Der „Demographische Wandel“ mit zuvor ungekannten Ausmaßen hat Deutschland fest im Griff. Um diesen entgegenzuwirken bedient sich der Fiskus einer Vielzahl an sozialpolitischen Maßnahmen und dreht seit Jahren mit geteiltem Erfolg an den Schrauben der demographischen Grundgleichung. Darunter Migration, eine Variable, die in Bezug auf das demographische Ungleichgewicht Deutschlands seit längerem Hochkonjunktur hat. Im Rahmen vorliegender Arbeit soll insbesondere das Wechselverhältnis zwischen demographischer Entwicklung und Migration skizziert werden. In einer quantitativ-qualitativ angelegten Perspektive wird dabei nicht nur die Bedeutung dieser Variable als bald einzig verbleibende Quelle für Bevölkerungswachstum herausgearbeitet; die Arbeit kommt zugleich zu dem Ergebnis, dass die zukünftige Beschäftigung mit dem demographischen Wandel das Berücksichtigen von Migration in mehrfacher Hinsicht unabdingbar macht.
Inhaltsverzeichnis
1. Abstract
2. Einleitung
2.1 Problematik und Fragestellung
2.3 Methode; Gang der Ausarbeitung
3. Demographischer Wandel
3.1 Bevölkerungswissenschaftliche Grundlagen
3.1 Entwicklung und Bestandsaufnahme
3.2 Status quo
3.3 Bevölkerungsvorausberechnung
3.4 Konsequenzen; Implikationen
4. Migration
4.1 Brisanz und Zusammenhänge (Migration und Bevölkerungsdynamik)
4.2 Migrationsgeschehen allgemein
4.3 Alters- und Geschlechtsstruktur der Migrantinnen und Migranten
4.4 Entwicklung bisherigen und Einschätzung künftigen Migrationsgeschehens
5. Schlussbetrachtung
6. Bibliographie
7. Annex
1. Abstract
Der „Demographische Wandel“ mit zuvor ungekannten Ausmaßen hat Deutschland fest im Griff. Um diesen entgegenzuwirken bedient sich der Fiskus einer Vielzahl an sozialpolitischen Maßnahmen und dreht seit Jahren mit geteiltem Erfolg an den Schrauben der demographischen Grundgleichung. Darunter Migration, eine Variable, die in Bezug auf das demographische Ungleichgewicht Deutschlands seit längerem Hochkonjunktur hat. Im Rahmen vorliegender Arbeit soll insbesondere das Wechselverhältnis zwischen demographischer Entwicklung und Migration skizziert werden. In einer quantitativ-qualitativ angelegten Perspektive wird dabei nicht nur die Bedeutung dieser Variable als bald einzig verbleibende Quelle für Bevölkerungswachstum herausgearbeitet; die Arbeit kommt zugleich zu dem Ergebnis, dass die zukünftige Beschäftigung mit dem demographischen Wandel das Berücksichtigen von Migration in mehrfacher Hinsicht unabdingbar macht.
2. Einleitung
Die demographische Grundgleichung beschreibt die Größe und Struktur einer Bevölkerung. Sie ist durch die demographischen Variablen Fertilität, Mortalität und Migration determiniert. Der erstrebenswerte Zustand des demographischen Gleichgewichts, das sog. Stationäre Gleichgewicht, wird in der Bevölkerungswissenschaft als ein Zustand ohne permanentes Wachstum bzw. ohne permanente Schrumpfung bei einer konstanten Altersstruktur definiert (Birg: 2001; 6). Galten bevölkerungswissenschaftliche Fragestellungen in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion lange Zeit als unpopulär, so erfreuen sie sich seit einer guten Dekade weitaus größerer Beliebtheit. Diese Popularität ist nicht zuletzt der Enquete- Kommission „Demographischer Wandel“ des Deutschen Bundestags geschuldet, mit deren Bewusstseinsbildung das demographische Ungleichgewicht der Nation, spätestens seit 1992, Eingang in den öffentlichen Diskurs gefunden hat.
