Das Gärtnern in der Stadt erlebt eine Blüte. Es entstehen Gärten als Orte der Begegnung oder auch zum Austausch von landwirtschaftlichem Wissen. Der Garten in der Stadt bietet den Menschen längst nicht mehr nur Rückzug und Erholung, sondern avanciert zu einem Ort, an dem sich mit der Umwelt auseinandergesetzt und Nachbarschaft belebt wird. Verschiedenste Akteure suchen die Begegnung mit der Natur, den Bezug zum Lokalen und den Austausch mit Gleichgesinnten.
Dieses neue Gärtnern in der Stadt wird unter dem Begriff des Urban Gardening gefasst und findet weltweit Zulauf. Gleichermaßen wächst das Interesse, sich mit dieser Erscheinung auseinanderzusetzen. Die Arbeit betrachtet deshalb die spezifischen Funktionsweisen sowie die Motivationen und Anliegen der Akteure genauer. Welche Rolle kommt den Gärten und ihren Initiatoren jeweils zu?
Mittels einer empirischen Untersuchung von exemplarisch ausgewählten Leipziger Gartenprojekten mit gemeinschaftlicher Orientierung wurden Antworten auf diese Fragen in Anlehnung an die Grounded Theory Methodologie erarbeitet und diskursiv analysiert.
Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung
1 Rahmenbedingungen
1.1 Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft
1.1.1 Zum Leitbild des ,aktivierenden Staates'
1.1.2 Von Government zu Governance
1.1.3 Das Leitbild ,Bürgerkommune'
1.1.4 Bürgerschaftliches Engagement im Wandel
1.1.5 Partizipation und Kooperation
1.2 Zwischennutzung und Raumpioniere
1.2.1 Begriffsbestimmung Zwischennutzungen
1.2.2 Raumpioniere als Schlüsselakteure von Zwischennutzungen
1.2.3 Weitere Schlüsselakteure der Zwischennutzungen
1.2.4 Rechtliche Aspekte von Zwischennutzungen
1.3 Zusammenfassung
2 Der Garten in der Stadt
2.1 Historische Entwicklung von urbanen Gärten
2.1.1 Die Entwicklung vom Mittelalter bis zur ,Gartenstadt'
2.1.2 Die Geschichte der Kleingärten – von Schreber bis heute
2.2 Urban Gardening: ein neuer Typ städtischen Gärtnerns
2.2.1 Begriffsbestimmung Gemeinschaftsgarten
2.2.2 Geschichte der Community Gardens in New York City
2.2.3 Weitere Formen städtischen Gärtnerns
2.2.4 Gemeinschaftsgärten als Orte gesellschaftlicher Aushandlungen
2.2.5 Gemeinschaftsgärten als temporäre Nutzung
2.3 Zusammenfassung
3 Gemeinschaftsgärten in der Stadt Leipzig
3.1 Situation und Entwicklung Leipzigs
3.1.1 Integrierte Stadtentwicklungsplanung in Leipzig
3.1.2 Sanierungsgebiete Leipziger Osten und Leipziger Westen
3.1.2.1 Sanierungsgebiet Leipziger Osten
3.1.2.2 Sanierungsgebiet Leipziger Westen
3.1.3 Freiraumentwicklung und Brachflächenrevitalisierung
3.1.3.1 Brachflächenmanagement
3.1.3.2 Zwischennutzung von Brachflächen & Gestattungsvereinbarungen
3.2 Gärten in Leipzig
3.2.1 Annalinde
3.2.2 Nachbarschaftsgärten
3.2.3 Querbeet
3.2.4 Übergeordnete gärtnerische Aktivitäten
3.3 Zusammenfassung
4 Untersuchung der Gemeinschaftsgärten in Leipzig
4.1 Methodik der Untersuchung
4.1.1 Datenerhebung mittels leitfadengestützer Experteninterviews
4.1.2 Datenauswertung in Anlehnung an die Grounded-Theory-Methodologie
4.2 Analyse und Interpretation der Experteninterviews
4.2.1 Zum Selbstverständnis der Gemeinschaftsgärten
4.2.2 Zum Selbstverständnis der kommunalen Akteure
4.2.3 Interdependenzen zwischen Gemeinschaftsgärten und Stadtverwaltung
4.2.4 Gemeinschaftsgärten als Zwischennutzungen
5 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Transkriptionszeichen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
0 Einleitung
Derzeit erlebt das Gärtnern in der Stadt eine Blüte. Man begegnet dem Phänomen in den unterschiedlichsten Formen. Da gibt es Personen, die Patenschaften für Baumscheiben übernehmen und diese mit Pflanzungen aufwerten. Es gibt Initiativen, wie die weltweit verbreiteten Guerilla Gardeners, die z.B. mit Seedballs Grünes und Buntes auf Dächer oder Brachflächen katapultieren. Es entstehen Gärten als Orte der Begegnung oder auch zum Austausch von landwirtschaftlichem Wissen. Der Garten in der Stadt bietet den Menschen längst nicht mehr nur Rückzug und Erholung, sondern avanciert zu einem Ort, an dem sich mit der Umwelt auseinandergesetzt und Nachbarschaft belebt wird. Auch die Gärtner verändern sich. Zum klassischen Gärtner, der seine Scholle im Kleingartenverein bestellt, gesellen sich mittlerweile Menschen aus unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen. Der Garten wird insbesondere für jüngere Städter zum Ausdruck für veränderte Konsumhaltungen und einen sensibleren Umgang mit Umweltthemen (vgl. Madlener 2009: 15ff.). Die Autorin Christa Müller fasst diese aktuellen gärtnerischen Phänomene unter dem Begriff Urban Gardening zusammen und beleuchtet diese im Sammelwerk ,Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt' (2011) gemeinsam mit anderen Autorinnen und Autoren eingehend. Hier suchen verschiedenste Akteure die Begegnung mit der Natur, den Bezug zum Lokalen und den Austausch mit Gleichgesinnten. Das Anliegen der zivilgesellschaftlichen Akteure scheint aktive Teilhabe und dadurch das Erreichen, nicht nur von Selbst-, sondern auch von Mitbestimmung in gesellschaftlichen Aushandlungen zu sein.
Aber auch Akteure aus Politik und Verwaltung haben ein Interesse an dieser Entwicklung. Durch finanzielle Engpässe, die die Erbringung öffentlicher Leistungen seitens der Kommune stark einschränken, rückt deren Koproduktion durch die Bürgerschaft vermehrt in den Fokus. Wenn der Bürger durch freiwilliges Engagement zur Grünversorgung und dabei gleichzeitig zur Verwertung ungenutzt liegender Flächen beitragen kann, wird der Trend Urban Gardening vor allem für Städte, die sich unter Schrumpfungsbedingungen mit einem Überschuss an brach liegenden Flächen konfrontiert sehen, besonders interessant.
Während vielerorts Gärten aus dem Boden sprießen, wächst gleichzeitig das Interesse, sich mit dieser Erscheinung auseinander zusetzen, dessen spezifische Funktionsweisen, die Motivationen und Anliegen der Akteure genauer zu betrachten und dabei zu fragen, welche Rolle den Gärten und ihren Initiatoren zukommt. Mit diesem Forschungsinteresse möchte ich mich in der vorliegenden Arbeit eben diesem Phänomen des Urban Gardening – den neuen urbanen Gemeinschaftsgärten – widmen. In meiner Profession als Kulturpädagogin ist mir die Vermittlung städtischer Umwelt als direkter Lebensraum des Menschen ein starkes Anliegen. Da diese neuen Gärten offensichtlich als Orte der Aushandlung spezifischer, aber auch allgemeingültiger gesellschaftlicher Themen fungieren, scheint es aus meiner Perspektive notwendig die Vorgänge und Dynamiken dieser grünen Räume sowohl als Mittler diverser Themen sowie als Labore für unterschiedlichste Lebensentwürfe und Gesellschaftsmodelle zu betrachten. Dieses Interesse wird zudem durch meine persönliche Beziehung, die ich als aktive Gärtnerin hege, befördert. Daraus ergibt sich für mich ein äußerst spannender Anknüpfungspunkt, von dem ausgehend ich die Möglichkeit nutzen möchte, mein berufliches Interesse und mein persönliches Anliegen weiterzuentwickeln, auf einer theoretisch-analytischen Ebene zu verorten und in einem wissenschaftlichen Diskurs näher zu erforschen.
Forschungsinteresse und Methode
Im Genauen möchte ich mich in dieser Arbeit der Frage widmen, welche Rolle diese neuen Gemeinschaftsgärten in städtischen Entwicklungsprozessen einnehmen. Um sich dieser übergeordneten Fragestellung anzunähern, sollen folgende Forschungsfragen untersucht werden:
- Welches Selbstverständnis haben die Akteure der untersuchten Garteninitiativen? Welche Ziele verfolgen sie im Kontext von städtischen Entwicklungen?
- Welche Interdependenzen bestehen zwischen den Gemeinschaftsgärten und der Stadtverwaltung?
- Welche Rolle spielen diese Gemeinschaftsgärten im Umgang mit Brachflächen und deren Nutzung?
Mittels einer empirischen Untersuchung von exemplarisch ausgewählten Leipziger Gartenprojekten mit gemeinschaftlicher Orientierung, sollen Antworten auf diese Fragen erarbeitet werden. Diese Forschung an Beispielen aus einer Stadt durchzuführen, bietet den Vorteil, von städtischen Rahmenbedingungen ausgehen zu können, die für alle Projekte gleichermaßen Gültigkeit besitzen. Die zu untersuchenden Gemeinschaftsgartenprojekte befinden sich in den Sanierungsgebieten Leipziger Westen und Leipziger Osten. Dabei handelt es sich im Genauen um folgende Gemeinschaftsgärten:
- Nachbarschaftsgärten e.V.,
- Annalinde sowie
- Querbeet.
Die Methode der Untersuchung gliedert sich in den Teil der Datenerhebung und den der Datenanalyse. Die Datenerhebung basiert auf von mir entworfenen und durchgeführten leitfadengestützten Experteninterviews (vgl. Meuser/Nagel 2005, Pfandehauer 2005). Diese Interviews werden mit Schlüsselakteuren der Gemeinschaftsgartenprojekte sowie mit thematisch involvierten Vertretern der Stadtverwaltung Leipzig durchgeführt. Ansprechpartner dafür sind das Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW) sowie das Amt für Stadtgrün und Gewässer (ASG). Das erhobene Datenmaterial wird in Anlehnung an die Grounded Theory Methodologie hinsichtlich der vorab formulierten Forschungsfragen diskursiv analysiert.
Aufbau der Arbeit
Die Arbeit gliedert sich in Hinblick auf die thematische Bearbeitung der Fragestellungen wie folgt: Zunächst werden im ersten Kapitel Hintergründe und Entwicklungen in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft erörtert, die den Kontext für die Untersuchung von urbanen Gemeinschaftsgärten in städtischen Entwicklungsprozessen herstellen. In diesem Zusammenhang werden Veränderungen von staatlichen Leitbildern und deren Niederschlag in Verwaltungsmodellen betrachtet. Diese Transformationen sind zum Teil ökonomisch motiviert, reagieren aber auch auf gesellschaftliche Veränderungen, wie den Wandel von Lebensweisen und Wertvorstellungen. Diese Tendenzen werden anhand der Diskussion um bürgerschaftliches Engagements beleuchtet und in Verbindung zu politischen und administrativen Vorgängen gebracht. Da es sich bei Gemeinschaftsgärten in den meisten Fällen (zunächst) um temporäre Nutzungen von zuvor brachliegenden Flächen handelt, liegt im zweiten Teil des ersten Kapitels der Schwerpunkt auf der Thematik der Zwischennutzung als einer Umgangsform mit Stadtbrachen, auf den verschiedenen Akteursgruppen mit ihren spezifischen Motiven und Interessen sowie auf den notwendigen rechtlichen und formalen Rahmenbedingungen.
