Hartmann von Aue ist einer der wenigen Epenschreiber des deutschen Mittelalters. Sein "Iwein" enthält eine - moralisch überaus fragwürdige und vieldiskutierte - Szene, nämlich den Kampf des Protagonisten mit Ascalon. Die Arbeit liefert eine Analyse dieses Kampfes.
Inhaltsverzeichnis
1) Iweins Kampf mit Ascalon
2) Exkurs: Êre im Mittelalter
3) Exkurs: Grouz im Mittelalter
4) Exkurs: Gebaerde im Mittelalter
5) Literaturnachweis
Iweins Kampf mit Ascalon
Die Szene „Iweins Kampf mit Ascalon“ (Vers 1000 – Vers 1107)[1] kann als Schlüsselszene für das gesamte Stück betrachtet werden. Sie ist maßgeblich für die Charakterbestimmung des Protagonisten Iwein.
Zunächst verdient die Frage, wie es überhaupt zum Kampf der beiden Kontrahenten kommt, genauere Betrachtung.
Der „Iwein“ beginnt mit der Beschreibung eines geselligen Ritterrunde, in deren Rahmen Kalogrenant, einer der Ritter, eine Geschichte erzählt, die er vor zehn Jahren erlebt hat. In den Versen 94 bis 95 wird vorausgeschickt, dass die Geschichte „von grozer sîner swaere und von deheiner vrümekheit“ handele, also keinen rühmlichen Ausgang hätte.
Ab Vers 243 erzählt Kalogrenant von seiner missglückten Aventiure, von seinem Besuch im fremden Schloss und dem anschließenden Zusammentreffen mit dem Waldmann, der ihm den Weg zur Quelle weist, wo Kalogrenant dann den Stein begießt und damit ein Unwetter heraufbeschwört, und wie er anschließend von Ascalon, dem Herrn des Waldes, vernichtend geschlagen und sogar seines Pferdes beraubt wird.
Besonders einschneidend erscheint Kalogrenant die Tatsache, dass Ascalon ihn nach seinem Sieg nicht einmal beachtete, sondern im Gegenteil „do gebârter rehte diu gelîch als im aller tägelîch zehenstunt geschaehe alsame“.
Außerdem nimmt Ascalon Kalogrenants Pferd („er nam mîn ors und lie mich ligen,“ Vers 747), was eine empfindliche Verletzung der adeligen Ehre bedeutet.
Ehre war im Mittelalter von elementarer Bedeutung für ein Adelsgeschlecht oder einen Ritter.
Aus dem folgenden Auszug aus Shakespeares „König Richard der II.“ wird dies ersichtlich:
Ehr’ ist des Lebens einziger Gewinn,
Nehmt Ehre weg, so ist Leben hin.
Drum lasset mich um Ehre werben,
Ich leb’ in ihr und will in ihr auch sterben.[2]
Wurde man der Ehre beraubt, so verlangte der gängige Ehrenkodex die Wiederherstellung derselben. Meist war nicht nur die eigene Ehre, sondern auch die Ehre der ganzen Familie oder des Standes in Gefahr. Dabei konnte die Ehre nicht durch staatliche oder iudikative Institutionen wiederhergestellt werden, sondern unter anderem durch Blutrache, also durch ein Duell der beiden Kontrahenten oder eines Verwandten des Unterlegenen mit dem Sieger. Die Kämpfe gingen auf Leben und Tod oder bis zum Eingeständnis der Niederlage eines der Kontrahenten (als Bespiel aus dem Epos selbst wäre hier der Streit der beiden Schwestern zu nennen, bei der Iwein die jüngere und Gawein die ältere im Kampf vertritt.) und wurden als Gottesurteil (Ordal) angesehen.[3]
Iwein ist mit Kalogrenant verwandt (dies wird aus den Versen 803 bis 805 ersichtlich), und fühlt sich dazu verpflichtet, die Ehre Kalogrenants wiederherzustellen (Vers 806/807:“... ez richet von rehte mîn hant swas dir lasters ist geschehe.“).
