Volkskrankheit Rückenschmerzen – viele Menschen leiden darunter. Die meisten Rückenpatienten sind mehrmals in ihrem Leben wegen unerträglicher Schmerzen in Behandlung. Bei vielen wird die Ursache nie gefunden, die klassische Medizin versagt. Doch die Psyche spielt häufig eine entscheidende Rolle.
Dieses Buch betrachtet Rückenschmerzen hauptsächlich aus psychologischer Sicht. Zunächst werden grundsätzliche Erklärungsansätze vorgestellt im Anschluss widmen sich die Autoren dem Einfluss des Kohärenzgefühls. Außerdem stellen sie psychologische Therapiemöglichkeiten vor.
Aus dem Inhalt: Risikofaktoren, Erklärungsansätze, Kognitiver Verhaltensansatz, Kohärenzgefühl, Interventionsmöglichkeiten
Inhaltsverzeichnis
Rückenschmerz-Verbreitung, Ursachen und Erklärungsansätze von Sven Schneider 2006
Zu diesem Buch
Über den Autor
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Forschungsstand und Hypothesen
Datenbasis und Methodik
Ergebnisse
Diskussion
Schlussfolgerungen
Danksagung
Psychologische Therapie bei Rückenschmerz. Der Kognitive Verhaltensansatz von André Matthias Müller 2009
Einleitung
Terminologie
Die Medizin auf dem Prüfstand
Grundideen der Kognitiven Verhaltenstherapie
Praktische Umsetzung des kognitiven Verhaltensansatzes
Fazit
Zusammenfassung
Die Bedeutung der Salutogenese bei chronischen Rückenschmerzen. Ein Vergleich Des Kohärenzgefühls bei Patienten ohne Rückenschmerzen und Patienten mit CHRONISCHEN UNSPEZIFISCHEN RÜCKENSCHMERZEN UND DEREN BEWÄLTIGUNGSSTRATEGIEN von Josef Galert 2007
Zusammenfassung/Abstract
Problemstellung
Fragestellung
Methode
Ergebnisse
Diskussion und Ausblick
Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Anhang
Rückenschmerz-Verbreitung, Ursachen und Erklärungsansätze von Sven Schneider 2006
Zu diesem Buch
In westlichen Industrienationen nimmt die medizinische und volkswirtschaftliche Bedeutung des Rückenschmerzes seit Jahrzehnten zu. Dennoch ist die epidemiologische Datenlage zu diesem Beschwerdekreis defizitär. Dieses Buch liefert erstmals für die Bundesrepublik Deutschland repräsentative epidemiologische Prävalenzdaten zur Verbreitung der „Volkskrankheit“ Rückenschmerz sowie zu seinen Risikofaktoren und zeigt Erklärungsansätze auf.
Dabei scheint die Risikofaktorenstruktur äußerst komplex zu sein. Berufsspezifische Belastungen sind gemäß der in diesem Buch präsentierten Befunde für das Schmerzrisiko ebenso bedeutsam wie ein ungünstiger, passiver Lebensstil, ein defizitäres Präventionsverhalten und das Vorhandensein relevanter Begleiterkrankungen. Es liefert somit wichtige Daten für die Versorgungsforschung (z.B. Schmerzprävalenzen, Risikofaktoren-Prävalenzen), Präventionsagenten (u.a. zu Nutzerstrukturen von Rückenschulen), Sozial- und Arbeitsmediziner (durch die Identifikation von Hochrisikoberufe) und den klinisch tätigen Arzt (z.B. zu Begleiterkrankungen und Multimorbidität).
Dieses Buch basiert auf der Habilitationsschrift des Autors, welche an der Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg, Abteilung Orthopädie I (Direktor: Prof. Dr. V. Ewerbeck) entstanden ist und an der Medizinischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg eingereicht wurde. Auf ihrer Basis wurde dem Autor im Mai 2007 die Venia legendi für das Fach „Sozialmedizinische Epidemiologie“ verliehen.
Über den Autor
Sven Schneider ist Sozial- und Verhaltenswissenschaftler und Privatdozent an der Universität Heidelberg.
1996 Abschluss zum Soziologen M.A.
1998 - 2001 Promotion zum Dr. phil. am Institut für Soziologie der Universität Heidelberg, Prof. Thomas Klein Thema: „Lebensstil, Lebensbedingungen und Mortalität“
2001 - 2006 Forschungsgruppenleitung und Post-Doc an der Universitätsklinik Heidelberg Präventions- und Versorgungsforschung Arbeitsschwerpunkt: „Lebensstil“ u.a. zum Thema „Sport“ und „Bewegung“
seit 01/06: Habilitand am Deutschen Krebsforschungszentrum, Heidelberg Präventions- und Versorgungsforschung Arbeitsschwerpunkt: „Lebensstil“ u.a. zum Thema „Rauchen“02/05/07 Erteilung der Venia Legendi in Sozialmedizinischer Epidemiologie Über 85 nationale und internationale Publikationen (Impact-Faktorsumme: 25,00); u.a.:
Schneider S (2007) Ursachen schichtspezifischer Mortalität in der Bundesrepublik Deutschland. Int J Public Health 52: 39-53
Schneider S, Mohnen S, Schiltenwolf M (2006) „Sind Reiche gesünder?“ Epidemiologische Repräsentativdaten zu schichtspezifischen Krankheitsprävalenzen in der BRD. Deut Med Wochenschr 131: 1998-2003
Weitere Informationen finden Sie unter www.sozialepidemiologie.de und www.sozionet. de
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Erwerbstätige mit unterdurchschnittlicher Rückenschmerz-Prävalenz nach Beruf (Eigene Berechnungen zu: Erster Bundes-Gesundheitssurvey)
Tabelle 2: Erwerbstätige mit überdurchschnittlicher Rückenschmerz-Prävalenz nach Beruf (Eigene Berechnungen zu : Erster Bundes-Gesundheitssurvey)
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 : Strnktogramm zur Differenzierung wichtiger Bedingungsfaktoren des Rückenschmerzes
Abbildung 2: Flussdiagramm der Probanden-Rekrutierung in Anlehnung an das CON SORT -Statement
Abbildung 3: Rückenschmerzrisiko und Teilnahmerate an Rückenschulkursen nach ausgewählten Bevölkerungsgruppen
Abbildung 4: Lebenszeitprävalenz der zehn häufigsten Begleiterkrankungen von Rückenschmerz-Betroffenen im Vergleich zu Rückengesunden
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung
Datenlage und Forschungsdefizite
Unbestritten ist Rückenschmerz das gravierendste Schmerzproblem unserer Zeit. In westlichen Industrienationen beträgt die Lebenszeit-Prävalenz für Rückenschmerz zwischen 58% und 85%, die Punkt-Prävalenz zwischen 20% und 40% (Latza, Kohlmann et al. 2000, Papageorgiou, Pfingsten & Hildebrandt 2004, Walsh, Cruddas et al. 1992). Trotz medizinischer Fortschritte, weit reichender Arbeitsschutzmaßnahmen sowie zunehmender Automatisierung in der Fertigung bei parallel fortschreitender Tertiarisierung nimmt die Bedeutung des Rückenschmerzes in der Gesamtbevölkerung ebenso wie im Subkollektiv der Erwerbstätigen weiter zu (Statistisches Bundesamt 1998). Hierzulande sind mittlerweile 6% aller direkten Krankheitskosten, 15% aller Arbeitsunfähigkeitstage und 18% aller Frühberentungen auf Rückenerkrankungen zurückzuführen (Kröner- Herwig 2004, Statistisches Bundesamt 1998). Erkrankungen des muskuloske- lettalen Systems verursachen in der Bundesrepublik Deutschland Krankheitskosten in Höhe von insgesamt 25,2 Mrd. EURO pro Jahr. Diese Kosten steigen derzeit jährlich um durchschnittlich 370 Millionen Euro (Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung 2002).
