Die Arbeit behandelt rechtsvergleichend das deutsche und das französische Staatssystem sowie die Umsetzung der EU-Kohäsionspolitik auf regionaler Ebene in Deutschland und Frankreich anhand der sog. Strukturfonds (EFRE und ESF).
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Problemaufriss
III. Französische Regionen und deutsche Bundesländer im nationalen Staatsaufbau
1. Zwei unterschiedliche Staatssysteme
a) Der französische Staatsaufbau
b) Der deutsche Staatsaufbau
c) Deutsches und französisches Staatssystem im Vergleich
2. Die regionalen Gebietskörperschaften im jeweiligen Nationalstaat
a) Die französische Regionen
b) Die deutschen Länder in der Bundesrepublik
c) Rechtsvergleich der regionalen Gebietskörperschaften
IV. Die Kohäsionspolitik der Europäischen Union
1. Die Geschichte der Kohäsionspolitik
a) Die Anfänge
b) Die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza
c) Der Vertrag von Lissabon
d) Die Kohäsionspolitik im Lichte der Lissabon- und der Europa-2020-Strategie
2. Die Strukturfonds
a) Der Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung
b) Der Europäische Sozialfonds
c) Der Kohäsionsfonds für Umwelt und die Integration in transeuropäische Verkehrsnetze
d) Der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und der Europäische Fischereifonds
3. Die Förderziele 2007-2013
a) „Konvergenz“
b) „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“
c) „Europäische territoriale Zusammenarbeit“
d) Phasing-out- und Phasing-in-Mittel
4. Grundlegende Prinzipien
5. Die Kohäsionspolitik 2014-2020
V. Mittelvergabe aus den Strukturfonds in französischen Regionen und deutschen Ländern
1. Geförderte Regionen in Deutschland und Frankreich
a) Geförderte Regionen in Frankreich
b) Geförderte Regionen in Deutschland
c) Vergleich der geförderten Gebiete
2. Die Rolle der Länder und Regionen bei der Programmplanung
a) Die Kohäsionsleitlinien
b) Der Nationale Strategische Rahmenplan
c) Das nationale Reformprogramm
d) Die Operationellen Programme
e) Exkurs: Deutsche Landesvertretungen und französische Regionalbüros in Brüssel
3. Die Rolle der Regionen und Länder bei der Programmdurchführung
a) Mittelvergabe
b) Mittelverwaltung
VI. Fazit
I. Einleitung
Mit der immer größeren Ausweitung der Kompetenzen der Europäischen Union (EU) innerhalb der letzten Jahrzehnte hat sich auch die Rolle der regionalen Gebietskörperschaften der EU-Mitgliedstaaten stets weiter verstärkt. Europäische Regionen werden mittlerweile immer stärker an der Entscheidungsfindung auf EU-Ebene beteiligt und setzen EU-Rechtsakte auf regionaler Ebene um.
Die Gesetzgebungskompetenz der deutschen Bundesländer ist inzwischen von einer Vielzahl von EU-Politikbereichen betroffen. Dies führt dazu, dass Verwaltungseinrichtungen der deutschen Länder immer mehr an der Umsetzung von in Brüssel beschlossenen Rechtsakten in nationales (Landes-)Recht beteiligt sind. Vor allem den Landesministerien kommt hierbei eine wichtige Rolle zu, da es in den meisten Fällen an ihnen liegt, die Brüsseler Rechtsakte durch Landesgesetze oder im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung praxistauglich umzusetzen.
Auch in Frankreich hat die EU-Gesetzgebung ähnliche Auswirkungen. Die Gesetzgebungskompetenzen sind dort zwar vorrangig auf nationaler Ebene verhaftet, jedoch übernehmen die französischen Regionen immer mehr Aufgaben bei der Umsetzung von EU-Rechtsakten. Dies gilt vor allem in Zeiten, in denen der amtierende französische Staatspräsident Frangois Hollande beabsichtigt, den Regionen mehr Kompetenzen bei der Verwaltung der Strukturfonds zu übertragen. Diese dienen als finanzielle Mittel der EU-Kohäsionspolitik[1], welche als Ausdruck der mitgliedstaatlichen Solidarität dazu dienen soll, Disparitäten zwischen Regionen und Mitgliedstaaten in wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Hinsicht zu verringern.[2]
Die Debatte über eine weitergehende Dezentralisierung der Strukturfonds, einhergehend mit einem Kompetenzgewinn der französischen Regionen, ist in vollem Gange.[3] Ein Gesetzesvorschlag, welcher die Verwaltungskompetenz der Strukturfondsmittel mit der am 1. Januar 2014 neu beginnenden siebenjährigen Förderperiode grundsätzlich auf die conseils regionaux übertragen soll, wurde von Marylise Lebranchu, Ministerin für Staatsreform, Dezentralisierung und Beamtentum bereits angekündigt.[4]
Innerhalb der EU-Kohäsionspolitik wurde mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. Dezember 2009 das bisherige spezielle Gesetzgebungsverfahren zur Regelung der Strukturfonds, an dem bis dahin hauptsächlich der Rat der EU und die EU-Kommission beteiligt waren, abgeschafft und durch das ordentliche Gesetzgebungsverfahren nach Art. 294 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) ersetzt.[5] Die damit einhergehende Stärkung der Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments (EP) durch seine Gleichstellung mit dem Rat der EU im Gesetzgebungsverfahren sowie die Ausweitung der Ziele der Kohäsionspolitik um die territoriale Kohärenz, welche die Förderung der europäischen Gebietskörperschaften nochmals verstärkt, erhöht die demokratische Beteiligung der Akteure auf europäischer, nationaler und vor allem regionaler und lokaler Ebene.
