”Viele Theorie- und Praxiselemente der Konzepte (...) Montessoris und Petersens sind für erzieherisches und unterrichtliches Denken und Handeln als grundlegend und unverzichtbar anzusehen. Diese Elemente konstituieren einen pädagogisch-didaktischen Minimalkonsens, der auch aus heutiger Sicht argumentierbar ist und nicht mehr unterboten werden darf.” 1 Krachtowil formuliert hier, welchen Stellenwert die Reformpädagogik in der heutigen Zeit haben sollte. Die schlechten Ergebnisse in Vergleichenden Schultestreihen (zum Beispiel Pisa 2 ) werden die heutigen Schulkonzepte in Frage gestellt. Die aktuelle Situation lässt eine erneute Beschäftigung mit führenden Reformpädagogen sinnvoll erscheinen. Maria Montessori und Peter Petersen waren zwei der bekanntesten des frühen 20. Jahrhunderts. Die Reformpädagogik ist heute in Unterrichtsformen wie zum Beispiel „offener Unterricht“, „Freiarbeit“ und ”Wochenplan” anzutreffen. Diese Formen sind wiederum in den pädagogischen Ansätzen Maria Montessoris und Peter Petersens wiederzufinden.
In Deutschland gibt es unzählige Montessori-Einrichtungen. Ihr pädagogisches Konzept ist in der gesamten Welt stark verbreitet, während Peter Petersen nicht allzu häufig anzutreffen ist. Bundesweit existieren etwa 45 Jenaplan Schulen. Darüber hinaus ist die Jena-Plan Pädagogik in den Niederlanden und in Österreich vertreten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Geschichte der Reformpädagogik
3. Die Bedeutung der Kindergruppe in der Pädagogik Maria Montessoris
3.1 Kurzbiographie
3.2 Die Pädagogik Maria Montessoris
3.2.1 Die sensiblen Perioden des Kindes
3.2.2 Die vorbereitende Umgebung
3.2.3 Das Materialkonzept
3.2.4 Die Pädagogin als Organisatorin und Helferin
3.2.5 Die kosmische Erziehung
3.3 Die Bedeutung der Kindergruppe bei Montessori
4. Die Bedeutung der Kindergruppe in der Pädagogik Peter Petersens
4.1 Kurzbiographie
4.2 Die Pädagogik Peter Petersens: Der Jena-Plan
4.2.1 Die Stammgruppen
4.2.2 Die Kurse zur Sicherung des ”Mindestwissens”
4.2.3 Der Gruppenunterricht
4.2.4 Der Wochenarbeitsplan
4.2.5 Die Arbeits- und Leistungsberichte
4.2.6 Die Schulwohnstube
4.2.7 Die Feiern im Dienste der Gemeinschaftsbildung
4.2.8 Die Schulgemeinde
4.3 Die Bedeutung der Kindergruppe bei Petersen
Inhaltsverzeichnis:
5. Vergleich der Pädagogik Montessoris und Petersens unter dem Aspekt der Bedeutung der Kindergruppe
6. Die aktuelle Diskussion um die Kindergruppe in der Pädagogik Montessoris und Petersens
7. Schlussbetrachtung
8. Literaturverzeichnis
8.1 Herangezogene Literatur
8.1.1 Primärliteratur
8.1.2 Sekundärliteratur
8.1.3 Beiträge in Zeitschriften und Internetadressen
8.2 Ergänzende Literatur
8.2.1 Primärliteratur
8.2.2 Sekundärliteratur
8.2.3 Beiträge in Zeitschriften und Internetadressen
1. Einleitung
”Viele Theorie- und Praxiselemente der Konzepte (...) Montessoris und Petersens sind für erzieherisches und unterrichtliches Denken und Handeln als grundlegend und unverzichtbar anzusehen. Diese Elemente konstituieren einen pädagogisch-didaktischen Minimalkonsens, der auch aus heutiger Sicht argumentierbar ist und nicht mehr unterboten werden darf.”[1]
Krachtowil formuliert hier, welchen Stellenwert die Reformpädagogik in der heutigen Zeit haben sollte.
Die schlechten Ergebnisse in Vergleichenden Schultestreihen (zum Beispiel Pisa[2]) werden die heutigen Schulkonzepte in Frage gestellt. Die aktuelle Situation lässt eine erneute Beschäftigung mit führenden Reformpädagogen sinnvoll erscheinen. Maria Montessori und Peter Petersen waren zwei der bekanntesten des frühen 20. Jahrhunderts.
Die Reformpädagogik ist heute in Unterrichtsformen wie zum Beispiel „offener Unterricht“, „Freiarbeit“ und ”Wochenplan” anzutreffen. Diese Formen sind wiederum in den pädagogischen Ansätzen Maria Montessoris und Peter Petersens wiederzufinden.