Im zweiten Kapitel rückt der Garten in der Stadt in den Fokus. Dabei wird zunächst die historische Entwicklung städtischen Grüns von der Schrebergarten -Bewegung bis zur Gartenstadt betrachtet, um anschließend die Gemeinschaftsgärten als Garten neuen Typs vertiefend zu beleuchten. Neben der Definition des Begriffs Gemeinschaftsgarten, wird die Geschichte dieses Gartentyps nachgezeichnet. Anschließend werden andere zeitgemäße Gartentypen in Abgrenzung zum Gemeinschaftsgarten vorgestellt. Schließlich wird die Rolle der urbanen Gemeinschaftsgärten als gesellschaftliche Aushandlungsorte sowie als temporäre, beschränkte Nutzungsform betrachtet.
Im Anschluss daran widmet sich das dritte Kapitel der Stadt Leipzig, als Ort der Untersuchung. Hier werden die stadträumlichen Zusammenhänge und Rahmenbedingungen, aber auch die strategischen Überlegungen seitens Stadtpolitik und -verwaltung sowie deren Umsetzung und Entwicklung betrachtet. Dabei werden insbesondere die Fördergebiete Leipziger Westen und Leipziger Osten, in denen sich die drei untersuchten Gemeinschaftsgärten befinden, eingeführt. Im nächsten Schritt werden die Gemeinschaftsgärten selbst vorgestellt. Dabei werden anhand der empirischen Daten jeweils ihre Entstehungsgeschichten sowie die Motivationen und Ziele der Akteure erörtert. Darüber hinaus werden die spezifischen Organisationsstrukturen der Projekte dargestellt.
Im vierten Kapitel folgt die Untersuchung nach den Prämissen der qualitativen Sozialforschung. Zunächst wird dabei auf das Vorgehen bei der Datenerhebung eingegangen. Die Auswertung des Datenmaterials erfolgt in Anlehnung an die Grounded-Theory-Methodologie (Glaser/Strauss 1967). Diese Vorgehensweise beinhaltet die Anfertigung von Memos, die parallel zum gesamten Forschungsprozess formuliert werden und die Generieung von theoretischen Konzepten, Kategorien und Hypothesen unterstützen. Durch die fortlaufende Überprüfung und Überarbeitung können schließlich theoretische Dimensionen abgeleitet und formuliert werden.
Formal ist anzumerken, dass bezüglich des geschlechtlichen Sprachgebrauchs der einfachen Lesbarkeit halber die männliche Form verwendet wird, wobei jedoch beide Geschlechter gemeint sein sollen.
1 Rahmenbedingungen
In diesem ersten Kapitel werden den Untersuchungsgegenstand betreffend, zentrale Themen eingeführt und diskutiert. Dabei konzentriert sich die Arbeit auf Entwicklungen von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft in Europa und, da sich die Untersuchung auf urbane Gemeinschaftsgärten in Leipzig richtet, insbesondere Westeuropa. Da das Verhältnis zwischen kommunaler Verwaltung und urbanen Gemeinschaftsgärten untersucht wird, beleuchtet dieses Kapitel zum einen politische, administrative und zivilgesellschaftliche und zum anderen stadträumliche Hintergründe. Somit wird im ersten Teil anhand von Leitbildern, Reformmodellen und der Diskussion um die Rolle des Bürgers und dessen Teilhabe an städtischen Entwicklungsprozessen eine Verhältnisbestimmung zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft vorgenommen (1.1). Da in räumlicher und rechtlicher Hinsicht die urbanen Gemeinschaftsgärten überwiegend als (zunächst) temporäre Nutzungen angelegt sind, werden im zweiten Teil des ersten Kapitels die Bedingungen und Bedeutungen von Zwischennutzung thematisiert (1.2).
1.1 Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft
Zunächst sollen in diesem ersten Teil Transformationen im Dreiecksverhältnis Staat, Markt und Zivilgesellschaft betrachtet werden. Dabei werden anfangs politische und staatliche Rahmenbedingungen in ihrer Entwicklung nachgezeichnet, wobei im Zentrum das Leitbild des ,aktivierenden Staates' stehen soll (1.1.1). Der Wandel hin zu diesem staatlichen Leitbild in den 1990er Jahren wirkte sich auch auf städtisch-kommunaler Ebene aus, welche im Hinblick auf kommunales Handeln (1.1.2) und im speziellen mit dem Leitbild der ,Bürgerkommune' betrachtet werden soll (1.1.3). Durch die Wechselwirkungen zwischen Staat und Gesellschaft ist es ebenso von Interesse den Blick auf parallel stattfindende zivilgesellschaftliche Prozesse zu lenken. Insbesondere die Debatte um bürgerschaftliches Engagement, die Neubewertung des Begriffs und dessen stärkere Gewichtung, soll in diesem Zusammenhang betrachtet werden (1.1.4). Inwiefern die Bürgerschaft im Kontext dieses Wandels Teilhaber in Aushandlungsprozessen und Koproduzent städtischer Aufgaben ist, wird im Anschluss diskutiert (1.1.5).
1.1.1 Zum Leitbild des ,aktivierenden Staates'
Staatliche Leitbilder können als Spiegelbilder staatlichen Handelns verschiedener Zeiträume verstanden werden da mittels dieser strategische Ziele beschrieben und das Selbstverständnis der Regierung zum Ausdruck gebracht werden. Marc Jan Beer weist darauf hin, dass diese Leitbilder nicht zwingend Deckungsgleichheit mit der Realität haben, sondern als Zielvorstellungen der Zukunft zu verstehen seien (vgl. 2011: 52f.).
Durch die fordistische Krise der 1970er Jahre ausgelöst, etablierte sich seit Mitte der 1970er Jahre das Leitbild des ,schlanken Staates'. Dieses Modell fokussierte nicht das Markt-, sondern das Staats- und Bürokratieversagen und wurde von der Idee getragen, Politik und Verwaltung zunehmend zu trennen (vgl. ders.: 56). Um die „Ziele der Verwaltungsvereinfachung, Entbürokratisierung und Entstaatlichung“ (ebd.) zu verwirklichen, orientierte man sich an privatwirtschaftlichen Modellen und Erfahrungen und übertrug deren Managementkonzepte „auf den öffentlichen Sektor“ (ders.: 57). Marit Rosol betont, dass dieses Modell des ,schlanken Staates' jedoch „keinesfalls als Rückzug des Staates missverstanden werden“ (2006: 65) dürfe. Vielmehr sei versucht worden, einerseits die Regierungshoheit in Kernbereichen wie innere und äußere Sicherheit auszubauen und andererseits bei „den ,der Gesellschaft' überantworteten Bereichen“ (ebd.) die Regierungshoheit dennoch weiterhin zu erhalten.
Dieses Leitbild hielt sich bis in die 1990er Jahre und wurde dann von dem des ,aktivierenden Staates' abgelöst, dessen enge Verbindung mit modernen sozialdemokratischen Konzepten von Beer betont wird (vgl. 2011: 58). Der ,aktivierende Staat' wurde als Reformleitbild der rot-grünen Bundesregierung in der Amtszeit von 1998 bis 2005 teil ihres Regierungsprogramms (vgl. Rosol 2006: 56). Beer sieht in dem Leitbild ein „Modernisierungskonzept[, welches] […] auf die Bewahrung staatlicher Handlungsfähigkeit trotz ‚knapper‘ Haushaltskassen“ (2011: 57) setzt, wodurch das „Verhältnis[...] von Staat, Markt und Zivilgesellschaft“ (ebd.) neu bestimmt werde. In diesem Kontext beschwor die rot-grüne Bundesregierung eine „Neue Verantwortungsteilung“ (Bundesregierung 1999: 2), die sie folgendermaßen formulierte:
„Zum einen bleibt es bei der Verpflichtung des Staates, Freiheit und Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger als Kernbereich in seiner alleinigen Verantwortung zu schützen (z. B. innere Sicherheit, Rechtsschutz, Finanzverwaltung). Daneben gibt es einen großen Bereich anderer, bisher als öffentlich angesehener Aufgaben, die sichergestellt, aber nicht unbedingt durch staatliche Organe selbst durchgeführt werden müssen. In diesem Bereich muss der Staat jedenfalls die Erfüllung der Aufgaben gewährleisten.“ (ebd.)
Auch hier werden, wie im Leitbild des ,schlanken Staates', innere Sicherheit sowie Rechtsschutz und Finanzverwaltung als Kernaufgaben der Regierung beschrieben. In allen weiteren Bereichen soll der Staat aktivierend auf gesellschaftliche Akteure einwirken, um die Leistungserbringung weiterhin abzudecken. Folglich bringt die damalige Bundesregierung zum Ausdruck, dass „eine neue Balance zwischen staatlichen Pflichten und zu aktivierender Eigeninitiative und gesellschaftlichem Engagement“ (ebd.) herzustellen sei. Der Staat begreife sich zunehmend in einer Rolle als „Moderator und Aktivator gesellschaftlicher Entwicklungen“ (ebd.), wodurch es zur Aufgabe werde „die Selbstregulierungspotentiale der Gesellschaft zu fördern und ihnen den notwendigen Freiraum zu schaffen.“ (ebd.) In diesem Konzept werden – so Gunnar Folke Schuppert – „Grundgedanken des Konzeptes der Verantwortungsteilung auf[genommen]“ (2001: 186). In Abgrenzung zum ,schlanken Staat' und dessen negativer Zielbestimmung in der Staatsentlastung sehen Beer wie auch Schuppert in den Konzepten Aktivierung und Verantwortungsteilung die Möglichkeit einer positiven Zielrichtung im Zuge der Staatsreform (vgl. Beer 2011, 58; Schuppert 2002: 186). Die Verantwortungsteilung soll laut Schuppert durch die Bündelung der Kräfte von Staat und „selbststeuerungsfähiger Gesellschaft“ (2002: 186) verwirklicht werden, wobei er das Verhältnis zwischen aktivierendem Staat und Zivilgesellschaft als eines des „gegenseitigen Aufeinander-Einwirkens, ein Prozessverhältnis also“ (ders.: 187) versteht. Ein zweiter Aspekt liegt in der vermehrten Bürgerorientierung, wobei der Bürger „als gleichberechtigter Partner bei der Wahrnehmung von Aufgaben für das Gemeinwohl“ (Bundesregierung 1999: 3) angesehen wird. Der Wandel zum ,aktivierenden Staat' hängt also sehr stark mit der Debatte um bürgerschaftliches Engagement zusammen (vgl. Rosol 2006: 56). Der Diskurs um die Rolle des Bürgers und des bürgerschaftlichen Engagements wird unter Kapitel 1.1.4 beleuchtet. Zunächst wird die Entwicklung der Ebene städtisch-kommunalen Handelns in Abhängigkeit zu den hier beschriebenen staatlichen Veränderungen zum Gegenstand.
1.1.2 Von Government zu Governance
Die Transformationen in Hinblick auf Regierungsleitbilder sowie sich verändernde Rahmenbedingungen erforderten die Reformation und Modernisierung der Verwaltungsstrukturen. Die 1990er Jahre wurden insbesondere vom Gedanken des „Management als Reformkonzept“ (Beer 2011: 58) dominiert, wobei Beer darauf hinweist, dass es demgegenüber gleichzeitig eine kritische Haltung in Deutschland gegeben habe. Nichtsdestotrotz sei „[d]ie Überzeugungskraft des privatwirtschaftlichen Modells“ so stark gewesen, dass die Debatte der Verwaltungsmodernisierung davon maßgeblich geprägt wurde. In Deutschland sei das Reformmodell des ,Neuen Steuerungsmodells' (NSM)[1] ein elementarer Bestandteil in der Diskussion gewesen, so Werner Jann (vgl. 2011: 99). Abgeleitet vom Modell des ,New Public Management' (NPM) der 1980er Jahre, entstand das NSM als Antwort auf die Krise der kommunalen Haushalte als ein Leitbild der „schlanke[n] kundenorientierte[n] Verwaltung“ (Bogumil/Holtkamp 2011: 177). Ziel dessen war es, knappe Mittel durch „eine Verbesserung der internen Steuerungsmechanismen des öffentlichen Sektors effizienter einzusetzen.“ (Deutscher Bundestag 2002: 340) Die Kritik am NSM bezog sich darauf, dass sich betriebswirtschaftliche Managementkonzepte nicht ohne weiteres in öffentlichen Verwaltungen anwenden ließen, da deren „Aufgaben, Strukturen und Verfahren“ (Beer 2011: 58) weit komplexer und differenzierter seien. Jann unterstreicht dies, indem er die grundlegenden Unterschiede zwischen der Sphäre der Ökonomie „mit Prinzipien wie Markt, Wettbewerb, Eigentumsrechten“ (2011: 106) einerseits und Politik und Verwaltung „mit Prinzipien wie Regelbindung, Hierarchie, Gleichbehandlung“ (ebd.) andererseits betont. Diese Gegensätze dürften „nicht verwischt werden“ (ebd.). Ein weiterer Kritikpunkt ziele auf die, dem Bürger zugeschriebene Rolle ab. Dieser wird hier vornehmlich als Kunde oder Konsument betrachtet, woraufhin verstärkt Klagen über unzureichende Bürgerorientierung laut wurden (vgl. Deutscher Bundestag 2002: 340).
