Diese Arbeit leistet einen theologischen und emotional sehr Beitrag im hochaktuellen Diskurs um die Eigenverantwortung des Menschen für die Gestaltung seiner Beziehung zu Gott und Schöpfung. Ausgehend von einer prägnanten Analyse des alttestamentlichen Textes Genesis 3,1-24 gelangt die Autorin über die Auseinandersetzung mit der Frage nach Herkunft und Seinsweise von Gut und Böse zu einer möglichen Auflösung - nicht aber zu einem vergeblichen Versuch der Überwindung - des Fatums der ewigen Gefangenschaft des Menschen in der Widersprüchlichkeit seines Wesens. Zur Emanzipation von den Fesseln eines lähmenden Schuldvorwurfs wird schließlich die erlösende Einsicht, dass die freie Entscheidung zum aktiven Mittun an der Vollendung der Schöpfung den Weg zu wahrer Menschlichkeit bahnt. In einer Welt, die den Menschen auf dramatische Wese mehr und mehr seiner Natur entfremdet, wird so der Ruf: 'C' est la vie - aber das Leben ist schön...' zu einem ermutigenden Lächeln für jeden Menschen, der Gottes Schöpfung und damit sich selbst noch eine Chance geben möchte
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Die Gott-Mensch-Beziehung: Wie ein Paar, das sich missversteht
2.1. Der Anspruch Gottes: Rückgriff auf das Gebot in Gen 2,17
2.2. Das Vergehen des Menschen
2.2.1. Die Schlange im Dialog mit der Frau
2.2.2. Die Frau als Sündenbock. Warum redet die Schlange nur mit der Frau? Das Motiv vom Lebensbaum, der Schlange und der Frau
2.3. Die „starke“ Frau der „schwache“ Mann“? Zwei Modelle der Verführung
3. Die gefährdete Gott-Mensch-Beziehung: Vom Verlust des Vertrauens
3.1. `Elohim zu sein, verbietet sich von selbst
3.2. Das Böse gedeiht nur in der Abwesenheit des Guten
3.2.1. Die Verführung durch die Schlange: Das Erkennen von Gut und Böse
3.2.2. Nacktheit und Scham: Der Zusammenhang von Angst (Verstecken) 8 und Schuld
3.3. Das Verhör
3.4. Was ist das Geheimnisvolle an dem Wissen um Gut und Böse?
4. Die gewandelte Gott-Mensch-Beziehung: Der verantwortliche Mensch als Mitschöpfer
4.1. Die Bedeutung der Strafsprüche
4.2. Die Vertreibung aus dem Garten
4.2.1. Das Geschenk Gottes: Seine Sorge um den Menschen
4.2.2. Das Verbot, vom Baum des Lebens zu kosten: Der Mensch in seinen Grenzen
4.3. Von der Lust und Freude an der schöpferischen Kraft
5. Fazit
Literaturliste
Anhang: Text: Gen 3,1-24 (Zürcher Bibel)
Das, was Menschen tun müssen, werden sie spüren, wenn sie bei sich selber ankommen.
Eugen Drewermann
1. Einleitung
Die Erzählung Gen 3, 1-24 schließt als Teil der Urgeschichte an den jahwistischen Schöpfungsbericht an, und wird entsprechend auf ihn hin gedeutet. Auf die gute Schöpfung folgt der „Sündenfall“.
Ein unbefangenes Lesen der Erzählung verleitet spontan zu der Annahme, dass sich in ihr Antworten auf die Frage nach der Herkunft des Bösen finden lassen. Die Erzählung enthält jedoch ein sehr viel umfangreicheres Themenspektrum, deren Aussagekraft und Bedeutung die erste Vermutung fast nebensächlich werden lassen.
Die in der Erzählung geschilderten Verfluchungen verurteilen den Menschen zu einem Leben in Mühsal. Was meint der Verfasser, wenn er das Leben als Mühsal beschreibt? Die für mich spannendste Frage an diesem Text kreist daher um das Thema Arbeit und Neuschöpfung. In diesem Zusammenhang wird gerade die Frage nach der Schuld bzw. Schuldzuweisung bedeutsam, weil der Mechanismus der Schuldzuweisung im Widerspruch zum Schöpfungsgedanken selbst steht aber auch zur (täglichen) Neuschöpfung durch den Menschen.
Hier schließt die Frage nach der Relevanz des Textes für uns Menschen von heute an. Eine rein normative Betrachtung seiner Aussagen stünde im Widerspruch zu seiner Aktualität und seiner damit einhergehenden vielfältigen Deutungsmöglichkeiten.
