Das Phänomen der Staatsverschuldung ist seit langem beobachtbar. Schon Cicero berichtet in „de re publica libri“ 1 davon als Problem. Viele Ökonomen kamen genauso zu einer negativen Bewertung. David Ricardo 2 sah die Staatsverschuldung als „schrecklichste Geisel“ der Nationen, wohingegen andere Ökonomen wie John Maynard Keynes oder die deutsche Finanzklassik 3 zu einem gänzlich anderen Urteil kamen. So lange schon von der Staatverschuldung die Rede ist, so aktuell ist aber auch das Thema, wie aktuelle Schlagze ilen in Bezug auf den europäischen Stabilitätspakt belegen. 4
Im internationalen Vergleich der westlichen Industrieländer weisen die Budgetdefizite und die Schuldenstände der einzelnen Staaten beträchtliche Unterschiede auf. 5 Im Jahr 2002 hatten einige Länder wie Irland niedrige Schuldenquoten von unter 40 % des BIP, Luxembur g hat sogar nur eine Schuldenquote von etwa 5 % des BIP. Andere Staaten wie Japan, Italien oder Belgien sind mit über 100 % des BIP verschuldet 6 . Auch die Budgetdefizite nehmen international unterschiedliche Werte an: Während im Jahr 2002 einige Länder wie z.B. Dänemark Haushaltsüberschüsse produzierten und somit ihre Schuldenlast verringerten standen andere Länder tief in den roten Zahlen. So betrug das Budgetdefizit in Japan im Jahr 2002 6,7 % des BIP. 7
Ebenso änderten sich im zeitlichen Verlauf der Schuldenstand und die Budgetdefizite der betrachteten Staaten in beträchtlichem Umfang. So lässt sich allgemein beobachten, dass die meisten Staaten ihren relativ hohen Schuldenstand nach dem zweiten Weltkrieg in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts verringern konnten. Diese Phase der Konsolidierung fand jedoch mit dem ersten Ölpreisschock 1973 ein abruptes Ende. In der Folge des Ölpreisschocks stiegen die Schuldenstände der meisten OECD-Staaten stark an. Einige Länder konnten sich dieser Entwicklung jedoch entziehen. Diesem ersten Schuldenschub schloss sich eine Phase der Konsolidierung in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts an.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. ökonomische Erklärungsansätze
2.1. Die Steuerglättungshypothese
2.2. Deficit spending
2.3. Bewertung
3. Polit-ökonomische Erklärungsansätze
3.1. Institutionenunabhängige polit-ökonomische Erklärungsansätze
3.1.1. Der Keynesianismus als ideologischer Wegbereiter der Staatsverschuldung
3.1.2. Die Schuldenillusion
3.1.3. Die Gegenwartspräferenz
3.1.4. Die Common-Pool Problematik
3.1.5. Der Einfluss von Bürokraten
3.2. Polit-ökonomisch-institutionelle Erklärungsansätze
3.2.1. Wahlebene
3.2.1.1. Pork-Barrel Politics
3.2.1.2. Politische Konjunkturzyklen
3.2.2. Der Einfluss von Parteien auf die Staatsverschuldung
3.2.2.1. Ideologische Ausrichtung von linken Parteien
3.2.2.2. Die modifizierte Steuerglättungshypothese
3.2.3. Der Einfluss des Regierungssystems auf die Staatsverschuldung
3.2.3.1. Verschuldung als strategische Variable einer Regierung
3.2.3.2. Der Einfluss der Stärke der Regierung auf die staatliche Verschuldung
3.2.4. Der Einfluss weiterer institutioneller Konstellationen
3.2.4.1. Der Einfluss von unabhängigen Notenbanken auf die Staatsverschuldung
3.2.4.2. Einfluss von Budgetfindungsregeln auf die Staatsverschuldung
3.2.4.3. Der Einfluss einer föderativen Staatsorganisation auf die Staatsverschuldung
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Das Phänomen der Staatsverschuldung ist seit langem beobachtbar. Schon Cicero berichtet in „de re publica libri“[1] davon als Problem. Viele Ökonomen kamen genauso zu einer negativen Bewertung. David Ricardo[2] sah die Staatsverschuldung als „schrecklichste Geisel“ der Nationen, wohingegen andere Ökonomen wie John Maynard Keynes oder die deutsche Finanzklassik[3] zu einem gänzlich anderen Urteil kamen. So lange schon von der Staatverschuldung die Rede ist, so aktuell ist aber auch das Thema, wie aktuelle Schlagzeilen in Bezug auf den europäischen Stabilitätspakt belegen.[4]
Im internationalen Vergleich der westlichen Industrieländer weisen die Budgetdefizite und die Schuldenstände der einzelnen Staaten beträchtliche Unterschiede auf.[5] Im Jahr 2002 hatten einige Länder wie Irland niedrige Schuldenquoten von unter 40 % des BIP, Luxemburg hat sogar nur eine Schuldenquote von etwa 5 % des BIP. Andere Staaten wie Japan, Italien oder Belgien sind mit über 100 % des BIP verschuldet[6].
