In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind die westlichen Demokratien zunehmend unter Druck geraten. Vom scheinbaren Sieg der Demokratie über den Kommunismus am Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, der den US-amerikanischen Politologen Francis Fukuyama dazu verführte das „Ende der Geschichte“ 1 auszurufen, scheint nicht viel übrig geblieben zu sein. Denn die Hoffung, dass die Demokratie nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in eine „neue, glanzvolle Epoche“ 2 eintreten werde, hat sich nicht erfüllt. Sie ist der Besorgnis gewichen, dass die Gefahr nicht in der Abschaffung der Demokratie durch ihre Gegner, sondern eher in einer Aushöhlung durch „anonyme soziale Prozesse und strukturelle Verschiebungen“ 3 liegt. 4 Daher sehen einige Autoren die Demokratie am „Wendepunkt“ 5 oder gar in der „Krise“ 6 .
Dabei werden vor allem folgende Aspekte für die „krisenhaften Gefährdungen“ 7 der Demokratie gesehen:
1. Die Gefahren für die Demokratie zeichnen sich durch eine geräuschlose, schleichende Auszehrung von innen aus. Es herrschen eine wachsende Distanz der Bürger 8 zum Staat und schwindende soziale Bindungen in der Gesellschaft. Einher gehen damit ein wachsender Vertrauensverfall gegenüber den Institutionen und das Zurückziehen in das Private wie in einen Kokon. 9
2. Die Probleme, mit denen die Demokratie und damit der Bürger konfrontiert werden, werden komplexer, die Handlungsspielräume enger sowie die Abhängigkeiten größer. Die Politik reagiert darauf nur umzureichend. Es herrschen Entscheidungsscheu, Abwarten und das Vermeiden von konfliktträchtigen Kontroversen. Als Folge nimmt das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik in allen westlichen Demokratien ab. 10
3. Durch die Globalisierung entziehen sich immer mehr Aufgaben und Heraus-forderungen den Instanzen der (nationalstaatlichen) Demokratien. Hiermit haben sich wesentliche Existenzbedingungen der Demokratie verändert. Es wird immer schwieriger, den Ort der demokratischen Verantwortung zu bestimmen, zumal es noch nicht gelingt, die internationale Ebene nach den Prinzipien der Demokratie zu gestalten. 11
Sich diesen existenzbedrohenden Herausforderungen zu stellen, wird die Aufgabe der Demokratie für die nächsten Jahre oder gar Jahrzehnte sein.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Ursachen für die aktuelle Diskussion um die Bürgerrolle
2.1 Demokratiegefährdende Probleme
2.1.1 Abfallendes Sozialkapital in den westlichen Demokratien
2.1.2 Zunehmende Distanzierung der Jugend von der Politik
2.2 Erhöhte Anforderungen an den Bürger im Rahmen einer Bürgergesellschaft
2.3 Beurteilung der dargestellten Aspekte für die aktuelle Rolle des Bürgers
3 Die aktuelle Rolle des Bürgers in realistisch-empirischen und normativen Demokratietheorien
3.1 Realistisch-empirische Demokratietheorien
3.1.1 Diagnose der Probleme und der Anforderungen der westlichen Demo-kratien aus der Sicht der realistisch-empirischen Demokratietheorien
3.1.2 Lösungsvorschläge der realistisch-empirischen Demokratietheorien
3.1.3 Bürgerbilder der realistisch-empirischen Demokratietheorien
3.1.4 Zusammenfassung
3.2 Normative Demokratietheorien
3.2.1 Diagnose der Probleme und der Anforderungen der westlichen Demo-kratien aus der Sicht der normativen Demokratietheorien
3.2.2 Lösungsvorschläge der normativen Demokratietheorien
3.2.3 Bürgerbilder der normativen Demokratietheorien
3.2.4 Zusammenfassung
3.3 Vergleichende Bewertung der realistisch-empirischen Demokratie-theorien und der normativen Demokratietheorien
4 Der Bürger als Zentrum der politischen Bildung und der Demokratie
4.1 Aufgaben und Ziele der politischen Bildung in der Demokratie
4.2 Theoretisch-normative Grundlagen der politischen Bildung
4.3 Die Anforderungen der politischen Bildung an den Bürger
4.4 Aktuelle Bürgerbilder in der politischen Bildung
4.4.1 Die Desinteressierten
4.4.2 Die reflektierten Zuschauer
4.4.3 Die interventionsfähigen Bürger
4.4.4 Die Aktivbürger
4.5 Zusammenfassung und Beurteilung der aktuellen Rolle des Bürgers in der politischen Bildung
5 Schule als zentrale Institution der politischen Bildung
5.1 Zur aktuellen Situation des (jugendlichen) Bürgers in der Schule
5.2 Anforderungen an die Schule als der zentralen Institution der politischen Bildung
5.3 Möglichkeiten der Schule
5.4 Kritische Beurteilung der dargestellten Ansätze
5.5 Vorschläge für Reformansätze hinsichtlich eines “Demokratie-Lernens“ in der Schule
5.6 Zusammenfassung und Beurteilung der aktuellen und einer möglichen künftigen Rolle des Bürgers in der Schule
6 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind die westlichen Demokratien zunehmend unter Druck geraten. Vom scheinbaren Sieg der Demokratie über den Kommunismus am Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, der den US-amerikanischen Politologen Francis Fukuyama dazu verführte das „Ende der Geschichte“[1] auszurufen, scheint nicht viel übrig geblieben zu sein. Denn die Hoffung, dass die Demokratie nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in eine „neue, glanzvolle Epoche“[2] eintreten werde, hat sich nicht erfüllt. Sie ist der Besorgnis gewichen, dass die Gefahr nicht in der Abschaffung der Demokratie durch ihre Gegner, sondern eher in einer Aushöhlung durch „anonyme soziale Prozesse und strukturelle Verschiebungen“[3] liegt.[4] Daher sehen einige Autoren die Demokratie am „Wendepunkt“[5] oder gar in der „Krise“[6].
Dabei werden vor allem folgende Aspekte für die „krisenhaften Gefährdungen“[7] der Demokratie gesehen:
1. Die Gefahren für die Demokratie zeichnen sich durch eine geräuschlose, schleichende Auszehrung von innen aus. Es herrschen eine wachsende Distanz der Bürger[8] zum Staat und schwindende soziale Bindungen in der Gesellschaft. Einher gehen damit ein wachsender Vertrauensverfall gegenüber den Institutionen und das Zurückziehen in das Private wie in einen Kokon.[9]
2. Die Probleme, mit denen die Demokratie und damit der Bürger konfrontiert werden, werden komplexer, die Handlungsspielräume enger sowie die Abhängigkeiten größer. Die Politik reagiert darauf nur umzureichend. Es herrschen Entscheidungsscheu, Abwarten und das Vermeiden von konfliktträchtigen Kontroversen. Als Folge nimmt das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik in allen westlichen Demokratien ab.[10]
3. Durch die Globalisierung entziehen sich immer mehr Aufgaben und Herausforderungen den Instanzen der (nationalstaatlichen) Demokratien. Hiermit haben sich wesentliche Existenzbedingungen der Demokratie verändert. Es wird immer schwieriger, den Ort der demokratischen Verantwortung zu bestimmen, zumal es noch nicht gelingt, die internationale Ebene nach den Prinzipien der Demokratie zu gestalten.[11]
Sich diesen existenzbedrohenden Herausforderungen zu stellen, wird die Aufgabe der Demokratie für die nächsten Jahre oder gar Jahrzehnte sein.
Doch wie können die westlichen Demokratien diesen Herausforderungen entgegentreten?
In diesem Zusammenhang gerät – neben institutionellen Neuarrangements[12] - vor allem der Bürger in das Blickfeld (normativer) Demokratietheorien. Denn, so stellt Rainer Schmalz-Bruns fest, „scheint weitgehend Einvernehmen darüber zu herrschen, dass Viabilität und Stabilität moderner Demokratien nicht allein und nicht in erster Linie von der Gerechtigkeit ihrer institutionellen Grundstrukturen (Rawls), sondern von den Qualitäten und Einstellungen ihrer Bürger abhängt.“[13]
Somit kommt es zu einer “Rückkehr des Bürgers“ in den demokratietheoretischen und politikpraktischen Diskurs.[14] Die Diskussion um die Rolle der Bürger in der Demokratie gewinnt dadurch neue Aktualität.
Der Bürger kehrt aber auch in die politische Bildung zurück, die – auf der Suche nach neuen normativen und theoretischen Grundlagen – die erneute Nähe zu politikwissenschaftlichen Demokratietheorien sucht.[15]
Aber auch die normativen Demokratietheorien sind zur Umsetzung ihres neuen Bürgerkonzepts auf die politische Bildung angewiesen[16], da sie zu den unverzichtbaren Quellen gehört „aus denen sich zugleich staatsbürgerliche Einstellungen regenerieren und entsprechende Kompetenzen verbessern lassen.“[17] In diesem Zusammenhang stellt sich auch für die schulische politische Bildung die Frage, wie gerade auch der Politikunterricht auf diese neuen Konzeptionen und Entwicklungen reagieren kann bzw. muss.