Kennzeichnend für dieses demographische Ungleichgewicht sind fünf Trends: (i) eine Fertilitätsrate, die bereits unter dem Bestandserhaltungsniveau liegt und zunehmend rückläufig ist, (ii) ein offensichtlicher Wertewandel von Ehe und Familie, der sich mitunter im Anstieg von Ledigen, Scheidungsziffern sowie unehelich geborenen Kindern manifestiert, (iii) eine steigende Lebenserwartung, dank medizinisch-technologischen Fortschritts, die zu einem wachsenden Anteil Hochbetagter an der Gesellschaft führt, (iv) Migrationsprozesse, die für das Aufkeimen der Zuwanderungs- und Integrationsdebatte sorgen und schließlich (v) dem fortwährenden Bevölkerungswachstum im Zuge der Globalisierung (Schimany: 2007; 17).
2.1 Problematik und Fragestellung
Diese bereits vor Jahrzehnten vorausberechneten Trends und ihre Konsequenzen für den Arbeitsmarkt, das Wirtschaftswachstum und die sozialen Sicherungssysteme werden fortschreitend Realität und stellen nicht nur Gesellschaft und Staat, sondern zugleich Wissenschaft und Politik vor eine zentrale Herausforderung. Vor diesem Hintergrund bemüht letztere bereits eine Vielzahl an arbeits(markt)-, bildungs-, familien- sowie sozialpolitischen Instrumenten und versucht sich an den „Schrauben“ der demographischen Grundgleichung um das Ungleichgewicht auszutarieren.
Gegenstand vorliegender Arbeit ist die „Schraube“: Migration. Diese dritte Determinante der Bevölkerungsgleichung aufgreifend, sollen Wanderungen, insbesondere die Zuwanderung, im Kontext des demographischen Wandels in Deutschland eingeordnet werden, wobei der Fokus auf dem Vermögen bzw. Unvermögen der Variable liegt. Wie und in welchem Umfang beeinflusst Migration die Bevölkerungsentwicklung? Welches Potential hat Zuwanderung für den demographischen Wandel in Deutschland? Welchen Spielraum bietet Zuwanderung/Migration für Gesellschaft, Staat, Wissenschaft und Politik um auf den demographischen Wandel zu reagieren und kann Migration einen Beitrag leisten bestimmte negative Konsequenzen dieses Wandels auszugleichen bzw. in welchem Maße? In diesem Zusammenhang soll zugleich die Frage der Wirkung von Zuwanderung beantwortet sowie die Chance oder Problematik skizziert werden, die darin zu sehen ist.
2.2 Wissenschaftlicher Diskurs und Forschungsstand; Erkenntnisinteresse
Die Signifikanz des Zusammenhangs zwischen Migration und dem demographischen Wandel ergibt sich nicht nur aus der demographischen Grundgleichung, sondern manifestiert sich zugleich in einem breiten wissenschaftlichen Diskurs. So beschäftigte sich interdisziplinär eine Vielzahl an wissenschaftlichen Arbeiten mit Wanderungen im Bezug auf Bevölkerungsdynamiken. Dabei beleuchtete die Bevölkerungswissenschaft verschiedenen Perspektiven internationaler Wanderungen, deren Auswirkungen und bereicherte die wissenschaftliche Diskussion mit ihren Vorausberechnungen und Prognosen vor allem statistisch (Birg 2003, 2004; Bomsdorf/Babel 2005; Grünheid 1999, 2000; Höhn 1988, 1990, 1998, 1999, 2000; Höhn/Birg 2007; Höhn/Gückel 2007; Höhn/Roloff 1997; Hof 1993, 1996; Korcz/Schlömer 2008; Roloff 1996, 1997, 2003, 2004, 2005). Allgemeinen Migrationsdaten, die Entwicklung des Migrationsgeschehens sowie die gesellschaftlichen Verflechtungen auch im Kontext des demographischen Wandels wurden insbesondere im Auftrag der Bundesregierung erforscht (Deutschland 2002, 2006, 2007, 2008, 2009; Kohlmeier/Schimany 2005; Schimany 2007; Rühl 2009; Swiacny 2005). Die Politologie beschrieb bisher Handlungsoptionen und analysierte politisch nationale als auch internationale Konsequenzen (Dick 2002; Kolb 2004; Schmid 2001; Wöhlke/Höhn/et al. 2004). In der Untersuchung ökonomischer Implikationen auf den Gebieten des Arbeits- und Finanzmarktes sowie der Quantifizierung des Arbeitskräfte-, Erwerbspotenzials und dem Zuwanderungsbedarf, leisteten die Wirtschaftswissenschaften einen erheblichen Beitrag (Brücker/Kohlhaas/et al. 2004; Brücker/Egerer/et al. 2006; Dinkel 2001, 2005; Dinkel/Lebok 1993, 1994, 1997; Erel/Noll/et al. 2009; Fuchs 1999, 2003, 2005; Hof 1996, 2001; Jansen/Huchler 2005). Schließlich besteht auf dem Gebiet eine Reihe von Veröffentlichungen disziplinär differenzierter Vergleichsforschung (Khoo/Mc Donald 2002; Haug 2004; Rühl 2004; Coleman 2006; Klingholz 2009, Kröhnert/Klingholz 2006).
