Das Thema Frauen in der Sowjetunion und Rußland ist in vielerlei Hinsicht ein außerordentlich Interessantes: Z.B. in der Frage, inwieweit der sowjet-marxistische Anspruch auf volle Gleichstellung in der Realität tatsächlich eingelöst wurde. Oder darin, welche Auswirkungen der Untergang der Sowjetunion und der Übergang zur Marktwirtschaft auf die Lebensbedingungen von Frauen gehabt hat.
Genau diese beiden Fragen sind Thema der vorliegenden Arbeit. Der Einfachheit halber beschränke ich mich dabei auf russische Frauen im europäischen Teil der Sowjetunion, da die Situation von Frauen in anderen Völkerschaften teilweise so speziell, und von der, der russischen Frauen verschieden ist, daß darüber eine eigenständige Seminararbeit geschrieben werden könnte.
Weiterhin werde ich nur im ersten Kapitel, in dem es um die Frauenfrage in der Sowjetideologie geht, die ganze Länge der sowjetischen Geschichte in Betracht ziehen. In Kapitel drei und vier, die sich mit der konkreten Situation von Frauen in der Sowjetunion und Rußland auseinandersetzen, beziehe ich mich weitgehend auf die Zeit von ca. 1970 bis heute.
Ich stütze mich in dieser Arbeit weitgehend auf zwei Veröffentlichungen: Die Monographie „Frauenarbeit und Frauenalltag in der Sowjetunion“ (1991) von Moniÿka Rosenbaum und den von Vitalina Koval herausgegebenen Sammelband
„Women in contemporary Russia“ (1995). Da wo es mir um aktuellere
Informationen ging, haÿbe ich auf das zurückgegriffen, was ich im Internet zu diesem Thema finden konnte.
Ich bin mir bewußt, daß es darüber hinaus inzwischen eine große Anzahl anderer und vielleicht auch aktuellerer Veröffentlichungen zu diesem Thema gibt, denke aber, daß ich mit dem vorliegenden Material meine Fragestellung gut bearbeiten konnte, und den Anforderungen einer Seminararbeit gerecht werde.
Zum Forschungsstand bleibt noch zu sagen, daß sich (wenigstens) hier seit Beginn der Perestroika Mitte der 80er Jahre vieles zum Besseren entwickelt hat. War es in der Sowjetunion vor dieser Zeit nur schwer möglich, Probleme zu benennen, die von der Partei noch nicht offiziell als solche eingestanden worden waren, und war eine unabhängige Organisierung von Frauen im Sinne eines westlichen Feminismus verpönt, brachte die Perestroika und schließlich der Zusammenbruch der Sowjetunion
hier große Veränderungen.
Inzwischen gibt es in Rußland über 200 Frauenorganisationen und auch im wissenschaftlichen Bereich sind Geschlechterstudien inzwischen ein Thema.
Inhalt
1.0. Einleitung
2.0. Die Frauenfrage in der Sowjetideologie
3.0. Die Situation der Frau bis zum Untergang der Sowjetunion
3.1. Qualifikationsstruktur
3.2. Arbeitsbedingungen
3.3. Familie
4.0. Die Frau im Rußland nach der Wende
5.0. Schluß
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
1.0. Einleitung
Das Thema Frauen in der Sowjetunion und Rußland ist in vielerlei Hinsicht ein außerordentlich Interessantes: Z.B. in der Frage, inwieweit der sowjet-marxistische Anspruch auf volle Gleichstellung in der Realität tatsächlich eingelöst wurde. Oder darin, welche Auswirkungen der Untergang der Sowjetunion und der Übergang zur Marktwirtschaft auf die Lebensbedingungen von Frauen gehabt hat. Genau diese beiden Fragen sind Thema der vorliegenden Arbeit. Der Einfachheit halber beschränke ich mich dabei auf russische Frauen im europäischen Teil der Sowjetunion, da die Situation von Frauen in anderen Völkerschaften teilweise so speziell, und von der, der russischen Frauen verschieden ist, daß darüber eine eigenständige Seminararbeit geschrieben werden könnte.
