Welche Risiken ging ein/e Arbeiter/in im 19. Jahrhundert im industrialisierten England ein? Und mit welchen Risiken sieht sich ein moderner Portfolioworker konfrontiert? Wie können sie sich allenfalls gegen diese Risiken absichern? Diesen Fragen werde ich mich in der vorliegenden Arbeit widmen und versuchen, einen Vergleich herzustellen. Zu Beginn der Arbeit werde ich mich dem Begriff “Risiko“ zuwenden, um abzuklären, was die Soziologie darunter versteht, und wie sie ihn abgrenzt. Im Hauptteil betrachte ich zuerst die Situation des Arbeiters im England des 19. Jahrhunderts und jene des modernen Portfolioworkers, um davon die Risiken der beiden Gruppen abzuleiten und sie einander gegenüberzustellen. Der Einfachheit halber verzichte ich im Folgenden auf die weibliche Form des Begriffs „Arbeiter“; Arbeiter sei wie „Portfolioworker“ als geschlechtsneutral aufzufassen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Risikobegriff
3. Der Vergleich
3.1 Die Situation des Arbeiters im England des 19. Jahrhunderts
3.2 Die Situation des modernen Portfolioworkers
3.3 Gegenüberstellung der Risiken
3.3.1 Gesundheitliche Risiken
3.3.2 Familiäre Risiken
3.3.3 Gesellschaftliche Risiken
3.3.4 Sicherheitsrisiken
3.3.5 Psychologische Risiken
4. Schlussbetrachtungen
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Welche Risiken ging ein/e Arbeiter/in im 19. Jahrhundert im industrialisierten England ein? Und mit welchen Risiken sieht sich ein moderner Portfolioworker konfrontiert? Wie können sie sich allenfalls gegen diese Risiken absichern? Diesen Fragen werde ich mich in der vorliegenden Arbeit widmen und versuchen, einen Vergleich herzustellen. Zu Beginn der Arbeit werde ich mich dem Begriff “Risiko“ zuwenden, um abzuklären, was die Soziologie darunter versteht, und wie sie ihn abgrenzt. Im Hauptteil betrachte ich zuerst die Situation des Arbeiters im England des 19. Jahrhunderts und jene des modernen Portfolioworkers, um davon die Risiken der beiden Gruppen abzuleiten und sie einander gegenüberzustellen. Der Einfachheit halber verzichte ich im Folgenden auf die weibliche Form des Begriffs „Arbeiter“; Arbeiter sei wie „Portfolioworker“ als geschlechtsneutral aufzufassen.
2. Der Risikobegriff
Der Begriff „Risiko“ wird je nach Anwendungsgebiet unterschiedlich verwendet. In der Soziologie definiert man den Begriff mit Hilfe der Abgrenzung zu „Gefahr“ und orientiert sich dabei an Luhmanns[1] Konzept. Rammstedt (1994) hält im Lexikon zur Soziologie fest: „N. Luhmann [habe] vorgeschlagen, strikt zwischen Gefahr und Risiko zu trennen; Gefahr heisse in dieser Gegenüberstellung ’jede beachtenswerte Möglichkeit eines Nachteils’, wohingegen man von Risiko nur dann sprechen könne, wenn ’die eigene Entscheidung eine unerlässliche Ursache des möglichen Eintritts eines Schadens’ sei“ (S. 565).
Stellt man sich nun die Frage, ob die potentiellen negativen Folgen der Arbeit im Leben eines Arbeiters im England des 19. Jahrhunderts oder diejenigen eines modernen Portfolioworkers Gefahren oder Risiken darstellen, so ist die Antwort nicht eindeutig. Entscheidend ist der Ausgangspunkt. Geht man davon aus, dass sich der Arbeiter für seine Fabrikarbeit frei entscheiden kann (auch wenn seine Wahlmöglichkeiten sehr begrenzt sind), so stellen die Nachteile seiner Arbeit Risiken dar, denn seine „Entscheidung [ist] eine unerlässliche Ursache des möglichen Eintritts eines Schadens“ (Luhmann, zit. in Rammstedt 1994, S. 565). Betrachtet man als Ausgangspunkt nicht den arbeitslosen Arbeiter vor der Entscheidung zum Stellenantritt, sondern setzt erst in der Situation des schon bestehenden Arbeitsverhältnisses ein, so könnte man argumentieren, dass die potentiellen Nachteile, die ihm aus seiner Arbeit entstehen, nicht von seiner Entscheidung abhängen, da er keinen Einfluss auf sie hat. In diesem Fall wären die potentiellen Nachteile von seiner Entscheidung unabhängig und somit nach Luhmann als Gefahren zu betrachten. Ich nehme den ersten Ausgangspunkt auf und gehe davon aus, dass sich jeder für seine Tätigkeit entscheidet. Folglich betrachte ich die potentiellen Nachteile, die dem Arbeiter im England des 19. Jahrhunderts und dem modernen Portfolioworker entstehen als Risiken.