Dies unterstreicht die Wichtigkeit repräsentativer epidemiologischer Daten zur Schmerzprävalenz sowie zu Bedeutsamkeit und Verbreitung relevanter Risikofaktoren. So sind allgemeine und berufsspezifische Angaben zur Schmerzprävalenz in der Bevölkerung für Ärzte, Public-Health-Akteure und Institutionen der Versorgungsforschung unabdingbar. Zudem können berufs- und tätigkeitsspezifische Daten dem Kliniker dienen, den individuellen Fall im Hinblick auf einen möglichen beruflichen Zusammenhang fundierter zu beurteilen. Zum anderen sind Informationen zu Risikofaktoren für den Sozial- und Arbeitsmediziner hilfreich, um Tätigkeiten mit erhöhtem Präventions- und Interventionsbedarf zu identifizieren und damit eine kosteneffiziente Verhaltens- und Verhältnisprävention zu initiieren.
Aus anderen Nationen sind derartige bevölkerungsbasierte Daten zur Rückenschmerz- sowie zur Risikofaktorenprävalenz verfügbar (Biering-Sorensen 1985, Brage, Bjerkedal et al. 1997, Guo 2002, Hildebrandt 1995, Macfarlane, Thomas et al. 1997). Solcherlei Repräsentativ-Daten existieren hierzulande lediglich für die Region Lübeck (sog. „Lübecker Rückenschmerzstudie“; Latza, Kohlmann et al. 2000). Dagegen mangelt es an Rückenschmerz-Studien innerhalb definierter Patientenkollektive nicht (Hoogendoorn, van Poppel et al. 1999, Linton 2000). Meist handelt es sich hierbei um klassische klinische Studien, welche aufgrund des experimentellen Designs eine hohe interne Validität aufweisen. Die externe Validität solcher Studien sei jedoch auf Grund der Fokussierung der Fragestellung auf einen oder wenige Risikofaktoren ohne Kontrolle möglicher Konfoun- der oft eingeschränkt, so die Kritik von Michel, Kohlmann und Kollegen (1997). Ähnliches monieren auch andere Autoren (Alexopoulos, Burdorf et al. 2003, Blyth, March et al. 2003, Guo 2002, Hagen, Tambs et al. 2002, Hofmann, Stos- sel et al. 2002, Olsen & Kovacs 2002, Omokhodion & Sanya 2003, Sheir-Neiss, Kruse et al. 2003). Auch uneinheitliche Erhebungsmethodiken sowie hochselektive Probandenkollektive machten eine Vergleichbarkeit von Prävalenzdaten aus klinischen Einzelstudien unmöglich, so Hildebrandt (Hildebrandt 1995). Kohlmann charakterisierte die bundesdeutsche Datenlage zum Rückenschmerz wie folgt: „Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, dass kaum versorgungsepidemiologische Daten mit ausreichendem Differenzierungsgrad zur Verfügung stehen“ (Kohlmann 2001).
Diese Forschungslücke sollte im Rahmen des vorliegenden Buches sukzessive geschlossen werden. Dazu diente eine in der orthopädischen Forschung wenig beachtete Datenquelle, der Bundes-Gesundheitssurvey. Diese nationale Gesundheitsstudie umfasst Informationen zu über 7.000 Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 79 Jahren und ermöglicht erstmalig für die gesamte
Bundesrepublik Deutschland repräsentative Aussagen zur Auftretenshäufígkeit von Rückenschmerz sowie zu dessen Risikofaktoren. Kohlmann charakterisiert die im Folgenden verwendete Datenbasis als „eine der besten Quellen für Daten über die Verbreitung und Häufigkeit von Schmerzen in der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland“ (Kohlmann 2003).
Zielsetzung der Arbeit
Die Ziele dieses Buches sind demnach:
- die Ermittlung von Repräsentativdaten zur Rückenschmerz-Prävalenz in der bundesdeutschen Gesamtbevölkerung sowie unter den Erwerbstätigen,
- die Beantwortung der Frage, welche Berufsgruppen eine vergleichsweise hohe respektive niedrige Schmerzbelastung aufweisen,
- die Identifikation von Bevölkerungsgruppen mit über- respektive unterdurchschnittlicher Schmerzbelastung entlang arbeitsplatzbezogener sowie sonstiger biopsychosozialer Risikofaktoren,
- die Ermittlung absoluter und relativer Daten zu typischen Begleiterkrankungen sowie
- Untersuchungen zur Inanspruchnahme präventiver Interventionsmaßnahmen.
