Eingeforderte Achtsamkeit gilt in Hochglanzprospekten von Institutionen meist nur der Adressatenseite. Dabei ist ethische Achtsamkeit ohne Selbstsorge für Sozialarbeitende auf die Dauer nicht möglich. Vorliegendes Buch möchte Mut machen, sich neu als Akteur einer Praxisethik zu verstehen, die beide Seiten berücksichtigt und einfordert. Alle Beteiligten im Jugendhilfeprozess kommen hierfür aus ihrer Sicht zu Wort. Als Teamkonzept ist eine dauerhafte Verwirklichung achtsamer Praxis möglich und kann als ein Qualitätsmerkmal Sozialer Arbeit im stationären Alltag angewandt werden. Die differenzierte Ausarbeitung verschiedener Achtsamkeitsauffassungen möchte dazu beitragen über das Thema Achtsamkeit sprachfähiger zu werden.
Inhalt
1 Einführung
1.1 Bezug zum Thema
1.2 Worum es gehen sol
2 Der Begriff der Achtsamkeit
2.1 Achtsamkeit im Volksmund
2.2 Achtsamkeit im Buddhismus und der Psychologie/Therapie nnnnn(Mindfulness)
2.3 Kritik
3 Achtsamkeit als ethischer Begriff (Carefulness)
3.1 Die Freiheit der Achtsamkeit
3.2 Take Care (engl.)
3.3 Achtsamkeit als Care und Resonanz
3.4 Achtsamkeit zwischen Autonomie und Fremdbestimmung
3.5 Achtsamkeit berücksichtigt Differenzen der Macht und der Möglichkeiten
4 Zwischenstopp
5 Subjektorientierung
5.1 Du als Subjektorientierung
5.2 Ich als Subjektorientierung
5.3 Subjektorientierung als Bereitschaft zu teilen
5.4 Subjektorientierung als Verständnissuche (Zuhören, um zu verstehen)
6 Berufsethos- Berufswah
7 Stationäre Jugendhilfe als Diskursfeld
7.1 Der Gesetzgeber
7.2 SozialarbeiterInnen / ErzieherInnen
7.3 Starke Kinder und Jugendliche mit Eigensinn
7.4 Herkunftselter
7.5 Ungewöhnliche Gruppen
8 Erschwerte Bedingungen
8.1 Vernachlässigung und Trauma
9 Beziehungen
9.1 Beziehungsangebot der Postmoderne
9.2 Rahmenbedingungen für Beziehungen in stationären Wohngruppen
9.3 Nähe und Distanz
9.4 Kommunikation
10 Zwischenstopp
11 Achtsamkeit als Teamkonzept
12 Zusammenfassung
12.1 Die Auswirkungen der Achtsamkeit
Literaturverzeichnis
1 Einführung
„Noch 148713 Mails checken, wer weiß was mir dann noch passiert, denn es passiert so viel. Muss nur noch kurz die Welt retten und gleich danach bin ich wieder bei Dir…“ (Tim Bendzko 2011).
Während der moderne Mensch dauernd dabei ist, ´seine Mails zu checken´ und auf dem Weg ´zu Dir´ immer noch so viel passieren kann, so scheint es doch, dass er, indem er sein Ziel nicht findet, genau das bekommt, was er gesucht hat, nämlich das ´Wegsein´. Auch wenn Tim Bendzko die Ungebundenheit besingt, so liegt doch eine tiefe Melancholie über diesem ´Versagen. Denn, wie gerne würden wir doch unsere Ziele finden, bei ´dir sein´ und dabei unsere Anwesenheit genießen. Doch irgendetwas scheint uns davon abzuhalten.
Die Botschaft der Achtsamkeit (Mindfulness) weckt Sehnsüchte, dieser Flucht zu entkommen: Entschleunigung, echte Begegnung, Leben im Hier und Jetzt und somit Zeit ´für dich´.
Westliche Achtsamkeitsvermittlung übersetzt dabei östliche Weisheiten aus dem Buddhismus. Im therapeutischen Einsatz schafft die Praxis vielen Menschen Hilfe und Erleichterung.
Einen anderen Weg geht die Ethik der Achtsamkeit (Carefulness) von Elisabeth Conradi. Hier ist Achtsamkeit kein Bewusstwerdungsprozess, sondern sie entwickelt ein vertieftes Verständnis, achtsam mit Menschen in asymmetrischen, manchmal scheinbar nicht-reziproken Beziehungen umzugehen. Das ´zu dir´ (Bendzko) scheint in solchen Bezogenheiten versperrter und ´echte Begegnung´ wird zur Herausforderung.
Die Jugendhilfe ist so ein Ort. Dies liegt weder an den ´schwierigen´ Kindern und Jugendlichen und auch nicht an gedankenlosen, unsensiblen ErzieherInnen. Vielmehr muss in dem schwierigen Kontext stationärer Heimunterbringung Erziehung und Beziehung stattfinden. Hier greift der meditationstechnische Achtsamkeitsbegriff allein zu kurz. Diesen Mainstream der Literatur trotzdem vorzustellen ist unausweichlich, eine andere Sichtweise ist derzeit kaum auffindbar und verfolgt den Sinn, den Kern einer so diskutierten Achtsamkeit zu verstehen. Der in der buddhistischen Tradition gelehrte Weg des ´Nicht Eingreifens´ fordert zudem heraus, sich mit der Nähe zum Paternalismus in Sozialbeziehungen auseinanderzusetzen.
