Die Coverversion als Oberbegriff für alle Praktiken des Verwendens, Aufgreifens und Aufbereitens fremden musikalischen Materials ist ein heutzutage häufig genutzter Terminus. Wenn auch meist als Synonym für eine Neuaufnahme eines Werkes mit leichter Uminterpretation durch einen anderen Musiker verwendet, umfasst sie weit mehr als das. Scheinbar mit ihr fest verwobene Begriffe wie ‚Original‘ und ‚Kopie‘, ‚Kommerzialität‘ und ‚Einfallslosigkeit‘, aber auch ‚Hommage‘, ‚Huldigung‘ und ‚kulturelle Erinnerung‘ deuten auf eine komplexe Bedeutung dieses kulturellen Phänomens hin und lassen eine gewisse Ambivalenz erahnen. Die Grundidee der musikalischen Coverversion ist das Aufgreifen fremder Ideen oder ganzer Werke, mit der Bestrebung der Einbettung dieser in einen neuen Kontext oder deren Aufbereitung für einen anderen Zweck. Dies korrespondiert mit dem Eklektizismus, welcher, wertfrei betrachtet, ebenso die Übernahme fremder Ideen zum Zwecke der Kombination zu bzw. Erschaffung von etwas Neuem meint (Vgl. enzyklo.de). Die Intention und das Ergebnis dieser Nutzung fremder Ideen mögen dabei sowohl positiv als auch negativ ausfallen. Oft haftet jedoch sowohl der Coverversion als auch dem Eklektizismus eine negative Konnotation an:
Eklektizismus meint zumeist abwertend eine „unoriginelle, unschöpferische geistige oder künstlerische Arbeitsweise […], bei der Ideen anderer übernommen [werden]“ (Duden online)
„Coverversionen sind […] zumindest in der Masse und als marktbeherrschende Erscheinung im kulturellen Interesse nicht wünschenswert: Letztlich behindern sie andere förderungswerte Künstler, von denen musikalisch Neues und Kreatives zu erwarten wäre, in ihrem Fortkommen und ihrem Erfolg.“ (Pendzich 2004: 439)
[...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Cover als allgegenwärtiges Moment in der Musikhistorie.
2.1 Coverversionen im Wandel der Zeit
2.2 Cover als universeller Begriff verschiedener Kulturpraktiken
3. Praktiken des Coverns
3.1 Die Polarität der kulturellen Praktiken der Änderung, Bearbeitung und
freien Benutzung
3.1.1 Die Änderung – Coverversion im allgemeinen Sprachgebrauch.
3.1.2 Die Bearbeitung
3.1.3 Die freie Benutzung
3.2 Cover im digitalen Zeitalter
3.2.1 Remix und Sampling.
3.2.2 Mash-Up.
4. Die Coverversion als treibende Kraft künstlerischer Weiterentwicklung
4.1 Möglichkeiten wahrnehmbarer musikalischer Veränderungen.
4.2 Auswirkungen auf das Werk, den Künstler und die populäre Musik
5. Neuer Künstler - neue Ästhetik? Eine Analyse anhand von zwei aktuellen Beispielen
5.1 Das Cover als musikalische Weiterentwicklung - am Beispiel Callejons.
5.2 Das Cover als musikalischer Affront - am Beispiel Heinos.
5.3 Abschließender Vergleich
6. Resümee
Anhang
Nr. 1 - Screen Shot GEMA Online-Datenbank – Musikalische Werke.
Nr. 2 - detaillierte Betrachtung der Songs des Albums „Man spricht Deutsch“ von
Callejon
Nr. 3 - detaillierte Betrachtung der Songs des Albums „Mit freundlichen Grüßen“
von Heino
Nr. 4 - Front des CD-Booklets von Heino s „Mit freundlichen Grüßen“
Verzeichnis der verwendeten Literatur
1 Einleitung
Die Coverversion als Oberbegriff für alle Praktiken des Verwendens, Aufgreifens und Aufbereitens fremden musikalischen Materials ist ein heutzutage häufig genutzter Terminus. Wenn auch meist als Synonym für eine Neuaufnahme eines Werkes mit leichter Uminterpretation durch einen anderen Musiker verwendet, umfasst sie weit mehr als das. Scheinbar mit ihr fest verwobene Begriffe wie ‚Original‘ und ‚Kopie‘, ‚Kommerzialität‘ und ‚Einfallslosigkeit‘, aber auch ‚Hommage‘, ‚Huldigung‘ und ‚kulturelle Erinnerung‘ deuten auf eine komplexe Bedeutung dieses kulturellen Phänomens hin und lassen eine gewisse Ambivalenz erahnen. Die Grundidee der musikalischen Coverversion ist das Aufgreifen fremder Ideen oder ganzer Werke, mit der Bestrebung der Einbettung dieser in einen neuen Kontext oder deren Aufbereitung für einen anderen Zweck. Dies korrespondiert mit dem Eklektizismus, welcher, wertfrei betrachtet, ebenso die Übernahme fremder Ideen zum Zwecke der Kombination zu bzw. Erschaffung von etwas Neuem meint (Vgl. enzyklo.de). Die Intention und das Ergebnis dieser Nutzung fremder Ideen mögen dabei sowohl positiv als auch negativ ausfallen. Oft haftet jedoch sowohl der Coverversion als auch dem Eklektizismus eine negative Konnotation an:
Eklektizismus meint zumeist abwertend eine „unoriginelle, unschöpferische geistige oder künstlerische Arbeitsweise [...], bei der Ideen anderer übernommen [werden]“ (Duden online)
„Coverversionen sind [...] zumindest in der Masse und als marktbeherrschende Erscheinung im kulturellen Interesse nicht wünschenswert: Letztlich behindern sie andere förderungswerte Künstler, von denen musikalisch Neues und Kreatives zu erwarten wäre, in ihrem Fortkommen und ihrem Erfolg.“ (Pendzich 2004: 439)
