"Die Geschichte der Aktfotografie ist fast so alt wie die Geschichte der Fotografie selbst. War der nackte menschliche Körper zunächst vor allem ein Studienobjekt, wurde er doch auch rasch in erotischen Posen abgelichtet. Schnell entwickelte sich eine eigene Kunstrichtung daraus.
Was den Damen und Herren von damals die Schamesröte auf die Wangen getrieben hätte, hängt heute im Großformat in Kunstgalerien. Es werden Genitalien in Szene gesetzt und Menschen wurden beim Sex fotografiert. Es gibt kaum ein nacktes Detail, das noch nicht inszeniert wurde.
Kann das noch Kunst sein? Wo verläuft die Grenze zwischen Pornografie und Kunst? Dieser Band liefert zu diesem heiklen und umstrittenen Thema einige Ansätze zur Abgrenzung der beiden Begriffe.
Aus dem Inhalt:
Ästhetik der erotisch-pornographischen Fotografie
Verschiedene Ansichten des Körpers
Obszönität des Nackten
Lachapelle – Kunst oder Pornografie?"
Inhaltsverzeichnis
Maria Theresia Bitterli: Ein Vergleich von Frau und Mann in der Kunstfotografie der Erotik – Gestern und Heute
Einleitung
Historischer Teil
Epistemologischer Teil
Interviews
Zusammenfassung und Ausblick
Bibliografie
Anhang
Ulrich Alexander Goetz: Zur ästhetischen Grenzüberschreitung durch Erotik und Pornographie
Einleitung
Hauptteil
Fazit
Quellenverzeichnis
Jessica Labbadia: David LaChapelle – Die Libido der Gesellschaft
Lennart Marx: Kunst, Erotik und die Pornographie – distinkte Kategorien?
Einleitung
Begriffserläuterung
Anwendung an praktischen Beispielen
Schluss
Quellenverzeichnis
Daniel Lippitsch: Die Vereinigungssymbolik von Pornografie, Nacktheit und Kunst – Zur Bearbeitung offenbar distinkter Kategorien im Feld der zeitgenössischen Kunst des Westens
Einleitung
Jeff Koons Verweigerung der Pornografie und das Mysterium der Lust
Andrea Fraser – Sex als Ware
Resümee
Literaturverzeichnis
Maria Theresia Bitterli: Ein Vergleich von Frau und Mann in der Kunstfotografie der Erotik – Gestern und Heute
Einleitung
Ausgangspunkt
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der geschlechtlich-spezifischen Perspektive in der Aktfotografie. Es geht um den sozialen Stand, den die Frau sowohl als Akt-Fotografin als auch als Akt-Modell im Laufe der Zeit in der Gesellschaft erreicht hat. Mein Interesse richtet sich auf die „kleine soziale Lebenswelt“ dieser Frauen, auf ihre Teilnahmen in der Geschichte des Aktes, sowie ihre Ansichten, Verhaltensweisen und Strategien, die sie im Zusammenhang mit dem Akt entwickelt oder in ihrem lebensgeschichtlichen Verlauf bereits angewandt haben.
Motivation
Die Motivation und Idee, die mich mit einer solchen Untersuchungsgruppe beschäftigt, hat sich aus meinen persönlichen Erfahrungen gebildet. Seit zehn Jahren bin ich sowohl als (Akt-)Model als auch als (Akt-)Hobbyfotografin tätig. Im Jahr 2005 habe ich meine erste Ausstellung meiner Männer-Aktfotos in Como gehabt.
Unsichtbar und doch immer wieder im Gespräch waren Frauen und Freundinnen, die ihre Interessen in ihren Lebensalltag einfügten und zum Lebensinhalt machten, sich somit zu überzeugenden und angesehenen Persönlichkeiten entwickelten und so auch meine Neugierde erweckten. Es entstand die Frage, welche Interessen ich eigentlich habe und wie ich diese verfolgen und in meinen Lebensalltag integrieren und eventuell zu meinem Lebensinhalt machen kann.
Grundlagendefizit
Der Beschluss, diese Frauen in ihrer Lebenswelt zu erfassen, wurde bekräftigt, als ich feststellte, dass es an spezifischer Literatur über Aktfotografinnen und Aktmodellen weitgehend fehlt. Es ist schon einiges zum Thema der Frau in der Fotografie geschrieben worden, aber was die Aktfotografie betrifft gibt es noch Vieles zu entdecken und zu ergänzen.
Wissenschaftstheoretischer Hintergrund und methodische Konsequenzen
Unter Einbezug kritischer Perspektive und als Anhängerin eines wissenschaftlich-theoretischen Vorgehens, wähle ich den induktiven Weg. Das bedeutet, dass ich zuerst Handeln, Denken und Deuten meiner gewählten Untersuchungsgruppe erfasse, bevor ich bereits entwickelte theoretische Konzepte beiziehe und diese allenfalls mit den gewonnenen Daten verwebe. Ich versuche „die Sache selbst zum Sprechen zu bringen“, indem ich mich unvoreingenommen auf die jeweilige „Besonderheit des Gegenstandes“ einlasse und diese klärend und kritisch überwinde, um so zur gesellschaftlichen Wirklichkeit zu gelangen. Diese Realität trägt hoffentlich bei, verborgene Sichtweisen und Vorstellungsstrukturen einer Gruppe von Frauen darzustellen.
Methodenwahl
Um die Alltagswirklichkeit, die Welt des Handelns und den damit verknüpften Sinn der verschiedenen Frauen aus ihrer Perspektive und in ihrer Sprache zu erfassen, kann nur eine möglichst offene Forschungsmethode dienlich sein, die durch Subjektivität gekennzeichnet wird. Daher wähle ich als Erhebungsverfahren das autobiographische Interview, welches als inzwischen anerkanntes Forschungsverfahren bereits vielfältig angewandt worden ist. Bei meiner Arbeit richtet sich meine Aufmerksamkeit auf folgende Forschungsfragen:
1) Welche Verhaltensweisen legen die Frauen in der Erotik zutage? Haben diese Frauen „typisch weibliche“ Verhaltensweisen, wie z.B. sich angepasst oder aufopfernd zu geben?