Der Aufbau meiner Arbeit orientiert sich im wesentlichen an der Struktur der Erzählung. Allerdings spiegelt sich in ihrer Gliederung mein Anliegen wieder, die sich wandelnde Gott-Mensch-Beziehung in ihren verschiedenen Stadien zu zeigen: angefangen vom unverständigen, unmündigen Menschen, der einem Kleinkind gleich erschrocken ist über den Verlust des paradiesischen Zustandes, bis hin zum reifen Partner, der verantwortungsvoll seine Aufgaben als Mitschöpfer auf dieser Welt übernehmen will, um auf diese Weise das Paradies immer wieder neu zu gründen.
2. Die Gott-Mensch-Beziehung: Wie ein Paar, das sich missversteht.
2.1. Der Anspruch Gottes: Rückgriff auf das Gebot in Gen 2,17.
Die Erzählung Gen 3,1ff schließt unmittelbar an die vorangehende Paradies- Erzählung an, in der dem Menschen freigestellt wird, von allen Bäumen des Gartens zu essen, nur von einem nicht, da er sonst sterben müsse (Gen 2, 17).
Die implizite Aussage dieses Gebotes ist, dass es dem Menschen prinzipiell an nichts mangeln soll, dass er nichts entbehren soll. Und dieses Ver- bzw. Gebot soll den Menschen vor dem Tode bewahren. Der Sinngehalt dieses Gebotes, liegt nach Westermann in seinem Angebot. Der Mensch kann sich demnach in freier Entscheidung zu diesem Gebot verhalten. Diese Freiheit gehört unabdingbar zum Menschsein dazu, und dies zu zeigen, war die Intention des Erzählers. Insofern ist dieses Gebot zu verstehen als ein Beziehungsan gebot Gottes zu den Menschen und hat in diesem Sinne eine positive Bedeutung. Der freie und entscheidungsfähige Mensch wird in seiner Beziehung zu Gott ernst genommen (vgl. Westermann, S.127-130).
2.2. Das Vergehen des Menschen
Das o. g. Thema wird im Dialog der Schlange mit der Frau wieder aufgenommen. Und hier beginnt die eigentliche Erzählung vom „Sündenfall“. Was ist das Bedeutsame am Thema Verführung und Schuld?
2.2.1. Die Schlange im Dialog mit der Frau.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Schlange ist eine Verführerin. Mit ihrer List („nichts ist euch erlaubt“) bringt sie die innere Sicherheit des Menschen ins Schwanken, indem sie Wahrheiten solange verdreht, bis sie zur Lüge werden. Und mit dieser List fordert sie die ahnungslose Frau zum Widerspruch heraus. Im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit (auch der Baum steht im Zentrum des Gartens) steht nur noch das Verbotene (vgl. Gradwohl, S.45-47).
Wie hypnotisiert von ihrer Angst, erweitert die Frau selbst das ursprüngliche Verbot um den Zusatz, ihn auch nicht anzurühren. Die Geschichte des Bösen nimmt ihren Anfang durch das Auslösen der Angst durch die Schlange (vgl. Drewermann, S.26-33).
Schüngel-Straumann deutet das Auftreten der Schlange als einen Versuch des Erzählers, das Thema Verführung zu erläutern. Mit psychologischem Geschick lässt er die Schlange von außen an den Menschen herantreten, damit sie ihn dazu verführt, etwas zu tun, was er eigentlich nicht tun will. Das vom Erzähler verwendete Stilmittel ist hier die Verlagerung eines Prozesses, der normalerweise im Menschen stattfindet, nach außen, um ihn so sichtbar zu machen. Der Erzähler versucht auf diese Weise zu veranschaulichen, wie Schuld entstehen kann. Ebenso wie Westermann versucht auch Schüngel-Straumann sich von den vielen Deutungsmöglichkeiten zur Schlange zu lösen und den Text selbst zum Ausgangspunkt ihrer Deutungen zu machen. Anhand eines Wortspiels (das sich in der Übersetzung leider nicht widerspiegelt) verbindet sie mit der Schlange Klugheit (Weisheit „arum“) , aber auch List, Schläue, Tücke. „Ar(o)m“, das Wort für „nackt“, ist von seiner Wurzel her vom Wort „ar(u)m“ nicht zu unterscheiden. Als die kluge Schlange den Menschen verführt, von dem verbotenen Baum zu essen („sobald ihr davon esset, (werden) euch die Augen aufgehen“), damit auch sie klüger, weiser / nackter würden, gingen ihnen tatsächlich die Augen auf. Aber das Neue, das sie sahen (ihre Nacktheit), war nicht das, was sie erwartet hatten (Weisheit). Die sich windende Schlange hat zwar nicht gelogen, aber sich um die Begriffe „arom“ / „arum“gewunden. Jetzt erkennen die Menschen, wonach sie gesucht haben (Weisheit). Vorgefunden haben sie jedoch Nacktheit (vgl. Schüngel-Straumann, S.115-116).[1]
Die Schlange ist klug und sie verführt. Aber auch sie ist ein Geschöpf Gottes. So beinhaltet die gute Schöpfung paradoxerweise auch die Verführung. Für Westermann verweist dies zudem auch darauf, dass es dem Erzähler nicht darum geht, die Herkunft des Bösen zu erklären. Dies ist nicht erklärbar! Er will lediglich zeigen, dass das Gute neben dem Bösen existent ist und dass dieser Zustand ausgehalten werden muss (vgl. Westermann, S.131).[2]
2.2.2. Die Frau als Sündenbock. Warum redet die Schlange nur mit der Frau?
Das Motiv vom Lebensbaum, der Schlange und der Frau.
