In Deutschland wird der demographische Wandel vor allem nach dem Jahr 2010 massiv spürbar werden. Er zeigt sich in einer deutlich veränderten Altersstruktur der Bevölkerung. 1 Der Altersquotient (das zahlenmäßige Verhältnis der ab sechzig- jährigen zu den Erwerbsfähigen, den einundzwanzig bis neunundfünfzig- jährigen), der seit den siebziger Jahren leicht gesunken ist, wird sich bis zum Jahr 2030 von ca. 41% auf über 80% verdoppeln. Die Gesamtbevölkerung wird dabei spätestens ab 2010 sinken. Auf den Gesamtbedarf der Bevölkerung an medizinischen Leistungen wirkt sich die veränderte Altersstruktur positiv, die sinkende Bevölkerungszahl dagegen negativ aus. Klammert man unzulässigerweise den medizinischen Fortschritt aus der Betrachtung aus, könnte der Gesamtbedarf an medizinischer Ver-sorgung ab 2015 zurückgehen. Für die Belastung mit Krankenversicherungsbeiträgen ist jedoch nur die Altersstruktur verantwortlich. Die Beitragsbelastung wird in jedem Fall steigen (vgl. Knappe 1999).
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Beschreibung der aktuellen gesundheitspolitischen Situation in Deutschland
1.1.1 Kurzer Überblick zur sozio - demographischen Entwicklung
1.1.2 Auswirkungen der demographischen Veränderungen sowie des medizinischen Fortschritts auf Leistungen und Kosten im Gesundheitswesen
1.2 Das gesundheitspolitische Problempanorama
2 Zum theoretisch - konzeptionellen Rahmen
2.1 Zum Gegenstandsbereich der Gesundheitspolitik
2.2 Beschreibung der rechtlichen Grundlagen in Deutschland
2.2.1 Vorbemerkungen zum Grundsatz der Beitragssatzstabilität
2.2.2 Rechtliche Verankerung des Grundsatzes
2.3 Zur Gesundheitsreform
2.3.1 Politische Devise
2.3.2 Ziele der Gesundheitsreform
2.3.3 Zentrale Regelungen der Gesundheitsreform 2000
2.3.4 Zusammenfassende Darstellung zu der Gesundheitsreform 2000
2.4 Beschreibung des gegenwärtigen Versicherungssystems in Deutschland
2.4.1 Zentrale Akteure im Krankenversorgungssystem
2.4.2 Steuerungsebenen der Gesundheitspolitik
2.4.3 Das Steuerungsmodell der GKV
2.4.4 Stellung des Krankenhauses im Versorgungssystem
2.4.4.1 Das gegenwärtige Vergütungssystem im Akut - Krankenhaus
2.4.4.2 Das DRG - System „diagnosis related groups“
2.4.4.3 DRG = (D)rastische (R)ationierung von (G)esundheitsleistungen?
2.4.5 Beziehung zwischen Leistungsspektrum und Beitragssatz
2.4.6 Zwischenfazit
2.5 Die Rollen von Staat und Markt im Gesundheitswesen in Deutschland
2.5.1 Mehrleistungen bei stabilen Beitragssätzen - das geht nicht auf!
2.5.2 Raus aus dem Teufelskreis!
2.6 Bewertung der gesundheitspolitischen Reformen und begleitenden Maßnahmen
2.6.1 Gesundheitsreform und Gesellschaftspolitik
2.6.2 Bewertung der gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Beitragssatzstabilität aus der betriebswirtschaftlichen Sicht