Das Prinzip der sog. Multi-Level-Governance wird mittlerweile als effektivste Regierungsform im europäischen Mehrebenensystem gesehen und meint ein jeweils auf eine konkrete Situation und auf bestimmte thematische Prioritäten zugeschnittenes flexibles Gefüge von Beziehungen zwischen der Kommission, den Regierungen der Mitgliedstaaten sowie den Akteuren auf regionaler Ebene.[6]
Diese Form des Regierens macht sich auch innerhalb der Kohäsionspolitik immer stärker bemerkbar. Dies führt teilweise zu einer Auflockerung von starren Kompetenzabgrenzungen, die auf das in Art. 5 Abs. 3 des Vertrags über die EU (EUV) festgeschriebene Subsidiaritätsprinzip zurückgehen. Den europäischen Regionen kommt damit bei der Ausgestaltung der Kohäsionspolitik innerhalb ihres Mitgliedstaats und insbesondere bei der Verwaltung und Vergabe der Fondsmittel eine immer wichtigere Rolle zu.
II. Problemaufriss
Der unterschiedliche Staatsaufbau Frankreichs und Deutschlands macht einen Rechtsvergleich zwischen den beiden Staatssystemen und der konkrekten Umsetzung der Verwaltung und Vergabe der Fördermittel aus den Strukturfonds - trotz einheitlicher EU- Rechtsvorschriften - möglich.
Die wesentlichen Inhalte und Aufgaben der EU-Strukturfonds sind in vier Verordnungen geregelt.[7] Diese müssen zwar grundsätzlich nicht mehr in nationales Recht umgesetzt werden, da sie nach Art. 288 Abs. 2 AEUV bereits allgemeine Geltung haben, in allen ihren Teilen verbindlich sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten. Jedoch dürfen sich die Mitgliedstaaten bei der konkreten Umsetzung der die Strukturfonds betreffenden Programme sowie deren Verwaltung und Vergabe auf ihre interne Verwaltungsstruktur stützen.
In dieser Arbeit soll hauptsächlich auf die sog. Strukturfonds, d. h. den Europäischen Sozialfonds (ESF) und den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) eingegangen werden. Der Kohäsionsfonds für Umwelt und die Integration in transeuropäische Verkehrsnetze (kurz: Kohäsionsfonds) sowie der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und der Europäische Fischereifonds (EFF), die beide ursprünglich der Kohäsionspolitik entstammen, sollen nur kurz vorgestellt werden.
Aufgrund des unterschiedlichen Staatsaufbaus Deutschlands und Frankreichs stellt sich die Frage, ob sich die Verwaltungs- und Vergabemethoden der Fondsmittel in beiden Staaten auf regionaler Ebene deutlich voneinander unterscheiden oder ob die einheitlichen EU-Rechtsvorschriften mehr Gemeinsamkeiten und Überschneidungen in der jeweiligen Handhabung der Fonds mit sich bringen.
Um dies herauszufinden, soll zunächst eine rechtsvergleichende Einordnung beider Gebietskörperschaften in ihrem jeweiligen Staatsgefüge vorgenommen werden (III.), sowie zur Einstufung der Thematik eine Erläuterung des Entstehens und Funktionierens der EU-Kohäsionspolitik (IV.) gegeben werden. Anschließend wird rechtsvergleichend auf die von EFRE und ESF geförderten Gebiete und insbesondere auf die Mittelverwaltung und Mittelvergabe der Fonds auf regionaler Ebene in Deutschland und Frankreich eingegangen (V). Zum Schluss (VI.) werden die Ergebnisse dieser Arbeit kurz zusammengefasst sowie ein Ausblick gegeben.
III. Französische Regionen und deutsche Bundesländer im nationale n Staatsaufbau
Frankreich und Deutschland unterscheiden sich in ihrem heutigen Staatsaufbau in wesentlichen Punkten. Ausgehend von unterschiedlichen Staatsmodellen, über den Zeitpunkt der Gründung sowie unterschiedliche historische Einflüsse gibt es einige Unterschiede, jedoch auch Gemeinsamkeiten.
1. Zwei unterschiedliche Staatssysteme
a) Der französische Staatsaufbau
Der aktuelle französische Staat - die V. Französische Republik - besteht seit dem 4. Oktober 1958, an welchem die derzeitige Verfassung in Kraft trat. Nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 der Verfassung von 1958 (im Folgenden: Verfassung) ist Frankreich eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik. Frankreich ist ein sog. Einheitsstaat, in welchem die hauptsächlichen Gesetzgebungskompetenzen auf Zentralstaatsebene verankert sind. Allerdings ist in Art. 1 Abs. 1 S. 4 der Verfassung (seit der Verfassungsreform aus dem Jahre 2003)[8] auch festgeschrieben, dass der Staat dezentral organisiert ist, was die Rolle des Zentralstaats schmälert und dadurch die Stellung der lokalen (101 departements und circa 36.600 Kommunen) und regionalen (27 Regionen) Gebietskörperschaften hervorhebt.
Die zentrale Position in der Verfassung nimmt der Staatspräsident[9] ein, der vom Volk direkt für eine fünfjährige Amtszeit (sog. quinquennat)[10] gewählt wird und einmal wiederwählbar ist. Er ist weder dem Parlament verantwortlich, noch sind seine Handlungen verfassungsrechtlich kontrollierbar. Er besitzt eine Vielzahl eigenständiger Kompetenzen. So ernennt er beispielsweise den Ministerpräsidenten - und hat das Recht, diesen auch wieder zu entlassen -, kann ein Referendum durchführen lassen und die Nationalversammlung (Assemblee nationale) auflösen. Außerdem hat er Sondervollmachten im Notstandsfall, Entscheidungsvollmacht über den Einsatz der Streitkräfte und der Atomwaffen sowie das Recht, Verhandlungen über internationale Verträge zu führen und diese zu ratifizieren.[11] Der Premierminister bewegt sich als Regierungschef zwischen dem Vertrauen des Parlaments und des Staatspräsidenten. Ersteres kann ihm das Vertrauen entziehen, so dass Letzterer ihn dann absetzt.[12]
Das französische Staatsgebiet besteht aus 27 Regionen, welche sich wiederum in sog. departements unterteilen. Von den insgesamt 101 departements befinden sich 96 auf dem europäischen Kontinent und fünf außerhalb, die sog. departements et territoires d'outre mer (DOM-TOM). In den DOM-TOM befindet sich ein departement bzw. ein territoire auch jeweils innerhalb einer Region, es gibt also nicht wie in Kontinentalfrankreich mehrere departements pro Region.
