Von „der römischen Religion“ zu sprechen ist an und für sich eine fast
unzulässige Vereinfachung, die auf der Annahme beruht, daß die Römer die
Verehrung göttlicher Wesen ähnlich betrieben haben wie es im Christentum
geschieht. Wenn hier dennoch mit diesem Terminus gearbeitet wird, dann
deshalb, weil diese Vereinfachung sich allerdings hervorragend dazu eignet, die
Unterschiede und gelegentlichen Gemeinsamkeiten zwischen römischer
Religiosität und christlicher Glaubenspraxis herauszuarbeiten. Eine bedeutende
Differenz zwischen ihnen ist der Wandel. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache,
daß seine Lehren schriftlich niedergelegt sind, ist das Christentum keinerlei
tiefgreifenden Veränderungen in seinem Wesen unterworfen. Bei den Römern
dagegen ändern sich die Zuständigkeiten bestehender Götter, neue Gottheiten
kommen hinzu und die Verehrung anderer hört auf. Mehrere Faktoren, die allein
oder in Kombination wirken, lösen den Wandel aus: Der Übergang von der
bäuerlichen zur städtischen Gesellschaft sowie Kontakte zu anderen Völkern und
deren Gottheiten durch Handel und die Ausdehnung des römischen Reiches seien
hier nur beispielshalber genannt.
Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit dem Einfluß der Etrusker auf die römische
Religion. Sie zeigt auf, wie sich das Bild römischer Gottheiten durch den
etruskischen Götterkanon verändert und welche Gottheiten die Etrusker neu nach
Rom einführen. Dabei wird auch von den Haruspizien die Rede sein, die sich in
Rom anders entwickelten als die etruskischen Gottheiten.
Inhaltsverzeichnis
Einführung
1. Zeitliche Eingrenzung
2. Das Gesicht der römischen Religion
3. Die Götterwelt in Rom
DIE KAPITOLINISCHE TRIAS - JUPITER, IUNO, MINERVA
DIE DIOSKUREN
DIANA
VENUS
FORTUNA
FERONIA
MEFITIS
ZUSAMMENFASSUNG
Anhang: Aberglaube und Wahrsagerei
Bibliographie
1. Einführung
Von „der römischen Religion“ zu sprechen ist an und für sich eine fast unzulässige Vereinfachung, die auf der Annahme beruht, daß die Römer die Verehrung göttlicher Wesen ähnlich betrieben haben wie es im Christentum geschieht. Wenn hier dennoch mit diesem Terminus gearbeitet wird, dann deshalb, weil diese Vereinfachung sich allerdings hervorragend dazu eignet, die Unterschiede und gelegentlichen Gemeinsamkeiten zwischen römischer Religiosität und christlicher Glaubenspraxis herauszuarbeiten. Eine bedeutende Differenz zwischen ihnen ist der Wandel. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, daß seine Lehren schriftlich niedergelegt sind, ist das Christentum keinerlei tiefgreifenden Veränderungen in seinem Wesen unterworfen. Bei den Römern dagegen ändern sich die Zuständigkeiten bestehender Götter, neue Gottheiten kommen hinzu und die Verehrung anderer hört auf. Mehrere Faktoren, die allein oder in Kombination wirken, lösen den Wandel aus: Der Übergang von der bäuerlichen zur städtischen Gesellschaft sowie Kontakte zu anderen Völkern und deren Gottheiten durch Handel und die Ausdehnung des römischen Reiches seien hier nur beispielshalber genannt.
Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit dem Einfluß der Etrusker auf die römische Religion. Sie zeigt auf, wie sich das Bild römischer Gottheiten durch den etruskischen Götterkanon verändert und welche Gottheiten die Etrusker neu nach Rom einführen. Dabei wird auch von den Haruspizien die Rede sein, die sich in Rom anders entwickelten als die etruskischen Gottheiten.