Doch wenn von einer Rückkehr des Bürgers in die (normativen) Demokratietheorien und in die politische Bildung gesprochen wird, stellt sich die Frage, wohin dieser “verschwunden“ war? Und bei einer erneuten Annäherung zwischen politikwissenschaftlichen Demokratietheorien und der politischen Bildung muss früher eine solche Nähe vorhanden gewesen sein.
Die Antwort auf diese Fragen führt an den Beginn der Bundesrepublik Deutschland zurück. Nach Vorstellungen der West-Alliierten - hier ist vor allem die US-amerikanische “Re-education“-Politik zu nennen, sollten die Deutschen hin zur Demokratie erzogen werden. Dafür wurde zum einen das Unterrichtsfach “Social Studies“ und zum anderen das Fach Politikwissenschaft an den westdeutschen Universitäten eingeführt. Diese beiden sollten in den Augen der US-Amerikaner einen wesentlichen Beitrag zu Demokratisierung der Bürger leisten.[18]
Durch dieses gemeinsame Ziel, die Etablierung einer stabilen demokratischen Gesellschaft, waren die politische Bildung und die Politikwissenschaft so eng miteinander verbunden, dass Hans-Hermann Hartwich von einer „natürlichen Ehe“[19] spricht.[20]
Solange sich die Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft verstand, suchte sie zum einen die Nähe zur politischen Bildung, da sie sich auch über eine politische Bildungsfunktion her definierte. Zum anderen standen der Bürger und seine erforderlichen demokratischen Qualifikationen im Zentrum der Politikwissenschaft.[21]
Diese enge Nähe von Politikwissenschaft, politischer Bildung und demokratischem Bürger galt von den 50er bis zu den frühen 60er Jahren. Dann entfernten sich die Politikwissenschaft und die politische Bildung voneinander und auch vom Bürger.[22]
Die Politikwissenschaft gab es auf, nur Demokratiewissenschaft zu sein, indem sie vor allem in den 60er und 70er Jahren vermehrt sozialwissenschaftliche Denkkategorien übernahm, die dazu führten, dass sich die Politikwissenschaft zum einen weitete und zum anderen immer weiter spezialisierte. „Methodenstringenz, Orientierung an ‚harter’ sozialwissenschaftlich geleiteter Policy-Forschung sowie Professionalisierung und Differenzierung wurden zu Kennzeichen dieser neuen modernen Politikwissenschaft.“[23] Mit dieser Entwicklung verlor sie weitgehend ihre Bildungs- und Aufklärungsfunktion. Ihr fehlten ab nun die großen Gesellschaftsentwürfe und Gegenwartsdeutungen.[24]
Auch die Politische Bildung entfernte sich von der Politikwissenschaft, indem sie bei ihrer Entwicklung z.B. auf Partner wie die Erziehungswissenschaften, die Soziologie oder die Ökonomie zurückgriff. Dabei verlor sie zunächst nicht -trotz verschiedenster Konzeptionen- die Demokratie und die in ihr lebenden Bürger aus dem Auge. Dieses änderte sich aber zu Beginn der 80er Jahre als die „nachkonzeptionelle Phase“[25] der politischen Bildung anbrach. Nun zersplitterte sich die politische Bildung in eine Vielzahl von Ansätzen, die sich in erster Linie durch eine „Flucht in die Methoden“[26] auszeichnete. Es kam zu einer „Entwertung des Kognitiven“[27]. Mit dieser Entwicklung entfernte sich die politische Bildung von Konzeptionen zur Bürgerqualifikation und zur Demokratie später als die Politikwissenschaft.[28]
Durch diese Entwicklungen in der Politikwissenschaft und der politischen Bildung trat der Bürger in ihren Konzeptionen in den Hintergrund.
Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes tritt der Bürger nun wieder – wie nach 1945 in Westdeutschland – auf die demokratietheoretische Bühne und die der politischen Bildung und damit auch auf die Bühne der Schule.
Doch die Ausgangslage ist eine andere als nach 1945 in Westdeutschland. Die –zunächst ungeliebte - Demokratie in Westdeutschland wurde in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in erster Linie aufgrund ihrer sozialen und ökonomischen Erfolge von den Bürgern angenommen. Erst später gründete sich die Demokratie nicht nur auf die Breite einer sozioökonomischen Zufriedenheit, sondern fand auch Halt im Bewusstsein der Bürger.[29] Dieses demokratische Bewusstsein erlangte darüber hinaus „Halt und Stabilität durch den Wettbewerb der Systeme im Kalten Krieg.“[30] Doch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts fällt dieser von außen wirkende stabilisierende Faktor weg. Nun mehr muss sich die Demokratie aus sich selbst heraus begründen.[31]
Und genau dieses scheint den westlichen Demokratien im Angesicht der schon erwähnten Aspekte, wie z.B. der drohenden inneren Aushöhlung durch Individualisierungsprozesse oder die Bedrohung der Demokratie durch Effekte der Globalisierung, immer schwerer zu gelingen.
Für Deutschland kommt zu dieser Entwicklung hinzu, dass die neuen Bundesländer noch nicht vollständig in der Demokratie angekommen sind. Die guten sozioökonomischen Rahmenbedingungen, die Westdeutschland zu einer stabilen Demokratie verhalfen, fehlen in den neuen Bundesländern. Die andauernden ungünstigen sozioökonomischen Rahmenbedingungen in den neuen Bundesländern sind daher ein wichtiger Grund dafür, warum sich die Zufriedenheit der Ostdeutschen mit der Demokratie auf einem anhaltend niedrigeren Niveau bewegt als in den alten Bundesländern.[32]
Vor dem Hintergrund dieser historischen, sozioökonomischen und aktuell politischen Rahmenbedingungen verlaufen die Diskussionen um die aktuelle Rolle des Bürger innerhalb der demokratietheoretischen Forschung sowie der politischen Bildung und damit verbunden in der Schule.
Diese Diskussionen sollen in ihren Schwerpunkten nun kurz skizziert werden.
Zunächst zur demokratietheoretischen Diskussion.
Innerhalb der Demokratietheorien stehen sich hinsichtlich der Bedeutung und Ausgestaltung der Bürgerrolle in der Demokratie die eher input-orientierten[33] normativen Demokratietheorien und die eher output-orientierten realistisch-empirischen Demokratietheorien gegenüber.
Dabei setzen die normativen Demokratietheorien auf einen kompetenten Bürger, der ein wichtiges Element der Demokratie ist. Dementsprechend haben sie auch hohe Anforderungen an ihren jeweiligen “Idealbürger“. Die Hervorhebungen der Bürgerrolle mit den entsprechenden Bürgerkompetenzen werden innerhalb der deutschen Politikwissenschaft in erster Linie von Hubertus Buchstein[34] formuliert.
Die realistisch-empirischen Demokratietheorien setzen dagegen nicht auf den Bürger. Sie halten diesen nicht für kompetent genug und zu fehlbar. Daher wollen sie die Leistung des politischen Gesamtsystems durch Eliten optimieren. Der Bürger tritt dabei lediglich als Wähler hervor. Die Sichtweise wurde vor allem von Joseph A. Schumpeter[35] vertreten und in jüngerer Zeit von Giovanni Sartori[36] erweitert und “verteidigt“.
Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass gerade die normativen Demokratietheorien sich bezüglich der Problemdiagnosen der westlichen Demokratien vor allem auf Untersuchungen von Robert D. Putnam[37] stützen, der die derzeitigen Probleme in erster Linie auf abnehmende Sozialbeziehungen und Vertrauen der Menschen untereinander sowie abnehmendes Vertrauen in die politischen Institutionen zurückführt. Putnam bezeichnet diese Entwicklung als „abfallendes Sozialkapital“[38], wobei er sich hauptsächlich auf die USA bezieht.
Dieser Sichtweise wird für Deutschland vor allem von Hans Joas[39] widersprochen, der ein Abnehmen des Sozialkapitals in der von Putnam dargestellten Weise nicht nachvollzieht. Für Deutschland sieht auch Hubertus Buchstein[40] die Diagnose des abnehmenden Sozialkapitals eher skeptisch. Er stimmt Putnam in seiner Diagnose des abnehmenden Sozialkapitals für die USA aber zu.