An dieser Stelle möchte ich die Aventiuredefinition anbringen, die Kalogrenant selbst gegenüber dem Waldmann abgibt:
Vers 530 – 537 ich heize ein riter und hân den sin
daz ich suochende rîte
einen man der mit mir strîte
der gewâfent sî als ich.
daz prîset in, und sleht er mich:
gesige aber ich im an,
so hât man mich vür einen man
und wirde werder danne ich sî.
Nach dieser Definition liegt der Sinn einer Aventiure in der Mehrung von Ruhm und Ehre.
Außerdem erweckt die Definition Zweifel an Iweins völlig uneigennützigem Angebot,
Kalogrenants Ehre durch einen Zweikampf zu retten, es drängt sich der Verdacht auf, dass Iwein mehr auf die Mehrung seiner eigenen Ehre bedacht ist, besonders, wenn man die Textstelle Vers 900 bis Vers 960 näher betrachtet, in der Iwein vom Beschluss des Königs Artus erfährt, in vierzehn Tagen selbst zur Quelle zu reiten und Ascalon herauszufordern.
Wäre Iwein nur auf die Rettung der Ehre Kalogrenants bedacht gewesen, so hätte er sich wohl über diese Nachricht gefreut, statt dessen „ärgert“ er sich über die verpasste Gelegenheit zu ritterlicher Tat (vgl. Vers 912 bis 913: „... und will der künec selbe varn, mirn werde mîn rîterschaft benomen.“). Er ist sich im klaren darüber, dass er im Gefolge des Königs die Gelegenheit zum Kampf und somit zum Erwerb von Ruhm und Ehre nicht bekommen würde, da man „ranghöheren“ Rittern, wie zum Beispiel Gawein, den Vortritt lassen würde.
Er beschließt also, dem König zuvorzukommen und befiehlt seinem Knappen, sein Pferd zu satteln. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass Hartmann den Leser am Denkprozess des Protagonisten detailliert teilhaben lässt, indem er sich eines Inneren Monologs als Darbietungsweise bedient.
Betrachtet man nun die Kampfhandlung an sich, so fällt formal zunächst einmal der Erzählerkommentar ins Auge. Er ist in Ich – Form gehalten. Mohr weist darauf hin, dass Hartmann im Gegensatz zu Chrestien „auf jegliche Kampfschilderung verzichtet mit der Ausrede, es habe ja keine Augenzeugen gegeben, deshalb könne er seiner Heroldspflicht nicht genügen.“[4] Der These, Hartmann habe eben aus welchen Gründen auch immer die Kampfhandlung nicht detailliert beschreiben wollen, halte ich persönlich für falsch, im Gegenteil, meiner Meinung nach beweist der Erzählerkommentar, dass sich Hartmann durchaus rhetorischer Mittel bediente, um Spannungselemente einzubringen. Durch die Tatsache, dass Hartmann sagt, er könne den Kampf mit großem Aufwand an Worten ausmalen, wird dem Leser signalisiert, dass es viel Berichtenswertes gegeben hätte, also wird gewissermaßen die Phantasie des Lesers angeregt und Aufmerksamkeit erzeugt. Hartmann bedient sich hier eines Präteritio. Auch mit dem Hinweis „ir einer wart dâ erslagen“ erzeugt Hartmann Spannung, da er ja keine Namen nennt. Als weitere sprachliche Besonderheit fällt noch ins Auge, dass Hartmann mit der Aussage „er hete ungerne geseit / sô vil von sîner manheit / dâ von ich wol gemâzen mege / die mâze ir stiche und ir slege“ andeutet, er habe seine Geschichte vom Protagonisten selbst erzählt bekommen.
Der zentrale Vers der Szene, der elementar für die Einschätzung von Iweins Charakter ist, ist wohl „her Îwein jaget in âne zuht“ (Vers 1056).