2.6.3 Zwischenfazit: Bewertung des Grundsatzes der Beitragsstabilität
3 Die Problemanalyse aus betriebswirtschaftlicher Sicht
3.1 Vorüberlegungen: Betriebswirtschaftliches Instrumentarium bei einer gesundheitspolitischen Problemanalyse?
3.2 Analyse der Transaktionsbeziehungen der Akteure im Gesundheitswesen
3.2.1 Transaktionsbeziehung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherungsanbieter
3.2.2 Transaktionsbeziehung zwischen Arzt und Patient
3.2.3 Transaktionsbeziehung zwischen Arzt - Patient - Krankenversicherung
3.3 Erstellung eines betriebswirtschaftlichen Analyserasters
4 Gesellschaftliche Trends und ihre Auswirkungen auf das deutsche Gesundheitswesen
5 Zur empirischen Evidenz: Problemanalyse aus der Sicht der Akteure im Gesundheitswesen
5.1 Erwartungen des Beitragszahlers an eine leistungsfähige Krankenversicherung
5.2 Ansichten von Verbänden und Organisationen im Gesundheitswesen zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung
6 Zusammenfassende Diskussion
Literaturverzeichnis
Erklärung
1 Einleitung
1.1 Beschreibung der aktuellen gesundheitspolitischen Situation in Deutschland (Autor: Richter (R))
1.1.1 Kurzer Überblick zur sozio - demographischen Entwicklung
In Deutschland wird der demographische Wandel vor allem nach dem Jahr 2010 massiv spürbar werden. Er zeigt sich in einer deutlich veränderten Altersstruktur der Bevölkerung.[1] Der Altersquotient (das zahlenmäßige Verhältnis der ab sechzig- jährigen zu den Erwerbsfähigen, den einundzwanzig bis neunundfünfzig- jährigen), der seit den siebziger Jahren leicht gesunken ist, wird sich bis zum Jahr 2030 von ca. 41% auf über 80% verdoppeln. Die Gesamtbevölkerung wird dabei spätestens ab 2010 sinken. Auf den Gesamtbedarf der Bevölkerung an medizinischen Leistungen wirkt sich die veränderte Altersstruktur positiv, die sinkende Bevölkerungszahl dagegen negativ aus. Klammert man unzulässigerweise den medizinischen Fortschritt aus der Betrachtung aus, könnte der Gesamtbedarf an medizinischer Versorgung ab 2015 zurückgehen. Für die Belastung mit Krankenversicherungsbeiträgen ist jedoch nur die Altersstruktur verantwortlich. Die Beitragsbelastung wird in jedem Fall steigen (vgl. Knappe 1999).
1.1.2 Auswirkungen der demographischen Veränderungen sowie des medizinischen Fortschritts auf Leistungen und Kosten im Gesundheitswesen
Die Auswirkungen des demographischen Wandels auf das Gesundheitswesen werden teilweise falsch interpretiert. Sie sind für die beiden großen Versicherungssysteme, die Private Krankenversicherung (PKV) und die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) völlig unterschiedlich.
Lässt man Wanderungsbewegungen außer acht, wird der demographische Wandel verursacht durch die sinkende Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung.
Während sich der demographische Wandel in der PKV vor allem auf die Ausgabenseite auswirkt und nur, soweit er durch die steigende Lebenserwartung verursacht ist, ergeben sich in der GKV etwa gleich große Auswirkungen auf die Ausgaben- und die Einnahmenseite hervorgerufen durch beide Ursachen des demographischen Wandels.
Die Auswirkungen sind isoliert betrachtet nicht besonders gravierend. Legt man zum Beispiel die Ausgangssituation von 1995 zugrunde, nach der Ältere (ab sechzig) pro Person und Jahr etwa 80% höher Ausgaben verursachen als die Erwerbstätigen und gleichzeitig nur etwa halb so hohe Beiträge in die GKV einzahlen, dann ist im demographischen Wandel bis 2030 mit einem Anstieg der Beitragssätze um etwa drei bis vier Prozentpunkte zu rechnen.
Diese Wirkung folgt aus der Tatsache, dass ein steigender Alterskoeffizient zu höheren und gleichzeitig zu geringeren Einnahmen führt. Insgesamt handelt es sich um eine Größenordnung, die sich notfalls auch mit der herkömmlichen Ausgabendämpfungspolitik, allerdings mit zunehmendem Konfliktpotential, beherrschen ließe.