Forschungsstand und Hypothesen
Ausgehend von dieser Zielsetzung galt es, ex ante mögliche Risikofaktoren und Korrelate des Rückenschmerzes zu definieren, welche auf ihre Bedeutsamkeit hinsichtlich des Schmerzrisikos untersucht werden sollten. Die Identifikation und Auswahl relevanter Variablen erfolgte auf Basis einer standardisierten Literaturrecherche. Dazu wurden mittels der Literaturdatenbank „PubMed“ (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi) anhand der Schlüsselbegriffe (Keywords) „low back pain“ (Rückenschmerz im Lendenwirbelbereich) und „back pain“ (Rückenschmerz) in Kombination mit „risk factor“ (Risikofaktor), „chronification“ (Chronifizierung), „chronicity“ (Chronizität), „prevention“ (Prävention), „predictors“ (Prädiktoren) und „prevalence“ (Prävalenz) grundsätzlich relevante Publikationen identifiziert und ausgewertet. Eine solche deduktive, an den kritischen Rationalismus angelehnte Forschungsstrategie begegnet der Gefahr, durch beabsichtigtes oder unbeabsichtigtes Weglassen bedeutender Einflussgrößen die Risikoquanten anderer Variablen unrealistisch zu überschätzen (Adams, Mannion et al. 1999). Ergänzend wurden gängige orthopädische, epidemiologische und neurologische Zeitschriften („Spine“, „Pain“, „Epidemiology“, „Preventive Medicine“, „Der Orthopäde“ und „Schmerz“) für den Zeitraum von 1998 bis 2003 manuell nach ebenfalls relevanten Beiträgen zu Risikofaktoren des Rückenschmerzes durchsucht. Darüber hinaus wurde das umfangreiche Literaturarchiv unserer Forschungsgruppe ebenfalls in die Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstandes einbezogen. Das Ergebnis dieses Literaturreviews wurde in Form einer tabellarischen Übersicht publiziert (vgl. Tabelle 6 aus Schneider, Schmitt et al. 2005b). Einschlusskriterium für diese Synopse waren alle Variablen, zu denen eine empirische Entsprechung im hier verwendeten Datensatz vorlag. Der Forschungsstand und die aus unserer Recherche abgeleiteten Hypothesen sind ebendort ausführlich expliziert (vgl. Tabelle 1 aus Schneider, Schmitt et al. 2005b).
Seit Engel (Engel 1977) wird das multiple Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren bei der Krankheitsentstehung in Form so genannter multidimensionaler, biopsychosozialer Modelle berücksichtigt. In einer weiteren Publikation (Schneider, Lipinski et al. 2005) wurde zusammen mit dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit ZI Mannheim ein ätiologisches Strukto- gramm entwickelt, welches die mehrdimensionalen Bedingungsfaktoren des Rückenschmerzes zu systematisieren sucht.
Die empirische Risikofaktorenanalyse erfolgte entlang der Dimensionen 1 bis 5: Als berufliche Faktoren wurden neben der konkreten Berufstätigkeit typische arbeitsplatzspeziflsche Belastungsfaktoren untersucht (©). Zusätzlich wurde der Einfluss eines Risiko erhöhenden Lebensstils (Θ) sowie eines defizitären Präventionsverhaltens berücksichtigt (Θ). Die vorgenannten Zusammenhänge können zu einer erhöhten Vulnerabilität und letztlich zu einem größeren Komorbiditätsrisiko führen, welche als zusätzliche Stressoren wirken (©).
Abb. 1: Struktogramm zur Differenzierung wichtiger Bedingungsfaktoren des Rückenschmerzes
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
operationalisierungen (Auszug)
Quelle: Eigener Entwurf, nach Schneider, Lipinski et al. 2005.
Bevor sich diese objektiven Stressoren und Noxen in einem subjektiven Schmerzerleben manifestieren, passieren sie einen kognitiven und affektiven Bewertungsprozess. So wirken Somatisierungstendenzen, ineffektive Copingsti- le und eine depressive Persönlichkeit verstärkend auf den Prozess der Schmerzwahrnehmung (Θ).
Diese Prozesse führen nicht nur im Einzelnen, sondern auch und vor allem in ihrer Interaktion für bestimmte Bevölkerungsgruppen zu einer Kumulation des Schmerzrisikos. Der empirische Teil dieser Arbeit fokussiert den bivariaten Zusammenhang zwischen den vorgenannten Faktoren und dem Rückenschmerz sowie weiters das komplexe Bedingungsgefüge durch eine entsprechende statistische Modellierung. Die Resultate seien im Folgenden dargestellt.
Datenbasis und Methodik
Datensatz
Erhebungsdesign
Die Datenbasis für dieses Buch - der Bundes-Gesundheitssurvey - ist eine epidemiologische Repräsentativstudie der deutschsprachigen Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Erhebungsinstitution und Datenherr ist das Robert-Koch-Institut in Berlin, die zentrale Forschungseinrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention und das Leitinstitut für den öffentlichen Gesundheitsdienst.
Die ungewichteten Rohdaten des Bundes-Gesundheitssurvey wurden unserer Arbeitsgruppe „Epidemiologie“ an der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg im Rahmen eines Kooperationsvertrages vom Robert-Koch-Institut als so genannter „Public-Use-File“ zur Verfügung gestellt.
Die notwendigen Recodierungen sowie die statistisch-epidemiologischen Analysen erfolgten auf Basis der Rohdatenfiles. Auf Basis dieses Kooperationsvertrages konnten dafür aus dem Forschungsförderungs-Programm der Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg zwischen 09/2002 und 12/2005 Drittmittel in Höhe von 106.000 EURO eingeworben werden (Projektnummern: F03-0013, F04-0026, F04-0065, F05-0007).
Der Survey wurde zwischen Oktober 1997 und März 1999 durchgeführt und umfasst eine Netto-Stichprobe von insgesamt 7.124 Personen im Alter von 18 bis 79 Jahren mit Hauptwohnsitz in Deutschland. Die Stichprobe wurde mittels einer dreistufig geschichteten Zufallsauswahl gezogen. In der ersten Stufe wurden Gemeinden anhand eines größenproportionalen Gewichtungsverfahrens ausgewählt.
In der zweiten Stufe wurden ebenfalls größenproportional Stadtteile bzw. Wahlbezirke ermittelt. Diese insgesamt 130 Untersuchungsstandorte - so genannte
„Sample Points“ - sind unter www.rki.de dargestellt. In der dritten Auswahlstufe wurde über die Einwohnermelderegister eine jeweils gleiche Anzahl von Personenadressen in den gewählten Untersuchungsstandorten gezogen (Potthoff, Schroeder et al. 1999, Schroeder, Potthoff et al. 1998).
Nach dieser geschichteten Zufallsauswahl umfasste die Bruttostichprobe insgesamt 13.222 Personen im Alter von 18 bis 79 Jahren. Personen, die entweder verstorben, unbekannt verzogen oder Ausländer mit unzureichenden Deutschkenntnissen waren, wurden als neutrale Ausfälle ausgeschlossen. Von der um diese qualitätsneutralen Ausfälle bereinigten Bruttostichprobe nahmen 61,4% (n=7,124) an der Studie teil (Potthoff, Schroeder et al. 1999, Schroeder, Potthoff et al. 1998).
