Der Zölibat der katholischen Priester ist ein Gegenstand, der gerade in der Öffentlichkeit immer wieder, oftmals mit negativer Konnotation, zur Sprache kommt. Der Grund dafür liegt wohl nur zum Teil in der existentiellen Betroffenheit der daran direkt Beteiligten. In dieser Arbeit wird der priesterliche Zölibat, wie er in der römisch-katholischen Kirche praktiziert wird, fern von jeder Polemik und Unsachlichkeit kritisch hinterfragt. Dabei wird vor allem die theologisch-dogmatische Begründung des Zölibats nach dem II. Vatikanischen Konzil aufgezeigt und untersucht. Anhand dieser soll dann geprüft werden, ob die Verknüpfung des Zölibats mit dem priesterlichen Amt als notwendig und sinnvoll angesehen werden kann.
Wenn man den Gegenstand des Zölibats ganzheitlich erfassen will, kann man nicht an der Tatsache vorbei, daß dieser zwar keine direkte Grundlegung, aber dennoch Anhaltspunkte in der heiligen Schrift hat, die im Zeugnis der Aposteln vorliegt. Konsequent weitergedacht sollte dann auch die Entwicklungsgeschichte des Zölibats nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Der Hauptteil der Arbeit soll jedoch im systematischen Teil liegen. Die in der Arbeit entwickelte Argumentation geht von der Prämisse aus, daß es sich beim Zölibat um ein charismatisches Phänomen handelt. Die Frage, ob der Zölibat tatsächlich als Charisma angesehen werden kann und welche Folgen sich daraus ergeben, wird einen der Hauptgesichtspunkte dieser Arbeit darstellen. Zudem wird die Begründung der derzeit bestehenden Zölibatsvorschrift anhand der Beschlüsse des zweiten vatikanischen Konzils sowie der Enzyklika Sacerdotalis caelibatus untersucht und im Hinblick auf das Problem des für das Priesteramt notwendigen zweifachen Charismas befragt. Sodann werden die in der nachkonziliaren Zeit entwickelten Argumentationen darzustellen und zu prüfen sein. Am Schluß der Arbeit sollte dann die Frage zu beantworten sein, wie die Zölibatsverpflichtung als Weihebedingung für Priesteramtanwärter begründet wird und ob diese Begründung dogmatisch gesehen ausreichend ist.
Inhaltsverzeichnis:
I. Einleitung
II. Begriff des Zölibats
II.1 Die Zwei Arten des Zölibats
II.1.1 Der charismatische Zölibat
II.1.2 Der obligatorische Zölibat
III. Biblische Grundlage des Zölibats
III.1 Die Enthaltsamkeit des Jesus von Nazareth und seiner Jünger
III.2 Frühchristliche Tradition S. 12
III.2.1 Die Apostel
III.2.2 Die Gemeindevorsteher
III.2.3 Das Verhältnis von Ehe und Ehelosigkeit
III.3 Zusammenfassung
IV. Historischer Teil
IV.1 Die Herausbildung spezifischer Kirchenämter
IV.2 Priesterliche Enthaltsamkeit im 4. und 5. Jahrhundert
IV.3 Die Zölibatsgesetzgebung im Mittelalter
IV.4 Der Priesterzölibat in der Reformationszeit
IV.5 Geltendes Zölibatsrecht nach dem CIC von 1983
IV.6 Zusammenfassung Hauptteil
V. Begründung des Zölibats im 20. Jahrhundert
V.1 Das II. Vatikanische Konzil
V.1.1 Zölibat in Lumen Gentium
V.1.2 Zölibat in Optatam Totius
V.1.3 Zölibat in Presbyterorum Ordinis
V.1.4 Abschluß des Konzils
VI. Die Enzyklika „Sacerdotalis caelibatus“
VII. Nachkonziliare Begründungen des Zölibats
VIII. Der Zölibat als Charisma
VIII.1 Begriff und Wesen des Charismas nach paulinischen Verständnis
VIII.2 Die Vielfalt der Charismen
VIII.3 Ist ein Charisma erbittbar ?
VIII.4 Kann der Zölibat Gesetz und Charisma zugleich sein?
VIII.5 Zusammenfassung
IX. Ist der Zölibat dem Priestertum angemessen ?
IX.1 Der Zölibat aus christologischer Sicht
IX.1.1 Zölibat und Nachfolge Christi
IX.1.2 Der Zölibat als Erleichterung der Beziehung zu Christus
IX.2 Der Zölibat aus ekklesiologischer Sicht
IX.2.1 Der Zölibat im Rahmen der Repräsentation Christi und der Kirche
IX.2.2 Zölibat als Ganzhingabe an die Gemeinde
IX.2.3 Der Zölibat als Zeugnis der Ganzhingabe
IX.3 Der Zölibat aus eschatologischer Sicht
IX.3.1 Der Zölibat als Vorwegnahme des engelgleichen Lebens
IX.4. Zusammenfassung
X. Die Zölibatsdiskussion nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil
X.1 Der Zölibat und die kirchliche Tradition
X.1.1 Der Zölibat im Zusammenhang mit kultischer Reinheit
X.2 Zölibat und Priestermangel
X.3 Zusammenfassung
XI. Schluß
XII. Literatur
I. Einleitung
Der Zölibat der katholischen Priester ist ein Gegenstand, der gerade in der Öffentlichkeit immer wieder, oftmals mit negativer Konnotation, zur Sprache kommt. Auch in der Literatur finden sich zahlreiche Beispiele, die diesen Umstand dokumentieren.1 Der Grund dafür liegt wohl nur zum Teil in der existentiellen Betroffenheit der daran direkt Beteiligten. Hinter dem Ausmaß und der Heftigkeit der Diskussion verbirgt sich wahrscheinlich eher eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Ausprägung der Kirche in der Gesellschaft, die ihren exponierten Kritikpunkt im Priesterzölibat findet. Aber dennoch ist und bleibt der Zölibat ein heikles Thema. In dieser Arbeit wird der priesterliche Zölibat, wie er in der römisch- katholischen Kirche praktiziert wird, fern von jeder Polemik und Unsachlichkeit kritisch hinterfragt. Dabei wird vor allem die theologisch-dogmatische Begründung des Zölibats nach dem II. Vatikanischen Konzil aufgezeigt und untersucht. Anhand dieser soll dann geprüft werden, ob die Verknüpfung des Zölibats mit dem priesterlichen Amt als notwendig und sinnvoll angesehen werden kann.