In der Folge kam es zunehmend zur Desillusionierung durch Managementkonzepte, die in Beers Augen zum „Aufstieg des Governance-Konzeptes“ (2011: 59) beitrug. Mit Blick auf den Umgang mit dem Begriff Governance gibt Klaus Selle zu bedenken, dass man diesen „in erster Linie zu analytischen Zwecken“ (2012: 28) nutzen sollte und nicht „wie dies gelegentlich geschieht, als Kennzeichnung vermeintlicher Veränderungen oder als Norm“ (ebd.). Auch Rosol attestiert dem Begriff Governance vor allem eine hilfreiche „analytisch-empirische Kategorie“ zu sein, „um Veränderungen auch von städtischer Politik untersuchen zu können.“ (2006: 63) In Abgrenzung zum Government-Ansatz als „traditionelle[...] staatliche[...] Steuerungsform[...]“ (Brand 2004: 111) seien durch das Konzept Governance „dezentrale, netzwerkartige Formen“ (ebd.) der Steuerung aufgekommen. Dabei würden laut Ulrich Brand „traditionelle Grenzziehungen zwischen Staat und Gesellschaft, Politik und Ökonomie überw[u]nden und neue Mechanismen kooperativen Handelns und des Ausgleichs konfligierender Interessen bereit[ge]stell[t].“ (ebd.) Der Begriff Governance sei kein fertiges Modell, sondern prozessual zu verstehen, wie Selle betont. Mit Blick auf die unterschiedlichen Definitionen, die in der Fachliteratur zu finden sind, beschreibt er das unübersichtliche Bild zum Begriff Governance folgendermaßen:
„Viele entscheiden, viele handeln und welche Rolle ,die Regierung' dabei spielt, ist nicht immer schon ausgemacht oder klar zu erkennen.“ (2012: 41)
Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man Governance bringen könne, sei somit die „Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen und öffentliche wie private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln“ (Bundestagsdrucksache 14/9200, 415 mit Bezug auf den UN-Bericht „ Our Global Neighbourhood“, zit. n. Selle 2012: 41). Selle unterscheidet Governance in drei Ebenen: der Handlungsebene (Kommune, Region, Nationalstaat etc.), dem Handlungsfeld (Bildung, Stadtentwicklung etc.) und der Organisationsebene (Urban, Local oder Corporate Governance etc.).
Das Aufkommen des Governance-Ansatzes gehe mit dem Leitbild des ,aktivierenden Staates' einher und könne als Konzept zum Ausgleich für den Rückgang staatlicher Steuerung aufgefasst werden, welches Brand zufolge
„auf verschiedenen Handlungsebenen und in unterschiedlichen Praxisfeldern geregelte Verfahren und Aushandlungsmechanismen bereit[...|stell[t], um den Bedeutungsverlust staatlicher Administrationen und souveräner Entscheidungsprozesse für das Management ökonomischer und sozialer Prozesse auszugleichen“ (2004: 112).
Als Verfahren und Mechanismen der Aushandlung treten „Politiknetzwerke, Partnerschaften und Verhandlungssysteme“ (ebd.) in den Vordergrund, welche ein breites Spektrum an zivilgesellschaftlichen und privaten Akteuren einbinde. So habe beispielsweise das Prinzip der Verantwortungsübertragung eine Erweiterung im Sinne von „Verantwortungsteilung mit gegenseitigen Verpflichtungen“ (Jann/Wegrich 2004: 206) erfahren. Auch diverse öffentliche Leistungen, die vormals an Dritte übergeben und somit ausgelagert wurden, werden innerhalb des Governance-Diskurses als Leistungen, die in Koproduktion erbracht würden, verstanden und umgesetzt. Dabei spiele insbesondere die Ergänzung des Ansatzes um das Prinzip der „Aktivierung von Selbsthilfe“ (ebd.) eine elementare Rolle.
Auf lokaler, kommunaler Ebene spricht man von Urban Governance (vgl. Hill 2005: 567). Frank Eckardt attestiert, der Urban Governance, als populäres Schlagwort in weiten Bereichen Verwendung zu finden, aber dennoch Verwirrung und Zweifel bestünden, in welcher Form und in welchem Ausmaß Urban Governance in der Praxis auch funktioniere (vgl. 2009: 12). Ein weiterer, in der Literatur immer wieder artikulierter Kritikpunkt knüpft an die tatsächliche demokratische Umsetzung des Konzeptes an. So bestehe die Gefahr, dass machtpolitische Ungleichgewichte ausgeblendet werden würden (vgl. Rosol 2006: 63). Rosol beschreibt diesen Aspekt wie folgt:
„Es wird auf Konsens und Kooperation orientiert, Konflikt und Konfrontation, entgegenstehende Interessen sind nicht vorgesehen. […] Auch sind kooperative Verhandlungssysteme von ‚Runden Tischen‘ bis Public-Private-Partnership keineswegs zwangsläufig offener für demokratischen Einfluss als hierarchische Steuerungsformen, denn Beteiligung könne exklusiv und Wahrnehmung von Interessen selektiv erfolgen.“ (ebd.)
So würden in diesem Politikmodell Interessengegensätze als auch ungleiche Ressourcenverteilung der diversen Akteursgruppen ausgeblendet, obwohl diese vorhanden und bestimmend seien. Dabei werde, laut Brand, ebenfalls das Prinzip Partizipation auf ein möglichst effizientes Problemlösen reduziert (vgl. Brand 2004: 114f.). Klaus Einig, Gernot Grabher, Oliver Ibert und Wendelin Strubelt bescheinigen der Urban Governance vor allem eine geeignete Steuerungsform „für ,oberflächlichere' Interessenkonflikte [zu sein] oder zur Bearbeitung von klar abgrenzbaren Problemen, bei denen kreative Lösungen benötigt werden.“ (2005: 8) Handele es sich um „harte[...] Verteilungs- und Zielkonflikte[...]“ (ebd.), sei ein machtvoller Interventionsstaat und damit das klassische Government-Modell, in ihren Augen, nicht zu ersetzen.
Nichtsdestotrotz haben sich die Verhältnisse zwischen Staat und Gesellschaft verschoben, so dass auch auf kommunaler Ebene ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Im Folgenden soll dieser Wandel mit Blick auf das Leitbild der ,Bürgerkommune' nachgezeichnet werden.
1.1.3 Das Leitbild ,Bürgerkommune'
Parallel zum Leitbild des ,aktivierenden Staates' entwickelte sich „auf kommunaler Ebene das der ,Bürgerkommune'“ (Hill 2005: 567) und stellt eine Ergänzung der Dienstleistungskommune dar, wobei es „auf dem Leitbild der kundenorientierten Verwaltung auf[baue]“ (Häußermann et al. 2008: 272). Das Konzept der Bürgerkommune oder der Bürgerorientierten Kommune „umfass[e] alle Lebensbereiche, die in lokalen Räumen organisiert sind, und alle Akteure, die unmittelbar auf das lokale Zusammenleben Einfluss nehmen.“ (Deutscher Bundestag 2002: 335) Die Neuorientierungen, die in Zusammenhang mit dem Konzept der (Urban) Governance bereits beschrieben wurden, sind Bestandteile des Leitbilds ,Bürgerkommune' und nehmen insbesondere den Wandel der Rolle der Bürgerschaft vom Kunden hin zum „,Mitgestalter' oder ,Ko-Produzent', der sich aktiv an der kommunalen Entwicklung beteiligt“ (Sinning 2005: 579) in den Blick. Die Umsetzung des Leitbildes werde in Heidi Sinnings Augen durch rückläufige Bevölkerungszahlen sowie den sinkenden Anteil Erwerbstätiger dringend notwendig (vgl. ebd.). Dennoch sei das Modell nicht als flächendeckende Reformbewegung zu verstehen. Vielmehr wird dem Leitbild über verschiedene Initiativen und Programme wie beispielsweise ,Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt', das ,Civitas'-Netzwerk oder über die ,Lokale Agenda 21' in den Kommunen zugearbeitet. Sie alle haben das zentrale Anliegen, bürgerschaftliches Engagement zu fördern (vgl. Deutscher Bundestag 2002: 338). In direktem Zusammenhang mit der „Qualität von Bürgerorientierten Kommunen“ (Bischoff et al.: 2007: 33) steht „die Förderung von Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement“ (dies.: 32). Helmut Klages sieht allerdings in dem Leitbild der „Bürgergesellschaft“ (2010: 12), wie er es bezeichnet, eine Zukunftsorientierung, die in der gegenwärtigen Gesellschaft noch beträchtliche Defizite habe. Er attestiert in dieser Hinsicht, dass zwei gegenläufige Tendenzen zu erkennen seien. So wären zwar viele Bürger bereit, sich zu engagieren, jedoch stünden denen, die sich tatsächlich betätigen, ebenso viele Menschen gegenüber, die ihre Engagementbereitschaft (noch) nicht in die Tat umgesetzt hätten. Darüber hinaus sei problematisch, dass in Bürgerbeteiligungen, also im Feld „der Partizipation im engeren Sinne des Wortes“ (ders.: 13), wenige und zumeist nur kurzfristige Möglichkeiten der Mitwirkung bestünden. Der Realisierung der „Bürgergesellschaft“ zuträglich sei hingegen die Bereitschaft einer breiten Mehrheit „sich aktiv ,einzubringen', [es bestehe] der Wunsch nach Teilhabe, nach Mitwirkung an Entscheidungen, nach Partizipation anstelle von passiver Auslieferung an Fremdentscheidungen.“ (ders.: 12)
Jörg Bogumil und Lars Holtkamp fassen in ihrem Essay zur ,Bürgerkommune' (2010) deren Leistungen „zur Förderung der drei Beteiligungsrollen“ (2010: 44) zusammen. So gelinge es durch Beteiligung zumindest „Teile der Bürgerschaft in die politische Willensbildung einzubeziehen.“ (ebd.) Seien die Instrumente und Themen sorgfältig ausgewählt, könnten gelungene Beteiligungsangebote unterbreitet werden, die von interessierten Bürgern angenommen und konstruktiv weiterentwickelt werden könnten (vgl. dies.: 44f.). Beteiligungsverfahren ermöglichten darüber hinaus, dass „Informationen mit hoher Qualität“ (dies.: 45) bei der Kommune ankommen und somit „die Bürger mit den Dienstleistungen der Verwaltung wesentlich zufriedener sind.“ (ebd.) Auch das Ziel der finanziellen Entlastung der Kommunen sehen sie als verwirklicht, „indem sie [die Kommunalverwaltungen, T.T.] durch intensive Beteiligung Fehlinvestitionen vermeiden hilft und die Bürger und Vereine stärker ihre eigenen Ressourcen einbringen“ (ebd.) könnten. Jedoch zeigen die Autoren auch Grenzen der ,Bürgerkommune' auf. Es sei nicht gewährleistet „ alle sozialen Gruppen [Hervorhebungen im Original, T.T.]“ (dies.: 46) gleichermaßen einzubeziehen. Diese Schwierigkeit in der Realisierung der ,Bürgerkommune' erkennt auch Klages. So würden Menschen meist dann Handlungsbereitschaft zeigen, wenn ihre Interessen direkt betroffen seien. Vor allem sieht er aber die Gefahr, dass ohnehin privilegierte Bevölkerungsgruppen somit „noch mehr privilegiert werden“ (2010:15). Unter Privilegien sind in diesem Kontext der Zugang zu Bildung, Zeit und Informationen zu verstehen. Insgesamt bescheinigt Klages dem Leitbild ,Bürgerkommune' „ungeachtet immer wiederholter Appelle in Deutschland nur [in] einigen hundert Kommunen“ (ders.: 14) durch die Einrichtung von „Anlaufstellen für Bürgerengagement“ (ebd.) in Umsetzung begriffen zu sein. Auch die anfängliche Euphorie der 1990er Jahre sei vorerst abgeflacht, so dass die Anzahl von Kommunen mit nachhaltigen Ansätzen in dem Zusammenhang durchaus überschaubar sei (vgl. ebd.). In diesen „relativ wenigen ,Bürgerkommunen'“ (ders.: 15) hätten an Beteiligungsaktivitäten bisher „[n]ur Minderheiten der Bevölkerung“ (ebd.) teilgenommen. Ungeachtet dessen konstatiert er, dass „[d]ie ,Bürgerkommune' […] eine realistische Perspektive“ (ders.: 21) mit Vorteilen für alle Beteiligten sei. Es werde allerdings erforderlich, „eine[...] Verlebendigung der Demokratie“ (ebd.) mit einem entsprechend hohen Energieeinsatz und „mit der Einsicht in ihre realen Erfolgsbedingungen“ (ebd.) in die Tat umzusetzen. Auch Bogumil und Holtkamp erkennen unter den Bedingungen der verschärften Haushaltskrise dennoch die Möglichkeit, wenn auch in abgespeckter Version, das Modell der Bürgerkommune zu realisieren, mit der Option „eine sinnvolle Orientierung für die kommunale Praxis“ (2010: 50) geben zu können. Die Bürgerkommune solle pragmatisch drauf konzentriert werden, „was unter den derzeitigen Rahmenbedingungen in Kooperation mit der Kommunalpolitik und -verwaltung […] möglich und wünschenswert ist.“ (ebd.) Die Ermutigung der Bürger, sich mit ihren Möglichkeiten und ihren Belangen einzusetzen, spiele weiterhin eine elementare Rolle, um kommunale Aufgaben auch künftig leisten zu können (vgl. ebd.).