Im Laufe der Zeit hat der medizinische Fortschritt das Ausgabenniveau in der GKV jährlich etwa 1% schneller steigen lassen als die Löhne und damit auch etwa 1% schneller als die Einnahmen, bei unverändertem Beitragssatz. Daher mussten die Beitragssätze von 1970 reichlich 8% auf heute beinahe 14% erhöht werden. Diese Entwicklung ist fast ausschließlich Folge des medizinischen Fortschritts, da der demographische Wandel in der Vergangenheit die Situation eher günstig beeinflusst hat.
Allerdings geht das überproportionale Wachstum allein auf die Ausgabenentwicklung der Älteren zurück. Während sich das Wachstum des Ausgabenniveaus der Jüngeren bis sechzig mit kleinen Schwankungen durchweg im Rahmen der Lohnentwicklung hielt,
war das Ausgabenwachstum bei den Älteren etwa doppelt so hoch. Während noch 1960 die Pro- Kopf- Ausgaben für die Älteren (Rentner) etwa 30% niedriger lagen als für die erwerbstätigen Mitglieder der GKV, hatten sie 1970 bereits „gleichgezogen“. 1995 lagen die Ausgaben für Ältere schon 80% höher. Hält dieser Trend an, werden die Ausgaben der Älteren im Jahr 2030 das dreifache betragen (vgl. Knappe 1999).
1.2 Das gesundheitspolitische Problempanorama (Autor: Zlatkin (Z))
Gesundheitspolitische Fragestellungen sind bereits zum ritualisierten Inhalt einer seit 20 Jahren andauernden öffentlichen Diskussion in Deutschland geworden. Fast alltäglich hört und liest man solche Begriffe wie Beitragssatzstabilität, Kostendämpfung, Rationalisierung und Rationierung (vgl. Albach 1999, S. VII).
Funktionsdefizite der Krankenversorgung und des Modells der Finanzierung und Steuerung der Krankenversorgung durch die GKV werden seit Jahrzehnten beklagt und kritisiert. In der vorliegenden Arbeit werden einige der zentralen Kritikpunkte exemplarisch aufgenommen, und es wird versucht das Problematik aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu analysieren.
Zunächst beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der Frage, mit welchen Maßnahmen die deutsche Gesundheitspolitik die Situation eines ständig wachsenden Ausgabenanstiegs bislang begegnet und welche betriebswirtschaftliche Beurteilung diese zu erfahren haben. Weiterhin, welche Konsequenzen haben die Restriktionen auf unterschiedlichen Systemebenen aus betriebswirtschaftlicher Sicht, um dann anschließend darauf aufbauend eine Perspektive der zukünftigen Entwicklung des deutschen Gesundheitswesens zu skizzieren (vgl. Oberender & Zerth 2001, S. 9).
Angesichts der Ausgabenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) fand Mitte der 70er Jahre ein Umdenken in der Gesundheitspolitik statt. Im Juli 1977 traten das „Krankenversicherungs- Kostendämpfungsgesetz“ (KVKG) und im Januar 1982 das „Kostendämpfungs- Ergänzungsgesetz“ (KVEG) in Kraft.
Trotz der Gesetze stiegen die Beitragssätze permanent weiter und die Lösung der Finanzierungsprobleme der GKV stand aus. Mit Hilfe des im Dezember 1988 verabschiedeten „Gesundheits- Reformgesetzes“ (GRG) wurde der Versuch unternommen, diese unbefriedigende Situation der GKV grundlegend zu verbessern.
Im Zentrum des GRG standen die drei Grundsätze (§§ 70 ff. SGB V):
- Beitragssatzstabilität,
- Sicherung einer notwendigen medizinischen Versorgung, sowie die
- angemessene Vergütung ärztlicher Leistungen.