In der politischen Bildung werden die Ansätze der normativen Demokratietheorie aufgegriffen. Dabei setzt die politische Bildung auf ein differenzierteres Bürgerbild als die normativen Demokratietheorien, welche jeweils ihren “Idealbürger“ haben. In der politischen Bildung werden hingegen vier verschiedene Bürgerleitbilder formuliert. Der Bürger wird entweder als desinteressiert, als „reflektierter Zuschauer“[41], interventionsfähig oder aktiv charakterisiert. Dieses Konzept wird in erster Linie von Paul Ackermann[42], Joachim Detjen[43] sowie Peter Massing[44] vertreten. Wobei sich Peter Massing in jüngster Zeit von diesem Konzept der Bürgerleitbilder in der politischen Bildung entfernt hat. Er setzt neuerdings nicht auf vorformulierte Bürgerleitbilder, sondern auf ein Kompetenzkonzept, welches den Bürger befähigen soll unterschiedlichste Bürgerrollen in der Demokratie einnehmen zu können.[45]
Wie erwähnt, beziehen sich diese Konzepte in der politischen Bildung auf die normativen Demokratietheorien. Sie bilden aber nicht die einzigen Konzepte.
Zusammen mit der Diskussion um die aktuelle Rolle des Bürgers in den Demokratietheorien und der politischen Bildung wurde auch die Umsetzung des Ziels der politischen Bildung, die Schüler zur Wahrnehmung ihrer Bürgerrolle in der Demokratie zu befähigen, neu diskutiert.
Diese aktuelle Diskussion um diese Leistung der politischen Bildung wird unter dem Begriff “Demokratie-Lernen“[46] diskutiert
In dieser Diskussion lassen sich derzeit fünf verschiede Ansätze unterscheiden, die sich in drei Positionen einteilen lassen. Zum einen sind zu unterscheiden die schon bekannten Konzepte der Bürgerleitbilder und das Kompetenzprofil von Peter Massing. Bei diesen Konzepten wird Demokratie-Lernen als Politik-Lernen verstanden.
Die zweite Position bilden zum einen das Konzept der erfahrenen Demokratie von Wolfgang Beutel und Peter Fauser[47], in dem Demokratie in erster Linie von der Schule erfahrbar gemacht werden soll. Zum anderen hat Gotthard Breit[48] ein Konzept formuliert, das Demokratie-Lernen als soziales und gesellschaftliches Lernen versteht. In diesem Konzept sollen die Schüler nicht auf eine politische Partizipation vorbereitet werden. Vielmehr sollen sie durch den Politikunterricht befähigt werden, eine aktive, soziale Rolle innerhalb einer Bürgergesellschaft einzunehmen. Diese zweite Position versteht Demokratie-Lernen als Soziales-Lernen.
Die dritte und letzte Position wird von einem Ansatz Gerhard Himmelmanns[49] gebildet, auf den auch der Begriff des “Demokratie-Lernens“ zurückgeht. Dieser Ansatz versteht Demokratie als Lebens-, Gesellschafts-, und Herrschaftsform, welcher in der Schule in dieser Dreiteilung auch stufendidaktisch, d.h. verschiedene Schwerpunkte in der Primarstufe sowie in den Sekundärstufen I und II, umgesetzt werden soll.
Diese Positionen und Ansätze bilden in der Literatur den wesentlichen Kern der Diskussion um die aktuelle Rolle des Bürgers in Demokratietheorie, Schule und politischer Bildung.
Vor diesem Diskussionshintergrund soll der Gegenstand dieser Arbeit sein abzuwägen, inwieweit ein „demokratiekompetenter Bürger“[50] für die Lösung der derzeitigen Probleme und Anforderungen der westlichen Demokratien notwendig und seine Gewinnung - sprich Ausbildung - durch die politische Bildung vor allem in der Schule auch möglich ist.
Die Relevanz dieser Fragestellung ergibt sich aus zwei Überlegungen. Zum einen ist festzustellen, dass die westlichen Demokratien nach dem Ende des Ost-West-Konflikts durch innere Probleme neuen Gefährdungen ausgesetzt sind.[51] Auf diese Gefährdungen gilt es zu reagieren. Zum anderen rückt der demokratiekompetente Bürger als Lösung für diese Probleme ins Blickfeld.[52] Wenn dem so ist, was noch zu klären sein wird, kommt der Frage nach der Gewinnung – sprich Ausbildung - dieses Bürgers eine besondere Bedeutung bei. Denn was nützt einem ein Lösungskonzept, welches nicht zur Anwendung gebracht werden kann.
Zur Klärung der Fragestellung sind daher jeweils folgende Aspekte von Interesse:
Welche Ursachen haben zu einer aktuellen Diskussion über die Bürgerrolle geführt? Wie sind diese Ursachen hinsichtlich der aktuellen Bürgerrolle zu bewerten?
Zudem stellt sich die Frage, ob der demokratiekompetente Bürger denn wirklich die Lösung der Problem der westlichen Demokratien zu gewährleisten vermag? In diesem Zusammenhang interessiert vor allem, wie die Probleme der westlichen Demokratien in den jeweiligen Demokratietheorien gesehen werden. Und welche Lösungsansätze entwickeln sie für die von ihnen gesehenen Probleme? Und welche Rolle nehmen die Bürger in diesem Lösungsansätzen ein?
Bezüglich einer möglichen Ausbildung des demokratiekompetenten Bürgers in der politischen Bildung und in der Schule interessieren in erster Linie folgende Aspekte:
Welche Lösungsansätze aus der demokratietheoretischen Diskussion greift die politische Bildung auf welche Weise auf, um ihren Aufgaben und Zielen gerecht zu werden? Und schließlich: Wie ist die schulische Ausbildung von demokratiekompetenten Bürgern umsetzbar?
Hinsichtlich der Ergebnisse auf diese Fragen und Aspekte werden folgende Hypothesen angenommen:
1. Die Ursachen der aktuellen Diskussion um die Bürgerrolle in der Demokratie liegen in erster Linie in der Abnahme des Sozialkapitals in den westlichen Demokratien begründet. Für Deutschland gilt dabei, dass diese Abnahme sich nicht nur quantitativ ausdrückt, sondern auch qualitativ. Sie zeigt sich in der Spaltung der Bürgergesellschaft. Diese Spaltung trennt die Bürger zum einen in qualifizierte, den erhöhten Anforderungen der modernen Demokratie gewachsene, versus nicht qualifizierte und zum anderen in junge versus alte Bürger.
2. Der demokratiekompetente Bürger, wie ihn die normativen Demokratietheorien fordern, ist zur Lösung der aktuellen Probleme und Anforderungen der westlichen Demokratien notwendig, denn die realistisch-empirischen Demokratietheorien bieten keine adäquate Lösung der aktuellen Probleme an.
3. Anätze für eine neue Rolle des Bürgers in der politischen Bildung kann die politische Bildung hinsichtlich ihrer Aufgaben und Ziele nur innerhalb der normativen Demokratietheorien finden. Die Konzepte des demokratiekompetenten Bürgers in den normativen Demokratietheorien müssen aber für eine mögliche Anwendung in der politischen Bildung angepasst werden, da sie zu realitätsfern sind.
4. Die Ausbildung des demokratiekompetenten Bürgers in der Schule ist möglich, aber er benötigt eine Ausbildung, die sowohl auf politisches Lernen als auch auf soziales Lernen als Demokratie-Lernen setzt.
Zur Beantwortung der Aspekte und Fragen sowie zur Überprüfung der Hypothesen wird der Hauptteil der Arbeit in vier Kapitel gegliedert.
Das erste Kapitel des Hauptteils (Abschnitte 2.1-2.3) soll die Ursachen der aktuellen Diskussion um die Rolle des Bürgers beleuchten. Zu diesem Zweck sollen zunächst die aktuellen demokratiegefährdenden Probleme dargestellt werden (Abschnitt 2.1). Gemäß der ersten Hypothese, dass es sich dabei in erster Linie um eine Abnahme des Sozialkapitals in den westlichen Demokratien handelt, wird diese Abnahme zunächst thematisiert (Abschnitt 2.1.1). Da bei einer Abnahme des Sozialkapitals in den westlichen Demokratien auch von einer Spaltung der Bürgergesellschaft in jung und alt ausgegangen wird, gilt es die Einstellung der Jugend zur Politik zu überprüfen (Abschnitt 2.1.2).
Zu den Ursachen der aktuellen Diskussion über die Bürgerrolle zählen auch die Überlegungen die Bürgergesellschaft in der Demokratie zu stärken. Diese Überlegungen, aber auch die Konfrontation der Bürgergesellschaft mit den Effekten der Globalisierung, führen zu erhöhten Anforderungen an die Bürger. Es gilt sie darzustellen (Abschnitt 2.3). Zudem wird angenommen, dass diese Anforderungen auf die Abnahme des Sozialkapitals einwirken, da sie zu einer Spaltung innerhalb der Bürgergesellschaft in qualifizierte und weniger qualifizierte Bürger führt.
Abschließend sollen die dargestellten Aspekte hinsichtlich der aktuellen Rolle des Bürgers beurteilt werden (Abschnitt 2.3).
