Bei der Lektüre von WOLFRAM von Eschenbachs Willehalm fühlen sich Leser, denen auch der Parzival bekannt ist, bei der Beschreibung der Figur des Rennewarts an die des Parzivals erinnert. Diese Parallele zwischen Rennewart und Parzival wird von WOLFRAM im Willehalm auch explizit hergestellt. In der Forschung wird die Ähnlichkeit zwischen Rennewart und Parzival und der direkte Vergleich WOLFRAMS genutzt, um Hypothesen über das offene Ende der Willehalm-Handlung aufzustellen. Argumentiert wird etwa derart, dass so wie Parzival zur Erkenntnis seiner Schuld und damit zurück zum Glauben gelangt, auch Rennewart seine Fehler erkennen und damit bereit zur Annahme der Taufe werden wird.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob derartige Analogieschlüsse legitim sind. Es wird hinterfragt, ob bei diesem Vorgehen der jeweilige Kontext, in dem die Figuren sich bewegen, und die unterschiedlichen Gattungen der beiden Werke nicht zu stark unberücksichtigt bleiben.
Inhalt
Einleitung
Hauptteil
1. Parallelen zwischen Rennewart und Parzival
2. Rennewart – Schuld, Schulerkenntnis und Happy End?
3. Rennewarts Unschuld – Möglichkeit der ‚Entrückung’ oder Figur der Integration und Versöhnung?
4. Die Gattungsfrage
Schluss
Literatur
Einleitung
Bei der Lektüre von Wolfram von Eschenbachs Willehalm fühlen sich Leser, denen auch der Parzival bekannt ist, bei der Beschreibung der Figur des Rennewarts an die des Parzivals erinnert. Diese Parallele zwischen Rennewart und Parzival wird von Wolfram im Willehalm auch explizit hergestellt.[1] In der Forschung wird diese Ähnlichkeit zwischen Rennewart und Parzival und der direkte Vergleich Wolframs genutzt, um Hypothesen über das offene Ende der Willehalm -Handlung aufstellen zu können. Argumentiert wird etwa derart, dass so wie Parzival zur Erkenntnis seiner Schuld und damit zurück zum Glauben gelangt, auch Rennewart seine Fehler erkennen und damit bereit zur Annahme der Taufe werden wird.
Die vorliegende Hausarbeit mit dem Titel Außenseiter bei Wolfram – Parzival und Rennewart beschäftigt sich mit der Frage, ob derartige Analogieschlüsse legitim sind. Es wird hinterfragt, ob bei diesem Vorgehen der jeweilige Kontext, in dem die Figuren sich bewegen, und die unterschiedlichen Gattungen der beiden Werke nicht zu stark unberücksichtigt bleiben.
Das erste Kapitel zeigt die Parallelen zwischen Rennewart und Parzival auf. Im zweiten Teil werden Forschungspositionen vorgestellt, die ausgehend von der Parzival-Handlung bei Rennewart von Schuld, Schulderkenntnis und Übertritt zum christlichen Glauben ausgehen. Im dritten Kapitel werden konträre Positionen erörtert, die die Legitimität von Analogieschlüssen von der Parzival- auf die Rennewartfigur verneinen, von der Unschuld Rennewarts ausgehen und zu anderen Hypothesen über den möglichen Ausgang des Willehalm gelangen. Abschließend wird die Gattungszugehörigkeit des Willehalm diskutiert und gefragt, ob bei Rückschlüssen vom Parzival auf dieses Werk nicht Gattungsunterschiede zwischen den beiden Texten zu stark außer Acht gelassen werden.