Beide, mit negativen Werten behafteten, Aussagen gehen jedoch lediglich von einer einfachen Neuaufnahme aus, welche keinen eigenen kreativen bzw. kompositorischen Beitrag erkennen lässt. Aufgrund der oft mangelnden eigenschöpferischen Leistung dieser Art des Coverns, wird diese zumeist mit Begrifflichkeiten wie ‚Wiederholung‘, ‚kulturelle Erschöpfung‘, ‚Inauthentizität‘ sowie ‚Mangel an Kreativität‘ verbunden. Da jedoch eine Coverversion weit mehr beinhalten kann als eine bloße Kopie des Originals, können ihr auch positive Werte zugeschrieben werden, die bei künstlerischer Auslegung eklektizistischer Praktiken sogar zu kulturellem Fortschritt beitragen können. So dient die Beschäftigung mit bereits Dagewesenem beispielsweise auch der Erhaltung von kulturell wertvoller Musik sowie der kritischen Reflexion dieser. (Vgl. Plasketes 2010a: 2) Aus dieser Ambivalenz des Begriffes ‚Coverversion‘ lässt sich also ableiten, dass es sich hierbei keinesfalls um eine feststehende, unveränderliche und vor allem nicht als rein negativ zu erachtende musikalische Praxis handelt. Vielmehr unterliegt die Coverversion durch den Einfluss anderer Faktoren, wie z.B. der Ökonomie, dem Recht sowie soziokultureller Aspekte, ständigen Veränderungen und Umdeutungen. Aus der stetigen Beschäftigung mit vorhandenem Material entstehen somit immer wieder neue Methoden des Adaptierens und somit auch des Komponierens und Musizierens, woraus wiederum ein neues Verständnis von Musik und den sie begleitenden Parametern resultieren kann. Eine rein negative Betrachtung wäre also aufgrund der Vieldeutigkeit des Phänomens ‚Coverversion‘ und der zentralen Bedeutung der Auseinandersetzung mit der Kunst vergangener Zeit unzureichend und würde deren Bandbreite nicht annähernd abbilden. Aufgrund der dennoch weitverbreiteten geringschätzigen Wertung der Coverversion, welche das kulturelle Potenzial dieser oft verkennt, sollen in dieser Arbeit zumeist positive Aspekte rund um Coverversionen betrachtet werden. Um also aufzuzeigen, dass eklektizistische Praktiken nicht zwangsläufig aus einem Mangel an Kreativität und künstlerischer Anspruchslosigkeit resultieren, sondern, im Gegenteil, oftmals den Grundstein für neues kreatives Schaffen legen, möchte ich im Folgenden vor allem die Bedeutung der Coverversion für die kulturelle und musikalische Weiterentwicklung eines Musikers, die Prägung musikalischer Stile und Praktiken sowie die Relevanz für die populäre Musik und die Gesellschaft diskutieren.
Zur Erörterung des Wesenskerns der Coverversion soll zunächst eine Betrachtung der historischen Beschäftigung mit fremdem musikalischem Material dienen, welche anschließend im Versuch, eine Begriffsdefinition zu finden, münden wird. Um das musikalische Phänomen ‚Coverversion‘ annähernd zu fassen, werden im Anschluss die Dimensionen des Aufgreifens bereits dagewesener Musik umrissen und deren Bedeutung für den kulturellen Fortschritt sowie der künstlerische Gehalt, welcher aus Veränderungen am Werk resultieren kann, untersucht. Ausgehend von der stets zentralen Frage, ob einer Coverversion ein künstlerischer Anspruch sowie eine ästhetische Wirkung zugesprochen werden kann, werden darauffolgend die Möglichkeiten der Veränderung von fremdem musikalischem Material unter Beibehaltung des Werkkerns untersucht. Anschließend werden dann mögliche Einflüsse von Coverpraktiken auf das Werk, den Künstler sowie die populäre Musik diskursiv betrachtet. Schlussendlich soll eine anschauliche, jedoch aufgrund musikalischer Präferenzen nicht gänzlich wertfreie, Untersuchung zweier praktischer Musikbeispiele aufzeigen, inwieweit mittels einer Coverversion der ästhetische Gesamteindruck eines Werkes verändert werden kann und wie unterschiedlich die Ergebnisse auch in Bezug auf den dahinter stehenden künstlerischen Anspruch ausfallen können. Hierbei wird der Fokus vor allem auf genreübergreifende Coverversionen gesetzt.
Insgesamt verfolgt diese Arbeit also das Ziel, herauszustellen, inwiefern und in welchem Maße ein Musiker oder Interpret im Rahmen einer Coverversion künstlerisch tätig werden kann und ob und wie er somit zu kulturellem Fortschritt beiträgt. Der folgende Grundsatz ist dabei als zentral anzusehen:
„Die Musik lebt, wie alles künstlerische Schaffen, von der Fortentwicklung des Vorhandenen.“ (Schunke 2008: 11)
2 Cover als allgegenwärtiges Moment in der Musikhistorie
Die vielen Verwendungsmöglichkeiten von fremdem kompositorischem Material, die sich im Laufe der Geschichte der populären Musik herausbildeten, zeigen bereits die unterschiedlichen Dimensionen der Coverversion und produzieren immer neue Veränderungen in der Coverpraxis, in verschiedenen musikalischen Stilen sowie in der populären Musik als Gesamtphänomen. Daher war und ist auch die Coverversion, als Oberbegriff für die zahlreichen Praktiken, konstant Veränderungen unterworfen, die am Ende dieses Kapitels in dem Versuch, eine Begriffsdefinition für diese Arbeit zu finden, münden werden.
2.1 Coverversionen im Wandel der Zeit
Um den Begriff ‚Coverversion‘ nun also zu deuten und einzuordnen, bedarf es zunächst eines historischen Überblicks. Hiermit soll aufgezeigt werden, wie weit die Anfänge des Coverns, Änderns, Bearbeitens und Benutzens von musikalischem Material zurückreichen, welchen strukturellen Veränderungen diese Praktiken unterworfen waren und welche Bedeutung ihnen in der jeweiligen Zeit zugemessen wurde.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Künste sich seit jeher anderer Werke bedienten und Teile von ihnen entliehen, zitierten, umarbeiteten und kommentierten. Ein Abschauen von Anderen wurde nicht nur in der Musik praktiziert. In der Literatur, dem Film, wie auch in den bildenden und darstellenden Künsten wurde zum Zwecke der Lehre, Anspielung, Parodie oder Hommage zitiert, adaptiert, bearbeitet und interpretiert. (Vgl. Plasketes 2010a: 1) Vor allem aber in der Musik als Kunst des Volkes wurde die Adaption bestehender Werke zu einem zentralen künstlerischen Mittel, dass bereits lange vor dem Aufkommen populärer Musik seine Anfänge hatte.