Auch die Budgetdefizite nehmen international unterschiedliche Werte an: Während im Jahr 2002 einige Länder wie z.B. Dänemark Haushaltsüberschüsse produzierten und somit ihre Schuldenlast verringerten standen andere Länder tief in den roten Zahlen. So betrug das Budgetdefizit in Japan im Jahr 2002 6,7 % des BIP.[7]
Ebenso änderten sich im zeitlichen Verlauf der Schuldenstand und die Budgetdefizite der betrachteten Staaten in beträchtlichem Umfang. So lässt sich allgemein beobachten, dass die meisten Staaten ihren relativ hohen Schuldenstand nach dem zweiten Weltkrieg in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts verringern konnten. Diese Phase der Konsolidierung fand jedoch mit dem ersten Ölpreisschock 1973 ein abruptes Ende. In der Folge des Ölpreisschocks stiegen die Schuldenstände der meisten OECD-Staaten stark an. Einige Länder konnten sich dieser Entwicklung jedoch entziehen. Diesem ersten Schuldenschub schloss sich eine Phase der Konsolidierung in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts an. Diese Phase war jedoch nur kurz. Heute kann man weiterhin einen Trend zu wachsenden Staatsschulden beobachten.[8]
Diese Arbeit gibt einen Überblick über die vorhandenen Ansätze, die diese Entwicklung erklären wollen. Dabei wird zuerst kurz die ökonomische Rechtfertigung der Staatsverschuldung abgehandelt. Im Weiteren wird auf verschiedene polit-ökonomische Erklärungsansätze eingegangen. Diese sollen die Staatsverschuldung nicht rechtfertigen, sondern sind als positive[9] Erklärungsversuche zu verstehen, die versuchen, die Ursachen der Entwicklung zu erläutern.
2. Ökonomische Erklärungsansätze
Diese Erklärungsansätze versuchen die Staatsverschuldung als ökonomisch notwendiges Instrument zu rechtfertigen.
2.1. Die Steuerglättungshypothese
Die Steuerglättungshypothese oder „tax-smoothing hyptohesis“ ist der Theorie der optimalen Besteuerung zuzuordnen. Sie geht auf Robert J. Barro[10] zurück. In dieser Betrachtungsweise besitzt das ricardianische Äquivalenztheorem Gültigkeit.[11] Barro schlägt vor, die Staatsverschuldung als Instrument zur Minimierung der Zusatzlast der Besteuerung zu verwenden. Dabei geht er von einem langfristigen Finanzbedarf des Staates aus, der kurzfristigen Schwankungen unterworfen ist. So hat der Staat in Krisenzeiten, beispielsweise im Kriegsfall, deutlich höhere Ausgaben als in Zeiten normaler wirtschaftlicher Entwicklung. Andererseits kann es auch Situationen geben, in denen die staatlichen Einnahmen ungewöhnlich hoch sind. Würden diese Schwankungen im Finanzbedarf nur durch Steuererhöhungen und -senkungen ausgeglichen, käme es zu starken Schwankungen der Steuersätze. Dies wiederum würde zu hohen Zusatzlasten der Besteuerung führen. Um diese Zusatzlasten zu vermeiden, schlägt Barro vor, einen konstanten Steuersatz beizubehalten, der den langfristigen Finanzbedarf des Staates deckt.