In Deutschland gibt es unzählige Montessori-Einrichtungen. Ihr pädagogisches Konzept ist in der gesamten Welt stark verbreitet, während Peter Petersen nicht allzu häufig anzutreffen ist. Bundesweit existieren etwa 45 Jenaplan Schulen. Darüber hinaus ist die Jena-Plan Pädagogik in den Niederlanden und in Österreich vertreten.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich die beiden Pädagogen, die maßgeblich an der Reformbewegung beteiligt waren, mit ihren wichtigsten Zielsetzungen vorstellen.
Die Bedeutung der Kindergruppe stellt bei Petersen und Montessori ein Kernthema dar. Daher stellt sich die Frage, was die beiden Reformpädagogen unter ihrer Kindergruppe verstanden und welche Ziele sie mit ihr verfolgten. Ein wichtiger Aspekt ist die altersheterogene Gruppe. In der vorliegenden Untersuchung werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Konzepte, Montessoris und Petersens, herausgearbeitet.
Die Begründungen, die die Pädagogen für die Altersheterogenität anführten, wurden Anfang des 20. Jahrhundert entwickelt. Gelten diese noch heute und sind sie unverändert anwendbar?
Ebenso haben sich die Kinder im Laufe der Zeit vom Wesen her verändert; welche Auswirkungen hat das auf die Gruppeneinteilungen? Wird dadurch vielleicht sogar das altersgemischte Lernen begünstigt?
Die Jahrgangsklasse ist in Deutschland die überwiegende Unterrichtsform, kann diese die Kinder nicht genauso gut auf ein eigenständiges Leben vorbereiten?
Müssen nicht auch die Lehrer in der heutigen Zeit zum Umdenken bewegt werden?
Um die Verbindung zu heutigen Schulsystemen herzustellen, stellt sich die Frage, welchen von ihnen den pädagogischen Konzepten Montessoris und Petersens am nächsten kommt. Sollte unser Schulsystem neu überdacht werden?
Bei der Beschäftigung mit Maria Montessori und Peter Petersen fällt die Vielschichtigkeit des Themas auf.
In neuerer Zeit zeigt die breite Öffentlichkeit ein ausgeprägtes Interesse an der Reformpädagogik, speziell auch an der Montessori- und an der Jena-Plan Pädagogik. Eine freie und unabhängige Presse diskutiert in zahlreichen Büchern und Zeitschriften sowie im Internet die neusten Entwicklungen der gesamten Schulpädagogik. Entsprechend zahlreich ist die Literatur zu diesem Thema.
Erwähnenswert sind die Werke von Michael Klein-Landeck „Freie Arbeit bei Maria Montessori und Peter Petersen“ und von Leopold Kratochwil „Pädagogisches Handeln bei Hugo Gaudig, Maria Montessori und Peter Petersen“. Diese Bände vergleichen unter anderem spezifisch ausgewählten Gesichtspunkte dieser schulpädagogischen Richtungen miteinander.
Um die Grundgedanken der ausgewählten Pädagogen kennenzulernen, wird folgende Literatur herangezogen:
„Der Kleine Jena-Plan“ von Peter Petersen. Hier beschreibt er ausführlich die Grundgedanken seiner Pädagogik.
Das Buch „Kinder sind anders“ von Maria Montessori aus dem Jahre 1950, ist eines ihrer bedeutendsten Werke.
Zur Problematik der altersgemischten Kindergruppe und zur altershomogenen Kindergruppe in der heutigen Zeit seien die Publikationen von Ralf Laging „altersgemischtes Lernen in der Schule“ und von Lothar Krappmann / Hans Oswald „Alltag der Schulkinder“ zu erwähnen.
Die bisherigen Veröffentlichungen berücksichtigen allerdings entweder den gesamten pädagogischen Ansatz oder nur einzelne Aspekte.
Die vorliegende Untersuchung hingegen bietet einen umfassenden Einblick in die Bedeutung der Kindergruppe der Pädagogik Maria Montessoris und Peter Petersens.
Um dem Leser eine Überblick über die Grundlagen der Reformpädagogik zu vermitteln, möchte ich auf die geschichtliche Entwicklung dieser im Folgenden eingehen.
2. Geschichte der Reformpädagogik
Die reformpädagogische Bewegung begann 1890, ihre Vorreiter sind aber schon viel früher zu finden.