Nichtteilnehmer wurden standardgemäß nicht durch Ersatzziehungen ersetzt. Die Brutto- und Nettostichproben, die Einschlusskriterien zur Teilnahme sowie das Ausmaß der Stichproben-Ausfälle („Nonresponder“) geht aus Abbildung 2 hervor, welche sich an dem CONSORT-Statement zu einem Flussdiagramm („Patient-Flow-Chart“; publiziert in: Schneider, Lipinski et al. 2005) für klinische Studien orientiert.
Analysen zur Situation in der Gesamtbevölkerung basieren auf der NettoStichprobe I von insgesamt 7.124 Personen, in der auch Erwerbslose, Hausfrauen und Personen im Ruhestand in repräsentativen Anteilen berücksichtigt wurden.
Sofern auch arbeitszeit- und arbeitsplatzspezifische Einflüsse auf die Schmerzprävalenz untersucht wurden, bezogen sich unsere Analysen auf die NettoStichprobe II, i.e. alle Personen im Alter von 18 bis 69 Jahren, die zum Untersuchungszeitpunkt einer Voll-, einer Teilzeitbeschäftigung oder einer Ausbildung nachgingen.
Abb. 2: Flussdiagramm der Probanden-Rekrutierung in Anlehnung an das CON SORT-Statement
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigener Entwurf 2006, nach Schneider, Lipinski et al. 2005.
Mittels einer Faktorengewichtung wurden kleinere verbleibende Abweichungen der Nettostichprobe zur Bevölkerungsstruktur der Bundesrepublik Deutschland korrigiert. Die Gewichtung erfolgte nach den üblichen demographischen Größen „West/Ost x Bundesland x Geschlecht x Alter“, wobei jedem Teilnehmer ein Gewichtungsfaktor mit fünf Nachkommastellen zugeordnet wurde, so dass die Summe der Gewichtungsfaktoren der ursprünglichen Fallzahl entspricht (The- feld, Stolzenberg et al. 1999).
Somit sind die folgenden Ergebnisse als repräsentativ für die bundesdeutsche Wohnbevölkerung im Jahr 1998 anzusehen (zum Nachweis der Repräsentativität vergleiche ausführlich: Thefeld 1999, Winkler, Filipiak et al. 1998). Alle Studienteilnehmer nahmen an einem standardisierten ärztlichen Interview (CAPI, i.e. Computer assisted personal interview) sowie an medizinischen Untersuchungen teil, welche u.a. Blutdruckmessungen sowie die Erfassung von Gewicht und Körpergröße beinhalteten. Außerdem beantworteten die Probanden im Untersuchungszentrum einen 107 Fragen umfassenden Selbstausfüllbogen, welcher Angaben zu medizinischen Risikofaktoren, gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen und medizinsoziologischen Items enthielt (Bellach, Knopf et al. 1998). Probanden mit Mobilitätsproblemen wurde die Befragung und Untersuchung zu Hause angeboten. Das Untersuchungspersonal unterlag einer regelmäßigen externen Qualitätskontrolle.
Operationalisierung der Schmerzprävalenzen
Alle in die Studie eingeschlossenen 7.124 Personen beantworteten die Frage, ob sie während der vergangenen sieben Tage (den Befragungstag eingerechnet) Schmerzen im Rücken hatten (dummycodiert: 1 = ja, 0 = nein; Schneider, Schil- tenwolf et al. 2005). Die 7-Tage-Prävalenz anderer Schmerzlokalisationen wie etwa Nacken-, Schulter-, Hüft- und Beinschmerzen wurde ebenfalls erfragt und zugunsten einer klaren Abgrenzung der Schmerzbilder im Folgenden separat ausgewertet. Daneben machten die Studienteilnehmer ebenso Angaben zur Ein- Jahres-Prävalenz etwaiger Rückenschmerzen. Die Entscheidung zugunsten der 7-Tage-Prävalenz zielte zum einen auf eine weitestmögliche Reduzierung eines von Raspe und Kohlmann (Raspe & Kohlmann 1994) ebenso wie von Waddell (Waddell 1998, Waddell & Waddell 2000) problematisierten Recall bias, da das Schmerzbild der letzten sieben Tage relativ zu anderen Operationalisierungen gut in Erinnerung bleiben dürfte. Zum anderen decken sich somit die Zeitfenster der Angaben zu vermuteten möglichen Risikofaktoren und der 7-Tage-Prävalenz besser als bei Heranziehung der Ein-Jahres-Prävalenz.
Operationalisierung potenzieller Risikofaktoren und Korrelate
Operationalisierung beruflicher Faktoren: Der Bundes-Gesundheitssurvey enthält detaillierte Basisdaten zur sozialen Schichtzugehörigkeit: Die drei Statusgruppen „obere“, „mittlere“ und „untere Sozialschicht“ wurden über einen ungewichteten, mehrdimensionalen additiven Schichtindex konstruiert (Stolzenberg 2000). Dieser ist an anderer Stelle ausführlich beschrieben und gilt hierzulande als ein sowohl für die neuen als auch für die alten Bundesländer intern und extern valider Statusindikator (Winkler & Stolzenberg 1999). In der deutschen Soziologie wird die soziale Schichtzugehörigkeit konventionell entlang der drei Dimensionen „Einkommen“, „Bildung“ und „berufliche Stellung“ verortet (Klein 2005). Das Einkommen des Befragten wurde in 13 Intervallen erhoben. Daraus wurde das monatliche wohlfahrtsadäquate Pro-Kopf-Einkommen in EURO gemäß OECD unter anteiliger Berücksichtigung weiterer Haushaltsmitglieder berechnet. Diese drei Dimensionen sozialer Ungleichheit wurden dann innerhalb der Berechnungsroutine des Schichtindex zu gleichen Teilen berücksichtigt. Dabei wurde auf Basis der schriftlichen Antworten jeder dieser drei Dimensionen ein ordinaler Punktwert von eins bis sieben zugeordnet. Die Summe der Punktwerte ergab einen Indexwert, der somit zwischen 3 und 21 Punkten liegen konnte. Hieraus wurden die Befragten der unteren (Indexwert: 3-8), der mittleren (Indexwert: 9-14) oder der oberen Sozialschicht (Indexwert: 15-21) zugeordnet. Sofern eine Angabe fehlte, wurde ersatzweise der Mittelwert aus den beiden übrigen Angaben herangezogen. Um den Status nicht berufstätiger Frauen angemessen zu berücksichtigen, wurde für diese Fälle standardgemäß die berufliche Stellung des berufstätigen Ehemannes herangezogen. Bei mehreren fehlenden Werten erfolgte keine Schätzung (Schneider, Schmitt et al. 2005b, Winkler & Stolzenberg 1999).
