Laut § 60 SGB I hat jeder, der Sozialleistungen erhält, die Pflicht alle Tatsachen, die für die Leistung erheblich sind, anzugeben. Er ist weiterhin verpflichtet, Beweismittel für die Tatsachen zuzulassen. Kommt der Leistungsempfänger dieser Mitwirkungspflicht nicht nach, kann ihm die Sozialleistung ganz oder teilweise versagt oder entzogen werden. Dieser Fall beschäftigt sich mit der besonderen Fragestellung, wie es sich mit der Mitwirkungspflicht im Falle eines Hausbesuchs durch den Leistungsträger verhält.
Der Leistungsträger will einen Hausbesuch machen, um die angegebenen Tatsachen zu überprüfen. Die Fragestellung ist, kann der Leistungsträger bei einer Verweigerung des Hausbesuches durch den Leistungsnehmer, die Leistung versagen oder entziehen, oder steht dies im Widerspruch zu Artikel 13 des Grundgesetzes (Unverletzlichkeit der Wohnung)? Die Fragestellung impliziert folgende Teilfragen: 1. Gibt es eine generelle Regelung oder muß differenziert werden? 2. Gibt es einen Unterschied zwischen einem prinzipiellen Hausbesuch und einem Hausbesuch bei begründetem Verdacht auf Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht? 3. Gibt es einen Unterschied zwischen einem angekündigten und einem unangekündigten Hausbesuch?
Inhaltsverzeichnis
1 Der Fall
2 Artikel 13 Grundgesetz
2.1 Allgemeine Gültigkeit
2.2 Beeinträchtigungen/Eingriff in den Schutzbereich
2.3 Schranken
2.3.1 Durchsuchungen
2.3.1.1 Gefahr im Verzug
2.3.2 Immanente Schranken
2.4 Zusammenfassung
3 Die gesetzliche Grundlage (§§ 60 und 66 SGB I)
3.1 Verwaltungsverfahren (§§ 20 und 21 SGB X)
3.2 Verfassungskonformität
3.2.1 Verhältnismäßigkeit
3.2.2 Fallbeispiel
3.2.3 Weitere exemplarische Einzelfälle
3.2.3.1 Objektive Notwendigkeit
3.2.3.2 Pflegeversicherung
4 Lösung
5 Verwendete Literatur
1 Der Fall
Laut § 60 SGB I hat jeder, der Sozialleistungen erhält, die Pflicht alle Tatsachen, die für die Leistung erheblich sind, anzugeben. Er ist weiterhin verpflichtet, Beweismittel für die Tatsachen zuzulassen. Kommt der Leistungsempfänger dieser Mitwirkungspflicht nicht nach, kann ihm die Sozialleistung ganz oder teilweise versagt oder entzogen werden.
Dieser Fall beschäftigt sich mit der besonderen Fragestellung, wie es sich mit der Mitwirkungspflicht im Falle eines Hausbesuchs durch den Leistungsträger verhält.
Der Leistungsträger will einen Hausbesuch machen, um die angegebenen Tatsachen zu überprüfen. Die Fragestellung ist, kann der Leistungsträger bei einer Verweigerung des Hausbesuches durch den Leistungsnehmer, die Leistung versagen oder entziehen, oder steht dies im Widerspruch zu Artikel 13 des Grundgesetzes (Unverletzlichkeit der Wohnung)?
Die Fragestellung impliziert folgende Teilfragen:
1. Gibt es eine generelle Regelung oder muß differenziert werden?
2. Gibt es einen Unterschied zwischen einem prinzipiellen Hausbesuch und einem Hausbesuch bei begründetem Verdacht auf Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht?
3. Gibt es einen Unterschied zwischen einem angekündigten und einem unangekündigten Hausbesuch?
2 Artikel 13 Grundgesetz
Die relevanten Absätze des Artikel 13 sind die Abschnitte 1, 2 und evtl. 7.
[1] Die Wohnung ist unverletzlich.
[2] Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.
[7] Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.
2.1 Allgemeine Gültigkeit
Das Grundrecht steht im Zusammenhang mit Artikel 2 GG, der freien Entfaltung der Persönlichkeit. „Es geht um eine Konkretisierung des allgemeinen Rechts, in Ruhe gelassen zu werden, um die ‘Abschirmung der Privatsphäre in räumlicher Hinsicht’.“[1]
Als Wohnung gelten nach Art. 13 alle Räume, „ die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine räumliche Abschottung entzogen und zur Stätte privaten Lebens und Wirkens gemacht sind.“[2] Dazu gehören einerseits auch Nebenräume, Keller, Böden, Garagen, eingezäunte Höfe, aber auch z.B. Wohnwagen und Zelte.