Der konstante Steuersatz wird so gewählt, dass die staatliche intertemporale Budgetbedingung eingehalten wird. Das bedeutet, dass der Gegenwartswert der staatlichen Ausgaben dem Gegenwartswert der staatlichen Einnahmen entspricht.
Kurzfristige Ausgabenschwankungen sollen nun durch Budgetdefizite ausgeglichen werden. Dabei geht es Barro nur um die Minimierung der Zusatzlasten, nicht aber um den Ausgleich konjunktureller Schwankungen im Sinne einer keynesianischen Stabilisierungspolitik.
2.2. Staatsverschuldung als Mittel der keynesianischer Stabilisierungspolitik
Nach den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts änderte sich die Einstellung in den meisten Staaten zur Rolle der Wirtschaftspolitik. An die Stelle einer passiven Wirtschaftspolitik trat die Idee der konjunktursteuernden Stabilisierungspolitik. Die Idee für diese Art des „deficit spending“ geht auf die Arbeiten von John M. Keynes zurück. Arbeitslosigkeit wird dieser Theorie nach in erster Linie auf zu geringe gesamtwirtschaftliche Nachfrage zurückgeführt. Deshalb soll der Staat in einer rezessiven Phase durch „deficit spending“, das heißt durch schuldenfinanzierte Staatsausgaben, die mangelnde Nachfrage ausgleichen. In einer konjunkturellen Hochphase sollen dann Überschüsse stillgelegt werden. Auf diese Weise sollen die Konjunkturzyklen abgeschwächt werden.
2.3. Bewertung
Beide hier vorgestellt Rechtfertigungen der Staatsverschuldung können Ausmaß, zeitliche und geographische Streuung der beobachtbaren Staatsverschuldung nicht erklären.
Barro testete seine Steuerglättungshypothese anhand von Daten der amerikanischen Finanzpolitik vom ersten Weltkrieg bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Diese Daten ergeben, dass die in diesem Zeitraum zu beobachtende Verschuldung durch die Steuerglättungshypothese zu erklären ist. Bei anderen empirischen Untersuchungen kamen jedoch auch weniger aussagekräftige Ergebnisse zustande. Die Steuerglättungshypothese vermag nicht die starke Schwankung der Staatsschuld über verschiedene Staaten und den extrem starken und anhaltenden Anstieg seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts erklären.[12] Die Idee des „deficit spending“ kann das Ausmaß der Staatsverschuldung zumindest in Teilen erklären: Viele Staaten reagierten in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts auf die Ölschocks mit expansiver Fiskalpolitik.
3. Polit-ökonomische Ansätze
Die vorangegangenen ökonomischen Ansätze konnten keine zufrieden stellenden Erklärungen für das Phänomen der Staatsverschuldung in seinen Ausprägungen bieten. Da die Staatschuld große Unterschiede über verschiedene Länder aufweist und auch im zeitlichen Verlauf stark schwankt, liegt die Vermutung nahe, dass nicht nur ökonomische Faktoren für die Staatsverschuldung verantwortlich sind, sondern auch polit-ökonomisch-institutionelle Faktoren. Es gibt eine große Anzahl an Theorien und viel Literatur, die diesen Ansatz verfolgen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie nicht vom Staatsbild der Wohlfahrtsökonomie ausgehen. Dieses betrachtet den Staat als einen monolithischen, wohlmeinenden Diktator, der die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt zu maximieren sucht. Stattdessen ist das Weltbild dieser Ansätze der Neuen Politischen Ökonomie zuzuordnen. Der Staat kann tritt nicht als organische Einheit auf, sondern nur Individuen können handeln. Im Sinne des methodologischen Individualismus[13] handeln sie rational und verfolgen das eigene Interesse.