Im Bundes-Gesundheitssurvey lagen zu jedem Erwerbstätigen Freitextangaben zu dessen konkreter, aktueller Berufstätigkeit vor. Die Kategorisierung der Berufsangaben erfolgte nach dem etablierten Kodierungssystem „Kldb92: Klassifizierung der Berufe“ des Statistischen Bundesamtes in seiner aktuellsten Fassung (Statistisches Bundesamt 1996). Dieses Klassifizierungssystem ist hierzulande für Bundesbehörden maßgeblich und mit dem internationalen
Klassifizierungssystem „International Standard Classification of Occupations 1988 (ISCO 88 COM)“ vergleichbar (Mannetje & Kromhout 2003). Jeder Freitextangabe haben wir den entsprechenden zweistelligen Berufsgruppencode manuell zugeordnet und in den Datensatz eingepflegt (Berufscodes 01-99, (Statistisches Bundesamt 1996)). Die Erfassung beruflicher Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz umfasste die fünf Dimensionen (1) „Trage-/Haltungsbelastung“, (2) „Umgebungseinflüsse“, (3) „Stressbelastung“, (4) „Überstundentätigkeit“ und (5) „Schichtarbeit“. Die Items im Fragebogen waren (ad 1) „anstrengende körperliche Arbeit (wie einseitige Körperhaltung, Tragen schwerer Gegenstände)“, (ad 2) „Lärm, Staub, Gase, Dämpfe, ,schlechte‘ Luft“, (ad 3) „Stress am Arbeitsplatz (wie Zeit-/Leistungsdruck, starke Konzentration, schlechtes Arbeitsklima), Sorge um den Arbeitsplatz“, (ad 4) „Überstunden, lange Arbeitszeit“ sowie (ad 5) „Schicht-/Nachtarbeit“ (Schneider, Lipinski et al. 2005).
Die während der Arbeit, im Auto sowie in der Freizeit sitzend verbrachte Zeit wurde (für Wochen- und Feiertage getrennt) erfasst und ein metrischer Durchschnittswert in Stunden pro Tag ermittelt. Die Zufriedenheit mit der Arbeitssituation wurde auf einer siebenstufigen, äquidistanten Skala von 1 = sehr unzufrieden bis 7 = sehr zufrieden erfasst.
Operationalisierung sozialer und lebensstilspezifischer Faktoren: Um neben dem Familienstand auch das Ausmaß sozialer Unterstützung durch nichteheliche Partner (z.B. enge Freunde) zu berücksichtigen, wurde mittels der Variablen „Soziales Netzwerk“ die Anzahl der Personen, auf deren Hilfe sich die Befragten „in Notfällen auf jeden Fall verlassen können“, erhoben. Die Dummyvariable „Private Krankenversicherung“ fasste mit der Ausprägung „1“ Personen mit einer privaten Krankenzusatz- oder Krankenvollversicherung zusammen. Als Indikator physischer Fitness wurde eine Dummyvariable gebildet, welche die Ausprägung „1“ annahm, wenn der Befragte angab, nach drei Stockwerken Treppen steigen nicht außer Atem zu sein oder ins Schwitzen zu kommen. Den aktuellen Tabakkonsum haben wir in Absprache mit dem WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg in Raucher (täglicher Tabakkonsum), Gelegenheitsraucher (seltener als täglicher Konsum), Exraucher und Nieraucher kategorisiert. Die Messung von Körpergröße und Gewicht erfolgte auf eine Nachkommastelle genau unter standardisierten Bedingungen an geeichten Geräten ohne Oberbekleidung und ohne Schuhe im Rahmen der ärztlichen Untersuchung. Daraus wurde der Body-Mass-Index (BMI) abgeleitet (Schneider, Schiltenwolf et al. 2005, Schneider, Schmitt et al. 2005b).
Operationalisierung des Präventionsverhaltens: Teilnahme an Rückenschulkursen: Zudem wurden alle Studienteilnehmer gefragt, ob sie in den vergangenen zwölf Monaten an einer Gesundheitsförderungsmaßnahme „zur Rücken- oder Wirbelsäulengymnastik (Rückenschule)“ teilgenommen hatten. Die Frage umfasste Kurse, Beratungen und Übungen von Krankenkassen, Volkshochschulen, Gesundheitsämtern, privaten Anbietern und Selbsthilfegruppen (Schneider, Schiltenwolf et al. 2005, Schneider, Hauf et al. 2005a, Schneider, Hauf et al. 2005b).
Freizeitsport: Körperliche Bewegung in der Freizeit (Freizeitsport) wurde durch die Frage „Wie oft treiben Sie Sport?“ erfasst. Dabei wurde Sport als regelmäßige körperliche Aktivität spezifiziert und die Frage auf das Zeitfenster der letzten drei Monate vor der Befragung bezogen (Schneider & Becker 2005a, Schneider & Becker 2005b).
Operationalisierung der Komorbidität: Im Rahmen ihres Aufenthaltes in den mobilen Untersuchungszentren wurden die Studienteilnehmer mittels eines standardisierten schriftlichen Fragebogens zur Lebenszeitprävalenz einzelner Erkrankungen befragt. Die Frage lautete: „Welche der folgenden Erkrankungen hatten Sie jemals?“ Eine detaillierte Aufstellung der erfassten Krankheitsentitäten findet sich unter Stolzenberg (Stolzenberg 2000). Wenn Patienten „Weiß nicht“ ankreuzten, wurden diese Angaben als fehlende Werte („missing values“)
verschlüsselt. Analog dem Vorschlag von Fanuele et al. (Fanuele, Birkmeyer et al. 2000) in einer ähnlichen Prävalenzstudie wurden aus Gründen der Validität in die folgende Analyse nur Krankheiten einbezogen, welche eine ausreichende Fallzahl von n>100 aufwiesen. Im Gegensatz zu den übrigen Erkrankungen konnten viele Befragte die Items zu Stoffwechselstörungen (erhöhte Harnsäure- und Cholesterinwerte sowie Eisenmangel) nicht beantworten (Missingquoten: 12% - 17%), so dass wir diese aus Validitätsgründen ebenfalls ausschlossen. Somit standen uns repräsentative Prävalenzangaben zu den häufigsten 35 Erkrankungen zur Verfügung.
Neben diesen Selbstangaben wurden die Probanden im Rahmen der daraufhin folgenden körperlichen Untersuchung (Erfassung der anthropometrischen Daten usw.) zu einigen Krankheiten befragt. Dabei hielt der Studienarzt neben der Lebenszeitprävalenz Daten zu Dauer, Erstdiagnose und Risikofaktoren einzelner ausgewählter Erkrankungen fest (Schneider, Mohnen et al. 2006).
