Am Beispiel eines Eklats der französischen Fußballnationalmannschaft werden sowohl Fußballspiele als auch Team-Supervision aus soziologischer Sicht erklärt. Oder: warum hat Nicolas Anelka seinen Trainer so wüst beschimpft?
Essay
Fußball und Soziologie - was Team- Supervision bewirken kann
von Jennifer Jablonski
Frankfurt, 10.07.2010
Ebenso wie bei den vorangegangenen Wettbewerben gibt es bei der
Fußballweltmeisterschaft 2010 auch einen Skandal: die französische Nationalmannschaft, als amtierender Vize-Europameister von Vielen als einer der Titelanwärter bezeichnet, ist bereits in der Vorrunde der Weltmeisterschaft (WM) ausgeschieden. Mehr noch als ihre desolaten Spielergebnisse in Südafrika gilt jedoch ihr Verhalten als Mannschaft als „skandalös“. Alle Spieler haben das Training vor dem Abschlussspiel der Vorrunde mit dem Hinweis auf interne Querelen verweigert und müssen nach dem darauffolgenden verlorenen Spiel das Turnier verlassen.
Das erste Mal in der Geschichte der Fußballweltmeisterschaften hat damit eine ganze Gruppe von Spielern einen Skandal ausgelöst.1 Der französische Präsident
beruft daraufhin kurzfristig eine Kabinettssitzung zur französischen
Nationalmannschaft ein, lässt seine Sportministerin eine Untersuchung um den Streit leiten und zitiert den Kapitän der Mannschaft nach dessen Rückkehr in sein Heimatland zum Krisengespräch.2
Das vorliegende Essay will in der gebotenen Kürze der Frage nachgehen, ob der - offenkundig nicht nur für die französische Bevölkerung gravierende- Eklat durch ein frühzeitiges Einwirken auf die Gruppe mit Hilfe professioneller Team-Supervision hätte verhindert werden können? Es soll einen exemplarischen Denkanstoß dazu liefern, warum differenzierte Forschung notwendig ist, um den soziologischen Besonderheiten eines Teams „Fußballnationalmannschaft“ in der Team-Supervision3 gerecht zu werden.4
Ein Team zeichnet sich neben der alltäglichen gemeinsamen Arbeit in einer Organisation dadurch aus, dass es schon eine gemeinsame -und häufig unbewusste oder mindestens nicht selbstreflektierte- Geschichte hat, wodurch unterschwellige Konflikte entstanden sein können, die zu Arbeitsineffizienz Unzufriedenheit im Team führen können.
Auch die oben erwähnte französische Fußballnationalmannschaft hat eine solche „Vor-Geschichte“:
Im Rahmen der Qualifizierung für diese WM gewinnt Frankreich mit ebenfalls bereits schlechtem Spiel nur knapp durch ein „Skandaltor“ gegen Irland im November 2009.5 Zwei Monate vor dem Turnier und damit während der intensivsten Vorbereitungswochen, wird die Mannschaft (und die französische Öffentlichkeit) durch den sogenannten „Sexskandal“ erschüttert, der mehrere Nationalspieler betrifft und fast zu langjährigen Haftstrafen in Frankreich geführt hätte.6 Zum Turnierstart zeigt sich die französische Nationalmannschaft dann spielerisch weiterhin in schlechter Verfassung.7 Einer der Spieler (Nicolas Anelka) beschimpft während des letzten Vorrundenspiels den Trainer wüst in der Kabine und wird darauf umgehend vom französischen Fußballnationalverband suspendiert. Da der exakte Wortlaut der Beschimpfung am nächsten Tag in französischen Zeitungen zu lesen ist, wird klar, dass diese Interna von jemandem aus dem (erweiterten) Team weitergegeben worden sein muss, woraufhin wiederum das französische Fußballteam wie bereits erwähnt das Abschlusstraining kollektiv verweigert. Zu berücksichtigen ist dabei sicherlich auch das Verhältnis der Spieler zu dem Nationaltrainer, der den Boykott nicht verhindern konnte. Für das vorliegende Essay sind die Äußerungen des Kapitäns der Mannschaft Patrice Evra zu den skizzierten Vorfällen interessant: „Das Problem ist nicht Anelka, sondern der Verräter der unter uns ist […] Das kommt von jemandem, der ein Teil der Gruppe ist und dem französischen Team etwas Schlechtes will […] Der Trainerstab, der Verband, die Spieler. Wir sitzen alle im selben Boot. Wenn wir sinken, sinken wir gemeinsam.“8
Damit resümiert er den Eklat als ein Ergebnis von Konflikten innerhalb seines Teams. Hätte Team-Supervision also hier helfen können?