Jedoch muß angemerkt werden, daß eine Begründung im strengen Sinne der theologischen Beweisführung durch die Dogmatik nicht gegeben werden kann, da die Gegenstände der Dogmatik die Dogmen im eigentlichen Sinne sind. Ein Dogma aber ist eine von Gott geoffenbarte und vom kirchlichen Lehramt als geoffenbarte anerkannte Wahrheit. Dieses Merkmal der Offenbarung bzw. der „göttlichen Anordnung“ geht dem Gegenstand des Zölibats jedoch, wie noch im Weiteren zu zeigen sein wird, ab. Mit einem Verweis auf die anderen theologischen Disziplinen, insbesondere dem Kirchenrecht, ist es jedoch nicht getan. Da es sich beim Zölibat um eine genuin charismatische Erscheinung handelt, also um eine vom Heiligen Geist vermittelte Gnadengabe, wird inhaltlich der dogmatische Traktat der Pneumatologie eindeutig angesprochen. Zudem wird eine innere Zuordnung des Zölibats zur Christologie, Ekklesiologie und Eschatologie im Folgenden zu zeigen sein.2 Es gibt also trotz des genannten Einwandes keine Veranlassung diese dogmatische Arbeit schon an dieser frühen Stelle zu beenden.
Wenn man den Gegenstand des Zölibats ganzheitlich erfassen will, kann man nicht an der Tatsache vorbei, daß dieser zwar keine direkte Grundlegung, aber dennoch Anhaltspunkte in der heiligen Schrift hat, die im Zeugnis der Aposteln vorliegt. Wollte man in der nachapostolischen Zeit einsetzen und für die Vorstufe einfach auf die Darstellungen der neutestamentlichen Theologie verweisen, so wäre damit die nicht ausgesprochene Vorentscheidung gefällt, daß die Anfänge des Zölibats erst in der post-neutestamentlichen Zeit entstanden seien. Diese Vorentscheidung hätte erhebliche Konsequenzen für das Verständnis des gesamten Verlaufs der späteren Entwicklung.3 Eine Darstellung und Auslegung der biblischen Stellen, die den Anstoß zu einem Priesterzölibat gegeben haben könnten, muß also als notwendig angesehen werden.
Konsequent weitergedacht sollte dann auch die Entwicklungs- geschichte des Zölibats nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Denn auch in der heutigen Diskussion erfolgt regelmäßig auf Seiten der Zölibat-Befürworter wie auch der Ablehnenden eine Berufung auf die Zölibatsgeschichte. Um diese Argumente auf ihre Stichhaltigkeit hin bewerten und würdigen zu können, scheint eine historische Betrachtung im oben genannten Sinne, angeraten. In Anbetracht des Umfanges eines solchen Vorhabens, sowie der vorgegebenen Thematik dieser Arbeit kann eine umfassende Analyse der Zölibatsgeschichte allerdings nicht vorgenommen werden. Demnach müssen wir uns bei der historischen Betrachtung auf entscheidende Wegpunkte im Werdegang der Zölibatsgeschichte beschränken. Diese diachron geprägte Untersuchung der Zölibatsgeschichte wird sich vom biblischen Zölibat bis hin zur heutigen Zeit erstrecken. Darin wird zu zeigen sein wie sich das Zölibatsverständnis im Laufe der Kirchengeschichte entwickelt hat und welchen externen Einflüssen es dabei unterlag.
Der Hauptteil der Arbeit soll im systematischen Teil liegen.
Die in der Arbeit entwickelte Argumentation geht wie schon gesagt, von der Prämisse aus, daß es sich beim Zölibat um ein charismatisches Phänomen handelt. Die Frage, ob der Zölibat tatsächlich als Charisma angesehen werden kann und welche Folgen sich daraus ergeben, wird einen der Hauptgesichtspunkte dieser Arbeit darstellen. Zudem wird die Begründung der derzeit bestehenden Zölibatsvorschrift anhand der Beschlüsse des zweiten vatikanischen Konzils sowie der Enzyklika Sacerdotalis caelibatus untersucht und im Hinblick auf das Problem des für das Priesteramt notwendigen zweifachen Charismas befragt. Sodann werden die in der nachkonziliaren Zeit entwickelten Argumentationen darzustellen und zu prüfen sein. Am Schluß der Arbeit sollte dann die Frage zu beantworten sein, wie die Zölibatsverpflichtung als Weihebedingung für Priesteramtanwärter begründet wird und ob diese Begründung dogmatisch gesehen ausreichend ist.
II. Begriff des Zölibats
Dem etymologischen Ansatz nach leitet sich der Begriff Zölibat vom lateinischen calelebs mit der Bedeutung ehelos ab. Der Begriff der Ehelosigkeit umfaßt seinem Wortsinn nach den Umstand, daß ein Mensch - aus welchem Grund auch immer - nicht verheiratet ist; ein solches Verständnis schließt aber nicht aus, daß diese Person auch sexuell völlig enthaltsam lebt.4
In der römisch - katholischen Kirche wird der Begriff des Zölibats jedoch weiter gefaßt; hier meint der Zölibat die geistliche Standespflicht, nicht zu heiraten und in „vollkommener“ Keuschheit zu leben.
Die Adressaten der Zölibatsvorschrift sind männliche, getaufte Christgläubige, die in eigenem und freien Willen nach der Aufnahme in das Diakonat5 oder Presbyterat streben und deren Weiheempfang keine kanonischen Hindernisse im Weg stehen. Inhaltlich beschreibt der Zölibat zwei aufeinander bezogene Normenkomplexe. Als negative Norm verbietet das Unverheiratetsein dem „höheren“ Kleriker eine kirchliche und deshalb moralisch erlaubte Ehe einzugehen. Dabei bezieht sich die moralische Erlaubtheit auf die kirchliche Definition. Positiv wird das Verhaltensmuster der Keuschheit vorgeschrieben. Keuschheit als das sittlich geordnete Verhalten gegenüber den Geschlechtgütern ist moralischer Maßstab für jeden Lebensstand. Weil aber der geschlechtliche Genuß nur innerhalb der Ehe als erlaubt gilt - aufgrund kirchlicher Definition - ,ergibt sich für den ehelosen Geistlichen die Norm der „vollkommenen“ Keuschheit, der totalen sexuellen Enthaltsamkeit. Dem Umfang nach erstreckt sich der Zölibat nach erfolgter Übernahme auf das ganze Leben. Der Zölibat schließt die Haltung der Jungfräulichkeit ein: den festen Willensentschluß in Verbindung mit dauernder Hochschätzung, für immer geschlechtliche Enthaltsamkeit im äußeren Tun und in der Gesinnung zu üben. Die Keuschheit wird normativ abgesichert durch die Schamhaftigkei, d.h. durch die Enthaltung von Handlungen und Vorstellungen, die zum Erwecken von Geschlechtslust führen können.6
II.1 Die zwei Arten des Zölibats
Der Zölibat ist keine genuin christliche Verhaltensnorm. Schon lange vor Christus und seinen Jüngern gab es Menschen, die enthaltsam und ehelos lebten. In ihrer konkreten Lebenspraxis unterschieden sich diese nicht wesentlich von Christus und seinen Jüngern.
Eine eindeutige Unterscheidung läßt sich jedoch in den Beweggründen, die zur Übernahme einer solchen Verhaltensweise führten, machen. Wir können also den Zölibat aufgrund seiner verschiedenen grundlegenden Motivation in zwei verschiedene Arten unterteilen: den charismatischen und den obligatorischen Zölibat.