I. Cover in der artifiziellen Musik
Bereits im Mittelalter wurden mündlich überlieferte Volkslieder und Minnegesänge sowie gregorianische Gesänge Bearbeitungen durch Veränderungen im Arrangement, der Harmonien und Texte unterzogen. Zu Ausbildungszwecken beschäftigten sich bekannte Komponisten verschiedenster Epochen mit fremdem kompositorischem Material, erlernten somit das Komponisten-Handwerk und nutzten bekannte Themen und Werke zu Studienzwecken. Auf Basis dieser Beschäftigung mit bereits dagewesenem, kompositorisch als wertvoll erachtetem Material, schufen die meisten Komponisten Neues und Fortschrittliches. Auch die unbewusste Adaption bereits gehörter Musik fand schon damals statt. Auch Variationswerke hatten meist ein musikalisches Thema eines anderen Komponisten zur Grundlage und führten dieses im Titel mit an [1]. (Vgl. Pendzich 2004: 64) Im 19. Jahrhundert griffen außerdem viele Komponisten zurückliegende Werke zum Zwecke der Modernisierung bzw. Ästhetisierung wieder auf. So entfernten sie z.B. vermeintlich altmodische Stilmittel, wie den Triller, und gingen dabei oft ungeachtet der historischen Aufführungspraxis vor. Auch vor Eigenkompositionen machten viele nicht Halt und passten das eigene Frühwerk an die neuen ästhetischen und kompositorischen Ansprüche an. Hiermit zeigte sich bereits die ökonomische Dimension des Bearbeitens vorheriger Werke, denn deren Anpassung für verschiedenste Bevölkerungsschichten förderte auch deren Absatzmöglichkeiten. Oftmals brachte eine Bearbeitung auch erst den gewünschten Anklang in der Bevölkerung. So konnte ein eigentliches Klavierstück in einer pompösen Orchesterversion häufig deutlich mehr Zuhörer gewinnen. (Vgl. Pendzich 2004: 65/66)
„Der Reiz, sich mit fremdem kompositorischen Material auseinander zu setzen, es mit eigenen Ideen zu verquicken, umzugestalten oder zu modernisieren ist [also bereits in diesem Abschnitt der Musikgeschichte] unübersehbar.“ (Pendzich 2004: 69) „Über die Bearbeitung kompositorischen Fortschritt zu schaffen, gehört [somit seit dieser Zeit] zu den zentralen Ideen der Musikgeschichte.“ (Pendzich 2004: 64)
II. Cover im Jazz
Anfang des 20. Jahrhunderts, als mit dem Jazz eine ganz neue Art des Musizierens aufkam, etablierte sich auch ein neuer Umgang mit bestehender Musik. Ausgangsmaterial war auch hier ein Thema bzw. Chorus eines anderen Stückes. Den Jazzmusikern ging es jedoch zumeist nicht darum, den Song als solches zu adaptieren, sondern vielmehr um diesen Chorus herum etwas eigenes Künstlerisches zu schaffen.
„Im Jazz steht generell weniger das (gleichwohl wichtige) musikalische Thema im Vordergrund, sondern das, was der Musiker durch sein Arrangement, sein Spiel oder seine Improvisation daraus macht. Das, was bei dem mit Partituren arbeitenden Komponisten die musikalische Handschrift ist, ist im Jazz der eigene (live dargebotene und/oder aufgenommene) Sound eines Musikers bzw. einer Band und der persönliche musikalische Ausdruck“ (Pendzich 2004: 69)
So wurde sich im Jazz an verschiedensten musikalischen Stilen der Musikgeschichte zum Zweck der Vervollkommnung des eigenen Sounds abgearbeitet. Durch das Experimentieren mit musikalisch teils weit entfernten Stilen entwickelten sich neue, stilübergreifende Möglichkeiten der musikalischen Aufführung. Auch das Verständnis von Musik wurde durch diese neue Art des Musizierens ein völlig anderes. Rückblickend betrachtet stellt der Jazz nunmehr eine Art Schnittstelle zwischen artifizieller und populärer Musik dar, was sich vor allem im Symphonic Jazz, wie auch in der Adaption von Jazz-Elementen durch die Kunstmusik äußert. Zu dieser besonderen Stellung in der Musikgeschichte scheint ihm in großem Maße auch die Praktik des Bearbeitens fremder Stücke mittels, der Anfertigung regelrechter Klang-Collagen, verholfen zu haben, welche letztendlich eine künstlerische Weiterentwicklung von Musik und die Herausprägung neuer Stile und Sounds ermöglichte. (Vgl. Pendzich 2004: 70-71)
III. Cover im Rhythm & Blues und Rock’n’Roll
War bis dato also nur die Bearbeitung musikalischen Materials, zu Zwecken der Verbreitung, Modernisierung und Variation von Werken sowie zur Lehre und Verbesserung der eigenen musikalischen Fähigkeiten und der Entwicklung neuer Sounds, von Bedeutung, so entwickelte sich mit Aufkommen der populären Musik und ihrer klaren ökonomischen Dimension eine ganz andere Art des Verwertens von bestehendem musikalischen Material. Seit der Erfindung der Schallplatte durch Emil Berliner, im Jahr 1887, deren allmählicher Gesellschaftsfähigkeit und ständiger technischer Verbesserungen, wurde nach und nach eine deutlich einfachere Reproduzierung von Musik ermöglicht, welche sich auch auf die Adaption von fremdem musikalischem Material auswirkte (Vgl. Wicke 2010/11). Diese schien sich von nun an vor allem auf kommerzielle Aspekte statt auf Kreativität und künstlerische Weiterentwicklung zu fokussieren.