Die hier thematisierte Rolle des Bürgers, dessen Engagement als aktiver Teilhaber kommunalen Handelns sowie die damit einhergehenden Veränderungen und Ausprägungen im Verhältnis zwischen Kommune und Bürger werden im Folgenden erörtert.
1.1.4 Bürgerschaftliches Engagement im Wandel
Mit den zuvor besprochenen Leitbildern und Tendenzen ist die verstärkt auftretende Debatte um bürgerschaftliches Engagement eng verbunden (vgl. Rosol 2006: 56). Annette Zimmer und Stefan Nährlich sehen in der „Erschöpfung der Potentiale von Staat und Markt“ (2000: 9) den Zusammenhang zu einer gestiegenen „Attraktivität bürgerschaftlichen Engagements“ (ebd.) der Zivilgesellschaft in den 1990er Jahren. Eine erhöhte Beteiligungsbereitschaft der Bürger in Bereichen wie Politik, Umwelt oder auch Kultur sei bereits in den 1970er Jahren zu verzeichnen gewesen, was durch den „Gründungsboom freiwilliger Vereinigungen, Vereine und Lobby-Organisationen“ (dies.: 13) dieser Zeit illustriert werde. Diese Entwicklung könne den Autoren zufolge „vorrangig auf das Vorhandensein entsprechender Ressourcen zurückgeführt“ (ebd.) werden. Dabei steht an erster Stelle Wissen und Bildung (vgl. ebd.). Eckhard Priller erweiterte in seiner Beschreibung diese Aufzählung um Aspekte wie gesteigerten Wohlstand, Selbstbewusstsein und die erhöhte Fähigkeit zur Selbstorganisation, was alles in allem dazu führen würde, dass der Bürger „auch unabhängiger vom Staat“ (2002: 40) werde. Diese Entwicklung findet seine Entsprechung in der Rolle, die der Bürgerschaft im Leitbild des ,aktivierenden Staates' zugewiesen wird, da diese somit vermehrt in der Lage sei, Aufgaben und Verantwortung für vormals staatlich erbrachte Leistungen zu übernehmen. Roland Roth erkennt diese Entwicklung ebenfalls, hält darüber hinaus auch die Erklärung, dass durch Staatsversagen und kommunale Finanznöte, Bürger zunehmend von staatlicher Seite in Aufgaben eingebunden wären, für plausibel (vgl. 2000: 35f.). Als bürgerschaftliche Akteure seien – so Zimmer und Nährlich – neben Vereinen und Initiativen „in zunehmendem Maße auch Einzelpersönlichkeiten, eben aktive Bürger, gefragt.“ (2000: 14) Durch die gesteigerte „Attraktivität bürgerschaftlichen Engagements“ (dies.: 9) wurde unter der Regierung der rot-grünen Bundesregierung 1999 die Enquête-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ ins Leben gerufen. Dies hatte eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Phänomen sowie die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen zum Ziel (vgl. Deutscher Bundestag 2002: 7ff.). Birger Hartnuß, Thomas Olk und Ansgar Klein deuten den Einsatz der Enquête-Kommission als „den eigentlichen Beginn von Engagementpolitik als einem Politikfeld“ (2010: 762). War in der ersten Phase „die Mobilisierung freiwilliger und unentgeltlicher Tätigkeiten zur Schließung von Dienstleistungslücken im Sozial- und Gesundheitssektor“ (dies.: 765) das zentrale Motiv, so wurde „die reformpolitische Programmatik der Enquête-Kommission“ (ebd.) prägend dafür, „Engagementpolitik als Bestandteil von Gesellschafts- und Demokratiepolitik zu etablieren“ (ebd.).
Die Enquête-Kommission legte der Diskussion schließlich folgende Definition von bürgerschaftlichem Engagement zu Grunde, welche auch in vorliegender Arbeit verwendet werden soll:
„Bürgerschaftliches Engagement ist eine freiwillige, nicht auf das Erzielen eines persönlichen materiellen Gewinns gerichtete, auf das Gemeinwohl hin orientierte, kooperative Tätigkeit. Sie entfaltet sich in der Regel in Organisationen und Institutionen im öffentlichen Raum der Bürgergesellschaft. Selbstorganisation, Selbstermächtigung und Bürgerrechte sind die Fundamente einer Teilhabe und Mitgestaltung der Bürgerinnen und Bürger an Entscheidungsprozessen.“ (Deutscher Bundestag 2002: 73)
Dem zufolge ist bürgerschaftliches Engagement als: freiwillig, nicht auf persönlichen materiellen Gewinn ausgerichtet, gemeinwohlorientiert und kooperativ zu verstehen. Zudem findet es in der öffentlichen Sphäre, also in Abgrenzung zum Bereich des Privaten statt. Zimmer und Nährlich bescheinigen dem Begriff des bürgerschaftlichen Engagements, vor allem ein breiter „Oberbegriff für ein weites Spektrum von mitgliedschaftlichen, gemeinwohlorientierten sowie unkonventionellen politischen Aktivitäten“ (2000: 14f.) zu sein. Auch Roth beschreibt bürgerschaftliches Engagement als eine Vielzahl an Aktivitäten, die sich zwischen „den Polen Markt, Staat und Familie“ (2000: 31) ansiedeln, jedoch keiner dieser Sphären im Speziellen zu zuordnen seien. So siedelt er den Begriff auf der einen Seite „jenseits einer […] Intim- und Privatsphäre, zu der in unseren Gesellschaften z.B. Familien, aber auch wesentliche ökonomische Aktivitäten, wie die Erwerbsarbeit gehören“ (ders.: 30) an und auf der anderen Seite „unterhalb der im engeren Sinne staatlichen Handlungssphäre, die weitgehend bürokratischer Rationalität folgt.“ (ebd.) Er schreibt dem Begriff ,bürgerschaftlich' zudem zu, eine Überbrückung von alten und neuen Formen von Engagement zu bilden, indem durch ihn das klassische Ehrenamt mit „moderner Protestpolitik“ (ders.: 31) verbunden werde. Diese beiden Sphären seien nicht als Gegenpole zu verstehen (vgl. ders.: 31ff.). Die Enquête-Kommission weist auf einen Strukturwandel bürgerlichen Engagements hin, den sie in Zusammenhang mit Pluralisierung und Individualisierung von Lebensstilen bringt. So seien neben tradierten Organisationen, also klassischem Ehrenamt wie dem Verein, auch andere informelle „Formen der Organisation“ getreten (vgl. Deutscher Bundestag 2002: 109). Menschen würden sich eigene, neue Ordnungen schaffen, da „eine Vielzahl neu entstehender Belange nicht durch die alten, klassischen Strukturen abgedeckt sind oder ein Engagement in bestehenden Organisationsstrukturen auf Widerstand stößt.“ (ebd.) Oft werde auf formale Strukturen sogar ganz bewusst verzichtet, da die Engagierten „die größere Flexibilität und die flacheren Hierarchien informeller Zusammenschlüsse an[streben].“ (ders.: 110) würden. Dies treffe vor allem auf Themenfelder wie „Ökologie und Kultur, Schule, Kindergarten, Gesundheit, Geschlecht und sexuelle Ausrichtung sowie im sozialen Nahbereich“ (ders.: 109) zu. Durch Individualisierungsprozesse käme es weiterhin dazu, dass Engagierte Wert darauf legen „ihr Arbeitsfeld selbst [zu] gestalten“ (ders.: 111) und zugleich „ausgeprägte Hierarchien und eine hohe Regelungsdichte“ (ebd.) ablehnen würden. So suchten viele ehrenamtliche Akteure „in alten wie in neuen Organisationsformen“ (ebd.) vermehrt „nach projektbezogenen Engagementformen, die ihnen thematisch entgegenkommen“ (ebd.), anstatt sich für ein „lang andauerndes Engagement [zu] verpflichten“ (ebd.). So sei auch eine Modernisierung von der Organisation innerhalb klassischer Formen wie der Vereine zu verzeichnen (vgl. Deutscher Bundestag 2002: 110). Diese Tendenz beschreibt Karin Werner ebenfalls im Aufbau und der Organisation von neuen urbanen Gemeinschaftsgärten, die oft „andere, weniger kontrollierbare und mit dem Staat verheiratete Arrangements“ (2011: 62) als Organisationsstruktur wählen würden (vgl. dazu Kapitel 2.2.1).
Aus diesen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, aber auch aus der Notwendigkeit veränderter Rahmenbedingungen, ergeben sich Anforderungen an Politik und Verwaltung im Umgang mit bürgerschaftlichem Engagement und dessen Förderung. Die Autoren Hartnuß et al. identifizieren dabei als Kernproblem:
„einerseits die besondere Produktivität und den ,Eigensinn' solcher Formen freiwilliger und unentgeltlicher Tätigkeiten zu stärken, um deren Produktivitätspotenzial zur Entfaltung bringen zu können und zugleich Ziele wie die Eröffnung von Zugangswegen zum Engagement für alle potenziell Interessierten und die Ausweitung des Volumens des bürgerschaftlichen Engagements bei Einhaltung bestimmter Qualitätsstandards […] zu gewährleisten.“ (2010: 767f.)