Es steht viel auf dem Spiel, denn teure Jugendhilfe soll gelingen und steht im Fokus der Öffentlichkeit. In stationären Einrichtungen sind den Sozialarbeitenden Kinder anvertraut, die mit hohen oder auch subtil formulierten Erwartungen ausgestattet, aus ihrem Identitätsort herausgenommen wurden. Dabei gewinnen viele Kinder den (falschen) Eindruck, ihren Eltern gegenüber nicht mehr loyal zu sein und beweisen durch Opposition, wie schmerzhaft sie ´ihr Versagen´ bedauern.
Den MitarbeiterInnen des Hilfealltags wird viel zugemutet, hohe Ausgestaltung sozialpädagogischer Schlüsselqualifikationen wie Ambiguitätstoleranz, Belastbarkeit oder Empathie etc., bei einer Bezahlung und öffentlichen Wertschätzung, die immer noch den Stempel der Alltagsorientierung, ´Erziehen kann doch jeder´, propagiert.
Mein Thema, Achtsamkeit in der stationären Jugendhilfe, ist kein Vorwurf der Unachtsamkeit an die Erziehenden, sondern ein Reflexionspunkt. Denn einerseits sind die Mitarbeitenden der Gefahr ausgesetzt, in einer Routinemühle vieler Strukturschwächen stationärer Jugendhilfe, an den einstmals gefassten Professionsüberzeugungen zu (ver-)zweifeln.Andererseits kann die Reflexion zu einem Wendepunkt werden. Kohlberg hält, „Moralurteile, die innerhalb von Bezugsgruppen entstehen für >>konventionell<< und deshalb ein Sich- Entfernen von der >Bezugsgruppe< und ein Ausrichten nach überpersönlichen Prinzipien für die einzige Möglichkeit zu einem kritischen Urteil zu kommen“ (Conradi 2001, S.199). Sein Einwand wirft sowohl einen Blick auf die Fähigkeit von Teams, Achtsamkeit zu entwickeln bzw. ausüben zu können, als auch auf die Selbstachtsamkeit und die eigene Rolle in der Arbeitsgruppe. Diesem Gedanken folgend wird die vorgestellte Subjektorientierung zum Blickwinkel auf das Selbst und auf das Team. Reflexion wird hier zum „Entfernungspunkt“ und zur Chance: Achtsamkeit im Fokus ermutigt, zu dem zu kommen, was man eigentlich möchte.
1.1 Bezug zum Thema
Im Zuge des Lesens vieler unterschiedlicher Achtsamkeitsliteratur bleibt es nicht aus, vom Anliegen der Achtsamkeit als Mindfulness erfasst zu werden.
Oft beschäftige ich mich mit der Vergangenheit oder Zukunft. Ist in Gedanken beim übernächsten Thema plant oder ich bemerke nicht die Aufforderung ´Wasser zu geben´, wenn unser Hund einfach still neben seinem Trinknapf liegt. Unachtsamkeit lebt.
Achtsamkeitsliteratur macht bewusst, wie sehr in mangelnder Präsenz der Wert des Moments verlorengehen kann. Am Ende erreichter Ziele steht schon die Hetze der neuen Erwartungen. Zurück bleibt eine Art ´Nie – Zufriedenheit´. Sara Silverton erzählt u.a. die Geschichte von Henry der seine an multiple Sklerose erkrankte Frau pflegt: „ Sie war schon länger krank, und sein Leben bestand hauptsächlich darin, sie zu versorgen und sich um den Haushalt zu kümmern. Er entdeckte durch seine Achtsamkeitspraxis, dass er die schönen Momente ihres Zusammenlebens, die es trotz ihrer Krankheit immer noch gab, wahrnehmen und wirklich genießen konnte. Er stellte auch fest, dass er sich mit seiner Frau als Mensch statt als MS-Patientin verbinden konnte. Er nahm sich Zeit, im Garten den Sonnenuntergang und die Vögel zu betrachten und Wege für sie beide zu finden, Musik und den Sonnenschein draußen zu genießen. Er sagte, er warte nicht mehr darauf, sein Leben leben zu können, sondern habe beschlossen es jetzt zu leben“ (Silverton 2012, S.25).
Auch wenn ich den östlichen Achtsamkeitsbegriff als „Selbstkultivierung“ (Kaltwasser 2008, S.65) in der Kritik einer Beliebigkeit von Engagement und Helfen sehe und ich im folgenden die Ethik der Achtsamkeit als bewusst wertendende Philosophie in den Mittelpunkt meines Jugendhilfeblicks stelle, dieses Stehen bleiben, um sich oder dem anderen zu begegnen, tut gut.
Über die Ausführungen von Conradi et.al. freue ich mich, denn sie entwickeln im Gegensatz zum Prinzip eine Ethik der Praxis. Achtsamkeit erhält einen Bezugspunkt, wird somit beschreibbar, verliert seine Beliebigkeit und wird dennoch nicht normiert.