II.1.1 Der charismatische Zölibat
Der charismatische Zölibat trägt eben diese Bezeichnung, da er als Gnadengeschenk (χαρισµα) erlebt wird. Dabei handelt es sich um von Gott selbst herkommende Gnadengaben (πνευµατικα, ενεργηµατα), die vom Heiligen Geist vermitteltlwerden (χαρισµατα).7 Das Verständnis des Zölibats als Geschenk gründet auf der Tatsache, daß ein Mensch sich zu einer solchen Lebensweise als von Gott befähigt erfährt. Ohne dieses Gnadengeschenk wäre er, von sich aus, dazu nicht fähig.8 Medard Kehl definiert Charisma im Verständnis der neutestamentlichen Heilsordnung als „eine aus freiem Wohlwollen von Gott, dem Heiligen Geist, ungeschuldet, ereignishaft, je individuell jedem Gläubigen geschenkte Befähigung zu solchem Handeln in der Gemeinde der Glaubenden, das ausgerichtet ist auf das Heil in der Kirche und Welt.“9 Aus eben genannten Gründen ist der charismatische Zölibat individuell. Man kann ihn nicht Gruppen auferlegen, ja nicht einmal von Gruppen erwarten.10
II.1.2 Der obligatorische Zölibat
Der charismatische Zölibat gründet sich im Einzelnen und ist nicht vorschreibbar. Der obligatorische Zölibat dagegen ist gesellschaftsbezogen, vorschreibbar und kann daraufhin befragt werden, in welchem Umfang und in welcher Weise er für die Gesellschaft nützlich ist. Der obligatorische Zölibat war in vielen vorchristlichen Gesellschaften bekannt. Zu nennen sind hier etwa das römische Imperium, das antike Griechenland, das alte Ägypten, aber auch außereuropäische Gesellschaften, wie z.B. die der Azteken. In all diesen Völkern gab es Menschen, die aus religiösen, wie auch profanen Gründen ehelos und enthaltsam lebten.11 Diese Praxis finden wir auch heute in den großen Religionsgemeinschaften des Shintoismus, des Buddhismus.12
Ob sich die Übernahme des Zölibats im Katholizismus aus obligatorischen Motiven oder aufgrund charismatischer Legitimation ausprägt und verwirklicht, wird im Folgenden zu behandeln sein.
III. Biblische Grundlage des Zölibats
Wenn wir im Folgenden versuchen, Anhaltspunkte für den heutigen priesterlichen Zölibat im Neuen Testament zu finden, so gilt es vorab einige hermeneutische Vorüberlegungen zu machen. Wenn im Weiteren von dem Lebensweg Jesu und seiner Botschaft die Rede sein wird, so geschieht dies primär im Rückbezug auf die Evangelien, im zweiten dann auf die Pastoralbriefe. Diese Quellen sind jedoch keine biographischen Texte, sondern Glaubenszeugnisse ihrer Verfasser.13 Mit anderen Worten, der Ausgangspunkt unseres Wissens über Jesu Leben und Wirken ist also „nur“ eine Widerspiegelung dessen, was Jesu selbst war, sagte und tat. Was uns über Jesu hinterlassen wurde, ist somit kein exakter Bericht dessen, was er geschichtlich genau getan hat, auch nicht eine Anzahl von Richtlinien und weisen Worten. Die Texte des neuen Testamentes können nur dann richtig verstanden werden, wenn sie als normative Erfahrung der Aposteln mit Jesus und der Entfaltung dieser Kenntnis in den ersten christlichen Gemeinden gesehen werden.14 So geschieht alles Reden über Jesus nicht direkt historisch, sondern in Glaubenssprache und bietet dennoch den unmittelbarsten und am meisten begründeten Zugang zum ursprünglichen Geschehen.15
In Anbetracht dieser Vorüberlegung müssen alle Ansätze, die den Zölibat als eine „klare Weisung Jesu“ sehen, ohne diesen Umstand tiefergehend biblisch zu hinterfragen, in Zweifel gezogen werden.16 Das Gleiche gilt selbstverständlich auch in den Fällen, in denen ein Autor bei gleichen unzureichenden Überlegungen zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt.
III.1 Die Enthaltsamkeit des Jesus von Nazareth und seiner Jünger
Jesu Lebensstil ist Ausdruck seiner göttlichen Sendung. Den Kreis seiner Familie und Verwandten ließ er zurück, um ein Leben der Wanderschaft zu führen. Er lebte ehelos, was als auffälliges, nicht nur biographisch bedingtes Verhalten bemerkt werden muß.17 Diese Ehelosigkeit wird in der Jesus-Überlieferung vorausgesetzt, wird aber als gelebte Praxis scheinbar so selbstverständlich eingeschätzt, daß sie nirgendwo näher thematisiert wird. Dieses Verhalten scheint für die Jünger als Vorbild gegolten zu haben, denn sie kamen entweder als Unverheiratete zu Jesus, oder verließen ihre Frau und Familie, um ihm nachzufolgen.18 Diese sehr konsequente Weise der Nachfolge wird eindrucksvoll an folgender Stelle deutlich: Es aber sagte Petrus: Siehe, wir haben unser Eigentum verlassen und sind dir nachgefolgt. Er aber sagte ihnen: Amen, ich sage euch: Es gibt niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder wegen des Gottesreiches verlassen hat, der nicht Vielfältiges empfängt in dieser Zeit und in dem kommenden Aion ewiges Leben.