So könne die „Ausweitung und Stärkung“ (dies.: 767) bürgerschaftlichen Engagements nicht durch Politik und Verwaltung verordnet und mit entsprechenden Instrumentarien durchgesetzt werden. Es „bedarf der Ermutigung, Wertschätzung und Unterstützung“ (ebd.) der bürgerschaftlichen Akteure durch den Staat. Die Bereitstellung und Förderung benötigter Infrastrukturen wie beispielsweise durch die Etablierung von Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros oder Selbsthilfekontaktstellen, stelle dabei eine Möglichkeit dar (vgl. dies.: 768). Seit Ende der 1990er Jahre gründeten sich zudem vermehrt Bürgerstiftungen (vgl. Wolf 2005: 106). Roth merkt dazu kritisch an, dass durch „diverse staatliche Programme und gesetzliche Regelungen“ (2000: 35) im Bereich bürgerschaftlichen Engagements, dessen autonome Entfaltung nicht möglich sei, sondern immer „in das institutionelle Gefüge von Staat, Markt und Familien (Gemeinschaften) eingebettet“ (ebd.) wäre. In diesem Kontext erkennt er auch die Gefährdung, dass dem bürgerschaftlichen Engagement insbesondere „eine kompensatorische Rolle für Defizite und Spannungen zu“ (ebd.) komme, die zwischen „Staat, Markt und Familie“ (ebd.) bestünden. Auch Hartnuß et al. weisen darauf hin, dass bürgerschaftliches Engagement tendenziell Gefahr laufe zur „Schließung von Dienstleistungslücken“ (2010: 768) instrumentalisiert zu werden. Nichtsdestotrotz erkennen sie auch Erfolge in der „Durchführung und Umsetzung von Engagementpolitik“ (dies.: 774), die „vor allem im Bereich konkreter Maßnahmen und ressortspezifischer Programme“ (ebd.) zu verzeichnen sind. Zu einem erfolgreichen Beispiel zähle das Programm ,Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt', „das gezielt auf den Einbezug des Engagements für die Entwicklung von Stadtteilen setzt“ (ebd.). Nach wie vor sehen die Autoren Hartnuß et al. aber auch die Notwendigkeit, der Zivilgesellschaft und dem bürgerschaftlichen Engagement eine gewichtigere Rolle im Verhältnis zu Markt und Wirtschaft einzuräumen (vgl. dies.: 775).
Im Kontext zunehmender und gezielter Förderung von bürgerschaftlichem Engagement werden politische Steuerungsinstrumente zur Partizipation und diskursiven Aushandlung entwickelt und erprobt. Darunter finden sich Verfahren zur Bürgerbeteiligung und -aktivierung sowie der Mediation und Moderation (vgl. Hartnuß et al. 2010: 769). Entwicklungen, die in diesem Bereich zu verzeichnen sind, werden nachfolgend thematisiert.
1.1.5 Partizipation und Kooperation
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wuchs der Einfluss des Staates auf sämtliche Lebensbereiche der Bürger stetig an. Parallel dazu beschränke sich jedoch die Einflussnahme der Bürger hinsichtlich staatlichen Handelns auf „Wahlen in vierjährigem Abstand“ (Häußermann et al. 2008: 271), wie Hartmut Häußermann, Dieter Läpple und Walter Siebel feststellen. Dieses Missverhältnis rufe, Joachim Wentzel zufolge, eine Legitimationskrise repräsentativer Demokratien hervor (2010: 42). Demzufolge resultiere bei den Bürgern daraus eine „Entfremdung vom politischen System“ (Häußermann et al. 2008: 271). Dieser Politikverdrossenheit gegenüber stehe jedoch „das gewachsene Interesse an direkter Beteiligung in lokalen Angelegenheiten“ (ebd.). Wentzel beschreibt dabei den „Mehrwert von Bürgerbeteiligung“ (2010: 42) als Ventil, welches im Spannungsverhältnis zwischen Politikverdrossenheit einerseits und Engagementwillen andererseits vermittelt „und somit wieder mehr Menschen am politischen Leben zu integrieren“ vermag (ebd.). Häußermann et al. attestieren der Bürgerbeteiligung in lokalen Zusammenhängen im 21. Jahrhundert eine starke Bedeutung, die sowohl auf staatlicher als auch auf bürgerschaftlicher Seite zu verzeichnen sei (vgl. ebd.). Bereits in den ausgehenden 1960er Jahren gingen Initiativen von bürgerlichen Kreisen und studentischen Milieus aus, um für sich die Mitwirkung in Planungsprozessen zu reklamieren. Anlass gab – wie die Autoren es nennen – die „modernistische Stadtzerstörung“ (dies.: 272). „Aufgeklärte Lokalpolitiker“ (ebd.) hätten bereits in dieser Zeit die Chancen des Widerstands erkannt, durch Einbeziehung der Bürger eben diesen „ab[zu]bauen, die Legitimation der Planung [zu] stützen und die Informationen über soziale Zusammenhänge und mögliche Hindernisse [zu] verbessern.“ (ebd.) Durch diese Entwicklung angestoßen, etablierte sich seit den 1970er Jahren die Bürgerbeteiligung als Instrument in kommunalen Entscheidungsprozessen der Planung (vgl. Rosol 2006: 75). Sprach man in diesem Kontext bis in die 1980er Jahre hinein von „Bürgerbeteiligung, Partizipation oder auch kollektive[r] Selbsthilfe“ (ebd.), hat sich Rosol zufolge „in den 1990er Jahren ein neuer Begriff dafür heraus[kristallisiert]: bürgerschaftliches Engagement“ (ebd.). Häußermann et al. sehen durch die hohe Bedeutung vom „Engagement der Bürger“ (2008: 273) in jüngerer Zeit „[e]ine gänzlich neue Definition [der] […] Bürgerbeteiligung“ (ebd., vgl. dazu 1.1.3 & 1.1.4). Die Entwicklung von Partizipation sehen Häußermann et al. in direktem Zusammenhang mit dem Aufkommen der ,Bürgerkommune' als kommunal-politisches Leitbild (vgl. dies.: 272f.). In den drei verschiedenen Bürgerrollen „als Kunde, als Mitgestalter und als Auftraggeber der Verwaltung“ (dies.: 272) sind unterschiedliche Beteiligungsformen möglich. In der Kundenrolle trete der Bürger als Konsument von Verwaltungsdienstleistungen auf, die Mitgestalterrolle setzt „auf aktive Teilnahme bei der Entstehung von Verwaltungsergebnissen“ (dies.: 272f.) während die „Auftraggeberrolle […] bei der Politikformulierung und -planung an[setze]“ (dies.: 272). Der Erweiterung der Bürgerrolle liege das Konzept der Koproduktion zugrunde (vgl. dies.: 273). Begründet sehen sie diese Entwicklung zum einen in mangelnden finanziellen Ressourcen der Kommunen, aber auch darin, dass es im Postfordismus nun „nicht mehr nur darum [gehe], ökonomische[n] Aktivitäten, die in die Stadt drängen, geeignete Orte zuzuweisen und diese mit notwendigen Infrastrukturen zu versehen“ (dies.: 274). Für die gegenwärtige und zukünftige Situation der Städte seien vielmehr Fragen nach der Verwertung von brachgefallenen Flächen und Gebäuden (vgl. hierzu Kapitel 1.2) oder im Umgang mit struktureller Erwerbslosigkeit zu beantworten. In diesem Kontext wird immer wieder auf ungleiche Ressourcenverteilungen und fehlende „Bildungsreserven in den abgehängten Stadtvierteln“ (Häußermann et al 2008: 274) hingewiesen. Roth trifft dazu die Aussage, dass zunächst einmal diese demokratischen Ideale der Bürgerbeteiligung keinen Zweifel zulassen würden und „[m]ehr Demokratie […] [als] eine uneingeschränkt positive Sache“ (2011: 84) zu sehen sei. Doch hier erkennt er, wie andere Autoren auch (vgl. dazu Häußermann et al. 2008: 274ff.; Wentzel 2010: 46), dass dies aufgrund ungleicher „Fähigkeit[en] zur Beteiligung“ (Roth 2011: 84) nur mit Einschränkungen gelte. Nur wer über die notwendigen Ressourcen wie „Wissen, freie Zeit, soziale Kontakte etc.“ (ebd.) verfüge, aber auch „biografisch die Gelegenheit [hat], positive Beteiligungserfahrungen [zu] machen“ (ebd.), werde „von dem Vertrauen getragen […], dass eigenes Engagement möglich und wirksam ist.“ (ebd.) Auch Wentzel sieht diese Ungleichheit und bringt diese mit dem „Phänomen der sogenannten ,üblichen Verdächtigen'“ (2010: 47) derer, die ihre partizipatorische Wirksamkeit nutzen, in Verbindung. So sieht er die Gefahr, dass:
„[d]ie inhaltliche Ausgestaltung und Partizipation an Bürgerbeteiligungsprozessen […] tendenziell [den] Menschen vorbehalten[ ist], die in der Lage sind, ihre Bedürfnisse und Interessen klar zu artikulieren, diese zu organisieren und für diese einzustehen.“ (ebd.)
In der Folge bestehe die Gefährdung, dass besondere Interessen von gesellschaftlichen Gruppen bei Bürgerbeteiligungen im Vorteil seien und somit eine „noch schärfere selektive Wirkung […] entfalte[n] [...]“ (ebd.) würde. Dies könnte die eigentlichen Ziele wie „etwa Integration, Inklusion, Vernetzung und Konsens“ (ebd.) ins Gegenteil verkehren. Das paradoxe an diesem Verhältnis sei laut Häußermann et al., dass gerade Menschen mit erhöhtem Bedarf an staatlicher Unterstützung, „am wenigsten in der Lage [seien], diese einzufordern und inhaltlich zu bestimmen.“ (2008: 275) Um dieses Dilemma zu überwinden, müssten, Roth zufolge, „verstärkte Anstrengungen in Richtung ,Empowerment' von bisher bildungs- bzw. beteiligungsfernen Bevölkerungsgruppen“ (2011: 84) betrieben werden. So beschreiben Häußermann et al. am Beispiel des Programms ,Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt', dass Erfolge wohl nicht lediglich „[d]urch Angebote zur Partizipation oder gar durch die Aufforderung zur ,Aktivierung'“ (2008: 275) zu erzielen seien, sondern schätzen „Integration selbst [als] die wichtigste Voraussetzung“ (dies.: 276) für gelungene Partizipation ein. Diese Kritik steht im Kontrast zur positiven Lesart von Hartnuß et al., die den gezielten „Einbezug des Engagements für die Entwicklung von Stadtteilen“ (2010: 774; vgl. dazu 1.1.4) als starkes Potenzial wahrnehmen.
Nach dieser Betrachtung von Ungleichheiten unter der Bürgerschaft, ist auch das Spannungsverhältnis zwischen Bürger und Stadtpolitik sowie -verwaltung zu beleuchten. Auch hier wird generell positiv bewertet, dass durch die Einbeziehung von Bürgern „Rationalität und Qualität des Verwaltungshandelns“ (Hill 2005: 567) zu breiterer „Legitimation, Akzeptanz und Identifikation“ (ebd.) führen würden. Nichtsdestotrotz sieht auch Hermann Hill die Gefahr, dass teilweise „Bürgerbeteiligung ohne Bürger“ (ebd.) durchgeführt werde, was unter anderem damit in Verbindung zu bringen sei, dass „möglicherweise ihre Interessen und Potenziale nicht richtig angesprochen wurden.“ (ebd.) Auch problematisiert er das Fehlen von Einflussmöglichkeiten, so „dass Bürgerbeteiligung nur als Event mit Alibicharakter verstanden“ (ebd.) werden könne. Aus diesen Überlegungen schlussfolgert er, dass bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllt werden müssten, um Bürgerbeteiligung erfolgreich zu gestalten (vgl. ebd.). Wentzel nähert sich dem „Spannungsverhältnis zwischen Bürger und Staat/Verwaltung“ (2010: 49) über die Betrachtung vom „Verhältnis von Angebot und Nachfrage“ (ebd.) an. So mangele es wohl häufiger an Angeboten zur Beteiligung, als am Willen des Bürgers, sich zu beteiligen. Darüber hinaus seien die Art der Angebote, deren Organisation sowie Vorbereitung zentrale Aufgaben der staatlichen, administrativen Seite. Darüber hinaus könne Bürgerbeteiligung jedoch auch nur gelingen, wenn „gleichsam die Bürger in die Lage versetzt werden, diese bei einem umfassenden Informationsstand wahrzunehmen.“ (ders.: 50) Um „Partizipation als Alltagspraxis“ (Roth 2011: 87) etablieren zu können, müssten „Politikfelder umgekrempelt werden“ (ebd.) und es sei zudem „eine eigene Infrastruktur notwendig“ (ebd.). Dazu gehörten zwangsläufig „auch Machtverzicht durch etablierte politische Akteure einerseits, sowie Vertrauen und Anerkennung in die angesprochene Bürgerschaft andererseits.“ (ebd.) Stephan Willinger schlägt vor, den Begriff von zivilgesellschaftlicher Partzipation zu erweitern und bürgerschaftliches Engagement oder auch Zwischennutzungen in das Repertoire von Beteiligung aufzunehmen (vgl. 2012: 204ff.). Aus dieser Perspektive betrachtet, seien Bürger „immer schon Ko-Produzenten von Stadt.“ (ders.: 205) Die informelle Raumnutzung durch zivilgesellschaftliche Akteure und das Bild von Stadt und Gesellschaft, welches sie im Kleinen produzieren, könne viel über „die Wünsche der Menschen an die Stadt verraten.“ (ders.: 210). Eben jene Thematik der Zwischennutzung soll nachfolgend betrachtet werden.