Die von Napoleon Bonaparte eingeführte Praxis, dass die departements und Regionen von einem vom Staatspräsidenten bestellten Präfekten regiert werden, welcher die Regierung innerhalb der Region bzw. des departements repräsentiert[13], unterstreicht den zentralistischen Charakter des Landes.
Das französische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Assemblee nationale und dem Senat. Während erstere im Rahmen der Elections legislatives direkt vom wahlberechtigten Volk gewählt wird, sind zur Wahl des Senats nur die sog. Grands electeurs berechtigt. Diese circa 145.000 Wahlberechtigten setzen sich aus Abgeordneten aus der Assemblee nationale, aus den Verwaltungsräten auf der Ebene der Regionen, departements und Städte sowie aus Vertretern der im Ausland lebenden Franzosen zusammen. Eine erste Dezentralisierung dieses grundsätzlich sehr zentralistisch ausgerichteten Staatsaufbaus wurde 1963 unter General Charles de Gaulle mit der Gründung der sog. Delegation interministerielle a l'amenagement du territoire et a l'attractivite regionale (DATAR) versucht. Diese interministerielle Verwaltungseinheit hat die Aufgaben, die zentralstaatlich initiierte Raumordnungspolitik vorzubereiten und zu koordinieren sowie ihr neue Impulse zu geben.[14] Die erste große Dezentralisierung der französischen Verwaltung, der sog. acte I der Dezentralisierung, erfolgte 1982 mit der Verabschiedung des Gesetzes namens loi Defferre[15], welches vom damaligen Innen- und Minister für Dezentralisierung, Gaston Defferre, auf den Weg gebracht wurde. Es gab den heutigen Regionen ihren Namen, wies ihnen klare Kompetenzen zu und führte eine Direktwahl der conseils regionaux[16] ein.
Eine weitere Dezentralisierung Frankreichs ist in dem von Marylise Lebranch angekündigten Gesetzesentwurf erkennbar (s. o. I.). Jedoch schmälert dies die weiterhin mächtige Rolle des Zentralstaats nur in Teilen, sodass dieser, insbesondere verkörpert durch den Staatspräsidenten mit seinen diversen Befugnissen, weiterhin das Staatssystem dominiert.
b) Der deutsche Staatsaufbau
Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist gemäß Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Dieser unterteilt sich in einen zweigliedrigen Aufbau, in dem der Bund als Zentralstaat und die Länder als Gliedstaaten fungieren.[17]
Der heutige föderale Staatsaufbau ist vor allem historisch bedingt: Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Fall Nazideutschlands strebten die alliierten Siegermächte eine Dezentralisierung der politischen Macht innerhalb des Landes an. Hiermit sollte Deutschland jeglicher Anreiz für ein erneutes zentralistisch ausgerichtetes, totalitäres Regime genommen werden. Diese Entwicklung schloss sich allerdings auch an eine historisch gereifte Föderalismustradition an, die von einer lange andauernden Unterteilung des deutschen Gebietes in diverse Fürstentümer und mächtige Partikularstaaten geprägt war. Die mächtigen deutschen Mittelstaaten ließen sich nur in einen föderalistischen Staatenbund miteinbinden, in welchem sie ihre starke Stellung gegenüber einem relativ schwachen Bund beibehalten konnten.[18] Sie konnten sich 1814 auf dem Wiener Kongress durchsetzen, so dass sich 1815 der Deutsche Bund gründete, der als föderalistischer Staatenbund das von Napoleon Bonaparte durcheinandergebrachte europäische Gleichgewicht wiederherstellen sollte.[19]
Bund und Länder teilen sich die Kompetenzen für Gesetzgebung und Verwaltung. Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist zwar nach Art. 30 GG grundsätzlich als Aufgabe der Länder festgeschrieben. Jedoch teilen sich die Gesetzgebungskompetenzen faktisch sehr genau zwischen Bund und Ländern auf. Die Länder haben innerhalb der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes nach Art. 71 GG nur die Befugnis, innerhalb einer der im Katalog des Art. 73 Abs. 1 Nr. 1-14 GG aufgeführten Domänen tätig zu werden, soweit sie hierzu in einem Bundesgesetz ermächtigt worden sind. Innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 Abs. 1 GG, deren Bereiche in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1-33 GG aufgeführt sind, dürfen die Länder von ihrer Gesetzgebungskompetenz nur Gebrauch machen, soweit der Bund nicht schon aktiv geworden ist. Auf weitere Ausführungen zu Ausnahmen der jeweiligen Kompetenzverteilung soll an dieser Stelle verzichtet werden, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen.
Eine weitere wichtige Rolle wird den Ländern bei der Ausführung der Bundesgesetze zuteil. Gemäß Art. 83 GG führen die Länder diese grundsätzlich als eigene Angelegenheit im Auftrag des Bundes aus (sog. Bundesauftragsverwaltung). Hierbei haben die Länder gemäß Art. 84 Abs. 1 S. 1 GG die Befugnis, die Einrichtung der Behörden sowie das Verwaltungsverfahren grundsätzlich selbst zu regeln. In Ausnahmefällen kann der Bund jedoch gemäß Art. 84 Abs. 1 S. 5 GG das Verwaltungsverfahren der Länderverwaltung abschließend regeln, wenn besondere Bedürfnisse nach bundeseinheitlicher Regelung dies erforderlich machen. Die Bundesregierung, gemäß Art. 62 GG bestehend aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern, übt gemäß Art. 84 Abs. 3 S. 1 GG die Aufsicht über die Länderverwaltung aus und darf hierfür zu Überprüfungszwecken gemäß Art. 84 Abs. 3 S. 2 GG Beauftragte zu den obersten Landesbehörden entsenden. Weiterhin darf die Bundesregierung gemäß Art. 84 Abs. 5 S. 1 GG in besonderen Fällen Einzelweisungen an die obersten Landesbehörden richten.