(Lk 18,28-30)19
In diesem kurzen Absatz wird eindrucksvoll dokumentiert, was die Jünger alles verlassen und aufgegeben haben: ihre Heimat, ihre Ehefrau sowie ihre leiblichen Verwandten.20 Die Jesusnachfolge, wie sie sich hier ganz konkret äußert, ist das oberste Gut, hinter dem alles andere zurücktritt.21 Das Vorbild der Jünger verdeutlicht, daß es möglich ist, die harten Anforderungen der Nachfolge zu erfüllen.22 Ein so einschneidender Verzicht wird hier damit begründet, daß das „Reich Gottes“ die Jünger ganz in die Pflicht nimmt. Der Lohn für das Befolgen dieser Berufung ist ein zweifacher: zum einen wird das ewige Leben und Anteilhabe an der Basilea Gottes versprochen, zum anderen wird der Lohn ein irdischer sein. Die Parallelstelle bei Markus verdeutlicht, daß die christliche Gemeinde die neue Familie sein wird, die dem Nachfolger Jesu eine neue Heimat gewährt.23 Das motivierende Motiv des Himmelreiches als Lohn für konkrete Nachfolge wird auch an anderer Stelle deutlich. Diese auch als Eunuchenlogion bekannte Stelle wird immer wieder von Zölibatsgegnern und Befürwortern herangezogen und sollte deshalb ausführlich besprochen werden:
Seine Jünger sagen ihm: Wenn so die Sache des Menschen mit der Frau ist, ist es nicht nützlich, zu heiraten. Er aber (Jesus) sagte zu ihnen: Nicht alle nehmen dieses Wort auf, sondern die, denen es gegeben worden ist. Denn es gibt Eunuchen, welche aus dem Bauch der Mutter so geboren wurden, und es gibt Eunuchen, welche von den Menschen zu Eunuchen gemacht wurden, und es gibt Eunuchen, welche sich selbst zu Eunuchen machten wegen des Himmelreiches. Wer es aufzunehmen vermag, nehme es auf. (Mt 19,10-12)
Im Vorfeld dieses Logions wird in einem Streitgespräch Jesu mit Pharisäern dargelegt, daß die Auflösung einer Ehe außer im Unzuchtsfall, einem Verstoß gegen die durch Gottes Willen festgelegte eheliche Ordnung gleichkommt. Im Anschluß an diese Gemeindeparänese über das Problem der Ehescheidung wird ein weiteres, themenverwandtes Problem angeschlossen: die freiwillig Ehelosen. Freiwillig Ehelose, wie wir sie in dieser Perikope in der Gruppe Jesu und seiner Jünger versinnbildlicht sehen, mögen in einer zutiefst jüdisch geprägten Gesellschaft für Ärgernis und Verwirrung gesorgt haben. Verstieß doch eine solche Verhaltensweise nach jüdischer Tradition gegen den Schöpfungsplan Gottes. Der eigentlich als Schimpfwort gebrauchte Begriff des Eunuchen ist wohl aus dem Zusammenhang eines Vorwurfs gegenüber einer solchen Lebensweise direkt übernommen worden. Das oben genannte Logion gewinnt also in Bezugnahme auf Jesu eigene, sowie von den Jüngern übernommene Lebenspraxis, einen gewissen apologetischen Zug. Auch in den jungen christlichen Gemeinden mag sich die Akzeptanz einer solche Praxis bei einigen Mitgliedern nur mühsam und nicht ohne Widerspruch durchgesetzt haben. Doch die Forderung des Gemeindevorstehers gilt: Auch freiwillig Ehelose sind in der Gemeinde zu achten; stellt doch ihre Ehelosigkeit ein besonderes eschatologisches Zeichen dar.24
Dem Begriff des Eunuchen kommt an dieser Stelle besondere Bedeutung zu, wird er doch dreimal in Folge rezitiert. Den Begriff nur auf die Ehelosigkeit zu beziehen wäre eine nicht gerechtfertigte Verengung. Ein Eunuch ist dauerhaft nicht zum Geschlechtsakt fähig und somit auch nicht zur gültigen Ausübung einer Ehe. Das gilt dem Evangelientext folgend für alle drei genannten Fälle. Beziehen wir diesen Umstand auf die Jüngerschar Jesu, so haben wir eine Gruppe von sowohl unverheirateten wie auch bereits verheirateten Männern, die sich durch freiwilligen Verzicht zur Ehe unfähig machen. Jedoch ist die Befähigung zu einer solchen Lebensweise nicht allein dem eigenen Willen zuzuschreiben. Denn nur diejenigen, denen diese besondere Gabe gegeben ist, sind auch in der Lage, ihr Leben ganzheitlich in Richtung auf die Ehelosigkeit hin zu gestalten. Wem diese besondere Begabung abgeht, der wird trotz Einsatzes aller menschlichen Willenskraft diesen Lebensstand nicht dauerhaft durchstehen können. Diese Perikope ist also nicht etwa als Propaganda für eine Ehelosigkeit aller Christgläubigen im oben genannten Sinne zu verstehen. Sie versucht die Gemeinde für solche zu sensibilisieren, die aus freien Stücken ehelos leben.25
Nun stellt sich jedoch die Frage, wie die von den Jüngern gelebte Praxis der Ehelosigkeit nach Jesu Tod weiterhin gehandhabt wurde. Wenn wir im Folgenden statt dem Begriff der Jünger nun den der Apostel verwenden, so sei darauf hingewiesen, daß damit nicht einfach nur der selben Personengruppe eine andere Bezeichnung gegeben wurde. Das Verständnis des Apostels ist inhaltlich vom Jüngerbegriff zu differenzieren.26
Der Apostel ist primär durch seine christliche Grunderfahrung geprägt: durch die Erfahrung der Offenbarung Gottes in Jesus Christus, dessen Zeuge und Bote der Apostel wird. Das Apostolat ist ein bevollmächtigter Dienst im Namen und Auftrag Christi. Er hat seinen Ursprung in einem geschichtlich einmaligen Akt der Sendung durch den Auferstandenen. Seine Aufgabe ist die Verkündigung des Evangeliums, das in der Auferstehung Christi gründet, gleichzeitig aber auf Leben und Werk Jesu zurückweist. Sein Ziel ist die Sammlung der Kirche, die Sammlung des endzeitlichen Gottesvolkes, das auf dieses einmalige geschichtliche Zeugnis gegründet ist.27
Vom Personenkreis her beschränkt sich das neutestamentliche Apostelverständnis ausschließlich auf das Apostelamt der Zwölf, an dem Matthias Anteil erhält, sowie auf das Apostelamt, das Paulus für sich geltend macht.28
III.2 Frühchristliche Tradition
In der frühen Kirche gab es unter anderem zwei relevante Aufgabenbereiche, die zur Bildung zweier verschiedener Funktionsträger führten: der des Missionars und Verkündigers und der des Vorstehers. Unter dem ersten versteht man im allgemeinen die Apostel, die sich gemäß ihres Sendungsauftrages den Aufgaben der Mission und Verkündigung zuwandten.
Bei diesen wollen wir untersuchen, ob ein enthaltsamer Lebensstil gemäß dem Vorbild Jesu und der Jüngernachfolge fortgeführt wurde oder nicht.
III.2.1 Die Apostel
Die Lebensweise der Aposteln war geprägt durch vielfältige Reisen und nur kurzes Verweilen an einem Ort. Diese „apostolische“ Verfügbarkeit im Aufbau der Kirche war durchaus vergleichbar mit der Wandertätigkeit Jesu und der Jünger.29 Die Frage, ob die Apostel auch eine vergleichbare enthaltsame Lebensform damit verknüpften, vermag ein Auszug aus einem Brief des Paulus zu erhellen:
Wenn ich für andere kein Apostel bin, so bin ich es doch wenigstens für euch. Denn ihr seid das Siegel meines Apostelamtes im Herrn. Das ist meine Apologie an meine Kritiker. Haben wir nicht das Recht zu essen und zu trinken? Haben wir nicht das Recht, eine Schwester als Frau mitzunehmen wie dieübrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas? (1 Kor 9,2-5)
Mit diesem Text verteidigt sich Paulus gegenüber dem Vorwurf, er wäre kein richtiger Apostel, da er sich nicht von der Gemeinde unterhalten lasse, wie es wohl bei den anderen Aposteln üblich war.