Die politische Priorität liegt auf der Beitragssatzstabilität (vgl. auch Oberdieck 1998, S. 1 sowie Wenzel 1999, S: 1). Es wurde argumentiert, dass steigende Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur eine höhere Belastung des Arbeitseinkommens bedeutet und damit die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmern hemmen, sondern zugleich die Lohnnebenkosten für Arbeitgeber zunehmen, was die Beschäftigungschancen negativ beeinflußt. Diese Prioritätssetzung konnte nicht ohne Konsequenzen für die anderen vorgestellten Grundsätze bleiben, da es sich bei den vorgestellten Grundsätzen um konfliegende Zielvorstellungen handelt. Sollte Beitragssatzstabilität erreicht werden, müsste u.a. der Leistungsumfang der GKV beträchtlich reduziert werden.
Das GRG ist mit einer Reihe von Instrumenten ausgestattet worden, die primär auf eine Reduktion des Leistungskataloges hinauslaufen. Zur Zielerreichung der Beitragssatzstabilität wurden hauptsächlich Maßnahmen im Bereich der Arzneimittel eingeführt: so wurde die Erstellung einer sogenannten Negativliste gesetzlich vorgeschrieben, die alle Medikamente enthaltet, die Ärzte nicht mehr zu Lasten der GKV verschreiben dürfen (vgl. Oberender & Zerth 2001, S. 19-22).
Resümierend kann man an der Stelle festhalten: in den letzten 20 Jahren wurden mehrere Gesetzpakete zur Reform des Gesundheitswesens verabschiedet. Trotz der unterschied-lichen Namen dieser Gesetze verfolgten sie dasselbe Ziel. Die Begrenzung des Anstiegs der Beitragssätze. Die meisten Reformen setzten an der Ausgabenseite an und versuchten, das Ausgabenvolumen vor allem über Kürzungen des Leistungskataloges und bei den Vergütungen für die Leistungsproduzenten zu senken (vgl. Oberdieck 1998).
Als Ausgangslage für eine betriebswirtschaftliche Analyse ist jedoch zuerst die Frage nach dem grundlegenden Zusammenhang gesundheitspolitischer Vorgänge zu beantworten.
Ausgehend von dem der GKV zugrundeliegende Steuerungsmodell und der Formulierung eines allgemeinen Zielsystems der gesellschaftlichen Gesundheitssicherung wird nach der Ressortverteilung zwischen Staat und Markt in deutschen Gesundheitswesen gefragt.
2 Zum theoretisch - konzeptionellen Rahmen
2.1 Zum Gegenstandsbereich der Gesundheitspolitik (Z)
Da es in dieser Arbeit um eine gesundheitspolitische Problemanalyse handelt, soll zunächst definiert werden, was die Gesundheitspolitik ist sowie ihre Entscheidungsregeln und Akteure sollen dargestellt werden.
Gegenstand der Gesundheitspolitik ist das...
„... gesundheitsrelevante Handeln der Entscheidungsträger im Gesundheitswesen“ (Oberender & Zerth 2001, S. 9; vgl. auch Kolan 1996, S. 213-214).
Hierzu zählt man Krankenversicherungen, Versicherte, Leistungserbringer (ambulante und stationäre Gesundheitseinrichtungen) sowie die für das Gesundheitssystem zuständigen staatlichen Akteure (z. B. Ministerium für Gesundheit, Gesundheitsämter etc.).
Zum einen besteht die Aufgabe der ökonomischen Theorie der Gesundheitspolitik darin, das Handeln der Akteure zu beschreiben, systematisierend darzustellen und zu erklären. Interessenleitend ist dabei die Frage, wie Entscheidungen getroffen werden.