Zum Beispiel schrieb Jean Jacques Rousseau (1712-1778) 1762 seine Gedanken in dem Erziehungsroman ”Emil oder über die Erziehung“ nieder. Diese Gedanken sind auch in Ellen Key´s (1849-1926) um 1900 verfassten Buches ”das Jahrhundert des Kindes” wieder aufgegriffen worden. Sie stellen sich dar als der Glaube an die Unverderbtheit der Natur, der Gedanke an die indirekte Erziehung und als die Zuversicht, dass Kinder sich harmonisch entwickeln, wenn sie nicht dabei gestört werden.
Die hauptsächlichen Vorstöße in der reformpädagogischen Bewegung erfolgten nicht an nur einem Ort, dafür aber nahezu gleichzeitig:
Berthold Otto (1859-1933) zum Beispiel schrieb 1901 das Buch ”Lehrgang der Zukunftsschule”, welchen er auch praktisch umsetzte. Ellen Key schrieb wie schon erwähnt 1900 das Buch ”das Jahrhundert des Kindes”.
Viele andere Bücher, die um diese Zeit veröffentlicht wurden, lassen darauf schließen, dass eine Bewegung in Gang gesetzt wurde:
Von 1900 an bis zum Beginn des ersten Weltkrieges 1914 verlief die reformpädagogische Bewegung in vier Richtungen:
1. Die Kunsterziehungsbewegung
Die Kritik dieser Bewegung an dem Schulwesen dieser Zeit war der Stilverfall auf künstlerischer Ebene. Es wurden Erneuerungen gefordert, vor allem von Alfred Lichtwark (1852-1914). Die künstlerische Kreativität sei schon im Kindesalter vorhanden und müsse entsprechend gefördert werden. Kunsterziehung umfasste hier u.a. auch die Sprache, Dichtung, Musik und Gymnastik.
2. Die Jugendbewegung
Die Jugendbewegung begann 1901 mit der Gründung der Vereinigung Wandervogel. Diese protestierten gegen die gängelnde Schulerziehung und bürgerliche Lebensform.
3. Die Landerziehungsheimbewegung
Diese wurde durch ein um 1889 von Cecil Reddie (1858-1932) gegründete Heim in Gang gesetzt.
Die Bewegung wurde von dem Gedanken, die jungen Menschen vor den negativen Eindrücken der Zivilisation zu schützen, getragen. In den Landerziehungsheimen wird eine gesunde, naturnahe und vernünftige Lebensweise gelebt und ein Lernen ermöglicht, das in gleicher Art und Weise die körperlichen und seelischen Kräfte der Kinder fördert wie die intellektuellen.
4. Die Arbeitsschulbewegung
Diese Bewegung hat vier Erscheinungsformen:
a) Als Schule mit wirtschaftlicher Bedarfsarbeit. Charakterisierend ist hier Paul Oestreich (1878-1959).
b) Als Schule mit handwerklich gerichteter Arbeit. Charakterisierend ist hier Georg Kerschensteiner (1854-1932).
c) Als Schule des schaffenden Lernens. Charakterisierend ist hier Adolphe Ferriere (1879-1960).
d) Als Schule der freien geistigen Arbeit. Charakterisierend ist hier Hugo Gaudig (1860-1923).
5. Die Bewegung ”vom Kinde aus”
Hier seien die Reformpädagogen Maria Montessori, Berthold Otto und Ellen Key zu nennen.
Diese Reformer waren gegen den Unterricht in formalen Stufen, ebenso waren sie der Meinung, dass die Pädagogik zu stark am Unterrichtsstoff orientiert sei.
Die Pädagogen gingen von einer Entwicklung des Kindes aus, welche sich ohne größere äußere Einwirkung vorantreibt. Die Pädagogik solle daher das Kind „wachsenlassen“.
Nach dem ersten Weltkrieg, während der Weimarer Republik (1919), fanden die früheren Ansätze eine Wiedergeburt und Vertiefung. Sie wurden aufgegriffen und bearbeitet.
Peter Petersen entwickelte 1923 den kleinen Jena-Plan, dieser überzeugte durch unterschiedliche Denkansätze und Ausgewogenheit.[3]
Im Bereich der Sozialerziehung behinderter und verhaltensauffälliger Kinder überzeugten die Arbeiten von Montessori, Korczak (1878-1942) und andere. Diese beiden Reformpädagogen fanden ihren Weg über die Medizin zur Pädagogik.
Der Reformpädagogik wurde von den Faschisten ein Ende gesetzt. Sie ließen Schulen schließen oder belegten diese mit Auflagen, sodass ein Lernen, im Sinne der Reformpädagogik nicht mehr möglich war. Den meisten Reformpädagogen blieb nur die Emigration ins Ausland.