Weiterhin werde ich nur im ersten Kapitel, in dem es um die Frauenfrage in der Sowjetideologie geht, die ganze Länge der sowjetischen Geschichte in Betracht zieÿhen. In Kapitel drei und vier, die sich mit der konkreten Situation von Frauen in der Sowjetunion und Rußland auseinandersetzen, beziehe ich mich weitgehend auf die Zeit von ca. 1970 bis heute.
Ich stütze mich in dieser Arbeit weitgehend auf zwei Veröffentlichungen: Die Monographie „Frauenarbeit und Frauenalltag in der Sowjetunion“ (1991) von Moni- ÿka Rosenbaum1 und den von Vitalina Koval herausgegebenen Sammelband „Women in contemporary Russia“ (1995).2 Da wo es mir um aktuellere Informationen ging, haÿbe ich auf das zurückgegriffen, was ich im Internet zu diesem Thema finden konnte.
Ich bin mir bewußt, daß es darüber hinaus inzwischen eine große Anzahl anderer und vielleicht auch aktuellerer Veröffentlichungen zu diesem Thema gibt, denke aber, daß ich mit dem vorliegenden Material meine Fragestellung gut bearbeiten konnte, und den Anforderungen einer Seminararbeit gerecht werde.
Zum Forschungsstand bleibt noch zu sagen, daß sich (wenigstens) hier seit Beginn der Perestroika Mitte der 80er Jahre vieles zum Besseren entwickelt hat. War es in der Sowjetunion vor dieser Zeit nur schwer möglich, Probleme zu benennen, die von der Partei noch nicht offiziell als solche eingestanden worden waren, und war eine unabhängige Organisierung von Frauen im Sinne eines westlichen Feminismus ver- ÿpönt, brachte die Perestroika und schließlich der Zusammenbruch der Sowjetunion hier große Veränderungen.
Inzwischen gibt es in Rußland über 200 Frauenorganisationen und auch im wissenschaftlichen Bereich sind Geschlechterstudien inzwischen ein Thema.3
2.0. Die Frauenfrage in der Sowjetideologie
Bevor ich auf die Eigentümlichkeiten des sowjetischen Umgangs mit der Frauenfraÿge eingehe, werde ich zunächst ein Blick auf die Grundlagen werfen, auf denen die Sowjetideologie aufbaut: Das Werk von Marx, Engels und, wie später zu zeigen sein wird, August Bebels.
Marx und Engels haben sich nur an einzelnen Stellen zur Situation der Frau geäu- ÿßert, so z.B. im „Kommunistischen Manifest“, im „Kapital“ und in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“.4 Dort wird die Reproduktionsa- rÿbeit, die ja nun damals wie heute weitgehend von Frauen geleistet wurde und wird, als nicht wertschöpfend betrachtet und damit abgewertet, was natürlich dem allgemeinen Trend der Zeit entsprach. Eine Ausnahme bildet lediglich das letztgenannte Werk, in dem Produktion UND Reproduktion gleichermaßen als „das in letzter Instanz bestimmende Moment der Geschichte“ anerkannt werden.5
Die eigentliche „sozialistische Emanzipationstheorie“ bezieht sich aber weitgehend auf Bebels „Die Frau und der Sozialismus“. Hier finden sich die Postulate, die wir später auch in der Sowjetideologie wiederfinden können:
Die Emanzipation der Frau ist nach Bebel „eine Seite der sozialen Frage“ und kann erst im Sozialismus voll verwirklicht werden. Vorbedingung ist die Einbeziehung der Frau in den Produktionsprozess. Dies dient nicht nur ihr selbst, sondern erhöht auch ihren gesamtgesellschaftlichen Nutzen. Die Hausarbeit soll „vergesellschaftet“ und damit den Frauen so weit wie möglich abgenommen werden.6
Auffällig ist bei dieser Konzeption der geringe Tiefgang, was die eigentlichen Ursa- ÿchen der Unterdrückung der Frauen angeht. Folge davon ist der Irrglaube, die Einbeziehung in die Produktion ALLEIN könne ausreichen um die psycho-sozialen Folgen von mehreren tausend Jahren Patriarchat zu überwinden, und die Unfähigkeit sich eine gleichberechtigte Verteilung der Hausarbeit auf Männer und Frauen vorstellen zu können. Statt dessen soll die „schäbige“ Reproduktionsarbeit, die ja sowieso keine richtige Arbeit ist, durch industriellen Fortschritt überflüssig werden. Die Bolschewiki haben diese Grundsätze voll und ganz übernommen und nach der Revolution augenblicklich damit begonnen, sie in die Tat umzusetzen.