In älteren exegetischen Kommentaren wurde die Frau zur Trägerin der Sünde, zum Sündenbock gemacht.
Ein angemessenes Verständnis alttestamentlicher Texte bedingt aber eine genaue Kenntnis ihrer historischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entstehungssituation. Meillassoux weist darauf hin, dass die Unterordnung der Frau unter den Mann eine Folge der damaligen Familienstruktur in Israel war. Sie war ein kulturelles Phänomen und nicht naturgegeben. Insofern ist die Zuweisung von Geschlechterrollen an ganz spezifische historische und ökonomische Voraussetzungen gebunden (Meillassoux in: Crüsemann, S.49).
Um zu verstehen, wie es dennoch zu Fehldeutungen kommen konnte, lohnt es sich, das Motiv vom Lebensbaum, der Schlange und der Frau näher zu untersuchen. Dem Jahwisten war dieses Motiv aufgrund traditioneller Vorstellungen von der engen Verbundenheit von Baum und Frau (Göttin) in der alttestamentlichen Tradition vorgegeben, und konnte deshalb in seiner Zeit vorausgesetzt werden. In der gemeinsamen Darstellung von der (weisen) Frau unter, neben oder im (Lebens)-baum, auch schon in der altorientalischen Ikonographie, war die Frau ein Symbol für eine lebensspendenden Kraft. Sie wurde hier nicht geschlechtsspezifisch verstanden, sondern galt als Vertreterin der Menschheit insgesamt. Insofern lässt sich das Motiv vom Lebensbaum, der Schlange und der Frau wertfrei verstehen und kann nicht für Deutungen herangezogen werden, die die Frau als Verführerin verurteilen (vgl. Schüngel-Straumann, S.117-120).
2.3. Die „starke“ Frau der „schwache“ Mann“? Zwei Modelle der Verführung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nach Westermann geht es dem Erzähler nicht einfach nur um die Übertretung des Gebotes, sondern darüber hinaus will er zeigen, dass die Verführung ein zutiefst menschliches Phänomen ist. Und die Grundzüge dieses Phänomens werden in der Schöpfungserzählung exemplarisch vorgeführt. Zum einen ist der Mensch verführbar. Andrerseits gibt es immer jemanden, der sich diese Verführbarkeit zunutze macht. Und genau hier liegt die Begrenztheit des Menschen. Er ist potentiell beides, Verführer und verführbar (vgl. Westermann, S.130-131).
Die Frau übertritt das Gebot, lässt sich aktiv verführen. Der Mann übernimmt das Angebot der Frau. Sie handelt. Er macht die Verführung einfach mit. Auch dies sind zwei Modelle der Verführbarkeit. Sie ist hier die Verführerin, er der Mitläufer, der eine aktive Entscheidung vermeidet, der die Frau entscheiden lässt (vgl. Westermann, S. 133-134).
[...]
[1] Schüngel-Straumann weist darauf hin, dass Auffassungen, die die Frau als Verführerin verstehen wollen, sich nicht aus dem Text ableiten lassen. Nur die Schlange verführt bzw. täuscht. Weiterhin wird nur beschrieben, dass die Frau vor dem Mann von der verbotenen Frucht isst (vgl. Schüngel-Straumann, S.116).
[2] In der traditionellen Deutung wurde die Schlange als Satan gesehen. Diese Interpretation ist nicht haltbar, da sie sich aus dem Text selbst nicht ablesen lässt. Auch ihre Bezeichnung als magisches Lebens- und Weisheitstier, als ein Symbol des Lebens innerhalb des kanaanäischen Fruchtbarkeitskultes hat für die obige Deutung keine Relevanz, da im Urgeschehen von der Menschheit allgemein gesprochen wird und eine Scheidung in Völker und Religionen noch nicht vorausgesetzt wird. Auch das Reden der Schlange ist vormythisch, märchenhaft und bestätigt den Text als Beschreibung eines Vorganges im Urgeschehen (vgl. Westermann, S.131-132).
- Citation du texte
- Gerlinde Braun (Auteur), 2004, C’ est la vie - aber das Leben ist schön. Der Sündenfall - Genesis 3,1-24, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23793
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