Als die Stadt New York in den 90-er Jahren zur Verbrechensverhütung eine „Null-Toleranz-Politik“ ausrief, hatte sie damit nicht nur ein Exportmodell für Großstädte auch in Europa geschaffen, sondern – ob gewollt oder nicht - auch eine Kontroverse darüber angeregt, was Toleranz in einer modernen Demokratie westlicher Prägung überhaupt bedeutet. Schließlich wurde hier erstmals dem Hochwertwort „Toleranz“, das im Einwanderungsstaat Deutschland (wie auch in den USA) meist synonym mit „Völkerverständigung“ gebraucht wurde, eine Absage erteilt. Und ein Jahrhunderte altes Konzept wurde plötzlich zum Gradmesser der Demokratie.
Der Begriff der Toleranz hat aus heutiger Sicht einen klar religiösen und kulturvergleichenden Schwerpunkt, was mitunter den Blick darauf verstellt, wie vielfältig ihr Anwendungsbereich eigentlich ist. Dieser erste Eindruck geht entscheidend auf die Schlichterfunktion der Toleranz zurück, mit der bis weit in die Neuzeit hinein der Brückenschlag zwischen den Absolutheitsansprüchen der Offenbarungsreligionen versucht wurde. Ursprünglich bezeichnet sie hingegen, wie etwa Ottfried Höffe zusammenfasst, „[…] die Leidensfähigkeit angesichts unangenehmer Widerfahrnisse […]“ . Eine geistige Last, deren Schwere sich aus kollidierenden Weltanschauungen oder Lebenspraktiken ergibt, wird ertragen. Ihr Charakter ist folglich der einer präventiven, gewaltverhindernden Tugend, die individuell erlernt werden muss, und funktional dient sie in einem ethischen Konzept der allgemeinverträglichen Kanalisierung von Differenzen. Da diese Differenzen fast ausschließlich zwischenmenschlicher Natur sind und erst in Gemeinschaften zur reellen Bedrohung des friedfertigen Umgangs werden, ist die Toleranz Teil der Sozialethik. An dieser Stelle muss die signifikante Verschiebung in der Toleranzbegründung betont werden; zunächst war duldsames Handeln - wie in der Mailänder Vereinbarung von 313 oder im Augsburger Religionsfrieden von 1555 - eher an pragmatische Überlegungen geknüpft, Toleranz wurde als Einsicht in den (ephemeren) Nutzen geübt. In der Aufklärung verschiebt sich die Begründung hingegen auf das Feld der allgemeinen Menschenrechte und erlangt somit ihren bis heute konsensuell gültigen normativen Charakter, der sie erst zur Tugend macht.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Bedeutungskern allgemeiner Toleranz
- Wahrheit und Toleranz
- Die Konzeption wertschätzender Toleranz
- Pluralismus - die neue Toleranz?
- Begründungsvarianten wertschätzender Toleranz
- Grenzen der Wertschätzungskonzeption
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit beschäftigt sich mit der Konzeption der wertschätzenden Toleranz. Sie analysiert die historische Entwicklung des Toleranzbegriffs und untersucht die verschiedenen Begründungsvarianten der wertschätzenden Toleranz im Kontext des modernen Pluralismus. Die Arbeit beleuchtet die Grenzen der Wertschätzungskonzeption und diskutiert, ob sie in einer pluralistischen Gesellschaft überhaupt möglich und erstrebenswert ist.
- Historische Entwicklung des Toleranzbegriffs
- Begründungsvarianten der wertschätzenden Toleranz
- Der Einfluss des Pluralismus auf die Toleranz
- Grenzen der Wertschätzungskonzeption
- Die Rolle der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Aktualität des Toleranzbegriffs vor dem Hintergrund der „Null-Toleranz-Politik" in den 1990er Jahren heraus. Sie beleuchtet die historische Entwicklung des Toleranzbegriffs und seine Bedeutung für die moderne Demokratie.
Im zweiten Kapitel wird der Bedeutungskern allgemeiner Toleranz analysiert. Es werden verschiedene Ansätze zur Definition von Toleranz betrachtet, wobei besonders die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Ablehnung und Akzeptanz hervorgehoben wird.
Das dritte Kapitel widmet sich der Konzeption wertschätzender Toleranz. Es werden verschiedene Begründungsvarianten dieser Toleranzform im Kontext des modernen Pluralismus diskutiert.
Das vierte Kapitel behandelt die Grenzen der Wertschätzungskonzeption. Es werden verschiedene Kritikpunkte an dieser Toleranzform diskutiert, insbesondere die Frage, ob sie mit der Aufrechterhaltung der Spannung zwischen zugrundeliegenden und rechtfertigenden Normensystemen vereinbar ist.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Toleranz, die wertschätzende Toleranz, den Pluralismus, die Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit, die Grenzen der Toleranz, die historische Entwicklung des Toleranzbegriffs, die Bedeutung der Toleranz in der modernen Demokratie und die verschiedenen Begründungsvarianten der Toleranz.
- Arbeit zitieren
- Max Rössner (Autor:in), 2011, Die Wertschätzungskonzeption der Toleranz. Praktische Analyse und Erklärungszusammenhang, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/266684
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