Angesichts der Einschränkungen durch bisherige Forschung sowie des gegebenen Rahmens vorliegender Ausführungen ist die Zielsetzung der Arbeit vornehmlich die isolierte Analyse und Darstellung der bevölkerungswissenschaftlichen Variable Migration in Bezug auf den demographischen Wandel. Dabei zeichnet sie sich durch den verstärkten Rückgriff auf multidisziplinäre Ergebnisse aus, die somit eine theoretisch-empirische als auch quantitativ- qualitative Dimension in der Darstellung gestatten. Zugleich kann und möchte die Arbeit, in Anbetracht einzelner disziplinspezifischer Forschungsarbeiten, welche Einzelaspekte in extenso darlegen, keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Obschon sie keine neuen Ergebnisse offerieren kann, sondern lediglich bisherige Erkenntnisse komprimiert und aktualisiert darstellt, trägt die Arbeit nicht zur Forschungsredundanz bei; sie kann vielmehr als interdisziplinäres Komplement oder Desiderat zum bisherigen Diskurs des deutschen demographischen Wandels erachtet werden.
2.3 Methode; Gang der Ausarbeitung
Vor dem Hintergrund dargelegter Motivation und Fragestellung liegt den Ausführungen hauptsächlich Sekundärliteratur zu Grunde. Ausgehend von diesen Forschungsarbeiten wurde nach aktuellen Daten kompetenter Instituten gesucht um bisherige Erkenntnisse für die zugrundeliegende Fragestellung aufzubereiten und diese für die Beantwortung entweder heranzuziehen oder zu verwerfen.
Die Ausarbeitung gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil ist vorwiegend deskriptiv und stellt die Problematik des demographischen Wandels in seinen Basiskomponenten dar, wobei auf Ursachen, Prognosen und Berechnungen eingegangen wird. Großteils durch quantitative Daten gestützt werden bisherige Forschungsergebnisse zum Sachverhalt multidisziplinär skizziert. Im zweiten Teil wird das Potential der Migration herausgearbeitet. Nach einer zunächst theoretischen Betrachtung von Wanderungen im Allgemeinen, sollen sowohl das bisherige Migrationsgeschehen in Deutschland als auch die Annahmen künftiger Wanderungen dargestellt werden, zumal dieser Teil dem Einfluss und dem Wirken von Migration auf den demographischen Wandel gewidmet ist. Der darauf folgende dritte Teil ist eine Schlussbetrachtung; er stellt eine kritische Würdigung der bisherigen quantitativ-qualitativen Ausführungen dar und schließt die Ausführungen mit einem Fazit.