Eine Praxisethik lebt von Zuwendung, Knowhow und Resonanz, und schafft den Freiraum, sich zu verbessern. Dies gilt im Kontext von Care givern (den Hinwendenden, ob in Pflege oder Jugendhilfe), die Carol Gilligans Leitspruch „not to turn away from someone in need “ (Conradi 2001, S.228) annehmen. Sie meint damit, dass eine Person, die sich nicht abwendet, den anderen nicht verlässt und den Mut hat, auszuhalten (vgl. Conradi 2006, S.254). Eine solche Person wendet sich nicht ab, um zwar fehlerlos zu bleiben, aber im Gegensatz gar nichts zu tun.
Dem Ansatz über ethisches Verstehen Haltungen statt Handlungsanweisungen zu vermitteln, stimme ich sehr zu. Es entspricht meinem Verständnis, dass Handlungsoptionen aufgrund von reflektierten Haltungsfreiräumen für die individuelle Situation in der Praxis zur Verfügung stehen.
1.2 Worum es gehen soll
Meine Thesis ist in vier Teile gegliedert:
Im ersten Teil untersuche ich die Achtsamkeit im Volksmund und ebenso den therapeutischen Achtsamkeitsbegriff in Anlehnung an den Buddhismus (Mindfulness). Sich intensiv mit der Mindfulness auseinanderzusetzen ist, wie erwähnt, unverzichtbar. Achtsamkeit in dieser Auffassung beherrscht derzeit die Literatur. Sebastian Sauer versucht die neuesten Forschungen zu den Wirkfaktoren der Achtsamkeit zusammenzuführen und gibt gleichzeitig einen wissenschaftlichen Einblick in die Thematik der Diskussion. In der Dialektik zusammen mit einer hier bereits kurz erwähnten philosophisch ethischen Achtsamkeit (Carefulness), wird ein Konflikt sichtbar, den es zu lösen gilt: Der Achtsame ist nicht der Gute.
Der achtsame Bankräuber, der alles perfekt plant oder der Mensch, der in den Augenblick seines Tuns versinkt und Wichtiges um sich herum übersieht, handelt - ja wie? Ist es `kalte` Achtsamkeit oder etwas anderes?
`Wahre Achtsamkeit´ muss das ´Gute` entstehen lassen, sonst wäre sie z.B. auch für die stationäre Jugendhilfearbeit unbrauchbar.
Conradis Ethik der Achtsamkeit erörtere ich im zweiten Teil meiner Thesis. Bezogen auf die stationäre Jugendhilfe trifft dies auf einen Nerv, der die Dimension zwischen Nähe und Distanz, der Privatheit im professionellen Arbeitsbündnis in Sozialbeziehungen bewegt. Conradis Ethik formuliert im Gegensatz zu Beschreibungen und auch im Gegensatz zu reiner Diskursethik einen neuen Ansatz, den sie Praxisethik nennt. Im Versuch, oben angesprochene Distanz- und Näheproblematiken zu formulieren, werden die Ansatzpunkte sichtbar, können verstanden werden und helfen subjektorientiertere Beziehungen in der Jugendhilfe zu verwirklichen.
Ein Leitmotiv der achtsamen Beziehungsfindung kann für die professionelle Arbeit grundsätzlich gefunden werden: Achtsamkeit beginnt damit, `zuhören zu wollen`.
Im dritten Teil lasse ich deshalb die unterschiedlichen Akteure aus ihrer Perspektive zu Wort kommen und gebe einen Einblick in ihre Spannungsfelder im Bezug auf mögliche Auswirkungen auf eine subjektorientierte Beziehungsgestaltung.
Dort greife ich auch die erschwerten Bedingungen einer stationären Jugendhilfe auf und untersuche die Nähe und Distanz in Beziehungen. Ein Fazit ziehe ich im ´Zwischenstopp´.
Im vierten Teil kläre ich meine Fragestellung weiter:
Wie kann Achtsamkeit in der stationären Jugendhilfe Beziehungen subjektorientierter gestalten?
Hier motiviere ich mit Gebauer zu einem Teamkonzept, das Achtsamkeit fördern kann, beschreibe, welche Auswirkungen möglicherweise zu erwarten sind und erkläre, wie dadurch ein bleibender Wert, gerade für Kinder und Jugendliche, entstehen könnte.
In einer Zusammenfassung und einem Schluss reflektiere ich das Thema und hefte in den Anhang drei kurze Beispiele zur Schaffung eines Anliegens (vgl. Gebauer 2011, S.135).
2 Der Begriff der Achtsamkeit
Die Beschreibung der Achtsamkeit ist komplex, denn der Begriff ist unterschiedlich besetzt. Der im Trend liegende Ausdruck entspricht etwa im buddhistischen Sinn am ehesten einer meditativen Lebensweise, die ohne Praxis allein kognitiv nur schwer erfasst werden kann. Im ethischen Sinn ist Achtsamkeit ohne ihre Verbindung zu Tugenden, wie Rücksichtnahme oder Nächstenliebe undenkbar. In diesem Kapitel möchte ich den Begriff als das ´Verständnis des Volksmundes´, die Achtsamkeit als Begriff der Psychologie/Therapie in Anlehnung an den buddhistischen Meditationsbegriff und Achtsamkeit als ´Praxis der Begegnung´ einer ethischen Philosophie auseinander halten.
