Das Gedicht "Die alten, bösen Lieder" steht als letztes Lied Nr. 66 im sogenannten Lyrischen Intermezzo, das einen Binnenzyklus im Buch der Lieder von Heinrich Heine bildet. Da seit der 2. Auflage das Gedicht "Ich kann es nicht vergessen" wegen zu deutlicher Erotik vom Verleger Campe herausgenommen wurde, bekam das Schlusslied dann die Nr. 25. Der erste Druck des Buches der Lieder wurde damals bei Hoffmann und Campe, Hamburg besorgt und enthält nur Gedichte, die bereits vor dieser Zeit von Heine angefertigt worden waren, also keine Neuheiten. Das Lied Nr. 66 kennt eine allgemein wenig bekannte Vorversion von 1822, das im »Gesellschafter« als II. von »Zwei Lieder von H. Heine mit der Überschrift »Silvester-Abend« abgedruckt war und 1823 nochmals in Mannheim erschien (vgl. synoptische Darstellung unten). [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Heinrich Heine: Die alten, bösen Lieder
1.1. Das Lyrische Intermezzo
1.2. Der Stil
1.3. Das Gedicht Die alten, bösen Lieder
1.4. Varianten in Die alten bösen Lieder
2. Schumanns Vertonung in der Dichterliebe op.48 Nr. 16
3. Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 Schumann, Anfang op. 48 Nr. 16
Abb. 2 Schumann, op. 48 Nr. 16 Takt 44ff
Abb. 3 Schumann, op. 48 Nr. 16 Takt 48ff
1. Heinrich Heine: Die alten, bösen Lieder
Die alten, bösen Lieder,
Die Träume schlimm und arg,
Die laßt uns jetzt begraben,
Holt einen großen Sarg.
5 Hinein leg’ ich gar manches,
Doch sag’ ich noch nicht was;
Der Sarg muß seyn noch größer
Wie’s Heidelberger Faß.
Und holt eine Todtenbahre,
10 Von Brettern fest und dick;
Auch muß sie seyn noch länger
Als wie zu Mainz die Brück’.
Und holt mir auch zwölf Riesen,
Die müssen noch stärker seyn
15 Als wie der starke Christoph
Im Dom zu Cöln am Rhein.
Die sollen den Sarg forttragen,
Und senken in’s Meer hinab;
Denn solchem großen Sarge
20 Gebührt ein großes Grab.
Wißt Ihr warum der Sarg wohl
So groß und schwer mag seyn?
Ich legt’ auch meine Liebe
Und meinen Schmerz hinein.
Erstdruck von 1827
1.1. Das Lyrische Intermezzo
Das Gedicht Die alten, bösen Lieder steht als letztes Lied Nr. 66 im so genannten Lyrischen Intermezzo, das einen Binnenzyklus im Buch der Lieder von Heinrich Heine bildet. Da seit der 2. Auflage das Gedicht Ich kann es nicht vergessen wegen zu deutlicher Erotik vom Verleger Campe herausgenommen wurde, bekam das Schlusslied dann die Nr. 25. Der erste Druck des Buches der Lieder wurde damals bei Hoffmann und Campe, Hamburg besorgt und enthält nur Gedichte, die bereits vor dieser Zeit von Heine angefertigt worden waren, also keine Neuheiten. Das Lied Nr. 66 kennt eine allgemein wenig bekannte Vorversion von 1822, das im »Gesellschafter« als II. von »Zwei Lieder von H. Heine mit der Überschrift »Silvester-Abend« abgedruckt war und 1823 nochmals in Mannheim erschien (vgl. synoptische Darstellung unten).[1]
Die dichterischen Eckpunkte des Lyrischen Intermezzo bilden die beiden Gedichte Im wunderschönen Monat Mai und Die alten, bösen Lieder. Heine schuf die Gedichte des Intermezzo-Zyklus alle zwischen seinem 19. und 29. Lebensjahr, also zwischen 1816 und Dezember 1822. Den Titel Lyrisches Intermezzo muss Heine jedoch nach Brieflage erst kurz vor Drucklegung 1827 gefunden haben.[2] In diesen Liedern geht es samt und sonders um das Thema unglücklicher und unerfüllter Liebe. Heine selbst spricht aber von »kleinen maliziös-sentimentalen Liedern«[3] und war sich der »Originalität [seiner] humoristischen Lieder im Volkston« durchaus bewusst.[4] Und damit liegt uns vom Dichter selbst eine gewisse Einordnung dieser als »Lieder« bezeichneten Gedichte vor.
1.2. Der Stil
Besonders die Charakterisierung »im Volkston« trifft sowohl im Stil, der durchweg im »niederen Ton« gehaltenen ist, als auch in seinen schlichten, oft im 3-hebigen Jambus daherkommenden Versen. Im Volkston will bei Heine jedoch nicht heißen »als Volkslied«, auch wenn er selbst das Volkslied sehr hoch schätzte,[5] ja geradezu bewunderte und auch das ein und andere Lied von ihm selbst zum Volkslied geworden ist, so die Loreley. Bei näherer Betrachtung nämlich zeigt sich das vermutlich so Harmlose als von beißender oder auch bitterer Ironie, das Sentimentale als mit innerer Distanz geschrieben und manche romantische Metapher als bissig unterminiert.
