Der amerikanische Autor Edgar Allan Poe (1809–1849) gilt auch heute noch als Meister der unheimlichen Kurzgeschichte. Seine Erzählungen stellen das Abgründige der menschlichen Seele dar. Sie vermitteln eine düstere Atmosphäre, die Protagonisten sind psychologisch komplexe Charaktere, die dem Bösen verfallen sind und oftmals daran zu Grunde gehen. Bekannte Beispiele sind: „Das verräterische Herz“, „Das ovale Portrait“ und „Die Morde in der Rue Morgue“.
Viele seiner Werke sind verfilmt worden. So auch die Erzählung „William Wilson“ aus dem Jahr 1839, die auf dem literarischen Doppelgänger-Motiv basiert, mit dem die Diskrepanz zwischen Taten und Gewissen des Protagonisten deutlich gemacht wird. Die einzige Filmadaption, die sich vollständig auf Poes Vorlage bezieht, ist 1967 von dem französischen Regisseur Louis Malle (1932-1995) auf Zelluloid gebannt worden. Sie ist Teil des französisch-italienischen Episodenfilms „Histoires Extraordinaires“ („Außergewöhnliche Geschichten“), der noch aus zwei weiteren Poe-Bearbeitungen besteht: „Metzengerstein“ von Roger Vadim und „Toby Dammit“ von Federico Fellini.
Im Zentrum der Arbeit steht die Film-Version von „William Wilson“. Es geht darum, wie Louis Malle die Motive des Originals umsetzt und auf welche Art er das Werk Poes interpretiert. Zudem wird abschließend eine Einordnung des Beitrages in sein Gesamtwerk vorgenommen. Zuerst werden aber die wichtigsten Aspekte der anderen beiden Verfilmungen skizziert und deren Herangehensweise an die komplexen Stoffe beleuchtet.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Vadim und Fellini
Malle: William Wilson
Schluss
Literaturangaben
Einleitung
Seine Geschichten sind phantastisch wie Träume - Träume voller bizarrer Gestalten und mysteriöser Situationen. Der amerikanische Autor Edgar Allan Poe (1809-1840) gilt auch noch heute als der Meister der unheimlichen Kurzgeschichten, die das Abgründige der menschlichen Seele darstellen. Die Erzählungen vermitteln eine düstere Atmosphäre, die Protagonisten sind psychologisch komplexe Charaktere, die dem Bösen verfallen sind und oftmals daran zu Grunde gehen. Seine berühmtesten Erzählungen sind unter anderem Die Maske des Roten Todes, Das ovale Portrait und Die Morde in der Rue Morgue.
Fast alle seiner Werke haben ihren Ausdruck in zahlreichen Musikbearbeitungen oder Filmen gefunden. Eins davon, mit dem ich mich in meinen Ausführungen hauptsächlich beschäftigen möchte, ist William Wilson. Obwohl das dieser Geschichte zu Grunde liegende Motiv des Doppelgängers oft in Filmen verwendet wurde, ist die einzige Version, die sich vollständig auf Poes Vorlage bezieht, erst 1967 von dem französischen Regisseur Louis Malle (1935 - 1992 ) auf Zelluloid gebannt worden. Sie ist Teil des Episodenfilms Histoires Extraordinaires (Außergewöhnliche Geschichten), der aus weiteren zwei Poe - Bearbeitungen besteht: Metzengerstein von Roger Vadim und Toby Dammit von Federico Fellini.
In meiner Arbeit möchte ich mich hauptsächlich damit befassen, wie Louis Malle die Motive des Originals umsetzt und auf welche Art er das Werk Poes interpretiert und abschließend eine Einordnung seines Beitrages in sein Gesamtwerk vornehmen. Zuerst möchte ich aber die wichtigsten Aspekte der anderen beiden Verfilmungen herausstellen, um deren Herangehensweisen an den komplexen Stoff zu beleuchten. Da sich zu den Außergewöhnlichen Geschichten kaum Sekundärliteratur finden lässt, stützen sich meine Ausführungen fast ausschließlich auf meine eigenen Überlegungen und Gedanken.
