Ist Fernando Arrabal dem absurden Theater zuzuordnen, kann man in
seinem Stück El cementerio de automóviles oder in den übrigen formale
und inhaltliche Belege für diese Zuordnung finden? Autoren wie u.a.
Martin Esslin1 oder José García Templado2 sehen ihn in Tradition der
europäischen Vertreter dieser zeitgenössischen dramatischen Strömung,
wie Artaud, Beckett oder Ionesco und bestätigen somit diese These.
Auf der anderen Seite finden sich aber auch gegensätzliche
Stellungsnahmen in anderen Sekundärquellen; Ursula Aszyks etwa
schreibt, „dass Arrabals Bedeutung als Dramatiker [...] in Spanien sehr
gering gewesen ist“3. Auch das LWR zählt Autoren wie Tardieu oder
Arrabal „nur durch einzelne Merkmale verschiedener ihrer Stücke“4 zu
den Dramatikern des absurden Theaters.
Wie umstritten die Genrezugehörigkeit Arrabals auch sein mag, in
seinem bekanntesten und umstrittensten Theaterstück El cementerio de
automóviles, erschienen 1958 als Drama in zwei Akten, zeigt sich eine
deutliche Beeinflussung durch das absurde Theater. Sie tritt nicht nur in
der provokanten Motivwahl, der Art und Funktion der Sprache zutage,
sondern auch in inhaltlichen Sequenzen, in denen Arrabal Themen und
Tabus, die seine persönliche Erfahrung und seine Zeit prägen, anspricht,
die Frage nach der Rolle der Religion und nach dem Sinn und Zweck des
menschlichen Daseins. Folgende Aspekte des Absurden werden ebenfalls
Gegenstand der Untersuchung sein: die besondere Motivwahl, die
außergewöhnliche Sprache, die Figuren, die Gestaltung der Handlung,
der Bezug zwischen Zuschauer und Aufgeführtem, sowie die
Gesamtaussage die sich vom traditionellen Theater grundsätzlich
unterscheidet (Frage nach der Individuums-/Gesellschaftskritik und der
Vermittlung einer bestimmten Weltsicht).
1 Esslin, Martin,1965, Das Theater des Absurden, Hamburg: Reinbek.
2 Templado, José García,1981, Literatura de la postguerra : El teatro, Madrid.
3 Floeck, Wilfried (Hg.), 1990, Spanisches Theater im 20.Jh. Gestalten und Tendenzen,
Tübingen, S.62.
4 LWR, 1997, hg. von Hess u.a., München: dtv, S.451.
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einführung
2 Skizzierung des absurden Theaters
3 Arrabal in seiner Zeit
3.1 Zusammenfassung von El cementerio de automóviles
4 Aspekte des absurden Theaters im Stück
4.1 Handlung
4.2 Personen
4.3 Sprache
4.4 Motive
4.5 Intention und Publikum
5 Schlussbemerkung
Kapitel 1
1 EINFÜHRUNG
Ist Fernando Arrabal dem absurden Theater zuzuordnen, kann man in seinem Stück El cementerio de automóviles oder in den übrigen formale und inhaltliche Belege für diese Zuordnung finden? Autoren wie u.a. Martin Esslin[1] oder José García Templado[2] sehen ihn in Tradition der europäischen Vertreter dieser zeitgenössischen dramatischen Strömung, wie Artaud, Beckett oder Ionesco und bestätigen somit diese These.
Auf der anderen Seite finden sich aber auch gegensätzliche Stellungsnahmen in anderen Sekundärquellen; Ursula Aszyks etwa schreibt, „dass Arrabals Bedeutung als Dramatiker [...] in Spanien sehr gering gewesen ist“[3]. Auch das LWR zählt Autoren wie Tardieu oder Arrabal „nur durch einzelne Merkmale verschiedener ihrer Stücke“[4] zu den Dramatikern des absurden Theaters.
Wie umstritten die Genrezugehörigkeit Arrabals auch sein mag, in seinem bekanntesten und umstrittensten Theaterstück El cementerio de automóviles, erschienen 1958 als Drama in zwei Akten, zeigt sich eine deutliche Beeinflussung durch das absurde Theater. Sie tritt nicht nur in der provokanten Motivwahl, der Art und Funktion der Sprache zutage, sondern auch in inhaltlichen Sequenzen, in denen Arrabal Themen und Tabus, die seine persönliche Erfahrung und seine Zeit prägen, anspricht, die Frage nach der Rolle der Religion und nach dem Sinn und Zweck des menschlichen Daseins. Folgende Aspekte des Absurden werden ebenfalls Gegenstand der Untersuchung sein: die besondere Motivwahl, die außergewöhnliche Sprache, die Figuren, die Gestaltung der Handlung, der Bezug zwischen Zuschauer und Aufgeführtem, sowie die Gesamtaussage die sich vom traditionellen Theater grundsätzlich unterscheidet (Frage nach der Individuums-/Gesellschaftskritik und der Vermittlung einer bestimmten Weltsicht).