3. Demographischer Wandel
3.1 Bevölkerungswissenschaftliche Grundlagen
Neben dem Statistischen Bundesamt erforscht eine Reihe von verschiedenen Instituten den demographischen Wandel, wobei Ihre Ergebnisse periodisch veröffentlich werden. Die einzelnen Vorhersagen liegen nahe beieinander, was der Besonderheit von demographischen Projektionen und insbesondere ihrem „Vorteil“ gegenüber anderen Prognosen geschuldet ist. Bevölkerungswissenschaftliche Projektionen sind stark von den vergangenen Entwicklungen abhängig und ihre Haupteinflussgrößen verändern sich im Zeitablauf nur langsam (demographische Trägheit). Angenommen, dass das Medianalter der Bevölkerung im Jahr 2050 bei circa 50 Jahren liegen wird, so resultiert daraus zugleich, dass rund die Hälfte der dann lebenden Bevölkerung heute bereits geboren ist (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 12 ff). Auch lässt sich aus dem Bevölkerungsaufbau beispielsweise die Größe der potenziellen Müttergeneration der Zukunft herauslesen. Bekommt die Elterngeneration signifikant weniger Kinder, als für die Erhaltung der Bevölkerungszahl notwendig ist (Bestandserhaltungsniveau), schrumpft die Gesellschaft lange Zeit, selbst wenn später wieder genügend Kindern geboren werden; die nicht geborenen Mädchen fehlen in der Zukunft als Mütter. Diese starke Abhängigkeit von Entwicklungen der Vergangenheit macht Bevölkerungsprognosen wesentlich treffsicherer als andere Vorhersagen. So berechneten 1958 die Vereinten Nationen, dass die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2000 von damals 2,5 Milliarden auf 6,3 Milliarden Menschen wachsen werde; tatsächlich lebten im Jahre 2000 circa 6,1 Milliarden Menschen auf der Erde (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 12 ff). Trotzdem können sich auch Demographen irren, denn neben der Gestalt der heutigen Bevölkerungspyramide bestimmen zusätzlich, wie bereits eingangs erwähnt, die Einflussgrößen (i) Fertilität, (ii) Mortalität und (iii) Migration gemeinsam die Größe bzw. Altersstruktur der morgigen Gesellschaft. Die Annahmen über die Entwicklung dieser Faktoren stellen das Irrtumsrisiko der Forscher dar.
3.1 Entwicklung und Bestandsaufnahme
Die demographische Bevölkerungsalterung resultiert aus dem Anstieg des Medianalters um circa zehn Jahre und der gleichzeitigen Verdoppelung des Verhältnisses aus der Zahl der älteren und mittleren Bevölkerung. Dieser Prozess ist irreversibel und kann in den kommenden Jahrzehnten weder gestoppt noch umgekehrt werden (Birg 2006: 68). Im Jahre 2008 umfasste die Bevölkerung Deutschlands 82,2 Mio. Menschen, wovon 19% Personen unter 20 Jahren und 25,6% Ältere über 60 Jahre waren (Statistisches Bundesamt 2009: 39 ff). Auf 100 Menschen im derzeit üblichen Erwerbsalter zwischen 20 und 60 Jahren kamen damit 46 Personen über 60 Jahre (Altenquotient). Insgesamt standen 100 potenziell Erwerbstätigen 80 in der Regel Nichterwerbstätige gegenüber (Gesamtquotient); die graphische Darstellung des Bevölkerungsaufbaus gleicht einem Tannenbaum und verdeutlicht die zunehmende Alterung und Schrumpfung der Gesellschaft (s.h. Annex Abbildung 1). Die geburtenstarken Jahrgänge aus den 50-er und 60-er Jahren stehen mitten im Erwerbsleben, die ins Berufsleben eintretende Generation ist dagegen zahlenmäßig deutlich geringer. In der kopflastigen Struktur manifestiert sich sowohl der drastische Rückgang der Geburtenrate als auch die gestiegene Lebenserwartung. Die starke Einkerbung bei den 50 und über 65-Jährigen resultiert aus den wenigen Geburten und den Verlusten während des zweiten Weltkriegs (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 