2.1 Achtsamkeit im Volksmund
Wolfgang Jantzen wendet sich in seinem Vortrag Achtsamkeit und Ausnahmezustand gegen den Missbrauch der Achtsamkeit als Jargon. Hierbei schütze die Benutzung dieses „Edelsubstantives“ (Janzen 2009, S.3) vor genauerem Nachfragen. Wer sich mit Achtsamkeit umgibt „gewährleistet zugleich die Stiftung übersachlicher Beziehung“ (ebd., S.4). Gleichzeitig berichtet er von zahlreichen Vergehen, die im Namen der Achtsamkeit von Institutionen oder auch Einzelpersonen begangen werden, wie etwa einem Unternehmen, das aus „Achtsamkeit seinen Finanzen gegenüber“ (ebd., S.3) in einem Wohnheim für behinderte Menschen Nachtwachen zu Nachtbereitschaftsstellen umfunktionierte. Solche Missachtungen, die unter dem Schutzmantel der Achtsamkeit verübt werden, nennt er in Anlehnung an Hannah Arendt „Vernunftfallen“, gegen die „Widerstand geradezu ein Gebot ist “ (ebd., S.9).
Die Achtsamkeit als Jargon zu benutzen eignet sich demnach besonders gut, da der Begriff neben einer gewissen Unschärfe im Volksmund mit wesentlich mehr als geistiger An- und Abwesenheit verbunden zu sein scheint. Mit Achtsamkeit, und man fragt sich mitunter, was das eigentlich genau ist, verbindet sich ein tugendhaft gefüllter Begriff, der im Duden online Lexikon von heute mit den Synonymkategorien vorsichtig, liebevoll, aufmerksam, sparsam, defensiv und liebenswürdig verbunden wird (www.duden.de). In der Definition des Dudens von 1963 wird die Achtsamkeit auch auf das mittelhochdeutsche Wort „ähte“ (ächten) und „ahta“ achten (S.11) zurückgeführt, was den Ausschluss aus (im Zuge der Ächtung) oder die Achtung in der Gemeinschaft bedeuten kann. Das deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm schreibt der Achtsamkeit und der Aufmerksamkeit dieselbe lateinische Sprachwurzel „attentio“ zu. Neben der reinen Aufmerksamkeit nimmt die Achtsamkeit auch hier den älteren Bezug zum ´Angesehensein´, einem in der Gesellschaft für „ schätzbar“ und damit der Achtung für würdig befundenen Menschen (vgl. Grimm 1854, S.170-171). Auch Conradi sieht in der Achtsamkeit den „starken Impetus von Achtung“ (Conradi 2001, S.55).
In der Osterpredigt von 2008 ruft Bischof Wolfgang Huber zu mehr Achtsamkeit auf. Achtsamkeit sei „ein Umgang miteinander, in dem sich die Liebe zum Nächsten, wie zu sich selbst spiegelt“ (Conradi 2008, S.1). Huber setzt hier die Achtsamkeit in Bezug zum Gegenüber. Dies bedeutet einerseits, dass, wenn wie in Janzens Beispiel, Eigeninteressen (dort die Finanzen) in den Fokus gestellt werden, ohne die Auswirkungen auf das Gegenüber zu beachten, aus achtsamem Handeln genau dessen Gegenteil entstehen kann. Zum zweiten, dass von der Achtsamkeit an sich erwartet wird, dass sie, hier in Verbundenheit zur Nächstenliebe, eine Ausrichtung auf „den Anderen“ (Habermas) einnimmt.
Achtsamkeit kann demnach als ein im Volksmund bereits mit weiteren Werten in Verbindung gebrachter, positiv besetzter Begriff verstanden werden, der sich auf erhöhte Aufmerksamkeit (Attentio) gründet. Als eine in eigener Verantwortung zu ergreifende Tat, soll Achtsamkeit gute Auswirkungen auf sich selbst oder den ´Nächsten´ haben.
2.2 Achtsamkeit im Buddhismus und der Psychologie/Therapie nnnnn(Mindfulness)
Den Weg in die gegensätzliche Richtung schlägt der Achtsamkeitsbegriff innerhalb der modernen Psychologie ein. In Anlehnung an den Buddhismus setzt hier die Selbstveränderung und die Veränderung der Umwelt durch die eigene Fähigkeit zur Achtsamkeit (Sati) ein.
Im Buddhismus wirkt die Achtsamkeitsmeditation direkt auf die psychischen Abläufe. Der Prozess wird gegliedert in bewusst werden (Vianna), erkennen (Sanna), empfinden (Vedana) und affektiv-motivational reagieren (Sankhara) (vgl. Sauer 2011, S.58). Mittels Achtsamkeitsübungen (vergleichbar Meditationen) werden die einzelnen Schritte des Prozesses bewusst und routiniert. Der Geist wird zuerst (meist über das Spüren des Atmens) in das Bewusstwerden (Vedana) gebracht. Im Sanna wird ein Reiz bei aktiviertem Bewusstsein erkannt und beobachtet, welche Empfindungen (Vedana) damit verbunden sind. Eine „affektiv“ -motivationale Reaktion (Shankara) erfolgt anschließend im Angesicht der bewussten Wahrnehmung und einem möglichen Entschluss dazu (vgl. ebd. S.58-60).