Da bei den Konsumenten bis in die 50er Jahre hinein zumeist noch der Song als solcher im Vordergrund stand und der Interpret eher eine ausführende Rolle spielte, wurden erfolgreiche Songs meist von mehreren Interpreten verschiedener Plattenlabels aufgenommen und in den Markt gestreut (Vgl. Solis 2010: 299) Diese sogenannten Vielfachaufnahmen eines Notentextes stellten also unterschiedliche Interpretationen mit variierendem Sound dar. Im Verlauf der 50er Jahre begann allerdings mit dem Aufkommen des Rhythm & Blues und Rock’n’Roll eine neue Ära des Umgangs mit aufgenommener Musik. Durch die stark steigende Popularität der Schallplatte verlagerte sich nun zusehends der Fokus der Rezipienten und Industrie vom Song hin zum Interpreten. Von nun an wurden zunehmend Stars produziert, welche den Absatz eines Songs förderten. So kam es dazu, dass jede erfolgreiche Aufnahme eines Songs auch unwillkürlich zahlreiche Nachproduktionen nach sich zog. Dies war die Geburtsstunde der Coverversion im heutigen Sprachgebrauch, welche eine, höchstens leicht angepasste, Kopie der Aufnahme und somit von deren Arrangement, Interpretation, Stil und Sound darstellte. (Vgl. Pendzich 2004: 71-75) Ausgehend von dieser neuen Praktik, wurde nun versucht, einen Song für verschiedenste Absatzmärkte zu verwerten. Das Crossover-Cover hatte durch seinen genreübergreifenden Charakter somit bereits damals eine große ökonomische Bedeutung. Noch wichtiger war allerdings eine Praktik, bei der seitens der Major Labels, Songs von schwarzen Urhebern für weiße Interpreten modelliert und textlich bereinigt wurden - die sogenannten White Cover. Diese wurden stark kommerzialisiert und mit großem Erfolg in den Markt gedrängt. (Vgl. Plaketes 2010: 21) Zumeist wurden White Cover deutlich erfolgreicher abgesetzt als die Originalversionen. [2].ntsprechend coverten zahlreiche weiße Interpreten Songs aller afroamerikanischen Musikstile, sodass auch der Rhythm & Blues systematisch vereinnahmt wurde. Aus der daraus entstandenen Popularisierung des Rhythm & Blues bildete sich später das Massenphänomen des Rock’n’Roll mit seinen erfolgreichen weißen Interpreten, wie Elvis Presley, Bill Haley und Pat Boone, heraus. Diese platzierten zahlreiche Coverversionen in den Charts, welche vor allem ersterem zu einer beispiellosen Karriere verhalfen. (Vgl. Pendzich 2004: 80-95 / Bligh 2008)
Mitte der 50er Jahre war der vorläufige Höhepunkt der Coverversionen-Flut erreicht. Von da an wurden, wiederum als Reaktion auf den großen Erfolg vieler Rock’n’Roll-Künstler und -Interpreten, systematisch Coverversionen aufgenommen und zumeist sehr genau und detailgetreu kopiert, um möglichst viel des wirtschaftlichen Potentials eines Songs abzuschöpfen. Klanglich und textlich wurden sie häufig für die anvisierte Zielgruppe geglättet und an deren Moralvorstellungen angepasst. Der Terminus ‚Cover‘ bzw. ‚Coverversion‘ hatte zur Zeit des Rock’n’Roll also weniger die Bedeutung des Anhängens an einen Erfolg, als die des Abdeckens und Sicherns eines Geschäftsfeldes. Eine Coverversion sollte einem Original also nicht zur Seite gestellt werden, sondern es, durch größtmögliche Ähnlichkeit, auf dem Markt ersetzen. (Vgl. Pendzich 96-98) In dieser Zeit war das Phänomen Coverversion demnach durch seinen rein kommerziellen Charakter noch sehr weit davon entfernt, einen künstlerischen Anspruch zu hegen.
IV. Cover im Beat
Dies änderte sich in den 60er Jahren. Zunächst wurden auch hier noch Songs gecovert, um das Marktpotenzial abzuschöpfen. Allerdings begann sich die Coverversion immer mehr zu einem Mittel des Vorstellens und Bekanntmachens von Künstlern zu entwickeln. Mittels zugkräftiger Coversongs, die häufig auf einem ersten Album als One-Artist-Compilation veröffentlicht wurden, wurde Aufmerksamkeit für Künstler geweckt und ihr Sound vorgestellt. Später wurden von diesen Künstlern auch viele eigene Kompositionen verfasst. So begannen auch die Beatles, deren erste zwei Alben „Please Please Me“ (März 1963) und „With the Beatles“ (November 1963) zur Hälfte Coverversionen enthielten, ihre erfolgreiche Karriere. Ein weiterer Grund für Coverversionen in dieser Zeit war die Unzugänglichkeit der US-amerikanischen Rock’n’Roll-Songs. Um diese dennoch dem heimischen Publikum nahezubringen, coverten viele britische Bands die Songs und transformierten sie in ihren eigenen Sound. Hierbei lag ihnen allerdings keinesfalls ein Notentext vor. So hörten sie die Musik und den Text Takt für Takt heraus, passten sie ihrem sozialen und kulturellen Umfeld, ihren Fähigkeiten und dem Musikgeschmack an und kreierten somit ihren eigenen Stil. Durch diese Transformation in einen neuen künstlerischen Kontext schienen Coversongs nun wiederum etwas Neues und Eigenes zu erwirken und erhielten ihren ganz eigenen Charakter. Insgesamt betrachtet waren die Coverversionen der britischen Beat-Szene der 60er also nicht chart-orientiert, sondern lediglich darauf ausgerichtet, Musik nachzuspielen, sich daran auszuprobieren, von bereits Dagewesenem zu lernen und einen eigenen Sound herauszuarbeiten, der durch eventuelle spätere Eigenkompositionen seinen Höhepunkt findet. (Vgl. Pendzich 2004: 120-126) Grundsätzlich erhielten Coversongs in den 60er Jahren in Großbritannien also eine völlig andere Bedeutung als sie sie in den USA in den 50ern hatten und näherten sich eher wieder den Praktiken des Jazz an.
