In der Paperback-Ausgabe von Siegfried Kracauers History - The Last Things Before the Last von 1995 behauptet Paul Oskar Kristeller, der schon das Vorwort zur Erstveröffentlichung des Werkes 1969 verfasste, im Vorwort der Neuauflage Thesen, die in ihrer Radikalität im Verhältnis zu ihrer leichtfertigen Äußerung im Rahmen eines Vorwortes nahezu einen Affront darstellen. Grundsätzlich zeigt sich Kristeller erfreut über ein neuerliches Interesse einer jungen Gelehrtengeneration an Kracauer, doch erblickt er innerhalb der Bemühungen, Kracauers Denken, Schreiben wie auch seinen Charakter theoretisch einzupassen, eine Reihe von Problemen. Diese Kritik trifft die Kracauerforschung grundlegend in ihren Hauptbemühungen. Gegenüber den Forschungsarbeiten, die sich unmittelbar mit Kracauers Geschichtsbuch befassen, schlägt Kristeller noch einen harscheren Ton an und bezieht sich dabei direkt auf die Aufsätze von Gertrud Koch und Inka Mülder-Bach in der Sonderausgabe der New German Critique zu Siegfried Kracauer. Die Autorinnen hätten Kracauers Geschichtsbuch weder zusammengefasst, noch in einer inhaltlichen Bezugnahme die grundlegenden Unterschiede zu seinen Frühwerken ausgewiesen. Ihre Zitation bezöge sich auf für Kracauer unbekannte Artikel und verweise auf frühere Arbeiten Kracauers, als stünden diese in unmittelbarer Übereinstimmung zu seinen Ausführungen in History. Darüber hinaus versäumten sie es anzuzeigen, dass sich Kracauer im Geschichtsbuch hauptsächlich auf historische, philologische und philosophische Quellen bezieht, niemals seine früheren Arbeiten erwähnt und sich nur selten auf die Soziologie beruft, die sein früheres Hauptbetätigungsfeld ausmachte. Am Schlimmsten aber erscheint für Kristeller, dass sie implizit wie explizit die Geschichte nicht als eigentliches Anliegen Kracauers anerkennen.
Es ist hier bedauerlich, dass diese harte Kritik Gertrud Koch und Inka Mülder-Bach trifft. Beide Forscherinnen haben sich als ausgewiesene Kracauer Spezialistinnen hervorgetan und sich mehrfach um die Kracauerforschung verdient gemacht. In diesem Sinne nimmt Ingrid Belke in ihrem Nachwort zur gerade erschienen Neuauflage von History in deutscher Übersetzung beide Autorinnen wohl auch in Schutz: "Kristeller hat sich mit dem zweiten Vorwort keinen Gefallen getan; […]." Doch so unverhältnismäßig diese Kritik erscheint, so problematisch dieses zweites Vorwort auch ist; als allgemeine Beschreibung des Forschungsstandes ist Kristellers Kritik zutreffend. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Werkzugriff
- Genese
- Edition
- Sprache
- Aufbau
- Eine Einleitung, zwei Lesarten
- Eine anonyme Autobiographie?
- Geschichte als Thema
- Vor den letzten Dingen
- Geschichte als Bereich eigenen Anspruchs
- Geschichtsbegriff
- »Eine Wissenschaft, die anders ist«
- Historisches Arbeiten
- Arbeitsbedingungen
- Die Reise des Historikers
- Arbeitsbedingungen
- Die Reise des Historikers
- Kontemplatives Quellenstudium
- Bestandsaufnahme, Ordnung und Organisation
- Interpretation und narrative Ausformulierung
- Entdeckung historischer Ideen
- Historia magistra vitae
- Erkenntnis ohne Fortschritt
- Geltungsbereich
- Spurensuche
- Gestus der Rückwendung und Zeitempfinden
- Ein altes Projekt?
- Reise zur terra incognita
- Geschichte schreiben: Jacques Offenbach
- Methode und Epistemologie: Die Angestellten
- Historische Ortsbestimmung
- Auszug aus der Innerlichkeit
- Vom Film zur Geschichte
- Abschließende Betrachtung
- Quellen und Literatur
- Quellen
- Werkausgaben: History
- Vorveröffentlichte Kapitel: History
- Werkimmanente Quellen: History
- Weitere Werke
- Briefwechsel
- Andere
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Bedeutung der Geschichte im Werk Siegfried Kracauers und untersucht, inwiefern sich Kracauers Geschichtsdenken in seinem Gesamtwerk widerspiegelt. Dabei wird die These vertreten, dass Kracauers Geschichtsbuch „History - The Last Things Before the Last" eine zentrale Rolle für die Rezeption seines Werkes einnimmt, da es die Summe seiner bisherigen Erkenntnisse und Reflexionen zusammenfasst. Die Arbeit analysiert die zentralen Theoreme Kracauers über Geschichte, wie er sie in „History" dargelegt hat, und versucht, diese mit seinen früheren Arbeiten in Beziehung zu setzen.