Zum anderen erhebt die ökonomische Theorie der Gesundheitspolitik den Anspruch als normative Wissenschaft zu fungieren: sie versucht dann, die von ihr gewonnen Erkenntnisse zur Bewertung von Entscheidungsalternativen anzuwenden (vgl. Oberender & Zerth 2001, S. 10; vgl. auch Kolan 1996).
2.2 Beschreibung der rechtlichen Grundlagen in Deutschland (R)
2.2.1 Vorbemerkungen zum Grundsatz der Beitragssatzstabilität
Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität formuliert das in erster Linie wirtschafts- und finanz-politische Ziel, die Belastung der Einnahmen, beitragspflichtige und der Lohnnebenkosten, durch Beitragssatzsteigerungen zu vermeiden, sogenannte einnahmeorientierte Ausgaben-politik. Der Grundsatz lässt Beitragssatzsteigerungen zu, sofern die medizinische Versor-gung auch unter Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht ohne Beitragssatzer-höhungen zu gewährleisten ist und trägt daher medizinischen Entwicklungen und Ver-änderungen der Morbiditätsstruktur der Versicherten Rechnung (vgl. AOK- Bundesverband 2002).
Die Beitragssatzstabilität ist eine der elementaren Grundsätze der gesetzlichen Krankenver-sicherung. Sie ist bei den Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und Leistungs-erbringern, insbesondere Vertragsärzte, über die Vergütungen zwingend zu beachten (vgl. § 71 Abs.1 SGB V) und schränkt daher den Verhandlungsspielraum der Vertragspartner erheblich ein. Vorrangig ist daher zu versuchen, durch Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeits-reserven die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung stabil zu halten.
Der Grundsatz der Beitragsstabilität tritt jedoch zurück, wenn aufgrund der medizinischen Entwicklung auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven die erforderliche medi-zinische Versorgung der Versicherten ohne Beitragsanpassungen nicht mehr sichergestellt werden kann. So kann unter Umständen die Einführung neuer, kostenintensiver Unter-suchungs- und Behandlungsmethoden eine Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge er-fordern, um diese Leistungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung im be-nötigten Umfang zur Verfügung stellen zu können (vgl. Versicherungslexikon 2002).
2.2.2 Rechtliche Verankerung des Grundsatzes
§ 71 SGB V „Beitragssatzstabilität“
(1) Die Vertragspartner auf Seiten der Krankenkassen und der Leistungserbringer haben die Vereinbarungen über die Vergütungen nach diesem Buch und dem Krankenhausfinan-zierungsgesetz sowie den nach diesen Vorschriften getroffenen Regelungen so zu gestalten, dass Beitragssatzerhöhungen ausgeschlossen werden, es sei denn, die notwendige medi-zinische Versorgung ist auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven ohne Bei-tragssatzerhöhungen nicht zu gewährleisten (Grundsatz der Beitragssatzstabilität).
Ausgabensteigerungen auf Grund von gesetzlich vorgeschriebenen Vorsorge- und Früh-erkennungsmaßnahmen verletzen nicht den Grundsatz der Beitragssatzstabilität (vgl. § 71 Abs.1 SGB V).
§ 70 SGB XI „Beitragssatzstabilität“
(1) Die Pflegekassen stellen in den Verträgen mit den Leistungserbringern über Art, Umfang und Vergütung der Leistungen sicher, dass ihre Leistungsausgaben die Beitragseinnahmen nicht überschreiten (Grundsatz der Beitragssatzstabilität).
(2) Vereinbarungen über die Höhe der Vergütungen, die dem Grundsatz Beitragsatzstabilität widersprechen, sind unwirksam (vgl. § 70 SGB XI ).