V. Cover bei Motown Records
Die Coverpraktiken der US-amerikanischen Musikindustrie setzten sich hingegen weiterhin fort und erhielten in den 60er Jahren mit dem Label Motown Records sogar eine noch perversiertere Dimension. So war es bei Motown Records an der Tagesordnung, dass zahlreiche Berufsmusiker am laufenden Band Instrumentals einspielten, über die verschiedene Vokalgruppen und Solointerpreten solange ihre Melodien sangen, bis die beste Version gefunden und veröffentlicht wurde. Die Versionen, die es nicht sofort auf eine Platte schafften, wurden dann oft später als ‚Cover‘ veröffentlicht, um die musikalische Idee möglichst lange auszuschöpfen. Auch sogenannte Answer Records und Sequel Songs, die an den Erfolg eines Stückes direkt anknüpfen sollten, wurden in Scharen aufgenommen. (Vgl. Pendzich 2004: 128)
„Damit war das Prinzip „Coverversion“ auf eine neue, ökonomisch-industrielle Ebene gehoben worden. Eine solche Systematik des ökonomischen Umgangs mit firmeneigenen Ressourcen, der Reduzierung der Songs zum „Materiallager“ und hinsichtlich der Optimierung von Hit-Aufnahmen hatte es in der Musikbranche zuvor und in dieser Regelmäßigkeit auch hinterher bis dato nicht gegeben.“ (Pendzich 2004: 128/129)
VI. Cover bei Bob Dylan
Etwa gleichzeitig etablierte sich auch ein Musiker, dessen musikalisches Schaffen bis heute großen Einfluss hat – Bob Dylan. Bekannt für seinen Experimentiergeist und seine virtuose Musik, wird er schon lange von vielen als musikalisches Genie betrachtet. Doch auch er nahm sich fremdes musikalisches Material zur Grundlage, um viele seiner Songs zu kreieren. So betrachtete er die meisten alten Folksongs „nicht als feststehendes, sondern als zu aktualisierendes Material für neue Texte und/oder Songs.“ (Pendzich 2004: 129) Er bediente sich gern und oft der Melodien und Texte älterer, zumeist gemeinfreier Werke und nutzte sie als eine Art losgelösten Rohstoff, um etwas Eigenes und Neues daraus zu kreieren. „Bob stieg in diesen oder jenen alten Song ein [] und dann sagte er: Mal sehen, ob da nicht irgendwo ein neuer Song drinsteckt.“ (Pendzich 2004: 131) So entstanden eine Reihe von Songs, die zwar auf einer Vorlage basierten, von dieser jedoch so weit entfernt waren, dass man sie eigentlich nicht mehr als Coverversion oder Bearbeitung, sondern eher als freie Benutzung [3].ezeichnen müsste. Zusätzlich re-arrangierte Dylan viele seiner Songs für seine Konzerte, z.B. für die ab Mitte der 60er verstärkt genutzte E-Gitarre, die musikalische Handschrift seiner Mitstreiter und seine aktuelle künstlerische und ästhetische Phase. (Vgl. Pendzich 2004: 129-133) Ebenso wie die Beatles, war auch Bob Dylan später selbst einer der meistgecoverten Musiker.
VII. Cover im Art Rock und Progressive Rock
In den 70er Jahren wurde der Umgang mit fremdem musikalischem Material wiederum anders gehandhabt. Hier kamen musikalisch auf hohem Niveau erzogene Musiker zunehmend mit dem aus dem Rock’n’Roll hervorgegangenen Rock in Verbindung und komponierten eigene Stücke. Es etablierte sich langsam eine Singer-Songwriter-Manier und entsprechend ein ausgeprägteres Künstlerbewusstsein. Entsprechend wurde der Rock deutlich differenzierter und es entwickelten sich Stile, wie der Hard Rock, Psychedelic Rock, Kraut Rock, Jazz Rock, Art Rock oder Progressive Rock. Coverversionen spielten hier nur eine geringe Rolle. Dennoch gab es sie, wenn auch in einer wiederum neuen Form. Da der künstlerische Anspruch vieler Rockmusiker immer mehr wuchs, suchten sie vermehrt nach komplexeren Strukturen und bedienten sich nunmehr auch Werken und Themen der artifiziellen Musik, sowie auch deren Handwerk und Konzepten. Diese passten sie uminstrumentiert in ihr Musikkonzept ein. So entstanden Rock-Songs, die durch Symphonie-Orchester unterstützt wurden, aber auch ganze Rock-Suiten oder –Opern. Letztendlich prägte diese Weise des Umgangs mit artifizieller Musik ganze Genres, wie den Art Rock und Progressive Rock, deren Musiker fortlaufend eine gewisse Virtuosität und Experimentierfreude aufwiesen. Diese durch Coverversionen angestoßene Entwicklung gipfelte beispielsweise in der musikalisch vielleicht interessantesten Rockband dieser Zeit – Queen. Trotz der Experimentierfreude vieler Bands dieser Zeit wurde, entsprechend des Kerns der Rockmusik, eine gewisse Kleingliederigkeit beibehalten und keine in der artifiziellen Musik übliche Entwicklung oder Modulation vorgenommen. Entsprechend sind die Werke des Art und Progressive Rock nicht als Coverversionen i. e. S. zu sehen, sondern eher als Bearbeitung zumeist gemeinfreier Werke. (Vgl. Pendzich 2004: 176-182)
VIII. Cover in den 80er Jahren – The Re Decade