Durch die Beschränkung auf die demokratiegefährdenden Faktoren Abnahme des Sozialkapitals und der zunehmenden Distanzierung der Jugend von der Politik sind nicht alle denkbaren demokratiegefährdenden Faktoren erfasst. So kann z.B. wegen des Umfangs dieser Arbeit weder auf Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus noch auf die Auswirkungen des Wertewandels auf die demokratischen Gesellschaften eingegangen werden. Für die inhaltliche Präferenz ist anzuführen, dass gerade die Abnahme des Sozialkapitals innerhalb der demokratietheoretischen Forschung um die aktuelle Bürgerrolle eine nicht unwichtige Stellung einnimmt. Da die demokratietheoretische Diskussion auch Gegenstand dieser Arbeit ist, ist es daher notwendig, die Diskussion um die Abnahme des Sozialkapitals aufzugreifen. Die Auseinandersetzung mit der Distanzierung der Jugend von der Politik ist in zweifacher Hinsicht notwendig. Zum einen stellt diese Distanzierung der Jugend von der Politik einen besonderes problematischen Fall der Abnahme des Sozialkapitals dar, da die Jugend die Zukunft der Demokratie darstellt. Denn wendet sich die Jugend von der Politik und damit auch von der Demokratie ab, dann ist die Demokratie in ihren Grundfesten gefährdet. Zum anderen ist die mögliche Gewinnung - sprich Ausbildung - eines demokratiekompetenten Bürgers Gegenstand dieser Arbeit. In diesem Zusammenhang nehmen einige Konzeptionen, welche sich mit einer möglichen Ausbildung des demokratiekompetenten Bürgers in der Schule auseinandersetzen, Bezug auf diese Einstellungen. Daher gilt es auch diese Abwendung der Jugend von der Politik vorrangig gegenüber anderen möglichen demokratiegefährdenden Aspekten zu thematisieren.
Die Ausführungen in diesem Kapitel werden sich in erster Linie auf Arbeiten von Robert A. Putnam[53] stützen, der die Diskussion bezüglich des Sozialkapitals anführt. Konträre Positionen werden - vor allem bezüglich Deutschlands – den Positionen von Hans Joas[54] und Hubertus Buchstein[55] entnommen. Bezüglich der Überprüfung der Einstellung der Jugend gegenüber der Politik werden aktuelle empirische Studien aus der Jugendforschung[56] angeführt. Die Ausführungen über die Anforderungen der Bürgergesellschaft an die Bürger stützen sich in erster Linie auf die Positionen von Bundeskanzler Gerhard Schröder[57], Hubertus Buchstein[58] und bezüglich des Globalisierungsaspektes auf Peter Massing[59]. Begründend ist hinsichtlich der Auswahl Gerhard Schröders zu sagen, dass die Positionen des deutschen Bundeskanzlers und Parteivorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschland über die Ausgestaltung der Bürgergesellschaft nicht unerheblich sind. Denn sie liegen bezüglich einer politikpraktischen Umsetzung näher am Möglichen als die Konzeptionen eines noch so bekannten Theoretikers der politischen Theorie. Auf Hubertus Buchstein und Peter Massing wird Bezug genommen, da sie die diesbezüglichen Positionen gut darstellen.
Im zweiten Kapital des Hauptteils (Abschnitte 3.1 – 3.3) werden die realistisch-empirischen Demokratietheorien mit den normativen Demokratietheorien verglichen, um die zweite Hypothese zu überprüfen.
Für diesen Vergleich gilt es jeweils Folgendes zu prüfen. Wie werden die derzeitigen Probleme und Anforderungen der westlichen Demokratien aus der Sicht der jeweiligen demokratietheoretischen Konzeptionen diagnostiziert? (Abschnitte 3.1.1 bzw. 3.2.1) Welche Lösungsvorschläge werden aufgrund der jeweiligen Diagnose konzipiert? (Abschnitte 2.1.2 bzw. 3.2.2) Da die Lösungsansätze und die zugewiesene Bürgerrolle innerhalb dieser Lösungsansätze auch entscheidend von ihren jeweiligen Bürgerbildern abhängen, werden auch diese in den Vergleich mit einbezogen. (Abschnitte 3.1.3 bzw. 3.2.3) Für einen besseren Vergleich werden die wichtigsten Positionen und Konzepte der realistisch-empirischen und der normativen Demokratietheorien jeweils kurz zusammengefasst.
Abschließend werden die realistisch-empirischen Demokratietheorien und die normativen Demokratietheorien hinsichtlich ihres Einflusses auf die Diskussion über die aktuelle Bürgerrolle bewertend verglichen (Abschnitt 3.3). Hierzu wird zu untersuchen sein, ob die jeweiligen Ansätze wirklich schlüssige Lösungen für die derzeitigen Probleme und Anforderungen der westlichen Demokratien bieten.
Die beiden demokratietheoretischen Typen werden zum Schluss verglichen, da eine nur isolierte Bewertung ohne Bezug auf die jeweils andere Option nicht den jeweiligen Einfluss dieser auf die aktuelle Diskussion hinreichend begründen kann.
Dieser Vergleich wird lediglich auf die genannten wesentlichen Aspekte Diagnose der Probleme und Anforderungen der westlichen Demokratien, daraus abgeleitete Lösungsansätze und die damit zusammenhängenden Bürgerbilder eingehen. Ein detaillierter Vergleich beider demokratietheoretischer Typen ist aufgrund des Umfangs dieser Arbeit hier nicht durchführbar.
Dass sich der Vergleich auf diese beiden demokratietheoretischer Typen bezieht, ergibt sich aus der Sachlage, dass sich im Prinzip die meisten demokratietheoretischer Konzeptionen diesen beiden Typen zuordnen lassen.[60]
Durch den Umfang dieser Arbeit ist es zudem nicht möglich, die verschiedensten demokratietheoretischen Konzeptionen der realistisch-empirischen und der normativen Demokratietheorien auch nur annähernd in ihrer Gänze und Vielfalt darzustellen. Aus diesem Grund wird lediglich die Diskussion über und innerhalb der jeweiligen demokratietheoretischen Typen in ihren wesentlichsten Aspekten wiedergegeben. Diese Wiedergabe der Diskussion stützt sich dabei im Wesentlichen auf die Arbeiten von Hubertus Buchstein[61], Rainer Schmalz-Bruns[62] und Peter Massing[63], da sie diese Diskussion in ihren wesentlichsten Grundzügen darstellen.
Eine andere Option wäre gewesen, lediglich jeweils eine oder zwei Demokratietheorien exemplarisch herauszugreifen und zu behandeln. Diese Alternative wird aus zwei Gründen nicht in Erwägung gezogen. Zum einen gibt es vor allem bei den normativen Demokratietheorien eine Vielzahl von Modellen, die z.T. auch in Konkurrenz zueinander stehen[64], so dass eine exemplarische Auswahl nicht oder nur schwer möglich gewesen wäre. Eine solche Auswahl hätte nicht für die normativen Demokratietheorien stehen können. Zum anderen wird die Diskussion innerhalb und über die jeweiligen Demokratietheorien in der genannten Literatur übersichtlich und kontrovers wiedergegeben. Lediglich bei der Darstellung der realistisch-empirischen Demokratietheorien wird vereinzelt auf zwei Theorien direkt zurückgegriffen. Zur Begründung ist zu sagen, dass hier zwei Vertreter dieser Theorien (Joseph A. Schumpeter[65] und Giovanni Sartori[66] ) in der Diskussion besonderes hervortreten.[67]
Im dritten Kapitel des Hauptteils (Abschnitte 4.1 – 4.5) geht es um eine neue Rolle des Bürgers in der politischen Bildung. Wie noch darzulegen sein wird, nimmt der Bürger eine zentrale Rolle innerhalb der politischen Bildung ein. Aus diesem Grund kann man den Bürger als Zentrum der politischen Bildung bezeichnen.
Zur Überprüfung der dritten Hypothese wird zunächst kurz auf die Aufgaben und Ziele der politischen Bildung eingegangen, da diese die Grundlage der Auswahlkriterien für Lösungsansätze aus den Demokratietheorien bilden (Abschnitt 4.1). Davon ausgehend wird geklärt, welche demokratietheoretische Basis die normativen und theoretischen Grundlagen der politischen Bildung sind (Abschnitt 4.2). Von diesen aus werden die Anforderungen der politischen Bildung an die Bürger bestimmt (Abschnitt 4.3). Auf dieser Grundlage werden die aktuellen Bürger(leit)bilder der politischen Bildung vorgestellt, da diese zeigen, wie die politische Bildung Konzepte aus den Demokratietheorien umsetzt (Abschnitte 4.4 – 4.4.4). Und schließlich wird die aktuelle Rolle des Bürgers in der politischen Bildung kurz zusammengefasst und beurteilt (Abschnitt 4.5).