Paulus verweist jedoch darauf, daß es zwar sein Recht sei, die Unterstützung der Gemeinde in Anspruch zu nehmen, er jedoch auch auf dieses Recht verzichten könne, ohne dadurch sein Apostolat zu schmälern. Als Beispiel führt er an, daß es zwar ein Recht der Apostel sei, eine Frau mit sich zu führen, aber auch daraus erwachse ihm keinesfalls eine Pflicht, es genauso zu handhaben. Für unser Thema interessant ist, was Paulus eher nebensächlich erwähnt; es gab Apostel, die bei ihrer Tätigkeit wie selbstverständlich von einer Frau, genauer gesagt von einer „Schwester als Frau“, begleitet wurden. Der erste Ausdruck wird in der exegetischen Literatur weitestgehend als „Schwester im Glauben“ ausgedeutet, die Begleiterin sollte also Christin sein, was bei einer missionarischen Tätigkeit im Sinne dieses Glaubens wohl nicht verwundert.
Bei dem zweiten Wort, γυναικα, gibt es freilich keine einmütige Meinung, die allgemeine Tendenz geht jedoch dahin, darunter tatsächlich die Ehefrauen der genannten Apostel zu verstehen.30 Gehen wir also davon aus, daß diese, soweit sie verheiratet waren von ihren Ehefrauen auf der apostolischen Mission begleitet wurden31 und dieser Umstand von den Gemeinden als so „natürlich“ angesehen wurde, daß ein (unverheirateter) Apostel ohne Begleitung, wie es bei Paulus der Fall war, schon fast in Rechtfertigungszwang geriet. Dann stellt sich jedoch die Frage, ob die Eheleute ihre Ehe wie zuvor wieder weiterführten, inklusive des ehelichen Verkehrs, oder eher wie Bruder und Schwester zusammenlebten.
Des weiteren ist ungeklärt, was mit den in der Ehe gezeugten Kindern und der sonstigen Hausgemeinschaft (οικο) während der Missionsreisen geschah. Waren diese etwa auch mit bei den Reisen und wurden sie dann auch von den Gemeinden mit ausgehalten? Man könnte diese Fragen jetzt noch weiter ausdehnen, doch das alles würde nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir die nötigen Antworten leider nicht belegen können. Um irgendwelche Mutmaßungen und Spekulationen zu vermeiden, geben wir uns damit zufrieden festzustellen, daß es Indizien dafür gibt, daß einige Aposteln während ihrer Missionstätigkeit eine „normale“ Ehe gleich den nicht apostolischen Christgläubigen in den Gemeinden geführt haben, beweisen können wir es jedoch nicht.
III.2.2 Die Gemeindevorsteher
Schon in apostolischer Zeit fielen in den jungen christlichen Gemeinden etliche Aufgaben und Dienste an, mit deren Erledigung gewisse Mitglieder aus der Gemeinde betraut wurden. So mußte beispielsweise für das Feiern des Herrenmahles, also das Danksagen (eucharistein) und das Gedächtnismahl, ebenso aber auch für die Armenspeisung (agape) gesorgt werden.
Diese Dienste wurden wohl meist von den Diakonissen und Diakonen wahrgenommen. Mit dem Wegfall der ersten Generation der Zeugen Christi kam den Presbytern und Episkopen (eine spezifische Unterscheidung beider Ämter war zu der Zeit wohl noch nicht gegeben) vornehmlich die Aufgabe zu, die authentische Lehre (paradosis) und die Einheit der Gemeinde zu bewahren.32
Über diese Vorsteher und Leiter der christlichen Gemeinden geben uns die Pastoralbriefe einige Auskünfte.
Die Pastoralbriefe beziehen sich selbst mit Nachdruck auf Paulus als Verfasser, die exegetischen Untersuchungen zeigen jedoch, daß es sich durchweg um pseudoepigraphische Schriften handelt, die wahrscheinlich aus Gründen der Legitimation den Apostel als Verfasser in den Vordergrund stellen. Was wir in den Briefen jedoch über die Klerikerdisziplin der frühen Kirche erfahren, ist, unbeschadet der oben genannten exegetischen Erkenntnisse, nicht nur ein grundlegendes Zeugnis für die Zeit des Neuen Testamentes, sondern auch bleibender Bezugspunkt für die Diskussion der nachfolgenden Jahrhunderte gewesen.33
In Bezugnahme auf unser Thema ist folgende Stelle signifikant:
Zuverlässig ist das Wort: Wenn einer das Bischofsamt anstrebt, so begehrt er eine schöne Aufgabe. Der Bischof nun mußohne Tadel sein, nur eines Weibes Mann, nüchtern, besonnen, maßvoll, gastfrei, zum Lehren befähigt, kein Trunkenbold und Schläger, sondern gütig, frei von Streitsucht, nicht geldgierig, seinem eigenen Hause mußer in guter Weise vorstehen, seine Kinder soll er in Zucht halten mit aller Ehrbarkeit - denn wer seinem eigene Hause nicht vorzustehen vermag, wie soll der für die Kirche Gottes sorgen?
(1 Tim 3,1-7)
Wenn an dieser Stelle die Konsolidierung und inhaltliche Näherbestimmung des Bischofsamtes vorgenommen wird, so fällt auf, daß weder eine theologische Begründung noch spezifische Aufgaben zum Thema der Abhandlung gemacht wurden. Vielmehr beschränkt sich der Verfasser auf die Aufzählung von Qualifikationsmerkmalen für die Bewerber für ein solches Amtes. Nachweislich greift der Verfasser bei diesem Katalog auf bereits bestehendes Material zurück. Formal, wie auch terminologisch, erweisen sich Parallelen zu sogenannten Berufspflichtlehren, in denen ähnlich, wie im oben genannten Beispiel, Anforderungen für bestimmte Berufsstände aus dem profanen Bereich katalogisiert wurden.34 Zudem darf man davon ausgehen, daß dem Verfasser nicht nur das formale Grundschema solcher Pflichtenlehren vorlag, sondern inhaltlich tradierte, fest formulierte Pflichten für Episkopen vorlagen. Das diese sich der, von den Aposteln oder von den Gemeinden eingesetzten „Amtsträger“ als Vorbild bedienten, erscheint glaubwürdig. Der im Timotheusbrief entfaltete Episkopenspiegel hat keinen dispositiven, also per se rechtschaffenden Charakter, sondern sichert nachträglich eine bereits bestehende Gewohnheit.35
Der Pflichtenkatalog als Ganzes gesehen, ist sehr allgemeinen gehalten und zählt nur solche Eigenschaften und Verhaltensweisen auf, die von jedem Christen als Minimum ehrbaren und, im damaligen Sinn, bürgerlichen Verhaltens erwartet werden konnten. Die Notwendigkeit, solche Anforderungen dennoch präzise zu benennen, läßt sich, abgesehen von der Traditionsgebundenheit des Schemas, dadurch erklären, daß ein Amtsträger vor der Gemeinde und vor der heidnischen Umwelt eine exponierte Stellung einnahm. Daß eine solche wichtige Repräsentanzfunktion mit gewissen grundlegenden Verhaltensnormen verknüpft war, erscheint evident.36 Kommentar [Z1]:
Wie ist nun der bedeutende Versteil „ανηρ µια γυναικο“ angesichts dieser Erkenntnisse konkret zu fassen?