2) Welcher Unterschied besteht zwischen der weiblichen und der männlichen Perspektive in der Aktfotografie?
Diese Fragen fließen als eine Art Vorverständnis in die Arbeit ein.
Im Verlaufe der Arbeit versuche ich vor allem die Hypothese zu erklären, dass sich die weibliche von der männlichen Perspektive unterscheidet und dass es bestimmte geschlechtlich-spezifische Merkmale der Fotografie gibt.
Aufbau
Nach einem einleitenden geschichtlichen Überblick folgt der epistemologische Teil. Die Wahl der biographischen Interviews als Forschungsmethode wird kurz begründet und das methodische Vorgehen und das Auswertungsverfahren konkret erläutert. Im Schlussteil wird die Arbeit zusammengefasst, kurz diskutiert und mit den eingangs gestellten Fragen und Hypothesen in Zusammenhang gebracht.
Historischer Teil
Die Entwicklung der Fotografie
Seit frühster Zeit wünschen sich Menschen, das Flüchtige und Vergängliche im Bild festzuhalten. Besonders sein eigenes Spiegelbild und die Wiedergabe des menschlichen Antlitzes im Bild faszinierten den Menschen schon immer. Nach Radermacher[1] soll die Fotografie, so wie wir sie heute kennen, das Werk vieler Entdecker auf den verschiedensten Gebieten sein.
Eine wichtige Voraussetzung für die spätere Erfindung der Fotografie war bereits den alten Griechen durch die Physik des Aristoteles bekannt. Baumann[2] schreibt, dass vor mehr als zweitausend Jahren der berühmte griechische Philosoph Aristoteles (384-322 v.Chr.) während einer Sonnenfinsternis in einem Baumschatten das mehrfache Abbild der Sonne entdeckte. Er folgerte, dass es durch die Lücken, durch kleine ‚Löcher‘ im Blattwerk des Baumes gebildet wurde. Allgemein lässt sich aus der Beobachtung von Aristoteles ableiten: Wenn Licht durch eine kleine Öffnung in einen dunklen Raum fällt, wird auf der dem Loch gegenüberliegenden Seite ein Bild des Gegenstandes erzeugt, von dem das Licht ausgeht. Ohne zu ahnen welche Bedeutung diese Entdeckung in der Zukunft haben wird, hatte Aristoteles das Grundprinzip der Camera obscura erkannt und beschrieben.
Schon seit der Renaissance haben Künstler die Camera obscura als Zeichenhilfe benützt. Die Camera obscura war für lange Zeit sehr beliebt in Künstlerkreisen. So soll beispielsweise auch Johann Wolfgang von Goethe sie als Zeichenhilfe auf seinen Reisen eingesetzt haben. Dieses Prinzip ist bis heute noch in allen Spiegelreflexkameras enthalten. Die Camera obscura erfuhr keine größeren Veränderungen bis zur Erfindung der Fotografie.
Joseph Nicéphore Niépce (1765-1833), französischer Erfinder und Pionier der Fotografie, war es, dem es als Erster gelang, ein Landschaftsmotiv auf einer lichtempfindlichen Platte der Camera Obscura festzuhalten. 1816 glückten ihm ersten Aufnahmen nach dem von ihm erfundenen Ätzdruckverfahren (Heliographie).
Im Jahre 1833 hatte sich auch der britische Universalgelehrte William Henry Fox Talbot mit der Wiedergabe von Natureindrücken aus der Camera obscura auseinandergesetzt. 1835 entwickelte er das erste Negativ.
Wie so häufig im Bereich der Naturwissenschaften entdeckte Louis Jacques Mandé Daguerre zufällig, dass durch Belichtung einer Jodsilberplatte ein latentes (nicht sichtbares) Bild entsteht. Dieses konnte mit Quecksilberdampf entwickelt und damit sichtbar gemacht werden. 1839 wurde dieses Verfahren auf den Namen „Daguerreotypie“ getauft und der Öffentlichkeit präsentiert. Da dieses Verfahren frei verfügbar war, konnte sich die Fotografie rasch verbreiten und entwickeln. Dem neuen Medium kam somit nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine politische Bedeutung zu. Die Erfindung löste überall reges Interesse aus. Viele neue technische Weiterentwicklungen der Fotografie wurden dadurch angeregt. Die Daguerreotypie war somit die erste verbreitete Form der Fotografie. Jedoch wurde erst 1831 das erste brauchbare Verfahren von William Henry Fox Talbot präsentiert, mit dem vollkommene Bilder möglich waren. William Henry Fox Talbot wurde somit als Erfinder der Fotografie anerkannt. Durch das von ihm entwickelte Negativ-Positiv-Verfahren wurden eine reproduzierbare Fotografie und die Massenherstellung von Abzügen, wie wir sie kennen, erst möglich.[3]
Die Entwicklung der Aktfotografie
Ein Akt ist „die Abbildung des unbekleideten menschlichen Körpers in der Kunst, insbesondere in der Malerei, Grafik, Skulptur und Fotografie“.[4] Ursprünglich wurde der Begriff Akt als Studien vom menschlichen Körper (Aktstudie) definiert.
In der Geschichte der Kunst ist der Akt eines der ältesten und vielfältigsten Motive. Bereits die frühen Hochkulturen (Sumer, Ägypten, Kreta, Indien u.a.) kannten Aktdarstellungen. Die Entwicklung lässt sich von der griechischen Plastik bis in die europäische Kunst der Neuzeit verfolgen. Im Mittelalter wurden Aktdarstellungen lediglich für religiöse Motive zugelassen, die Darstellungen von Nacktheit erforderten. Erst im 20. Jahrhundert wurde die Aktabbildung von der Beschränkung auf religiöse und mythologische Motive befreit und konnte sich in allen Künsten vielfältig entfalten. Der Akt wurde nicht nur als Darstellung des menschlichen Körpers interpretiert, sondern ermöglichte den Kunstschaffenden, die ‚innere Welt‘ wie Emotionen, Gefühle, Träume, Ängste und Hoffnungen auszudrücken. Kaum ein anderes Motiv als der menschliche Körper ist fähig, diese abstrakten Begriffe durch die Kunst mitzuteilen. Deshalb bleibt die Auseinandersetzung mit dem Akt eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration.[5]
Verschiedene Ansichten des Körpers
Die gegenwärtige Situation des Aktfotos stellt sich als ein Durchgangsstadium dar, dessen Inszenierungen Trends der letzten Jahrzehnte fortsetzen. Wenn wir 150 Jahre Aktfoto-Geschichte zurückblicken, fragt man sich: Gibt es wirklich noch Ansichten vom Körper, die wir nicht kennen? Wer jedoch Prognosen über die Zukunft der Aktfotografie machen will, muss die relative Konstanz bestimmter Denkmuster von Körper und den beständigen Wandel ihrer aktuellen Interpretationen machen.