Bundespflegesatzverordnung
Seit dem Jahr 2000 ist bereits ein Gesamtbetrag für die Erlöse eines Krankenhauses aus Fallpauschalen, Sonderentgelten und dem Budget auf Grund von Modellvorhaben zu verein-baren. Bei der Vereinbarung sind insbesondere zu berücksichtigen:
- Verkürzungen der Verweildauern,
- die Ergebnisse von Fehlbelegungsprüfungen,
- Leistungsverlagerungen, zum Beispiel in die ambulante Versorgung,
- Leistungen, die im Rahmen von Integrationsverträgen oder Modellvorhaben vergütet werden und
- die Ergebnisse von Krankenhausvergleichen.
Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität ist zu beachten. Maßstab für die Beachtung ist die Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der Krankenkassen je Mitglied (vgl. § 71 SGB V). Der Gesamtbetrag darf den um die maßgebliche Rate veränder-ten Gesamtbetrag des Vorjahres nur überschreiten, soweit die folgenden Tatbestände die er-forderlich machen:
- in der Pflegesatzvereinbarung zwischen den Vertragsparteien vereinbarte Veränderungen der medizinischen Leistungsstruktur oder Fallzahlen,
- zusätzliche Kapazitäten für medizinische Leistungen auf Grund der Krankenhausplanung oder des Investitionsprogramms des Landes,
- die Finanzierung von Rationalisierungsinvestitionen des Krankenhausfinanzierungsge-setzes,
- die Vorgaben der Psychiatrie- Personalverordnung zur Zahl der Personalstellen, wobei sicherzustellen ist, dass das Personal nicht anderweitig eingesetzt wird, oder
- wenn die Länder die Auswirkungen einer Angleichung der Höhe der Vergütung nach dem Bundesangestelltentarif an die im übrigen Bundesgebiet geltende Höhe unabhängig von der Veränderungsrate gesondert durchführen.
Bei der Vereinbarung der Höhe der Fallpauschalen und Sonderentgelte auf Landesebene darf die Veränderungsrate nicht überschritten werden.
Übersteigen die durchschnittlichen Auswirkungen der von den Tarifvertragsparteien verein-barten linearen Erhöhung des Vergütungstarifvertrags nach dem Bundesangestelltentarifver-trag und einer Einmalzahlung die Veränderungsrate, wird das Budget um ein Drittel des Unterschiedes zwischen beiden Raten berichtigt, soweit die erforderlich ist, um den Versor-gungsvertrag zu erfüllen. Von den Vertragsparteien wird eine entsprechende Berichtigungs-rate vereinbart.
Grundlage der Budgetbegrenzung ist der Gesamtbetrag des GKV- Solidaritätsstärkungs-gesetzes des Jahres 1999, außerordentliche Beträge deren Finanzierungsgrund seit dem Jahr 2000 ganz oder teilweise nicht mehr vorliegt, sind abzuziehen und enthaltene Aus-gleiche und Berichtigungen herauszurechnen. Die Grundlage ist:
1. zu erhöhendes GKV- Soldaritätsstärkungsgesetzes um
- die Auswirkungen der Tarifvereinbarungen zum Bundesangestelltentarifvertrag für die Jahre 1998 / 1999 nicht berücksichtigt,
- die Folgekosten von Kapazitätsveränderungen, soweit diese nicht ganzjährig enthalten sind und
2. zu verändern um die Auswirkungen einer Vereinbarung für das Jahr 1998 der Bundespflegesatzverordnung geänderten Fassung, soweit von den Vertragsparteien nicht abweichendes vereinbart wurde (vgl. 6 Bundespflegesatzverordnung, BPflV).
2.3 Zur Gesundheitsreform 2000 (R)
2.3.1 Politische Devise
Für die Gesundheitsreform 2000 lautete die politische Devise:
Es ist alles erlaubt, solange die Beitragssatzstabilität ungefährdet ist. Sie soll mit Hilfe des Globalbudgets, einem Instrument staatlicher Regulierung, sichergestellt werden. Die opti-male Gesundheitsversorgung verkommt zu einem Nebenziel. Wäre der umgekehrte Weg der vernünftigere (vgl. Neubauer 2000)?