Um die Frage nach den Ursachen der Staatsverschuldung zu erklären, müssen diese Ansätze vor allem zwei Fragen beantworten: Warum gibt es in einigen Staaten sehr hohe Staatsschulden und in manchen sehr niedrige? Warum kann gerade zu Beginn der 70er Jahre ein massiver Zuwachs der Staatsschulden beobachtet werden?[14]
Dabei wird in dieser Arbeit zuerst auf polit-ökonomische Erklärungsansätze eingegangen, die alle westlichen Industrieländer betreffen und die nicht direkt vom institutionellen Gefüge eines einzelnen Staates abhängen. Anschließend wird auf die Auswirkung bestimmter institutioneller Faktoren wie des Wahlsystems, des Parteiensystems und der Organisationsform der Regierung eingegangen.
3.1. Institutionenunabhängige polit-ökonomische Erklärungsansätze
Viele polit-ökonomische Theorien erklären nicht direkt das Wachstum der staatlichen Schulden, sondern steigende staatliche Ausgaben. Bei konstanten oder rückläufigen Einnahmen des Staates sind wachsende staatliche Ausgaben jedoch eine Ursache staatlicher Verschuldung, zumindest gehen sie miteinander einher.[15]
3.1.1. Der Keynesianismus als ideologischer Wegbereiter der Staatsverschuldung
Buchanan und Wagner[16] kommen zum Schluss, dass die Verbreitung der keynesianischen Wirtschaftstheorie entscheidend zur Schuldenentwicklung in den westlichen Industrienationen beigetragen hat. Die von der keynesianischen Theorie befürwortete Politik des „deficit spending“, sei schnell auch unter Nicht-Ökonomen und Politikern populär geworden. So seien für Politiker die psychologischen Schranken gefallen, hohe Schulden aufzunehmen. Allerdings sei die keynesianische Stabilisierungspolitik niemals umgesetzt worden, weil zwar stets in der Krise „deficit spending“ betreiben worden sei, jedoch niemals in Zeiten starken ökonomischen Wachstums die Steuern erhöht und die Schulden zurückgezahlt worden seien.
3.1.2. Schuldenillusion
Die Grundidee des Konzepts der Schuldenillusion ist, dass die Wähler in einer repräsentativen Demokratie die Schuldenlast systematisch zu niedrig bewerten. Buchanan und Wagner[17] argumentieren folgendermaßen: Wähler haben nur unvollkommene Informationen über das staatliche Budget. Dadurch ergeben sich Fehler in der Bewertung der Kosten, die für die Bereitstellung öffentlicher Güter entstehen. Diese Fehler sind jedoch noch nicht per se systematisch, d.h. es gibt keine systematische Verzerrung der Wahrnehmung der Kosten für öffentliche Güter nach unten. Doch durch den Einsatz der staatlichen Verschuldung können Politiker, die nicht an einer effizienten Bereitstellung öffentlicher Güter, sondern an ihrer Wiederwahl interessiert sind, die Wähler systematisch täuschen: Die Wähler nehmen zukünftige Schuldenlasten weniger stark wahr als aktuelle Steuerlasten. Sie halten die angebotenen öffentlichen Güter für billiger als es der Realität entspricht. So werden größere, über staatliche Budgetdefizite finanzierte Mengen öffentlicher Güter nachgefragt.
3.1.3. Gegenwartspräferenz
Cukierman und Meltzer[18] schlagen folgendes Modell vor: Sie gehen davon aus, dass die Größe des Budgetdefizits durch einfache Mehrheitsentscheidung getroffen wird. Es gibt zwei Arten von Individuen: solche, die reich sind und ein positives Erbe hinterlassen wollen, und Arme, die gerne eine negatives Erbe hinterlassen wollen. Dies geht allerdings nicht. Deshalb stimmen sie für ein größeres Budgetdefizit, um mehr in der jetzigen Periode konsumieren zu können und die Lasten dafür in die Zukunft zu verschieben. Die Reichen stehen dem indifferent gegenüber. Die Tendenz geht dabei also zu einem höheren Budgetdefizit. Die Größe des Budgetdefizits hängt dabei von mehreren Determinanten ab: Das Budgetdefizit steigt mit höherem erwarteten Wirtschaftswachstum, mit einem größeren Anteil armer Menschen an der Bevölkerung, mit einem geringeren Anteil an Beziehern von Arbeitseinkommen, mit größerer Ungleichheit der Vermögen, mit höherer erwarteter Rentenbezugsdauer, mit höherem Verschuldungsstand in der betrachteten Periode und mit höherer Verschuldungspräferenz des Medianwählers.