Daguerreotypie (1839-1865)
Der Herkunftsort von Platten mit Aktmotiven war Paris. In Paris gab es schon seit 1870 keinen Mangel an Aktmodellen, weil ihr Moralklima latent war. Dies bedeutete, dass es weniger Behinderungen des Handels mit Erotika als irgendwo sonst auf der Welt gab. Der populären Druckgrafik ihrer Zeit und der entsprechender Konventionen von Malerei folgten Akt-Daguerreotypien (siehe nachfolgende Abbildung). Der Handel mit Aktmotiven verlief unter höchster Diskretion und konnte nur in solche Hände geraten, die eine gefestigte soziale Stellung hatten und keinen moralischen Schaden anrichten konnten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Anonym (1855)[6]
Akademien (1855-1900)
Natur- und Bildhauer aller Stilrichtungen entdeckten bald, wie hilfreich die Lichtbilder sein konnten. Aktaufnahmen erwiesen sich als vollwertiger Einsatz für das lebendige Modell beim Körperstudium und hatten den Vorteil, bedeutend billiger und geduldiger zu sein (siehe nachfolgende Abbildung von Eadweard Muybridge[7]). Der Handel mit Akademien wurde zunächst von Fotografen auf Bestellung getrieben. Als die Nachfrage jedoch stieg, auf eigenes Risiko, indem sie Mappen mit den beliebtesten Studienposen bereithielten. Schließlich konzentrierten sie sich ganz auf die Herstellung. Der Vertrieb wurde meist in Paris an ansässige Spezialverlage überlassen. Der Höhepunkt und das Ende dieser Entwicklung waren um die Jahrhundertwende, als alle möglichen Aktaufnahmen unter der Bezeichnung Künstlerstudien offeriert wurden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Eadweard Muybridge (1830-1904) – Phasenstudie aus der Serie –anima/locomotion (1890)[8]
Frühe Pikanterien (1855-1920)
Im Unterschied zu den Akademien, bei die Modelle eher sachlich betrachtet wurden, wurden zur gleichen Zeit auch schon pikante Aktfotos inszeniert. Die nachfolgenden Beispiele eines anonymen Fotografen erinnern an die Nymphenmalerei des 19. Jahrhunderts.
Zur Bewertung von Aktbildern genügten im vorherigen Jahrhundert zwei Kategorien: Kunst und Pornografie – wobei alle Akt-Fotografien der zweiten Kategorie zugeordnet wurden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Anonym (1900-1910)[9]
Völkerkunde (1855-1920)
Mit der Fotografie entwickelte sich auch das Interesse an fernen Ländern. Es wurden Daten zusammengetragen, die die physische Beschaffenheit der Weltbevölkerung dokumentieren sollten und das Bestimmen der Völkerzugehörigkeit auf ein abgesichertes Faktenfundament stellen konnten. Jedoch schwankten die Bilder zwischen romantischem Exotismus und rassistischer Überheblichkeit. Die Expeditionsfotos des österreichischen Ethnologen Hugo Adolf Bernatzik zeigten zum Beispiel vorwiegend Menschen in ihrer Lebensweise, Bilder des Alltags und Menschen während der Arbeit (siehe nachfolgende Beispiele).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Hugo Adolf Bernatzik (1897-1953) – Nuba, Sudan, 1927[10]
Kunstfotografien (1900-1930)
Kunstambitionierte und wirtschaftlich unabhängige Fotoamateure aus dem Bildungsbürgertum, wie zum Beispiel Arnold Genthe versuchten, mit ihren Aufnahmen (siehe nachfolgendes Beispiel) den Weg ins Museum zu finden. Mit der Kunstähnlichkeit der Fotografie wurde ein vorübergehender Kunststatus erreicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Arnold Genthe (1869-1942) – Doris Humphrey (1916)[11]
Freikörperkultur (1920-1945)
Nach dem ersten Weltkrieg hatten die Menschen ein starkes Bedürfnis nach einer radikalen Reform der öffentlichen Moral und einer Neuformulierung von Staat und Gesellschaft. Zu den Reformen gehörte der Bereich des Sexuellen zu enttabuisieren. Es bestand die Möglichkeit, auf Freigeländen ein breites Körpergefühl auszuleben. Die neue Freikörperkultur ließ den Nudismus im Verlauf der zwanziger Jahre zu einer wahren Massenbewegung anwachsen. Es war auch möglich, Schnappschüsse vom ungezwungenen Treiben auf den Freigeländen zu machen, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen (siehe nachfolgende Beispiele).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: M. Müller – D. Sprung von der Brücke (1925)[12]
Das neue Sehen (1920-1940)
Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich ein neuer Kunstbegriff, der die veränderten Wahrnehmungen und Erfahrungen mit denen die hoch- industrialisierte Umwelt der Menschen des 20. Jahrhunderts konfrontiert war, widerspiegelte. Kunst entstand nun auch unter Anwendung technischer Verfahren und Benutzung technisch vorgefertigter Materialien. Dies wurde durch die Schönheit des Menschen, Wolkenkratzer[13] und sexuell interpretierte Gebrauchsgegenstände dargestellt.