Nachdem in den 70er Jahren durch die starke Präsenz des Rock der Fokus auf der Veröffentlichung von Alben lag, fand in den 80er Jahren nunmehr eine Rückbesinnung zur Single statt, welche wohl größtenteils dem Musiksender MTV zu verdanken war. Dementsprechend wurde auch der Fokus seitens der Industrie wieder vermehrt auf den Single-Markt gesetzt. Angeregt durch potentiell steigende Verkaufszahlen, wurden in dieser Dekade zahlreiche ehemals erfolgreiche Stile, wie z.B. Rock’n’Roll, Rockabilly und Beat, wiederbelebt – welche den 80er Jahren auch den Beinahmen „The Re Decade“ einbrachten (Vgl. Plasketes 2010b: 12) Auch neue technische Aufnahmemöglichkeiten, elektronische Wiedergabemedien und Remix-Verfahren unterstützten diesen Trend und trugen dazu bei, dass nun auch eigentlich undenkbare Stilmixturen kreiert wurden. All dies löste eine unsägliche Coverversionen-Flut aus, die sich aus verschiedenen Komponenten zusammensetzte. Zum einen gab es einige ‚Routine‘-Coverversionen von älteren Erfolgssongs, die von Interpreten, deren Karriere auf einem eigenständigen Musik- und Gesangsstil basierte, interpretiert wurden. [4].umeist waren Coverversionen in den 80ern außerdem Erst-Hits, d. h. der Originalsong war bis dato weitgehend unbekannt. Vor allem aber wurden eigene, wie auch fremde Songs geremixt und re-arrangiert. Häufig wurden auch zwei Songs zusammen gemixt, sodass ein Basterd bzw. Mash-Up entstand. [5].udem wurde auch die immer populärer werdende Technik des Samplings in vielen Songs dieser Zeit genutzt, welche i.w.S. auch eine Art Coverversion von Songfragmenten darstellt. (Vgl Plasketes 2010b: 12-13 und Pendzich 2004: 204-210) Tom Shales, ein US-amerikanischer TV-Kritiker, fasst die 80er Jahre musikalisch wie folgt zusammen:
„„The Re Decade“ [], is an endless lifestyle loop of repeating, retrieving, reinventing, reincarnating, rewinding, recycling, reciting, redesigning and reprocessing. Creators and audiences alike are revisionaries, infatuated with the familiar and wired with all access passes to the antecedent, reconsidering, reexamining, reinterpreting, revisiting, and rediscovering the world through replays and reissues, reruns and remakes. What goes around comes around. And ‚round again.“ (Tom Shales in Plasketes 2010b: 12)
IX. Cover in den 90er und 2000er Jahren
In den 90er Jahren wurden die Praktiken der 80er Jahre weitgehend fortgeführt und erweitert. Der Remix und das Sampling erlangten ihren Höhepunkt im HipHop, welcher auch in Europa immer populärer wurde, sowie in der elektronischen Musik und ihren Spielarten. In vielen Songs wurden systematisch Teile anderer Songs übernommen, um darum herum einen ‚neuen‘ Song zu kreieren. Zumeist wurde der Refrain als Aufhänger übernommen. Mit großem Erfolg praktizierte z.B. die deutsche Elektromusikerin Marusha dieses Konzept. So entnahm sie für ihren Song „Somewhere Over the Rainbow“ aus dem Jahr 1994 den Refrain des Originals von Judy Garland aus dem Film „Der Zauberer von Oz“ (1939), sang ihn neu ein und unterlegte ihn mit einem zeitgemäßen Technobeat. [6].uch der Eurodance basierte zunächst auf diesem Prinzip. So wurde hier meist von einer Sängerin der Refrain eines bekannten Werkes gesungen und ein Rapper artikulierte dazu meist melodisch sehr einfache Strophen. Somit wurde der Fokus auf den Refrain gelegt und die Strophen stellten lediglich eine Ergänzung dar. Folglich schienen viele Songs zum Rohmaterial zu avancieren. An ihnen wurde sich ausprobiert, die Tempi bis ins Unermessliche erhöht, die Stimmen verzerrt und somit die ursprüngliche Werkgestalt stark verändert. (Vgl. Pendzich 2004: 232-234)
Allgemein betrachtet, unterzog sich die Musik in den späten 80er, den 90er sowie auch den 2000er Jahren somit einem qualitativen Wandel, bei dem kein Genre gegen Coverversionen und Werkteilübernahmen immun war. Viele Künstler nutzten bekannte und erfolgreiche Songs, um ihre Karrieren voranzubringen. Nun häuften sich sogar Coverversionen von bereits gecoverten Songs. Wiederholungen und Revivals waren die Norm und wurden vom Publikum sogar erwartet. Die Industrie verwertete diese Erwartungshaltung in zahlreichen Formaten, wie unzähligen Cover-Compilations und Tribute-Alben und TV-Sendungen, in denen zum Covern angeregt wurde [7]. Zudem passten erfolgreiche Künstler ihr früheres Werk aktuellen und nachgefragten Trends an. So waren Re-Arrangements für Orchester- oder String-Quartetts, wie z.B. bei Kiss ’ Album „Kiss Symphony: Alive IV“, beliebt. Außerdem wurde das Konzept ‚Cover‘ sogar auf ganze Künstler, deren Repertoire und Image ausgeweitet. Beispielsweise wurde die schwedische Pop-Gruppe A*Teens als Reincarnation ABBA s konzipiert und erfolgreich vermarktet. Zudem existieren auch heute noch zahlreiche Coverbands, die am Erfolg von Künstlern, wie Elvis Presley, den Beatles oder Rammstein, partizipieren. (Vgl. Plasketes 2010b: 14-18)
Zusammenfassend scheint ab den 90er Jahren die Kommerzialisierung der Coverversion, aber auch die Kreativität mit fremdem kompositorischem Material zu arbeiten, deutlich gewachsen zu sein. Der künstlerische Anspruch, etwas musikalisch Komplexes zu schaffen, scheint hier jedoch häufig hintergründig gewesen zu sein, was jedoch keine eklektizistische Verwendung fremder Musik ausschließt. Aus den neuen Verwertungsmöglichkeiten fremden musikalischen Materials erwuchs jedoch auch eine stärkere Differenzierung der Praxis sowie des Begriffs ‚Coverversion‘, welche sich bis heute fortführt und immer neue Formen und Praktiken hervorruft. Dazu beigetragen haben vor allem auch technische Neuerungen und die Experimentierfreude der Musiker und Produzenten.