Die Basis für dieses Kapitel bildet hinsichtlich der Aufgaben und Ziele der politischen Bildung im Wesentlichen der Bericht der Bundesregierung zu Stand und Perspektiven der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland von 1991[68], Positionen Siegfried Schieles[69] und der Darmstädter Appell von 1996[70]. Das Auswahlkriterium für die Positionen ist der Umstand, dass in diesen die zentralen Aufgaben und Ziele am deutlichsten dargestellt werden.
Die Ausführungen zu den normativen und theoretischen Grundlagen der politischen Bildung stützen sich auf einen Aufsatz von Peter Massing[71]. Denn nach der „nachkonzeptionelle[n] [S.K.] Phase“[72] in der politischen Bildung steht eine neue normative und theoretische Grundlegung der politischen Bildung erst am Anfang.[73] Und Massing formuliert in diesem Aufsatz die ersten Ansätze für diesen Neuanfang.
Bezüglich der Anforderungen der politischen Bildung an den Bürger ist vorauszuschicken, dass sich diese im Wesentlichen an den Anforderungen der normativen Demokratietheorien an einen demokratiekompetenten Bürger orientieren. Aus diesem Grund wird zur detaillierten Darstellung dieser Kompetenzen im Wesentlichen auf den Abschnitt 3.2.2 verwiesen, um inhaltliche Wiederholungen zu vermeiden. Es wird daher lediglich kurz erläutert, warum die politische Bildung sich bei ihren Anforderungen auf diese (staats-)bürgerschaftlichen Kompetenzen bezieht.
Der Darstellung der aktuellen Bürgerbilder basiert auf den Arbeiten von Joachim Detjen[74], Paul Ackermann[75], da Ackermann und Detjen als die Hauptvertreter dieses Bürgerleitbilderkonzeptes in der politischen Bildung anzusehen sind. Diese Arbeiten werden – bei der Darstellung der aktuellen Bürgerbilder - durch Aufsätze von Peter Massing[76] ergänzt, da dieser gut den jeweiligen Bürgerbildern die Kompetenzanforderungen zuordnet, die aus den normativen Demokratietheorien stammen. Diese Aufsätze werden mit Ergebnissen aus der Wertewandelforschung von Helmut Klages[77] ergänzt, um die reale Bedeutung der jeweiligen Bürgerbilder in der Demokratie deutlich zu machen. Hierzu werden die Bürgerbilder der politischen Bildung mit empirisch ermittelten Persönlichkeitstypen in Beziehung gesetzt, um die ungefähre Gewichtung der jeweiligen Bürgertypen an der Gesamtbevölkerung zu erhalten.
Und schließlich wird im vierten Kapitel des Hauptteils (Abschnitte 5.1 – 5.6) der wichtige Aspekt einer möglichen Gewinnung - sprich Ausbildung - eines demokratiekompetenten Bürgers in der Schule behandelt, welche auch als Demokratie-Lernen bezeichnet wird.[78] Die Schule ist dabei als zentrale Institution der politischen Bildung anzusehen. Dieses hat zwei Ursachen. Zum einen beruht in der Schule die Teilnahme an politischer Bildung nicht auf Freiwilligkeit. Zum anderen nehmen nur ca. ein Prozent der Bevölkerung an außerschulischer politischer Bildung teil.[79] Wenn die politische Bildung also einen größeren Teil der Bevölkerung zu demokratiekompetenten Bürgern möchte, dann kann die politische Bildung dieses Ziel nur in der Schule effektiv verfolgen.
Zur Überprüfung der vierten Hypothese wird zunächst auf die aktuelle Situation der jugendlichen Bürger in der Schule eingegangen (Abschnitt 5.1), denn man muss zwischen der derzeitigen Situation der Schüler in der Schule und der aktuellen Diskussion über die mögliche künftige Rolle der Schüler in der Schule unterscheiden. Die aktuelle Situation der Schüler wirkt aber z.T. entscheidend auf die aktuelle Diskussion ein. Denn Ansätze, die ein politisches Lernen in den Vordergrund stellen, gehen davon aus, dass dies derzeit nicht der Fall ist. Erst danach werden die verschiedenen Anforderungen hinsichtlich der Ausbildung der jugendlichen Bürger durch die Schule als zentrale Institution der politischen Bildung dargestellt (Abschnitt 5.2). Diese Anforderungen müssen sich an den Möglichkeiten der Institution Schule messen lassen. Hierzu werden diese Möglichkeiten kurz darstellt (Abschnitt 5.3). Erst danach erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit diesen verschiedenen Ansätze (Abschnitt 5.4). Auf der Grundlage dieser Kritik und den Möglichkeiten der Institution Schule werden Vorschläge hinsichtlich eines Demokratie-Lernens in der Schule vorgestellt (Abschnitt 5.5). Und abschließend werden diese Ergebnisse hinsichtlich der aktuellen und einer möglichen künftigen Rolle des jugendlichen Bürgers in der Schule zusammenfassend beurteilt.
Die Darstellung der aktuellen Situation der Schüler in der Schule stützt sich im wesentlichen auf die internationale IEA Civic Education Study-Studie[80] mit Daten von 1999. Denn sie stellt als spezielle Jugendstudie zum politischen Verstehen und Engagement die aussagekräftigsten Daten bereit. Positionen zur aktuellen Situation des Politikunterrichts, welche direkt auf die Situation der Schüler einwirkt, werden den bekannten Aufsätzen von Georg Weißeno[81] und Peter Massing[82] entnommen. Hinsichtlich der verschiedenen Anforderungen an die Schule als zentrale Institution der politischen Bildung bilden die jeweiligen Konzepte von Wolfgang Beutel/Peter Fauser[83], Gotthard Breit[84], Gerhard Himmelmann[85] und Peter Massing[86] die Grundlage. Die Darstellung der Bürgerleitbilder erfolgte im dritten Kapitel. Aus diesem Grund wird in diesem Kapitel für die Darstellung dieses Konzeptes auf das dritte Kapitel verwiesen. Aufgrund des Umfangs dieser Arbeit wird z.T. auch auf eine vereinfachte Darstellung der jeweiligen Positionen, wie sie Peter Massing[87] in einem Aufsatz vorgenommen hat, zurückgegriffen. Die Basis für die Behandlung der Möglichkeiten der Schule bilden im Wesentlichen die Positionen Erich Bärmeiers[88] und Siegfried Schieles[89], da sie zum einen über den derzeitigen Ist-Zustand hinausgehen (Bärmeier) und doch nicht vergessen, dass die Schule eine staatliche Institution mit eingeschränkten Demokratiemöglichkeiten ist, denn sie ist z.B. keine Gemeinschaft von Gleichen. Die kritische Beurteilung der jeweiligen Ansätze stützt sich, so es denn nicht eigene Positionen sind, im wesentlichen auf Peter Massing[90]. Denn er hat diese Positionen in einem Aufsatz nicht nur zusammenfasst, sondern diese auch im Zusammenhang hinsichtlich ihrer Tauglichkeit für die Ausbildung eines demokratiekompetenten Bürgers beurteilt.
Die Vorschläge für Reformansätze hinsichtlich eines Demokratie-Lernens in der Schule basieren im Wesentlichen auf der Reflexion zuvor behandelter und eigener Konzepte und Positionen.
Zum Schluss dieser Arbeit werden die Ergebnisse kurz zusammengefasst, um eine Antwort auf die Fragestellung, inwieweit ein demokratiekompetenter Bürger für die Lösung der derzeitigen Probleme und Anforderungen der westlichen Demokratien notwendig und seine Gewinnung – sprich Ausbildung – durch die politische Bildung vor allem in der Schule auch möglich ist, gegeben. Diese Antwort wird kurz mit einigen in dieser Einleitung vorgestellten Positionen aus der Literatur verglichen.
Abschließend wird kurz auf offen gebliebene Fragen eingegangen und ein kleiner Ausblick bezüglich der derzeitigen Möglichkeit der tatsächlichen Umsetzung eines Konzeptes zur Ausbildung eines demokratiekompetenten Bürgers in der Schule gegeben.
2 Ursachen für die aktuelle Diskussion um die Bürgerrolle
2.1 Demokratiegefährdende Probleme
2.1.1 Abfallendes Sozialkapital in den westlichen Demokratien
Bei der Frage, ob das Sozialkapital in den westlichen Demokratien am abfallen ist, muss am Anfang die Frage stehen, was Sozialkapital eigentlich ist.