Hierzu zwei Beispiele:
1. Das Lied Nr. LIII beginnt »Ich steh auf des Berges Spitze,// Und werde sentimental.« Die Selbstreflexion, das Bewusstmachen der Sentimentalität erweist sich zugleich als innere Distanz und Ironie; zudem nicht nur innere Distanz zu sich selbst, sondern zum typisch sentimentalen Blick in die Ferne des Romantikers auf des Berges Spitze, wie im bekannten Bild Der Wanderer über dem Nebelmeer von Caspar David Friedrich. Diese kaum verdeckte Intertextualität ist zugleich Seitenhieb auf Heines noch im romantischen Idyll dichtende Zeitgenossen, etwa Friedrich Rückert und Emanuel Geibel.
2. Es grenzt ans Komische, wenn aus Tränen blühende Blumen sprießen und die Nachtigall – als der Romantik liebste Sängerin – als ganzer Chor von Seufzern klanglos (da Seufzer!) aber dafür ganz klagevoll auftritt. Wenn dann noch die Geliebte in doppelter Verkleinerungsform »Kindchen« genannt, also als Erwachsene nicht recht vollgenommen wird, und ihr jene Nachtigall singen soll – oder ist es der Seufzer des Lyrischen Ichs (?) – so bekommt das Lied II im Volksliedton geradezu hinterrücks eine komische, ironisch-unterminierte Wendung und kann so wie ein Spottlied gelesen werden:
Aus meinem Tränen sprießen
Viel blühende Blumen hervor,
Und meine Seufzer werden
Ein Nachtigallenchor.
Und wenn du mich lieb hast, Kindchen,
Schenk ich dir die Blumen all,
Und vor deinem Fenster soll klingen
Das Lied der Nachtigall.
Wenn Heine dem von ihm sehr geschätzten Dichterkollegen Wilhelm Müller – Dichter der berühmten Winterreise von Robert Schumann ‒ schreibt: »In meinen Gedichten […] ist nur die Form einigermaßen volksthümlich, der Inhalt gehört der conventionellen Gesellschaft«,[6] so wird damit der signifikante Unterschied zu Volksliedtexten bereits angedeutet.
So manche Interpretation sucht in der unglücklichen und unerwiderten Liebe des Lyrischen Ichs bei Heine autobiografische Züge. Denn Heine lernte während eines Treffens des reichen Hamburger Onkels Salomon Heine in Düsseldorf auch dessen Tochter Amalie kennen und sah sie zwei Jahre später in Hamburg wieder. Jedoch erwiderte sie nicht die Gefühle des unsterblich in sie verliebten 17-Jährigen. Wenn auch manches der Gedichte diese autobiografische Zuweisung »Harry und Amalie« zu befördern scheint, so spricht doch vieles gegen diese »Ereignislyrik«:[7] zum einen eigene Äußerungen Heines zu seinem Buch der Lieder, zum anderen sind es konträre Mädchentypen, die zum Teil bewusst klischeehaft gezeichnet werden: als Kindchen, Mädchen, Maid und Dame, als Madonna, Rose, Taube und Sonne, als herzlos, lieblich, verlockend, engelgleich, tückisch, elend, treulos und treu. Das ist eher ein Kaleidoskop menschlicher Eigenschaften, denn die Charakterisierung einer konkreten Person. Oft sind es gar allgemeine Geschichten, die das Leben schreibt, wie im Gedichte Nr. XXXIX: »Ein Jüngling liebt ein Mädchen, // Die hat einen andern erwählt; … // Es ist eine alte Geschichte, ...«
Heine hat viel Energie auf die Anordnung der Gedichte im Buch der Lieder verwandt. So kann man im Lyrischen Intermezzo eine gewisse Entwicklung konstatieren, eine Regie des Tragischen. Im Zyklus ist eine Tendenz ins mehr und mehr Tragische, ja Verbitterte festzustellen,[8] je weiter der Zyklus an sein Ende kommt. Nichts mehr ist am Schluss übrig vom »wunderschönen Monat Mai«, in dem dem Poeten »die Liebe aufgegangen« ist und er sich ihr, der Geliebten offenbart. – Im XXIII. Gedicht werden Fragen über Fragen gestellt und ein erstes Mal taucht im Zyklus das Wort »Grab« auf; dann formuliert das Lyrische Ich in Nr. XXXI – obwohl »die Welt so schön« ist: »Und doch möcht ich im Grabe liegen«. – Und das Grab lässt Heine in diesem Zyklus dann nicht mehr los, sein Vorkommen häuft sich so sehr, dass zum Schluss jedes zweite und dritte Gedicht davon handelt. Das letzte Gedicht des Zyklus schließlich Die alten, bösen Lieder ist geradezu eine Obsession von Grab und Sarg.
[...]
[1] Vgl. Kommentarband: Heine 1982., S. 283f. Der Erstdruck von 1823 ist: »Sylvesterabend«. (L. Int. 6). In: Aurora. Taschenbuch für 1823. Mannheim, S. 170f; der Erstdruck von 1827 ist: »Die alten, bösen Lieder«. In: Buch der Lieder von H. Heine. Hamburg: Hoffmann und Campe 1827.
[2] Vgl. ebda., S. 221.
[3] Vgl. ebda.
[4] Vgl. ebda.
[5] Vgl. Kircher 1997., S. 33.
[6] Heine 1982. , S. 222.
[7] Kircher 1997. , S. 30.
[8] R. Schumann schreibt in einem Brief vom 09.06.1826 nach einem Besuch Heines in München, also genau in der Zeit des Entstehens des Lyrischen Intermezzos: »… um seinen Mund lag ein bittres, ironisches Lächeln…«. Da war Heine gerade 31 Jahre alt! Schnapp 1924., S. 16f.
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- Dipl. Ing. Karl Bellenberg (Author), 2013, Eine Interpretation von Heinrich Heine: "Die alten, bösen Lieder" und Robert Schumanns Vertonung in der "Dichterliebe" op.48/16, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264498
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