- Die Geschichte als Bereich eigenen Anspruchs: Kracauers Abgrenzung der Geschichtswissenschaft von den Naturwissenschaften und der Philosophie.
- Die Arbeitsbedingungen des Historikers: Kracauers Ausführungen über die Rolle des Historikers als aktiver Beobachter, die Bedeutung von Quellenstudium und Interpretation sowie die Herausforderungen der Gegenwartsbezogenheit.
- Das Paradox der Zeit: Kracauers Analyse der Antinomie zwischen chronologischer Zeit und Zeitsequenzen unterschiedlicher Bereiche historischer Wirklichkeit.
- Der Auszug aus der Innerlichkeit: Die Entwicklung von Kracauers literarischem Werk und die Bedeutung des Wandels von einer am Ästhetizismus orientierten Erlebniskunst zum realistischen Schreiben im Dienst der Aufklärung.
- Die Errettung der äußeren Wirklichkeit: Kracauers Filmtheorie und die Bedeutung des Films als Medium zur Bewältigung der Fremdheit physischer Realität.
Zusammenfassung der Kapitel
Das zweite Kapitel der Arbeit widmet sich der Genese von Kracauers Geschichtsbuch „History - The Last Things Before the Last". Es beschreibt die editorische Nachbereitung des nicht vollendeten Werkes, beleuchtet Kracauers Sprachwahl und analysiert den Aufbau des Werkes. Dabei werden die beiden Lesarten des Geschichtsbuches beleuchtet: die anonyme Autobiographie und die Geschichte als Thema. Die Arbeit argumentiert, dass die autobiographische Lesart, die in der Forschung dominiert, eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit dem theoretischen Gehalt des Werkes erschwert.
Das dritte Kapitel beleuchtet Kracauers Theorie der Geschichte als Bereich eigenen Anspruchs. Es analysiert seinen Geschichtsbegriff, in dem er zwischen der Geschichte als Erfahrungshorizont historischer Lebenswelt (history) und der Geschichte als narrativer Darstellung oder Erzählung (story) unterscheidet. Darüber hinaus untersucht das Kapitel Kracauers spezifischen Wissenschaftsbegriff und seine Kritik an einer naturwissenschaftlichen Ausrichtung der Geschichtswissenschaft. Es zeigt, dass Kracauer der Geschichtsschreibung die Möglichkeit zu einer ihr spezifischen Erkenntnisform nicht generell abspricht, sondern sie als „geschichtenerzählendes Medium" begreift, das historische Realität in ihrer Eigenart und Vielschichtigkeit zu einem Verstehen führen soll.
Das vierte Kapitel widmet sich der Spurensuche nach den Ursprüngen von Kracauers Geschichtsdenken in seinem Gesamtwerk. Es untersucht, inwieweit sich Kracauers Ausführungen über Geschichte in seinen früheren Arbeiten, insbesondere in seiner Gesellschaftsbiographie „Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit", in seinem Roman „Georg" und seiner soziologischen Studie „Die Angestellten" widerspiegeln. Die Arbeit argumentiert, dass sich die Offenbachbiographie als eine Vorwegnahme von Kracauers späteren Ausführungen in „History" verstehen lässt, da sie die Geschichte als Medium zur Kritik an der Gegenwart begreift und die Notwendigkeit narrativer Mittel für eine adäquate Darstellung historischer Realität betont.
Das fünfte Kapitel der Arbeit widmet sich der Frage, inwieweit sich Kracauers Geschichtsdenken in seinem Gesamtwerk zusammenfügt. Es analysiert die Kontinuität in Kracauers Entwicklung von der Weimarer Zeit bis zu seiner Filmtheorie und zeigt, dass sich die Errettung der äußeren Wirklichkeit, die er in seiner Filmtheorie fordert, als eine Weiterführung seiner geschichtsphilosophischen Reflexionen verstehen lässt. Die Arbeit argumentiert, dass Kracauers Geschichtsdenken in einer Komplexität und Problemweite ausgeformuliert ist, die weit über den Vergleich von Geschichtsschreibung und photographischen Medien hinausweist.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Geschichte als Bereich eigenen Anspruchs, die Geschichtswissenschaft, die Geschichtsschreibung, die Historiographie, die Arbeitsbedingungen des Historikers, das Paradox der Zeit, die Antinomie zwischen chronologischer Zeit und Zeitsequenzen, der Auszug aus der Innerlichkeit, die Errettung der äußeren Wirklichkeit, die Filmtheorie, die Moderne, die Lebenswelt, die Erfahrung, die Erkenntnis, die Subjektivität, die Objektivität, die Interpretation, die Darstellung, die Konstruktion, die Repräsentation, der Mythos, die Entmythologisierung, der Humanismus, die Aufklärung, der Pluralismus, die Freiheit, die Verantwortlichkeit, Siegfried Kracauer, „History - The Last Things Before the Last", „Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit", „Die Angestellten", „Theorie des Films".
- Citar trabajo
- Tim Othmar Schintlholzer (Autor), 2010, Seltsame Macht des Unterbewussten. Die Geschichte im Werk Siegfried Kracauers, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265842
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