Operationalisierung psychischer Faktoren: Die Variable „Depressivität“ zielte auf die Erfassung subjektiver - auch nicht pathologischer - depressiver Verstimmung. Befragte, die angaben, innerhalb der letzten vier Wochen zumindest manchmal „entmutigt“, „traurig“ und so niedergeschlagen gewesen zu sein, dass sie nichts aufheitern konnte, erhielten die Dummycodierung „1“. Eine pathologische, klinisch diagnostizierte Depressivität war keine Voraussetzung für diese Ausprägung (Schneider, Schmitt et al. 2005b).
Statistische Methoden
Ob innerhalb einzelner Bevölkerungsgruppen eine signifikant unterschiedliche Schmerzprävalenz besteht, wurde für nominale und ordinale Variablen bivariat anhand des Chi -Tests und für metrische Variablen durch t-Tests für unabhängige Stichproben überprüft.
Mittels der logistischen Regression wurde ermittelt, ob die oben beschriebenen Faktoren signifikante Prädiktoren für das Auftreten von Rückenschmerz sind und ob die einzelnen bivariaten Zusammenhänge auch unter Einbeziehung und Konstanthaltung weiterer Variablen erhalten bleiben. Die logistische Regression bildet einen nichtlinearen Zusammenhang zwischen einer dichotomen abhängigen Variable und den unabhängigen Variablen ab. Der Vorhersagewert der abhängigen Variablen kann als eine Schätzung der Wahrscheinlichkeit (p) interpretiert werden, an Rückenschmerz zu leiden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Da in diesem Modell die abhängige Variable nicht über die Werte Null und Eins hinausgehen kann, kann sie auch nicht über eine lineare Funktion der erklärenden Variablen bestimmt werden. So wird die abhängige Variable von der Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis zum Verhältnis dieser Wahrscheinlichkeit zur Gegenwahrscheinlichkeit umgeformt und anschließend logarithmiert. Diese zwei Schritte eliminieren die Beschränkung der abhängigen Variablen auf den Wertebereich von Null bis Eins. Die logistische Wahrscheinlichkeitsverteilung und die Beziehung zwischen den bedingten Wahrscheinlichkeiten (p und 1-p) und den k erklärenden Variablen (x1 bis xk) werden infolgedessen durch die Gleichung beschrieben:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anschließend wird die Gleichung nach p wieder aufgelöst und die vorgenommenen Umformungen schlagen sich nun auf der rechten Seite der Gleichung nieder:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei der linearen Regression ist der Regressionskoeffizient ein Maß dafür, wie sich eine Änderung der unabhängigen Variable um eine Einheit auf die abhängige Variable auswirkt. Im Logitmodell werden hingegen die so genannten Odds betrachtet. Die Odds geben das Verhältnis zwischen der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses und der Gegenwahrscheinlichkeit an (Allison, 1999: 9 ff):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Um die Odds zu erhalten, muss die oben dargestellte logistische Regressionsgleichung so umgeformt werden, dass im Zähler die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Variable „Rückenschmerz“ den Wert „1“ annimmt, und im Nenner die Gegenwahrscheinlichkeit stehen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Für die Odds gilt, dass eine Erhöhung des Wertes der erklärenden Variablen (also z.B. der BMI) um eine Einheit, die Odds mit einem konstanten Faktor multiplikativ verändert. Dieser Faktor wird Effektkoeffizient genannt und über Exponierung der Regressionskoeffizienten berechnet ^β). Eine etwas geläufigere Bezeichnung des Effektkoeffizienten ist das Odds ratio. Dies ist das Verhältnis von zwei Odds, z.B. die Odds, als Frau Rückenschmerzen zu haben, im Verhältnis zu den Odds, als Mann Rückenschmerzen zu haben (Allison, 1999).
Um ein möglichst parametersparsames Vorgehen zu realisieren, wurden
(1) alle in der bivariaten Analyse nichtsignifikanten Prädiktoren ausgeschlossen. Des Weiteren wurden
(2) zur Reduzierung von Kollinearitäten unter den Risikofaktoren bedeutungsähnliche Variablen ausgeschlossen: Als Schichtindikator wurde der Sozialstatus ausgewählt. Zum einen operationalisiert dieser die soziale Schichtzugehörigkeit umfassender als etwa Berufs-, Bildungs- oder Einkommensangaben. Zum anderen werden fehlende Werte bei ebendiesen Indexkomponenten in der Berechnungsroutine des Schichtindizes ersetzt. Schließlich wurde der BMI anstelle der Körpergröße ausgewählt, da dieser von uns für ätiologisch bedeutender eingeschätzt wird. Schließlich flossen
(3) sowohl das Alter als auch der BMI in kategorisierter Form in die Regessionsanalyse ein, um einen möglichen nichtlinearen Zusammenhang zu modellieren. Ergänzend wurde ein r[2]-Wert nach Nagelkerke ermittelt.
Alle Tests wurden zweiseitig mit *** p < 0,001, ** p < 0,01 und * p < 0,05 durchgeführt. Alle Analysen wurden mit dem Statistikprogramm SAS for Windows in der Version 9.1 (SAS Institute Inc. Cary, NC 27513, USA) durchgeführt.
Ergebnisse
Berufliche Faktoren und Rückenschmerz
Der erste Teil der eingangs formulierten Fragestellung ist deskriptiv leicht zu beantworten: Nach unseren Daten litt jeder dritte erwachsene Bundesbürger (36%) innerhalb der letzten 7 Tage unter Rückenschmerzen. Die Ein-Jahres- Prävalenz beträgt 59% (Schneider, Schiltenwolf et al. 2005).
Berücksichtigt man ausschließlich Erwerbstätige, so beträgt die 7-Tage- Prävalenz für Rückenschmerz 34%, die Ein-Jahres-Prävalenz 60% (Schneider, Schmitt et al. 2005b).