In der Phase des Neuen Sehens zählten vielmehr die Art der Darstellung, der Reiz des Experimentierens und der Überraschungseffekt ihrer Ergebnisse. Mit den neuen technischen und unkonventionellen Sehweisen wurde die Sicht auf vertraute Gegenstände bewusst gebrochen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Franz Roh (1890-1965) – Akt im Treppenhaus, 1922-1926[14]
Die Neue Sachlichkeit (1920-1940)
Der neusachliche Fotokünstler interessiert sich bei der Aktdarstellung für die plastischen Werte des Körpers und seine Eigenart als harmonisches Ensemble in sich vollkommener organischer Formen. Diese Sichtweise fand ihre reinste Ausprägung in zwei favorisierten Motiven: dem isolierten Körperteil und der horizontal angelegten Körperlandschaft[15]. Dieser formalistische Realismus hat die Neue Sachlichkeit des fotografischen Erscheinungsbildes der nackten Menschen nachdrücklich geprägt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Wilhelm Otto Zielke (1902-1989) – Nude with cactus; 1932[16]
Klassischer Glamour (1920-1940)
Der Glamour-Look war eine besonders raffinierte Erfindung. Glamour kommt aus dem englisch-schottischen und bedeutet Blendwerk, Zauber. Mit dem Glamour-Look wird eine bezaubernde Schönheit oder eine betörende, raffinierte Aufmachung dargestellt. Durch den makellos schimmernden Teint, den er der Haut verlieh, erreichte man mit der Fotografie eine Körperidealisierung, die man sich niemals erträumen konnte.
Große Bekanntheit erlangte der Fotograf Alfred Cheney Johnston, der den Glamour-Look perfektionierte[17]. Die Begeisterung hält an: Seine Fotos erzielen heute hohe Preise bei Auktionen und werden von vielen Fotografen neu interpretiert. Sehr bekannt ist das Foto von der „Camera Woman“, das eine nackte Frau in hochhackigen Schuhen vor einer Kamera zeigt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Alfred Cheney Johnston (1885-1971) – Ziegfeld girl Drucilla Strain; Nude and draped in netting in front of tapestry; (1927-1929)[18]
Subjektive Fotographie (1945-1965)
Mit der genannten subjektiven Fotografie wurde ein besonderer Akzent auf das persönliche Gestaltungsmoment des Lichtbildners gelegt. Der Akt wurde auf die charakteristischen Grundformen, entindividualisierende Symbole des weiblichen Körpers, bis zum materiellen Vorwurf reduziert. Die subjektiven Fotografen konzentrierten sich überwiegend auf die Bildfindungen der Neuen Sachlichkeit wie Torso, Körperlandschaft und -detail und auf die Techniken des Neuen Sehens wie Solarisation, Negativdruck oder Negativmontage, so dass sie dem Akt im Bedarfsfall auch den letzten Rest Erotik wegnehmen konnten[19].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10: Fritz Henle (1909-1993) – Nude study, Virgin Gorda (1953)[20]
Bildreportage (1945-1989)
Es wurde nicht nur in den Bildern von Krieg ein unerhörter Grad an Realismus und Dramatik erlaubt, sondern auch bei der Behandlung anderer Themen. Das Foto des Reporters war das Einzige, das nicht nur gesunde, jugendliche und aktive Körper zeigte, sondern auch leidende, verfallende Menschen, bis hin zu jenen grauenerregenden Leichenbergen aus den Konzentrationslagern des Dritten Reiches.
Bei der Bildreportage geht es in erster Linie darum, mit etwas Neuartigem einen Schock auszulösen. Die Bilder der Magnum-Fotografin Susan Meiselas[21] etwa rütteln auf und wecken Anteilnahme. Es soll dafür gesorgt werden, dass die Ursachen des Leidens beseitigt und den Opfern rasche Hilfe zuteil wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 11: Susan Meiselas (1948) – Nicaragua, 1982[22]
Konsumwerbung (1960-1989)
In den zwanziger Jahren war die moderne Industriegesellschaft von der bürgerlichen Welt geprägt. Seit Ende der fünfziger Jahre vollzog sich dann der Übergang zur Freizeit- und Konsumgesellschaft.
Dass der Sex-Appeal nackter Haut zu den unwiderstehlichsten Kaufanreizen gehört, war seit jeher bekannt. Die Kamera wusste ihn am verführerischsten wiederzugeben. Spätestens mit der Erfindung des Glamour-Looks in den dreißiger Jahren haben die Fotografen erkannt, dass dosierter Sex-Appeal viel besser als plakativer ankommt. Die Wirtschaft hat festgestellt, dass es der Kunde spürbar honoriert, wenn zwischen Nacktheit und beworbener Ware ein wirklicher Bezug besteht, wie etwa Wäsche- und Bademoden, Körperpflege usw. (siehe Abbildung 12).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 12: Henkel & Elie – um 1975[23]
Akt-Design (1960–1980)
Der ansteigende Bedarf der Freizeitgesellschaft an Bildern verlockend schönen Scheins ließ nach dem zweiten Weltkrieg einen ganz neuen Kameraberuf entstehen, der Fotodesign. Er versteht es, jedes gewünschte Motiv in ästhetischer Vollkommenheit zu verwirklichen. Das fotografische Akt-Design genießt heute öffentliche Zustimmung. Trotzdem besteht kein Zweifel, dass die Absicht, die dahintersteckt, eine altvertraute ist, nämlich Vorlagen für erotische Männerphantasien zu liefern.
Marilyn Monroe war das „It-Girl“ und Sexsymbol der 60er und 70er Jahre. Ihr tragischer Tod in jungen Jahren machte sie unvergessen. Der erfolgreiche Fotograf Bert Stern erlangte weltweite Berühmtheit, weil er im Rahmen eines Vogue-Shootings die letzten Bilder von Marilyn Monroe machen konnte. Diese Fotos[24] setzten Marilyn Monroe ein Denkmal und beeinflussten die Aktfotografie der Zeit maßgeblich.
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Abbildung 13: BERT STERN (1929-2013) – Marilyn Monroe (1962)[25]
Play Mates (1960–1989)
Ab 1954 erschien regelmäßig das Playboy Magazin. Der „Playboy“ war eine Art Revolution in Amerika. Es entstand ein ganz neues Genre kommerzieller Aktfotografie – die Playmate-Aufnahme. Pompeo Posar hat von 1961 bis 2007 für den Playboy fotografiert. Seine Fotos zierten 47 Ausgaben des Playboy-Magazins[26].
