Das Ziel der vorliegenden Bachelorarbeit ist es, zuvor formulierte Hypothesen der Verhaltensökonomie anhand von Praxisexperimenten zu überprüfen und anschließend die Ergebnisse auf den Dienstleistungssektor zu übertragen.
Im ersten Teil der Arbeit erfolgt eine Literaturanalyse relevanter Quellen zu wirtschaftlichen Prinzipien der neoklassischen Theorie. Durch die Kritik wesentlicher Grundannahmen dieses wirtschaftlichen Ansatzes wird die Entwicklung und Entstehung der neunen Disziplin, der Verhaltensökonomie, präsentiert. Dazu werden die Grundannahmen erklärt, insbesondere Werke über die Bestimmung diverser Kaufverhaltensmuster wie beispielsweise Heuristiken, Framing und die neue Erwartungstheorie (Kahneman 2012). Basierend auf den aus der Literatur erarbeiteten Kenntnisstand werden im zweiten Teil die gewonnenen Annahmen mit Hilfe von empirischen Experimenten konzipiert, durchgeführt und ausgewertet. Es werden die festgestellten Ergebnisse mit den formulierten Grundannahmen verglichen, letztere damit überprüft. Letztendlich erfolgt eine abschließende Empfehlung der validierten Ergebnisse für den Dienstleistungssektor in einer umfangreichen Diskussion.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundannahmen des rationalen Handelns und die Entwicklung der
Verhaltensökonomie
2.1 VORSTELLUNG DES RATIONALEN WELTBILDES: DIE NEOKLASSISCHE THEORIE
2.2 SCHWERPUNKTEDERNEOKLASSIK
2.2.1 DER METHODOLOGISCHE INDIVIDUALISMUS
2.3 DER HOMO OECONOMICUS
2.3.1 RATIONALE NUTZENMAXIMIERUNG DURCH OPTIMIERUNG UNTER NEBENBEDINGUNGEN
2.3.2 FESTSTEHENDE PRAFERENZEN, GLEICHGEWICHT, EIGENINTERESSE UND VOLLSTANDIGE
INFORMATION
2.4 KRITIK
2.4.1 KEYNES
2.4.2 GRUNDSATZLICHE KRITIK UND DIE WEGBEREITUNG DER VERHALTENSOKONOMIE
3 Grundannahmen der Verhaltensokonomien
3.1 EINFUHRUNG IN DIE KOGNITIVE VERZERRUNG
3.2 HEURISTIKEN
3.2.1 REPRASENTATIVITATSHEURISTIK
3.2.2 VERFUGBARKEITSHEURISTIK
3.2.3 ANKER- UND ANPASSUNGHEURISTIK
3.3 FRAMING
3.4 EINFLUSSFAKTOREN AUF WIRTSCHAFTLICHE ENTSCHEIDUNGEN
3.4.1 DAS ALLAIS-PARADOXON
3.4.2 NEUE ERWARTUNGSNUTZENTHEORIE/PROSPECT THEORY
3.4.3 BESITZTUMSEFFEKT/ENDOWMENTEFFEKT UND STATUS QUO BIAS
3.4.4 MENTALE BUCHFUHRUNG
4 Empirische Untersuchung
4.1 PRASENTATION UND DURCHFUHRUNG DER FRAGEBOGEN
4.1.1 STICHPROBENBESCHREIBUNG
4.2 UNTERSUCHUNG UND AUSWERTUNG DER VERHALTENSOKONOMISCHEN FRAGEN
4.2.1 DER EXPERIMENTELLE NACHWEIS DES ALLAIS-PARADOXON
4.2.2 DEREXPERIMENTELLE NACHWEISDER REPRASENTATIVITATSHEURISTIK
4.2.3 DER EXPERIMENTELLE NACHWEIS DER PROSPECT THEORY
4.2.3.1 Das kleinere Ubel: Die unvermeintliche Schlieftung von Fabriken
4.2.3.2 AutokaufmitExtras
4.3 DISKUSSION
4.4 AUSBLICK IN BEZUG AUF DEN DIENSTLEISTUNGSSEKTOR
Literaturverzeichnis
Anhangsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Eine zweiteilige Wertefunktion der PT
Abbildung 2: Der allgemeine Schulabschluss der Probanden
Abbildung 3: Der akademische Schulabschluss der Probanden
Abbildung 4: Keine Präferenzänderung bei Fragebogen
Abbildung 5: Deutliche Präferenzänderung bei Fragebogen
Abbildung 6: Die grafische Darstellung der Preisdifferenz hinsichtlich des Hotels zum Supermarkt
Abbildung 7: Unterschiedliche Beantwortung der Probanden der jeweiligen Gruppen bezüglich der Fragestellung „ Die unvermeintliche Schließung der Fabriken“
Abbildung 8: Verdeutlichung der gewählten Extras beider Gruppen beim Kauf eines neuen PKWs
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Schon der Wirtschaftshistoriker und -philosoph Thomas Kuhn erklärte in seinem bedeutenden Buch „The Structure of Scienctific Revolution“ Mitte des 20ten Jahrhunderts die Existenz des Paradigmenwechsels. Gemäß seiner Theorie unterliegt den Grundannahmen und Erkenntnissen der Wissenschaft ein konsistenter und stetiger Wandel. Dabei begnügt sich die Entwicklung der Wissenschaft nicht nur mit den Phasen der allgemeinen Anerkennung und Verwendung von bewährten Paradigmen (die sog. Normalwissenschaft), sondern auch mit Phasen der Veränderung bzw. Ersetzung von bestehenden Erkenntnissen und Theorien (die sog. außerordentliche Wissenschaft). Dabei sollte verdeutlicht werden, dass Kuhn bei der Verwendung des Begriffs Paradigma eine Übereinstimmung wissenschaftlicher Grundannahmen meint, welche von der Mehrheit an Wissenschaftlern anerkannt und befürwortet wird (Kuhn 2012).