Praktisch unterteilt sich die Ausführung der Bundesgesetze in die Bundesauftragsverwaltung gemäß Art. 85 GG sowie in die bundeseigene Verwaltung gemäß Art. 86 GG. Zu letzterer gehören gemäß Art. 87 Abs. 1 S. 1 GG beispielsweise die Verwaltung des Auswärtigen Diensts, der Bundesfinanzverwaltung sowie der Bundeswasserstraßen und der Schifffahrt. Darüber hinaus führen die Art. 87 a ff. GG weitere Fälle bundeseigener Verwaltung auf, wie zum Beispiel die Bundeswehrverwaltung (Art. 87 b GG), die Luftverkehrsverwaltung (Art. 87 d GG), die Verwaltung der Eisenbahn (Art. 87 e GG) oder die Verwaltung von Post und Telekommunikation (Art. 87 f GG). Bundesgesetze zur Erzeugung und Nutzung der Kernenergie können gemäß Art. 87 e GG von den Ländern nach gesetzlicher Ermächtigung durch den Bund im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung ausgeführt werden. Dasselbe gilt für Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung gemäß Art. 87 d Abs. 2 GG.
Was die Staatsorgane betrifft, wird gemäß Art. 54 Abs. 1 GG alle fünf Jahre der Bundespräsident gewählt. Dieser hat im Vergleich zum französischen Staatspräsidenten jedoch nicht derartig weitreichende Kompetenzen, sondern vielmehr eine repräsentative Funktion inne. Das Organ mit den wichtigsten Entscheidungsbefugnissen ist der Bundeskanzler, welcher vom Bundestag gemäß Art. 63 Abs. 1 GG gewählt wird, um anschließend vom Bundespräsidenten nach Art. 63 Abs. 2 S. 2 GG ernannt zu werden. Der Bundeskanzler bildet zusammen mit den Bundesministern nach Art. 62 GG die Bundesregierung (s. o.). Der Bundestag wird von der wahlberechtigten deutschen Bevölkerung i. S. d. § 12 Abs. 1 Bundeswahlgesetz (BWG) in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gemäß Art. 38 Abs. 2 GG gewählt. Aktuell beträgt eine Legislaturperiode gemäß Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG vier Jahre und die Abgeordneten des Bundestags üben ein freies, d. h. nicht weisungsgebundenes, Mandat i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG aus. Dies bedeutet, dass sie bei Abstimmungen im Bundestag grundsätzlich keinerlei Vorgaben unterliegen und bei einer Entscheidung innerhalb des Parlaments nur ihrem Gewissen unterworfen sind.Durch den Bundesrat sind auch die Länder in Form einer „Länderkammer“ an der Bundesgesetzgebung beteiligt. Seine Mitglieder werden nach Art. 51 Abs. 1 GG aus den jeweiligen Landesregierungen entsendet und werden von diesen auch wieder abbestellt. Diese sind im Gegensatz zu den Abgeordneten des Bundestags grundsätzlich weisungsgebunden, d. h. sie haben sich bei Abstimmungen im Bundesrat an die ihnen erteilten Vorgaben zu halten.
Insgesamt ist die BRD ein sehr föderalistisch geprägter Staat mit Kompetenzen, die auf Bundes- und Landesebene verteilt sind. Dementsprechend umfassend sind auch die Kompetenzen und Machtbefugnisse, die den Ländern zustehen.
c) Deutsches und französisches Staatssystem im Vergleich
Sowohl Deutschland als auch Frankreich sind eine demokratische Republik.
Im dezentralisierten Einheitsstaat Frankreich mit seinem semipräsidentiellen Regierungssystem liegt die Staatsgewalt und - vor allem - die Gesetzgebungskompetenz hauptsächlich auf Zentralstaatsebene. Der Souveränitätsgewinn der Regionen seit der Gründung der V. Republik ist zwar spürbar, aber dennoch ist deren Rolle im Vergleich zu den deutschen Ländern noch deutlicher vom Zentralstaat bestimmt und eingeschränkt, da nur einige Teile der Staatsaufgaben verwaltungsrechtlicher Art von den Regionen übernommen werden dürfen.
Dies hat zwar den Vorteil, dass Entscheidungen auf Zentralstaatsebene leichter zu überblicken sind als im verschränkten und manchmal unübersichtlichen Gefüge der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in Deutschland. Weiterhin kann ein derartiges System zur Sicherung einer einheitlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes sowie zu einer Einheit des Landes gegen Autonomie- bzw. Unabhängigkeitsbestrebungen einzelner Gebiete führen.
Allerdings geht damit auch stets eine - wenn auch nur vermeintliche - Bevormundung der Provinzen durch den Zentralstaat sowie eine mangelnde Bürgernähe einher.
Im föderalistischen Bundesstaat Deutschland mit seinem parlamentarischen Regierungssystem kann hingegen eine größere Bürgernähe durch die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung auf Bundes- sowie die eigenständige Gesetzgebung auf Landesebene entstehen. Weiterhin bleiben die Kompetenzen auf Bundesebene von den Länderkompetenzen in Gesetzgebung und Verwaltung eingerahmt und der Bundespräsident als Staatsoberhaupt sowie der Bundeskanzler haben im Vergleich zum französischen Staatspräsidenten deutlich eingeschränktere Befugnisse. Der deutsche Bundeskanzler ist im Gegensatz zum französischen Staatspräsidenten auch der parlamentarischen Kontrolle unterworfen.
Ein weiterer Unterschied lässt sich innerhalb der Wahlsysteme feststellen. Zwar werden sowohl die Assemblee nationale als auch der Bundestag direkt von der wahlberechtigten Bevölkerung gewählt. Allerdings erfolgt in Frankreich die Direktwahl des Staatspräsidenten und der Assemblee nationale im Rahmen eines Mehrheitswahlrechts. Dem steht in Deutschland ein personalisiertes Verhältniswahlrecht gegenüber, nach welchem der Bundeskanzler erst von den bereits gewählten Abgeordneten des Bundestages bestimmt wird. Auch der Bundespräsident wird nicht in direkter Wahl vom deutschen Volk gewählt, sondern durch die Bundesversammlung, die sich gemäß Art. 54 Abs. 3 GG zu gleichen Teilen aus Mitgliedern des Bundestages sowie aus Personen, die von den Länderparlamenten gewählt werden, zusammensetzt.
