Hier im Orient haben wir die Konzeption einer Faktion ..., nicht die einer öffentlichen Partei. Eine politische Partei ist eine Vereinigung von Menschen, deren ausschließliches Ziel die Diskussion öffentlicher Staatsangelegenheiten und die Durchsetzung ihrer Absichten hierzu ist. Wenn jedoch öffentliche Parteien in den Orient verpflanzt werden, nehmen sie sogleich die Natur von Faktionen an, die private und persönliche anstelle von Staatsinteressen verfolgen ... [D]ie Sitten und Gebräuche der Feudalzeit sind hier so tief in den Geist der Menschen eingeprägt, dass sogar die Idee politischer Parteien, sobald sie in die Gehirne unserer Landsleute eindringt, entlang feudaler Konzeptionen keimt und wächst. Angesichts dessen sind politische Parteien ... in Wirklichkeit Angelegenheiten persönlicher Beziehungen und Gefühle; die Bindung zwischen dem Führer und den Mitgliedern einer Partei ähneln denen, die zwischen einem Feudalherren und seinen Versallen existierten [...].
Yukio Ozaki (1918: 93), zitiert in Köllner (2001: 1)
Politische Parteien haben eine zentrale Bedeutung für das Funktionieren von demokratischen Systemen, ihre Strukturen und Prozesse sowie die Faktoren, welche diese beeinflussen, sind Gegenstand vielfältiger sozial- und politikwissenschaftlicher Forschungen. Zu ihren Untersuchungsfeldern gehört die fast unüberschaubare Vielfalt parteilicher Organisationsformen im Kontext mit den damit verbundenen Varianten der Wahrnehmung gesellschaftlicher und staatlicher Aufgaben. In organisatorischer Hinsicht können Parteien beispielsweise eine hierarchische oder bürokratische Form aufweisen, sie können als bloße Dachorganisationen für einzelne Kandidaten fungieren, als Zusammenschlüsse verschiedener Gruppen aufgebaut sein oder sich irgendwo zwischen diesen Extremen lokalisieren (vgl. Morgenstern 2001: 235). Es gibt keine universell gültige, zwingend notwendige oder auch nur ideale Organisationsform politischer Parteien. Dabei weisen Parteien – wie alle Organisationen – neben ihren formalen organisatorischen Strukturen auch informelle Beziehungssysteme, Verfahrensweisen und Normen auf, die verschieden stark institutionalisiert sein können (vgl. Köllner 2004: 1).
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was sind Faktionen?
3. Faktionalismus in Japan
3.1 Faktionalismus in Japans Parteien
3.2 Ursachen und Entwicklung des Faktionalismus in japanischen Parteien
3.3 Strukturen und Funktionen von Faktionen in japanischen Parteien
4. Faktionalismus in Südkorea
4.1 Faktionalismus in Südkoreas Parteien
4.2 Ursachen und Entwicklung des Faktionalismus in südkoreanischen Parteien im Vergleich mit Japan
4.3 Strukturen und Funktionen von Faktionen in südkoreanischen Parteien im Vergleich mit Japan
5. Fazit
6. Literatur
7. Erklärung
1. Einleitung
Hier im Orient haben wir die Konzeption einer Faktion ..., nicht die einer öffentlichen Partei. Eine politische Partei ist eine Vereinigung von Menschen, deren ausschließliches Ziel die Diskussion öffentlicher Staatsangelegenheiten und die Durchsetzung ihrer Absichten hierzu ist. Wenn jedoch öffentliche Parteien in den Orient verpflanzt werden, nehmen sie sogleich die Natur von Faktionen an, die private und persönliche anstelle von Staatsinteressen verfolgen ... [D]ie Sitten und Gebräuche der Feudalzeit sind hier so tief in den Geist der Menschen eingeprägt, dass sogar die Idee politischer Parteien, sobald sie in die Gehirne unserer Landsleute eindringt, entlang feudaler Konzeptionen keimt und wächst. Angesichts dessen sind politische Parteien ... in Wirklichkeit Angelegenheiten persönlicher Beziehungen und Gefühle; die Bindung zwischen dem Führer und den Mitgliedern einer Partei ähneln denen, die zwischen einem Feudalherren und seinen Versallen existierten [...].