Die Achtsamkeit ist im Buddhismus nicht von der Lehre über das Leiden zu trennen. Zu dessen Überwindung gehört u.a. das Praktizieren der Achtsamkeit: „Im Bewusstsein des Leidens bin ich entschlossen, auf körperliche und geistige Gesundheit für mich selbst, meine Familie und meine Gesellschaft zu achten, in dem ich achtsames Essen, Trinken und Konsumieren praktiziere“ (Pfeiffer –Schaupp 2010, S.181). Auch andere Übungsinhalte werden bei Pfeiffer - Schaupp unter dem „ Bewusstsein des Leidens“ ausgeführt.
Im Gegensatz dazu soll im therapeutischen Bezug „betont werden, dass für jemanden, der sich auf solche Übungen einlässt, nicht die "Konversion" zu spezifischen (z.B. buddhistischen) Überzeugungen notwendig ist, sondern nur eine Offenheit für die Praxis von Übungen“ (Michalak/Heidenreich/Williams 2012, S.9).
Man sieht den Einsatzort der Achtsamkeit unter anderem als Intervention und Methode in der Psychotherapie oder als Übung für den Therapeuten selbst (vgl. Sauer 2011, S.65).
Sauer et al. entkernen die Vielzahl der Achtsamkeitsdefinitionen[1] auf die Kategorien Präsenz und Gleichmut (Akzeptanz) (vgl. Sauer 2011, S.16-17). In einer Matrix werden die Kategorien gegenübergestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Präsenz-Gleichmut-Matrix
( Sauer2011, S.21)
Die Präsenz (links) kennzeichnet die Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt, immer in Verbindung mit einer Intentionalität, der „Relation zu einem Objekt“ und einer Handlungsbefähigung (im Sinne von Wollen) (ebd., S.18).
Als Gleichmut (Akzeptanz) kann am besten das Modell der „schöpferischen Indifferenz“ (nach Friedländer) verstanden werden: „Die schöpferische Indifferenz sagt weder "ja" noch "nein"- das ist Gleichmut, das einfache Anerkennen der Tatsachen. Die Indifferenz ist deswegen schöpferisch, weil sie keine Option ausschließt. Ebenso wenig bestätigt sie aber“ (ebd., S.19).
Ist die Aufmerksamkeit nicht bei der aktuellen Wahrnehmung, sondern beschäftigt sich mit Vergangenem oder Zukünftigem, so befindet sie sich im Status des „Autopiloten“ (I). Man ist, wie Silverton dies nennt, nicht im Seins– Modus (2012, S.106) und fährt etwa gewohnheitsmäßig zum Bahnhof, obwohl man heute zum Bäcker möchte.
Im Gegensatz dazu steht die Achtsamkeit (IV) mit hoher Präsenz und hoher Gleichmut. Diese meint, selbst „…die Affektivität wird beobachtet, nicht frei laufen gelassen" (Sauer 2012, S.22). Der geübte Achtsame verfügt damit über eine Art Affektpause.
Sauer grenzt Achtsamkeit zu einer Vielzahl psychologischer Konstrukte ab. Etwa zur Selbstaufmerksamkeit, die über den Abgleich von „Ideal- und Realbild“ und aufgrund wahrgenommener Differenzen oft zu „negativen Affekten“ führt. Oder auch zum Self-monitoring: „Achtsamkeit bedeutet nicht Steuerung des eigenen Verhaltens, um sozialen Situationen gerecht zu werden“ (ebd., S. 27-29 und S.35).
Auch sei die Achtsamkeit kein „flow“, bei dem das leichte Gelingen einer Aufgabe trotz hoher Anforderungen im Vordergrund steht. „Nicht der Grad des Erfolgs hat für achtsames Tun eine Bedeutung, sondern lediglich das Tun selbst. Leistungsorientierung spielt für die Achtsamkeit ebenso keine Rolle" (ebd., S.38).
Sauer zeigt, dass die Ergebnisse der (teils neurowissenschaftlichen) Studien „durchaus einen positiven Effekt von Achtsamkeit auf das habituelle Wohlbefinden“ haben (2011, S.228). Im Bezug auf die affektive Reaktivität unterscheidet er, in Auswertung der verschiedenen Studien, zwischen expliziten und impliziten Indikatoren (die anhand Bilder-Bewertungs- oder Emotionaltests ermittelt werden). Vorbewusste Abläufe, die dem impliziten Schema zugeordnet werden, wurden demnach durch Achtsamkeit beeinflusst (ebd., S.228). Überrascht zeigt sich Sauer, dass sich die affektive Reaktivität „vor allem in neutralen Stimuli und weniger in aversiven Stimuli niederschlägt", obwohl erwartet wurde, „dass Achtsamkeit zu verringerter affektiver Reaktivität gegenüber (hoch) aversiven Stimuli führt" (ebd., S.230).
Die Messungen die zwischen State (Zustand) und Trait (Charakterzug, bzw. stabile Tendenz) Achtsamkeit unterscheiden, lassen erwarten, dass es einer längeren Übungsphase (man spricht hier von Übungsjahren) und einer „gewissen Haltung und Gewohnheit“ bedarf, um den Bewusstheitszustand der Achtsamkeit in jeweiligen Situationen zu aktivieren (ebd., S.15 und S.229).