Bei der Team-Supervision als regelgeleitete personenorientierte Beratung in Organisationen werden problematische Situationen aus dem professionellen Arbeitsalltag des Teams als Analysegrundlage benutzt, um Zugang zu einer unbewussten Dynamik im Team sowie bei den Einzelnen zu erlangen. Zugrunde liegt diesem Ansatz der gleiche Ausgangspunkt, den sich die verschiedenen Schulrichtungen der Psychoanalyse teilen: die Feststellung, „dass es ein dynamisches Unbewußtes gibt, das einen wirksamen Einfluß auf unser bewußtes Erleben und Verhalten ausübt“.9 Ziel der Team-Supervision ist deshalb zum Einen die Befähigung der einzelnen Supervisanden zur Selbstreflektion und -veränderung. Unbewusste Anteile der Persönlichkeit, die sich im Team störend auswirken, werden so zumindest aufgedeckt und im besten Fall im Zeitverlauf optimiert. Zum Anderen ist es Ziel der Team-Supervision, die Selbstbeschreibung des Teams zu verändern. „Viele Konflikte, die innerhalb des Teams oder auch der Leitung bestehen, haben ihre Grundlage darin, dass nicht mehr klar ist, was die Aufgabe der Organisation insgesamt, was die Aufgabe des Teams [ist].“10 Die Team-Supervision bedient sich dabei verschiedener Verfahren, welche die introspektive Betrachtung einer Situation mit einer distanzierten Betrachtungsweise zwecks Erkenntnisgewinnung verbinden.11 Grundsätzlich nehmen die Teilnehmer einer Team-Supervision nur in ihren jeweiligen Rollen als Organisationsmitglied teil.
Genau an diesem Punkt wird eine Besonderheit des Teams „Fußball(national)mannschaft“12 deutlich: anders als bei den meisten anderen Berufen, erfährt der Rolleninhaber „Fußballspieler“ eine starke Konzentration auf die Leistungsfähigkeit seines Körpers und damit eine Fokussierung auf seine ganze Persönlichkeit und nicht nur auf isolierte Einzelarbeitsleistungen durch seinen Arbeitgeber sowie weitere Anspruchsgruppensteller wie die Zuschauer. Deutlich wird dies beispielsweise an der „Kasernierung“13 der Nationalspieler zu Trainingszwecken vor den Spielen. Es wird zum Teil wochenlang gemeinsam trainiert, gemeinsam gegessen und es gibt einen für Alle geltenden „Zapfenstreich“. Außerdem wird mit der Begründung der unerwünschten Ablenkung der Zugang allen Personen, die nicht
[...]
1 Beispiele für bisherige Skandale: siehe o.V. (2010).
2 Siehe o.V (2010a)
3 Im Folgenden wird im Wesentlichen das Konzept der Team-Supervision behandelt. Aufgrund der gegebenen Aufgabenstellung wird bewusst auf die detaillierte Erörterung anderer Supervisionskonzept (Face to Face, Gruppen) verzichtet. Der interessierte Leser wird beispielsweise auf Kühl (2008) verwiesen.
4 Nach eingehender Recherche der Verfasserin gibt es zwar jeweils eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten zu den beiden weitgefächerten Themen Fußball und Team sowie Team-Supervision, jedoch keine umfassende wissenschaftliche Ausarbeitung zu dem speziellen Thema der Team-Supervision für Fußballmannschaften. In der Fußball-Praxis scheint hingegen das Interesse an Mentaltrainern, Coachs und Gruppenberatungen zuzunehmen - vgl. Müller (2009), Brandes (2006)
5 Im Rahmen der Qualifizierungsrunde zu der Fußballweltmeisterschaft Ende 2009 gewinnt Frankreich knapp gegen Irland in der Verlängerung durch ein Ausgleichstor, dem jedoch ein klares (verbotenes) Handspiel des Kapitäns der Mannschaft vorausgeht. Nach eingehender Beratung der Schiedsrichter wird das Tor dennoch gewertet, wodurch sich Frankreich im Gegensatz zu Irland qualifiziert - siehe o.V. (2010b)
6 Der verheiratete Fußballstar Frank Ribery soll sexuellen Kontakt zu einer minderjährigen (dieser Tatbestand war ihm angabegemäß jedoch nicht bewusst) Prostituierten eingestanden haben. Zwei weitere Nationalspieler sind in diesem Zusammenhang als Zeugen verhört worden. Laut französischem Recht können für solch eine Tat bis zu drei Jahre Gefängnis- sowie eine hohe Geldstrafe verhängt werden - siehe o.V. (2010c)
7 Zwei von drei Vorrundenspielen verloren, eines unentschieden gespielt.
8 o.V. (2010d)
9 Mertens (2008), S. 17
10 Rappe-Giesecke (2003), S. 10
11 Es können drei Formen von Team-Supervision unterschieden werden: die fallbezogene, die gruppendynamisch-selbsterfahrungsbezogene sowie die institutionsbezogene Supervision, deren detaillierte Beschreibung jedoch nicht Gegenstand dieses Essays ist. Vgl. zur weiteren Erklärung Kersting/ Kraphol (2000).
12 Im Folgenden werden lediglich Besonderheiten männlicher Nationalmannschaften analog des ausgewählten französischen Einstiegsbeispiels aufgeführt. Einige der Betrachtungspunkte gelten des Weiteren sicherlich auch für andere Profisportarten, die jedoch hier nicht Untersuchungsgegenstand sind.
13 Müller (2009), S. 170
- Arbeit zitieren
- Jennifer Jablonski (Autor:in), 2010, Fußball und Supervision, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262859
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