In der aktuellen Betrachtung der wirtschaftlichen Prinzipien und Ansätze kann man einen solchen, zwar schleichenden, aber doch vollziehenden Paradigmenwechsel erkennen. Das seit etwa 150 Jahre bestehende und verwendete neoklassische Modell zur Erklärung und vor allem Prognostizierung wirtschaftlicher Vorgänge gerät durch die Realitätsferne und das Auftreten von Problemen im Modell selbst ins Wanken.
Neue Ansätze und Denkrichtungen begründen den Übergang von einer rationalen und mathematischen zu einer irrationalen und verhaltensorientieren Sichtweise. Dazu gehören die Wissenschaftsdisziplinen Verhaltensökonomie sowie die angewandte Wirtschaftspsychologie. Um ihre Annahmen über die Irrationalität des Menschen bei wirtschaftlichen Entscheidungen zu validieren, führen Wissenschaftler weltweit empirische Untersuchungen durch. Gewonnene Erkenntnisse fließen anschließend in die Gestaltung und Verbesserung verschiedener wirtschaftlicher Branchen ein, insbesondere in Bereichen des Dienstleistungssektors und Marketing.
Das Ziel der vorliegenden Bachelorarbeit ist es, zuvor formulierte Hypothesen der Verhaltensökonomie anhand von Praxisexperimenten zu überprüfen und anschließend die Ergebnisse auf den Dienstleistungssektor zu übertragen.
Im ersten Teil der Arbeit erfolgt eine Literaturanalyse relevanter Quellen zu wirtschaftlichen Prinzipien der neoklassischen Theorie. Durch die Kritik wesentlicher Grundannahmen dieses wirtschaftlichen Ansatzes wird die Entwicklung und Entstehung der neunen Disziplin, der Verhaltensökonomie, präsentiert. Dazu werden die Grundannahmen erklärt, insbesondere Werke über die Bestimmung diverser Kaufverhaltensmuster wie beispielsweise Heuristiken, Framing und die neue Erwartungstheorie (Kahneman 2012). Basierend auf den aus der Literatur erarbeiteten Kenntnisstand werden im zweiten Teil die gewonnenen Annahmen mit Hilfe von empirischen Experimenten konzipiert, durchgeführt und ausgewertet. Es werden die festgestellten Ergebnisse mit den formulierten Grundannahmen verglichen, letztere damit überprüft. Letztendlich erfolgt eine abschließende Empfehlung der validierten Ergebnisse für den Dienstleistungssektor in einer umfangreichen Diskussion.
2 Grundannahmen des rationalen Handelns und die Entwicklung der Verhaltensökonomie
2.1 Vorstellung des rationalen Weltbildes: Die neoklassische Theorie
Die ersten ökonomischen Prinzipien der Neoklassik sind aus der sogenannten „marginalen Revolution“, der „ökonomischen Umwälzung“ klassischen Denkens, von Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts hervorgegangen (Söllner 2012). Eine tragende Rolle einer solchen Umwälzung werden dabei den neoklassischen Pionieren William Stanley Jevons (1835-1882), Carl Menger (1840-1921) und Léon Walras (1834-1910) zugesprochen, welche mit ihrer unabhängig aber etwa zeitgleich entwickelten Grenznutzentheorie die Anfänge der Neoklassik begründeten (Söllner 2012).
Von einer „marginalen Revolution“ kann man aber nach Söllner (2012) im Sinne einer vollständigen Verdrängung bestehender Prinzipien nicht sprechen. Seiner Meinung nach verdrängte die Neoklassik anfänglich keineswegs klassische Ansätze, sondern ergänzte diese eher. Des Weiteren befassten sich die ersten Neoklassiker mit mikroökonomischen Fragestellungen, sodass es anfänglich kaum zu einer „Marginalisierung“ oder Verdrängung von Themenschwerpunkten der klassischen Theorie kam. Erst im 20. Jahrhundert erfolgte mit der Wirtschaftskrise und neuen Ansichten bekannter Ökonomen wie zum Beispiel John Maynard Keynes oder Friedrich August von Hayeck eine Umwälzung des alten Paradigmas. Dazu später mehr im Unterpunkt 2.4.1.
Klassische wie auch neoklassische Theorien stützen sich auf eine gemeinsame Annahme. Dabei ist die Rede vom Vordenker und Wirtschaftsphilosophen Adam Smith, welcher mit seinen Erklärungen vom eigennützigen und selbstinteressierten Menschen bis hin zum ökonomischen Marktgeschehen, das auf das Verhalten von Individuen zurückgeführt wird, Grundansätze für die Herausbildung des sogenannten „methodologischen Individualismus“ hervorbrachte. Dieser und die Gleichgewichtsidee sind nach den Professoren Dobias und Issing (1994) die zwei zentralen Ideen des Paradigmas der Neoklassik.