Weiterhin scheint sich zu bestätigen, dass der Einsatz von Achtsamkeitsfragebögen nicht unproblematisch ist. So sei es möglich, "dass Personen die der Achtsamkeit positiv gegenüberstehen, sich auch in Fragebögen entsprechend darstellen“ (ebd., S.229).
Achtsamkeit (Mindfulness) ist hiernach ein Begriff, der in Präsenz und Gleichmut gegliedert wird, therapeutischen Effekt erzielt und in der östlichen Lehre als „Selbstkultivierung“ (Kaltwasser 2008, S.65), einer Veränderung durch Selbstveränderung, einen Weg aus dem Leiden weist. Wie bereits erwähnt, sieht man den Einsatzort der Achtsamkeit als „Therapiesystematik“ (ebd., S.64) unter anderem in der Psychotherapie, als Übung für den Therapeuten selbst oder etwa als Anregung und Anleitung zum Selbstgebrauch.
2.3 Kritik
In der boomenden Literaturlandschaft zum Thema wird Achtsamkeit auf viele Gebiete ausgedehnt, so gibt es z.B. Achtsamkeit in der Schule oder im Kindergarten, für den Nichtraucher oder als Humor (Jugendhilfe fehlt). Die oben vorgestellte therapeutisch kurative Perspektive wird hier vermehrt durch ´Botschaft´ ersetzt. Es ergibt sich eine Schnittstelle zwischen östlicher und einer säkular ethischen, westlichen Philosophie (vgl. Silverton 2012, S.13). Auf dieser Grundlage ist die gegenseitige Kritik nicht unideologisch oder areligiös.
Die Kritik an der `Verwendung` der Achtsamkeit liegt auf dem schmalen Grad zwischen Gleichmut und Gleichgültigkeit, Zuwendung und Selbstzweck.
Pfeiffer- Schaupp etwa kontert einer unterstellten Gleichgültigkeit (in seinem Buch: die Kunst des NICHT Helfens): „Mitgefühl ist etwas Schönes. Manchmal sonnen wir uns gerne in unserem Mitgefühl. Helfen tut gut. Vor allem dem Helfer“ ( 2010 , S.126).
Jantzen der sich, wie oben gezeigt, gegen den Missbrauch der Achtsamkeit als Jargon wendet, kritisiert im Kern den Verlust der Wucht, der Empörungs- oder Engagementskraft der Achtsamkeit. Für ihn ist Achtsamkeit kein Bewusstseinszustand, sondern eine ethische Haltung. Diese „lärmt, wenn sie engagiert ist“, anstatt sanft zu klingeln. Achtsamkeit ist hier ein Gebrauchsgegenstand für „den Anderen“ oder wirkt als „Tigersprung in die Jetztzeit“ (Jantzen zitiert Pablo Neruda, 2009, S.17), als Zivilcourage gegen das Unrecht, „habituelles Wohlbefinden“ ist dabei sekundär.
Achtsamkeit wird besonders an Menschen sichtbar, die der Achtsamkeit bedürfen und hier ergreift Jantzen vor allem für Menschen mit Assistenzbedarf Partei. Genau dort wird eine egozentrische Achtsamkeitsauslegung für ihn zur Belastung: „Sie aber“ (hier meint er die Meditierenden im Zustand der Affektlosigkeit- Ataraxie), „greifen nicht ein und sie müssen nicht eingreifen“ (Jantzen 2009, S.5). Schuld sei, hier zitiert er Schweitzer, „die Weltabgewandtheit der Denkart“ (ebd., S.5).
„Ganz im Gegenteil zur ausschließlich an Zen orientierten Argumentation liegt der Schlüssel zur Überwindung des Egoismus nicht im Rückzug in die Ataraxie, sondern in der Realisierung des Mitgefühls“ (ebd., S.7).
Selbstredend kritisiert Pfeiffer- Schaupp, dass der Achtsame nicht mit dem Guten zu verwechseln ist. (Die lange Zitatversion zeigt auch den Übungsablauf der Achtsamkeitsanwendung typischer Literatur)
„Ähnlich geht es mir manchmal, wenn ich eine säuselnde, zuckersüße Stimme höre, die zur Meditation anleiten möchte. Es entsteht bei mir schnell Widerwille und der Verdacht, dass hier etwas verdrängt wird, dass die Stimme des Alltags eine ganz andere ist als die Stimme in der Meditationsanleitung. Ich nehme diese Ablehnung in mir achtsam wahr, ohne sie zu bewerten-und frage mich, was ich daraus lernen kann. Ich lerne etwas über mich selbst, über meine Aversionen und blinden Flecken. Ich lerne-vielleicht-auch etwas über die Gefahren von "spirituellen Zuckerguss" (…) "die rosa Brille kann unsere Realitätswahrnehmung trüben. Spiritueller Zuckerguss versteckt das Hässliche darunter. Sexuelles Begehren, Machtkämpfe und Gier nach Geld sind auch in spirituellen Kreisen mächtige Triebfedern des Denkens, Fühlens und Handelns. Aber oft werden sie verleugnet, tabuisiert, ausgegrenzt-und wirken dadurch umso verhängnisvoller“ (Pfeiffer- Schaupp 2010, S.194).