2. Zei tli che Ei ngrenzun g
Die Geschichte der römischen Religion besteht vor allen Dingen aus der Einführung neuer Gottheiten und dem Wandel oder Absterben bestehender Kulte. Neue Kulte werden in Rom durch den Kontakt mit neuen Völkern bekannt. Diese „Kontaktaufnahme“ erfolgt zum Teil durch Handelsbeziehungen, in erste Linie jedoch auf politischem, das heißt in den ersten Jahrhunderten des römischen Reiches: auf militärischem Wege. Es ist darum keineswegs abwegig, den Beginn einer neuen religionsgeschichtlichen Phase an historische Marksteine gekoppelt zu sehen, wobei natürlich mit einer gewissen Verzögerung zwischen dem geschichtlichen Ereignis und dem Sichtbarwerden von Veränderungen in der Religion der Römer zu rechnen ist.
Der Einfluß der etruskischen Religion auf die römische ist also am größten in der Zeit, in der die Beziehungen zwischen den beiden Völkern am engsten sind. Damit sind die Königszeit und die frühe Republik der Geschichtsabschnitt, der für die vorliegende Arbeit relevant ist. Auf der politischen Ebene ist eine Phase etruskischer Vormacht (Königszeit) von einer darauffolgenden Zeit römischer Dominanz (Eroberung Italiens, dabei Unterwerfung auch der Etrusker) zu trennen. Was den „Religionsaustausch“ angeht, besteht kein Anlaß zu einer solchen Gliederung. Sowohl auf der Ebene des Gemeinwesens als auch der privaten Religionsausübung dürfte sich kaum etwas verändert haben: Ob nun die Gottheiten der eigenen Könige oder die eines unterworfenen Volkes von Staats wegen verehrt werden, ist für den Einfluß des neuen Kultes auf die bestehenden unwichtig. Der Einfluß der Etrusker sinkt in dem Maße, in dem die Römer Kontakt mit anderen Völkern machen. Spätestens mit dem Beginn der Punischen Kriege werden andere Religionen für Rom bedeutsamer als die etruskische.
Grundsätzlich ist jedoch zu bemerken, daß der Austausch religiöser Elemente zwischen den Völkern Mittelitaliens leicht vonstatten geht. Dies beruht darauf, daß die Kulturen der mittelitalischen Völker sehr ähnlich sind, etruskische, latinische und süditalienisch-griechische Schichten einander fortgesetzt überlagern. So bilden sich die örtlichen Besonderheiten heraus, deren differenziertere Formen wir heute als „die Religion“ der Etrusker, Römer, Osker oder Sabiner bezeichnen. Die prinzipielle Kompatibilität der Kulturen ermöglicht den Austausch einzelner (z.B. religiöser) Elemente1.
3. Das Gesicht der römis chen Reli gion
Auf die Frage nach dem Aussehen der Gottheit, die mit den Consualia verehrt wird, hätte ein Römer der frühesten Zeit keine Antwort gewußt. Die Götter sind gestaltlos, ihre Existenz zeigt sich allein im Wirken oder Nichtwirken ihres numen. Allerdings sind sie bereits differenziert in Gottheiten, von denen die Römer ein positives Wirken erbitten, und in solche, deren negatives Wirken die Römer durch Opfer von sich abzuwenden trachten. Die einzelne Gottheit war charakterisiert durch den Wirkungskreis ihres numen (gleichsam ihren Zuständigkeitsbereich) und den Ritus mit den vorgeschriebenen Opfertieren, nicht jedoch durch ihre (womöglich menschliche) Gestalt. In Rom gibt es in der Frühzeit keine bildlichen oder bildhauerischen Darstellungen von Göttern. Daß es keine entsprechenden Funde gibt, wäre ein dürftiger Beweis dieser Behauptung, wenn sie nicht ein Varro-Testimonium bei Augustinus bestätigte: „dicit etiam antiquos Romanos plus annos centum et septuaginta deos sine simulacro coluisse“2.
Bei den etruskischen Nachbarn Roms, deren Götterhimmel großenteils ursprünglich von den Griechen stammte, war auch die anthropomorphe Erscheinung der Götter üblich. Man hatte bildliche und figürliche Darstellungen von ihnen3, und Schauspieler-Priester übernahmen in manchen Riten die Rolle der Gottheit. Ob sie damit nur darauf hinweisen, welche Gottheit das, was gefeiert wird, bewerkstelligt hat (so Latte S.148-9), oder die Gottheit wirklich anwesend gedacht wurde, bleibt offen. Es wird wohl im Denken eine Entwicklung von der abstrakteren „stellvertretenden Epiphanie“ zur tatsächlichen Erscheinung der Gottheit gegeben haben.