Uns bieten sich folgende drei Möglichkeiten des Verständnisses:
a) Die Weisung könnte antizölibatär verstanden werden, d.h. Bischof kann nur werden, wer verheiratet ist und in einer normalen, den bürgerlichen Vorstellungen entsprechenden Einehe lebt. Dabei ging es dann um Abgrenzung gegenüber für Hebammen und Berufstänzer. Vgl. Roloff, Jürgen: Der erste Brief an Timotheus (Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament), Zürich 1988, 148-151.
asketisch-weltfeindlichen Tendenzen gnostischer Gruppen, bzw. einer eschatologisch motivierten asketischen Lebenshaltung, wie sie in kleinasiatischen Gemeinden von Judenchristen jener Zeit zu finden waren. Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß der Katalog zwar gewiß die Ehe des Gemeindeleiters als „normal“ voraussetzt, insofern seine Ehepraxis und sonstige allgemeine Lebensführung keinen moralischen Anstoß erregen sollte. Zwar mag es die Regel gewesen sein, daß die Männer, die das Vorsteheramt innegehabt haben, verheiratet waren, doch dieser Umstand wird keinesfalls explizit als conditio sine qua non zur Erlangung des Vorsteheramtes genannt.
Verheiratet zu sein war also keine zwingende Voraussetzung, die ein Gemeindevorsteher erfüllen mußte; war er jedoch verheiratet, so mußte die Ehe vorbildlich sein.
b) Die Weisung beinhaltet, daß der Vorsteher in der Spanne seines gesamten Lebens nur eine einzige Frau ehelicht, d.h. er solle nach dem Tod seiner ersten Frau auf eine Wiederverheiratung verzichten. Zur Stützung dieser These ließe sich auf den Rat des Paulus gegen eine erneute Heirat nach dem Tod des Ehegatten (1 Kor 7,8; 39) verweisen. Bemerkenswert wäre dann aber, daß der Verfasser in einer, eigens an junge Witwen gerichteten Weisung (1 Tim 5,4-14) dem Rat des Paulus zuwiderhandelt und ausdrücklich eine neue Heirat empfiehlt. Die Ansicht, für den Vorsteher würde aufgrund seines besonderen Amtes ein spezieller Ethos propagiert, widerspricht unserer Erkenntnis, daß der Pflichtenkatalog eben keine Sonderpflichten für Amtsträger, sondern allgemein gültige Tugenden fordert.37
c) Zum dritten könnte mit der Weisung das grundsätzliche Verbot jeder Form der Polygamie gemeint sein. Darunter fiele dann sowohl die sukzessive Polygamie, also eine Scheidung und Wiederverheiratung, eine solche Praxis widerspräche dem bei Mk 10,11 und Lk 16,18 überlieferten Ehescheidungsverbot Jesu, sowie alle Formen eines Zusammenlebens mit mehreren Frauen in ehe- ähnlichen Verhältnissen, da in Mk 10,6-9 und Mt 5,27-32 die Monogamie eindeutig als einzige Eheform dargestellt wird, die dem Gebot des Schöpfers entspricht. Eine zweifach polygame Art der Eheführung war im zeitgenössischen Judentum wohl keine Seltenheit, von der Laxheit der heidnischen Ehemoral ganz zu schweigen.
Damit ist der ist der für die Auslegung dieser Stelle entscheidende Gesichtspunkt angesprochen. Es soll aufgrund des Pflichtenkatalogs nur der zum Vorsteher ernannt werden, der in Bezug auf seine Eheführung zweierlei Norm erfüllt; er muß der Gemeinde zum Vorbild gereichen und muß sich in der konsequenten Befolgung der neutestamentlichen Ehevorschriften, also gestrenger Monogamie bis zum Tod des Ehepartners, von den Verhaltensweisen der nichtchristlichen Umwelt positiv distanzieren.38
Wenn wir unseren Blick auf die anderen Ämter der frühen christlichen Gemeinden richten, die männlichen Diakone (1 Tim 3,12) und die Presbyter (Tit 1,6), so findet sich in Bezug auf die Vorschrift zur Eheführung die gleiche Formulierung, wie bei den gerade besprochenen Episkopen. Da auch die sonstigen Tugendvorschriften des Episkopenspiegels bei den anderen Pflichtenkatalogen, wenn auch nicht in so ausführlicher Form, Parallelen aufweisen, gilt wohl für Diakone und Presbyter, was wir schon bei den Episkopen ermittelt haben: das Privatleben der Amtstäger darf keinen Anlaß dazu geben, ihre öffentliche Funktion zu kompromittieren.39
III.2.3 Das Verhältnis von Ehe und Ehelosigkeit
Der Versuch, das Verhältnis von Ehe und Ehelosigkeit zu ergründen, führt fast unweigerlich zu der Frage, welcher der beiden Lebensstände theologisch höher angesehen werden kann und insofern für einen Christen erstrebenswerter ist. Zur Beantwortung dieser Frage können wir zwei Stellen aus den paulinischen Korintherbriefen heranziehen:
Ich wünsche freilich, daßalle Menschen wären wie ich, doch jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so. Ich sage aber den Unverheirateten und den Witwen, daßes gut für sie ist, wenn sie so bleiben wie ich. Wenn sie aber keine Selbstbeherrschung besitzen, sollen sie lieber heiraten. Denn es ist besser zu heiraten als zu brennen.
(1 Kor 7,7-9)
Paulus selbst ist also ehelos, anerkennt jedoch die Tatsache, daß sein Lebensstil eher die Ausnahme darstellt, aufgrund seiner besonderen Gnadengabe. Wenn er den Wunsch äußert, daß alle so (ehelos) leben mögen wie er, ist damit nur ein persönliches Ansinnen gemeint, weder eine Herabsetzung der Ehe gegenüber dem Eheverzicht, noch etwa die Anweisung, einen solchen Lebensstil ohne die entsprechende Gnadengabe zu versuchen, da ein Scheitern vorauszusehen wäre.40
Während er an dieser Stelle jedoch die Unverheirateten vor Augen hatte, richtet sich die folgende Stelle an Verlobte und deren anstehende Eheschließung:
Über die Jungfrauen aber habe ich keinen Befehl des Herrn. Ich gebe aber meine Meinung ab, als jemand der begnadet worden ist, glaubwürdig zu sein. Ich meine nun, daßdies wegen der hereinstehenden Notlage gut ist, daßes für den Menschen gut ist, so zu sein... Ich möchte aber, daßihr ohne Sorgen seid. Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn, wie er dem
Herrn gefalle. Der Verheiratete aber sorgt sich um die Dinge der Welt, wie er (seiner) Frau gefalle, und so ist er geteilt.