2.2 Cover als universeller Begriff verschiedener Kulturpraktiken
Wie sich gezeigt hat, vollführte sich im Laufe der Musikgeschichte, vor allem der populären Musik, also ein starker Wandel des Phänomens Coverversion. Wurden fremde Kompositionen bis Anfang des 20. Jahrhunderts noch zu Lehr- und Studienzwecken sowie zur Modernisierung genutzt, so wandte sich der Jazz, mittels der Bearbeitung oder gar freien Benutzung fremder Werke zu eigenen Zwecken, der Entwicklung ganz neuer Stile zu. In den 50er Jahren entdeckte die Industrie das wirtschaftliche Potenzial der Musik der unterdrückten schwarzen Bevölkerung und kopierte diese, zumeist möglichst exakt, mittels einer einfachen, oft geglätteten Neuaufnahme. Die 60er Jahre brachten durch die Adaption des amerikanischen Rock’n’Roll die Herausbildung eines ganz neuen Genres, des Beats, mit sich. Zudem wurde fremdes kompositorisches Material hier auch als Rohstoff angesehen, den es in neue Kompositionen einzubinden galt. In den 70er Jahren wurden artifizielle Werke mit der Rockmusik verquickt, woraus wiederum ein völlig neuer Umgang mit fremder Musik entstand, welcher die Musikwelt auch nachfolgend prägte. Seit den 80er Jahren erhielt die Benutzung bereits dagewesener Musik einen zunehmend kommerziellen Beigeschmack. Technische Neuerungen ermöglichten hier sowohl eine Zunahme der Quantität als auch eine nicht immer positive Änderung der Qualität von Coverversionen. Letztendlich vollführte die Benutzung fremden musikalischen Materials und folglich das Verhältnis von Original und Kopie, allgemein betrachtet, einen Wandel von größtmöglicher Konvergenz hin zur Divergenz, und von Einfachheit zu Komplexität (Vgl. Pendzich 2004: 316). Dennoch gab und gibt es in der Geschichte der populären Musik immer auch Coverversionen, die eine nahezu exakte Kopie des Originals darstellen und somit nicht mit Divergenz und Komplexität zu umschreiben sind.
Schlussendlich ist es, aufgrund der vielen verschiedenen historischen und auch allgegenwärtigen Praktiken der Adaption fremden kompositorischen Materials, sehr schwer bis unmöglich, die Begriffe ‚Cover‘ oder ‚Coverversion‘ einheitlich zu definieren. Zudem tauchen beide Begriffe sowohl im deutschen Urheberrecht als auch im US-amerikanischen Copyright [8].icht als Rechtsbegriffe auf, können also nur als Annäherung an gewisse Praktiken verstanden werden. Aufgrund der Bedeutungsverschiebung im Laufe der letzten Dekaden kann demnach nicht generalisiert werden, was eine Coverversion ist, welchen Anspruch sie erhebt und was sie beinhaltet. Die Coverversion erhält, je nach Zeit, Ort und Kontext, eine jeweils andere Bedeutung. Hinzu kommt, dass Rechtsexperten, Ökonomen, Musikwissenschaftler und andere Philosophen zu unterschiedlichen Auffassungen gelangen, was genau ein Cover ist und was nicht.
Daher sind einige Definitionen bewusst allgemein gehalten und sagen nur etwas darüber aus, dass ein Song auf einem anderen Song basiert oder als Neufassung dessen angesehen werden kann, was jedoch nicht impliziert, wie hoch der Grad der Veränderung ist [9]. Dieser kann vor allem im rechtlichen Sinne zu unterschiedlichen Einschätzungen eines neuinterpretierten Songs führen, welche letzten Endes auch häufig den Künstler selbst in seinem Schaffen beeinflussen können.
In der weiteren Auseinandersetzung soll nunmehr auf einer vereinfachenden und sehr offenen Definition der Coverversion aufgebaut und verschiedene Praktiken des Umgangs mit fremdem kompositorischem Material mit einbezogen werden. Diese Praktiken werden im Folgenden einer Definition angenähert und verglichen. Zudem werden die Begriffe ‚Cover‘ bzw. ‚Coverversion‘ auf zweierlei Weisen verwendet. Cover bzw. Coverversion im weitesten Sinne (i.w.S.) wird als Oberbegriff für alle Praktiken des Verwendens fremden kompositorischen Materials genutzt. Cover bzw. Coverversion im engeren Sinne (i.e.S.) wird die einfache Änderung bzw. Neuinterpretation oder Neuaufnahme ohne großen Veränderungsgrad meinen, welche im Kapitel 3.1.1 näher erläutert wird.
3 Praktiken des Coverns
Als Praktiken des Coverns sollen im Folgenden sowohl die rechtlich definierten Methoden der Änderung, Bearbeitung und freien Benutzung [10], als auch, mit Bezug auf die modernen Praktiken des Musikmachens, digitale Verwertungsmöglichkeiten fremden musikalischen Materials betrachtet werden. Anhand einer Beschreibung der einzelnen Methoden werden anschließend deren potenzielle künstlerische und ästhetische Bedeutung sowie die Auswirkungen auf den Künstler und die populäre Musik diskutiert.
Zu den digitalen Verwertungsmöglichkeiten fremden kompositorischen Materials ist anzumerken, dass die meisten Institutionen Remixes, Samplings und Mash-Ups nicht zu den Coverversionen zählen, da hier Werkteile übernommen und in einen neuen Kontext eingebettet werden. Da es in dieser Arbeit allerdings um die generelle Verwendung fremden kompositorischen Materials gehen soll, werden auch diese Praktiken in die Analyse mit einbezogen. Es muss hier also eine Abgrenzung zwischen dem Verwenden von Teilen der Originalspur und dem Nachspielen von Werkteilen erfolgen.
In der folgenden Betrachtung soll es zunächst nur um das Nachspielen von Werken und Werkteilen sowie deren Einbettung in einen neuen musikalischen Kontext gehen. Anschließend werden die digitalen Cover-Praktiken diskutiert.