Empirisch ist dieser Ansatz nicht untermauert, Tests kommen zu keiner Bestätigung.[19]
3.1.4. Die Common-Pool Problematik
Die Common-Pool Problematik taucht in vielen verschiedenen Variationen in der Literatur zur politischen Ökonomie der Staatsverschuldung auf. Dieses Problem wird auch noch an weiteren Stellen der Arbeit im Zusammenhang mit konkreten institutionellen Konstellationen erscheinen. Hier soll die Common-Pool Problematik im Zusammenhang mit dem Einfluss von Interessengruppen auf Budgetentscheidungen dargestellt werden.
Interessengruppen sind Zusammenschlüsse von Individuen mit relativ homogenen Präferenzen. Sie haben Expertenwissen, können ihre Mitgliedschaft schnell mobilisieren und haben durch geschlossenes Wahlverhalten beträchtliche politische Macht. Ziel der Interessengruppen ist es, dass möglichst große Teile des öffentlichen Budgets für ihre Klientel eingesetzt werden, und die Kosten dafür möglichst breit auf alle Steuerzahler gestreut werden.[20]
Aus der Sicht der Politiker ist es rational, die Präferenzen von Interessengruppen zu bedienen. Auf diese Weise kann man einfach viele Wählerstimmen auf einmal gewinnen.
Dadurch wird der Nutzen staatlicher Ausgaben konzentriert einigen Gruppen bereitgestellt, die Kosten werden jedoch breit gestreut. Bei dieser Betrachtungsweise ist das staatliche Budget als Kollektivgut zu sehen, bei dem Interessengruppen die Kosten der Nutzung nicht vollständig internalisieren. Dadurch kommt ein größeres staatliches Budget zustande als es eigentlich optimal wäre. So steigen die staatlichen Ausgaben. Dies behindert die Konsolidierung der Staatsausgaben in Zeiten, in denen dies notwendig wäre.
3.1.5. Der Einfluss von Bürokraten
Das staatliche Budget wird nicht von Politikern, sondern von der ausführenden Verwaltung, d.h. von Bürokraten implementiert. Sie verfügen über Spezialwissen und sind die eigentlichen Anbieter staatlicher Leistungen. Bürokraten verfolgen allerdings genauso wie Politiker ihren Eigennutz. Sie sind also auch Nachfrager staatlicher Leistungen. Allerdings ziehen sie nicht nur solchen Nutzen aus staatlichen Leistungen wie dies jeder Wähler tut, sondern sie ziehen vor allem Nutzen daraus, staatliche Programme zu verwalten. Je höher das Budget ist, das ein Bürokrat zu verwalten hat, desto höher sein Prestige, die Anzahl seiner Untergebenen, die Größe seines Büros, sein Gehalt etc. Deshalb verfolgen Bürokraten das Ziel der Budgetmaximierung[21]. Auch dies führt tendenziell zu überhöhten Budgets, die wiederum tendenziell zu einer staatlichen Verschuldung führen. Als Indikator zur empirischen Überprüfung dieses Ansatzes kann die Zahl der Staatsbediensteten im Verhältnis zu allen Beschäftigten dienen. Wagschal[22] bestätigt im Großen und Ganzen die Relevanz dieser Theorie.
3.2. Polit-ökonomisch-institutionelle Ansätze
Der Einfluss polit-institutioneller Konstellationen auf die staatliche Verschuldung ist ein großer Komplex. Bei fast allen der folgenden Theorien, die die staatliche Verschuldung auf institutionelle Arrangements zurückführen, spielen mehrere institutionelle Ebenen zusammen. Insbesondere beeinflussen sich das Wahlsystem, das Parteiensystem und das Regierungssystem gegenseitig. Deshalb können die meisten Theorien nicht eindeutig einer Ebene zugeordnet werden. Weitgehend ungeklärt ist, in wie weit Institutionen wie das Wahlsystem exogen sind oder auch von politischen Ergebnissen wie übermäßigen Budgetdefiziten beeinflusst werden.[23]
Im Folgenden wird zuerst auf die Wahlebene eingegangen. Anschließend wird das Parteiensystem und das Regierungssystem betrachtet. Dabei kommt es jedoch unvermeidlich immer wieder zu Berührungspunkten mit dem Wahlsystem. Abschließend werden Institutionen untersucht, die vom Wahl-, Parteien- und Regierungssystem nicht direkt abhängen.