Entscheidend für die Entwicklung der Playmate-Aufnahmen sind die kleinen Freiheiten, die man Posar von Jahr zu Jahr erlaubte, um die Reaktion der Öffentlichkeit auf die freudige Schamlosigkeit (siehe Abbildung 14) zu testen. Auch die Play-Mates nahmen sich Freiheiten, wurden zunehmend provokativ und offen erotisch, also pornografisch.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 14: POMPEO POSAR (1921-2004) – für Playboy (1983)[27]
Pornografie (1839–1995)
Nach der orthodoxen bürgerlichen Moraltradition besteht zwischen Erotik und Pornografie ein großer Unterschied. Das eine soll unterhaltsam, das andere schmutzig und verwerflich sein.
Pornografie soll unmittelbar Lust erwecken und ist Ersatz für wirkliche Erfahrung sexueller Bedürfnisse.
Mit der liberalen Denktradition seit Ende des vorherigen Jahrhunderts, findet man beides für harmlos. Man beruft sich dabei auf die Einsicht der Psychologie: Erotik und Pornografie hat eine gemeinsame Wurzel in der menschlichen Sexualität und stellt nur Pole eines kontinuierlichen Spektrums lustbetonter Ausdrucksformen dar, die per se gleichberechtigt sind.“
Die Foto-Pornografie ist seit fast zwei Jahrzehnten legal, trotzdem unterscheidet man sie noch von der Fotoerotik. Die Fotoerotik zeigte das Halbverhüllte, Dezente und bloß anzügliche Kultivierte. Hingegen fixierte sich die Pornografie auf das Vulgäre, Aufdringliche und in seiner Deutlichkeit oft schon Abstoßende.
Die Werkserie „Made in Heaven“ vom amerikanischen Künstler Jeff Koons beinhaltet neben Skulpturen auch Aktfotos. Einige dieser Fotos zeigen eindeutig sexuelle Handlungen (siehe Abbildung 15), die in ihrer Darstellung aber überhöht und verkitscht werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 15: JEFF KOONS (1955) – Red Butt (Distance), 1991[28]
Aktionskunst (1965–1989)
Aus der Idee, das Publikum am Kunstprozess teilnehmen zu lassen, ergaben sich dann die Happenings, Malaktionen, die sich zu einer Prozesskunst entwickelte. Es entstand einerseits die Mixed-Media-Events, die eher unbeschwerte, spielerische und anderseits der Body- und der Performance-Art, die mehr existentielle, ritualhafte Kunst.
Viele Interpretationsmöglichkeiten bietet das preisgekrönte Kunstwerk „Der Findling“ von Timm Ulrichs (siehe Abbildung 16). Ulrichs ließ sich bei für eine Performance stundenlang nackt in diesem Findling einschließen. Dabei sollte die Verschmelzung von Mensch und Kunst zu einem ‚Totalkunstwerk‘ erreicht werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 16: TIMM ULRICHS (1944) – Aktion „Der Findling“ (1981), Fotograf, Ferdinand Urlich[29]
Aktporträt (1965-1989)
Mit dem Aktporträt verzichtet man auf inszenatorischen Glamour. Die Modelle wurden ohne Rücksicht auf modischen Normen der Fotogenität ausgewählt. Man versuchte Nacktheit als völlig unspektakulären Teil von jedermanns Alltag und ohne dekorative Elemente[30] darzustellen.
Die Fotografin Sheila Rock ist eine Vertreterin dieser Stilrichtung. Sie ist vor allem für ihre Fotos von Musikern bekannt.
Es können mittlerweile interessante Vergleiche der Ansichten des weiblichen und männlichen Aktes gemacht werden. Die Fotografen neigen mehr zur geschönten, erotisierenden Inszenierung und die Fotografinnen mehr zur unschönen, authentischen, wobei diese Tendenz wohl mit den Forderungen der Frauenbewegung zu tun hat.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 17: SHEILA ROCK (unb.) – (1986)[31]
Akt-Variationen (1965-1989)
Nach dem Aktporträt haben die Fotokünstler der Gegenwart neue Ansichten der Nacktheit entwickelt wie z.B. die subjektiven Reportagen oder Bildserien. Ihre Motive sind Nacktheit im öffentlichen Erscheinungsbild, in denen alltägliche Szenen den Blick auf die tiefere Absurdität heutiger Sozialrituale freigeben. Es werden ausgefallene Perspektiven (siehe Abbildung 18) oder unübliche Aufnahmeverfahren bevorzugt, um Vertrautes fremdartig erscheinen zu lassen und so in der Tradition des Neuen Sehens der 20er Jahre aktive Wahrnehmung zu provozieren. Die Fotos des Bildhauers Wilhelm Loth erinnern an nüchterne Körperstudien.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 18: WILHELM LOTH (1920-1993) – (1983)[32]
Aussichten
Der Zauber, der von einem Foto ausgeht, ist, dass wir uns sicher sein können, was wir im Bild sehen, ist tatsächlich einmal da gewesen, als es vom Fotografen gemacht wurde. Die Fotografie dokumentiert also eine historische Realität. Beim Betrachten eines Bildes sind wir nicht nur mit der Vergänglichkeit der abgebildeten Szene konfrontiert, sondern auch der Verewigung eines Moments, eines Menschen oder eines Blicks. Dieser Gesichtspunkt wurde von Köhler erläutert[33].
150 Jahre Aktfotografie
Köhler[34] bezeichnete die Kamera als vorrangiges Instrument der Bildproduktion im technischen Zeitalter. Zugleich war sie ein Wunder an Vielseitigkeit, die zu fast allen nur denkbaren Bildleistungen fähig war. Der ungeheure Erfolg der Fotografie während der bislang 150 Jahren seit ihrer Erfindung erklärt sich dadurch, dass ihre Benutzer keinerlei Neigung verspürten, sie auf den privilegierten Status eines Kunstmediums festzulegen. Sie zogen es vor sie als universellen Lieferanten für jedweden Bildkonsum zu kultivieren.