Nach Beendigung des faschistischen Regimes wurden Versuche unternommen, wieder an die reformpädagogischen Ansätze anzuknüpfen. Die geschlossenen Schulen wurden wieder aufgebaut und erhielten regen Zulauf.[4]
3. Die Bedeutung der Kindergruppe in der Pädagogik Maria Montessoris
3.1 Kurzbiographie
Maria Montessori wurde am 31. August 1870 als Einzelkind in Chiaravalle bei Ancona in Italien geboren. Sie besuchte nach einem Umzug von 1876 bis 1883 die sechsjährige Grundschule in Rom. Trotz massiver Einwände ihres Vaters gelang es Maria Montessori, von 1883 bis 1890 die naturwissenschaftlich-technische Sekundarschule zu besuchen.
Da das Medizinstudium für Frauen in Italien nicht möglich war, studierte sie von 1890 bis 1892 Naturwissenschaften an der Universität Rom. Als erste Frau Italiens gelang es Maria Montessori schließlich von 1892 bis 1896 ein Medizinstudium zu absolvieren und am 10. Juli 1896 zu promovieren.
Ab 1897 war sie an der psychiatrischen Klinik der Universität Rom tätig. Hier erfuhr sie ihr Schlüsselerlebnis (Polarisation der Aufmerksamkeit), welches sie nach neuen Methoden für die pädagogische Arbeit mit Geistigbehinderten suchen ließ. Nach dem Studium von Schriften und Materialien der französischen Ärzte Itard und Sèguin entwickelte sie ihr eigenes didaktisches Material, welches sie von 1898 an ausschließlich einsetzte und damit erste Erfolge erzielte.
Im selben Jahr wurde ihr Sohn Mario geboren, der bis zu seinem 13. Lebensjahr bei einer Amme aufwachsen musste.
Im darauffolgenden Jahr arbeitete Montessori als Dozentin am Lehrerausbildungsinstitut in Rom.
1900 wurde sie die Leiterin eines pädagogischen Institutes zur Ausbildung von Lehrern für behinderte Kinder.
Diese Aufgaben gab Maria Montessori jedoch schon 1902 ab, um sich ganz ihrem Studium der Pädagogik zu widmen.
Von 1904 bis 1908 hielt die Pädagogin Vorlesungen und es erschienen etliche medizinische Publikationen.
Am 06. Januar 1907 eröffnete sie die erste "Casa de bambini" (Kinderhaus). Den Erfolg, den Maria Montessori mit dem Einsatz ihres Materials bei behinderten Kindern erzielte, wurde hier bei der Arbeit mit nichtbehinderten weit übertroffen.
1909 veröffentlichte sie ihre wesentlichen Grundgedanken und ließ einen ersten Kurs stattfinden.
1916 siedelte die inzwischen anerkannte Pädagogin nach Barcelona um und gründete auch dort ein Haus für Kinder.
Montessori bereiste England, die Niederlande und auch Deutschland. Der Einflussbereich der Montessori-Pädagogik erstreckte sich mittlerweile von Japan bis nach Amerika.
Mit der Machtübernahme der Nazis im Jahre 1933 wurde Montessoris Werk in Deutschland zerstört.
Als die Faschisten 1936 in Spanien siegten, vernichteten sie dort ebenfalls ihre Lehranstalten. Maria Montessori musste aus Barcelona nach Amsterdam fliehen.
Nach Kriegsbeginn verließ Maria Montessori im Jahre 1939 Europa und lebte mit ihrem Sohn in Indien.
Nach dem Ende des Krieges kehrte sie 1949 nach Europa zurück und erlebte ein Wiederaufblühen ihrer Pädagogik.
Am 06. Mai 1952 starb Maria Montessori überraschend in Nordwijk aan Zee / Niederlande.
3.2 Die Pädagogik Maria Montessoris
3.2.1 Die sensiblen Perioden des Kindes
Zu Lebzeiten von Maria Montessori entdeckte der Botaniker Hugo de Vries (1848-1935) bei Tieren, dass ”es in bezug auf die Entwicklung ganz bestimmte Empfänglichkeitsperioden (sensible Perioden) gibt."[5] Diese Perioden beobachtete Montessori in ihren Schulen bei Kindern.