13). Der Vergleich mit den typisierten Alterspyramiden Deutschlands vergangener Jahrzehnte macht die jeweilige Besonderheiten deutlich und zeigt den Übergang vom Stadium hoher Geburtenraten und zugleich hoher Sterblichkeit zu niedrigen Geburtenraten und niedriger Sterblichkeit (s.h. Annex Abbildung 2). Jahrhundertelang glich der Altersaufbau einer Pickelhaube; die hohe Kindersterblichkeit führte zu einer schnellen Abnahme des durch hohe Geburtenraten gekennzeichneten breiten Sockels, wohingegen sich am oberen Ende die geringe Lebenserwartung in Form einer schmale, kurzen Spitze auswirkte (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 13 ff). Erst mit der kontinuierlich sinkenden Kindersterblichkeit kam es zu der dargestellten gleichmäßig aufgebauten Alterspyramide, woraufhin die ersten Stufen der Pyramide aufgrund der sinkenden Geburtenraten allmählich immer enger, die Spitze wegen der gestiegenen Lebenserwartung dafür länger bzw. breiter wurden. Im Jahre 1970/1971 war die Geburtenrate auf dem Reproduktionsniveau angekommen, d.h. genug Kinder wurden noch geboren um die Elterngeneration zu ersetzen; sie verharrte jedoch nicht auf diesem Niveau, sondern sank immer weiter und führte schließlich zur immer deutlicher werdenden Urnenform der Bevölkerungspyramide. Dieser sog. „Transitionsprozess“, von hohen zu niedrigen Geburtenraten bei Abnahme der Mortalität, ist beispielhaft für die Entwicklung in fast allen Staaten der Erde, wenige afrikanische ausgenommen (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 13 ff). So ist die Fertilität in den vergangenen fünf Dekaden global drastisch gesunken, während die Lebenserwartung deutlich gestiegen ist. In diesem Zusammenhang gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass die Weltbevölkerung zwar aufgrund hoher Geburtenraten aus der Vergangenheit weiterhin anwachsen, sich dieser Prozess aber verlangsamen und spätestens ab dem Jahr 2100 umkehren wird (United Nations Population Division 2000).
Für die Entwicklung des Bevölkerungsumfangs spielt die Fertilität die größte Rolle. Genau genommen handelt es sich dabei um die „altersstrukturbereinigte, zusammengefasste Gesamtgeburtenrate“ (Total Fertility Rate - TRF); eine auf ein Jahr bezogene Querschnittsbildung aus dem Geburtenverhalten aller Frauenjahrgänge im Alter zwischen 15 und 45 Jahren, die zwar neuere Trends im Geburtsverhalten zeitnah aufzeigen, dafür allerdings von der de facto Kinderzahl pro Frau abweichen kann (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 16). Genau kann diese bei den einzelnen Frauenjahrgängen nämlich erst mit Abschluss ihrer Fruchtbarkeitsphase gemessen werden (Kohortenfertilität bzw. Completed Fertility Rate - CFR), wodurch beispielsweise die TFR vorangegangener Jahre insofern verfälscht wurde, als viele Frauen in Ostdeutschland in der ökonomisch unsicheren Phase nach der Wende ihren Kinderwunsch erst einmal aufschoben und somit eine große Diskrepanz des Alters für die Geburt des ersten Kindes zwischen der DDR und Westdeutschland entstand (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 16). In Westdeutschland liegt die TFR seit fast drei Jahrzehnten bei circa 1,4 Kindern pro Frau; in Ostdeutschland lag sie bis zu den achtziger Jahren, bedingt durch die besondere Familienpolitik der DDR, höher, fiel bis zur Wende jedoch ab und liegt seither deutlich darunter (s.h. Annex Abbildung 3). Ausgehend vom bestandserhaltenden Niveau müssten je 100 Frauen rund 210 Kinder geboren werden; die Zahl impliziert, dass einige Mädchen vor Erreichen des gebärfähigen Alters sterben sowie generell mehr Jungen als