Die Römer übernehmen zunächst jedenfalls nur, was ihre Nachbarn (und ihre eigenen Herrscher) auch machen. Der Gedanke, daß Götter und Göttinnen in Menschengestalt hinter den numina stehen, hat sich in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts so weit verbreitet, daß ein erster Tempel mit Götterbildern in Rom errichtet wird. Den Tempel der Kapitolinischen Trias hat L. Tarquinius Priscus, der fünfte König Roms, gelobt. Ob der Tempel noch in der Königszeit oder schon in der Republik geweiht wird, ist nicht ganz klar; Pfiffigs These4, daß die „Zuweisung an die junge Republik [...] Geschichtsklitterung im Sinne der römischen Reichsmythologie“ sei, hat jedenfalls einiges für sich.
4. Die Götterwelt in Rom
DIE KAPITOLINISCHE TRIAS - JUPITER, IUNO, MINERVA
Den ersten und bis in die augusteische Zeit vornehmsten Tempel Roms haben die letzten Könige auf dem Kapitol errichtet. Geweiht war er der Kapitolinischen Trias, die Jupiter, Iuno und Minerva bildeten. Der enge Bezug zur etruskischen Religion ergibt sich nicht allein daraus, daß der König Tarquinius Priscus (ein Etrusker, wohlgemerkt) ihn gelobt hat.
Die Idee, drei Gottheiten in einem gemeinsamen Tempel zu verehren, ist nichtrömisch. Ein gemeinsamer Tempel impliziert, daß die dort verehrten Götter in einer (engeren) Verbindung zueinander stehen. Genau dieser Gedanke kann aber nicht in einem Volk aufkommen, das eine Gottheit als „wirkende Kraft“ versteht5.
Dazu kommt neben der figürlichen Darstellung der drei Gottheiten auch die Herkunft der Arbeit. Von Plinius maior erfahren wir (nat.35.157), daß der Bildhauer Vulca, der das Kultbild des Jupiter Optimus Maximus, der in dem Tempel verehrt wurde, aus dem etruskischen Veji stammt („[laudat] praeterea elaboratam hanc artem Italiae et maxime Etruriae; Vulcam Veis accitum, cui locaret Tarquinius Priscus Iovis effigiem in Capitolio dicandam“).
Die Beinamen Jupiters - optimus maximus - sind durch die Etrusker vermittelte Übernahme der griechischen Zeusanrufung als kÚdiste mšgiste. An ihnen zeigt sich, wie eng miteinander verbunden etruskische, römische und griechische Religion und Kultur sind. Diese einfach „Übernahme“ wird nämlich nur möglich, weil der etruskische Hauptgott tinia mit dem blitzschwingenden Zeus gleichgesetzt wird6. Der römische Jupiter kommt nun zu der Kultformel, weil er - ebenfalls ein Blitzschleuderer - seinerseits mit tinia identifiziert wird. Jupiter überflügelt bald seine beiden Triasgenossen an Bedeutung und Verehrung. Warum dies geschieht, läßt sich nicht eindeutig sagen. Die Römer haben wohl in Jupiter auch immer einen Kriegsgott gesehen.
[...]
1 Latte 149.
2 Augustinus, de civitate dei IV.31.
3 Eindrucksvolle Abbildungen im Tafelteil von Simon:1996 und, in reicherer Zahl, aber leider mäßigerer Qualität, bei Herbig:1936.
4 Pfiffig, Sp. 525.
5 „[E]ine Erkenntnis der vergleichenden Religionswissenschaft [...] besagt, daß die italischen Nachbarn der Etrusker weder Ehen noch Verwandtschaftsverhältnisse zwischen ihren Gottheiten gekannt zu haben scheinen.“ Simon 1996, 15.
6 Kompliziert wird die Zuordnung durch den Umstand, daß bei den Etruskern jeder Gott Blitze schleudern kann. Siehe auch unten zur Wahrsagekunst.
- Citation du texte
- Martin Klinkhardt (Auteur), 2002, Etruskische und italische Einflüsse auf die römische Religion, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25506
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