Sozialkapital von seiner demokratietheoretischen Ebene aus betrachtet, ist nicht zu verwechseln mit dem, was z.B. die Ökonomen unter Sozialkapital oder human resources verstehen.[91] Der Begriff des Sozialkapitals wurde vor allem von Robert. D. Putnam in die demokratietheoretische Debatte eingeführt[92]. Dabei greift Putnam die Beobachtungen von Alexis de Tocqueville auf, der in seinem Buch „Über die Demokratie in Amerika“[93] feststellte, dass die Demokratie in Amerika vor allem durch die Vielzahl von sozialen Zusammenschlüssen - wie z.B. Vereinen oder auch Buchclubs - funktionierte und Bestand hatte.[94] Daher ist es für Tocqueville auch kein Zufall, dass „sich das demokratischste Land der Erde als dasjenige [erweist, S.K.], in dem die Menschen die Kunst, gemeinsam das Ziel ihres gemeinschaftlichen Begehrens zu erstreben, in unserer Zeit am vollkommensten entwickelt und diese neue Wissenschaft auf die größte Anzahl von Zwecken angewandt haben“[95].
Der Begriff Sozialkapital, wie er heute von Putnam verwendet wird, wurde zum ersten Mal von Lyda Judson Hanifan im Jahr 1916 in einer Arbeit über ländliche Schulgemeinschaftszentren verwendet, in der er erkannte, wie wichtig das gesellschaftliche Engagement für den Erhalt und die Entwicklung der Demokratie ist.[96]
Aber was ist nun unter Sozialkapital zu verstehen? Ausgehend von Putnam geht man davon aus, dass es einen „sich gleichsam spiralförmig nach oben bewegenden Verstärkungszusammenhang zwischen bürgerlichem Engagement und Vertrauen“[97] der Bürger untereinander gibt. Dieses Vertrauen der Bürger untereinander (und zu ihrer Regierung) setzt vor allem Gemeinschaftsgeist, Mitgefühl und geselligen Austausch sowohl zwischen Einzelnen wie Familien voraus.[98]
Putnams These zufolge ist „der Grad an Korruption dort geringer, der politische Kenntnisstand der Bürger dort höher und die Unzufriedenheit mit der Demokratie dort geringer, wo es ein ausgeprägtes gesellschaftliches Gruppenleben gibt“[99].
Der Zusammenhang zwischen Vertrauen und bürgerlichem Engagement wird von Putnam als Grundpfeiler des Sozialkapitals hervorgehoben:
„Trust and engagement are two facets of the same underlying factor – social capital.“[100]
Man kann also sagen, dass das Sozialkapital der “Kitt“ ist, der eine demokratische Gesellschaft zusammenhält.
Und dieser Kitt verschwindet nach Putnam zunehmend aus den westlichen Demokratien.
Aber die Frage ist, wie misst man dieses Sozialkapital um zu überprüfen, ob dem tatsächlich so ist? Dazu werden vor allem folgende Faktoren empirisch gemessen[101]: Vertrauen (in andere und die politische Führung), gesellschaftliches Engagement, politische Partizipation, usw. .
Wichtig ist festzuhalten, dass z.B. ein hohes Engagement in gesellschaftlichen Gruppierungen nicht automatisch zu einem hohen Sozialkapital führt. Daher wird zwischen positivem und negativem Sozialkapital unterschieden. Mit positivem Sozialkapital sind gesellschaftliche Zusammenschlüsse gemeint, die eine Stärkung von demokratischen Zielen bewirken. Negatives Sozialkapital sind dagegen Vereinigungen, die die Demokratie und deren Prinzipien schädigen können. So stellen z.B. rechtsextreme Gruppen - wie z.B. der Ku-Klux-Klan oder Bürgerinitiativen, die sich gegen Ausländer- oder Rassenintegration stellen - auch eine Art von Sozialkapital dar. Nur wirken sie aber eher zerstörerisch auf eine demokratische Gesellschaft. Mit diesen Gruppen ist selten oder gar keine Kooperation im demokratischen Sinn zu erreichen, da sie z.B. gegen den Rechtsstaat oder wichtige Zielelemente der Gemeinschaft operieren.[102]
Ebenfalls ist zu erwähnen, dass innerhalb des Ansatzes über das Sozialkapital verschiedenste Ausdifferenzierungen[103] gemacht werden. Diese gehen so ins Detail, dass sie zum einen den Umfang dieser Arbeit sprengen würden. Zum anderen führen sie im Rahmen dieser Arbeit nicht viel weiter, denn im Rahmen dieser Arbeit interessieren in erster Linie die Gesamtresultate.
Die Brisanz von Putnams Thesen besteht nun darin, dass er durch umfangreiche Studien nachweist, dass das Sozialkapital seit den sechziger Jahren zunehmend schrumpft. So belegen seine Untersuchungen, dass die Anzahl der Personen in den USA, die an öffentlichen Gemeindesitzungen teilnehmen, zwischen 1973 und 1993 um fast 50 % zurückgegangen ist. Der Anteil der amerikanischen Bevölkerung, welcher der Regierung in Washington z.T. oder völlig misstraut, stieg von 30 % im Jahr 1960 auf 75 % im Jahr 1992. Ähnliches passiert in den amerikanischen Gewerkschaften, deren Mitgliederzahlen von 1953 bis 1992 um mehr als 50 % gesunken sind. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Putnam viele Vereine, soziale Organisationen und dergleichen anführt, welche seit 1970 zwischen 18 % und bis zu 61 % ihrer Mitglieder verloren haben. Darunter sind Organisationen wie das Rote Kreuz bis hin zu den Pfadfindern.[104]
Die Ursachen für diesen z.T. rapiden Niedergang des bürgergesellschaftlichen Engagements in den USA sind für Putnam in erster Linie die Mobilität und Suburbanisierung, Zeitmangel, den Niedergang der Familie[105], die weibliche Beruftätigkeit, aber vor allem das Fernsehen, das durch seine individualisierte und zeitfressende Art partizipationsverhindernd wirkt.[106]
Ausgehend von diesen Untersuchungen in den USA wurden in fast allen westlichen Demokratien ähnliche Untersuchungen durchgeführt bzw. bestehende Daten vor diesem Hintergrund ausgewertet. Es kam heraus, dass ähnliche Tendenzen, wenn auch nicht so stark, in allen westlichen Demokratien vorhanden sind. Selbst in der einstigen Vorzeigedemokratie Schweden nahm das Vertrauen der schwedischen Bürger in die politischen Institutionen und das politische Engagement in solchen Maßen ab, dass der schwedische Politikwissenschaftler Bo Rothstein befürchtet, dass Politik in Schweden zu einem “Zuschauersport“ wird.[107]
Für Deutschland sieht das Bild differenzierter aus, wobei noch eine deutliche Teilung zwischen Ost und West existiert. So waren z.B. 1994 29 % der Westdeutschen gegenüber 17 % der Ostdeutschen ehrenamtlich tätigt.[108] Trotz dieser Daten ist für Deutschland festzuhalten, dass das gesellschaftliche Engagement im Vereinswesen sich erfreulich robust erweist.[109]
Daher möchte z.B. Hans Joas auch Putnam nicht in seiner Argumentation folgen. Er bezweifelt, ob die Diagnose vom abfallenden Sozialkapitel in den USA wirklich zutrifft, und hält es für fraglich, ob Putnams Befund auf Deutschland übertragbar ist.[110] Dieser Sichtweise schließt sich Buchstein an: „[Auch, S.K.] wenn möglicherweise kein Anlass zur Euphorie besteht, dann besteht in Deutschland anders als in Putnams USA aber auch kein Anlass zum Pessimismus.“[111]
[...]
[1] Fukuyama, Francis: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir? München 1992.
[2] Weidenfeld, Werner: Vorwort. In: Derselbe (Hrsg.): Demokratie am Wendepunkt. Die demokratische Frage als Projekt des 21. Jahrhunderts. Berlin 1996, S. 9-11, S. 9.
[3] Offe, Claus: Bewährungsproben – Über einige Beweislasten bei der Verteidigung der liberalen Demokratie. In: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Demokratie am Wendepunkt. Die demokratische Frage als Projekt des 21. Jahrhunderts. Berlin 1996, S. 141-157, S. 143.
[4] Vgl. Offe, a.a.O., S. 143.
[5] Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Demokratie am Wendepunkt. Die demokratische Frage als Projekt des 21. Jahrhunderts. Berlin 1996.
[6] Forndran, Erhard: Demokratie in der Krise? In: Gegenwartskunde, 4/1993, S. 495-525.
[7] Weidenfeld, Vorwort, 1996, S. 10.
[8] An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass einfachheitshalber in der Regel der männliche Sprachgebrauch verwendet wird. Etwaige weibliche Leser werden hiermit um Nachsicht gebeten.
[9] Vgl. Weidenfeld, Vorwort, 1996, S. 10.
[10] Vgl. Weidenfeld, Vorwort, 1996, S. 10.
[11] Vgl. ebd.
[12] Vgl. Massing, Peter: Demokratietheoretische Grundlagen der politischen Bildung im Zeichen der Globalisierung. In: Butterwege, Christoph/Hentges, Gudrun (Hrsg.): Politische Bildung und Globalisierung. Opladen 2002, S. 25-42, S. 33.
[13] Schmalz-Bruns, Rainer: Reflexive Demokratie. Die demokratische Transformation moderner Politik. Baden-Baden 1995, 15.