Mädchen zur Welt kommen (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 16). Die Forschung geht jedoch nicht davon aus, dass dieser Wert bis zum Jahr 2050 in Deutschland erreicht wird, was sowohl die weiter abnehmende TFR zeigt, die im Jahre 2008 bei 1,38 Kindern pro Frau lag, als auch die Kohortenfertilität (s.h. Annex Abbildung 4). Hatte der Jahrgang 1939 im Alter von 30 Jahren durchschnittlich 1,68 Kinder und schließlich im Alter von 49 Jahren 2,03 Kinder pro Frau, haben die 1940er Geburtsjahrgänge zum Teil in sehr jungem Alter, im Baby-Boom der 1960er Jahre, ihre Kinder geboren (Statistisches Bundesamt 2009: 25 ff). Ab dem Alter von Mitte zwanzig haben sie jedoch deutlich weniger Kinder bekommen als die Frauen der 1930er Kohorten; der Jahrgang 1949 stellt diese Entwicklung exemplarisch dar. Die Frauen der späteren Jahrgänge haben ihre Kinder insgesamt später bekommen, was unter anderem durch die Realisierung der Geburten erst in einem höheren Alter sowie durch die Verbreitung der Kinderlosigkeit geprägt wurde und schließlich zu einer niedrigeren de facto Kinderzahl von 1,60 Kindern je Frau im früheren Bundesgebiet führte (Statistisches Bundesamt 2009: 25 ff). So werden auch die späten 60-er und 70-er Geburtsjahrgänge mit hoher Wahrscheinlichkeit die endgültige Kinderzahl von 1,60 Kindern je Frau nicht erreichen, da in den nächsten 10 Jahren nur noch wenige Geburten dazu kommen dürften.
Zu der Entwicklung der Gesamtgeburtenraten vergangener Jahrzehnte treten außerdem bemerkenswerte Änderungen in den Familienstrukturen. Vermutete man den Trend zur Ein- Kind-Familie, haben sich deutsche Paare beim Nachwuchs im Großen und Ganzen für zwei Kinder entschieden; eine Tendenz die global in nahezu allen Industriestaaten festzustellen ist (Birg 2001: 77). Andererseits haben 28% der westdeutschen Frauen der 62-er bis 66-er Jahrgänge keine Kinder bekommen, was unter den Akademikerinnen des gleichen Jahrgangs mit 42% noch höher lag (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 18). Diese Werte liegen in Ostdeutschland zwar deutlich niedriger, doch scheint die Tendenz die gleiche zu sein. „Die Kinderlosigkeit eines steigenden Anteils von Frauen ist der Hauptgrund für die zurückgehenden Gesamtfertilitätsraten. Offensichtlich hat sich die grundsätzliche Entscheidung für oder gegen Familie in den vergangenen Jahrzehnten zulasten der Familie verschoben“ (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 18).
Ein weiterer substantieller Faktor der Bevölkerungszahlentwicklung ist Mortalität. Mit Einbruch der Geburtenraten zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging auch die Kindersterblichkeit deutlich zurück, sodass dank verbesserter medizinischer Versorgung „heute von 1.000 Lebendgeborenen nur noch vier Kinder im ersten Lebensjahr sterben“; die Lebenserwartung für Neugeborene liegt, verglichen mit dem Jahr 1960, um neun Jahre höher (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 19) (s.h. Annex Abbildung 5), ein Zugewinn, der im Besonderen der höheren Lebenserwartung älterer Menschen zu verdanken ist. Gleichwohl gehen viele Forscher, obschon medizinisch noch nicht nachgewiesen, von einem „natürlichen“ Höchstalter der Menschen aus und halten damit einen weiteren deutlichen Anstieg der statistischen Lebenserwartung für unrealistisch: die Säuglingssterberate verharrt bereits auf einem so niedrigen Niveau, dass kaum noch Verbesserungen zu erwarten sind (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 19). So wird der künftige Zuwachs an Lebenserwartung geringer angesetzt, als dies aus den Vergangenheitsdaten zu erwarten wäre.