( 1 Kor 25-26; 32-34)
Im ersten Unterabschnitt bekennt Paulus, daß er wegen des Fehlens eines Herrenwortes seine eigene Meinung kundtut. Diese ist jedoch mehr als eine subjektiv-unverbindliche Privatmeinung, da er als Beauftragter des Herrn seinen Ratschlag mit der Autorität eines Apostels begründen kann. Dieser Rat gewinnt damit zwar nicht die Qualität eines rechtsverbindlichen bzw. konstituierenden Befehls, er hebt sich aber dennoch von der reinen Privatmeinung ab.
Inhaltlich bezieht sich der Rat auf die Jungfrauen (und ihre verlobten Männer), denen er den Rat gibt in ihrem Stand, also der Ehelosigkeit, zu verbleiben. Er begründet diesen Rat mit den zu erwartenden Bedrängnissen der kommenden Endzeit.41 Die Christen sollen sich jedoch nicht um das sorgen, was sie im zukünftigen Eschaton ereilen wird. Vielmehr sollen sie sich um die Sache des Herrn kümmern, also die Nächstenliebe aufrechterhalten und in Anderen die Hoffnung stärken und nicht in eigener Sorge und Furcht untätig verharren.
Die Ehelosigkeit stellt Paulus nun als den leichtesten Weg dar, sich der Sache des Herrn anzunehmen, denn Verheiratete sorgen sich verständlicherweise in besonderer Weise um ihren Ehepartner und die Familie. Diese sind also in ihrer Sorge zwischen der Sache des Herrn und ihrem Ehepartner gespalten.42 Wollte man die Ehelosigkeit und die Ehe daraufhin befragen, welche der Ansicht des Paulus nach eine höhere eschatologische Wertigkeit einnimmt, so würde unzweifelhaft die Ehelosigkeit den primus inter pares bilden. Doch ist damit weder eine Abwertung der Ehe gemeint, noch der Aufruf, eine bestehende Ehe „aufzulösen“. Der Unverheiratete gewinnt einfach eine größere Freiheit, sich allein auf den Herrn und seine Sache zu konzentrieren. In diesem Rat nur einen Aufruf für die Amtsträger und Apostel zu sehen, wäre eine falsche Einengung der Textstelle; alle Christgläubigen sind aufgerufen sich in ungeteilter Weise der Sache des Herrn zu widmen, vermögen sie dies nicht, so sollen sie in ihrer Ehe standhaft bleiben.43
III.3 Zusammenfassung
Jesus lebte in Wort und Tat seine Ehelosigkeit vor. Dieses Verhalten war Ausdruck seiner besonderen Sendung und zeichenhafter Ausdruck des nahenden Gottesreiches. Seine ersten Nachfolger, die Jünger folgten seinem Beispiel und verließen ihre Familien und Frauen „um des Himmelreiches willen“. In der nachösterlichen Zeit konnten wir nicht mit ausreichender Sicherheit feststellen, ob die Jünger bei ihrer apostolischen Tätigkeit, ihre ehemals unterbrochene Ehe wiederaufnahmen, oder ihre mit der Nachfolge Jesu begonnene Enthaltsamkeit konsequent weiter fortführten.
Die Funktionsträger in den Gemeinden der nachapostolischen Zeit mußten in ihrer gesamten Lebensführung ein, im allgemeinen „bürgerlichen Sinne“, vorbildliches Leben führen; wenn sie verheiratet waren, so sollte ihre Ehe die christlichen Normen erfüllen. Die von Jesus vorgelebte dauerhafte Enthaltsamkeit hat in der jungen Kirche etliche Nachahmer gefunden. Dieses Verhalten kann jedoch nicht generell auf alle Apostel und die ersten Funktionsträger der christlichen Gemeinden übertragen werden. Wenn also Heid die These vertritt, daß seit der Zeit der Apostel, spätestens aber seit spätneutestamentlicher Zeit eine Verpflichtung für Amtsträger zu dauerhafter geschlechtlicher Enthaltsamkeit bestanden hätte, so bleibt diese aufgrund der oben genannten exegetischen Ergebnisse, abzulehnen.44
Der Rat des Paulus jedoch ist eindeutig, wer im Angesicht des kommenden Eschaton unverheiratet bleibt, hat die Möglichkeit, sich der Sache des Herrn vollkommener hinzugeben, als es den Verheirateten möglich ist.
IV. Historischer Teil
IV.1 Die Herausbildung spezifischer Kirchenämter
Die kirchlichen Amtsträger der neutestamentlichen Zeit, die den oftmals kleinen Hausgemeinden vorstanden, haben wir uns durchweg als „reifere Männer“ vorzustellen, die als (generell verheiratete) Familienoberhäupter einem vorbildlichen Hauswesen vorstanden.45
So hatten die einzelnen Gemeinden zwar ihre Vorsteher ( Episkopen bzw. Presbyter) und Diener (Diakonissen und Diakone) mit jeweils eigenen Aufgaben, es waren aber keine Kultpriester wie bei den Heiden oder im Jerusalemer Tempel, so daß zwischen den Mitgliedern der urkirchlichen Gemeinden und den Vorstehern keine wesentlichen Unterschiede bestanden. Sie alle bildeten zusammen das Volk (λαο).46 Der Begriff λαο ,der im Profangriechischen einfach nur eine „Volksmenge“ meint, bekommt in der Septuaginta und im Neuen Testament einen religiösen Sinngehalt. Dort steht λαο für Israel bzw. die christliche Gemeinde und meint somit das Volk Gottes. Eine Unterscheidung zwischen „Klerus“ und „Laien“ im Sinn von klar abgegrenzten Gruppen oder sogar „Ständen“ gab es noch nicht.47
Während die Pastoralbriefe die ersten Schritte zur Verrechtlichung der Kirchenstruktur andeuten, begann eine einheitliche Gestaltung der kirchlichen Ämter erst im 2.Jahrhundert.48 Eine einheitliche Forderung nach Enthaltsamkeit in der Ehe bzw. einer Ehelosigkeit der Amtsträger findet sich jedoch nicht.
[...]
1 „Der Zölibat kann vor dem Hintergrund der Ethik nur ein tragischer Irrtum von Seinsangst verblendeter Menschen sein ... Der Zölibat kann deshalb nicht nur als ein tragischer menschlicher Irrtum abgetan werden, sondern er wird auch zum vorsätzlichen, gefährlichen Mittel der Machtausübung und Unterdrückung...“ Vgl. Di Bella, Antje: Die Priesterkirche, das Zölibatsgesetz und Jesu Nachfolge- Eine Provokation, Oberursel 1999 210. Vgl. Drewermann, Eugen: Kleriker - Psychogramm eines Ideals, Freiburg 1990 6, 643 f.
2 Hohmanns Ansicht, die Frage des Zölibats wäre keine dogmatische
Angelegenheit sondern eine ausschließlich kirchlich disziplinäre muß also
zumindest in ihrer Schärfe relativiert werden. Vgl. Hohmann, Joachim S.: Der Zölibat - Geschichte und Gegenwart eines umstrittenen Gesetzes, Frankfurt am Main/ Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1993, 17.