2.2 Schwerpunkte der Neoklassik
2.2.1 Der methodologische Individualismus
Mit dem methodologischen Individualismus sind Aussagen über soziale Sachverhalte gemeint, welche letztendlich auf die Summe individueller Entscheidungen zurückzuführen sind (Franz 2004). Weiterhin wird mit diesem Ansatz bestätigt, dass alle ökonomischen Geschehnisse durch individuelle Handlungen erklärt werden müssen, da es zwangsläufig immer Individuen sind, die wirtschaftliche Entscheidungen treffen (Söllner 2012). Anzumerken ist daher, dass der methodologische Individualismus im Gegensatz zur traditionellen Soziologie, durch die Aggregation individueller Entscheidungen die Grundlage für kollektive Entscheidungen bildet (Franz 2004).
Diese Annahme kann mit Hilfe des Arguments kritisiert werden, dass individuelles Verhalten unterschiedlich ist. Im Einzelfall verhält sich das Wirtschaftssubjekt Mensch anders als erwartet. Jedoch kann das wirtschaftliche Verhalten des Kollektivs durch die Aussage des methodologischen Individualismus eher verstanden und prognostiziert werden, da im Durchschnitt die Mehrheit an Individuen ähnliche Entscheidungen treffen (Franz 2004).
Da das Kollektiv die Handlungen des Einzelnen reflektieren soll, ist es notwendig für das durchschnittliche Individuum ein Mittel zu finden und dieses in das rationale und mathematische Modell der Neoklassik zu implementieren. Es ist die Suche nach einem Erklärungskonzept, mit dem wirtschaftliche Phänomene durch eine zentrale Verhaltensannahme theoretisch darstellbar und prognostizierbar werden. Die Neoklassik bedient sich dabei der Funktion des Homo Oeconomicus. Er schließt mit seinen Verhaltensweisen die grundlegenden Annahmen mit ein. Demzufolge ist es hilfreich mittels seiner Modelleigenschaften weitere neoklassische Prinzipien zu erklären.
2.3 Der Homo Oeconomicus
2.3.1 Rationale Nutzenmaximierung durch Optimierung unter Nebenbedingungen
Zweck der Nutzenmaximierung ist es eine Zielfunktion unter Berücksichtigung von bestimmten Nebenbedingungen zu optimieren. Dabei können der Nutzen und die jeweiligen Nebenbedingungen, ökonomisch betrachtet, unterschiedlich ausgerichtet sein. Beispielsweise kann das Ziel der Optimierung sein, die Kosten (in dem Fall der Nutzen) durch gezielte Budgetierung der verfügbaren Mittel (in dem Fall die Nebenbedingung) zu minimieren (Söllner 2012). Im Allgemeinen lässt sich schließen, dass das einzelne Individuum darauf bestrebt ist, den Nutzen unter jeder noch so extremen Nebenbedingung zu maximieren. Ökonomisch betrachtet ist mit diesem Nutzen die Gewinnmaximierung gemeint. Der HO versucht nun dieses oberste Ziel mit Hilfe von rationalen Entscheidungen zu erreichen.
Rationales Handeln wird dabei in der Neoklassik als die Verhaltensweise angesehen, bei dem das Individuum mit den zur Verfügung gestellten Mitteln zielbezogen das Maximum erreicht. Neben dem aufgeführten Maximalprinzip gilt diesbezüglich auch das Minimalprinzip, nämlich das Erreichen eines gegebenen Zieles mit einem Minimum an eingesetzten Ressourcen. Diese beiden ökonomischen Prinzipien bilden nach Söllner (2012, S. 50) das „Fundament der Neoklassik“ und begründen mit ihren Aussagen die wirtschaftliche Verhaltensweise von Individuen. Sollte ein Individuum seinen Nutzen konsistent gleich halten oder sogar minimieren, so handelt es nach der Neoklassik irrational und ökonomisch inakzeptabel. In Bezug auf die Lehre des methodologischen Individualismus kann man davon ausgegangen, dass somit kollektive Entscheidungen immer rational getroffen werden und deshalb immer nutzenmaximierend sind.
Im Falle der Neoklassik schafft die konsistente Grundannahme der Nutzenmaximierung unter Optimierung von Nebenbedingungen die Möglichkeit einer mathematischen Formulierung. Man stellt das Prinzip der Nutzenmaximierung durch eine geeignete Nutzenfunktion unter gegebenen Nebenbedingungen dar (Dobias, Issing 1994). Somit können die Verhaltensweisen des HO analytisch reflektiert und, weitaus entscheidender, prognostiziert werden. Um solche Verhaltensweisen zu spezifizieren bedient man sich noch weiterer grundlegender Eigenschaften des HO. Diese werden im Folgenden vorgestellt.