3.2.1. Der Einfluss des Wahlsystem auf die staatliche Verschuldung
3.2.1.1. Pork-Barrel Politics
Das Institutionengefüge eines Staates wird entscheidend durch sein Wahlsystem bestimmt.
Weingast, Shepsle und Johnson[24] erklären überhöhte Staatsausgaben durch eine Variante des Common-Pool Problems, die sich auf das Wahlsystem bezieht. Die meisten westlichen Industrieländer haben repräsentative Demokratien, bei denen Abgeordnete aus lokalen Wahlkreisen in das Parlament entsendet werden, das das staatliche Budget zu beschließen hat.
Jeder dieser Abgeordneten ist selbst Nutzenmaximierer und will deshalb wieder gewählt werden. Deshalb versucht er so viele staatliche Ausgaben wie nur möglich in seinen Wahlkreis zu holen. Dabei profitiert der Wahlkreis doppelt von staatlichen Investitionen: Die lokale Wirtschaft erhält Aufträge und das erstellte öffentliche Gut stiftet Nutzen. All dies geht direkt in die Nutzenfunktion des Abgeordneten ein. Die Kosten für die öffentlichen Investitionen werden dagegen breit über alle Steuerzahler gestreut. Deshalb internalisiert der Abgeordnete die Kosten öffentlicher Ausgaben nur zu einem kleinen Teil.
Da jeder Abgeordnete eine einfache Mehrheit im Parlament benötigt, um „sein Projekt“ vor Ort realisieren zu können, ist er auf die Stimmen anderer Abgeordneter angewiesen. Diese Stimmen holt er sich durch Stimmentausch oder „logrolling“[25]. Dabei bildet er mit anderen Abgeordneten Koalitionen und stimmt für deren Projekte, die ihm eigentlich keinen oder geringen negativen Nutzen bringen, weil diese wiederum für sein Projekt, das ihm großen Nutzen bringt, stimmen. Auf diese Weise kommt ein höheres staatliches Budget zustande als effizient wäre.
3.2.1.2. Politische Konjunkturzyklen
Der Begriff Konjunkturzyklus beschreibt gewöhnlich die konjunkturellen Schwankungen, die sich über die Zeit im Wachstum der Wirtschaft ergeben. Dabei erklären ökonomische Variablen die konjunkturellen Auf- und Abschwungphasen.
Bei den politischen Konjunkturzyklen geht man davon aus, dass die konjunkturelle Entwicklung nicht nur von ökonomischen Determinanten abhängt, sondern von politischen Entscheidungen der Regierenden. Diese wirtschaftspolitischen Entscheidungen werden von eigennutzorientierten Politikern getroffen, deren Ziel es ist, wieder gewählt zu werden.
Die grundlegenden Varianten des politischen Konjunkturzyklus sind in Abbildung 1 im Anhang dargestellt.
In der gebotenen Kürze dieser Arbeit kann allerdings nicht auf alle Varianten des politischen Konjunkturzyklus eingegangen werden. Deshalb sollen hier nur das ursprüngliche Nordhaus-Modell und die Partsian-Modelle von Hibbs, Frey/Schneider und Alesina dargestellt werden. Diese Modelle erscheinen im Bezug auf die untersuchte Frage der Staatsverschuldung am bedeutendsten.[26]
Der Political Business Cycle: Das Nordhaus-Modell
Nordhaus[27] geht bei seinem Modell des politischen Konjunkturzyklus von folgenden Annahmen aus:
- Es existiert ein Trade-off zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit, wie er durch die modifizierte Phillips-Kurve dargestellt wird.
- Die Individuen bilden adaptive Erwartungen. Das bedeutet, sie orientieren ihre Erwartungen für eine bestimmte ökonomische Größe am Wert der letzten Periode und am ihrem Irrtum über den Wert der letzten Periode.