2. Die regionalen Gebietskörperschaften im jeweiligen Nationalstaat
Französische Regionen nehmen innerhalb des französischen Staatsaufbaus deutlich andere Funktionen wahr als die deutschen Bundesländer innerhalb der BRD.
a) Die französische Regionen
Aktuell gibt es in Frankreich 27 Regionen. Von diesen befinden sich 22 auf dem europäischen Kontinent. Fünf Überseeregionen, die sog. Regions d'outre mer (ROM), befinden sich im nördlichen Teil des südamerikanischen Kontinents (Guyane frangaise) bzw. nur wenige hundert Kilometer davon entfernt in der Karibik (Guadeloupe und Martinique) und auf der Höhe von Madagaskar im Indischen Ozean (Mayotte und La Reunion). Sie gelten seit 1946 offiziell als sog. Departements et territoires d'outre mer (DOMTOM)[20]
Die 22 in Kontinentalfrankreich liegenden Regionen sind stets aus mehreren departements zusammengesetzt, wohingegen Überseeregionen jeweils nur aus einem departement bestehen. Korsika nimmt als Gebietskörperschaft mit Sonderstatus (sog. Collectivite a statut particulier) eine Sonderrolle ein.
Die Regionen verwalten sich selbst innerhalb ihres Regionalrats, dem sog. conseil regional. Dieser wird alle sechs Jahre in einer Verhältniswahl nach Listen gewählt und übt nach Art. 72 Abs. 3 der Verfassung die Kompetenzen der Region, die sog. pouvoir reglementaire, aus. Außerdem besitzen die Regionen Finanzautonomie, dürfen also ihre Mittel eigenständig verwalten.
Neben den conseils regionaux gibt es auch noch Generalräte, sog. conseils generaux, welche alle drei Jahre innerhalb eines departements gewählt werden. In den ROM existieren pro Region ein conseil regional sowie ein conseil general, da eine Region auch nur aus einem departement besteht. In Korsika gibt es aufgrund des besonderen Status nur die korsische Versammlung, die sog. Assemblee de Corse sowie einen Exekutivrat, den conseil executif der ihr gegenüber verantwortlich ist.
Die Regionen wurden 1956 als sog. regions de programme (Programmregionen) gegründet und bestehen in ihrer heutigen Form seit dem im Jahr 1982 verabschiedeten Dezentralisierungsgesetz[21], mit welchem ihnen der Status von Gebietskörperschaften, sog. collectivites territoriales, zugesprochen wurde. Sie haben zwar keinerlei Gesetzgebungskompetenzen inne, besitzen jedoch relativ weitgehende, ihnen vom Zentralstaat erteilte, eigenständige Verwaltungskompetenzen. Ihre fünf Hauptkompetenzen liegen in den Bereichen Bildung, Raumordnung, Transportwesen, Wirtschaft und Umwelt.[22] Ihre Bildungskompetenz erstreckte sich anfangs auf die Neuordnung der lycees (Schulheinheit des letzten 3-jähriger Schulabschnitts, die zum Erwerb des baccalaureat, d. h. Abitur, besucht wird) sowie - seit dem 1. Juni 1983 - auf das Erstellen regionaler Pläne zur Berufsausbildung und Lehre.[23] Die Raumordnung betreffend, erstellen die Regionen seit 1995 eigene Schemata zur Raumordnung und -entwicklung.[24] Im Transportwesen sind die Regionen vor allem für regionale Schienennetze und Personenzüge zur Unterstützung der nationalen Eisenbahngesellschaft[25], der Societe nationale des chemins de fer frangais (SNCF), zuständig sowie in durch nationales Gesetz begrenztem Umfang für Häfen und Flugplätze.[26] In ökonomischer Hinsicht koordinieren sie die regionale Wirtschaft.[27] Außerdem sind sie für die finanzielle Unterstützung von Unternehmen, insbesondere bei der Unterstützung von Pensionsfonds, zuständig und stimmen sich hierbei mit anderen Regionen ab.[28] Kompetenzen in der Domäne Umwelt besitzen die Regionen für Naturparks und Naturschutzgebiete (welche sie selbst festlegen dürfen) und erarbeiten regionale Pläne zur Luftqualität und für die Entsorgung und Vernichtung von Industrieabfall.[29]
Als Vertreter des Zentralstaats koordiniert ein Regionalpräfekt (prefet de region) die Tätigkeiten der Zentralregierung in der Region. Er hat seinen Sitz in der regionalen Präfektur, welche sich in der Hauptstadt des von ihm koordinierten Gebiets befindet. Die Präfekten der departements sind seiner Verantwortung unterstellt, weshalb gemäß Art. 72 Abs. 5 der Verfassung keine Region über die in ihr befindlichen departements oder Kommunen bestimmen darf.
b) Die deutschen Länder in der Bundesrepublik
Das Staatsgebiet der BRD besteht aktuell aus 16 Bundesländern.
Die elf westdeutschen Bundesländer in ihrer heutigen Form gründeten sich mit der Verkündung des GG am 23. Mai 1949 und der damit einhergehenden Gründung der BRD. Die fünf ostdeutschen Bundesländer kamen mit der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 und dem daraus resultierenden Beitritt der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zum Geltungsbereich des GG offiziell zum Staatsgebiet der BRD hinzu.
Die deutschen Länder besitzen eine eigene, nicht vom Bund abgeleitete Staatsqualität, aus welcher ihnen Verfassungsautonomie zuerkannt wird, welche allerdings durch das GG begrenzt wird.[30] Die Bundesländer stehen als Glieder des Bundes gleichberechtigt nebeneinander[31] und müssen ihre jeweilige innere Ordnung gemäß dem Homogenitätsprinzip i. S. d. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG am Staatsaufbau des Bundes orientieren. Dies ist jedoch nur als eine minimale Konformität der Landesverfassungen zum GG zu verstehen, womit sich aus Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG nur grundsätzliche, praktisch aber wenig bedeutsame, Bindungswirkungen der Landesgewalten für ihre Normgebung und - anwendung ergeben.[32]
Die Länder verfügen jeweils über eine eigenständige (Landes-)Verfassung sowie über eine Gesetzgebungskompetenz auf Landesebene, d. h. sie können in ihren jeweiligen Landesparlamenten, den Landtagen[33], Landesrecht erlassen. Die Landesgesetzgebung umfasst insbesondere die Domänen Bildung (die Länder haben die Bildungshoheit über das Schulsystem sowie die Universitäten inne), Kultur, Rundfunk und Gefahrenabwehrrecht. Sie dürfen ebenso Steuern erheben. Außerdem wirken die Länder durch den Bundesrat an der Bundesgesetzgebung i. S. d. Art. 50 GG mit.