Hatte vor der Revolution noch der „domostroj“, ein Sittenkodex, der die Frau der totalen Gewalt des Mannes auslieferte, den Status der Frau festgelegt, werden nun innerhalb weniger Jahre die rechtlichen Grundlagen zur vollkommenen Gleichstel- ÿlung der Frau gelegt: Bis 1919 im Familienrecht und 1922 in Form von Arbeitsschutzbestimmungen wie dem Verbot der Nachtarbeit für Frauen.7
In Bezug auf die reale Rolle der Frau im Produktionsprozeß sind die Erfolge allerÿdings weitaus weniger beeindruckend. Die Einbeziehung der Frauen in den Produktionsprozeß gelingt nicht, da Frauen in Zeiten geringen Arbeitskräftebedarfs immer die ersten sind, die entlassen werden und darüber hinaus meist die niedrigeren Posten besetzen. Die Vergesellschaftung der Hausarbeit macht zunächst große Fortschritte - so essen 1919/20 90% der Petrograder und 60% der Moskauer in Volkskantinen - doch scheint dies mehr kriegsbedingt gewesen zu sein, und Mitte der 20er Jahre spielen die Großküchen kaum noch eine Rolle.
Ein grundlegender Wandel patriarchaler Denkstrukturen ist nur bei Alexandra Kollontai Thema, die, die Forderung nach weiblicher Autonomie und sexueller Frei- ÿheit aufstellt, damit aber bei ihren männlichen Genossen wie Lenin und Trotzky kaum Gehör findet.
Unter Stalin (ca. ab 1930) kommt es zu einer Wende in der Frauenpolitik, und der Propagierung einer Ideologie, die selbst hinter die Postulate Bebels weit zurückgeht. Eine offene Diskussion zur Frauenproblematik wird nicht mehr zugelassen, die Mutterrolle wieder aufgewertet, und schließlich sogar die Familie unter den Schutz des Staates gestellt (1936). Dies geht auch mit einer Verschlechterung der rechtlichen Situation von Frauen einher: So werden Abtreibungen (erfolglos) verboten und Scheidungen wieder erÿschwert.
Nachdem in dieser Zeit schließlich doch die 50% Marke der Frauenerwerbsarbeit erreicht wird, wenn auch von gleicher Arbeitsqualität nicht die Rede sein kann, wird die Frauenfrage offiziell als für gelöst erklärt.
Da durch die Propagierung der „sozialistischen Familie“ auch das Thema der Vergesellschaftung der Arbeit an Bedeutung verliert, führt die hohe Beschäftigungsrate, bei mangelndem Vorhandensein von Krippenplätzen und Nichtbeteiligung der Männer am Haushalt zu einer Doppelbelastung und damit erheblichen Verschlechterung der Situation der Frauen.
Erst unter Chrustschow kommt es zu einem Tauwetter, daß die Wiederaufnahme der frauenpolitischen Diskussion wieder möglich macht. Von nun an wird die Problemaÿtik der Doppelbelastung offiziell eingestanden, ohne freilich die Männer miteinzubeziehen. Ziel ist lediglich, Bedingungen zu schaffen, die es der Frau erleichtern ihre Doppelrolle zu erfüllen.
Ein weiterer Grund für die erhöhten Anstrengungen ist auch die „demographische Krise“, die in den 70er Jahren konstatiert wird, und immer bedrohlicher zu Tage tritt. Die Perestroika Mitte der 80er Jahre bringt für die Frauen nicht nur positive Änderungen. Die Wirtschaftskrise führt vor allem zu einer Verknappung von Nahrungsmitteln und Konsumgütern, was Schlangestehen und Zeitverlust gerade für Frauen zur Folge hat.