Yukio Ozaki (1918: 93), zitiert in Köllner (2001: 1)
Politische Parteien haben eine zentrale Bedeutung für das Funktionieren von demokratischen Systemen, ihre Strukturen und Prozesse sowie die Faktoren, welche diese beeinflussen, sind Gegenstand vielfältiger sozial- und politikwissenschaftlicher Forschungen. Zu ihren Untersuchungsfeldern gehört die fast unüberschaubare Vielfalt parteilicher Organisationsformen im Kontext mit den damit verbundenen Varianten der Wahrnehmung gesellschaftlicher und staatlicher Aufgaben. In organisatorischer Hinsicht können Parteien beispielsweise eine hierarchische oder bürokratische Form aufweisen, sie können als bloße Dachorganisationen für einzelne Kandidaten fungieren, als Zusammenschlüsse verschiedener Gruppen aufgebaut sein oder sich irgendwo zwischen diesen Extremen lokalisieren (vgl. Morgenstern 2001: 235). Es gibt keine universell gültige, zwingend notwendige oder auch nur ideale Organisationsform politischer Parteien. Dabei weisen Parteien – wie alle Organisationen – neben ihren formalen organisatorischen Strukturen auch informelle Beziehungssysteme, Verfahrensweisen und Normen auf, die verschieden stark institutionalisiert sein können (vgl. Köllner 2004: 1).
Bei Parteien handelt es sich in der Regel – oft entgegen dem äußeren Anschein – nicht um homogene, einem einheitlichen Willen folgende und zielwissende Organisationen, sondern um Koalitionen politischer Akteure, die im Rahmen der Organisation meist unterschiedliche Interessen und Ziele verfolgen und ihre Koalitionen auf den Austausch politischer Ressourcen stützen. Die innerparteiliche Politik ist daher, wie die Politik im Allgemeinen, von Konflikten zwischen mehr oder weniger unabhängigen Gruppen innerhalb der Partei gekennzeichnet. Die Aktivitäten solcher innerparteilicher Gruppierungen, so genannter Faktionen, können nicht nur Wandlungsprozesse in Parteien beeinflussen, sondern auch „für die Stabilität von Parteien und Parteisystemen sowie letztlich die demokratische Qualität der Parteipolitik von Ausschlag gebender Bedeutung sein“ (ebd.: 2).
Besonders ausgeprägt ist der innerparteiliche Faktionalismus in den Demokratien Ostasiens (vgl. Köllner 2001: 5). Die japanische Liberaldemokratischen Partei (LDP) gilt als Extrembeispiel einer faktionalisierten Partei (vgl. Ebd: 11). Daher liegt es nahe, bei einer Betrachtung des Phänomens innerparteilicher Faktionen den Blick hierher zu wenden. Aus diesem Grund soll in der vorliegenden Arbeit das schon länger bestehende demokratische Parteiensystem Japans mit dem benachbarten, relativ jungen System Südkoreas in Hinblick auf die innerparteileichen Faktionen verglichen werden. Die Forschungsfrage lautet dabei: Wie unterscheiden sich die innerparteilichen Faktionen in Japan und Südkorea?
Das zweite Kapitel dient zur Erläuterung des Begriffs „Faktion“ und stellt verschiedene Charakteristika von Faktionen kurz dar. Zudem wird das Kontinuum der faktionalen Organisation einer Partei von Morgenstern (2001) vorgestellt. Das dritte Kapitel widmet sich dem Faktionalismus in japanischen Parteien, wobei auf die Strukturen, Funktionen und Ursachen sowie die Entwicklung der innerparteilichen Gruppierungen eingegangen wird. Im vierten Kapitel wird der innerparteiliche Faktionalismus in Südkorea behandelt und mit dem japanischen verglichen. Das fünfte Kapitel dient als Fazit der Zusammenfassung der geleisteten Arbeit und der Beantwortung der eingangs gestellten Forschungsfrage. Dazu werden die japanischen und südkoreanischen Parteien grob anhand des Kontinuums von Morgenstern in Hinblick auf den innerparteilichen Faktionalismus klassifiziert.
2. Was sind Faktionen?
Faktionen sind in besonderer Weise ausgeprägte informelle Institutionen bzw. Beziehungssysteme in politischen Parteien, eine herausragende Bedeutung haben sie in den politischen Systemen der Regionen des Mittelmeerraums, des postkommunistischen Osteuropas und Ostasiens, wo sie als organisatorische Basiselemente den politischen Prozess dominieren (vgl. Köllner 2004: 3).