Mit der Fotografie war es möglich, jeder Situation und jedem Geschmack zu entsprechen.
Die Wahl der ästhetischen Mittel bei Aktfotos wird vor allem davon bestimmt, für welchen späteren Gebrauch und welche späteren Benutzer sie gedacht waren.
Es ist am sinnvollsten auf einer Typologie der Benutzer bzw. der Gebrauchsformen von Aktfotos zu beruhen, die sie sich im Laufe der Zeit ergeben haben. Es lassen sich hauptsächlich folgende Typen der Aktfotos unterscheiden: Aufnahmen des nackten Körpers, im Rahmen der bildenden Künste, der Völkerkunde, der erotischen Unterhaltung, der Werbung, des Bildjournalismus und der diversen Sparten der Körperkultur wie Tanz, Gymnastik, Sport und Nudismus.
Ausstellungen und Kataloge unternehmen den Versuch am Beispiel des Aktfotos ein Panorama der Ansichten von Körper im jüngsten Stadium unserer Kultur, dem technischen Zeitalter zu entwerfen. Man versucht aufzudecken, welche Bedingungen und Grenzen die Körperfantasien von der bürgerlichen Sexualmoral unterworfen sind, und vor Augen zu führen, welche Veränderungen unsere kollektiven Körpermythen in den letzten 150 Jahren erfahren haben.
Die Bildauswahl beschränkt sich auf Aufnahmen, die am besten geeignet sind, Auskunft über die Moralvorstellungen und das Körperempfinden ihrer jeweiligen Entstehungszeit zu geben.
Fotografie und Frau
„Ihr sollt euch kein Bild von mir machen“ (erstes Gebot des Buches Moses 20 Altes Testament). Der alttestamentarische Gott erließ nicht zufällig dieses Gebot. In der Geschichte der Menschheit haben Bilder zweifellos das Bild vom Menschen stärker geprägt als Worte. Wir leben in einer Zeit, in der die Macht des Bildes zunimmt.
Beate Knappe[35] findet, dass gerade Frauen ein Lied davon singen können. Gerade sie sind tausendfach fixiert in Werbung, Medien, Film und Kunst: als Hure oder Heilige, als Körper ohne Kopf, als Objekt, das benutzt oder zerstört werden kann – ganz nach Lust und Laune des Betrachters.
Kein Ereignis hat die Kommunikation einer Gesellschaft so sehr verändert wie die Erfindung der Fotografie, kein anderes Ereignis veränderte ihre Sozial- und Berufsstrukturen so maßgeblich wie die Industrielle Revolution.
Zeitlich parallel entwickelte sich in Deutschland die erste deutsche Frauenbewegung. Es ist wenig bekannt, dass die Protagonistinnen dieser Frauenbewegung die ersten Fotografinnen wie Adelgunde Köttgen, Anita Augsburg und Sophia Goudstikker waren.[36] Die Fotografie bot den Frauen eine soziale Anerkennung, die sie mit keiner anderen Berufstätigkeit erreicht hätten. Anita Augsburg zählte zusammen mit Linda Gustava Heymann zu den engagiertesten und radikalsten Vertreterinnen der Frauenbewegung im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Sie kämpften für die Frauenrechte und die Einführung des Frauenwahlrechts[37].
Der gesellschaftliche Stellenwert der Frau in der Kunst
Es gibt immer noch Unterschiede zwischen dem gesellschaftlichen Stellenwert der Frauen als jenem der Männer, behauptet Daniela Hammer-Tugendhat.
Was hat die Frau im Kunstbereich zur Geschlechterdifferenz zu sagen? Der Quoten-Feminismus geht von der Vorstellung biologischer Gleichheit und sozialer Ungerechtigkeit aus. Das bedeutet für die Kunst, dass es einer Aufarbeitung vergessener Künstlerinnen und Eingliederung dieser Künstlerinnen in die Kunstgeschichte bedarf.
Die Gleichheitsvorstellung basiert auf der Illusion, dass alles in Ordnung sei, wenn Frauen nur in allen Institutionen vertreten wären. Dabei wurde nicht erkannt, dass die Strukturen der Gesellschaft und auch unser Denken von stereotypen Mustern von der Differenz der Geschlechter geprägt sind.
Bis tief ins 19. Jahrhundert hinein verweigerte man Frauen den Zugang zu den Kunstakademien. Vom Aktstudium war schon gar nicht die Rede. Der Akt bildete jedoch das Zentrum der Historienmalerei, und befand sich in der Hierarchie der Künste an oberster Stelle.
Die Präsenz der Frau in der Kunst war für Jahrtausende unsichtbar; ihre Tätigkeit fand hinter geschlossener Riegel im Haus statt, im Kloster oder im Zusammenhang mit anderen anonymen und niedrigeren Kunst wie Weben, Miniatur oder Sticken statt. Rigotti[38] schreibt in ihrem Buch „il filo del pensiero“, dass der Faden der Frau in die Hand gegeben worden ist, um zu nähen, zu stricken, zu sticken und zu weben und dass nach griechischer Verfassung, die Frau sich nur um all diese Arbeiten kümmern sollte, die für den Mann unwürdig zu sein vermochten. Die Frauen, die somit künstlerisch tätig sein wollten, mussten auf Gebiete wie die angewandte Kunst, insbesondere die Textilkunst abweichen, die für Männer weniger geeignet waren.
Seit den späten achtziger Jahren, angeregt vor allem durch Arbeiten der Film- und Kulturwissenschaftlerin Teresa de Lauretis, Judith Butler u. a., wird das Geschlecht als kulturell und diskursiv hervorgehoben.
Man muss bei der Einschätzung von Künstlerinnen genau den historischen Kontext untersuchen. Die Produktionsbedingungen für Frauen waren und sind zum Teil immer noch andere als für Männer. Wegen der sozialen Situation haben weibliche Künstler Dinge und Zusammenhänge oft wirklich anders gesehen und dargestellt als ihre männlichen Kollegen.