2.3.2 Feststehende Präferenzen, Gleichgewicht, Eigeninteresse und vollständige Information
Der HO möchte stets seinen Nutzen maximieren indem er die rational sinnvollste Entscheidung trifft. Er wägt also zwischen seinen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten ab und ist wegen bestimmter Nebenbedingungen in seinem Entscheidungsspielraum beschränkt. Sich für eine bestimmte Handlung zu entscheiden ist abhängig von den Präferenzen des HO. Die Neoklassik geht davon aus, dass er fähig ist eine rationale Präferenzordnung aller möglichen Alternativen des Entscheidungsausganges aufzustellen. Letztendlich wählt er nach logischem Abwägen die Handlung aus, welche die höchste Präferenz und folglich den maximalen Nutzen generiert (Dobias, Issing 1994). Man geht davon aus, dass sich beim sogenannten Marktgleichgewicht die Präferenzen nicht ändern. Sie gelten als stabil (Franz 2004). Der HO hat dabei kein Grund von seinen zugrunde liegenden Präferenzen abzuweichen und seine Verhaltensweisen bleiben gleich. Dagegen wird aus dem Gleichgewicht ein Ungleichgewicht, wenn sich die Präferenzen, beispielsweise auf Grund von externen Effekten, ändern und somit auch seine resultierenden Handlugen (Söllner 2012).
Des Weiteren wird dem HO unterstellt, dass er aus reinem Eigeninteresse handelt. Der durch Kirchgässner (2000) bezeichnete Begriff „Eigennutzaxiom“ verdeutlicht diese Verhaltensweise. Dabei kooperiert er nur mit anderen Individuen zusammen, weil er hofft, durch diese Kooperation einen höheren Nutzen für sich selbst zu generieren (Dobias, Issing 1994).
Letztendlich kann der HO nur die rational sinnvollste Entscheidung treffen, wenn ihm vollständig alle relevanten Informationen über jede Handlungsmöglichkeit zugänglich sind. Diese unbeschränkte Informationsverarbeitungskapazität ermöglicht es ihm, immer den maximalen Nutzen zu realisieren, daher in jeder Situation wirtschaftlich rational zu handeln (Söllner 2012).
2.4 Kritik
2.4.1 Keynes
Da es sich bei der Betrachtung des HO und seinen Verhaltensweisen im Allgemeinen um mikroökonomische Schwerpunkte handelt, wandte man sich seit dem Ausbruch der weltweiten Wirtschaftskrise in den 20er und 30er Jahren des 20ten Jahrhundert der Makroökonomie zu. Die Neoklassik stürzte dabei in eine Glaubenskrise. Grundlegende Gesetze, beispielsweise das Saysche Gesetz, welches wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachtfrage ausschließt, waren in Anbetracht der aktuell wirtschaftlichen Situation nicht mehr anwendbar (Söllner 2012).
Ein Vorreiter zu dieser Zeit war der Wirtschaftsmathematiker John Maynard Keynes (1883-1946), der mit seiner Überlegung einer staatlichen Steuerung der Wirtschaft zur Schließung der entstandenen Nachfragelücke, die Gleichgewichtsidee der Neoklassik diskutierte (Krause 2002). Mit seiner Keynesianische Makroökonomie kritisierte er die Neoklassik nicht radikal, weder versuchte er die Theorie grundlegend zu revidieren, noch zu ersetzen. Nach dem Wirtschaftsforscher Krätke (1999) benutzte er die neoklassische Mikroökonomie mit der allgemeinen Gleichgewichtstheorie als Grundlage seiner eigenen Theorien. Der Kern des neoklassischen Denkens wurde folglich unangetastet gelassen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass die mikroökonomischen Grundannahmen die Wirtschaftskrise überlebten und in 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts durch das Streben nach einer „reinen“ mathematischen Wirtschaftstheorie ehemalige Kritiken von Keynes zu revidieren versuchte.
2.4.2 Grundsätzliche Kritik und die Wegbereitung der Verhaltensökonomie
Trotz ihrer grundsätzlichen Anwendung an wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten erfährt die Neoklassik große Kritik. Diese wird eröffnet von der sogenannten methodologischen Kritik, „d.h. die Kritik am mathematischen Modellbau und dessen (Un-)Brauchbarkeit für eine empirische Sozialwissenschaft“ (Krätke 1999, S. 14). Dabei räumt Krätke (1999) ein, dass der Zusammenhang von Theorie und Empirie sehr unklar und ungeklärt sei. Dieser unklare Zustand der Dinge erlaubt es den Neoklassikern, ihren Modellen doch eine Bedeutung zuzusprechen, die die eines „privaten Hirngespinstes“ übersteigt (Krätke 1999, S. 14). Um seine Ablehnung gegen die mathematiklastige Grundlage noch weiter zu verstärken, bedient er sich zahlreicher Beispiele. So merkt er an, dass es wegen der unterstellten Bedingung, der vollständigen Information, beispielsweise kein Grund für Unternehmen zur Investition gäbe. Eine Möglichkeit Gewinne zu maximieren, die jeder Marktteilnehmer kennt und die jedem auch zugänglich ist, ist keine mehr.
Weitere Gründe für Kritik wirft der Sozialpsychologen Günter Wiswede (2007) in seinem Buch „Einführung in die Wirtschaftspsychologie“ auf. Dabei unterstreicht er deutlich die Schwierigkeiten der Anwendung der Nutzentheorie hinsichtlich „axiomatischer Annahmen der Natur menschlicher Präferenzen“ (Günther 2007, S. 31). Hingegen der neoklassischen Ansicht, Präferenzen gelten als stabil, meint Wiswede, Präferenzen sind „dem Wandel unterworfen, unterliegen zahlreichen Lernprozessen und variieren mit unterschiedlichen situativen Kontext“ (Günther 2007, S. 31). Als einfaches Beispiel erwähnt er die Person P, welche zwar in Situation S1 lieber Cognac trinken, aber in Situation S2 lieber Bier bevorzugen würde. Eine resultierende Handlung, bedingt durch sich ändernde Präferenzen, wird in der Neoklassik lediglich durch sofortige Ungleichnisse im Markt erklärt. Unterschiedliche menschliche Verhaltensweisen des Menschen, je nach Situation, werden dabei vernachlässigt (Günther 2007).
