Umfassende kunstgeschichtliche Analyse zweier Bauten des frühen englischen Klassizismus: Banqueting House und Queens House. Ihr Architekt, Inigo Jones, gilt als einer der Pioniere des englischen Klassizismus und einer dazu gehörigen, in Italien rezipierten Unterströmung, des Palladianismus. Insbesondere Jones' bauliche Umsetzung und Formensprache des Palladianismus, aber auch die architektonische und politische Wirkung dieser beiden Bauten (Banqueting House als Hinrichtungsort des Stuartkönigs Charles I !) erhalten in dieser Hausarbeit besonderer Beachtung.
Inigo Jones, der erste und wohl bedeutende Architekt des englischen Klassizismus1, wurde am 15 Juli 1573 in London geboren. Über seine Jugend existieren keine einheitlichen Berichte, es wird berichtet, dass er bei einem Schreiner, Tuchmacher oder auch Maler in die Lehre gegangen ist. Recht sicher ist, dass Inigo Jones keiner gehobenen Bevölkerungsschicht entspringt, seine Familie besaß keinen Einfluss und er genoss wenig Bildung.2
Die Tatsache, dass Jones trotz dieser Umstände um 1600 eine erste Studienreise nach Italien unternahm3 und damit eine Berührung zum Kontinent schuf, mag der Grundstein sowohl seiner persönliche Karriere, als auch einer weitreichenden architektonischen Entwicklung in England gewesen sein4. Zu einer Zeit, in der kaum ein Bruchteil der Bevölkerung zur Zeit ihres Lebens über die Landesgrenzen hinaus kam, hielt sich Jones am Hoftheater der Medici in Florenz auf und kam in Kontakt mit klassizistischen Baustilen, deren Einführung und Verbreitung in Großbritannien er selbst initiieren sollte.5
Welche Merkmale als charakteristisch für den Palladianismus zu werten sind und vor allem, wie Inigo Jones diesen in seiner Baupraxis umsetzt, soll Thema dieser Hausaufgabe sein. Als Untersuchungsgegenstände dienen zwei seiner frühesten Entwürfe bzw. Bauwerke in London, nämlich Queen’s House und Banqueting House. Ihr Gesamtkonzept soll ebenso wie besondere Details betrachtet werden und in Zusammenhang mit ihrer Wirkung und Bedeutung sowohl auf architektonischer, als auch politischer Ebene über die Jahrhunderte hinweg bis heute gebracht werden.
Nach einer ersten Anstellung als Bühnenbildner am Hof von James I unternahm Inigo Jones von 1613 bis 1614 gemeinsam mit Thomas Howard, dem Lord Arundel, eine weitere Studienreise nach Italien und Frankreich. Das Ziel von Jones und seinem Begleiter bzw. Förderer, einem einflussreichen Kunstsammler, war es, neue Kunstformen zu finden und sowohl die klassische römische Architektur, als auch die Kopien der europäischen Renaissance zu studieren.6 7 Besonders beeindruckt war Inigo Jones hierbei von Andrea Palladio, einem italienischen Architekten von Kirchen und Villen in Venetien, welcher später zum Modearchitekten der venezianischen Adels aufsteigen sollte.8 Vor allem mit seinem Buch „Il quattro libri dell'architettura“, welches 1570 in Venedig herausgegeben wurde, übte dieser einen großen Einfluss auf seine Nachwelt aus und wurde mit Recht der Namensgeber einer neuen architektonischen Strömung – des Palladianismus. Das anschaulich gestaltete Werk ermöglichte es auch Laien und Liebhaberarchitekten, sich an Entwürfen nach der Art Palladios zu versuchen, dessen Baustil vorwiegend klassizistisch geprägt war.9 Der sich daraus entwickelnde Stil des Palladianismus trägt als Hauptmerkmale klare Formengebung und einfache Kompositionsprinzipien, welche auf gut fassbaren Regeln basieren. Die klassizistischen Formen sind strenger und reduzierter als die des als „katholisch“ empfundenen römischen Barocks, bewegte Umrisse oder ein konkav-konvexes Fassadenrelief werden hierbei beispielsweise nicht zu finden sein. Stattdessen erfolgt eine klare, betont antikisierende Verwendung der klassischen Bauformen, welche in ihrer Ausführung derart aufeinander abgestimmt sind, dass sie den Eindruck des Absoluten, Unveränderbaren erwecken.10 11
Zurückgekehrt von seiner Reise, wurde Inigo Jones zum „Surveyor of the King’s Work“ ernannt, einem Titel, welcher dem eines Generals nahe kommt und ihm die Oberaufsicht über alle baulichen Belange des Hofes zukommen lässt. Dass sich seit dieser Ernennung das Königshaus in einer finanziell schwierigen Lage befunden hat, mag wohl der Grund dafür sein, dass von einer großen Anzahl von Plänen insgesamt nur um die vierzig Bauwerke Inigo Jones’ ausgeführt und davon noch weniger erhalten sind.12
Jones’ erstes großes Bauprojekt, The Queen’s House, wurde schon im folgenden Jahr entworfen, allerdings erst 1635 fertig gestellt. Nachdem James’s Ehefrau Anne von Dänemark, für welche das Haus geplant war, schon kurz nach Baubeginn verstarb, wurde der Bau fünfzehn Jahre lang verschoben. Erst 1630 begann Jones wieder mit der Arbeit an Queen’s House, diesmal für James’ zweite Ehefrau Königin Henrietta Maria, welche den Bau als Rückzugsraum vom Palace of Placienta für ihre engere Hofgesellschaft nutzte. Bemerkenswert ist hierbei, dass zwischen dem ursprünglichen Plan und der endgültigen Ausführung keine wesentlichen Veränderungen bestehen – trotz fünfzehn Jahren Baupraxis scheint Jones keinen Grund gesehen zu haben, die ehemaligen Entwürfe zu überarbeiten.13
Queen’s House befindet sich in Greenwich und weist eine große architektonische Besonderheit auf. Während sich ein Teil im Palastbezirk befindet, liegt der andere Teil im Greenwich Park. Die Trennung dieser beiden Bezirke stellte eine öffentliche Straße dar – welche nach englischem Recht für den Bau dieses Hauses verlegt oder entfernt werden durfte.14 Das Haus dennoch gerade an dieser Stelle zu errichten – nicht etwa komplett in einem der beiden Bezirke, wo jeweils nicht das Problem der Straße aufgetreten wäre – muss eine Herausforderung gewesen sein, welche Inigo Jones gerne annahm und mit der typischen Absolutheit seiner Werke beantwortete.