Die Leistungen von Frauen werden immer noch anders interpretiert als jene der Männer. Das Problem liegt daran, dass noch viele Männer Schwierigkeiten haben, die künstlerische oder wissenschaftliche Arbeit von Frauen genauso zu bewerten wie diejenige der Männer. Sie sind mehr beschäftigt mit den Frauen zu flirten, anstatt sie und ihre Arbeit überhaupt ernst zu nehmen. Wenn sie jedoch mit starken Frauen konfrontiert sind, bei denen diese eingeübten Reaktionsweisen nicht funktionieren, reagieren sie paranoisch mit Hass und Abwertung. Oft ist diese Reaktion den Männern gar nicht bewusst. Das Problem ist auch, dass vielen Frauen diese Mechanismen nicht bewusst sind und die Aggression auf sich persönlich beziehen. Hier ist politisches Bewusstsein angesagt, damit ein gemeinsames gestärktes Selbstbewusstsein aufgebaut werden kann. Von Roten[39] schreibt dazu: „Ohne politische Gleichberechtigung der Geschlechter gilt man als Mann mehr als Frauen, kann auf deren Kosten – mehr vom weltlichen Leben haben und möchte daher weiterhin mehr sein und mehr bekommen.“ Gerade die Tatsache, dass die Diskriminierung von Frauen nicht mehr so offen läuft wie früher, macht das Ganze viel schwieriger und komplexer. Oft ist es schwer für einzelne Frauen, dieses als solche zu erkennen.
In der Kunst und in den visuellen Medien finden sich viele und sehr unterschiedliche Auseinandersetzungen zur Frage der Geschlechterdifferenz. Mit der Kunst besteht die Möglichkeit, Differenzen, Widersprüche, Ambivalenzen ins Bild zu bringen und so unser geprägtes Denken zu hinterfragen und zu brechen[40].
Epistemologischer Teil
Weibliche Perspektive des Körpers
Einführung
Schirmer[41] behauptet, dass Frauen von stereotypen Weiblichkeitsbildern geprägt sind und Männer von den Bildkonzepten der Männlichkeit ausgehen. Das ist der erste Eindruck, den man hat, wenn man über die Geschlechter nachdenkt.
Es macht den Anschein als ob Fotografinnen mit der Darstellung der weiblichen Gestalt anders als ihre männlichen Kollegen umgehen würden. Es lässt sich aber nie mit Sicherheit genau sagen, ob ein Bild von einem Mann oder einer Frau gemacht wurde. In der Bildgeschichte, geht es vor allem darum von einer bewussten Reflexion der Situation, in der diese Fotos entstanden sind, zu erzählen.
Sie ruft uns dazu auf, den historischen und psychologischen Kontext mit zu bedenken, auf den sich diese Fotografien von Frauen beziehen.
Das Erscheinungsbild der Frau
Männer treten im öffentlichen Bildrepertoire als Handelnde auf, und Frauen werden als Betrachtete wahrgenommen. Somit verwandelt sich die Frau unwillkürlich in das Objekt eines fremdbestimmten Blicks, weil sie immer vom Wissen um den Eindruck, den sie macht, begleitet ist. Da die Frau von einem männlichen Blick abhängig ist, besteht ihre Macht gerade darin, die Art, wie sie betrachtet wird, zu manipulieren. Gleichzeitig entsteht eine unheimliche Selbstverdoppelung, weil sie ständig für den Mann ein Bild von sich inszeniert. Sie pendelt dauernd zwischen dem auf sie gerichteten Blick und der auf diesen Blick antwortenden Inszenierung. Deshalb beruht ihre Selbstwahrnehmung auf einer produktiven Spannung zwischen ihrem „wahren“ Selbst und dem Bild, dem sie entsprechen soll. Es entsteht eine Spaltung in der Selbstwahrnehmung und der Fremdwahrnehmung.
Seit den 80er Jahren betrachten feministische Künstlerinnen und Theoretikerinnen, das traditionelle Bildrepertoire von Fremddarstellungen kritisch. Es geht weniger darum, zu behaupten, dass nur Frauen der verdinglichenden und aufspaltenden Blickökonomie unterworfen sind. Schließlich gibt es in der Kunst genügend Beispiele für männliche Körper, die sich diesem so genannten männlichen Blick anbieten wie dies z.B. in den Bildern von Mapplethorpe der Fall ist. Von Bedeutung ist vielmehr, dass die Lage derjenigen, die sich einem fremdbestimmten Blick fügen, in unserem Bildrepertoire vornehmlich weiblich kodiert wird. Die Frau wird auf ihr Erscheinungsbild ausdrücklich erniedrigt.
Der kritische Betrachter
Wollen Frauen das an sie herangetragene Begehren des männlichen Betrachters befriedigen, können sie den männlichen Betrachter in seiner Macht nur bestätigen und schmeicheln.
Alle Bilder unserer Kultur prägen uns in unserem Selbstverständnis, in der Art, wie wir uns präsentieren und wie wir Bilder von Frauen lesen.
Der Grad der Vereinnahmung der weiblichen Gestalt in einem Foto kann vom Betrachter durchaus individuell gesehen werden. Wie weit man sich auf die vermeintliche Reduktion des weiblichen Körpers auf ein Objekt der Betrachtung einlässt, liegt ganz alleine beim Betrachter. Es geht hier eher darum den kritischen Blick zu schulen. Es ist der Betrachter, der sich in die Lage versetzt und entscheidet, was ein Bild bedeutet und wie es diese Bedeutung herstellt.
Bilder leben nicht nur von ambivalenter Wirkungskraft, sondern können auch in ein und demselben Betrachter durchaus widersprüchliche Assoziationen freisetzen.