Der Ausdruck der Sensiblen Perioden bedeutet, dass jedes Individuum für eine bestimmte Lebensspanne mit einer besonderen, sensiblen Phase ausgestattet ist. In einer solchen Phase des Lebens sind die Lebewesen besonders empfänglich, etwas bestimmtes Lebensnotwendiges zu erlernen. Hierbei lässt sich "eine sensible Periode (...) mit einem Lichtstrahl vergleichen, der nur bestimmte Gegenstände erhellt und andere im Dunkeln lässt. Das Kind besitzt eine bestimmte Empfänglichkeit, der Großteil der Energie wird auf einen bestimmten Punkt ausgerichtet."[6] Wenn das Licht den Gegenstand nicht mehr beleuchtet, wandert der Lichtstrahl zum nächsten und diesem wird besondere Aufmerksamkeit zuteil. Werden bei der Förderung eines Kindes diese Gesetzmäßigkeiten berücksichtigt, so kann das Kind das Lebensnotwendige ohne Probleme erlernen. Ist eine Periode aber erst einmal vorbei, ist das Erlernen solcher Lebensnotwendigkeiten mit sehr viel mehr Schwierigkeiten und Anstrengungen verbunden. Daher gilt es, diese Phasen der Erziehung nutzbar zu machen .[7]
Die Entwicklung des Kindes wird von Maria Montessori in drei Phasen unterteilt: Die erste und wichtigste Phase ist die der kindlichen Entwicklung. Sie umfaßt das Lebensalter von null bis sechs Jahren.
Diese Entwicklungsphase wird nochmals in zwei Unterphasen unterteilt. Die eine Unterphase, die Zeit des psychischen Embryos, beinhaltet die ersten drei Lebensjahre. Hierbei handelt es sich um den Lebensabschnitt der "psycho-embryonalen Periode des Lebens, die mit der vorgeburtlichen physisch-embryonalen Periode vergleichbar ist, an die sich niemand erinnern kann."[8]
Montessori verwendete hier das Wort der ”Fleischwerdung” für die Vorstellung eines Neugeborenen, dessen Geist zu Fleisch geworden ist. Ein gerade fleischgewordens Kind braucht besondere Rücksichtnahme, vor allem auf sein Seelenleben. Die seelische Entwicklung des Neugeborenen muss von der Geburt an unterstützt werden. Montessori war der Überzeugung, dass ein Kind schon von der Geburt an ein Seelenleben besitzt. Ein Neugeborenes ist mit angeborenen Instinkten ausgestattet, die sich nicht nur auf die organischen Tätigkeiten beziehen, sondern auch auf die seelischen Funktionen .[9] Im Gegensatz zu den Jungen der Säugetiere, die sehr schnell die spezifischen Eigenschaften ihrer Spezies erwerben, brauchen Menschenkinder sehr viel länger, um ihre Bewegungen zu entwickeln. Sie vermögen sich anfangs überhaupt nicht fortzubewegen, während es für manche Tierkinder das Wichtigste ist, auf ihren vier Beinen zu stehen und zu laufen. Dieses geschieht bei einem Menschenkind erst nach zirka zwölf Monaten. Außerdem dauert es Monate beziehungsweise Jahre, bis es seine Stimme zu Worten formen kann.
"Auf diese seelischen und körperlichen Tatsachen des Wachstums beziehen wir uns, wenn wir den Ausdruck Fleischwerdung gebrauchen. Fleischwerdung ist der geheimnisvolle Vorgang, demzufolge in dem trägen Leib des Neugeborenen eine Energie erwacht, die dem Fleisch der Gliedmaßen, den Organen der artikulierten Sprache die Fähigkeit verleiht, gemäß seinem Willen zu handeln, und so inkarniert sich der Mensch."[10]
Alle Lebewesen tragen einen seelischen Entwicklungsplan in sich, so werden auch die Menschenkinder diesen in sich tragen. Denn "jedes Wesen, das auf die Welt kommt, ist (...) nicht nur ein materieller Körper; es enthält in sich (...) Funktionen, die (...) von seinen Instinkten abhängen."[11] Der Unterschied bestünde darin, dass die seelische Entwicklung bei Menschen anders verläuft als bei Tieren. Die Tierkinder werden von Anfang an von ihren Instinkten in eine bestimmte Richtung gelenkt, bei Menschenkindern fehlen oder schlummern diese Instinkte, damit ein Kind langsam heranreifen kann, um dann die Handlungsfreiheit zu besitzen, sich selbst zu formen. Jedem Individuum ist es selbst überlassen, was es daraus macht. Montessori brachte einen etwas "abseitigen Vergleich (...): (...) Es gibt Dinge, die serienweise hergestellt werden. Sie gleichen einander alle und werden (...) maschinell erzeugt. Dann aber gibt es andere Dinge, die mit der Hand hergestellt werden. Dazu braucht es mehr Zeit, und jedes Stück fällt anders aus. Der Wert der in Handarbeit erzeugten Gegenstände liegt gerade darin, dass jeder von ihnen etwas von der Schöpferhand an sich trägt, die ihn hervorgebracht hat, sei es die Hand einer (...) Stickerin, sei es (...) die Hand des Genies."[12] Würde man jetzt wieder die Tierkinder zum Vergleich heranziehen, sind diese es, die den serienmäßig hergestellten Dinge entsprechen würden, d.h. Tierkinder sehen ihrer Spezies entsprechend immer "gleich" aus und nehmen die spezifischen Charakteristika an. Menschenkinder hingegen würden in diesem Vergleich den in Handarbeit hergestellten Dingen entsprechen. Jedes Kind ist anders und entwickelt ihm eigentümliche Charakterzüge. Sie sind ein Kunstwerk der Natur.[13] Dieses Kunstwerk zu formen bedarf aber sehr viel Zeit, jeder neue Mensch wird neue Überraschungen bereiten. Er ist ein "Einzelstück". „Der Mensch gehört sich selbst. Sein eigener Wille ist es, der ihm zur Fleischwerdung verhelfen muss."[14] Das erste, was ein Kind in seinem Leben erfährt, ist diese Fleischwerdung. Sie erfolgt nach psychischen Richtlinien. Ein Kind beginnt nicht kurz nach der Geburt mit dem Laufen, aber nicht etwa aus dem Grunde weil die Muskeln noch zu schwach oder es sich noch nicht koordinieren kann, die Muskeln gehorchen dem Willen des Kindes, warten auf die Anordnungen. Sein Wille ist es, der alles aufeinander aufbauen lässt, der Wille formt die ersten Laute und auch die ersten Laufversuche. Der Mensch wird somit Schöpfer seiner selbst.