Im Gegensatz zur östlichen und therapeutisch- kurativen Definition von Achtsamkeit folgt Conradi, in ihrer „Take Care – Grundlagen einer Ethik der Achtsamkeit“, einem Achtsamkeitsverständnis das wertet. Gutes soll von schlechtem Handeln unterschieden werden, eine Bewertung stattfinden, wodurch eine Wahl getroffen werden kann (vgl. Conradi 2010, S.93): „Eine Ethik der Achtsamkeit bezieht sich nicht nur auf das Hier und Jetzt, sondern schließt einen verantwortungsvollen Umgang mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein“ (ebd., S.93).
Aus der religiös motivierten Auseinandersetzung sei etwa Colin Goldner (Der Fall eines Gottkönigs 1999) erwähnt, der den Zen-Buddhismus (Karma/ Nihilismus) kritisiert oder Marie Mannschatz: „Im Buddhismus ist Moral nicht auf Angst vor Strafe gegründet, sondern darauf, die Verantwortung für das eigene Wohlergehen zu tragen“ (2011, S.134).
3 Achtsamkeit als ethischer Begriff (Carefulness)
In gleicher Weise wie Jantzen, Volz, Noller oder Huber versteht Conradi die Achtsamkeit als ethische Haltung. Scheinbar automatisch greift ethische Achtsamkeit dabei Begriffe auf, die ihr Handeln näher beschreibt. So heißt es, wie oben gezeigt, etwa bei Huber, Achtsamkeit sei „ein Umgang miteinander, in dem sich die Liebe zum Nächsten, wie zu sich selbst spiegelt, oder Jantzen nennt es „Zivilcourage“. Conradi beschreibt in 12 Statements die wesentlichen Elemente der Achtsamkeit. So heißt es dort z.B., „die Achtsamkeit ist eine Vorgabe und ein Geschenk, sie ist nicht an eine Gegengabe gebunden“ (Conradi 2010, S.95). Warum aber, könnte man fragen, sind dies Kennzeichen der Achtsamkeit, ließen sich nicht viele weitere, andere Beispiele finden?
Conradis Ethik führt an den Ursprung der Achtsamkeit zurück: Wenn zwei Menschen sich begegnen, einer der beiden Hilfe braucht und der andere sich nicht abwendet (Gilligans „not to turn away from someone in need“ (s.o.)), besteht die Möglichkeit Achtsamkeit zu entwickeln. Das Hinwenden und nicht Wegsehen sind der Beginn in einer gemeinsamen „Bezogenheit“ (Conradi 2001, S.179) aus Begegnung und Verlässlichkeit, zwischen Care giver und Care receiver, der Care Interaktion, Achtsamkeit zu entwickeln (vgl. ebd., S.238). An dieser Stelle, die mit dem `stehen bleiben` beginnt und an der eine Begegnung für mindestens zwei Menschen Bedeutung gewinnt, kann Achtsamkeit entstehen und meint damit zunächst, ich bin für dich da und höre dir zu, bzw. ich will dich verstehen oder andersherum ich sage dir, bzw. gebe mich zu verstehen. Man kann dies im übertragenen Sinn mit einer Freundschaft vergleichen, nur unter der Rubrik Hilfeleistung. Auch Freundschaft ist völlig freiwillig und doch wiederum auch nicht, sie wächst oder verkümmert. Wenn sie fehlt wird sie vermisst, befehlen kann man ihr nichts.
Von diesem Ursprung der Begegnung aus, wird klar, dass zuerst überlegt werden kann, wie gehen wir miteinander um, verstehe ich dich richtig oder behandle ich dich etwa so, wie du es gar nicht haben willst? Hier werden mitgebrachte Haltungen reflektiert, ein besseres Verständnis des anderen gesucht (Kompetenz und Empowerment), das Haushalten mit den eigenen Kräften abgewogen oder dadurch Verantwortung übernommen, dass Hilfe an z.B. professionelle Dienste weitervermittelt werden muss. „Kritik und Veränderung“ finden durch die „konkrete Situation“ (ebd., S.197) oder durch die „aktuelle Begegnung“ (ebd., S.200) statt. Es ist eine Ethik der Praxis. Der Prozess dieser gemeinsamen Achtsamkeitserfahrung kann von hier aus durch weitere Begriffe beschrieben werden.
In der Jugendhilfe wirft `Verstehen` zunächst eine Menge Fragen auf. Wie empfinden Kinder ihre Heimsituation, warum reagieren Jugendliche so oppositionell, warum arbeiten Herkunftseltern scheinbar so wenig mit oder etwa, warum wird mein Handeln nicht wertgeschätzt. Auch auf der Beziehungseben ist die Suche nach Distanz und Nähe, privatem und professionellem schwierig. Es scheint zwingend, dass von hier aus alle `zu Wort` kommen müssen.
Achtsamkeit, vorgestellt als Prozessgeschehen, beginnt in der stationären Jugendhilfe mit dem zentralen Thema: Verstehen wollen, um richtig handeln zu können!
Nur wer nicht schon alles weiß, wird hören wollen.
Nur wer zuhört, kann besser verstehen.
Nur wer versteht, kann besser handeln.