Unser erster Blick galt berufsspezifischen Risikofaktoren des Rückenschmerzes (Schneider, Lipinski et al. 2005): Tabelle 1 stellt zunächst diejenigen Berufsgruppen mit unterdurchschnittlicher Schmerzbelastung (7-Tage-Prävalenz < 34,4%) dar. Beispielsweise berichtet nur einer von sechs Ingenieuren (16%) und nur einer von fünf Ärzten (19%) von Rückenschmerzen in der letzten Woche vor der Studienteilnahme (Tabelle 1). In der Synopse fällt auf, dass sich unter den gering belasteten Berufsgruppen vermehrt typische Akademiker- und Führungstätigkeiten finden (Ingenieure, Ärzte, Apotheker, Unternehmer, Geschäftsführer, Marketingfachleute, Informatiker, Schauspieler, Musiker, Pädagogen und Hochschullehrer). Bei diesen Tätigkeiten handelt es sich um Berufe des „tertiären Sektors“, welche gemäß des Statistischen Bundesamts als technische und dienstleistende Berufe klassifiziert werden (Berufscodes 60-93). Eine unterdurchschnittliche Schmerzprävalenz weisen auch einige Berufe des „sekundären Sektors“, also Fertigungsberufe, auf. Fertigungsberufe finden sich typischerweise im Handwerk und in der Produktion. Sie werden in der deutschen Arbeitsstatistik durch die Berufscodes 10-59 gekennzeichnet. Es fällt auf, dass die in Tabelle 1 enthaltenen Fertigungsberufe nur selten das Bewegen schwerer Lasten erfordern (Tabelle 1). Als Beispiele seien Prüfer, Kranführer, Floristen, Laboranten, Elektriker und Techniker genannt. Für die in Tabelle 2 präsentierten
Berufe mit überdurchschnittlicher Schmerzbelastung (7-Tage-Prävalenz □ 34,4%) ist dagegen das Bewegen, Tragen und Halten schwerer Lasten und/oder das Arbeiten in Rumpfbeugehaltung häufiger anzunehmen (Maurer, Betonbauer, technische Meister, Drucker, Klempner, Installateure, Heizungsbauer, Monteure). Überdurchschnittliche Prävalenzangaben haben aber auch Erwerbstätige aus dem Dienstleistungssektor gemacht: Im Gegensatz zu den Berufsgruppen mit meist akademischen Zugangsvoraussetzungen (Tabelle 1) finden sich in Tabelle 2 eher einfache Tätigkeiten (Lagerarbeiter, Möbelpacker, Briefträger, Reinigungskräfte, Bedienungen, Hilfsarbeiter, Alten- und Krankenpfleger). Auch für diese Berufe sind Arbeiten in unphysiologischen Körperhaltungen und/oder das regelmäßige Bewegen schwerer Gegenständen bzw. der Umgang mit bettlägerigen Patienten nicht untypisch (Schneider, Lipinski et al. 2005).
Die im Rahmen dieser Querschnittstudie erhobenen Informationen erlauben neben den Berufsangaben vertiefende Einblicke in die konkreten arbeitsplatzspezifischen Belastungsfaktoren sowie in die hierarchische Stellung des Beschäftigten. Während die Fallzahlen innerhalb der einzelnen Berufsgruppen für eine geschlechtsspezifische Stratifizierung der Daten zu gering ist, ermöglichen die im Folgenden fokussierten qualitativen Aspekte der Arbeit getrennte Analysen nach Männern und Frauen. Nach unseren Daten sind 43% aller Erwerbstätigen in Voll- oder Teilzeitbeschäftigung weiblich. Frauen weisen sowohl hinsichtlich der 7-Tage-Prävalenz (38% versus 32%) also auch hinsichtlich der Ein-Jahres- Prävalenz (62% versus 58%) signifikant (p<0.001) höhere Werte auf (Schneider, Lipinski et al. 2005). Weiterführende, an anderer Stelle publizierte Analysen zur beruflichen Stellung belegen, dass unter Männern wie auch unter Frauen die Schmerzangaben für Arbeiter und einfache Angestellte über denjenigen der leitenden Angestellten im gehobenen und höheren Dienst liegen (Schneider & Zoller 2006), wenngleich dieser Schichtgradient für Frauen weniger deutlich ausfällt (Männer: p<0.001; Frauen p=0.718). Ein ähnliches Bild zeichnet sich ab, wenn man nach dem höchsten Ausbildungsabschluss fragt:
Tab. 1: Erwerbstätige mit unterdurchschnittlicher RückenschmerzPrävalenz nach Beruf (Eigene Berechnungen zu: Erster Bundes-
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 2: Erwerbstätige mit überdurchschnittlicher Rückenschmerz
Prävalenz nach Beruf (Eigene Berechnungen zu : Erster Bundes- Gesundheitssurvey)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auch hier weisen sowohl männliche wie auch weibliche Akademiker und Abiturienten die geringsten und Hauptschüler die höchsten Beschwerde-Prävalenzen auf. Und auch bei diesem soziologischen Indikator vertikaler Ungleichheit sind die Differenzen unter den männlichen Befragten deutlicher (Männer: p<0.001; Frauen p=0.025).
Abschließend wurde die Bedeutsamkeit konkreter arbeitsplatzspezifischer Risikofaktoren für den Rückenschmerz untersucht: Demnach sind körperlich anstrengende Tätigkeiten in einseitiger Körperhaltung sowie das Tragen schwerer Lasten mit einem signifikant höheren Rückenschmerz-Risiko assoziiert (Schneider, Schmitt et al. 2005b). Erwerbstätige ohne diese Belastungen klagen deutlich seltener über Rückenbeschwerden, was sich bei Männern in einer Differenz von zwölf Prozentpunkten und bei Frauen von 13 Prozentpunkten ausdrückt. Auch Umgebungseinflüsse (wie Lärm, Belastung der Atemluft durch Staub, Gase und Dämpfe am Arbeitsplatz) scheinen mit dem Auftreten von Rückenschmerz assoziiert zu sein. Nacht- bzw. Schichtarbeit und lange Arbeitszeiten gehen dagegen nicht mit höherem Beschwerderisiko einher.
Soziale sowie lebensstilspezifische Faktoren und Rückenschmerz
In einer Serie von Publikationen (Schneider & Zoller 2006, Schneider, Schil- tenwolf et al. 2005, Schneider & Schiltenwolf 2005) wurde zunächst bivariat kontrolliert, welche Bevölkerungsgruppen eine signifikant über- und unterdurchschnittliche Schmerzbelastung aufweisen und ob die aus der Literatur bekannten sozialen und lebensstilspezifischen Risikofaktoren auch hierzulande eine empirische Entsprechung haben:
Rückenschmerzbetroffene sind im Durchschnitt eher mittleren Alters, wohnen häufiger in den alten Bundesländern und sind bezüglich Einkommen, Schulbildung und Sozialstatus (der sog. meritokratischen Triade) sozial schlechter gestellt. Zudem weisen Frauen mit einer 7-Tage-Prävalenz von 40,2% höhere Schmerzwerte auf als Männer (31,8%, p<0.05). Auch ein passiver und ungünstiger Lebensstil korreliert mit dem Risiko für Rückenschmerz: Für sportlich Inaktive, Raucher und Übergewichtige lassen sich ebenfalls höhere Prävalenzwerte nachweisen (Schneider, Schiltenwolf et al. 2005). In der weiterführenden logistischen Regressionsanalyse wurde überprüft, inwieweit diese sozialen Faktoren und der individuelle Lebensstil per se morbiditätsrelevant sind und ob sich einzelne bivariate Effekte durch die Einbeziehung und Konstanthaltung weiterer Variablen (wie beispielsweise ebenfalls sozial ungleich verteilte Arbeitsbelastungen) verändern.