Hauptteil
1. Parallelen zwischen Rennewart und Parzival
Vergleicht man die Figur des Rennewart in Wolfram von Eschenbachs Willehalm mit der des Parzivals in seinem Werk Parzival fallen deutliche Parallelen auf.[2] Sowohl Rennewart als auch Parzival sind von edler Herkunft, haben aber keine standesgemäße Erziehung genossen. Rennewart hätte diese als Sohn des Heidenkönigs Terramer zugestanden, aber er wird als Kind entführt und wächst fernab seiner Familie auf (W 282, 19ff). Parzivals Mutter Herzeloyde zieht sich nach dem Tod ihres Mannes Gahmuret mit ihrem Sohn in die Einsamkeit von Soltane zurück und lässt ihm bewusst keine höfische Erziehung zukommen, um zu verhindern, dass ihn ein ähnliches Schicksal wie das des Vaters treffen könnte.[3] So ist das bestimmende Merkmal von Rennewart und Parzival zu Beginn des jeweiligen Textes das der tumpheit. Rennewarts tumpheit wird unter anderem deutlich in seiner Ablehnung ritterlicher Waffen (W 196, 17ff.) und im übermäßigen Essen und Trinken am Hof von Orange (W 275, 1ff.), Parzivals tumpheit in seinem Verhalten gegenüber Jeschute (P 129, 18ff.), seiner Vorstellung vom Rittertum und ebenfalls in übermäßigem Essen am Hof von Gurnemanz (P 165, 27ff.). Allerdings besitzt Rennwart, anders als Parzival, der höfisches Benehmen erst durch Gurnemanz vermittelt bekommt, von Beginn an relativ gute Sitten, da er bis zu seiner Weigerung, die christliche Taufe zu empfangen, gemeinsam mit der Königstochter Alyze am Hof aufgewachsen ist (W 190, 29f.). Auch weiß Rennewart, anders als Parzival, über seine hohe Herkunft Bescheid. Bedingt durch diese Unterschiede ist sich Rennewart seiner unstandesgemäßen Stellung bewusst und schämt sich beispielsweise vor Willehalm seiner Kleidung (W 192, 31ff.), während Parzival erst von Gurnemanz überredet werden muss, sein Narrenkostüm abzulegen. Trotz aller tumpheit scheint der Adel von Rennewart und Parzival, der sich vor allem in ihrer Schönheit manifestiert, durch. So wird Rennewart mit einem Goldstück und einem Edelstein verglichen, deren Glanz auch noch zu erkennen ist, wenn sie beschmutzt sind:
etswa man des wol innen wart
unt viel daz golt in den phuol,
daz ez nie rost übermuol:
der ez schouwen wollte dicke,
ez erzeigete etswa die blicke
daz man sin edelkeit bevant.
swer noch den granat jechant
wirfet in den swarzen ruoz,
als im des da nach wirdet buoz,
er erzeiget aber sine roete.
verdacter tugent in noete
phlac Rennewart der küchenvar.
(W 188, 20ff.)
Auch Parzivals Schönheit wird gerühmt, als er äußerlich noch nicht als Ritter zu erkennen ist; so heißt es von ihm, als er im Wald die Ritter trifft: „dô lac diu gotes kunst an im. [...] nie mannes varwe baz geriet vor im sît Adâmes zît“ (P 123, 13ff.).
Wolfram stellt diese Parallele zwischen Rennewart und Parzival, die sich auf den durch unstandesgemäße Erziehung verdeckten, aber dennoch durchscheinenden Adel bezieht, im Willehalm explizit her:
sin blic durh rost gap sölhiu mal
als do den jungen Parzival [...]
jeht Rennewart al balde
Als guoter schoene, als guoter kraft,
und der tumpheit geselleschaft.
Ir neweder was nach arde erzogen:
des was ir edelkeit betrogen.
(W 271, 17ff.)
Sowohl Rennewart als auch Parzival vollziehen im Laufe der Erzählhandlung einen gesellschaftlichen Aufstieg: Rennewart wird vom Küchenjungen zum Truppenkommandanten, der die Schlacht zwischen Christen und Heiden entscheidet, Parzival wird Mitglied der Artusrunde und letztendlich Gralskönig. Allerdings ist für beide mit dem Weg zu Ehre und Ruhm verbunden, dass sie – wenn auch unbewusst – Schuld auf sich laden: Rennewart tötet seinen Bruder (W 442, 19ff.), Parzival ist verantwortlich für den Tod seiner Mutter (P 128, 20ff.) und den Ithers, der ebenfalls ein Verwandter von ihm ist (P 155, 4ff.).[4] Allerdings ist Rennewart in der Schlacht von Alischanz bewusst, dass er gegen seine Verwandten in den Kampf zieht, während Parzival wiederholt gegen Verwandte kämpft, ohne es zu wissen.
Bei beiden Figuren kommt es immer wieder zu einem Umschlagen der erlernten mâze in maßlosen Affekt. So erregt der Hofnarr, der Parzival auf der Gralsburg auffordert, vor Anfortas zu erscheinen und dabei so tut, als warte dieser schon ungeduldig, mit seinen Worten Parzifals Zorn derart, dass er ihn, wäre er bewaffnet gewesen, erschlagen hätte (P 229, 12ff.). Rennewart gerät unter anderem außer sich, als ihn die Knappen beim Wasserholen verspotten und ihm der Koch seinen Bart versengt (W 190, 11ff./ 286, 11ff.).