3.1 Die Freiheit der Achtsamkeit
„Wenn Sie so etwas bemerken, bitte, sehen Sie nicht weg!“ (Eine Einrichtungsleitung)
Ehe man sich von Conradi et. al. auf die Spur setzen lässt, was ethische Achtsamkeit (Carefulness) bedeutet, muss überlegt werden, welchen Stellenwert Achtsamkeit, vor allem in der professionellen Arbeit, überhaupt einnehmen kann. Geschieht im Volksmund etwas aus Unachtsamkeit, so ist meist kaum Absicht zu unterstellen, auch wenn die Grenzen zur Fahrlässigkeit fließend sind. Etwas wurde nicht beachtet, was mehr oder weniger berücksichtigt hätte werden können oder müssen. Achtsamkeit erscheint als eine Art Zugabe zum Gewöhnlichen. Ist Achtsamkeit generell ein lediglich „netter Zusatz“?
Huber ruft generell zu ihr auf und Jantzen fordert Zivilcourage gegen Missstände. Conradi bezeichnet sie als „Vorgabe und als Geschenk“ (s.o.). An einer anderen Stelle, in der sie die Achtsamkeit mit Professionalität in Beziehung setzt, spricht sie vom „extra“ das auch „im Rahmen bezahlter Tätigkeiten stattfinden kann“ … „selbst dann, wenn sie dringend notwendig erscheint“ (Conradi 2001, 45-46).
Die Ermahnung nach Achtsamkeit betrifft die Grenze zwischen dem, was gefordert werden kann, was bezahlt wird, was das Beste sei und ist andererseits ohne an die eigene Motivation anknüpfen zu können und Wertschätzung unmöglich.
Achtsamkeit im freiwilligen Kontext entsteht wie gezeigt, im Beginn einer Gegenseitigkeit von mindestens zwei Personen, von hier aus wird sie beschreibbar. Sie wurde ähnlich wie im Freundschaftsbild von Freiwilligkeit des Hinwendenden und weiterer Achtsamkeitsentwicklung durch Resonanz (Annehmen oder Ablehnen der Hinwendung) gekennzeichnet.
Anders sieht es aus in den Hochglanzprospekten von Institutionen, hier wird Achtsamkeit zum Aushängeschild und Achtsamkeit als Jargon wird zur pauschalen Pflicht. Erst im Umfeld der momentanen Anforderungen und erschwerten Bedingungen in der Jugendhilfestruktur wird klar, dass Subjektorientierung (zum Anderen) als das Ziel der Achtsamkeit hier nur in der Spannung zur Freiwilligkeit erreichbar ist. Hält man Conradis „extra“ (s.o.) fest, so wird klar, dass Forderungen an dieser Stelle ohne Wertschätzung zur Last und übersehenes Engagement zur Zumutung werden. Das Unterlassen von erhöhter Achtsamkeit bedeutet nicht Achtlosigkeit, sondern etwa Standard, vielleicht etwas weniger Suche nach Kompetenz oder nach vorausschauendem Nachdenken (Antizipation). Sich dies aber einzugestehen und diesen Zustand der Ungenauigkeit bewusst zuzulassen ist nicht das, was Sozial Arbeitende im Grunde wollen. SozialarbeiterInnen meinen, „dass es ihnen wichtig ist, sich in dem komplexen Arbeitsfeld der Erziehungshilfe sicher, professionell und ressourcenorientiert“ zu verhalten (Hagen/ Wittschorek 2011, S.83). Unachtsames Handeln ist meist ein Ausdruck von fehlendem Verstehen, falscher Deutung und standardisiertem Handeln.
Für viele Sozial Arbeitende gilt: „Der höchste Lohn für unsere Bemühungen ist nicht das, was wir dafür bekommen, sondern das, was wir dadurch werden" (John Ruskin, 1819 -1900). Es ist richtig, wenn der Hinweis, `achtsam sein zu sollen` als Bitte vorgetragen wird (s.o. Einrichtungsleitung). Erhöhte Achtsamkeit ist eine Leistung..
3.2 Take Care (engl.):
´Machs gut´ oder pass auf dich auf, meint auch, pass auf den anderen auf, nimm Rücksicht oder passt aufeinander auf.
Elisabeth Conradis Buch „Take Care Ethik der Achtsamkeit“ knüpft gedanklich an die englischsprachige Care- (was etwa Sorge oder Fürsorge bedeutet) Debatte an. Die Diskussion, die als „Genderdiskurs“ (vgl. Thiersch 2011, S.976) hauptsächlich für ihren Kampf wahrgenommen wird, dass Sorgetätigkeit nicht natürliches „Frauenschicksal“ sei (Heite 2008, S.59), und deshalb ein sozialpolitischer Anspruch lange auf sich warten lässt (vgl. Brückner 2011, S.207), beschäftigt sich inhaltlich mit asymmetrischen Beziehungen, dem Verhältnis von Autonomie und Fremdbestimmung oder auch, wie die Abgrenzungen zu „Normierungen und Standardisierungen“ (vgl. Brückner, http:www.reinhardt-verlag.de, v.14.04.2013) begründet werden können. Einen Beitrag wie dies ethisch aufzufassen und besser gelingen könnte, liefert die „Take Care“(2001).
[...]
[1] Kabat Zinn (siehe MBSR Programm) beschreibt die Aufmerksamkeit z.B. als: „present moment, on purpose and non- judgemental“ (Michalak/Heidenreich/Williams 2012, S.5).
- Arbeit zitieren
- Thomas Kleber (Autor:in), 2013, Achtsamkeit in der stationären Jugendhilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263026
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