Gegenstand dieser Arbeit ist die Untersuchung des Wolkenmotivs in drei ausgewählten lyrischen Werken des chinesischen Dichters Wang Wei (701-761 n.Chr.), speziell auf seinen metaphorischen Gehalt im Sinne des buddhistischen Konzepts der geistigen Trübungen. Es wird versucht die enge Verbindung des Künstlers Wang Wei mit dem Buddhismus zu verdeutlichen, um damit eine plausible Grundlage zu schaffen, auf der die anschließenden drei Gedichtsinterpretationen stattfinden können. Behandelt werden folgende Gedichte: 酌酒興裴迪 (Ich bewirte Pei Di mit Wein ); 終南別業Der Landsitz am Zhong-Nan-Gebirge; 答裴迪輞口遇雨憶終南山之作 (Antwort an Pei Di).
Inhaltsübersicht
1. Einleitung 1
2. Wang Wei ein buddhistischer Dichter?
3. Das Wolkenmotiv
4. Buddhismus und Metaphorik
- 4.1 Das Sutra des sechsten Patriarchen
- 4.2 Hui Neng und die Wolkenmetaphorik
5. Gedichtsinterpretationen
- 5.1 Ich bewirte Pei Di mit Wein (酌酒興裴迪)
- 5.2 Der Landsitz am Zhong-Nan-Gebirge ( 終南別業)
- 5.3 Antwort an Pei Di (答裴迪輞口遇雨憶終南山之作)
6. Quellennachweis
1. Einleitung
Gegenstand dieser Arbeit ist die Untersuchung des Wolkenmotivs in drei ausgewählten lyrischen Werken des chinesischen Dichters Wang Wei (701-761 n.Chr.), speziell auf seinen metaphorischen Gehalt im Sinne des buddhistischen Konzepts der geistigen Trübungen. Es wird versucht die Verbindung des Künstlers Wang Wei zum Buddhismus aufzuzeigen, um damit eine plausible Grundlage zu schaffen, auf der die darauffolgenden Interpretationen stattfinden können.
2. Wang Wei ein buddhistischer Dichter?
Um den metaphorischen Gehalt eines Bildes im Gedicht zu erkennen und zu deuten, bedarf es ferner der Informationen über das Leben des Autors und der Epoche in der er wirkte. Setzt man sich mit der Biographie Wang Weis und dem tangzeitlichen China auseinander, so stößt man unweigerlich auf den Buddhismus, der als Religion und Philosophie aus Indien importiert, durch Assimilation mit der chinesischen Mentalität und Lebensweise zu einer chinesischen Eigenform fand, die vor allem in jener Zeit durch den sich behaupteten Chan-Buddhismus verkörpert wurde. Diese Sinisierung trug maßgeblich dazu bei, dass sich das buddhistische Gedankengut in alle Gesellschaftsschichten verbreiten konnte. Die geistige Auseinandersetzung mit der neuen Weltanschauung führte auch zur Veränderung in allen Bereichen der Kunst, wo man sich nun gerne buddhistischen Motiven und Inhalten bediente, oder man die Kunst einfach ganz der Religion widmete. Darunter fiel natürlich auch die Dichtkunst. In der Tang- Zeit wurde es sogar schicklich in seinen Dichtungen buddhistische Termini zu verwenden, ohne tatsächlich eine buddhistisch-religiöse Affinität zu besitzen. Diese Modeerscheinung macht es für uns heute schwer einen wirklich gläubigen oder praktizierenden Buddhisten als Verfasser eines Gedichts wiederzuerkennen. So gibt es auch in der Fachdiskussion um Wang Wei verschiedene Meinungen bezüglich der Intensität seiner buddhistischen Überzeugung und deren Einfluss auf sein künstlerisches Schaffen. Dazu zitiert Marsha L.Wagner :
….although all acknowledge that he was certainly influenced to some extent by Buddhism,
Kuo Po-kung, for example, feels it was only a response to disappointing political circumstnces
after the An Lu-shan rebellion; whereas Liou Kin.ling believes Buddhism penetrated Wang Wei
to the core, and makes the extravagant claim that Wang “owes more to Buddhism than any other