Früher wurde aufgrund des passiven Verhaltens des Kindes angenommen, dass der Erwachsene es ist, der das Kind formt und sich somit fälschlicherweise als "Schöpfer" des Kindes bezeichnet. Das Kind aber trägt seinen seelischen Schlüssel schon in sich und schafft die menschliche Persönlichkeit selbst. Die Eltern haben das Kind gezeugt, aber Baumeister des Menschen ist das Kind.[15]
In der zweiten Unterphase (drei bis sechs Jahre), der Phase für die Ordnung, laufen die Entwicklungsprozesse bewusst ab, aus dem "unbewussten Schöpfer" wird ein "bewusster Arbeiter". Direkt auf die abklingenden sensiblen Perioden bauen die nächsten auf. So folgt zum Beispiel auf "die sensible Periode des Spracherwerbs direkt (...) die sensible Periode des Schreiben- und Lesenlernens."[16] In dieser Periode wird auch das Vorstellungsvermögen und die Einbildungskraft entwickelt, außerdem wird die Intelligenz weiter aufgebaut.
In der zweiten Entwicklungsperiode, der Periode von sechs bis zwölf Jahren, entwickelt sich das Kind zu einem von Montessori benannten sozialen Embryo. In dieser Periode wird im wesentlichen die Sozialentwicklung gefördert, d.h. das Kind erwirbt die Fähigkeit zur sozialen Kooperation und beginnt, sittliche Kriterien zu entwickeln.[17] „Es ist die Aufgabe des sozialen Neugeborenen, den sozialen Menschen zu schaffen, der unter Wahrung seiner individuellen Unabhängigkeit mit anderen Menschen in Harmonie zusammen leben und arbeiten kann.“[18]
Anschließend folgt die Entwicklungsphase der Jugend, die dritte Periode (zwölf bis achtzehn Jahre). Dies ist die Phase der Entwicklung des Gerechtigkeitssinnes und des moralischen Interesses. Für diesen Lebensabschnitt des Jugendlichen hat Montessori den Erdkinderplan vorgesehen.[19]
Wie kann ein Kind aber in diesen Entwicklungsperioden derart leicht lernen? Erwachsene erlernen zum Beispiel eine Fremdsprache kognitiv, Kinder hingegen durch einfaches Hören und Sprechen der Sprache.[20] "Unser Geist, so wie er ist, würde nie dasselbe erreichen wie der des Kindes. Für eine Eroberung wie die der Sprache ist eine andere Geistesform nötig, und diese Form eben besitzt das Kind: eine Form von Intelligenz, die sich von der unsrigen unterscheidet."[21] Zudem behalten Erwachsene die erlernten Dinge im Gedächtnis, verschmelzen aber nicht mit Ihnen. "Das Kind hingegen erfährt eine Veränderung: Die Eindrücke dringen nicht nur in seinen Geist ein, sondern formen ihn. Die Eindrücke inkarnieren sich in ihm. Das Kind schafft gleichsam Sein "geistiges Fleisch" im Umgang mit den Dingen seiner Umgebung. Wir haben seine Geistesform absorbierenden Geist genannt. (...) Es handelt sich zweifellos um eine privilegierte Geistesform."[22]
3.2.2 Die vorbereitende Umgebung
In Montessoris Kinderhäusern und Schulen ist die vorbereitende Umgebung ein großer Bestandteil der Ausstattung.