3. Der Vergleich
3.1 Die Situation des Arbeiters im England des 19. Jahrhunderts
“Vielleicht hat kein Reich jemals einen so grossen Wandel in so wenigen Jahren durchgemacht. [...]: die Hauptstadt an Ausdehnung verdoppelt, Steuern verfünffacht, der Geldwert so rasch gesunken, als wenn neue Goldminen entdeckt worden wären, Kanäle von einem Ende der Insel bis zum anderen gegraben, […]; die Erfindung der Dampfmaschine, fast ebenso epochemachend wie die Erfindung des Buchdrucks; das Industriesystem zu seinem höchsten Gipfel geführt; [...]. Die Änderung erstreckt sich auf die kleinsten Dinge, bis hin zu der Kleidung und zu den Manieren jeder Schicht der Gesellschaft“ (Southey, 1951, zit. in Nolte, 1983, S. 120). Robert Southey beschreibt 1807 eindrücklich, die Veränderungen, die die Industrialisierung in England mit sich brachte. Nach Besuchen in Birmingham und Manchester bezeichnet er die Städte als Höllen voller Schornsteine, „die Flammen und Rauch ausspeien und jegliches Ding im Umkreis mit ihren metallischen Dünsten verderben“ (Southey, 1951, zit. in Nolte, 1983, S. 121). Die Situation der Arbeiter beschreibt er als diejenige „zweibeinige[r] Arbeitstiere“, die sich als „Opfer der Zivilisation“ (Nolte, 1983, S. 121) zu Grunde arbeiten (Nolte, 1983, S. 121). „Ich bin noch schwindlig, benommen von dem Hämmern von Pressen, dem Getöse von Maschinen und den Drehungen von Rädern, mein Kopf schmerzt von der Vielfalt höllischer Geräusche, und meine Augen schmerzen von dem Licht höllischer Feuer“ (Nolte, 1983, S. 120).
Die Industrialisierung veränderte das Leben der Menschen in der Stadt und auf dem Land grundlegend. Die einschneidensten Veränderungen zeichneten sich in der Arbeitswelt ab: Durch effizientere Produktionsmöglichkeiten in der Landwirtschaft (wie Maschinen und Dünger) verloren viele im Agrarsektor Tätige ihre Beschäftigung. Um der hohen Arbeitslosigkeit auf dem Land zu entfliehen, zogen die Menschen massenweise in die Städte, wo sie als billige Arbeitskräfte in der entstehenden Industrie eingesetzt wurden (Schmidt, 1997, S.1). Die „traditionelle Hausindustrie“ (Schmidt, 1997, S.1) und das Handwerk gingen an der Konkurrenz der Massenproduktion allmählich zu Grunde, was zu noch mehr Arbeitslosen führte. So konnten es sich die industriellen Unternehmer leisten, ihre Arbeiter zu miserablen Löhnen und unmenschlichen Arbeitsbedingungen zwölf und mehr Stunden arbeiten zu lassen (Schmidt, 1997, S 1). Nolte (1983) stützt sich auf die Blaubücher, die um 1830 von „Kommissionen zur Untersuchung der Beschäftigung von Kindern, der Lage der Handstuhlweber, der Gesundheit der Städte, den Verhältnisse in den Bergwerken usw.“ (S. 196) erstellt wurden und fasst die Bedingungen der Arbeiter folgendermassen zusammen: „Arbeitszeiten von 12 und 14, ja bei grossem Auftragsdruck von 16 und 18 Stunden schon für Kinder von sechs und sieben Jahren [...]; nicht minder lange Arbeitszeiten von Frauen, […]; Deformierungen durch das allzu lange Stehen; hastiges Einnehmen der Mahlzeiten während der Arbeit; […]; überhitzte und ungesunde Arbeitsräume; schlechte hygienische Einrichtungen. Noch grössere Empörung rief die Aufdeckung der Verhältnisse in den Bergwerken hervor: [...] sechsjährige trappers, die viele Stunden lang in einem dunklen Winkel kauerten, um die Sicherungstüren für die durchkommenden Kohlenwagen zu öffnen und die nur an Sonntagen das Sonnenlicht erblickten“ (S. 196). Die Unternehmer erliessen strikte Fabrikreglemente, die die Arbeiter durch die Androhung von Strafen disziplinieren sollten. Wer zu spät kam, musste für eine gewisse Zeit vor den verschlossenen Toren der Fabrik warten und Lohneinbussen hinnehmen; Lohnkürzungen für unsorgfältiges Arbeiten waren an der Tagesordnung (Engels, 1972, S. 399-340). Auch die allgemeinen Lebensbedingungen der Arbeiter waren schlecht. Die Menschen wohnten in schmutzigen Unterkünften dicht gedrängt auf engem Raum, Wasser war Mangelware und die sanitären Anlagen unzureichend (Nolte, 1983, S. 197). Oft wohnten die Arbeiter in Siedlungen, die dem Fabrikbesitzer gehörten, was die Abhängigkeit der Arbeiter verstärkte (Cottagesystem). Demnach wurde ein Arbeiter, der die Stelle verlor, gleichzeitig auch obdachlos. Um die Arbeiter an die Fabrik zu binden, existierte bis ins Jahr 1831 neben dem Cottagesystem das Trucksystem: Die Arbeiter wurden nicht durch Geld entlöhnt, sondern erhielten eine Gutschrift, um Waren zu überhöhten Preisen im fabrikeigenen Laden (bis zu 30% teurer) zu beziehen. 1831 untersagte ein neues Gesetz diese Variante der Entlöhnung. Zwar wurden die Arbeiter von nun an bar ausbezahlt, doch verfügte der Arbeitgeber über genügend Druckmittel, um die Arbeiter weiterhin zu veranlassen, bei ihm einzukaufen (Engels, 1972, S. 402). Auch die fabrikeigenen Schulen und die stark geförderte Vereinstätigkeit trugen dazu bei, die Arbeiter unter ständiger Überwachung zu disziplinieren.
[...]
[1] Niklas Luhmann 1927-1998
Deutscher Soziologe, Pädagoge, Rechts- und Verwaltungswissenschaftler
- Citar trabajo
- Danielle Spichiger (Autor), 2003, Der Arbeiter im England des 19. Jahrhunderts und der moderne Portfolioworker - ein Risikovergleich, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26366
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