Um politische Systeme miteinander vergleichen zu können, analysiert der
Politikwissenschaftler möglichst viele verschiedene ihrer Komponenten. Neben wichtigen
Unterscheidungen zwischen z. B. demokratischen und nicht demokratischen Systemen,
spielt bei der Analyse einzelner Staaten auch die Frage der Dezentralisierung eine Rolle.
So existieren zentral regierte Systeme und Systeme, die der Verfassung nach
föderalistisch sind. Der Föderalismus ist definiert als ein Strukturprinzip zur inneren
Ordnung eines Staates, in dem es mit eigener Verfassung ausgestattete Institutionen auf
mehreren Politikebenen gibt. Diesen müssen durch die Verfassung Kompetenzen
zugedacht sein, die ihnen nur mit eigener Zustimmung weggenommen werden können.
Wenngleich sich alle politischen Systeme einem dieser beiden Extreme prinzipiell
zuordnen lassen, etablieren sich besonders seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts in
vielen sogenannten Zentralstaaten föderalistische Merkmale, wie zum Beispiel direkt
gewählte politische Institutionen auf regionaler Ebene und Kompetenzübertragungen an
diese. Dieser Prozess wird im politischen Sprachgebrauch als Föderalisierung oder
Regionalisierung bezeichnet, also als Entwicklung hin zum Föderalismus.
Im folgenden möchte ich erstens diesen Prozess der Föderalisierung anhand zweier
Beispiele, Italien und Frankreich, verdeutlichen. Zum anderen werde ich die
föderalistischen Tendenzen beider Staaten vergleichen, um festzustellen ob einer der
beiden Staaten sich dem Föderalismus mehr annähert als der andere. Zu diesem Zweck
stellt diese Arbeit zu Beginn die historische Entwicklung Frankreichs und Italiens
unabhängig voneinander unter dem Gesichtspunkt der Dezentralisierung dar. Dann
werden die einzelnen Gebietskörperschaften der beiden Länder direkt gegenübergestellt.
Die Ergebnisse dieser beiden Herangehensweisen werden im Fazit ausgewertet, wobei
vor allem die Frage beantwortet werden soll, in welchem der beiden Staaten der
Föderalisierungsprozess weiter fortgeschritten ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die historische Entwicklung der zu vergleichenden Staaten
2.1 Frankreich
2.2 Italien
3. Die drei Gebietskörperschaften im Vergleich
3.1 Gemeinden
3.2 Departements und Provinzen
3.3 Regionen
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Um politische Systeme miteinander vergleichen zu können, analysiert der Politikwissenschaftler möglichst viele verschiedene ihrer Komponenten. Neben wichtigen Unterscheidungen zwischen z. B. demokratischen und nicht demokratischen Systemen, spielt bei der Analyse einzelner Staaten auch die Frage der Dezentralisierung eine Rolle. So existieren zentral regierte Systeme und Systeme, die der Verfassung nach föderalistisch sind. Der Föderalismus ist definiert als ein Strukturprinzip zur inneren Ordnung eines Staates, in dem es mit eigener Verfassung ausgestattete Institutionen auf mehreren Politikebenen gibt. Diesen müssen durch die Verfassung Kompetenzen zugedacht sein, die ihnen nur mit eigener Zustimmung weggenommen werden können.
Wenngleich sich alle politischen Systeme einem dieser beiden Extreme prinzipiell zuordnen lassen, etablieren sich besonders seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts in vielen sogenannten Zentralstaaten föderalistische Merkmale, wie zum Beispiel direkt gewählte politische Institutionen auf regionaler Ebene und Kompetenzübertragungen an diese. Dieser Prozess wird im politischen Sprachgebrauch als Föderalisierung oder Regionalisierung bezeichnet, also als Entwicklung hin zum Föderalismus.
Im folgenden möchte ich erstens diesen Prozess der Föderalisierung anhand zweier Beispiele, Italien und Frankreich, verdeutlichen. Zum anderen werde ich die föderalistischen Tendenzen beider Staaten vergleichen, um festzustellen ob einer der beiden Staaten sich dem Föderalismus mehr annähert als der andere. Zu diesem Zweck stellt diese Arbeit zu Beginn die historische Entwicklung Frankreichs und Italiens unabhängig voneinander unter dem Gesichtspunkt der Dezentralisierung dar. Dann werden die einzelnen Gebietskörperschaften der beiden Länder direkt gegenübergestellt. Die Ergebnisse dieser beiden Herangehensweisen werden im Fazit ausgewertet, wobei vor allem die Frage beantwortet werden soll, in welchem der beiden Staaten der Föderalisierungsprozess weiter fortgeschritten ist.