Vadim und Fellini
Poes Metzengerstein reflektiert das Thema Seelenwanderung. Der Erzähler berichtet von den lange zurückreichenden Streitigkeiten zwischen den ungarischen Adelsgeschlechtern Metzengerstein und Berlifitzingen. Nachdem das alte Oberhaupt der letztgenannten Familie nach einem rätselhaften Brand im Pferdestall umgekommen ist, wird der junge Herr Friedrich Metzengerstein von einem rätselhaften schwarzen Hengst, der Wiedergeburt seines Feindes, in Bann gezogen und ins Verderben geritten.
Vadim orientiert sich recht deutlich an Poe und übernimmt auch dessen Erzählperspektive, indem er einen Sprecher aus dem Off einsetzt. Allerdings nimmt er eine bedeutende Umbesetzung vor und lässt seine damalige Ehefrau Jane Fonda die Hauptfigur spielen und aus Friedrich wird Gräfin Friedrique. Der Beginn des Filmes entwirft ein üppiges Sittengemälde einer mittelalterlichen Gesellschaft um die Burgherrin, die grausam, sadistisch und selbstgerecht über ihre Mitmenschen befiehlt und die sich gerne erotischen Ausschweifungen hingibt. Vom Erzähler aus dem Off wird sie als „weiblicher Caligula“ tituliert und der Regisseur zieht alle Register, um dem Zuschauer die Facetten ihres abgründigen Charakters darzustellen: Sie macht sich ihre Bediensteten sexuell gefügig (Männer und Frauen), beim Anblick zweier Gehängter zuckt sie nicht mal mit der Wimper, sie macht sich über ihre Verwandtschaft lustig etc... Da sie reiche Erbin und mächtige Herrin über viele Schlösser im Land ist, wagt keiner ihrer Diktatur zu wiedersprechen.
Bis zu diesem Punkt des Filmes ist die Sache noch recht interessant, spätestens als sich die Handlung zu entwickeln beginnt, lässt die Qualität stark nach. Die Herrin fühlt sich zu ihrem Pferde liebenden Cousin (Peter Fonda) hingezogen, als der sie aber abweist, zündet sie aus verletzter Eitelkeit seine Ställe an, in denen er dann leider auch verbrennt. Von nun an ändert sich das Verhalten der sinnlichen Gräfin und sie wird melancholisch und verdrossen.
Wie im Original zieht sie nun ein wilder, schwarzer Hengst in den Bann, der nur von ihr gezähmt werden kann.
Bis zum Ende des Films wird danach fast nur noch die reitende Jane Fonda in langen Einstellungen gezeigt, manchmal unterbrochen von dem Erzähler aus dem Off, der wahrscheinlich versuchen soll dem Zuschauer die immer wiederkehrenden, neblig-wabernden Bilder zu erklären und dem ganzen einen roten Faden zu verleihen. Das ist auf die Dauer langweilig, man ist geradezu erleichtert, als die Gräfin auf dem Rücken des Pferdes in einem Flammenmeer den Tod findet, weil das dann gleichzeitig auch das Ende der Geschichte bedeutet.
Insgesamt kann man sagen, dass die Verfilmung des Originals misslungen ist; die düster-mittelalterliche Atmosphäre und die Verdorbenheit der Burggesellschaft bieten zwar interessante Aspekte, aber die Geschichte an sich ist recht fade umgesetzt. Zwar hält sich die Handlung im Hauptteil relativ eng an die Vorlage, aber eine Dramaturgie fehlt völlig; die guten Ansätze des Anfangs werden nicht weiter verfolgt, und das Ende erzeugt keine Spannung, weil viel zu lange darauf vorbereitet worden ist. Die Reitszenen mit Jane Fonda scheinen nur der bildlichen Untermalung des Off-Sprechers zu dienen, ohne den die - zugegeben stimmungsvollen - Bilder überhaupt keinen Sinn ergeben würden, denn es entsteht keinerlei Eigendynamik. Als Rezipient sollte man auf diese Verfilmung verzichten und sich die Sprache Poes in Reinform zu Gemüte führen, indem man die Originalgeschichte liest.