- Die Politiker verhalten sich ausschließlich wiederwahlorientiert, sie verfolgen keine ideologischen Ziele. Die Regierung hat keinen Einfluss auf den Wahlzeitpunkt
- Für die Wähler sind bei ihrer Wahlentscheidung die beiden Größen Arbeitslosigkeit und Inflation maßgeblich. Dabei bewerten sie die Arbeitslosigkeit stärker. Sie bewerten die politischen Ergebnisse, die kurz vor der Wahl liegen stärker, als weiter zurück liegendes Regierungshandeln.
Im Nordhaus-Modell verfolgt die Regierung ausschließlich ihre Wiederwahl. Deshalb nutzt sie die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente der Fiskalpolitik, um die Chancen ihrer Wiederwahl zu maximieren. Da sowohl die Inflation als auch die Arbeitslosigkeit in die Wahlentscheidung der Wähler mit einbezogen werden, muss die Regierung beide ökonomischen Größen optimieren. Allerdings muss sie den durch die Phillips-Kurve beschriebenen Trade-off berücksichtigen. Da die Wähler jedoch die Arbeitslosigkeit stärker in ihrer Wahlentscheidung berücksichtigen, ist es für die Regierung rational, diesen Trade-off auszunutzen. Deshalb wird die Regierung kurz vor den Wahlen mittels schuldenfinanzierter expansiver Fiskalpolitik versuchen, auf Kosten höherer Inflation die Arbeitslosigkeit zu senken, um ihre Wahlchancen zu erhöhen. Nach der Wahl wird sie eine restriktive Finanzpolitik verfolgen, um die Inflationsrate und damit auch die Inflationserwartungen zu senken, so dass vor der nächsten Wahl wieder ein Trade-off möglich ist. Dies führt zu einem politisch ausgelösten Konjunkturzyklus mit wechselnden Boomphasen mit wenig Arbeitslosigkeit und hoher Inflation vor den Wahlen und rezessiven Phasen mit sinkender Inflation und steigender Arbeitslosigkeit nach den Wahlen.
[...]
[1] Cicero (1973).
[2] Ricardo (1951).
[3] vgl. Wagschal (1996), S. 132f.
[4] z.B. Schlagzeile des Handelsblatt vom 27.11.2003: „ Deutschland rutscht noch tiefer in die Schuldenfalle“.
[5] Das Budgetdefizit ist eine Stromgröße. Sie wird entweder absolut oder in Relation zum Bruttoinlandsprodukt gemessen. Die Staatsschuld als Bestandsgröße wird im internationalen Vergleich auch meist im Verhältnis zum BIP gemessen.
[6] Siehe Anhang, Tabellen 1 und 2.
[7] Finanzbericht (2004).
[8] Stalder (1997), S. 23f.
[9] „Positiv“ ist hier nicht als wertend, sondern im beschreibenden Sinne zu verstehen.
[10] Barro (1979).
[11] Das ricardianische Äquivalenztheorem sagt vereinfacht aus, dass für den Staat Wahlfreiheit zwischen Steuerfinanzierung und Schuldenfinanzierung seiner Ausgaben besteht.
[12] Vgl. Roubini und Sachs (1989a).
[13] Vgl. Kirsch (1997).
[14] Vgl. Alesina und Perotti (1994).
[15] Vgl. Van Velthoven, Verbon, van Winden (1993), S.19 und Stalder (1997), S. 355.
[16] Vgl. Buchanan und Wagner (1977), S. 24.
[17] Vgl. Buchanan und Wagner (1977).
[18] Vgl. Cukierman und Meltzer (1989).
[19] Vgl. Wagschal (1996), S. 95.
[20] Die Größe des Budgets nimmt dabei mit zunehmender Anzahl von Interessengruppen zu. Vgl. Olson (1991).
[21] Vgl. Niskanen (1973), S. 33.
[22] Vgl. Wagschal (1996), S. 111ff.
[23] Vgl. Alesina und Perotti (1994).
[24] Vgl. Weingast, Shepsle und Johnson (1981).
[25] Vgl. Wagschal (1996), S. 90f.
[26] Vgl. Stalder (1997), S. 185f.
[27] Vgl. Nordhaus (1975) und Stalder (1997), S. 186.
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