Aber nicht nur der Sozialpsychologe Wiswede und der amtierende Wirtschaftsforscher Krätke, auch die berühmten Wirtschaftsnobelpreisträger Herbert A. Simon (1916-2001), Daniel Kahneman und Reinhard Selten haben die fragwürdige Realitätsferne des aktuellen ökonomischen Ansatzes diskutiert.
So bemerkte Reinhard Selten, dass die Vorhersagen neoklassischer Modelle der praktischen experimentellen Überprüfung nicht standhalten. Dabei entdeckte er besonders in den Laborexperimenten zur mikroökonomischen Spieletheorie, dass der Mensch neben dem Maximieren materiellen Nutzens durchaus auch an anderen interaktiven Motivationen wie Fairness, Vertrauen und Reziprozität, die Gegenseitigkeit, interessiert ist. Deshalb verneint Selten (2010) die neoklassische Theorie, dass wirtschaftliches Verhalten nur durch Optimierungsansätze beschrieben werden kann. Für ihn ist das Bild des HO deshalb „nicht mehr tragfähig“ (Selten 2010, S. 8).
Neben Selten kritisierte der Sozialwissenschaftler Herbert A. Simon (1916- 2001) Grundannahmen der Neoklassik bezüglich menschlichen Entscheidungsprozessen. Er ersetzte dabei die uneingeschränkte Rationalität des Individuums mit der Annahme, dass Entscheidungen nur mit Hilfe einer „begrenzten Rationalität“ getroffen werden. Diese ist bedingt durch den begrenzten Zugang zu Informationen, die kognitive Einschränkung des Gedächtnisses und die endliche Zeit sich für eine Handlung zu entscheiden. Deshalb schlussfolgerte Simon, dass das Individuum nur zum Teil rational und zum anderen Teil emotional/irrational in seinen Verhaltensweisen ist (Schilirò 2012).
Ein weiterer Kritiker grundsätzlicher Annahmen der Neoklassik ist der israelisch-amerikanische Psychologe Daniel Kahneman. Zusammen mit dem Kognitionswissenschaftler Amos Tversky führte er verschiedene Arten von Experimenten zu menschlichen Entscheidungsprozessen im wirtschaftlichen Rahmen durch. Durch die Auswertung der Ergebnisse haben sie tiefgreifende Theorien zu jeglicher Art von kognitiven Verzerrungen beim Treffen von wirtschaftlich relevanten Entscheidungen entwickelt (Kahneman 2012). Diese werden im nächsten Kapitel vorgestellt.
Die durch die Kritiker eingeleitete Durchführung von realitätsnahen Experimenten wirtschaftlichen Kontexts und somit die Überprüfung menschlicher Entscheidungsprozessen leitete ab Ende des 20ten Jahrhunderts die Ära eines neuen Teilgebietes der Wirtschaftswissenschaften ein, die Verhaltensökonomie. Ihre Aufgabe ist es, das menschliche Verhalten bezüglich wirtschaftlicher Beziehungen zu untersuchen (Behavioral Economics, n. d.).
Empirische Untersuchung
3 Grundannahmen der Verhaltensökonomien
3.1 Einführung in die kognitive Verzerrung
Das menschliche Individuum versucht die für ihn vernünftigste Entscheidung auch in dem komplexesten Sachverhalt zu treffen. Es handelt sich bei der Verhaltensökonomie nicht um einen unbeschränkt rational agierenden HO als Annahmemodell eines solchen Individuums. Sie bedient sich eher eines realitätsnahen und auch irrationalen Menschenbildes. Dabei kommt es vor, dass die endgültig beschlossene Entscheidung nicht der logischen bzw. rationalen Günstigsten entspricht. Andere Handlungen wären unter genauerer Betrachtung und den nötigen Informationen vorteilhafter gewesen. Das Individuum begeht somit in seiner komplexen Entscheidungsfindung unbewusst irrationale Fehler, welche von sogenannten Heuristiken und kognitiven Verzerrungen (in Englisch, Biases) verursacht werden. Letztere entsprechen dabei systematischen Tendenzen und Neigungen, bedingt durch beispielsweise persönliche Erfahrungen oder Meinungen von anderen Personen (Haselton, Nettle et al. 2005). Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Auftreten von den wichtigsten Heuristiken, einschließlich kognitiver Verzerrungen bei wirtschaftlichen Entscheidungen.