Hier nun einige Beispiele von FotografInnen, die sich bewusst mit dem Erscheinungsbild des weiblichen und männlichen Körpers auseinandergesetzt haben und das traditionale Bild versucht haben zu brechen und neu darzustellen:
Biografie von Diane Arbus[42]
Diane Nemerov ist 1923 in New York City geboren. Mit 15 Jahren lernte sie ihren zukünftigen Ehemann Allan Arbus kennen. Fünf Jahre später heiratete sie ihn gegen den Willen ihrer Eltern, wodurch ihr Name Nemerov auf Arbus umänderte. Ihr Ehemann unterrichtete sie in die Fotografie. Während des zweiten Weltkriegs besuchte sie die „SIGNAL CORPS PHOTOGRAPHY SCHOOL“ in Fort Monmouth, New Jersey. Sie arbeitete mit ihrem Ehemann in der Modefotografie. 1957 begann Diane unabhängig von Allan zu arbeiten, trennte sich 1959 von ihm und begann eine Studie in der Photography von Lisette Model.
Diane interessierte sich immer mehr für Menschen, die anders waren und fotografierte vor allem die so genannten „freaks“.
Das Selbstporträt
Im Selbstporträt von Diane Arbus besteht eine interessante Mischung von Betrachter und Betrachtende. Im Selbstporträt sind Fotografin und Modell identisch. So entsteht ein prägnanter Widerspruch. Die Fotografin ist die Erzeugerin des Bildes und verleiht damit sich selbst, ihrem Blick und ihrer Kunst Autorität.
Man hat den Eindruck, dass die reale Gestalt der Fotografin in diesem Selbstporträt zum Fluchtpunkt ihrer Abbilder wird. Mit ihrer Kamera wird der Blick auf ihr Gesicht verstellt, als wolle sie drauf hinweisen, dass der Blick das Zentrale an ihrer Kunst als Fotografin ist, und nicht die reale Frau hinter der Kamera.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 19: DIANA ARBUS (1923-1971) – Selbstportrait (1945)[43]
Das Foto als Bildmedium und die Fotografien als leibliches Medium sind von gleichem Wesen. Dies bedeutet, dass sich das Foto auf die Tatsache bezieht, dass sowohl auf die Frau, die es hergestellt hat, verweist, wie auch darauf, dass die Fotografin mit diesem Bild nicht nur ihre eigene Art des Sehens, sondern auch sich selbst als tatsächlich existierenden Körper dem Publikum vorstellt. Die Fotografin ist hiermit im Selbstporträt sowohl das betrachtende Subjekt als auch das Objekt der Betrachtung.
Biografie von Annie Leibovitz[44]
Annie Leibovitz ist 1949 geboren und lebt in New York. Durch die berühmten Bilder von John Lennon and Yoko One in Hug, das sie kurz vor dem tragischen Unglück von Lennon's Tod im September 1980 gemacht hatte, ist sie bekannt geworden. Ihre Karriere startete sie 1970, als sie ihre Fotos der Zeitschrift „Rolling Stone“ übergab. 1973 ist sie die Fotografchefin dieser Zeitschrift geworden. Später arbeitete sie für „Life“, „Vogue“, „Esquire“, „Time“, „Newsweek“. Und zurzeit arbeitet sie für „Vanity Fair“.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 20: ANNIE LEIBOWITZ[45]
[...]
[1] Quelle: http://www.medienstudent.de/studi/foto.htm
[2] Quelle: http://www.elmar-baumann.de/fotografie/fotobuch/node8.html
[3] Die Information behandelte Radermacher, a.a.O.
[4] Quelle: http://www.enzyklo.de/Begriff/Akt
[5] http://die-auswaertige-presse.de/2010/02/der-akt-in-der-kunst/
[6] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 12
[7] Von Eadweard Muybridge stammt auch die sehr bekannte Serie „The Horse in Motion“ mit der erstmals die genaue Bewegungsfolge eines galoppierenden Pferdes studiert werden konnte.
[8] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 23
[9] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 59
[10] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 46
[11] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 51
[12] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 73.
[13] Siehe Abbildung 7
[14] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 83
[15] WILHELM OTTO ZIELKE ist ein Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Bekannt ist sein Werk, das eine nackte, liegende Frau in Verbindung mit einem Kaktus zeigt. Die Abbildung 8 ist ein Beispiel für die horizontal angelegte Körperlandschaft.
[16] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 96
[17] siehe Abbildung 9
[18] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 106
[19] Siehe Abbildung 10
[20] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 119
[21] Siehe Abbildung 11
[22] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 125
[23] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 132
[24] siehe beispielhaft Abbildung 13
[25] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 145
[26] Recht bekannt wurde ein Coverfoto von 1962, das Gesa Meiken als Badenixe mit gelber Badekappe zeigt.
[27] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 156
[28] http://www.artnet.com/magazine/reviews/robinson/robinson10-22-6.asp
[29] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 168
[30] siehe Abbildung 17
[31] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 182
[32] Quelle: Köhler, Michall, Ansichten vom Körper – 150 Jahre Aktfotografie, Kilchberg, Zürich: Edition Stemmle 1995, S. 189
[33] Köhler 1995: 7-8
[34] Köhler 1995: 7-8
[35] Quelle: http://kunst.freepage.de/cgi-bin/feets/freepage_ext/41030x030A/rewrite/knappe/abstract.html
[36] Die Information behandelte Knappe, a.a.O.
[37] Quelle: www.djb.de/content.php/buchtipps2.html
[38] Rigotti 2002
[39] Von Roten 1998: 32
[40] Quelle: http://www.buk.ktn.gv.at/brcknov00/kultbrille.htm
[41] Schirmer 2001
[42] Arbus, Diana; http://www.1earthmedia.com/photografphy/diana_arbus.htm
[43] Quelle: Schirmer, Lothar (2001). Frauen sehen Frauen, München: Schirmer/Mosel, S. 22
[44] Verzia, Slovenska Annie Leibovitz,, „Yoko Ono and John Lennon“: 1980:172, Moderna, Galleria civica, Raccolta della Fotografia Contemporanea.
[45] Quelle: http://www.obiettivodigitale.com/wp-content/uploads/2009/12/annie-leibovitz-rolling-stone-cover-john-lennon-yoko-ono.jpg
- Arbeit zitieren
- Maria Theresia Bitterli (Autor:in), Ulrich Goetz (Autor:in), Jessica Labbadia (Autor:in), Lennart Marx (Autor:in), Daniel Lippitsch (Autor:in), 2013, Aktfotografie: Ist das noch Porno, oder ist es schon Kunst?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264438
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