Der Terminus „Faktion“ darf nicht – wie dies oftmals im allgemeinen oder journalistischen Sprachgebrauch vorkommt – mit dem ähnlich klingenden Begriff „Fraktion“ verwechselt werden. Eine Fraktion im politischen Kontext ist eine zumeist durch offizielle Bestimmungen näher definierte Verhandlungsgruppe im Parlament. Im Unterschied dazu existieren für Faktionen normalerweise keine solchen schriftlich fixierten und offiziell anerkannten Grundlagen, z. B. in Art einer Satzung (vgl. ebd.: 4).
In Bezug auf politische Parteien und Faktionen bestehen allgemein zwei wesentliche Sichtweisen:
Aus modernisierungstheoretischer Perspektive gelten Faktionen als charakteristisch für die frühen Stufen des Modernisierungsprozesses: In dieser Phase haben Individuen und Gruppen mit den traditionellen Mustern politischen Verhaltens gebrochen, aber die politische Partizipation ist noch nicht weit entwickelt und die Verteilung politischer Macht ist noch nicht umfassend institutionalisiert. Faktionen werden hier als Ausbildungen der Parteiorganisation aufgefasst, die der Entstehung entwickelter „moderner“ Parteien vorangeht (vgl. Chambers 1963; Huntington 1968: 412-415; Köllner 2004: 5).[1]
Im Folgenden soll aber mit der Definition von Beller und Belloni (1978) gearbeitet werden. Die beiden Politikwissenschaftler definieren Faktionen als
„jede relativ organisierte Gruppe, die im Kontext einer anderen Gruppe existiert und welche (als eine politische Faktion) mit ihren Rivalen im Wettstreit um Machtvorteile innerhalb der größeren Gruppe steht, von der sie ein Teil ist“ (Beller und Belloni 1978: 419, zitiert und übersetzt in Köllner 2004: 7; Hervorhebung im Original).
Aus dieser Perspektive kann Faktionalismus in politischen Parteien als Form der Konfliktorganisation aufgefasst werden, welche die Tendenz der innerparteilichen Akteure widerspiegelt, kollektiv zu handeln, um gemeinsame Ziele zu erreichen (vgl. Köllner 2004: 7). Diese können verschiedener Art sein, beispielsweise eine bestimmte Ideologie, politische Inhalte, das Streben nach bestimmten Posten oder materielle Vorteile. Beller und Belloni (1978) begreifen Faktionen als übergreifende Kategorie verschieden strukturierter innerparteilicher Gruppen. Diese differenzieren sie auf Basis der jeweiligen organisatorischen Charakteristika und unterscheiden konkret drei „modale Faktionstypen“:
1. faktionale Cliquen und Strömungen, deren Mitglieder zwar gemeinsame Interessen inhaltlicher, ideologischer, persönlicher, materieller oder anderer Art teilen, diese Interessen aber nicht oder kaum in organisierter Form verfolgen. Zwar können einzelne Persönlichkeiten in derartigen Gruppierungen eine herausragende Rolle spielen, doch diese basiert eher auf Charisma als auf klientelistischen Beziehungen. Oft werden Mitglieder einer Partei auch von außen – etwa durch die Medien – solchen Strömungen zugewiesen und so ettiketiert. In der Literatur werden Gruppierungen, die diesem Faktionstyp zugerechnet werden können, oft auch als Parteiflügel, Richtungen oder als informelle Faktionen (sic) und Gruppierungen bezeichnet (vgl. Köllner 2004: 9)
2. Faktionen mit dem Charakter von Patron-Klienten-Beziehungen (kurz „personalisierte Faktionen“), die durch tendenziell asymmetrische Austauschbeziehungen von Macht und Ressourcen zwischen einem Patron/Boss und seinen Klienten/Gefolgsleuten gekennzeichnet sind. In der Regel ist zwar eine gemeinsame Identität der Gruppenmitglieder gegeben, allerdings bilden die klientelistischen Verbindungen der einzelnen Faktionsmitglieder zum Faktionsführer den zentralen Mechanismus einer personalisierten Faktion. Üblicherweise reicht die Existenz personalisierter Faktionen nicht über das politische Leben des Faktionsfühers hinaus.
3. Stark institutionalisierte und organisierte Faktionen (kurz „institutionalisierte Faktionen“), die im Gegensatz zu den beiden anderen Typen eine entwickelte Organisationsstruktur und einen größeren Grad an Bürokratisierung besitzen. Persönliche Leistungen des oder der Faktionsführer(s) können zwar die Grundlage einer solchen Faktion bilden, doch die Existenz oder das Überleben der innerparteilichen Gruppe hängt in der Regel nicht von der oder den leitenden Person(en) ab. Die Bürokratisierung institutioneller Faktionen äußert sich nicht selten in schriftlich festgelegten Positions- und Aufgabenzuweisungen der Faktionsmitglieder, routinisierten gruppeninteren Regelungen und Prozeduren, Versammlungsprotokollen oder sogar eigenen Publikationen. Insgesamt kommen institutionalisierte Faktionen formalen Körperschaften am nächsten (vgl. ebd.: 10).