2.3.2 Ziele der Gesundheitsreform 2000
Das deutsche Gesundheitssystem ist bekannt für eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau. Die Breitenversorgung gilt als vorbildlich. Die Qualität kann jedoch verbessert wer-den, wenn bestehende Mängel beseitigt und die Effizienz des Gesundheitssystems gestei-gert werden. Dies ist das Ziel. Die ursprünglich vorgesehenen gesetzlichen Maßnahmen konnten auf Grund unterschiedlicher Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat allerdings nur teilweise in Kraft gesetzt werden. So mussten alle Bestimmungen, die der Zustimmung des Bundesrates bedurft hätten, aus dem Gesetz entfernt werden (vgl. Journa-listenforum „Gesundheitsreform 2000“ 2002).
2.3.3 Zentrale Regelungen der Gesundheitsreform 2000
Im Einzelnen wurde beschlossen:
- Stärkere Hervorhebung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität:
Krankenkassen und Leistungserbringer werden verpflichtet ihre Vergütungsvereinbarungen so zu gestalten, dass Beitragserhöhungen der Krankenkassen ausgeschlossen, bisher ver-mieden, werden.
- Einführung integrierter Versorgungsformen:
Ärztenetze, Qualitätsgemeinschaften, Verbünde von Akutkrankenhäusern und Rehabilita-tionskliniken, können ohne Vetorecht der Kassenärztlichen Vereinigung Verträge mit Krankenkassen schließen. Die integrierte Versorgung soll eine bessere Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung und sonstigen Leistungserbringern bieten.
- Stärkung der hausärztlichen Versorgung:
Ohne Einschränkung der freien Arztwahl wird die Stellung der Hausärzte im Versorgungs-system verbessert. Darüber hinaus können Krankenkassen denjenigen Versicherten, die sich verpflichten, in der Regel zuerst den Hausarzt in Anspruch zu nehmen, einen Bonus gewähren.
- Wiedereinführung von Maßnahmen der primären Prävention und Gesundheitsförderung:
Krankenkassen sollen ihren Versicherten Leistungen zur Vorbeugung von Krankheiten an-bieten. Die Qualitätsanforderungen an diese Maßnahmen einschließlich Inhalten und Metho-dik werden von den Krankenkassen gemeinsam festgelegt. Darüber hinaus können die Krankenkassen auch zur Verringerung von Gesundheitsrisiken im Betrieb beitragen.
- Förderung von Selbsthilfegruppen und Patientenberatungsstellen durch die Krankenkassen:
Die Schulung chronisch Kranker, zur besseren Mitarbeit an der Behandlung wird zur Kassen-leistung.
- Leistungsverbesserungen in der Rehabilitation:
Die Zuzahlungen zu den Kosten stationärer Rehabilitationsmaßnahmen werden gesenkt.
Die bisher auf drei Wochen beschränkte Behandlungsdauer pro Fall wird je nach Krank-heitsbild flexibler gestaltet (vgl. Journalistenforum „Gesundheitsreform 2000“ 2002).
- Einführung eines Preissystems bei Krankenhäusern:
Die Krankenhäuser werden ab dem Jahr 2003 durch Fallpauschalen vergütet, bisher über-wiegend durch tagesgleiche Pflegesätze. Hierbei handelt es sich um feste Geldbeträge, deren Höhe aber von Krankheit zu Krankheit unterschiedlich ist. Sie werden von den Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft ausgehandelt.
- Qualitätsverbesserung:
Die Qualität der Leistungen wird umfassend gesichert durch, zum Beispiel:
- die Überprüfung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Kranken-haus auf Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit, durch die gemeinsame Selbst-verwaltung,
- die Verpflichtung der Ärzte, Krankenhäuser und anderer Leistungserbringer zur Qualitätssicherung,
- Entwicklung einheitlicher Kriterien für eine angemessene Behandlung unterschiedlicher Krankheiten durch die gemeinsame Selbstverwaltung, die für die Ärzte und andere Leistungserbringer verbindlich sind.