Sehr wahrscheinlich inspiriert durch die Villa des Lorenzo di Medici in Poggio a Caiano schuf er eine besondere, zweiteilige Ausführung. Wie bei der Medici-Villa gibt es zwei, theoretisch getrennt voneinander existierbare Teile, zwischen denen die öffentliche Straße verläuft. Überquert wird diese im ersten Stockwerk durch eine verdeckte Brücke, welche sie gewissermaßen in der Mitte zwischen beiden Gebäudeteilen „überdacht“.
Im Norden, der Seite, welche zum Palace of Placienta ausgerichtet ist, befindet sich der – überraschend schmale und fast privat anmutende - Eingang über einer, ebenso bei der Medici-Villa auffindbaren, geschwungenen Außentreppe. Aufgrund des Höhenversatzes der beiden Hausteile führt diese Treppe auf ein terrassenartiges Podest in ca. zweieinhalb Metern Höhe, von welchem aus das Haus ohne weitere Stufen betreten kann.
Die Südseite dagegen befindet sich ebenerdig zum Park und weist im Erdgeschoss ebenso nur eine einzige Tür als Ausgang auf, dafür aber im Obergeschoss eine große überdachte Loggia, welche mit ihren sechs Säulen zur Parkseite hin auch von Lorenzo di Medici inspiriert sein mag. Auch sie gilt als Merkmal Palladios, welcher bevorzugt durch Kolonnaden und Loggien einen Gegensatz zwischen Geschlossenheit und Ausweitung des Baukörpers schuf.15
Die Fassade des zweistöckigen Hauses besteht aus weißem Portland-Kalkstein, welcher das verhältnismäßig kleine Queen’s House im Kontrast zum – tatsächlich viel größeren – Palace of Placienta aus rotem, recht unscheinbarem Backstein stark hervorhebt. Die einzelnen Stockwerke sind optisch durch ihre Bearbeitung getrennt: ist das Obergeschoss unstrukturiert durch glatten Stein, hebt sich das Untergeschoss durch die strukturierte Rustika davon ab. Das Dach weist die für diese Zeit übliche Zierbrüstung auf, davon abgesehen jedoch ist die gesamte Außenansicht nach palladianischer Art reduziert und klar strukturiert gehalten – im Vergleich zu den üppigen Zeitgenössischen Bauten des englischen Barock fast unerhört einfach. 16 17
Die teils monumentalen Innenräume von Queen’s House sind ebenso konsequent in ihrer Ausführung wie die äußere Gestaltung. Alle Räume basieren auf Quadratischen Grundformen und erhalten ihre verschiedenen Größen nur durch Duplikationen der kubischen Formen – so auch die 44 Fuß, also je ca. 13m lange bzw. breite, quadratische Halle in dem nördlichen Gebäudeteil18. Sie dient zugleich auch als repräsentativer Eingangbereich im Erdgeschoss und dehnt sich über beide Stockwerke aus, indem keine Decke zum Obergeschoss vorhanden ist, stattdessen jedoch eine Galerie im ersten Stock rundum führt und die Räume des Obergeschosses miteinander verbindet. Sämtliche Private Räume wie Schlafzimmer und Ankleidezimmer befinden sich auch dort.19
Die Einrichtung von Queen’s House wurde stets schlicht gehalten, die Räume wirken nie überladen, eher überraschend leer. Sie alle sind immer in das Gesamtkonzept des Hauses einbezogen, was beispielsweise am Fußboden der Loggia und der Halle gut sichtbar ist. Beide Böden sind gleich gefliest in einem diagonal zum den Wänden verlaufenden, schachbrettartigem Muster aus Schwarz und Weiß. In der Halle greift der Fußboden zusätzlich die Struktur der Deckengestaltung auf. Die Kassettierung der Decke in neun rechteckige Elemente, von denen die fünf quadratischen Teile – vier Eckelemente sowie das größte, mittige – zusätzlich einen Kreis im Inneren aufweisen – entspricht exakt der Gestaltung des Fußbodens, er ist gewissermaßen der Spiegel der Decke. Würde man rein theoretisch den gesamten Raum umkehren, ergäbe sich ein ähnlicher Anblick – auch wieder mit der Brüstung der Galerie als trennende Mittellinie. Gerade diese detaillierte Ausarbeitung solch sparsamer Akzente mag es sein, welche nach Palladio-Art den „Eindruck des Absoluten“20 bei den Werken Inigo Jones’ hervorruft.
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- Vivien Lindner (Author), 2010, Inigo Jones: The Banqueting House & The Queen’s House, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263597
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