Trotz der ausgeführten Differenz zwischen Geburten- und Sterberate hat die Einwohnerzahl der Bundesrepublik bislang stetig zugenommen. Dies ist auf den erheblichen Einfluss der Migration zurück zu führen: von 1965 bis 1990 nahm Deutschland je 1.000 Einwohner durchschnittlich 3,3 Einwanderer auf und belegte mit dieser Quote im Jahre 2001 weltweit sogar Platz zwei (Institut der deutschen Wirtschaft 2005: 20). Wanderungsbewegungen sind daher eine nicht zu vernachlässigende Größe im Bezug auf die Schrumpfung und Alterung der Gesellschaft. Angesichts des hohen politischen Einflusses auf diese Variable ist sie zugleich der am schwierigsten vorhersagbare Faktor; stieg die Zahl der Zuwanderung durch die fünf Phasen der Migration in Deutschland sukzessive, ist sie seit Anfang der 1990-er Jahre rückläufig, sodass sich trotz Unsicherheit und schwankenden Ziffern eines leicht nachvollziehen lässt: Migration bietet keine Lösung die Gesellschaftsalterung- und schrumpfung aufzuhalten. Evident wird dies auch in der Studie „Replacement Migration: Is it a solution to declining and ageing populations?“ der Vereinten Nationen (United Nations Population Division 2000), worin acht Staaten auf die Frage untersucht wurden, wie viele Menschen bis 2050 in dem jeweiligen Land einwandern müssten, um die durch das Geburtendefizit verursachte Bevölkerungsschrumpfung zu kompensieren. Für Deutschland ergab sich danach eine jährlich benötige Nettozuwanderung von 344.000 Menschen. Weitaus utopischer muteten die Zahlen an, die nötig wären um die Alterung der Gesellschaft aufzuhalten: theoretisch ergab sich eine jährliche Einwanderung von 3,62 Mio. Menschen nach Deutschland.
3.2 Status quo
Daraus ergibt sich, dass eine starke Zunahme der Geburtenrate sowie eine höhere Zuwanderung Jüngerer aus dem Ausland diese Prozesse lediglich abzumildern vermögen, nicht jedoch verhindern können. Kompensation, nach der geschilderten „Bestandsaufnahme“, böte bis 2050 entweder eine Netto-Einwanderung nach Deutschland von 188 Mio. Menschen oder eine Verdreifachung der Geburtenrate; zwei vollkommen unrealisierbare Szenarien (Birg 2006: 69). Weit positivere Handlungsoptionen bieten sich für die, in Form des Geburtendefizits, fortschreitende Bevölkerungsschrumpfung: erneut könnte höhere Zuwanderung sie kompensieren, ihre Abnahme hinauszögern oder gar ein Bevölkerungswachstum nach sich ziehen, allerdings müsste sich dafür der jährliche Wanderungssaldo bis zur Jahrhundertmitte, sowie darüber hinaus, von den heutigen circa 200.000 stetig auf 700.000 vervielfachen; ein Gedanken, den bislang keine Partei oder gesellschaftlich relevante Gruppierung verfolgt (Birg 2006: 69). Die ausschlaggebende Ursache für das demographische Altern ist eindeutig der unabänderliche Geburtenrückgang der Vergangenheit und die dadurch bedingte starke Abnahme der „mittleren Bevölkerung“ (Birg 2006: 68). So nimmt im Zeitraum 2008 bis 2060 die Zahl der 20-65 Jährigen von 61% auf 50% und die Zahl der unter 20 Jährigen von 19% auf 16% ab; demgegenüber stehen im gleichen Betrachtungszeitraum eine von 15% auf 20% wachsende Zahl 65-80 Jähriger sowie die von 5% auf 14% stark zunehmende Anzahl Hochbetagter (Statistisches Bundesamt 2009: 17) (s.h. Annex Abbildung 6). Folglich ist die Lebenserwartung als Faktor der Alterung von untergeordneter Bedeutung, denn selbst wenn diese konstant bliebe, würde sich der Altenquotient verdoppeln; sogar ein Verzehnfachen der über 100 Jährigen würde angesichts der Abnahme der mittleren Bevölkerung als Faktor der demographischen Alterung quantitativ nicht ins Gewicht fallen (Birg 2006: 66).
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- Citar trabajo
- Alen Bosankic (Autor), 2010, Migration (k)eine Lösung des demographischen Problems?!, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265142
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