In Anspruch nehmen kann das Grundrecht aus Art. 13 jeder, der solche Räume bewohnt, unabhängig von den Besitzverhältnissen, d.h. auch der Mieter solcher Räumlichkeiten.
Für diesen Fall ist also festzuhalten, daß der Schutz aus Art. 13 zutrifft.
2.2 Beeinträchtigungen/Eingriff in den Schutzbereich
Beeinträchtigt wird das Grundrecht durch „jede Verletzung der Privatheit der Wohnung durch staatliche Stellen. Diese Voraussetzung erfüllt jede Durchsuchung , sowie jedes sonstige Betreten der geschützten Räume“[3] Das heißt, in diesem konkreten Fall wäre grundsätzlich von einer Beeinträchtigung auszugehen.
Keine Beeinträchtigung liegt vor, wenn der Grundrechtsinhaber mit der Durchsuchung bzw. dem Betreten einverstanden ist. Das Einverständnis ist rechtlich nur dann gegeben, „wenn es persönlich und frei, in Kenntnis der für eine solche Entscheidung relevanten Umstände gebildet worden ist, nicht also, wenn es etwa durch Täuschung erschlichen: .., durch Drohung erzwungen oder durch die Inaussichtstellung von Nachteilen nachdrücklich nahegelegt worden ist.“[4] Das Inaussichtstellen von Nachteilen könnte in diesem Fall gegeben sein, da bei Nichtzulassung der Durchsuchung die Sozialleistung verwehrt oder entzogen werden soll. Ob in diesem Fall von einer Inaussichtstellung in diesem Sinne auszugehen ist, wird im weiteren (besonders mit Blick auf §§ 60 und 66 SGB I) also noch zu klären sein.
2.3 Schranken
2.3.1 Durchsuchungen
Art. 13 GG Abs. 2 läßt Durchsuchungen als Beschränkung des Abs. 1 zu. Eine Durchsuchungen sind hierbei Tätigkeiten, „die von einem ziel- und zweckgerichteten Suchen staatlicher Organe in einer Wohnung geprägt sind; Inhalt dieser Suche muß sein, ‘etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will, etwas nicht klar zutage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften’“[5] „Es geht um die Suche nach Personen und Sachen, die sich in der Wohnung befinden, um dem Augenschein oder Zugriff entzogen zu sein“.[6] Im vorliegenden Fall geht es darum, zielgerichtet Sachen oder Personen zu suchen, die der Antragsteller nicht gemäß seiner Pflicht nach § 60 SGB angegeben hat. Zielgerichtet insofern, daß die nicht angegebenen Tatsachen erheblich sind für den Antrag. Es ist bei dem geplanten Hausbesuch dieses Falls also von einer Durchsuchung nach Art. 13 GG Abs. 2 auszugehen.
Die Durchsuchung benötigt eine gesetzliche Ermächtigung nach Art. 19 GG. Welche gesetzliche Regelung in diesem Fall in Frage kommen könnte, ist bei der Betrachtung von § 60 SGB I zu untersuchen.
Außerdem setzt die Feststellung, daß es sich um eine Durchsuchung handelt den Richtervorbehalt aus Art. 13 GG Abs. 2 in Kraft. „Eine Durchsuchung ist grundsätzlich nur möglich, wenn vorher eine richterliche Anordnung ergangen ist. Dieser Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab.“[7] Selbst wenn das Gesetz das die Durchsuchung legitimiert keine richterliche Anordnung vorschreibt, sorgt automatisch Art. 13 GG Abs. 2 für den Richtervorbehalt. Es ist also festzustellen, daß in unserem Fall zumindest eine Richtererlaubnis notwendig wäre.
2.3.1.1 Gefahr im Verzug
Ohne vorherige Richtererlaubnis darf eine Durchsuchung nur bei Gefahr im Verzug vorgenommen werden. „ Gefahr im Verzug liegt vor, wenn bei unterlassener Anordnung der gesetzlich festgelegte Zweck der Durchsuchung nicht erreicht würde.“[8] Das bedeutet für diesen Fall, es müßte der Verdacht vorliegen, der Leistungsempfänger beabsichtige die verschwiegenen Tatsachen zu entfernen. Allerdings ist „der Begriff ‘Gefahr im Verzug’ in Art. 13 Abs. 2 GG eng auszulegen; die richterliche Anordnung einer Durchsuchung ist die Regel, die nichtrichterliche die Ausnahme.“[9] Außerdem muß „Gefahr im Verzug“ „mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder.. fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus.“[10]
„Gefahr im Verzug“ wird deshalb so eng bemessen, damit der Richter als unabhängige Instanz dafür sorgt, daß Durchsuchungen nicht willkürlich durchgeführt werden, und daß, mit der Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses, ein Rahmen abgesteckt ist, der die Durchsuchung begrenzt und dem Betroffenen die Möglichkeit gibt, Kontrolle zu üben und Ausuferungen entgegenzuwirken. Falls eine Durchsuchung mit der Begründung „Gefahr im Verzug“ durchgeführt wird, ist die richterliche Genehmigung nachzuholen und damit dies möglich ist, muß die Durchsuchung dokumentiert werden. Es muß dokumentiert und begründet werden, was der Tatverdacht ist, welche Beweismittel gesucht wurden, worauf sich die Gefahr des Beweismittelverlustes stützt und ob und wie versucht wurde, die richterliche Genehmigung einzuholen.