Auch die neue Meinungsfreiheit ist zwiespältig, da nun auch reaktionäre Meinungen an Boden gewinnen, die dafür eintreten, das Problem der Doppelbelastung, der demographische Krise und der zunehmenden Arbeitslosigkeit durch eine Rückkehr der Frauen an den heimatlichen Herd zu lösen. Gorbatschow selbst leistete solchen Tendenzen Vorschub, wenn er in seinem Buch „Perestroika“ die Frage stellte, „ was zu tun ist, um es den Frauen zu ermöglichen, zu ihrer eigentlichen weiblichen Lebensaufgabe zurückzukehren“.
3.0. Die Situation der Frau bis zum Untergang der Sowjetunion
In diesem Kapitel möchte ich eine detaillierte Darstellung der Lebenssituation von Frauen in der früheren Sowjetunion liefern, wie sie etwa für die Jahre von 1970-1990 repräsentativ ist. Ich setze dabei den Schwerpunkt auf die Situation in Beruf und Familie in Verbindung mit den kulturellen Bildern von Weiblichkeit und Männlichkeit, die dort ihren Ausdruck finden.
Die Gleichberechtigung der Frau in der UdSSR wurde von offizieller Seite immer als eine der großen Errungenschaften des Sozialismus hervorgehoben. Wenn auch die Doppelbelastung der berufstätigen Mütter nach dem Ende der Stalinära mehr und mehr auch von offiziellen Stellen eingestanden und diskutiert wurde, war es doch offiziell keine Frage, daß Frauen gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten, die glei- ÿchen Karrierechancen haben wie Männer und an sich nicht irgendwelchen institutionellen Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt sind.14
Ich werde im Folgenden anhand verschiedenster statistischer Daten zeigen, daß die- ÿser Anspruch nicht der Wirklichkeit entsprach, in der sowjetische Frauen lebten und arbeiteten.
3.1. Qualifikationsstruktur
Ca. 90% der sowjetischen Frauen im erwerbsfähigen Alter sind Ende der 80er Jahre berufstätig, womit die UdSSR weltweit den ersten Platz einnimmt. Das entspricht im Unionsdurchschnitt 51% der ArbeiterInnen und 45% der Kolchozniki.15 Teilzeitarbeit spielt kaum eine Rolle.16
[...]
1 Monika Rosenbaum, Frauenarbeit und Frauenalltag in der Sowjetunion, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 1991.
2 Vitalina Koval (Hg), Woman in contemporary Russia, Berghan Books, Providence und Oxford 1995.
3 Ingrid Biermann, Geschlechterverhältnisse in Russland. Forschungskooperationen zwischen Ost und West. Projektkurzbeschreibung, http://www.unibielefeld.de/IFF/pages/1allgang/ost- geschlechter.htm, S. 2.
4 Vgl. Rosenbaum, S. 12.
5 Vgl. Rosenbaum, S. 13.
6 Vgl. Rosenbaum, S. 12 u. 14.
7 Vgl. Rosenbaum, S. 16/17 u. 20.
8 Vgl. Rosenbaum, S. 20-23.
9 Vgl. Rosenbaum, S. 18/19.
10 Vgl. Rosenbaum, S. 23-26.
11 Vgl. Rosenbaum, S. 27/28.
12 Vgl. Rosenbaum, S. 29.
13 Vgl. Rosenbaum, S. 32/33.
14 Vgl. Rosenbaum, S. 45 u. 56.
15 Vgl. Rosenbaum, S. 48. Die Zahlen sind aus dem Jahre 1989. Vgl. V.V. Koval, Women and Work in Russia, in: Vitalina Koval (Hg), Women in contemporary Russia, S. 20.
16 Vgl. V.V. Koval, Women and Work in Russia, S.29.
- Quote paper
- Mark Thumann (Author), 2000, Frauen in der Sowjetunion und Rußland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25672
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