Die Länder (aber auch der Bund) nehmen ihre Aufgaben grundsätzlich eigenverantwortlich wahr. Eine sog. Mischverwaltung, bei welcher dem Bund Mitentscheidungsbefugnisse bezüglich einer in Länderkompetenz befindlichen Angelegenheit zugesprochen werden, ist grundsätzlich unzulässig.[34] Dies gilt umgekehrt auch für Länder in Bezug auf Bundesangelegenheiten. Das tatsächliche Vorliegen einer Mischverwaltung ist jedoch äußerst selten.
In Angelegenheiten der EU wirken die Länder i. S. d. Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG durch den Bundesrat mit. Weiterhin besteht ein Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der EU (EUZBLG) vom 12.03.1993.[35] In diesem wurde nach dem Entstehen der EU mit dem Vertrag von Maastricht, der am 1. November 1993 in Kraft trat, die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in EU-Angelegenheiten geregelt. Als eine der grundgesetzlich festgeschriebenen Ausnahmen von der Mischverwaltung sollen Bund und Länder hier in einer „zusammenwirkenden Verwaltung“[36] gemeinsam arbeiten. Soweit innerhalb eines EU-Gesetzgebungsverfahrens der Bundesrat innerstaatlich mitzuwirken hätte, sind vom Bundesrat benannte Ländervertreter nach § 4 Abs. 1 EUZBLG an Beratungen zur Festlegung der deutschen Verhandlungsposition zu beteiligen. Nach § 5 Abs. 1 EUZBLG sind in Angelegenheiten, in denen Länderinteressen berührt sind, die Gesetzgebungskompetenz jedoch ausschließlich beim Bund i. S. d. Art. 71 GG liegt, Stellungnahmen des Bundesrates bei der Festlegung der Verhandlungsposition zu berücksichtigen. Wenn die Länder innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 72 GG tätig werden könnten oder ein Vorhaben im Schwerpunkt die Einrichtung der Länderbehörden oder ihre Verwaltungsverfahren betrifft, sind Stellungnahmen des Bundesrates nach § 5 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen. Die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes ist hierbei allerdings nach § 5 Abs. 2 S. 2 EUZBLG stets zu wahren.
Verfügen die Länder innerhalb einer bestimmten Domäne über die Gesetzgebungskompetenz, können sie gemäß Art. 32 Abs. 3 GG, sofern die Bundesregierung zustimmt, sogar völkerrechtliche Verträge mit anderen Staaten oder internationalen Einrichtungen abschließen[37] und sind dadurch partiell völkerrechtlich handlungsfähig.[38] Jedoch darf hierbei auf dem fraglichen Gebiet weder eine Bundesregelung, noch ein vom Bund bereits geschlossener völkerrechtlicher Vertrag vorliegen.[39]
c) Rechtsvergleich der regionalen Gebietskörperschaften
In einem Vergleich der beiden regionalen Gebietskörperschaften lässt sich eine weiterhin starke Rolle des Nationalstaats im zentralistischen Frankreich feststellen, der trotz der Abgabe diverser Verwaltungskompetenzen an die Regionen im Zuge der Dezentralisierung - insbesondere in den 1980er Jahren - diese weiterhin dominiert. Im stark föderalistisch geprägten Deutschland verfügen die Länder hingegen über eine Gesetzgebungskompetenz in eigenen sowie in Bundesangelegenheiten, wodurch sie im föderalen System ein ebenbürtiger Mitspieler auf Augenhöhe mit dem Bund sind.
Im Bereich der Bildung geht die Kompetenz der deutschen Länder eindeutig weiter als die der französischen Regionen. Ihnen obliegt die Bildungshoheit für Schulen und Universitäten, wohingegen die Bildungskompetenz der französischen Regionen sich auf den Bau und das Unterhalten der lycees sowie auf die Regelung von Berufsausbildung und -lehre beschränkt. Weiterhin liegt die Kompetenz für die Polizei (abgesehen von der hauptsächlich für Grenzschutz zuständigen Bundespolizei) bei den deutschen Ländern, wohingegen die Polizeikompetenz in Frankreich ausschließlich der Zentralstaat inne hat.[40]
IV. Die Kohäsionspolitik der Europäischen Union
Die Kohäsionspolitik der EU ist allem voran eine interventionistische und umverteilende Politik und vom Abwenden von der Idee einer marktwirtschaftlich inspirierten Wirtschaftspolitik gekennzeichnet.[41] Sie soll als Ausdruck der mitgliedstaatlichen Solidarität in Form eines „vorbundesstaatlichen Finanzausgleichs“[42] dazu dienen, Disparitäten zwischen Regionen und Mitgliedstaaten in wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Hinsicht zu verringern und Regionen zu unterstützen, die sich in einem Prozess der wirtschaftlichen und sozialen Umstrukturierung befinden.[43]
Die Kohäsionspolitik, also die Politik zur Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts, ist in den Artikeln 174 bis 178 AEUV geregelt. Wie aus der Überschrift des Titels XVIII des AEUV herauszulesen ist, führte der Vertrag von Lissabon zu einer Ausweitung der bisherigen Ziele um das Merkmal des territorialen Zusammenhalts. Hierunter wird „die ausgewogene räumliche Verteilung der menschlichen Tätigkeiten“[44] verstanden. Außerdem erweitert der Vertrag von Lissabon Artikel 174 AEUV um förderungswürdige benachteiligte Gebiete, welche in Art. 174 Abs. 3 AEUV als „ländliche, vom industriellen Wandel betroffene und mit schweren und dauerhaften natürlichen oder demographischen Nachteilen betroffene Gebiete“ definiert werden. Zu letzteren werden beispielhaft „die nördlichsten Regionen mit sehr geringer Bevölkerungsdichte“ sowie „Insel-, Grenz- und Bergregionen“ aufgeführt.