Es liegt nahe, vom unterschiedlichen Organisationsgrad innerparteilicher Faktionen auf deren Autonomie von ihrer Mutterpartei zu schließen. Scott Morgenstern (2001) hat daher ein Kontinuum entworfen, an dessen beiden äußeren Enden sich einerseits hochgradig organisierte und unabhängige Faktionen und andererseits zentralisierte Parteien ohne Faktionen stehen (siehe Abbildung).
Abbildung: Kontinuum der faktionalen Organisation einer Partei
[ / ]
Hochorganisierte Relativ unabhängige kurzlebige, lose Zentralisierte und unabhängige Faktionen organisierte Faktio- Partei/keine
Faktionen/Multi- nen/Strömungen Faktionen
Parteien-Fassade
Quelle: Köllner (2004: 11), nach Morgenstern (2001: 238).
Eine idealtypische Partei am linken Ende des Kontinuums stellt nur wenig mehr als eine Hülle für voneinander unabhängig existierende und operierende einzelnen Faktionen. De facto ist eine solche Partei eine Mehrparteienallianz. Weiter zur Mitte hin können personalisierte Faktionen eingeordnet werden. Rechts der Mitte des Kontinuums lassen sich Strömungen eher kurzfristiger Natur einordnen, die zur Erreichung ihrer Ziele nicht die Einheit der Partei aufs Spiel setzen würden. Das rechte Ende stellt den Extremfall einer absolut zentralisierten Partei ohne Faktionen dar. Zusammenfassend kann man in Bezug auf die Funktionen innerparteilicher Faktionen feststellen, dass diese offenbar stark mit der Art des vorherrschenden innerparteilichen Konflikts (Macht und Karriere, politische Inhalte/Ideologien, verschiedene Sektoralinteressen) zusammenhängen (vgl. Köllner 2004: 13).
3. Faktionalismus in Japan
3.1 Faktionalismus in Japans Parteien
Will man sich näher mit dem politischen System Japans beschäftigen, ist eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Faktionalismus in japanischen Parteien unumgänglich, da die Geschichte der japanischen Parteien auch immer die Geschichte der Kooperation und Konfrontation innerparteilicher Faktionen („habatsu“) gewesen ist und Faktionen auch noch im gegenwärtigen Japan eine zentrale Rolle für das Verständnis und die Erklärung innerparteilicher Machstrukturen bzw. ideologischer Konflikte spielen.[2]
Japan ist seit den Reformen der amerikanischen Besatzungszeit nach dem 2. Weltkrieg eine Demokratie mit einem parlamentarischen Regierungssystem. Anders als im semi-präsidentiellen Südkorea ist die politische Macht – zumindest formal – im Kabinett konzentriert. Bei den Wahlen für das Unterhaus fand von 1947 bis 1993 ein semi-proportionales Wahlsystem Verwendung, das 1994 reformiert wurde.[3]
Die Nachkriegsgeschichte Japans wurde maßgeblich geprägt durch die im moderaten Parteienpluralismus dominierende Liberaldemokratischen Partei (LDP), die seit ihrer Gründung 1955 mit einer kurzen Unterbrechung 1993/94 immer an der Regierung beteiligt und die längste Zeit davon alleinige Regierungspartei war. Die LDP gilt nahezu als Inbegriff des innerparteilichen Faktionalismus und hatte stets eine Doppelstruktur aus informellen Machtgeflechten und formalen Lenkungsstrukturen, die immer in Konkurrenz zueinander standen bzw. stehen. So wird die LDP in der Literatur oft als Koalition oder Föderation von verschiedenen Faktionen bezeichnet (vgl. Pohl 1999: 292; Baumann 2000; Köllner 2001: 11). Auch die größten Oppositionsparteien, zunächst die Sozialistische Partei Japans (SPJ) bis Anfang der 90er Jahre und dann die Demokratische Partei Japans (DPJ)[4] ab Mitte der 90er Jahre, sind durch einen ausgeprägten Faktionalismus gekennzeichnet. Dieser hat jedoch niemals den Grad an Institutionalisierung erreicht wie in der LDP. Nahezu jede politische Partei der Nachkriegszeit in Japan war zumindest zeitweise durch faktionalistische Aktivitäten gekennzeichnet, allein die Kommunistische Partei Japans und die (Neue) Kômeitô, die relativ zentralistisch organisiert sind, haben es geschafft, den innerparteilichen Faktionalismus weitestgehend zu unterbinden.