Eine Parallele zwischen Rennewart und Parzival lässt sich auch hinsichtlich des christlichen Glaubens ziehen: Beide verweigern den Glauben, allerdings ist Parzival christlich erzogen worden und fällt vom Glauben ab, während Rennewart an die heidnischen Götter glaubt und nicht Christ werden will. Nach Knapp haben sowohl Rennewart als auch Parzival ein falsches Gottesbild, das in einer Dienst-Lohn-Auffassung besteht.[5] So ist Parzival der Ansicht, dass Gott seinen Fehler auf der Gralsburg und die Schmähung vor der Artusrunde nicht hätte zulassen dürfen, da ihm für seinen Dienst Lohn zugestanden hätte, und kündigt Gott deshalb seine Gefolgschaft (P 332, 1ff.). Auch Rennewart glaubt, seine Götter hätten ihm ihren Beistand vorenthalten und äußert, dass er bereit wäre, sie gegen einen mächtigeren Gott einzutauschen.[6]
Die Ähnlichkeiten zwischen Rennewart und Parzival und insbesondere der von Wolfram direkt gezogene Vergleich zwischen den Figuren haben in der Forschung die Kontroverse hervorgerufen, ob die Schuldverstrickung Rennewarts analog zu der Parzivals zu sehen ist und ob es legitim ist, vom Versöhnungsschluss des Parzival -Romans her Rückschlüsse auf den offenen Ausgang der Willehalm -Handlung zu ziehen. Verschiedene Forschungspositionen hierzu werden in den beiden folgenden Kapiteln dargestellt.
[...]
[1] Vgl. Wolfram von Eschenbach, Willehalm. Text der Ausgabe von Werner Schröder. Völlig neu bearb. Übersetzung, Vorwort und Register von Dieter Kartoschke. Berlin, New York 1989, 271, 17ff. Im Folgenden wird das Werk mit der Sigle „W“ im fortlaufenden Text zitiert.
[2] Schon im Prolog des Willehalm stellt sich Wolfram als der Dichter des Parzival -Romans vor. Neben den Parallelen zwischen Parzival und Rennewart findet man im Willehalm wiederholt Anspielungen auf Personen oder Begebenheiten des Parzival. Die meisten dieser Anspielungen beziehen sich auf den leidenden Anfortas und Feirefiz. Eine detaillierte Aufzählung dieser Textstellen findet sich bei Kiening, Christian, Reflexion – Narration. Wege zum „Willehalm“ Wolfram von Eschenbachs. Tübingen 1991, 95ff. Kiening vertritt allerdings die Auffassung, dass „der Bezug auf das frühere Werk [...] kaum zwingenden Charakter beanspruchen [kann]; in seiner Marginalität scheint eher Differenz denn Kontinuität auf.“ (Kiening, 101f.).
[3] Vgl. Wolfram von Eschenbach, Parzival. Mittelhochdeutscher Text nach der 6. Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Einführung zum Text von Bernd Schirok. Berlin, New York 1998, 117, 7ff. Im Folgenden wird das Werk mit der Sigle „P“ im fortlaufenden Text zitiert.
[4] Mit der Diskussion der möglichen Schuld Rennewarts beschäftigen sich detailliert das zweite und dritte Kapitel der vorliegenden Arbeit.
[5] Vgl. Knapp, Fritz Peter, Rennewart. Studien zu Gehalt und Gestalt des „Willehalm“ Wolframs von Eschenbach. Dissertation. Wien 1970, 132.
[6] Zu Parallelen zwischen Rennewart und Parzival siehe auch:
Haug, Walter, Parzivals ‚zwîvel’ und Willehalms ‚zorn’. Zu Wolframs Wende vom höfischen Roman zur Chanson de geste. In: Schröder, W. (Hrsg.), Wolfram-Studien III. Schweinfurter Kolloquium 1972. Berlin 1972, 217-231, hier 220ff.
Lofmark, Carl, Rennewart in Wolframs „Willehalm“. A study of Wolfram von Eschenbach and his sources. Cambridge 1972, 147ff.
Knapp (Anm. 5), 69ff.
- Quote paper
- Judith Blum (Author), 2003, Außenseiter bei Wolfram - Parzival und Rennewart, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25287
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