Chinese poet.” (Wagner, 1981:120)
Hinsichtlich seiner religiös-spirituellen Hingabe, wird es wohl niemals zu einem fachlichen Konsens kommen, da einigen Wang Weis Ambitionen als Politiker am Hofe, unvereinbar mit wahrer spiritueller Überzeugung scheinen, gerade wenn es sich um eine Glaubensform wie die des Buddhismus handelt, die das Verfolgen weltlicher Ziele als negativ betrachtet. Trotzdem geht aus vielen Quellen eindeutig hervor, dass Wang Wei im Laufe seines Lebens oft mit dem Buddhismus Kontakt hatte. Dies geschah schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt durch seine Mutter, die eine gläubige Buddhistin war, und Wang Wei und seinen jüngeren Bruder in dieser Hinsicht erzog. Betrachtet man sich seine Gedichte, so findet man dort häufig buddhistische Termini, Themen und Praktiken vor, wie z.B. Meditation und Sutrenrezitation. Auch Begegnungen mit Mönchen und Besuche in verschiedenen buddhistischen Klöstern werden lyrisch beschrieben. Sogar direkt adressierte Lobpreisung an bestimmte buddhistische Meister sind vorhanden. Die buddhistischen Themen sind vor allem in den Gedichten zu erkennen, die er in seiner Einsiedler-Residenz im Zhong-Nan-Gebirge verfasste. An diesen Ort zog er sich des Öfteren zurück, um Abstand zum politisch- gesellschaftlichen Treiben zu finden. Nach dem Tod seiner Mutter soll er sich drei Jahre dorthin zurückgezogen haben, um die Zeit der Trauer zu verbringen. In dieser Bergregion waren auch viele buddhistische Klöster angesiedelt zu denen Wang Wei Kontakt pflegte. Auch sind Besuche von Mönchen in seiner Villa bekannt, die mit ihm religiöse Themen diskutierten. Gegen Ende seines Lebens soll er die Villa sogar zu einem Kloster umfunktioniert haben. Des weiteren zeigen die Anspielungen und die explizite Verwendung buddhistischer Figuren, dass er sich mit buddhistischen Schriften (Sutren) auseinandergesetzt haben muss.
Um zu dem oben erwähnten scheinbaren Paradoxon, von politischer Karriere und spiritueller Hingabe, zurückzukommen, schreibt Wang Wei selbst: „Although my body remains among the hundred officials, my heart leaps above the ten stages [of the development of a bodhisattva into a Buddha]“ (Wagner,1981:120). Diese Aussage verweist direkt auf das Vimalakirtisutra. Das Sutra legt das Leben des indischen Laienbuddhisten Vimalakirti dar, der trotz seines Laienstatus die höchste Erleuchtungserfahrung erfahren haben soll. Obwohl Haushälter und kein Mitglied der sangha (sanskrit: Gemeinde aller Mönche), konnte Vimalakirti das innerste Wesen der Dinge sunyata (sanskrit: Leerheit, das Fehlen einer inhärenten Existenz) erkennen und so Befreiung von samsara (sanskrit: Kreislauf von Tod und Wiedergeburt) finden. Genau diesen buddhistischen Heiligen nahm Wang Wei als sein Vorbild, welcher es vollbrachte ein weltliches Leben zu führen und trotzdem den spirituellen Weg zur Erleuchtung zu meistern. Dies wird unter anderem deutlich, wenn man sich den Künstlernamen Wang Weis betrachtet: Er nannte sich selbst Mo –chieh, das in Verbindung mit seinem Vornamen die chinesische Transkription für den indischen Namen Vimalakirti, nämlich Wei- Mo-chieh ergibt. Angesichts der Menge der Indizien und aufgrund seiner eigenen Stellungnahme zum Buddhismus in seinen Werken, scheinen mir die bestehenden Übersetzungen und Interpretationen den buddhistischen Einfluss oft nicht ausreichend berücksichtigt zu haben.