„Gefahr im Verzug“ ist also nur im konkreten Fall und nach strengen Kriterien zu prüfen und evtl. zu entscheiden.
2.3.2 Immanente Schranken
Desweiteren muß hier noch auf die von einigen Juristen angenommenen immanenten Schranken hingewiesen werden. Hierbei wird davon ausgegangen, daß es zusätzlich zu den im Art. 13 Abs. 2 und 7 definierten Beschränkungen noch ungeschriebene Schranken gibt, die in der Intention der Verfassung selbst begründet sind. „Im Bereich der immanenten Schranken ist der Grundsatz zu beachten, daß jede Freiheit an ebenso starken (oder sogar noch stärkeren) Rechten und Freiheiten anderer Personen ihre Grenze finden muß. Diese Schranken sind dem Grundrecht von selbst mitgegeben und eingeprägt. Sie brauchen daher im Wortlaut des Grundrechtsartikels nicht in Erscheinung zu treten.“[11] Dies führt zu Aussagen wie, „eine Wohnung sei nicht ‘Asyl’ des Rechtsbrechers“[12] oder „daß das Grundrecht der Wohnungsfreiheit nicht als Einwand oder Vorwand dienen kann, wenn sich der Wohnungsinhaber von Pflichten lossagen möchte“[13] Bedenkenswert sind diese immanenten Schranken insofern, daß es sich im konkreten Fall um einen Entzug der Pflicht zur Mitwirkung nach § 60 SGB I und damit um einen zumindest unterstellten Rechtsbruch handeln könnte. Maunz führt hierzu weiter aus: „Das Geltendmachen der Wohnungsfreiheit kann ferner nicht dazu benutzt werden, um ein Verhalten zu legalisieren, das sich nach den unabhängig von der Wohnung bestehenden Rechtsvorschriften als Rechtsbruch darstellt.“[14] Wenn man dieser Argumentation folgt, müßte sich also aus der Untersuchung des § 60 bzw. § 66 SGB I ein Rechtsbruch nachweisen lassen, der eine Beschränkung des Art. 13 GG rechtfertigt. Maunz führt weiterhin das Argument des Gemeinwohls an, welches immer höher einzustufen sei, als die privaten Bedürfnisse. Dadurch, daß das Gemeinwohl die privaten Bedürfnisse zurückdrängt, „wird die grundrechtliche Ordnung nicht beeinträchtigt, sondern wiederhergestellt.“[15] Ob das Gemeinwohl durch Verletzungen des § 60 SGB I beschädigt wird und somit eine Beschränkung des Art. 13 GG in Frage käme, ist also im weiteren noch zu untersuchen. Dennoch ist festzuhalten, daß auch die immanenten Schranken den oben beschriebenen Richtervorbehalt nicht unterlaufen können.
[...]
[1] Jarass, Hans D.: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Kommentar, 6. Auflage, München: Beck,2002, S. 370
[2] Jarass, Hans D.: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Kommentar, 6. Auflage, München: Beck,2002, S. 371
[3] Ebd. S. 372
[4] Grundgesetz-Kommentar Band 1, hrsg. Von Prof. Dr. Philip Kunig, 4., neubearbeitete Auflage, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1992, S. 802
[5] Ebd. S. 804
[6] Jarass, Hans D.: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Kommentar, 6. Auflage, München: Beck,2002, S. 374
[7] Jarass, Hans D.: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Kommentar, 6. Auflage, München: Beck,2002, S. 375
[8] Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Band 2, 7. Auflage, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1991, Art. 13 Rdnr. 14
[9] BVerfG Urteil vom 20. 2. 2001 in Neue Juristische Wochenschrift 2001
[10] Ebd.
[11] Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Band 2, 7. Auflage, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1991, Art. 13 Rdnr. 11
[12] Grundgesetz-Kommentar Band 1, hrsg. Von Prof. Dr. Philip Kunig, 4., neubearbeitete Auflage, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1992, S. 803
[13] Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Band 2, 7. Auflage, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1991, Art. 13 Rdnr. 11
[14] Ebd. Rdnr. 11
[15] Ebd. Rdnr. 12
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- Frank Boßmann (Autor), 2003, Allgemeine Grundrechtslehre Art. 13 GG, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25277
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