1.2 Zwischennutzung und Raumpioniere
Zwischennutzungen werden als adäquates Mittel betrachtet, um Flächen zeitweise aufzuwerten und „lange Phasen des Stillstandes mit den korrespondierenden Folgen wie Verwahrlosung und Vandalismus zu verhindern.“ (Vollmer 2011: 33). Dass Planer oder Stadtverwaltungen diese Qualitäten erkennen, habe sich erst in jüngster Vergangenheit gewandelt. Engelbert Lütke Daldrup, damaliger Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), stellt fest, dass temporäre Nutzungsformen bis dahin keine bedeutende Rolle in der Stadtplanung gespielt hätten (vgl. 2008: Vorwort). Planer hätten eher „Angst vor der dauerhaften Verfestigung“ (ebd.) von zunächst temporär angedachten Nutzungen gehabt und diese „zumeist zu verhindern versucht“ (ebd.). Die Vorzeichen haben sich jedoch gewandelt. Durch die bekannten strukturellen, demografischen und ökonomischen Veränderungsprozesse erfahren Zwischennutzungen nunmehr eine andere Wahrnehmung, ein erhöhtes Interesse und „eine neue, konzeptionell-strategische Bedeutung für die nachhaltige Stadtentwicklung“ (ebd.). Dies liegt auch daran, dass Kommunen sich oftmals nicht mehr in der Lage sehen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Instrumenten die „Probleme städtischer Funktionsverluste“ (ebd.) zu lösen. Gleichzeitig liegt in der Umsetzung von Zwischennutzungen ein erhöhtes Konfliktpotenzial, was vor allem durch „rechtliche und organisatorische Hürden“ (Vollmer 2005: 33) verursacht werde, aber auch in „divergierenden Interessen der Beteiligten“ (ebd.) begründet liege. Schließlich sind die oben angesprochenen Herausforderungen der Stadtentwicklung, zum Großteil im bebauten Bestand zu bewältigen. Unter Berücksichtigung dessen sind Interessenskonflikte vorprogrammiert, die nur durch Abwägungsprozesse und einen ganzheitlichen Blick gelöst werden können. Zum Thema Zwischennutzung liegen verschiedene Untersuchungen vor. Eine Studie wurde auf Landesebene durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin initiiert und trägt den Titel ,Urban Pioneers' (2004-2006). Auf Bundesebene wurde das Forschungsprojekt ,Zwischennutzungen und Nischen im Städtebau als Beitrag für eine nachhaltige Stadtentwicklung' (2008b) durch das BMVBS und das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) durchgeführt. Ein aktuelles Modellprojekt findet im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik in Bremen mit der ZwischenZeitZentrale (ZZZ) statt, welches in der Publikation ,Second Hand Spaces' (2012) dokumentiert wird.
Im Folgenden wird zunächst der Begriff Zwischennutzung besprochen. Dabei geht es einerseits um eine Definition dessen, was als Zwischennutzung verstanden wird, aber auch um differenzierte Sichtweisen und Deutungen (1.2.1). Anschließend werden die Raumpioniere als Primärakteure der Zwischennutzung in den Blick genommen. Dabei werden ihre Motive sowie ihre Möglichkeiten, aber auch Zwänge, denen sie unterliegen, betrachtet (1.2.2). Daran anknüpfend sollen weitere in das Thema Zwischennutzung integrierte Akteursgruppen vorgestellt werden (1.2.3). Schlussendlich rücken die rechtlichen Rahmenbedingungen von Zwischennutzungen in den Fokus der Untersuchung (vgl. 1.2.4).
1.2.1 Begriffsbestimmung Zwischennutzungen
Doris Gstach bescheinigt dem Begriff zunächst einmal, „eine Vielfalt an unterschiedlichen temporären Phänomenen“ (2006: 16) zu vereinen. Sie hält fest, dass diese Nutzungen sich stark in ihrer Art, Rechtsform, Dauer, Zugänglichkeit sowie Flächengröße unterscheiden würden. Daraus leitet die Autorin ab, dass es nicht möglich sei, diese in einer verallgemeinernden Begriffsbestimmung zu fassen (vgl. ebd.). Das signifikante Charakteristikum, das jedoch alle Zwischennutzungen gemein haben, ist ihr zufolge „nicht dauerhaft gedacht zu sein.“ (ebd.) Inwiefern temporär, also nicht dauerhaft, zeitlich zu begrenzen sei, vermag sie dabei nicht zu beantworten. Sie verweist darauf, dass dies insbesondere von der Perspektive des Betrachters abhängig sei (vgl. ebd.). Robert Temel führt diesen Gedanken in seinem Essay über ,Das Temporäre in der Stadt' weiter aus:
„Wenn man sie nur von genügender Entfernung betrachtet, ist jede Nutzung temporär. Es geht hier aber um besondere Nutzungsformen, und dabei ist nur ein Aspekt, dass sie von Beginn an als zeitlich begrenzt gesehen werden, und auch das nicht unbedingt von allen Beteiligten, sondern etwa nur von einem Grundeigentümer oder der Verwaltung im Gegensatz zu den Nutzern.“ (2006: 63)
Der Autor beschreibt das Temporäre als etwas Kurzlebiges, welches jedoch in der Lage sei „länger [zu] existieren, als man zu Beginn denken würde“ (ders.: 59). Auch wenn das Temporäre, provisorische Eigenschaften aufweise, habe es jedoch auch „eigene Qualitäten und ist nicht bloß als ein Ersatz für das Vollwertige anzusehen.“ (ebd.). So attestiert Temel dem Temporären, dass es durch die zeitliche Begrenzung Möglichkeiten aufweise, die bei dauerhaft angelegten Vorhaben nicht denkbar erschienen wären. Auch Peter Arlt verweist darauf, dass in der temporären Nutzung ein Mittel liege, „um den Erfolg eines Konzeptes zu beweisen, und dann einen Investor davon zu überzeugen, dass die Nutzung auch eine Dauerlösung sein könnte.“ (2006: 41). Arlt macht jedoch gleichzeitig klar, dass das Gelingen dessen wohl eher die Ausnahme darstelle (vgl. ebd.). Temel erkennt eine Qualität des Temporären darin, dass durch eine Zwischennutzung „unproduktive Standzeiten verwertbar“ (ders.: 60) gemacht werden können oder durch „Temporalisierungen prinzipiell jeder Nutzung“ (ebd.), um den Markterfordernissen entsprechend durch eine folgende, produktivere Nutzung ersetzt werden könne (vgl. ebd.). Gstach legt als Wesensmerkmal der Zwischennutzung weiterhin zu Grunde, dass es sich bei diesen meist um öffentlich zugängliche Nutzungen handle, es jedoch auch Formen gebe, „die hauptsächlich von einem bestimmten Personenkreis genutzt werden“ (2006: 17). Zudem stünden bei temporären Nutzungen meist kommerzielle Verwertungsinteressen im Hintergrund, aber „Ansätze informeller Ökonomie“ (ebd.) könnten nichtsdestotrotz eine Rolle spielen.
Mit dem Begriff Zwischennutzungen wird eine Vielzahl von Nutzungen beschrieben. Dazu zählen eben auch Veranstaltungen, die einen Raum für die Dauer von wenigen Stunden oder Tagen bespielen. Diese Formen der Zwischennutzung finden als Instrument zur Stadtentwicklung Anerkennung (vgl. Temel 2006: 60ff.). In der vorliegenden Arbeit konzentriert sich die Verwendung des Begriffs Zwischennutzung auf die Dauer von mehreren Monaten oder Jahren. Welche Personengruppen mit welchen Interessen als private Akteure von Zwischennutzungen auftreten, soll anschließend unter dem von Klaus Overmeyer geprägten Begriff Raumpionier betrachtet werden.
1.2.2 Raumpioniere als Schlüsselakteure von Zwischennutzungen
Die Schlüsselakteure temporär begrenzter Nutzungen sind sogenannte Zwischennutzer, welche Verwertungslücken in Form von Gebäuden, Grundstücken oder anderen ungenutzten, offenen Räumen für ihre Belange bespielen. Zwischennutzer werden von Overmeyer in Anlehnung an Pionierpflanzen, die „keine besonderen Ansprüche an einen Standort haben“ (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2007: 36), auch als Raumpioniere bezeichnet. Dieser Begriff wurde vor allem durch die Studie ,Urban Pioneers' geprägt (vgl. ebd.). Die Nutzungsarten würden „kulturelle[n] Initiativen, Aktivitäten aus dem Sport- und Freizeitbereich, gewerbliche Nutzungen, gärtnerische, landwirtschaftliche sowie soziale Projekte“ (dies.: 38) umfassen. Auszeichnen würden sich Raumpioniere insbesondere durch ihr „eigenes Engagement, non-monetäre Austauschprozesse und hohe Kreativität“ (Overmeyer 2005: 48), durch welche sie „neue Ökonomien, kulturelle Innovationen und eine programmatische Vielfalt urbanen Lebens“ (ebd.) herstellen würden. Der Beteiligungsgrad der Raumpioniere an der aktiven Stadtgestaltung sei enorm (vgl. ebd.). Diese von Overmeyer durchaus produktiv und positiv bewerteten Energien werden von Bastian Lange kritisch in gesellschaftliche Transformationsprozesse eingeordnet. Die „mehrheitlich wissensbasierte Gesellschaft“ (Lange 2007b: 136) erzeuge, dem Autor zufolge, ambivalente Lebensverhältnisse, durch welche Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt „und dadurch zunehmende Unsicherheiten in der Lebensplanung“ (ebd.) entstünden. Andererseits eröffneten diese flexibilisierten Verhältnisse „bisher unentdeckte Handlungsräume […] und [würden] eine Motivation zur Eigenständigkeit“ (ebd.) vor allem in der Kultur- und Kreativwirtschaft durchaus befördern.[2] So ist festzuhalten, dass neben den positiven Deutungen auch die oft geringen finanziellen Mittel der Kreativen zu bedenken sind, so dass diese „urbanen Kreativproduzenten“ (ders.: 142) „nur mühsam an kultureller und gesellschaftlich-ökonomischer Teilhabe laboriert[en]“ (ebd.). Nicht zuletzt aus ökonomischer Perspektive stellen deshalb die Nischen und Zwischenräume, so Overmeyer, „überschaubare Laboratorien dar, in denen eigene Ideen ausprobiert werden könn[t]en, aber auch scheitern dürf[ten]“ (2005: 48). Auch Lange betont, dass eben gerade diese Orte und Räume, „die auf unbestimmte Zeit aus dem städtischen Verwertungszyklus fallen“ (2007: 138), zu „Möglichkeitsräumen“ (ebd.) jenseits von Konkurrenzdruck zu erschwinglichen Konditionen für Raumpioniere und Kreative werden würden (vgl. ebd.). Dabei kämen die Raumpioniere, so Overmeyers Diagnose, mit geringen Mitteln aus, würden ihre Ressourcen und Netzwerke nutzen und damit städtische Orte revitalisieren (2005: 48). Auf diese Weise würden, laut Lange,
„soziale Arenen, in denen experimentiert werden kann [entstehen]. Brachflächen und Unternehmungen sind für die experimentierende Kreativwirtschaft kein Widerspruch, sie stellen vielmehr eine ideale Symbiose dar.“ (2007: 138)
Die Anziehung dieser Orte liege Temel folgend neben den ökonomischen Rahmenbedingungen aber auch in der Gestaltbarkeit deren Identität (vgl. 2006: 64). So entwickeln sich über Zwischennutzungen eigene Atmosphären temporärer Orte, die in Wechselwirkung von Akteuren und Ortsspezifika generiert werden (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2007: 45), welche durch die „kulturellen Praktiken, die räumlichen Neugestaltungen, Moden, Stile, Grafiken, zusammengefasst: ihre repräsentativen Symbole im öffentlichen Raum“ (Lange 2007: 139) entstünden. Lange betont, dass die Vielfalt der kreativen ‚Unternehmungen‘ ein neues symbolisches Kapital“ (ders.: 138) für Städte darstellen würden. Berlins Raumpioniere würden beispielsweise „mentale Bilder einer facettenreichen Urbanität“ (ebd.) produzieren, die eine internationale Ausstrahlung und Anziehungskraft besäßen. Als ein populäres Beispiel sei die nahezu legendäre Bar 25 am Spreeufer in Berlin-Friedrichshain genannt. Erfolgreiche Zwischennutzungen können für eine Stadt ohne finanziellen Aufwand zu einem Aushängeschild und weichem Standortfaktor werden. Der Slogan „Arm, aber sexy!“ des Berliner Oberbürgermeisters Klaus Wowereit illustriert das sehr prägnant.[3] Die generierte Symbolik und der tatsächliche Umgang mit Zwischennutzern geht dabei nicht zwangsläufig überein. Welche Interessen für andere Akteure an Zwischennutzungen gebunden sind, soll im Folgenden dargelegt werden.