3. Das Wolkenmotiv
Während der Beschäftigung mit denen ins Deutsche und Englische übersetzten Gedichten Wang Weis fiel das häufige Auftreten des Wolkenmotivs mit seinen von der Thematik abhängigen, differenzierten Funktionen auf. Die verschiedenen Funktionen des Wolkenbildes können bei Wang Wei zwei unterschiedlichen Sinnebenen zugeordnet werden: zum einen zu der Ebene, in welcher die Wolke als Naturmotiv, d.h. als „…ein natürliches Objekt in der Landschaft,…“(Kubin 2002:181) auftritt, und zum anderen zu der Ebene, in der die Wolke metaphorisch benutzt wird, um auf Phänomene hinzuweisen, die jenseits der mit Begriffen beschreibbaren, physischen Welt liegen. Nicht immer sind diese beiden Ebenen klar voneinander getrennt, sondern erscheinen sehr oft gemeinsam als Motiv mit ambiguosem Charakter. Genau diese zuletzt genannte Ambiguität des Wolkenbildes ist laut Marsha L. Wagner ein typisches Erkennungszeichen der Dichtung
Wang Weis.
The set of associations recurrently clustered around this image [=das Bild der Wolke, D.K.]
is characteristic of Wang Wei ´s general use of linguistic and imagistic patterns; Yu-kung Kao
and Tsu-lin Mei point out configurations of such semantic “categories” which may be used
to charaktersize the distinctive “signature” of Wang Wei ´s peotry.(Wagner 1981:141)
So genial und kunstvoll diese Ambiguität auch sein mag, für die wissenschaftliche Untersuchung bleibt sie ein komplexes und problematisches Thema, welches zu vielen verschiedenen Meinungen, Interpretationen und vor allem zu unterschiedlichen Übersetzungen führt. Untersucht man die chinesische Lyrik allgemein auf das Wolkenmotiv, ist sofort zu erkennen, dass es sie bis auf die Ursprünge hin durchzieht. So z.B. ist schon im shijing (Buch der Lieder) und den chuci (Elegien von Chu) das Auftreten des Bildes der Wolke bestätigt. Auch in den daoistischen Klassikern kommen Wolken vor und stehen dort mit Unsterblichkeitsriten in Verbindung. Bis hin in die Tang-Zeit findet man dieses Motiv, wo es laut Burton Watson zu einem der meistbenutzten Naturmotive wird. Vorarbeit für die tangzeitliche lyrische Verwendung des Wolkenbildes soll der Dichter Tao Yuanming geleistet haben, der in seinen Werken einen Wolkentopos schuf. Dieser Wolkentopos verweist auf das Streben nach Einsiedelei, ein Verlangen nach einem Leben in der Ferne, welches das lyrische Ich weit ab der Gesellschaft zu führen vermag. Nach Maria Rohrer ist dieser Topos von den Dichtern der Tang-Blütezeit übernommen worden. Sie schreibt: „Dieser neue Bedeutungsgehalt [dem der Einsiedelei, D.K.] ist seit Tao Yuanming dem Motiv der Wolke hinzugefügt. Insbesondere die Dichter der Tang-Blütezeit (713-765 n. Chr) greifen immer wieder auf den von Tao Yuanming geschaffenen Topos zurück“ (Rohrer,1992:21). Diese Aussage ist für die Interpretation von Wang Weis Wolkenmotiv bedeutend, da er nicht nur zur Tang-Blütezeit lebte, sondern in jener Zeit auch der Initiator der Tao Yuanming –Renaissance war. Dazu übersetzt Rohrer Äußerungen von Stephen Owen, der in seinem „The Great Age of Chinese poetry“ schrieb:
Wang Wei fühlte sich sowohl von Tao Yuanmings Persönlichkeit als auch von seinem einfach und natürlich wirkenden Stil, den er oft imitierte, angezogen. Kein anderer Dichter übte eine so große Faszination und Wirkung auf Wang Wei aus wie Tao Yuanming. Da Wang Wei bereits früh eine einflussreiche Figur in der sog. „Hauptstadtpoesie“ wurde, fanden seine Anklänge und Anspielungen auf Tao weitere Imitatoren. (Rohrer,1992:58)
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- Daniel Künstler (Author), 2003, Wang Wei und die buddhistische Wolkenmetaphorik - Zur Interpretation des Wolkenmotivs in der Dichtung Wang Weis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23504
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