Dabei zeigte sich, dass die rein deskriptiven Prävalenzunterschiede bezüglich der sozialen Integration und des Alkoholkonsumes unter Konstanthaltung möglicher konfundierender Variablen (wie beispielsweise des Berufes oder des Geschlechtes) statistisch nicht bedeutsam bleiben. Die größten Risikodifferenzen zeigen sich zwischen Männern und Frauen, West- und Ostdeutschen sowie zwischen Sportlern und Inaktiven. So bedeutet das Odds ratio von 1,41 für Frauen ein signifikant höheres Schmerzrisiko im Vergleich zur Referenzgruppe der Männer (mit einem Risiko von per defínitionem 1.00; Schneider, Schiltenwolf et al. 2005).
Präventives Verhalten und Rückenschmerz
Die Analyse des Präventionsverhaltens stellte im Rahmen unserer Arbeiten neben der Analyse arbeitplatz- und berufsspezifischer Faktoren einen zweiten Forschungsschwerpunkt dar (Schneider& Becker 2005b, Schneider & Becker 2005, Schneider, Hauf et al. 2005a, Schneider, Hauf et al. 2005b, Schneider & Schiltenwolf 2005). Hierbei war eine defizitäre und inadäquate Inanspruchnahme präventiver Maßnahmen (Rückenschulen, Freizeitsport) festzustellen.
Zunächst zu dem in der Rückenschmerz-Prävention am weitesten verbreiteten Maßnahmetyp - den Rückenschulen: Insgesamt haben nach unseren Daten in der Bundesrepublik Deutschland 7% der erwachsenen Bevölkerung innerhalb des letzten Jahres eine Rückenschule besucht. Verschiedene logistische Regressionsanalysen zeigten, dass die Teilnahmerate (bei Konstanthaltung unter anderem typischer geschlechtsspezifischer Lebensstilunterschiede) für Frauen deutlich über derjenigen der Männer liegt (OR 1,64, p<0,05). Darüber hinaus stellen die Wohnregion (OR für westdeutsche Bundesländer: 1,57, p<0,05), das Vorhandensein eines Ehepartners (OR für Ledige: 0,55, p<0,05), koinzidente sportliche Freizeitbetätigung (OR für Sportler: 2,11-3,07, p<0,05) und ein gesunder Ernährungs- und Lebensstil (OR für gesunde Ernährungsmuster: 1,64, p<0,05) die deutlichsten Korrelate der Teilnahme dar (Schneider & Schiltenwolf 2005). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der typische Teilnehmer an Rückenschulkursen weiblich, teilzeitbeschäftigt und privat krankenversichert ist und einer vergleichsweise höheren sozialen Schicht angehört. Diese typischen Teilnehmer(innen) pflegen des Weiteren einen vergleichsweise aktiven, sportlichen und gesunden Lebensstil.
In Abbildung 3 sind in Form einer Matrix Teilnahmeraten und Schmerzprävalenzen einander gegenübergestellt. Die an Abszisse und Ordinate nur grob zu schätzenden Ausgangswerte finden sich im Detail unter Schneider & Schiltenwolf (2005) publiziert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Versorgungsforschung spricht von bedarfsgerechter Versorgung, wenn durch Präventionsangebote betroffene Hochrisikogruppen tatsächlich erreicht werden (Schwartz 2002). Dies trifft für die im ersten Quadranten verorteten Bevölkerungsgruppen zu: Sie weisen sowohl eine überdurchschnittliche Rückenschmerz-Prävalenz als auch eine überdurchschnittliche Teilnahme an Rückenschulkursen auf. Exemplarisch für eine bedarfsgerechte Nutzung seien Frauen mittleren bis höheren Alters genannt (Abb. 3). Dagegen nutzen auch hoch integrierte, aktive Sportler der Oberschicht überdurchschnittlich häufig Rückenschulmaßnahmen, wenngleich deren Schmerzrisiko vergleichsweise gering ist (Abb. 3, 2. Quadrant). Schwartz bezeichnet einen solchen vergleichsweise unwirtschaftlichen Ressourceneinsatz als „ökonomische Überversorgung“ (Schwartz 2002). Vice versa besteht bei Hochrisikogruppen mit defizitärem Präventionsverhalten Handlungsbedarf. So belegen unsere Daten eine Unterversorgung insbesondere sozial schwach integrierter, bewegungsinaktiver Vollzeitbeschäftigter aus der Unterschicht (Abb. 3, 4. Quadrant).
Insgesamt lässt sich also resümieren, dass die Teilnahme an Rückenschulkursen unter Personen mit erhöhtem Rückenschmerzrisiko (beispielsweise unter Vollzeitbeschäftigten, isoliert Lebenden, unteren Sozialgruppen und Personen mit ungesundem Lebensstil) signifikant geringer ist.
Unsere zuvor dargelegten Daten (Schneider, Schiltenwolf et al. 2005, Schneider & Schiltenwolf 2005) belegen eine deutliche Korrelation zwischen sportlicher Aktivität und dem Auftreten von Rückenschmerz (Schneider & Zoller 2006). Zum einen wirkt regelmäßige sportliche Betätigung präventiv bezüglich zahlreicher Erkrankungen (Eyler, Brownson et al. 2003, Sacco, Gan et al. 1998, US Departement of health and human Services 1996) und reduziert gesundheitliche Risikofaktoren (wie etwa Adipositas und Hypertonie; Eyler, Brownson et al. 2003, Lee & Paffenbarger 2000, Pate, Pratt et al. 1995). Zum anderen - und in diesem Zusammenhang relevanter - hat eine adäquate sportliche Betätigung direkte und indirekte Effekte hinsichtlich der Rückenschmerz-Prophylaxe.
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- Arbeit zitieren
- Dr. Sven Schneider (Autor:in), André Matthias Müller (Autor:in), Josef Galert (Autor:in), 2013, Endlich frei von Rückenschmerzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263663
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