vorläufern auf, und entwarf eine Schule der Erfahrung, des aktiven Gestaltens, der Schülerzentriertheit, des Dialoges - eine Pädagogik vom Kinde aus (vgl. Heise 1964, o.S.).
Henschel formuliert Kempowskis Begeisterung so: „Was ihm daran gefiel, war der elementare, immer noch von den Aufbruchsstimmungen der Jahrhundertwende beflügelte Geist der Liberalität und Menschenfreundlichkeit […]“ (Henschel 2009, 133). Nach Absolvieren des ersten Staatsexamen zog Kempowski mit seiner Frau Hildegart nach Breddorf, wo beide eine Anstellung als Dorfschullehrer erhielten und für sich beste Voraussetzungen schufen für ein glückliches Leben auf dem Land und einem Unterrichten in kleinen, überschaubaren Klassen (vgl. Hempel 2004, 106f.).
In dieser Zeit reifte Kempowskis eigene, individuelle Unterrichtsmethode aus, sodass er sich ab dem dritten Unterrichtsjahr für einen Unterricht ohne Buch und Fibel entschied, genau wie sein Lehrer Märtin es in seiner frühen Schulzeit tat.
Sein zweites Staatsexamen absolvierte Kempowski im Jahr 1963, in dessen Vorbereitungszeit die Geburten seiner Kinder Karl-Friedrich und Renate fielen. Nach einem Schulwechsel in den nahegelegenen Ort Nartum im Jahr 1965, wo er eine weitere glückliche Zeit als Dorfschullehrer erlebte, wurden die Dorfschulen zu Kempowskis Leid und Ärger infolge der laufenden Schulreform geschlossen und durch größere, stadtnahe Mittelpunktschulen ersetzt (vgl. a.a.O., 117ff.).
Die Versetzung an die Mittelpunktschule Zeven erfolgte im Schuljahr 1974/75. Für Kempowski bedeutete dies den Verlust des Paradieses der einklassigen Schule und ein Zwang des Unterrichts in „Kasernenschulen“ (vgl. a.a.O., 157).
Anfangs versucht er das Idealbild der guten deutschen, humanen Landschule in die Mittelpunktschule Zeven zu übertragen, was in Neumanns Beschreibung des Schulmeisters Kempowski (1980) dargestellt wird, doch durch die Re-Scholastisierung der Schule sank auch das Interesse am Unterricht für Kempowski im Laufe der folgenden Jahre stetig (vgl. Henschel 2009, 334f).
In einem Spiegel-Interview sagte Kempowski 1979:
„Die Bildungsreform und die vielen Schulexperimente haben den Lehrern eine Unmenge unsinniger Lasten aufgebürdet und auch den Schülern mehr geschadet als genützt. Ein großer Teil unserer Energien ergießt sich nun in Listen, Karteien, Konferenzen und in Absicherungen. Je größer die Schulen, desto schlimmer ist es, desto größer das Übermaß an Bürokratie“ (Der Spiegel 1979, 62).
Im selben Interview argumentiert er weiterhin, dass der Lehrer in der alten Landschule ausgeruhter und gelassener sein konnte, damit humaner und mit mehr Muße den SchülerInnen entgegentreten konnte. Er ging sogar soweit, zu behaupten, dass die Schulreform und die Experimente so viel Unruhe stiften würden, dass Schule oft schlimmer geworden sei als bei Kaiser Wilhelm (vgl. Der Spiegel 1979, 63f.). Bezüglich der strengen Maßgaben der staatlichen Lehrpläne, die Ender der 70er Jahre entstanden, stellte er einen Verlust der Reformpädagogik fest:
„Das war nicht meine Welt. Ich war Lehrer geworden, um als Kindervater Jugend um mich zu sammeln und sie, ganz altmodisch, zu sich selbst zu führen. Diese Zeit war vorbei“ (Hempel 2004, zit. nach Kempowski, 166).
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- Arbeit zitieren
- Deborah Hartmann (Autor:in), 2013, Das Lehrerbild bei Walter Kempowski. Kindergartentante oder Rattenfänger, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/267198
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