Sie wurde entwickelt, da sich im Kinde zeigt, "dass die seelische Entwicklung nicht zufällig erfolgt und nicht von äußeren Eindrücken verursacht wird, sondern von dem Wechsel der Empfänglichkeiten, das heißt von vorübergehend auftretenden Instinkten, mit denen die Erwerbung verschiedener Fähigkeiten verbunden ist. Zwar dient die Umwelt hierbei als Material, aber sie hat für sich allein keine aufbauende Kraft. Sie liefert nur die erforderlichen Mittel, vergleichbar den lebenswichtigen Stoffen, die der Körper durch Verdauung und Atmung von außen her aufnimmt."[23]
Diese aufbauende Kraft nun gilt es zu erschaffen, d.h. es soll für die Kinder eine vorbereitende Umgebung geschaffen werden, die es Ihnen ermöglicht, nach ihren sensiblen Perioden zu lernen. "Dazu bedarf es (...) einer liebevollen Atmosphäre, einer Umgebung, die Anregungen bereithält und ihm die Möglichkeiten zu Tätigkeiten gibt, an denen es sich entfalten kann."[24]
Die vorbereitende Umgebung in einem Kinderhaus bzw. in einem Kindergarten sollte nach folgenden Kriterien gestaltet werden:
Die Einrichtung muss kindgerecht sein, d.h. dass zum Beispiel die Stühle nur für Kinder gedacht sind. Sie sollten leicht und in entsprechender Größe sein. Auch die Tische werden den Kindern angepasst und müssen so leicht zu bewegen sein, dass auch zwei kleine Kinder diese verschieben können. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Schränke in einer, selbst von kleinsten Kindern erreichbaren und bedienbaren Höhe sind. Genauso wird auf alle anderen Einrichtungsgegenstände geachtet. Die Türklinke hat genau in der richtigen Höhe zu sein, und das Waschbecken muss für kleine Kinder erreichbar sein. Auch sollten Pflanzen aufgestellt werden und an den Wänden Bilder hängen, die jeden Tag von den Kindern ausgetauscht werden können.
Der Kinderraum sollte ausschließlich für Kinder gemacht sein.
Allerdings hat der Erzieher darauf zu achten, dass nicht zuviel in diesen Räumen untergebracht wird, und dass jeder Gegenstand geflissentlich ausgesucht wurde. Die Gegenstände sollten den sensiblen Perioden der Kinder angepasst sein, um zu gewährleisten, dass die Kinder in jeder Entwicklungsstufe ein Angebot wahrnehmen können.[25]
Der Erzieher hat aber auch dafür Sorge zu tragen, dass nicht ein Überangebot gestellt wird, damit das Kind nicht von zu vielen Reizen überwältigt wird.
"Vorbereitende Umgebung bedeutet also auch eine Beschränkung auf das Wesentliche, denn nur aus einem übersichtlichen Angebot kann das Kind auch wirklich frei wählen."[26]
Die Umgebung soll nicht eine Miniaturausgabe der Erwachsenenwelt sein, aber das Kind muss in ihr Erfahrungen sammeln, die es auf andere Bereiche übertragen kann. Diese kleine Welt ist von Erwachsenen geschaffen und stellt somit die Hilfe dar, die sie Kindern bieten können. "Kern des Angebotes ist das von Montessori entwickelte Material"[27], welches nachfolgend vorgestellt wird.
Im Umgang mit der vorbereitenden Umgebung müssen Regeln aufgestellt werden, die der Sicherung der Ordnung dienen, wie zum Beispiel die Materialien wieder an ihren Platz zurückzustellen. Andere Regeln wiederum befassen sich mit dem Umgang der Kinder untereinander, wie zum Beispiel dass kein Kind bei seiner Arbeit gestört werden darf.
Die vorbereitende Umgebung wird aber nicht nur durch die Gegenstände in ihr dargestellt, zu ihr gehört auch der Erzieher oder Lehrer. Er ist für die Atmosphäre verantwortlich und zeigt den Kindern den sachgerechten Gebrauch des Materials.
Die vorbereitende Umgebung in der Schule äußert sich in denselben Kriterien. "Die Schule muss der Ort werden, wo das Kind in seiner Freiheit leben kann."[28]
3.2.3 Das Materialkonzept
Das Materialkonzept Montessoris ist sehr eng mit der vorbereitenden Umgebung verknüpft, es ist ein Bestandteil von ihr.