[14] Vgl. Gebhardt, Jürgen: Die Idee des Bürgers. In: Beyme, Klaus von/ Offe, Claus (Hrsg.): Politische Theorien in der Ära der Transformation. PVS Sonderheft. Opladen 1996, S. 349-361, S. 349. Vgl. Schmalz-Bruns, Demokratie, 1995, S. 15.
[15] Vgl. Breit, Gotthard/Massing, Peter: Einleitung. In: Dieselben (Hrsg.): Die Rückkehr des Bürgers in die politische Bildung. Schwalbach im Taunus 2002, S. 7-9, S. 7.
[16] Vgl. Beer, Wolfgang/Cremer, Will/Massing, Peter: Einleitung: Politische Bildung zwischen Tradition und Umbruch. In: Dieselben (Hrsg.): Handbuch politische Erwachsenenbildung. Schwalbach im Taunus 1999, S. 11-19, S. 16.
[17] Beer/Cremer/Massing, Einleitung, 1999, S. 16.
[18] Vgl. Massing, Globalisierung, 2002, S. 26 f.
[19] Hartwich, Hans-Hermann: Politische Bildung und Politikwissenschaft im Jahre 1987. In: Gegenwartskunde, 1/1987, S. 5-17, S. 10.
[20] Vgl. Massing, Globalisierung, 2002, S. 27.
[21] Vgl. Massing, a.a.O., S. 27 f.
[22] Vgl. ebd.
[23] Massing, Globalisierung, 2002, S. 28.
[24] Vgl. Massing, a.a.O., S. 27 f.
[25] Gagel, Walter: Geschichte der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1989. Opladen, 2. überarbeitete Auflage 1995, S. 281.
[26] Massing, Globalisierung, 2002, S. 29.
[27] Gagel, Geschichte, 1995, S. 291.
[28] Vgl. Massing, Globalisierung, 2002, S. 29 f.
[29] Vgl. Dettling, Warnfried: Bürgergesellschaft. Möglichkeiten, Voraussetzungen und Grenzen. In: APuZ, B 38/1998, S. 22-28, S. 22.
[30] Dettling, Bürgergesellschaft, 1998, S. 22.
[31] Vgl. ebd.
[32] Vgl. Holtmann, Everhard: Das Demokratieverständnis in seinen unterschiedlichen Dimensionen – Eine vergleichende Betrachtung ostdeutscher und westdeutscher Einstellungen. In: Gegenwartskunde, 1/2000, S. 61-70, S. 69.
[33] Die Begriffe Input und Output beziehen sich auf das von David Easton entwickelte Politik-System-Schema. Indem das Politik-System in ein Flussmodell eingespannt ist, welches auf einen Rückkopplungsprozess zwischen Eingaben (Inputs) und Ausgaben (Outputs) begründet ist. Vgl. Waschkuhn, Arno: Demokratietheorien. Politiktheoretische und ideengeschichtliche Grundzüge. München, Wien, Oldenburg 1998, S. 12 f. In diesem Zusammenhang wollen inputorientierte Demo-kratietheorien das politische System nicht von seinen Leistungen her rationalisieren. Sie möchten, dass politische Entscheidungen aus einer möglichst gleichen Partizipation aller Bürger hervorgehen sollen. Vgl. Waschkuhn, a.a.O., S. 18. Demgegenüber setzen output-orientierte Demo-kratietheorien zunächst eine bestimmte Qualität politischer Entscheidungen fest. Von diesem Punkt aus bestimmen sie dann die weiteren Anforderungen an das politische System. Vgl. Waschkuhn, a.a.O., S. 17.
[34] Buchstein, Hubertus: Die Zumutungen der Demokratie. Von der normativen Theorie des Bürgers zur institutionell vermittelten Präferenzkompetenz. In: Beyme, Klaus von/ Offe, Claus (Hrsg.): Politische Theorien in der Ära der Transformation. PVS Sonderheft. Opladen 1996, S. 295-324. Buchstein, Hubertus: Bürgergesellschaft und Bürgerkompetenzen. In: Breit, Gotthard/Massing, Peter (Hrsg.): Die Rückkehr des Bürgers in die politische Bildung. Schwalbach im Taunus 2002, S. 11-27.
[35] Vgl. Schumpeter, Joseph A.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. München, 4. Auflage 1975.
[36] Vgl. Sartori, Giovanni: Demokratietheorie. Darmstadt 1997.
[37] Vgl. Putnam, Robert D.: Bowling Alone: America’s declining social capital. In: Journal of Democracy, Volume 6, Number 1 1995, S. 65-78. Vgl. Putnam, Robert D./Goss, Kristin A.: Einleitung. In: Putnam, Robert D. (Hrsg.): Gesellschaft und Gemeinsinn. Sozialkapital im internationalen Vergleich. Gütersloh 2001, S. 15-43. Vgl. Putnam, Robert D.: Symptome der Krise – Die USA, Europa und Japan im Vergleich. In: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Demokratie am Wendepunkt. Die demokratische Frage als Projekt des 21. Jahrhunderts. Berlin 1996, S. 52-80.
[38] Putnam, capital, 1995, S.65. Im Original: „Declining social capital“. Zur Klärung des Begriffs siehe Erläuterungen im Hauptteil im Abschnitt 2.1.1, S. 16.
[39] Vgl. Joas, Hans: Ungleichheit in der Bürgergesellschaft. Über einige Dilemmata des Gemeinsinns. In: APuZ, B 25-26/2001, S. 15-23.
[40] Vgl. Buchstein, Hubertus: Die Bürgergesellschaft – Eine Ressource der Demokratie? In: Breit, Gotthard/Schiele, Siegfried (Hrsg.): Demokratie-Lernen als Aufgabe der politischen Bildung. Bonn 2002, S. 198-222.
[41] Ackermann, Paul: Die Bürgerrolle in der Demokratie als Bezugsrahmen für die politische Bildung. In: Breit, Gotthard/Schiele, Siegfried (Hrsg.): Handlungsorientierung im Politikunterricht. Bonn 1998, S. 13-34, S. 14. Detjen, Joachim: „Der demokratiekompetente Bürger“ – Politikwissenschaftliche Anmerkungen zu einer normativen Leitvorstellung Politischer Bildung. Wolnzach 1999, S. 27. Detjen, Joachim: Bürgerleitbilder in der politischen Bildung. In: Politische Bildung, 4/2000, S. 19-38, S. 31. Massing, Peter: Theoretische und normative Grundlagen politischer Bildung. In: Breit, Gotthard/Massing, Peter (Hrsg.): Die Rückkehr des Bürgers in die politische Bildung. Schwalbach im Taunus 2002, S. 79-133, S. 113. Dieses Bürgerleitbild wird in der politikdidaktischen Fachliteratur tatsächlich als „reflektierter Zuschauer“ bezeichnet. Dabei soll nicht über den Bürger reflektiert werden, sondern der Bürger selbst soll über die Politik reflektieren können. Der Begriff sollte daher – zur Verdeutlichung – als reflektierender Zuschauer bezeichnet werden. Da der Begriff „reflektierter Zuschauer“ aber der Fachbegriff ist, wird er im Folgenden weiter verwendet.
[42] Vgl. Ackermann, Bürgerrolle, 1998.
[43] Vgl. Detjen, Bürger, 1999. Vgl. Detjen, Bürgerleitbilder, 2000.
[44] Vgl. Massing, Grundlagen, 2002.
[45] Vgl. Massing, Peter: Demokratie-Lernen oder Politik-Lernen? In: Breit, Gotthard/Schiele, Siegfried (Hrsg.): Demokratie-Lernen als Aufgabe der politischen Bildung. Bonn 2002, S. 160-187.
[46] Vgl. Schiele, Siegfried: Vorwort. In: Breit, Gotthard/Schiele, Siegfried (Hrsg.): Demokratie-Lernen als Aufgabe der politischen Bildung. Bonn 2002, S. VII-X, S. VII f.
[47] Vgl. Beutel, Wolfgang/Fauser, Peter (Hrsg.): Erfahrene Demokratie. Wie Politik praktisch gelernt werden kann. Opladen 2001.
[48] Vgl. Breit, Gotthard: Politisches Lernen versus soziales und gesellschaftliches Lernen. In: Politische Bildung, 3/2001, S. 112-116.
[49] Vgl. Himmelmann, Gerhard: Demokratie Lernen als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform. Ein Lehr- und Studienbuch. Schwalbach im Taunus 2001.
[50] Detjen, Bürger, 1999. Der Begriff “demokratiekompetenter Bürger“ meint in diesem Zusammenhang, dass dieser Bürger aufgrund seiner Kompetenzen und Einstellungen demokratietauglich ist. Er ist fähig und willig, sich aktiv für die Stabilität und Kontinuität der Demokratie einzusetzen. Vgl. hierzu Detjen, Bürger, 1999, S. 5 ff.