3.2 Ursachen und Entwicklung des Faktionalismus in japanischen Parteien
Wie für kaum eine andere Industrienation wird für Japan häufig und ausführlich die Frage erörtert, wie wichtig soziokulturelle Faktoren für das Verstehen und Erklären des politischen Systems sind (vgl. Köllner 2000: 354-357, 363f; Baumann 2000). Dabei wird das Phänomen der innerparteilichen Faktionen im Kontext der gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen Japans, vor allem einer starken Gruppenorientierung (vgl. Baumann 2000), gesehen und der Faktionalismus wird als systemimmanente Determinante aufgefasst, die auch für die japanische Gesellschaft insgesamt von besonderer Bedeutung ist. Anderen Faktoren – wie etwa dem Wahlsystem, der Dezentralisierung der Finanzierung politischer Aktivitäten, der Parteifinanzen und dem Wettbewerb um Partei- und Regierungsämter – wird beim soziokulturellen Erklärungsansatz dagegen nur ein verstärkender Effekt zugeschrieben.
Diese Erklärungsansätze des Faktionalismus in japanischen Parteien sind aber nicht unproblematisch. Steven Reed (1993: 3. Kapitel, zitiert in Köllner 2001) argumentiert, dass gesellschafts- oder kulturbezogenen Variablen allgemein nur eingeschränkt Bedeutung zugemessen werden kann. Kulturelle und gesellschaftliche Faktoren können demnach die Ausprägung institutioneller Entwicklungen zwar beeinflussen, diese jedoch nicht bestimmen. Soziokulturelle und institutionelle Faktoren müssen vielmehr gemeinsam im konkreten politischen und historischen Kontext untersucht werden.
In Ergänzung dieser soziokulturellen Untersuchungen befassen sich die organisationssoziologischen eher auf die Entstehung und die Dauerhaftigkeit innerparteilicher Faktionen unter institutionalistischer Sichtweise. Dabei liegt der Fokus vor allem auf dem speziellen Wahlsystem, das bis 1993 galt und in dem mehrere Kandidaten einer Partei, und nicht nur der LDP, in einem Wahlkreis antreten konnten. Die Faktionen ermöglichten es der LDP, in den vorherrschend mittelgroßen Wahlkreisen bei den Wahlen für das Unterhaus ausreichend viele Kandidaten zu stellen, da es der LDP stets an einer breiten Mitgliederbasis fehlte (vgl. Pohl 1999: 294). Ihre zentrale Rolle für die Auswahl des staatlichen Führungspersonals gewannen die innerparteilichen Faktionen nicht nur über ihr Monopol zur Aufstellung der Wahlkandidaten, sondern vor allem durch ihren Zugriff auf die Parteifinanzen. Da diese weitgehend der Parteizentrale entzogen war, konnten die Faktionen die Wahlkampfkosten ihrer Kandidaten autonom disponieren. Erst die Einführung einer staatlichen Parteifinanzierung 1994 gab den Parteizentralen größere Bedeutung bei der Verteilung politischer Gelder. In der LDP bildete zudem lange Zeit das Wahlsystem für den Parteipräsidenten, der von mindestens 30 Abgeordneten der Partei nominiert werden musste, einen weiteren Anreiz für die Bildung innerparteilicher Faktionen. Auch andere Partei- und Regierungsposten wurden nach Stärke der einzelnen Faktionen der LDP vergeben, was die Verfestigung der innerparteilichen Faktionen weiter vorantrieb (vgl. Köllner: 14f).
[...]
[1] Im 18. Jahrhundert wurden die Termini Partei und Faktion noch weitestgehend synonym verwendet (vgl. Köllner 2004: 5).
[2] Das dritte Kapitel bezieht sich, wenn nicht anders angegeben, auf Köllner (2001).
[3] Für einen knappen Überblick siehe Pohl (1999: 288f).
[4] Näheres zum Faktionalismus in der 1998 neu gegründeten DPJ in Köllner (2003).
- Arbeit zitieren
- Paul Eschenhagen (Autor:in), 2004, Faktionen in politischen Parteien Japans und Südkoreas - Charakteristika, Funktionen und Ursachen innerparteilicher Gruppen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23612
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