3.1 Die Polarität der kulturellen Praktiken der Änderung, Bearbeitung und freien Benutzung
Um die hier als Oberbegriff verwendete Coverversion rechtlich und realpraktisch zu definieren, werden im Folgenden die Änderung, Bearbeitung und freie Benutzung einander gegenübergestellt und deren sehr fließende Grenzen umrissen. Hierbei ist festzuhalten, dass aufgrund ihrer sehr allgemeinen Formulierung keine klaren Definitionen für diese Begriffe auf alle Musikstile angewendet werden können und daher der Versuch einer Annäherung unternommen wird:
„Die Problematik bei der rechtlichen Einordnung [...] liegt in dem unterschiedlichen Wesen musikalischer
Werke mit begründet. Die verschiedenen Musik-Gattungen, die Einstellungen der Schöpfer zu ihrem Werk, die Möglichkeiten der Wiedergabe und der Auffassung durch das Publikum sind mannigfaltig.“ (Schunke 2008: 8)
Dennoch versucht das Urheberrechtsgesetz einen Rahmen zu bieten, der die Verwendung fremden künstlerischen Materials in drei verschiedene Ausprägungen unterteilt: die Neuinterpretation bzw. Änderung mit keiner oder nur unwesentlicher Bearbeitung; die Bearbeitung oder andere Umgestaltung mit eigener schöpferischer Leistung; sowie die freie Benutzung hinter der das zugrunde liegende Werk verblasst (Vgl. UrhG §§ 3, 23, 24, 39). Inwieweit der schöpferische Gehalt eines Werkes, der laut Gesetz eben die Einordnung bestimmt, innerhalb dieser Ausprägungen hervortritt, ist jedoch nicht angegeben und kann nur anhand einer Analyse der verschiedenen Merkmale eines musikalischen Werkes angenähert werden. Lediglich, dass ein Stück eine gewisse Individualität aufweisen soll, ist festgelegt. (Vgl. Schunke 2008: 33)
3.1.1 Die Änderung – Coverversion im allgemeinen Sprachgebrauch
Bei einer Neuaufnahme, welche im Volksmund allgemein als Coverversion bezeichnet wird, handelt es sich um eine Neuinterpretation eines bereits zuvor veröffentlichten Werkes eines anderen Künstlers bzw. Urhebers. Hierbei wird die Werkgestalt in ihren Grundzügen nicht oder nur geringfügig verändert. Melodie und Text werden zumeist beibehalten. Lediglich kleine Änderungen in Arrangement, Harmonie und Rhythmus und somit in der groben Klanggestalt werden vorgenommen. Durch nicht vorhandene oder nur unwesentliche Änderungen am Werk entsteht hier seitens des Coverinterpreten keine persönliche schöpferische Leistung und folglich kein Anspruch auf eigene Urheberrechte. Um eine Coverversion i.e.S. zu veröffentlichen, genügt die Angabe des Urhebers der Originalversion, wodurch diesem die Tantiemen für die Verwertung der Neuinterpretation ausgeschüttet werden. [11].Vgl. Boddien 2006: 29-63, Schunke 2008: 24-56) Im Allgemeinen werden also in einer Coverversion i.e.S. die Eigentümlichkeiten und wesentlichen Züge des Originals weitgehend beibehalten. Es ist zudem deutlich erkennbar, auf welchem Werk die neue Version basiert. Aufgrund der Möglichkeit, ein Musikwerk gestaltende Elemente, wie Rhythmus, Harmonie und Instrumentierung zu verändern sowie auch einen Song originalgetreu nachzuspielen, kann der Grad der Veränderung allerdings stark variieren. (Vgl. Boddien 2006: 29) Sämtliche Änderungen an einer neuen Interpretation dürfen zudem in keinem Fall eine Entstellung oder andere Beeinträchtigung des Originals darstellen, da der Urheber aufgrund der möglichen Gefährdung seiner geistigen und persönlichen Interessen die Veröffentlichung und Verwertung der Coverversion versagen kann. (Vgl. Schunke 2008: 24)
„Rein handwerkliche Tätigkeiten, wie die formalen Gestaltungselemente, die auf den Lehren von der Harmonik, Rhythmik und Melodik beruhen oder sich im Wechselgang zwischen Chor und Solist ausdrücken, sollen jedoch für sich genommen außerhalb des Schutzbereiches bleiben. Danach fallen der einzelne Ton, der musikalische Akkord, der musikalische Stil [und] bestimmte Standardrhythmen [nicht unter eine eigenschöpferische Leistung].“ (Schunke 2008: 35)
[...]
[1].z.B. Max Reger „Variationen und Fuge über ein Thema von Joh. Seb. Bach“ für Klavier, op. 81 (1904)
[2].Rückblickend sind heute jedoch häufig die schwarzen Originalinterpreten bekannter. (Vgl. Pendzich 2004: 101)
[3].Begriffsklärung siehe Kapitel 3.1.3
[4].Dies waren z.B. Diana Ross, Tina Turner, Joe Cocker, Rod Stewart, UB 40 und Paul Young
[5].Begriffsklärung in den Kapiteln 3.2.1 und 3.2.2
[6].Ein weiteres Beispiel hierfür ist Marc Oh‘s „Tears Don’t Lie“ (1994), für das der Refrain des Originals „Tränen lügen nicht“ (1974) von Michael Holm, ins Englische übersetzt und als Basis des Songs übernommen wurde. Der einzige Text des Songs ist jedoch „Tears don’t lie“, der Rest des Refrains wurde nur melodisch übernommen und mit dem originaltypischen „Hahaha“ untermalt.
[7].z.B. Casting-Shows, wie DSDS und Popstars, oder die US-amerikanische Show „CoverWar“, in der bekannte Songs interpretiert und bewertet wurden sowie die 2011 ausgestrahlte deutsche Sendung „Cover My Song“, in der zwei Künstler gegenseitig einen Song covern.
[8].Aus Gründen der Übersichtlichkeit soll auf die Gesetzeslage in anderen Ländern nicht weiter eingegangen werden.
[9].Solche Definitionen finden sich auf zahlreichen Webseiten wie www.coverinfo.de, www.thefreedictionary.com und www.oxforddictionaries.com
[10].Anderung – siehe UrhG § 39; Bearbeitung – siehe UrhG §§ 3, 23; Freie Benutzung – siehe UrhG § 24
[11].Formal wird eine Nutzungsgenehmigung benötigt, deren Erteilung im Auftrag des Urhebers bzw. Verlags i.d.R. direkt durch die GEMA erfolgt. Diese ist gesetzlich zur Erteilung verpflichtet. (Vgl. Pendzich 2004: 161)
- Citation du texte
- Ariane Petschow (Auteur), 2013, Die Coverversion als musikalischer Eklektizismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262920
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