Die Verträge definieren die Kohäsionspolitik nicht.[45] Sie lässt sich aber vereinfacht als ein „horizontaler Finanzausgleich zwischen [den Regionen, Anm. d. Verf.] wirtschaftlich starker und schwacher Mitgliedstaaten“[46] beschreiben.
1. Die Geschichte der Kohäsionspolitik
a) Die Anfänge
Mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 1957 und deren Inkrafttreten am 1. Januar 1958 wurde der Europäische Sozialfonds (ESF) zusammen mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), dem Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft (EAG bzw. heute EURATOM) sowie dem Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) ins Leben gerufen.
Der ESF war ursprünglich dazu bestimmt, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer finanziell zu unterstützen. Damit trug er seit seiner Schaffung indirekt zur Förderung der regionalen Ungleichgewichte bei, da er anfänglich besonders Gastarbeiter aus wirtschaftlich schwächeren Regionen bei ihrer Reise in Regionen mit mehr Arbeitsmöglichkeiten unterstützte.
Die sechs Gründungsstaaten der EWG befanden sich anfänglich noch allesamt auf einem relativ ausgeglichenen Niveau ihrer nationalen Wirtschaftsleistungen. Zwar gab es auch 1957 vereinzelte wirtschaftliche Disparitäten innerhalb der Regionen der sechs Länder. In liberalistischer Überzeugung glaubten die Gründerstaaten jedoch, dass der Gemeinsame Markt zur Aufhebung dieser Disparitäten führen würde. Doch mit dessen Umsetzung zeichnete sich relativ bald ab, dass die regionalen Unterschiede eher verstärkt wurden als dass sich diese, wie die europäischen Staats- und Regierungschefs anfänglich glaubten, ausgleichen bzw. aufheben würden.
Aus dem Gemeinsamen Markt und der damit einhergehenden Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 Abs. 1 AEUV resultierte die Schließung von Hauptproduktionszonen für Kohle und Stahl, womit die Notwendigkeit aufkam, diese Zonen strukturell umzuwandeln. Hierbei sollten vor allem durch den industriellen Wandel arbeitslos gewordene Arbeiter Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erhalten, um sich beruflich umorientieren zu können.
Ebenfalls 1957 wurde die Europäische Investitionsbank (EIB) ins Leben gerufen, die sich heutzutage nach Art. 175 Abs. 1 S. 3 AEUV an der Kohäsionspolitik beteiligt und ihrerseits auch von den Strukturfonds nach Art. 309 Abs. 2 AEUV unterstützt wird.
Im Oktober 1969 veröffentlichte die Kommission einen Bericht mit dem Namen „Eine Regionalpolitik für die Gemeinschaft“. Damit stieß sie einen Entwicklungsprozess an, der vor allem von Italien sowie den neuen Beitrittskandidaten Großbritannien, Irland und Dänemark unterstützt wurde. Italien führte an, dass der gemeinsame Markt nicht ausreiche, um die ökonomischen Nachteile in seinen südlichen, sehr armen Regionen abzubauen. In Großbritannien gab es bereits vor dessen Beitritt im Jahre 1973 einige vom industriellen Verfall betroffene Gebiete, deren finanzielle Unterstützung die Briten mit ihrem Beitritt erreichen wollten. Irland lag mit seinem ökonomischen Entwicklungsstand bereits bei seinem Beitritt unterhalb des EU-Durchschnitts, während Dänemark das wirtschaftlich schwache und geographisch relativ isolierte Grönland in die damaligen Europäische Gemeinschaften (EG) einbrachte.
Alle diese Aspekte führten zu einer Aussprache der Mitgliedstaaten auf dem Gipfeltreffen im März 1971 für die Annahme einer Entschließung zur Einführung einer EURegionalpolitik, welche am 21. März 1972 vom Rat verabschiedet wurde.[47]
Mit der Verordnung (VO) (EWG) 724/74 des Rates vom 18. März 1975[48] wurde der EFRE, gestützt auf den damaligen Art. 235 EWG-Vertrag ins Leben gerufen. Mit der VO (EWG) 725/74 des Rates vom 18. März 1975[49] wurde schließlich eine Zuweisung von 150 Millionen (Mio.) ECU aus den zurückgestellten Mitteln der Abteilung Ausrichtung des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) an den EFRE sichergestellt. Mit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) am 1. Juli 1987, wurde die Kohäsionspolitik im damaligen Art. 130 c EWG-Vertrag zur begleitenden politischen Maßnahme erhoben.
Im Rahmen der Strukturfondsreform im Jahre 1988 erfolgte eine Zusammenführung der Strukturfonds mit der VO (EWG) Nr. 2052/88 vom 24. Juni 198 8[50], welche die Aufgabenbereiche des EFRE und des ESF zusammenlegte und diese dadurch besser untereinander koordinierte. Seit dieser Reform ist die Generaldirektion der Europäischen Kommission (GD) XVI, d. h. die GD Regionalpolitik und Stadtentwicklung[51], auf EUEbene mit der Verwaltung der den EFRE betreffenden Förderprogramme betraut und besitzt hierbei einen relativ großen Handlungsspielraum.[52]
b) Die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza
Mit Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht am 1. November 1993 wurde die Kohäsion, also das Prinzip des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts[53], zu einem offiziellen Ziel der EU. Mit dem Festschreiben des Subsidiaritätsprinzips in den Verträgen und der Gründung des Ausschusses der Regionen (AdR) wollte die EU verstärkt die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften der Mitgliedstaaten in Entscheidungsprozesse miteinbeziehen. Von nun an wurden auch Städte bzw. städtische Zonen als besonders empfindliche und daher förderungswürdige Regionen anerkannt. Außerdem wurde dem Vertrag ein Protokoll angehängt, welches die EIB dazu anhält, ihre Ausgaben hauptsächlich in der Kohäsionspolitik einzusetzen und den Wohlstand der Staaten beim Aufstellen ihres Budgets besser zu berücksichtigen.
[...]
[1] Das Wort Kohäsionspolitik hat seinen Ursprung im lateinischen Wort cohaerere (= zusammenhängend
[2] Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 18, Rn. 71.