1.2.3 Weitere Schlüsselakteure der Zwischennutzungen
Zwischennutzungen seien so Rudolf Kohoutek und Christa Kamleithner keine festgeschriebenen Qualitäten von Gebäuden oder Räumen, sondern stellen vielmehr „ein gesellschaftliches Verhältnis im Dreieck von Eigentum, Besitz und Nutzungsrecht“ (2006: 27) dar. Dieses flexible Verhältnis weise je nach Interesse unterschiedliche Möglichkeiten auf, wie sich die verschiedenen Akteure im Rahmen ihrer Ziele zu einer Zwischennutzung verhalten könnten (vgl. dies.: 26f.). Die Studie ,Urban Pioneers' untersuchte und identifizierte in Berlin unterschiedliche Akteurskonstellationen, mit ihren jeweils eigenen Motiven. So gebe es, neben den Raumpionieren selbst, die Gruppe der Grundstückseigentümer, durch deren Einwilligung überhaupt erst eine temporäre Nutzung verwirklicht werden könne (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2007: 40). Eine wesentliche Sorge der Eigentümer sei, Nutzer, die sich den Ort zu eigen machen, später „nicht mehr loszuwerden.“ (ebd.) Um diese Bedenken zu umgehen, sei „[g]egenseitiges Vertrauen und die Kontrolle über den Entwicklungsprozess“ (ebd.) vonnöten. Die Studie beschreibt jedoch auch, dass vermehrt die Vorteile von Zwischennutzungen erkannt werden, da diese Verfall und Vandalismus zurückdrängen und Betriebskosten verringern würden. Die Qualität, dass durch die neue Nutzung „eine neue Identität“ (ebd.) generiert werde, die „eine erste Anziehungskraft für dauerhafte Nutzungen“ (ebd.) mit sich bringt, erfahre dabei zunehmend Wertschätzung.
Neben dieser Gruppe bilden der Berliner Studie ,Urban Pioneers' zufolge sogenannte „ Schlüsselagenten “ (ebd.) eine „sehr verbreitete Bedingung für das Entstehen von Zwischennutzungen“ (ebd.). Diese „motivierten Agenten“ (ebd.) zeichnen sich durch ihr organisatorisches Netzwerk aus, welches den Zugang zu derartigen offenen Räumen verschafft (vgl. ebd.). In ihrer Rolle als Mittler zwischen Eigentümer und potentiellem Nutzer und Initiatoren von Netzwerken und Verbindungen bauen sie eine wesentliche Organisationsstruktur auf. Diese Agenten können einerseits selbst Raumpioniere sein, für private Agenturen tätig oder auch „mittlerweile verwaltungsinterne oder -nahe Mitarbeiter“ (ebd.) sein. Eine derartige vermittelnde Agentur ist die Bremer ZwischenZeitZentrale (ZZZ), die als Pilotprojekt an die Nationale Stadtentwicklungspolitk des BMVBS und BBR und den Bremer Senat angeschlossen ist. Zu den Projektzielen gehört, die Zwischennutzung vom experimentellen Status in den Normalfall zu überführen und „fest in den Instrumentenbaukasten der Stadtentwicklung zu integrieren.“ (BMVBS/BBR 2010: 6) Zwischennutzungen sind in Bremen mittlerweile „verbindlich definiert und geregelt.“ (ebd.). Die ZZZ wird von zwei Architekten, einer Geografin sowie einem Raumplaner betrieben und ist als verwaltungsexterne Agentur für die Vermittlung zwischen Nutzern, Eigentümern und Stadtverwaltung verantwortlich.[4]
Politik und Verwaltung stellen eine weitere, eigene Akteursgruppe in der Typisierung der Berliner Studie dar. Aus rechtlicher Sicht sei auf kommunaler Ebene wenig Spielraum vorhanden, um „mit Zwischennutzungen anders als mit herkömmlichen Nutzungen zu verfahren.“ (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2007: 41) Nichtsdestotrotz können Kommunen als Ermöglicher dieser Nutzungsformen auftreten (vgl. ebd.). Das Forschungsprojekt des BMVBS und BBR beschreibt vier Modelle, um die Vermittlung von Zwischennutzungen im Rahmen der Stadtentwicklung zu realisieren (vgl. BMVBS/BBR 2008: 33; vgl. Vollmer 2011: 33ff.). Die Stadtverwaltung kann zum einen eine kommunale Koordinationsstelle einrichten, „bei der die Vermittlungstätigkeit von der Stadtverwaltung übernommen wird.“ (Vollmer 2011: 33). Eine zweite Option besteht darin, eine solche Koordinierungsstelle auf Quartiersebene einzurichten. Diese beiden Möglichkeiten erfordern jedoch bestimmte Kapazitäten in der Umsetzung. Kann die Kommune das nicht leisten, besteht als dritter Weg die Beauftragung eines externen Dienstleisters, der diese Vermittlungsagentur betreut. Eine vierte Möglichkeit bestünde darin, diese Tätigkeit an eine ehrenamtliche Initiative zu übergeben und die Leistung basierend auf bürgerschaftlichem Engagement zu erbringen (vgl. ebd.). Maximilian Vollmer bringt darüber hinaus in einer fünften Option die privatwirtschaftlichen Akteure auf den Plan, die auch in der Lage seien bspw. als „Projektentwickler großer Flächen“ (ebd.) bewusst Zwischennutzung zur Entwicklung einzusetzen. Neben diesen konkreten Vermittlungsaufgaben können Kommunen aber auch ihrer Rolle als Ermöglicher gewahr werden, indem sie eine gezielte „Förderung von Möglichkeitsräumen und Rahmenbedingungen“ (Overmeyer 2005: 49) betreiben. Overmeyer beschreibt dabei einen Prioritätenwechsel, der innerhalb der Kommunen stattgefunden habe. Die Stadtverwaltungen würden nunmehr vermindert „Planungs- und Gestaltungshoheit“ (ebd.) ausüben, sondern seien vielmehr bemüht, „Partner für die Aktivierung ungenutzter Flächenressourcen zu gewinnen.“ (ebd.) Dieser Prozess ist nicht zuletzt deshalb in Gang gekommen, weil die diversen temporären Nutzungen und deren Aufladung mit Identität und sozialem Kapital „zu einem Image- und Wirtschaftsfaktor geworden“ (Senatsverwaltung für Stadtplanung 2007: 41) sind. In der Rolle des Partners mutiere der Bürger, so Overmeyer, „vom Stadtkonsumenten zum Stadtproduzenten“ (2005: 49) und sei in der Lage seine Ideen „in seinem unmittelbaren Lebensumfeld umzusetzen.“ (ebd.)
1.2.4 Rechtliche Aspekte von Zwischennutzungen
Laut Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) behindern in der Praxis baurechtliche Gegebenheiten meist die Genehmigung von Zwischennutzungen durch die Kommunen. Grund dafür ist laut BMVBS, dass lediglich im Bauplanungsrecht Regelungen für derartige Nutzungen zu finden sind, jedoch keine Regelungen auf Ebene des Bauordnungsrechts getroffen seien (vgl. BMVBS/BBR 2008: 96). Im Baugesetzbuch regelt der §9 Absatz 2 den Umgang mit Zwischennutzungen, so dass über den Bebauungsplan „in besonderen Fällen“ (BauGB §9 Abs. 2) festgesetzte Nutzungen:
„1. für einen bestimmten Zeitraum zulässig oder
2. bis zum Eintritt bestimmter Umstände zulässig oder unzulässig sind.“ (ebd.)
Die vertraglichen Regelungen bei Zwischennutzungen unterscheiden sich „auf den ersten Blick kaum von üblichen Miet- und Pachtvertragssituationen.“ (dies.: 98) Es ergeben sich jedoch Besonderheiten, die es zu beachten gilt. Um sich nachfolgende Nutzungen offen zu halten, ist es auf Seiten des Eigentümers wünschenswert, die Zwischennutzung einerseits befristet zu regeln und gleichsam möglichst kurzfristig beenden zu können (vgl. ebd.). Aus Sicht der Nutzer sind „transparente Regelungen zu Nutzungsdauer und Kündigungsfristen“ (dies.: 99) erforderlich, um „den Aufwand und die Kosten [zu] minimieren“ (ebd.) und gleichzeitig in der Lage zu bleiben, „unkonventionelle Projekte [zu] realisieren“ (ebd.). Um den Wert des Grundstücks oder der Immobilie aufrecht zu erhalten, ist es auf Eigentümerseite sinnvoll, dem Nutzer die Verkehrssicherungspflichten sowie die Erhaltungskosten zu übertragen. (vgl. dies.: 98f.). Durch diese Bedürfnisse und Erwartungen beider Vertragsparteien entstehen nicht selten Interessenkonflikte (vgl. dies.: 99). Dadurch soll es, so BMVBS, Ziel der rechtlichen Vereinbarungen sein, „gleichermaßen die Ziele und die jeweiligen Bedürfnisse [zu] beachten und zu einem tragfähigen Kompromiss [zu] vereinen.“ (ebd.) Um den verschiedenen Interessen zu entsprechen, ist ein hohes Maß an vertraglichen Regelungen erforderlich (vgl. dies.: 102). So müssen unter anderem Vereinbarungen über Nutzungsdauer, Nutzungsänderung, Mitteilungspflichten, Verkehrssicherungspflichten, Kündigungsfristen, Versicherungs- und Haftungsfragen getroffen werden (vgl. dies.: 100ff.). Der Vertrag kann auf Grundlage unterschiedlicher Vertragsarten zustande kommen, was jeweils auch abhängig von der Nutzung eines Gebäudes oder einer Freifläche ist (vgl. dies. 99f.). Für die Praxis der Zwischennutzung ist der privatrechtliche Nutzungsvertrag am gängigsten (vgl. dies.: 99). Für Gemeinschaftsgärten, die als Zwischennutzung auftreten und ihre Erträge bspw. in Gartencafés veräußern, kommt der Pachtvertrag in Frage, da in dieser Vertragsform die Möglichkeit der Fruchtziehung, also dem Erwirtschaften finanzieller Erträge durch Bewirtschaftung, besteht (vgl. ebd.).
Ein kommunales Instrument für die Umwandlung privater, brachliegender Flächen in temporäre Grünräume ist die Gestattungsvereinbarung, die als öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen Kommune und Eigentümer geschlossen wird. In den meisten Fällen übernimmt die Kommune meist die Zuständigkeit für die Verkehrssicherungspflicht und führt „die Fläche einer temporären öffentlichen Nutzung“ (ebd.) zu. Dem Eigentümer können mittels Gestattungsvereinbarung die Grundsteuern erlassen werden. Gleichzeitig bleibt bestehendes Baurecht erhalten. Von der Leipziger Kommunalverwaltung entwickelt, kommt dieses informelle Handlungsinstrument dort seit 1999 zum Einsatz (vgl. Heck/Will 2007: 29ff.). Im Jahr 2010 hatte Leipzig 134 Gestattungsvereinbarungen für 235 Flächen (vgl. Stadt Leipzig 2010b: 44). Dieses Instrument wird unter anderem in den Sanierungsgebieten Leipziger Westen und Leipziger Osten zur Wohnumfeldverbesserung und zur Vernetzung von Grünräumen angewandt (vgl. dazu Kapitel 3.1.3.2).