[51] Vgl. S. 1 f. dieser Arbeit.
[52] Vgl. S. 2 dieser Arbeit.
[53] Putman, capital, 1995. Putnam/Goss, Einleitung, 2001. Putnam, Symptome, 1996.
[54] Joas, Ungleichheit, 2001.
[55] Buchstein, Bürgergesellschaft, 2002.
[56] Torney-Purta, Judith/Lehmann, Hans Oswald/Schulz, Wolfram: Kurzbericht. Demokratie und Bildung in 28 Ländern. Politisches Verstehen und Engagement bei Vierzehnjährigen. (IEA Civic Education Study). Unter: http://www2.hu-berlin.de/empir_bf/reports.html, am 12. August 2002. Hoffmann-Lange, Ursula (Hrsg.): Jugend und Demokratie in Deutschland. DJI-Jugendsurvey 1. Opladen 1995. Gille, Martina/Krüger, Winfried (Hrsg.): Unzufriedene Demokraten. Politische Orientierungen der 16- bis 29jährigen im vereinten Deutschland. Opladen 2000. Deutsche Shell (Hrsg.): Jugend 2000. Band 1. Opladen 2000.
[57] Schröder , Gerhard: Die zivile Bürgergesellschaft. Anregungen zu einer Neubestimmung der Aufgaben von Staat und Gesellschaft. In: Süddeutsche Zeitung, Nummer 70 vom 24. März 2000, S. 19.
[58] Buchstein, Bürgerkompetenzen, 2002.
[59] Massing, Globalisierung, 2002.
[60] Vgl. für die Einteilung der heutigen Bandbreite demokratietheoretischer Konzeptionen, Massing, Grundlagen, 2002, S. 95.
[61] Buchstein, Bürgerkompetenzen, 2002. Buchstein, Zumutungen, 1996.
[62] Schmalz-Bruns, Demokratie, 1995.
[63] Massing, Grundlagen, 2002.
[64] Vgl. zur Ausdifferenzierung der normativen Demokratietheorien, Massing, Grundlagen, 2002, S. 95 f.
[65] Schumpeter, Kapitalismus, 1975.
[66] Sartori, Demokratietheorie, 1997.
[67] So bezieht sich z.B. Peter Massing bei seiner Darstellung der realistisch-empirischen Demokra-tietheorien im Wesentlichen auf diese beiden Vertreter. Vgl. Massing, Grundlagen, 2002, S. 96 ff.
[68] Bericht der Bundesregierung zu Stand und Perspektiven der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, Drucksache 12/1773, 10. Dezember 1991.
[69] Schiele, Siegried: Politische Bildung in schwierigen Zeiten. In: APuZ, B 47/1996, S. 3-8.
[70] Darmstädter Appell. Aufruf zur Reform der politischen Bildung in der Schule. Abgedruckt in: APuZ, B 47/1996, 34-38.
[71] Massing, Grundlagen, 2002.
[72] Gagel, Geschichte, 1995, S. 281.
[73] Vgl. hierzu Massing, Grundlagen, 2002, S. 130.
[74] Detjen, Bürger, 1999. Detjen, Bürgerleitbilder, 2000.
[75] Ackermann, Bürgerrolle, 1998.
[76] Massing, Grundlagen, 2002. Massing, Globalisierung, 2002.
[77] Klages, Helmut: Die Realität des Wertewandels. Ein Plädoyer für den faktenorientierten Blick. In: Klein, Ansgar (Hrsg.): Grundwerte der Demokratie. Bonn 1995, S. 81-86.
[78] Vgl. zu diesem Begriff S. 7 dieser Arbeit.
[79] Vgl. hierzu Massing, Grundlagen, 2002, S. 80.
[80] Torney-Purta/Lehmann/Schulz, Kurzbericht, 2002.
[81] Massing, Peter/ Weißeno, Georg: Einleitung: Für einen politischen Politikunterricht. In: Dieselben (Hrsg.): Politik als Kern der politischen Bildung. Wege zur Überwindung unpolitischen Politikunterrichts. Opladen 1995, S. 9-25.
[82] Massing, Peter: Wege zum Politischen. In: Massing, Peter/Weißeno, Georg (Hrsg.): Politik als Kern der politischen Bildung. Wege zur Überwindung unpolitischen Politikunterrichts. Opladen 1995, S. 61-98.
[83] Beutel/Fauser, Demokratie, 2001.
[84] Breit, Lernen, 2001.
[85] Himmelmann, Demokratie, 2001.
[86] Massing, Demokratie-Lernen, 2002. Massing, Peter: Für Politiklernen gibt es keinen Ersatz. In: Politische Bildung, 3/2001, S. 118-125.
[87] Massing, Demokratie-Lernen, 2002.
[88] Bärmeier, Erich: Schule in der Demokratie: Von der staatlichen zur gesellschaftlichen Veranstaltung. In: JfP, 1993, 3. Jahrgang, Halbband 2, S. 239-258.
[89] Schiele, Siegfried: Politische Bildung neu vermessen? In: Breit, Gotthard/Schiele, Siegfried (Hrsg.): Demokratie-Lernen als Aufgabe der politischen Bildung. Bonn 2002, S. 1-12.
[90] Massing, Demokratie-Lernen, 2002.
[91] Anzumerken ist, dass weder die Ökonomen noch die Soziologen “glücklich“ über den in ihren Augen inflationären Gebrauch des Begriffes Sozialkapital sind. Die Soziologen sehen darin einen weiteren Schritt der Eroberung der Sozialwissenschaften durch die Ökonomen. Und die Ökonomen halten diese Art des Konzepts des Sozialkapitals für nebulös und unmöglich zu messen. Vgl. Fukuyama, Francis: Der große Aufbruch. Wie unsere Gesellschaft eine neue Ordnung erfindet. Wien 2000, S.37.
[92] Vgl. Putnam, capital, 1995, S. 65 ff.
[93] Tocqueville, Alexis de: Über die Demokratie in Amerika. Stuttgart 1985.
[94] Vgl. Tocqueville, a.a.O., S. 15 ff. und S. 248 ff.
[95] Tocqueville, Demokratie, 1985, S. 249.
[96] Vgl. Putnam, Symptome, 1996, S. 16 f. Vgl. Fukuyama, Aufbruch, 2000, S. 36.
[97] Buchstein, Bürgergesellschaft, 2002, S. 200.
[98] Vgl. Putnam/Goss, Einleitung, 2001, S. 16 f.
[99] Buchstein, Bürgergesellschaft, 2002, S.200.
[100] Putnam, capital, 1995, S. 73.
[101] Dabei wird i.d.R. nicht das Sozialkapital als positiver Wert gemessen, sondern es ist leichter, die Abwesenheit von Sozialkapital festzustellen. Vgl. Offe, Claus/ Fuchs, Susanne: Schwund des Sozial-kapitals? Der Fall Deutschland. In: Putnam, Robert D. (Hrsg.): Gesellschaft und Gemeinsinn. Sozial-kapital im internationalen Vergleich. Gütersloh 2001, S. 417-514, S. 418 f.
[102] Vgl. Putnam/Goss, Einleitung, 2001, S. 24. Vgl. Offe/Fuchs, Schwund, 2001, S. 454. Vgl. Fukuyama, Aufbruch, 2000, S. 39 f.
[103] Beispielsweise wird zwischen formellem versus informellem, zwischen hoher Dichte und geringer Dichte, zwischen innen- und außenorientiertem und zwischen brückenbildendem versus bindendem Sozialkapital unterschieden. Vgl. Putnam/Goss, Einleitung, 2001, S. 25 ff.
[104] Vgl. Putnam, capital, 1995, S. 68 ff.
[105] Die Familie nimmt nach Putnams Ansicht eine zentrale Rolle für das Sozialkapital ein: „The most fundamental form of social capital is the family.“ Putnam, a.a.O., S. 73.
[106] Putnam, a.a.O., S. 74 f.
[107] Vgl. Rothstein, Bo: Sozialkapital im sozialdemokratischen Staat – das Schwedische Modell und die Bürgergesellschaft. In: Putnam, Robert D. (Hrsg.): Gesellschaft und Gemeinsinn. Sozialkapital im internationalen Vergleich. Gütersloh 2001 S. 115-197, S. 120 ff.
[108] Vgl. Offe/Fuchs, Schwund, 2001, S. 468 f.
[109] Vgl. Buchstein, Bürgergesellschaft, 2002, S. 206. Vgl. Joas, Ungleichheit, 2001, S.17.
[110] Vgl. Joas, Ungleichheit, 2002, S. 17.
[111] Buchstein, Bürgergesellschaft, 2002, S. 205.
- Arbeit zitieren
- Sven Kusserow (Autor:in), 2002, Die aktuelle Rolle des Bürgers in Demokratietheorie, Schule und politischer Bildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25049
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