Auch öffentliche Meinungen bewerten den ersten Teil der Außergewöhnlichen Geschichten als sehr schwach und enttäuschend. „Vadim [und Malle] haben kaum mehr als Sadismus und Erotik zu bieten“, so zum Beispiel das Urteil des KIM-Filmdienstes.[1]
Besonders aber der zweite Teil des Beitrages wird von der Kritik verrissen:
“At times, the short film looks like a home-movie; Vadim simply films Jane stroking the horse, walking with it and galloping on it as if it was not a haunted creature but merely Black Beauty”[2]
Toby Dammit, von Federico Fellini in Szene gesetzt, schließt das gemeinsame Projekt ab. Wenn man Fellini mag und auch seine satirischen Überzeichnungen der Großstadt Rom und ihrer dekadenten Gesellschaft wie in La dolce Vita (1961) oder Fellinis Roma (1972), dann kann man sich vielleicht auch mit seiner modernen Verfilmung von Never bet the devil your head anfreunden: Ein gefeierter aber übersättigter Schauspieler (Terence Stamp) geht nach Italien, um in einem katholischen Western mitzuspielen – Gage: ein roter Ferrari. Während seines Aufenthaltes mit seltsamen Partys und bizarren Gestalten wird der drogensüchtige und alkoholkranke Mann von einem unheimlichen kleinen Mädchen verfolgt.
Die Verlogenheit der Filmbranche bloßzustellen, scheint Fellini hier ein besonderes Anliegen zu sein. Er präsentiert groteske Situationen und überzeichnete Charaktere in teils surreal-schrillen Farben, was durchaus einen gewissen Unterhaltungswert hat. Wer in dieser Fassung allerdings eine poe-esque Stimmung oder gar die Handlung der Vorlage sucht, muss enttäuscht werden, denn davon ist bis auf ein paar Marginalien nichts mehr vorhanden. Aus der „Geschichte mit Moral“[3], in welcher der dem Glücksspiel verfallene Toby Dammit mit dem Teufel um seinen Kopf wettet, dass er über ein Drehkreuz auf einem Fußweg springen kann, ist noch die Beschreibung des Leibhaftigen übriggeblieben („[...] während sein Haar vorn gescheitelt verlief wie bei einem Mädchen”)[4], aus der Fellini das Mädchen mit dem Ball gemacht hat. Auch das grausige Ende mit dem abgetrennten Kopf taucht im Film auf: Nachdem Toby Dammit in seinem neuen Ferrari planlos durch die Nacht gejagt ist, versucht er über eine zerstörte Straße zu kommen und übersieht dabei ein Drahtseil, dass quer über den Boden in Kopfhöhe gespannt ist.
Durch die fast vollständige Entpoe(t)isierung entzieht sich der Film auch einer bestimmten Bewertung bezüglich der Qualität der Literaturadaption und -interpretation. Es fehlen einfach jegliche Vergleichskriterien.
Nach diesem kurzen Einblick in die Arbeiten von Fellini und Vadim, möchte ich mich nun im Detail mit der Inszenierung von Louis Malle befassen, seine Ideen zur Doppelgängergeschichte darlegen und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur Vorlage herausstellen.
[...]
[1] KIM-Filmdienst. www.filmlexikon.de
[2] Smith, Ronald L.: Poe in the Media. Screens, Songs and Spoken Word Recordings. New York: Garland 1994.
[3] Poe, Edgar Allan: Der Fall des Hauses von Ascher. Erzählungen. Zürich: Haffmanns 1994, S. 337
[4] ebd., S. 346
- Arbeit zitieren
- Tobias Schneider (Autor:in), 2002, Außergewöhnliche Geschichten? Edgar Allan Poe in der Verfilmung von Louis Malle, Roger Vadim und Federico Fellini, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25943
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