3.2 Heuristiken
Um bei komplexen Sachverhalten eine möglichst befriedigende Entscheidung zu fällen bedient sich das menschliche Individuum unbewusst dem Instrument der Heuristik. Sie entspricht einer Vereinfachung bzw. einer „Faustregel, die auf leicht zu erhaltende Informationen angewendet werden und unter geringem Verarbeitungsaufwand ein hinreichend genaues Urteil erlauben“ (Bieneck 2006, S. 19). Kahnemann führte die Umschreibung der Vereinfachung weiter indem er dazu den Begriff der heuristischen Frage erwähnt. Wenn ein Sachverhalt zu komplex ist und eine befriedigende Antwort nicht schnell gefunden werden kann, ist es einfacher, eine ähnliche leichtere Frage zu finden und diese dann zu beantworten. Diese Frage entspricht der heuristischen Frage, welche als eine „Ersetzung“ dient (Kahneman 2012). Für Kahneman (2012, S. 127) dient
Empirische Untersuchung die unbewusste Anwendung der Heuristik als einfaches Verfahren, „das uns hilft, adäquate, wenn auch oftmals unvollkommene Antworten auf schwierige Fragen zu finden“. Heuristiken sind dabei durch eine Anzahl von Merkmalen beschrieben. Dazu gehört als erstes, dass die Heuristik begrenzt rational ist bzw. nur beschränkte Informationen der Umwelt verwendet. Weiterhin werden bei der Anwendung von Heuristiken intuitiv die eigene Wahrnehmung und persönliche Erfahrungen hinzugezogen (Goldstein, Gigerenzer 2002). Um eine befriedigende Antwort zu finden spielt der Zeitfaktor eine wichtige Rolle. Unter Zeitdruck greift man eher auf kognitive Abkürzungen zurück (Bieneck 2006). Letztendlich wird bei den meisten Problemen die Heuristik unbewusst angewendet, welche als schnell, genügsam und einfach genug erscheint um eine befriedigende Antwort zu finden (Goldstein, Gigerenzer 2002)
Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde eine Vielzahl von unterschiedlichen Heuristiken erforscht und entdeckt. Die Bekanntesten von ihnen werden hier kurz vorgestellt.
3.2.1 Repräsentativitätsheuristik
Die Repräsentativitätsheuristik ist die wohlbekannteste Heuristik. Auf Grundlage der Repräsentativität werden Wahrscheinlichkeiten bestimmt, sodass konkrete Ereignisse zu einer vorgegebenen Kategorie gehören (Bieneck 2006). Als Beispiel für die Anwendung einer Repräsentativitätsheuristik kann man folgende Aussagen aufführen: „Er wird es als Akademiker nicht weit bringen; er hat zu viele Tätowierungen“ oder auch „Der Bewerber wirkt mit seinen eindringlichen Art als sehr unsympathisch; er wird es als Führungskraft im Unternehmen schwer haben“ (Kahneman 2012, S. 189). Diese vorschnelle Kategorisierung, also die Anwendung von Stereotypen anhand von einer deutlichen Repräsentation führt aber zu kognitiven Verzerrungen, die der eigentlichen Wahrheit nicht entsprechen.
3.2.2 Verfügbarkeitsheuristik
Die Verfügbarkeitsheuristik kommt zur Anwendung, wenn Urteile über die Wahrscheinlichkeit oder Häufigkeit von Ereignissen dadurch beeinflusst werden, wie schnell diese in das Gedächtnis gerufen werden. Demzufolge werden Ereignisse, die schneller abgerufen werden können, als häufiger bzw. eher wahrscheinlicher beurteilt (Bieneck 2006). Merkmale solcher leicht abrufbaren Ereignisse sind, dass sie öfter auftreten und ausdrucksstärker in Erinnerung liegen. Auch spielt die wahrscheinliche Vorstellungskraft des Auftretens eine wichtige Rolle (Tversky, Kahneman 1973). Ein Beispiel in der Praxis ist die Boulevardpresse, mit der man, durch ihre täglichen Berichterstattungen von Scheidungen in Hollywood und Sexskandalen bei Politikern, die Häufigkeit solcher Ereignisse überschätzt (Kahneman 2012). Ähnlich wie andere Heuristiken ersetzt die Verfügbarkeitsheuristik eine komplizierte Frage. Anstatt die konkrete Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses oder Größe einer Kategorie zu schätzen, ist es einfacher, leicht zugängliche Alternativergebnisse abzurufen. Als einfaches Beispiel führt Kahneman (2012, S. 165) die nachstehenden Buchstabenfolgen auf. Die Frage ist, wie viele Wörter jeweils daraus gebildet werden können:
XUZONLCJM
TAPCERHOB
Ohne auch nur lange darüber nachzudenken, ist sofort bewusst, dass die eine Folge mehr Möglichkeiten bietet als die andere. Durch das Auftreten der Verfügbarkeitsheuristik werden die Beispielwörter schnell verfügbar, die am zugänglichsten und offensichtlichsten abrufbar sind.
3.2.3 Anker- und Anpassungheuristik
Der Effekt einer Ankerheuristik ist weit verbreitet. Im Grunde wird sie in Betracht gezogen, wenn man einen bestimmten Wert für eine unbekannte Größe erwägt, bevor man die tatsächliche Größe überhaupt abschätzen kann. Dabei ist zu beobachten, dass der Schätzwert nahe des im Vornherein berücksichtigten Wertes liegt (Kahneman 2012). Mit der Anpassungsheuristik ist die Veränderung des Schätzwertes gemeint, bis der angepasste Wert ein zufriedenstellendes Urteil für die betreffende Person ergibt (Bieneck 2006). Wie jede andere Heuristik, geschieht die Anker- und Anpassungsheuristik unbewusst. Weiterhin werden aber auch Werte mitberücksichtigt, die mit dem eigentlichen Schätzwert nicht in Beziehung stehen. Um diese Hypothese zu validieren führten Kahneman und Amos ein Experiment durch. Sie manipulierten ein Glücksrad. Es war von der Zahl 0 bis 100 markiert, aber sie konstruierten es so, dass es nur auf 10 oder auf 65 stehen blieb. Den Versuchsteilnehmern wurde erklärt, die gedrehte Zahl aufzuschreiben. Danach mussten sie den Prozentsatz afrikanischer Staaten schätzen, die Mitglied in den Vereinten Nationen seien. Dabei beobachteten die beiden Wissenschaftler, dass der im Vorfeld gedrehte Wert einen signifikanten Einfluss auf die Angaben der Schätzung hatte. Er wurde als Ausgangswert unbewusst benutzt. Das Ergebnis war, dass die mittleren Schätzwerte sich auf jeweils 25 bzw. 45 Prozent beliefen (Kahneman 2012). Die Ausgangswerte von 10 bzw. 65 beeinflussten die Entscheidung signifikant, sodass der Effekt der Ankerheuristik die unabhängige Schätzung der Probanden außer Kraft setze (Bieneck 2006).