[3] http://www.euractiv.fr/collectivites-locales/decentralisation-fonds-europeens-entravee-instinct-jacobin- 16871.html - [Stand: 14.01.2013].
[4] http://www.euractiv.fr/collectivites-locales/interview/lebranchu-17450.html - [Stand:
14.01.2013].
[5] Priollaud/Siritzky, Vor Art. 174 AEUV, S. 285.
[6] WSA, Stellungnahme zum Jahreswachstumsbericht 2012, S. 38.
[7] Näheres dazu in IV. 2. a) - c).
[8] Dumont, Les regions et la regionalisation en France, S. 62.
[9] Alle Personenbezeichnungen innerhalb dieser Arbeit in männlicher Form schließen auch stets die weibliche Form mit ein.
[10] Die siebenjährige Amtszeit des Staatspräsidenten (sog. septennat) wurde unter Jacques Chirac 2002 auf eine fünfjährige Amtszeit beschränkt, um die Regierungszeit des Staatspräsidenten mit einer Legislaturperiode des Parlaments in Einklang zu bringen. Außerdem sollten dadurch Konstellationen verhindert werden, in denen Staatspräsident und Premierminister oppositionellen politischen Lagern angehören (sog. cohabitation), um eine effektive Handlungsfähigkeit von Regierung und Staatspräsident gewährleisten zu können.
[11] http://www.bpb.de/izpb/9130/charakteristika-des-politischen-systems - [Stand:
18.01.2013].
[12] http://www.bpb.de/izpb/9130/charakteristika-des-politischen-systems - [Stand: 18.01.2013].
[13] Conseil constitutionnel, Decision n° 2010-219 L du 11 fevrier 2010.
[14] http://www.datar.gouv.fr/la-datar - [Stand: 24.01.2013].
[15] Loi n° 82-213 du 2 mars 1982 relative aux droits et libertes des communes, des departements et des regions.
[16] Diese wurden mit der Verkündung des Gesetzes Nr. 72-619 vom 5. Juli 1972 geschaffen (loi n°72-619 du 5 juillet 1972 portant creation et organisation des regions), hatten jedoch anfangs eine eher schwache Rolle. Diese erklärt sich vor
allem im Zusammenhang mit dem von Charles de Gaulle gestellten Referendum, welches von der französischen Bevölkerung am 27. April 1969 abgelehnt wurde. Es hatte eine Ausweitung der Kompetenzen der regionalen Gebietskörperschaften vorgesehen.
[17] Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 17.
[18] Funk, Kleine Geschichte des Föderalismus, S. 153.
[19] Funk, Kleine Geschichte des Föderalismus, S. 154.
[20] Plenet, Les fonds structurels, S. 11.
[21] Loi n° 82-213 du 2 mars 1982 relative aux droits et libertes des communes, des departements et des regions (s. o.).
[22] Dumont, Les regions et la regionalisation en France, S. 53.
[23] Dumont, Les regions et la regionalisation en France, S. 54.
[24] Sog. schemas regionaux d'amenagement et de developpement du territoire (SRADT),
Dumont, Les regions et la regionalisation en France, S. 55.
[25] Dumont, Les regions et la regionalisation en France, S. 56.
[26] Dumont, Les regions et la regionalisation en France, S. 57.
[27] Dumont, Les regions et la regionalisation en France, S. 65.
[28] Dumont, Les regions et la regionalisation en France, S. 58.
[29] Dumont, Les regions et la regionalisation en France, S. 58.
[30] Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 17; BverfGE 36, 342 (360 f.);
72, 330 (388); 103, 332 (350 f.).
[31] Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 17.
[32] Leisner, in: Sodan, GG, Art. 28, Rn. 3.
[33] In den drei deutschen Stadtstaaten werden die Landesparlamente als Abgeordnetenhaus (Berlin) bzw. als Bürgerschaft (Hamburg und Bremen) bezeichnet.
[34] Eine Ausnahme besteht nur in Fällen, in denen das GG dies ausdrücklich zulässt, siehe BVerfGE 41,
291 (311); 63, 1 (38 ff.); 108, 169 (182).
[35] http://www.gesetze-im-internet.de/euzblg/index.html - [Stand: 03.12.2012].
[36] BVerfGE 116, 271 (310); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG.Kommentar, Art. 30, Rn. 10.
[37] Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 32, Rn. 13.
[38] Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 32, Rn. 14.
[39] Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 32, Rn. 13; BVerfGE 2, 347 (375).
[40] Dumont, Les regions et la regionalisation en France, S. 66.
[41] Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 18, Rn. 57.
[42] Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 18, Rn. 71.
[43] Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, a. a. O.
[44] Haratsch/König/Pachstein, Europarecht, Rn. 1258.
[45] Terpan, in: Pingel-Lenuzza/Pescatore, Commentaire des traites UE et CE, Art. 158 EGV, Rn. 2.
[46] Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV-AEUV, Art. 175 AEUV, Rn. 6.
[47] Entschließung des Rates und der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 21. März 1972 betreffend die Anwendung der Entschließung vom 22. März 1971 über die stufenweise Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion in der Gemeinschaft, ABl. EG C 38 vom 18. April 1972, S. 3 f.
[48] Verordnung (EWG) 724/74 des Rates vom 18. März 1975 über die Errichtung eines europäischen Fonds für regionale Entwicklung, ABl. EG L 73 vom 21. März 1975, S. 1 ff.
[49] ABl. EG L 73 vom 21. März 1975, S. 8.
[50] Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 des Rates vom 24. Juni 1988 über Aufgaben und Effizienz der Strukturfonds und über die Koordinierung ihrer Interventionen untereinander sowie mit denen der Europäischen Investitionsbank und der anderen vorhandenen Finanzinstrumente, ABl. EG L 185 vom 15. Juli 1988, S. 9 ff.
[51] http://ec.europa.eu/dgs/regional_policy/index_de.htm - [Stand: 14.01.2013].
[52] Ast, Regionalisierung europäischer Strukturpolitik, S. 102.
[53] Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 18, Rn. 64.
- Citar trabajo
- Clemens Steinbach (Autor), 2013, Die Rolle der deutschen Bundesländer und der französischen Regionen bei der Verwaltung und der Vergabe der Mittel aus den EU-Strukturfonds, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/267133
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