Es existiert die Meinung, dass die Wendung „âne zuht“ dahingehend auszulegen sei, dass Iwein die Zügel seines Pferdes fallengelassen hätte, um einen schnelleren Ritt zu ermöglichen.
Zuht, die auch in den Ritterlichen Tugenden der geistlichen Reinheit auftaucht, wird im „Wörterbuch zu Iwein“[5] jedoch übersetzt mit „feine, höfische Sitten“, auch Erziehung. Die Formulierung „âne zuht“ würde somit bedeuten, dass Iwein Ascalon ohne höfische Sitten gejagt hätte.
Es gibt Hinweise aus dem Primärtext für die Übersetzung von „âne zuht“ mit „er ließ die Zügel seines Pferdes los“.
Zunächst einmal fällt zu Beginn der Szene eine Passage auf, die aussagt, dass beide Kontrahenten auf die Schnelligkeit ihrer Pferde bedacht waren: „sî nâmen diu ors mitten sporn: sus was in zuo ein ander ger.“ (Vers 1012 – 1013). Außerdem wird der Sieger, also Iwein, im Erzählerkommentar als „ein sô hövesch man“ (Vers 1040) beschrieben, durch diesen Teilsatz wird die Übersetzung mit „ohne feine höfische Sitten“ ad absurdum geführt.
Auch die Tatsache, dass Iwein im weiteren Verlauf des Textes als Held gehandelt wird, spricht für die Übersetzung mit „er ließ die Zügel seines Pferdes los“.
Auch für die Übersetzung der Wendung mit „ohne feine höfische Sitten“ sprechen diverse Äußerungen Hartmans aus dem Text. Bemerkenswert sind zunächst einmal die starken Gefühlsanwandlungen der Kontrahenten, die Hartmann in den Versen 1010 bis 1011 zum Ausdruck bringt („sî hete beide überladen grôz ernest unde zorn“). Sprachlich fällt hier auf, dass der Autor der Aussage durch „grôz“ sogar noch eine Steigerung verleiht.
Ebendiese starken Gefühle verleiten Iwein auch dazu, den tödlich verwundeten Ascalon zu verfolgen. Aus der Aussage „Doch was sîn meistiu swaere daz er im vor dan alsô lebendec entran“ (Vers 1132 bis 1134) kann entnommen werden, dass Ärger eine elementare Rolle spielte und Iwein im Affekt gehandelt haben könnte. Dies würde wiederum den ritterlichen Tugenden der Geistlichen Reinheit, die auch die Kontrolle der Affekte einschließen, entgegenstehen.
Bemerkenswert ist an dieser Stelle auch die Tatsache, dass die Kampfhandlung an sich trotz der fehlenden Fehdeansage ihren gewohnten Gang nimmt. Zu Anfang steht die Tjoste, der Speerkampf zu Pferd, nachdem die Speere verstochen sind, nimmt der Kampf seinen weiteren Verlauf im Schwertkampf. An anderer Stelle (Vers 7121) wird der Schwertkampf von Hartmann jedoch als „dörperheit“ bezeichnet, dies kann als tadelnde Anmerkung des Autors verstanden werden.
[...]
[1] Benecke, Lachmann, Wolff: Iwein, Urtext und Übersetzung. Berlin, New York 1981
[2] Rogalla von Biberstein, Johannes: Adelsherrschaft und Adelskultur in Deutschland. Frankfurt am Main,
Bern, New York, Paris 1989, Seite 138.
[3] Schneider, Hugo: Adel - Burgen – Waffen. Bern 1968, Seite 41.
Biberstein: Adelsherrschaft und Adelskultur in Deutschland, Seite 139.
[4] Mohr: Hartmann von Aue, Iwein. Mit Beobachtungen zum Vergleich des Yvain von Chrestien de
Troyes mit dem Iwein Hartmann von Aues, Göppingen 1985, Seite 194.
[5] Benecke, G.: Wörterbuch zu Hartmanns Iwein, Wiesbaden 1965.
- Citation du texte
- Wildis Streng (Auteur), 1999, Iweins Kampf mit Ascalon, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24481
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