3 Stickler setzt bei der Betrachtung der Entwicklungsgeschichte des Zölibats erst mit dem Konzil von Elvira im vierten Jahrhundert ein. Vgl. Stickler, Alfons Maria: Der Klerikerzölibat - Seine Entwicklungsgeschichte und seine theologischen Grundlagen, Abensberg 1993, 16.
4 Denzler, Georg: Die Geschichte des Zölibats, Freiburg/Basel/Wien 1993, 19 f.; Kienle, Richard von: Fremdwörterlexikon, Hamburg 1982, 486.
5 Ausgenommen davon sind Weihebewerber für das ständige Diakonat, die bereits vor dem Weiheempfang verheiratet waren, deren Ehe hat auch weiterhin Gültigkeit.
6 Hagemann, Kurt: Der Zölibat der römisch - katholischen Kirche, Meisenheim am Glan 1971, 3.
7 Hahn, Ferdinand: Charisma und Amt, in: ZThk 76 (1979),419-449, 426.
8 Denzler, Georg: Die Geschichte des Zölibats, a.a.O. 19.
9 Kehl, Medard: Die Kirche, Würzburg 1992, 110 f.
10 Schillebeeckx, Edward: Zölibat und kirchliches Amt, in: Böckle, Franz (Hrsg.): Der Zölibat, Mainz 1968, 115-132, 119 .
11 Pflegler, Michael: Der Zölibat, Einsiedeln 1965, 11-14.
12 Antweiler, Anton: Zölibat - Ursprung und Geltung, München 1969, 56-59.
13 Jeremias, Joachim: Das Problem des historischen Jesus, Stuttgart 19696,10.
14 Vgl. Johannes Paul II.: Die Interpretation der Bibel in der Kirche (23.4.1993), Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 115, Bonn 19962, II/2.
15 Schillebeeckx, Edward: Jesus - Die Geschichte von einem Lebenden, Freiburg/ Basel/Wien 1975, 38-41.
16 Ein Beispiel dafür findet sich bei Cebulj, Angela: Brücke zum Sinn - Eine Stimme für den Zölibat, Bad Wörishofen 1997, 12.
17 Gnilka, Joachim: Jesus von Nazareth - Botschaft und Geschichte (Herders
Theologischer Kommentar zum Neuen Testament), Freiburg/Basel/Wien 1990, 175-180.
18 Heid, Stefan: Zölibat in der frühen Kirche, Paderborn/München/Wien/Zürich 1997, 21-24.
19 Weitere parallele Stellen sind Mt 19,27-29 und Mk10,28-30.
20 Gerade von Petrus, dem diese Worte zugeschrieben werden wissen wir
eindeutig, daß er zur Zeit seiner Nachfolgeberufung verheiratet war. Vgl. Mt 8,14- 15; Mk 1,29-31; Lk 4,38.
21 Vgl. die Auslegung von Mk 10, 28-29, bei: Pesch, Rudolf: Das
Markusevangelium II (Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament), Freiburg/Basel/Wien 1977, 144 f.
22 Sand, Alexander: Das Evangelium nach Matthäus (Regensburger Neues Testament), Regensburg 1986, 398 ff.
23 Vgl. die Auslegung von Mt 19,27-29 bei: Ernst, Josef: Das Evangelium nach Lukas (Regensburger Neues Testament), Regensburg 1977, 500-508.
24 Sand, Alexander: Das Evangelium nach Matthäus, a.a.O. 388-392.
25 Heid, Stefan: Zölibat in der frühen Kirche, a.a.O. 22 f.
26 Schrage, Wolfgang: Der erste Brief an die Korinther (Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament), Düsseldorf 1995, 293; Vouga, Fracois: Geschichte des frühen Christentums, Tübingen/Basel 1994, 28.
27 Wiedenhofer, Siegfried: Das katholische Kirchenverständnis - Ein Lehrbuch der Ekklesiologie, Graz/Wien/Köln 1992, 289 f.
28 Baumgartner, Alois: Apostolat, in: LThK3 1, 865-867, 865 f.
29 Heid, Stefan: Zölibat in der frühen Kirche, a.a.O. 25 f.
30 Lang, Friedrich: Die Briefe an die Korinther (Das Neue Testament Deutsch), Göttingen/Zürich 199417, 115 ff; Schrage, Wolfgang: Der erste Brief an die Korinther, a.a.O. 278-310; Strobel, August: Der erste Brief an die Korinther (Zürcher Bibelkommentare), Zürich 1998, 142-145.
31 Ein dem Paulus bekanntes, gemeinsam missionierendes Ehepaar, nämlich Andronikus und Junia (Röm 16,7), kann durchaus auch zu den Aposteln gezählt werden. Vgl. Lang, Friedrich: Die Briefe an die Korinther, a.a.O. 115.
32 Grasmück, Ernst Ludwig: Vom Presbyter zum Priester, in: Hoffmann, Paul (Hrsg.): Priesterkirche, Düsseldorf 1987, 96-131, 97 f.
33 Brox, Norbert: Die Pastoralbriefe (Regensburger Neues Testament), Regensburg 19895, 60-77.
34 Roloff nennt hier den Feldherrnspiegel des Olosander, sowie die Pflichtenlehre
35 Oberlinner, Lorenz: Die Pastoralbriefe - Kommentar zum 1 Timotheusbrief (Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament), Freiburg/Basel/Wien 1994, 114.
36 Brox, Norbert: Die Pastoralbriefe, a.a.O. 140.
37 Roloff, Jürgen: Der erste Brief an Timotheus, a.a.O. 155 f.
38 Oberlinner, Lorenz: 1 Timotheusbrief, a.a.O. 120 f.
39 Brox, Norbert: Die Pastoralbriefe, a.a.O. 282-285.
40 Schrage, Wolfgang: Der erste Brief an die Korinther, a.a.O. 52-74.
41 Schrage, Wolfgang: Der erste Brief an die Korinther, a.a.O. 152-160.
42 Strobel, August: Der erste Brief an die Korinther, a.a.O. 128-132.
43 Pesch, Rudolf: Paulus ringt um die Lebensform der Kirche - Vier Briefe an die Gemeinden Gottes in Korinth, Freiburg/Basel/Wien 1986, 218 ff; Lang, Friedrich: Die Briefe an die Korinther, a.a.O. 98-101.
44 Heid, Stefan: Zölibat in der frühen Kirche, a.a.O. 49-51.
45 Hagemann, Kurt: Der Zölibat in der römisch-katholischen Kirche, a.a.O. 7.
46 Grasmück, Ernst Ludwig: Vom Presbyter zum Priester, a.a.O. 97 f.
47 Kehl, Medard: Die Kirche, a.a.O. 118 f.
48 Heid, Stefan: Zölibat in der frühen Kirche, a.a.O. 52 f.
- Citar trabajo
- Andre Zysk (Autor), 2000, Die theologische Begründung des priesterlichen Zölibates nach dem II. Vatikanischen Konzil, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25054
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