3.3 Framing
Framing, im Deutschen auch Einrahmungseffekt, bezeichnet nach Thaler (2008) die unterschiedlichen Reaktionen auf Informationen, die in ihrem Inhalt zwar gleich, aber in ihrer Formulierung verschieden sind. Nach Kahneman (2012) wird der Begriff des Framing-Effekts für ungerechtfertigte Einflüsse von Formulierungen auf Überzeugungen und Präferenzen benutzt. Ein einfaches Beispiel zur Verdeutlichung dessen, zeigen die folgenden Umschreibungen der inhaltsgleichen Situation. Dabei stelle man sich vor, man leide unter schweren Herz-Kreislauf Problemen und der zuständige Arzt schildert ihnen das Risiko eines potentiellen Todes der zukünftigen Operation. Er benutzt folgende Wortwahl:
„ Von den 100 Patienten, welche sich operieren lie ß en, liegt die Ü berlebensrate nach den ersten f ü nf Jahren bei 90 Patienten “
Demgegenüber könnte die gleiche Information auch folgendermaßen ausgedrückt werden: „ Von den 100 Patienten, welche sich operieren lie ß en, sind 10 Patienten innerhalb der ersten f ü nf Jahre gestorben “
Trotz des gleichen Inhaltes, ruft die verschiedene Art der Beschreibung unterschiedliche Reaktionen hervor. Worte, wie in diesem Fall „Überleben“, erzeugen dabei deutlich positivere Reaktionen hinsichtlich der Entscheidung als negative empfundene Wörter wie „Sterben“. Als Ergebnis wird die Entscheidung nicht vollständig rational getroffen bzw. sie wird wesentlich von der Formulierung des Problems beeinflusst.
3.4 Einflussfaktoren auf wirtschaftliche Entscheidungen
Durch die ständig verändernden Präferenzen und eine beschränkte Rationalität des Individuums, können Handlungen im wirtschaftlichen Kontext nicht einfach logisch vorhergesehen werden, wie es bei der Neoklassik der Fall war. Die Entscheidungsfindung zwischen verschiedenen Alternativen ist komplex. Sie wird umso komplizierter, je mehr Alternativen zur Auswahl stehen. Diese können dazu in ihrem Kontext variieren, beispielsweise wenn es sich um Lotterien mit gewissen Risiken oder sicheren Optionen handelt. Durch die neue Art von Entscheidungsfindung werden Theorien der Neoklassik durch Alternativen ersetzt. Dieser Abschnitt widmet sich solchen verhaltensökonomischen Theorien.
3.4.1 Das Allais-Paradoxon
Eine der ersten Wissenschaftler, welcher bestimmte Annahmen der Neoklassik, in diesem Fall die allgemein anerkannte, unbeschränkte rationale Erwartungsnutzentheorie, durch ein einfaches Experiment widerlegte, war Maurice Allais. In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts konstruierte er eine Vielzahl von Beispielfällen, welche eine stark variierende Präferenz bei Entscheidungen unter Risiko von dem Versuchsteilnehmer verdeutlichte. Es wird in der Verhaltensökonomie als das „Allais-Paradoxon“ bezeichnet. Die Optionen eines Falles sahen wie folgt aus:
A) Eine 61% Chance, 520.000$ zu gewinnen, oder eine 63% Chance, 500.000$ zu gewinnen
B) Eine 98% Chance, 520.000$ zu gewinnen, oder eine 100% Chance, 500.000$ zu gewinnen
Die meisten Versuchsteilnehmer haben bei Option A die 61%ige Chance und bei Option B die 100%ige Chance gewählt. Es ist also zu beobachten, dass sich hinsichtlich der Entscheidung die Präferenzen geändert haben. Dies entspricht, unter neoklassischer Sichtweise, einem Verstoß gegen das rationale Handeln. Die Verhaltensökonomie erklärt die Veränderung der Präferenzen hinsichtlich des Gewinnes mit dem Auftreten des so genannten „Sicherheitseffektes“. Dabei ist entscheidend, dass der 2%ige Unterschied zwischen einer 100%igen und einer 98%igen Gewinnchance bei Option B viel gravierender in das Gewicht fällt als derselbe Unterschied zwischen den 63% und 61% bei Option B (Kahneman 2012).