Dieses didaktische Material wird in 5 Gruppen unterteilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. Materialbereiche im Überblick (nach Hedderich, 2001)
Die Grundeigenschaften der Materialien sind die, ”dass sie wesentlichen Entwicklungsbedürfnissen des Kindes entsprechen, weiterführende Interessen wecken, kulturspezifische Bildungsfortschritte ermöglichen und den Prozess seiner Verselbständigung fördern.”[29]
Das Montessori-Material wird charakterisiert durch die vier folgenden Eigenschaften:
- Begrenzung: Die Materialien werden quantitativ begrenzt, welches bedeutet, dass stets nur ein Exemplar vom jeweiligen Material vorhanden ist. Wie schon bei der vorbereitenden Umgebung beschrieben, führt ein Überangebot eher zur Entmutigung. Alles muss überschaubar bleiben. Auch regt die Einzigartigkeit des Materials zu sozialem Handeln an. Die Kinder lernen zu warten und miteinander zu kooperieren.
[...]
[1] Kratochwil, L.: Pädagogisches Handeln bei Hugo Gaudig, Maria Montessori und Peter Petersen. Donauwörth, 1992. S. 265.
[2] Die Schulstudie Pisa 2000 (Programme for International Student Assessment): Im Zentrum des Erhebungsprogramms steht die Erfassung von Leseverständnis, während Mathematik und die naturwissenschaftlichen Fachgebiete Nebenkomponenten bildeten. 30 Staaten beteiligten sich an dieser Studie.
[3] Der kleine Jena-Plan dient zur Einführung in den großen Jena-Plan:
Jena-Plan I: Schulleben und Unterricht einer freien allgemeinen Volksschule. 1930.
Jena-Plan II: Das gestaltende Schaffen. 1930.
Jena-Plan III: Die Praxis der Schulen nach dem Jena-Plan. 1934.
[4] Vgl. Reble, A.: Geschichte der Pädagogik. Stuttgart, 1999.
[5] Montessori, M.: Kinder sind anders. München, 1987. S. 47.
[6] Hedderich, I.: Einführung in die Montessori-Pädagogik. München; Basel, 2001. S. 27.
[7] Steenberg, U.: Handlexikon zur Montessori-Pädagogik. Ulm, 1997. S. 174.
[8] Montessori, M.: Das kreative Kind. Freiburg, 2000. S. 148.
[9] Montessori: Kinder sind anders. S. 38.
[10] Ebenda. S. 39.
[11] Ebenda. S. 39.
[12] Ebenda. S. 40.
[13] Ebenda. S. 41.
[14] Ebenda.
[15] Ebenda. S. 46.
[16] Hedderich. S. 28.
[17] Ebenda.
[18] Holtstiege, H. in: Steenberg. S. 41.
[19] Der Erdkinderplan sieht vor, die Jugendlichen, fern von ihren Eltern, auf dem Lande unterzubringen. Hier werden wirtschaftlich unabhängige Einrichtungen geführt. Diese stellen das Standbein der vorbereitenden Umgebung dar. Montessori nennt diesen Ort eine Erfahrungschule des sozialen Lebens.
[20] Vgl. hierzu auch die kognitive Entwicklung des Kindes aus der Sicht Jean Piagets (1896-1980), der Mitglied der Schweizer Montessori-Gesellschaft war:
1. Stufe ist das sensomotorische Stadium von null bis zwei Jahre. Hier passt sich das Kind intelligent an seine Umgebung an. Diese drückt sich durch spontane Handlungen wie Rasseln etc. aus. Diese Bewegungen werden mit der Zeit koordinierter. Am Ende dieser Zeitspanne folgt die Nachahmungsphase, in der dem Kind bewusst wird, was es tut.
2. In dem vorbegrifflichen Stadium, im Alter von zwei bis vier Jahren, lässt sich das Denken nachweisen. In dieser Phase findet der Spracherwerb statt.
3. Das intuitive Stadium von vier bis sieben Jahren erfasst den Übergang vom voroperatorischen zum operatorischen Denken.
4. Das konkret-operationale Stadium von sieben bis elf Jahren wird charakterisert durch die Formierung von Gruppen Gleichaltriger.
5. Das formale Stadium ab elf Jahren. Ab diesem Alter haben Kinder das „Denken“ gelernt.
[21] Grundgedanken der Montessori-Pädagogik. Freiburg, 1967. S. 70.
[22] Ebenda.
[23] Ebenda. S. 71.
[24] Esser, B.; Wilde, C.: Montessori-Schulen. Reinbek, 1989. S. 40.
[25] Ebenda.
[26] Ebenda. S. 41.
[27] Ebenda. S. 45.
[28] Grundgedanken der Montessori-Pädagogik. S. 83.
[29] Klein-Landeck, M.: Freie Arbeit bei Maria Montessori und Peter Petersen. Münster, 1998. S. 51.
- Citation du texte
- Jenifer Schlatermund (Auteur), 2001, Die Bedeutung der Kindergruppe in der Pädagogik Maria Montessoris und Peter Petersens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23406
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