- Arzneimittelversorgung:
Die in der GKV verordnungsfähigen Arzneimittel werden in einer Positivliste zusammen-gefasst. Voraussetzung für die Aufnahme eines Arzneimittels in diese Liste ist „ein mehr als geringfügiger therapeutischer Nutzen“, der von einer unabhängigen Sachverständigen-kommission festzustellen ist. Um etwa pflanzliche oder homöopathische Mittel in diese Liste aufzunehmen, bedarf es jedoch vorher der noch fehlenden Zustimmung des Bundesrates.
- Rechtsangleichung:
In einem separaten Gesetz zur Rechtsangleichung in der GKV, dem neben dem Bundestag auch der Bundesrat zugestimmt hat, wurde darüber hinaus beschlossen:
- vom 1. Januar 2001 gelten in den neuen Bundesländern die gleichen Rechen-größen im Krankenversicherungsrecht, wie etwa Beitragsbemessungsgrenzen oder monatliche Bezugsgrößen, wie in den alten Bundesländern,
- Angleichung der Zuzahlungen West / Ost: ab dem Jahr 2001 werden auch alle bislang noch bestehenden Unterschiede bei Zuzahlungen und Selbstbe-teiligungen aufgehoben,
- der Risikostrukturausgleich wird bis 2007 schrittweise gesamtdeutsch und nicht mehr getrennt nach Ost und West durchgeführt. Der RSA ist ein kassen-artenübergreifender Finanzausgleich und dient dem Zweck, unterschiedliche Risikostrukturen der Versicherten, wie Einkommen, Alter, Geschlecht und Familienangehörige, zwischen den Krankenkassen auszugleichen (vgl. Journa-listenforum „Gesundheitsreform 2000“ 2002).
Nicht realisierte Maßnahmen:
Aufgrund der Ablehnung des Bundesrates konnten dagegen folgende Reformmaßnahmen, die die Bundesregierung ursprünglich geplant hatte, nicht realisiert werden:
- Einführung eines Globalbudgets als Obergrenze der Ausgaben der Krankenkassen,
- Kapazitätssteuerung im Krankenhaussektor und damit Finanzierung der Investitionskosten der Krankenhäuser durch die Krankenkassen, statt wie bisher durch die Bundesländer,
- Organisationsreform der Kassenärztlichen Vereinigungen (Einführung eines haupt-amtlichen Vorstandes und eines ehrenamtlichen Verwaltungsrates wie bei den Kranken-kassen),
- schärfere Wirtschaftlichkeits- und Fehlbelegungsprüfungen im Krankenhaus,
- Verbesserung der Datengrundlagen der Krankenkassen zur Bewertung und Steuerung des Leistungsgeschehens und
- Orientierung der Höhe der Arzneimittelbudgets an den Vertragsregionen mit niedrigen strukturbedingten Pro- Kopf- Verordnungskosten („Benchmarking“), (vgl. Journalisten-forum „Gesundheitsreform 2000“ 2002).
2.3.4 Zusammenfassende Darstellung zu der Gesundheitsreform 2000
Die optimale Gesundheitsversorgung verkommt zum Nebenziel und die Beitragssatzstabilität rückt zum Hauptziel auf. Die Autoren resümieren, das der umgekehrte Weg der vernünftigere wäre! Hiermit beantwortet sich die eingangs gestellte Frage der Politischen Devise aus dem Abschnitt 2.2.1.
[...]
[1] Zur derzeitigen Situation in Berlin s. Statistisches Landesamt Berlin 2000.
- Citation du texte
- Roger Richter (Auteur), Michael Zlatkin (Auteur), 2002, Eine gesundheitspolitische Problemanalyse etwaiger Leistungsbegrenzungen auf Grund geforderter Beitragsstabilität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25571
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