2. Die historische Entwicklung der zu vergleichenden Staaten
2.1 Frankreich
Seit der Französischen Revolution und der anschließenden Herrschaft Napoleons I. war Frankreich ein stark zentralisierter und hierarchisch aufgebauter Staat. In den einzelnen Gebieten vertraten sogenannte Präfekte die Zentralregierung. Diese Präfekte übten eine rechtliche, technische und finanzielle Aufsichtsfunktion aus, d.h. durch sie kontrollierte der Staat die Umsetzung der von ihm erlassenen Gesetze.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts änderte sich an diesem Kontrollsystem wenig, was Frankreich den Ruf des traditionellen Zentralstaates schlechthin einbrachte. Beispielhaft für die empfundene Hierarchisierung zwischen der Hauptstadt und dem Rest Frankreichs ist der häufig zitierte Titel des 1947 erstmals erschienenen Buches „Paris und die französische Wüste“ von Jean-Franςois Gravier.[1]
In den 1960er Jahren setzte dann, bedingt durch allgemeine sozioökonomische Umwälzungen, allmählich eine Dezentralisierung ein. Bis dahin existierten auf regionaler Ebene offiziell Gemeinden und sogenannte Departements als dem Zentralstaat untergeordnete territoriale Einheiten. Mit einem Gesetz zur kommunalen Neuordnung vom 16. Juli 1971 widmete die Regierung sich zuerst dem schon lange existierenden Problem der hohen Anzahl sehr kleiner Gemeinden. „Die Bilanz . . . [der] Anwendung [des Gesetzes] muss allerdings als ausgesprochen mager bezeichnet werden“[2]. Die im Gesetz angestrebten weitreichenden Gemeindezusammenlegungen fanden aufgrund mangelnder Unterstützung auf lokalpolitischer Ebene nicht statt. Seitdem setzt man in Frankreich auf übergreifende Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden, und das immer noch allgegenwärtige Problem zu kleiner Verwaltungseinheiten auf kommunaler Ebene wurde bis heute nicht noch einmal angegangen. Erste Dezentralisierungsversuche gab es in den 70er Jahren auch auf der Ebene der Departements, z. B. durch eine geringe Lockerung der Haushaltskontrolle.
Bisheriger Höhe- und gleichzeitig Wendepunkt stellen allerdings die Dezentralisierungsgesetzte von 1982/83 dar, die der damalige Staatspräsident „Franςois Mitterand selbst als ,wichtige Angelegenheit’ seiner ersten Amtsperiode bezeichnete“[3]. Im Hinblick auf die Organisation des französischen Staates bis dahin kann dieses Gesetzeswerk sogar als „revolutionärer Akt“[4] betrachtet werden. Die grundlegendeste Veränderung durch diese Gesetzte war die Gründung der Regionen als selbstständige Gebietskörperschaften. Die nunmehr drei Gebietskörperschaften wurden außerdem hierarchisch in jeder Hinsicht gleichgestellt und bekamen eindeutige funktionale Rollen zugewiesen. Ebenfalls wegweisend war die Übertragung der Exekutive in den Departements und Regionen von den Präfekten auf die Präsidenten der jeweiligen General- bzw. Regionalräte. Der Präfekt kontrolliert seither nur noch im Nachhinein die Rechtmäßigkeit der von den Präsidenten vorgenommenen Handlungen. Die wichtigen Änderungen durch die Dezentralisierungsgesetze ergänzte die Regierung durch andere Reformen, z. B. durch die Festlegung, dass jede Kompetenzübertragung an die Gebietskörperschaften durch den Zentralstaat mit der entsprechenden Ressourcenübertragung einhergehen soll.
[...]
[1] Vgl. Hoffmann-Martinot, Vincent: Zentralisierung und Dezentralisierung in Frankreich, in: Marieluise Christadler und Henrik Uterwedde (Hg.), Länderbericht Frankreich, Bonn, 1999, S. 363-382, S. 372.
[2] Ebd., S. 366.
[3] Ebd., S. 373.
[4] Kempf, Udo: Das politische System Frankreichs, in: Wolfgang Ismayr, (Hg.), Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen, 1999, S. 289-330, S. 324.
- Citation du texte
- Kathrin Seelige (Auteur), 2003, Regionalisierung und Föderalisierung in Italien und Frankreich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23553
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