1.3 Zusammenfassung
Zusammenfassend kann man festhalten, dass sich das Verständnis von Staatlichkeit und Regierung einhergehend mit ökonomischen und strukturellen Transformationen seit den 1970er Jahren erheblich verändert hat. Das Spannungsverhältnis zwischen den Sphären Staat, Wirtschaft und Gesellschaft hat sich verschoben, was sich u.a. in der Entwicklung von staatlichen Leitbildern abbildet. Der Staat tritt heute vermehrt in der Rolle des Ermöglichers auf, während zivilgesellschaftliche Akteure zunehmend auch als Koproduzenten und Mitgestalter wahrgenommen werden. In Zusammenhang damit ist der Bedeutungsgewinn von bürgerschaftlichem Engagement zu sehen. Auf kommunaler Ebene hat sich das Verständnis von Stadtverwaltung simultan zu den staatlichen Leitbildern entwickelt, so dass die Diskussion von Verwaltungsmodellen wie der ,Bürgerkommune' oder der ,Bürgerorientierten Kommune' bestimmt wird. Bildet einerseits die Beteiligung der Bürger eine elementare Aufgabe und wird durch vielfältige Programme und Verfahren unterstützt und gefördert, kreist die Diskussion immer wieder um die Problematik, dass deren Möglichkeit alleine nicht zwangsläufig zur Teilhabe aller Bürger führt. Es scheint nach wie vor von zentraler Bedeutung, die Voraussetzungen für aktive Beteiligung durch Förderung individueller Ressourcen vor allem bei benachteiligten Gruppen zu schaffen.
Der Arbeit wird die Annahme zugrunde gelegt, dass diese Aushandlungsprozesse zwischen Staat, Verwaltung und diversen privaten Akteuren am Beispiel der Zwischennutzungen brachliegender Flächen einen Ausdruck finden. Durch Deindustrialisierungs- und Schrumpfungsprozesse sind viele Flächen und Gebäude ohne Nutzung und fallen (zeitweise) aus dem Verwertungszyklus. Die Kommunen sind durch angespannte Haushaltslagen, oftmals komplizierte Eigentumsverhältnisse und fehlende rechtliche Rahmen nicht in der Lage, dieser Tendenz alleine etwas entgegenzusetzen. Als Koproduzenten rücken hier Zwischennutzungen und mit ihnen die sogenannten Raumpioniere in den Blick. Deren Motivation entspringt deren Raumbedarf für die Umsetzung ihrer Ideen bei geringen bis keinen finanziellen Ressourcen. Dadurch werden für diese Akteure ungenutzte, (momentan) wertlose Flächen, die jedoch gleichzeitig als Tabula rasa und Neuinterpretationen für Projekte und Atmosphären fungieren, interessant. Diese Darstellung erweckt zunächst den Eindruck, dass ausbleibende Flächenverwertungen auf Seite von Kommune und Privateigentümer mit dem Bedarf an Raum seitens der privaten Akteure deckungsgleich ist und ausgeglichen werden kann. Dennoch ist das Thema Zwischennutzung mit Spannungen durch unterschiedliche Interessen, Erwartungen und Möglichkeiten aufgeladen. Diese Problemlage ist Teil der Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit in Bezug auf urbane Gemeinschaftsgärten und wird innerhalb der Analyse näher erörtert. Im nächsten Schritt wird zunächst der Typ des neuen urbanen Gemeinschaftsgartens eingeführt.
2 Der Garten in der Stadt
Gärten in der Stadt sind zunächst einmal nichts Neues. Dennoch scheinen die Typen urbaner Gemeinschaftsgärten mit ihrer offenen Ausrichtung, den spezifischen Atmosphären, die sie erzeugen, und den Ästhetiken, mit welchen sie spielen, neuartig zu sein. Zudem lässt sich ein enormes öffentliches Interesse an diesen Gärten neuen Typs feststellen. Das Phänomen des Urban Gardening wird in unzähligen Interviews, Reportagen, Blogs, Sachbüchern oder auch Zeitungsartikeln beleuchtet und diskutiert. Christa Müller beschreibt mit diesem Begriff einen neuen Gartentyp, der sich der Welt zuwende und sich „ausgerechnet dort, wo es laut, selten beschaulich und zuweilen chaotisch zugeht [entfaltet]: mitten in der Stadt.“ (2011: 9) Um die gewissermaßen neuartige Erscheinung der urbanen Gemeinschaftsgärten einzuordnen, wird zunächst der Blick in die jüngere Vergangenheit gerichtet und die Entwicklung des Gartens in der Stadt aus historischer Perspektive eingeordnet (2.1). In einem zweiten Teil ist das Urban Gardening selbst der Gegenstand der Betrachtung. Neben der begrifflichen Einordnung des Gemeinschaftsgartens und der Beleuchtung dessen Wurzeln, wird dieser Gartentyp als Ort gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse näher betrachtet (2.2).
2.1 Historische Entwicklung von urbanen Gärten
Man spricht von der „Rückkehr der Gärten in die Stadt“ (Müller 2011) oder nennt es „Die Wiederkehr der Gärten“ (Holl/Meyer-Renschhausen 2000), wenn das zeitgenössische Phänomen des städtischen Gärtnerns besprochen wird. Inwiefern ist dabei jedoch der Begriff ,Rückkehr‘ zu verstehen? Ist der Garten einst aus der Stadt verschwunden, um nun wieder auf den Plan zu treten? Gab es ein tatsächliches Verschwinden der städtischen Gärten? Um sich diesen Fragen zu nähern, soll zunächst der Blick in die Vergangenheit der Gärten in der Stadt gerichtet und deren Entwicklung nachgezeichnet werden. In einem ersten Schritt wird mit dem Zeitraum zwischen Mittelalter und beginnendem 20. Jahrhundert eine recht breite Zeitspanne betrachtet (2.1.1). Im Anschluss daran soll die Entwicklung der, bis in die heutige Zeit relevanten, Kleingartenbewegung nachvollzogen werden. Hier stehen besonders die über die Zeit gewandelten Bedeutungen dieses Gartentyps im Vordergrund (2.1.2).
2.1.1 Die Entwicklung vom Mittelalter bis zur ,Gartenstadt'
Elisabeth Meyer-Renschhausen betont im Essay ,Von Pflanzenkolonien zum nomadisierenden Junggemüse', dass „Städter in der Antike wie im Mittelalter eigentlich Ackerbürger waren“ (2011: 320), ihre Versorgung durch Eigenanbau sicherten und verbleibende Überschüsse auf Märkten veräußerten. Auch Wulf Tessin bescheinigt der mittelalterlichen Stadt des 12. und 13. Jahrhunderts das Vorhandensein von Gärten, wobei hier auch vor allem der Nutzgarten zur Selbstversorgung dominant gewesen sei. Dadurch, dass die vorhandenen Flächen innerhalb der Stadtgrenzen allein nicht für die vollständige Versorgung ausreichten, ging man dazu über, auch vor den Stadtmauern Landstücke zu kaufen und zum Gemüse- und Obstanbau zu nutzen (vgl. 1994: 16). Im 16. und 17. Jahrhundert sei der „Gartenbesitz in der Stadt“ (ebd.) durch die Einführung des Geschosswohnungsbaus und der städtebaulichen Verdichtung zurückgegangen. Meyer-Renschhausen bescheinigt diesem dennoch eine weite Verbreitung zur Selbstversorgung bis zum Ende des 19. Jahrhundert (vgl. 2011: 320).[5] In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch setzte sich – so Tessin – die Mietskaserne durch und verdrängte „in der Zeit nach 1850 die[...] kleinhäuslich-vorindustrielle Wohnweise allmählich restlos“ (1994: 19), wodurch auch die letzten dieser Bauform angeschlossenen Gärten verschwanden und der „Gartenbesitz […] zum Privileg der reichen Bürger“ (ders.: 21) geworden wäre. In Leipzig beispielsweise sei zwischen 1875 und 1890 „durch die Bautätigkeit der Bestand an Gartenland fast auf die Hälfte dezimiert“ (ebd.) worden. Er weist allerdings auch auf die parallel stattfindende Entstehung von Schrebergärten, Laubenpieperkolonien oder auch Armengärten hin (vgl. ders.: 33f., vgl. dazu Kapitel 2.1.2). Seit der Industrialisierung traten immer wieder Armutskrisen auf, die Meyer-Renschhausen auch auf „das Verschwinden der städtischen Ackerbürgertradition“ (2011: 320) zurückführt. Aber auch die unbegrenzten Bodenspekulationen um 1900 trieben die Boden- und damit die Mietpreise in die Höhe (vgl. dies.: 321). Auf diese Entwicklung hätte laut Meyer-Renschhausen „[d]ie Gartenstadtbewegung ab dem späten 19. Jahrhundert […] eine Antwort“ (dies.: 320) gegeben. Der „englische[...] Genossenschaftssozialist[...] Ebenezer Howard“ (dies.: 321) verfasste mit ,Garden Cities of Tomorrow‘ (1898) ein mit breiter Aufmerksamkeit bedachtes Werk, in dem er seine Idee der Gartenstadt publizierte und damit eine breit geführte Diskussion um die Frage nach der städtischen Gartenversorgung anschob, die auch in der Fachwelt weitergeführt wurde (vgl. Tessin 1994: 40). Howard übte mit seiner Idee Kritik „an Kapitalismus, Kolonialismus und der daraus entstehenden Not der Besitzlosen“ (Meyer-Renschhausen 2011: 321) und forderte den Bau von höchstens mittelgroßen Städten mit ausreichend Grünflächen. Bereits 1899 wurde die Garden Cities Association zur Förderung der Gartenstadt -Bewegung von Howard ins Leben gerufen. Die deutsche Gartenstadtgesellschaft gründete sich 1902 in Berlin. Im selben Jahr wurde Dresden-Hellerau und damit die erste deutsche Gartenstadt ins Leben gerufen (vgl. dies.: 321f.). Auch der deutsche Gartenarchitekt Leberecht Migge setzte sich für die Nutzung der Potenziale städtischer Freiräume zur Selbstversorgung und damit einer Krisenunabhängigkeit der Stadtbewohner ein. Er veröffentliche seine Kritik und Konzepte in zahlreichen Werken, fand jedoch zu seiner Zeit kaum Resonanz (vgl. Hubenthal 2011: 204f.). Erst heute, rund 100 Jahre später fänden Migges Ideen – so Heidrun Hubenthal – Anklang. So sei „Grün nicht mehr allein eine Kategorie der Ästhetik und des Gartendesigns“ (dies.: 207), sondern stelle Freiflächen für Selbstversorgung sowie „Möglichkeitsräume für Eigeninitiative und sozialen Zusammenhalt“ (dies.: 208) dar.
[...]
[1] Das Neue Steuerungsmodell wurde ursprünglich von der Kommunalen Geschäftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) erarbeitet (vgl. Jann 2011: 98).
[2] Bastian Lange entwickelt den Begriff des Culturepreneurs, der sich aus culture und entrepreneur zusammensetzt. Der Begriff bezeichnet städtische Akteure, die „Transfer- und Übersetzungsleistungen zwischen vormals getrennt voneinander operierenden Kultur- und Dienstleistungsbereichen“ (2007a: 18) übernehmen und mit ihren neuen sozialen und räumlichen Praktiken Lücken im Urbanen Raum schließen.
[3] Dieses Zitat entstammt einem Interview Wowereits mit Focus Money im November 2003 und ist zu einem Berlin-Slogan geworden (vgl. Frey 2003)
[4] vgl. vgl. http://zzz-bremen.de/kontakt/, eingesehen am 09.09.2012
[5] Als Beispiele, die dies bis heute belegen, verweist sie auf das Böhmische Dorf in Berlin-Neukölln oder auch das ehemalige Scheunenviertel in Berlin-Mitte, in welchem bis heute „Straßennamen wie Acker- oder Garten- straße“ (Müller 2011: 18) an die Ackerbürgertradition erinnerten.
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