Die empirische Gültigkeit des Allais-Paradoxon ebnete den Weg für die Einführung der Verhaltensökonomie. Weitere kritische Hinterfragungen der angewandten Erwartungsnutzentheorie in der Neoklassik führte dazu, dass am Ende der 70er Jahren eine neue Theorie vorgestellt wurde. Sie nannte sich „Prospect Theory“ (PT, zu Deutsch „Neue Erwartungsnutzentheorie“) und widerlegte durch eine Reihe von Praxisexperimenten traditionelle wirtschaftliche Axiome der neoklassischen Erwartungsnutzentheorie (z. B. Transitivität, Vollständigkeit, Stetigkeit usw.) (Wang 2006).
3.4.2 Neue Erwartungsnutzentheorie/Prospect Theory
Die neoklassische Erwartungsnutzentheorie ist eine normative Theorie, um Entscheidungen unter Risiko zu modellieren. Sie bedient sich des Menschenbildes des HO. Als Ausgangslage sieht sie vor, dass Nutzenwerte mit Vermögenszuständen verbunden sind. Trotz ihrer allgemeinen Akzeptanz in der Mikroökonomie, steht sie oft im Widerspruch zu experimentell ermittelten Praxisbefunden. Die PT, welche eine deskriptive Theorie darstellt, versucht das wirkliche wirtschaftliche Verhalten von Personen darzustellen. Ihre allgemeine Akzeptanz in der Wirtschaftswissenschaft ist mit ihrer empirischen Validation in der Praxis verbunden (Wang 2006).
Im Gegensatz zur neoklassischen Erwartungsnutzentheorie, wird in der PT der erwartete Nutzen nicht mit einem Vermögenszustand sondern mit einer Vermögensänderung, einer Differenz von Gewinnen und Verlusten, in Verbindung gebracht (Kahneman 2012). Kahneman und Amos fanden in ihren zahlreichen Experimenten heraus, dass das menschliche Individuum die Auswirkungen von Gewinn und Verlust, bei Entscheidungen unter Risiko, unterschiedlich stark wahrnimmt. So reagiert es auf Verluste sensibler als auf Gewinne (Wang 2006). Viel entscheidender ist aber die abgeleitete Implikation bei der PT, dass man von einer Änderung des Vermögens im Verhältnis auf einen neutralen Referenzpunkt ausgeht (Thaler 2012). Dieser Referenzpunkt sagt schließlich darüber aus, ob es sich um ein positives (Gewinn) oder negatives Ergebnis (Verlust) handelt. Sich für eine bestimmte Option unter Risiko zu entscheiden ist also immer vom Referenzpunkt abhängig, von dem diese Option auch beurteilt wird (Kahneman 2012). Die Implikation der PT kann man leicht durch eine Wertefunktion in Abbildung 1 veranschaulichen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Eine zweiteilige Wertefunktion der PT
Der Graph zeigt deutlich einen S-förmigen Verlauf, der eine abnehmende Empfindlichkeit für Gewinne und Verluste darstellt. Weiterhin weist der Graph einen konkaven Teil für Gewinne und einen konvexen Teil für Verluste auf. Dies erklärt, dass Personen risikoavers bei Gewinnen und risikofreudig bei Verlusten sind. Auch erkennt man, dass die beiden Kurven asymmetrisch sind. Der Referenzpunkt dient als Ausgangspunkt, bei dem sich zudem die Steigung des Graphen ändert. Den Übergang in den Bereich des Verlustes stellt die Verlustaversion dar. Sie liegt bei einem Wert von . Dieser besagt, dass ein Verlust etwa doppelt so schwer wiegt wie ein entsprechender Gewinn (Wang 2006). Demzufolge ist die Verlustaversion für eine innerliche Trägheit, ein starkes Verlangen sein Vermögen konstant auf einen Niveau zu halten, verantwortlich. Negative Veränderungen des Vermögens sind daher schwer zu akzeptieren. Dies kann letztendlich auch dazu führen, dass potentielle Chancen, zum Beispiel bei langfristigen Investitionen, ungenutzt bleiben. Diese stellen vorerst einen Verlust dar (Thaler, Sunstein 2008).
3.4.3 Besitztumseffekt/Endowmenteffekt und Status Quo Bias
Die Verlustaversion, benannt durch Kahneman und Tversky geht unverbindlich einher mit den durch Richard Thaler demonstrierten Endowmenteffekt (zu Deutsch Besitztumseffekt) und dem Status Quo Bias, welcher durch William Samuelson und Richard Zeckhauser entdeckt wurde. Der Endowmenteffekt besagt, dass es viel mehr kostet, ein bestimmtes Objekt aufzugeben als es kosten würde, selbiges zu erhalten (Thaler 2012). Durch das Besitzen eines Gegenstandes erfährt dieser eine subjektive Wertsteigerung (Grausenburger 2010). Der Endowmenteffekt stellt wie die PT eine weitere neoklassische Theorie in Frage, die des Indifferenzkurvensystems eines Individuums für zwei Güter. Diese Theorie besagt, dass alle Positionen auf einer Indifferenzkurze gleichermaßen attraktiv erscheinen und es irrelevant ist, auf welcher Stelle der Kurve sich das Individuum befindet. Es fehlt aber im gesamten Modell ein neutraler Referenzpunkt, der die Ausgangslage des Individuums in der Vergangenheit repräsentiert und mit Hilfe dessen es zukünftige Entscheidungen beurteilt.
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- Frieder Schulz (Author), 2013, Die Untersuchung von Irrationalität bei wirtschaftlichen Entscheidungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264506
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