Kapitel 2
2 SKIZZIERUNG DES ABSURDEN THEATERS
Geburtsort des Genres ‚Absurdes Theater’ war das avantgardistische Paris der 50er Jahre. Wie jede neu entstehende Form des Theaters, wurde auch diese von einer Protestbewegung junger Autoren hervorgebracht, die gegen das traditionelle und konventionelle Theater des Realismus sowie gegen das rein unterhaltende Boulevardtheater rebellierten. Aber längst nicht alle erfolgreichen Dramatiker damals waren Franzosen, denn das innovative Paris wirkte anziehend auf Künstler aller Nationalitäten. So veröffentlichten die bekanntesten Autoren des absurden Theaters ihre Werke zunächst auf Französisch: der Ire Samuel Beckett, der Rumäne Eugène Ionesco und eben auch ab 1955 der exilierte Spanier Fernando Arrabal.
Der grundlegende Unterschied zum klassischen Theater kann so ausgedrückt werden, dass das absurde Theater seine Aufgabe eben nicht darin sieht, „der menschlichen Natur einen Spiegel vorzuhalten und in scharf beobachtenden Skizzen ein Bild der Sitten und Moden eines Zeitalters zu entwerfen“[5]. Ausgangsüberlegungen dieser neuen dramatischen Theorie sind, dass der Mensch in der Welt kein beherrschendes Prinzip, keinen alles verbindenden Sinn ausmachen kann, dass es keine allgemeinen Gewissheiten über die Bestimmung des Menschen im Universum gibt, von denen sich Wertbegriffe oder ein Moralgesetz ableiten ließen. Das Theater nimmt dies als Gewissheit und versucht durch eine solche ‚Schocktherapie’, das heißt, durch die unverschönte Darstellung dieser Weltanschauung, den Menschen zurückzuwerfen in seine „Urangst“, ihn „aufzurütteln aus seiner trivial, mechanisch und selbstgefällig gewordenen Existenz“[6]. Die ‚Gesellschaftskritik’ trifft vor allem den Massenmenschen, der, berauscht von Konsum und mechanisiert durch Arbeit und Alltagsleben, das Geheimnis seines Menschseins verloren hat, er führt ein unauthentisches Leben. So stellen sich auch die Beziehungen zu seinen Mitmenschen dar: verkümmert und ohne Chance, das Gegenüber wirklich zu erreichen: „gefangen im Kerker der Subjektivität“[7].
So scheint das absurde Theater in seiner Gesamtaussage pessimistisch veranlagt zu sein. Man darf jedoch nicht übersehen, dass die letztendliche Botschaft des Bühnengeschehens den Zuschauer ja nicht einfach abqualifizieren will, sondern ihn durch satirische, parodistische und groteske Elemente zu der Erkenntnis bringen will, dass er „keine außerweltliche (religiöse) Transzendenz zu erwarten habe“ und „dass er auf das innerweltliche (gesellschaftliche) angewiesen bleibt“[8]. Das Absurde ist also nicht Programm des Theaters, sondern viel eher auch Thema der Stücke. Die Aufforderung an den Zuschauer, der im übrigen funktionell in das Stück viel mehr noch als früher involviert ist, lautet also, sich die Realität wieder zu eigen und die Entfremdung zwischen den Menschen rückgängig zu machen.
Politische und gesellschaftspolitische Ansätze lässt das absurde Theater aber tendenziell genauso vermissen, wie die Repräsentation einer Gesellschaft bzw. ein Entwurf eines Bildes der Wirklichkeit durch den Autor. Die absurden Werke vermitteln, und das ist ihre eigentliche Gemeinsamkeit, Ängste, Albträume, Sehnsüchte und Phantasien des einzelnen Autors, das Theater wird sozusagen aus der Ich-Perspektive heraus geboren. Deshalb werden auf der Bühne Menschen in existenziellen Situationen dargestellt, die Handlung ist zusammengeschrumpft auf aneinandergereihte Szenen und Bilder, die Sprache dient nicht mehr der Argumentation, sondern der Assoziierung dieser Bilder und ist nur eine Komponente unter vielen. Somit werden auch die drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung verworfen, die Figuren dienen nicht mehr zur Identifikation, sondern zur Distanzierung und nachfolgender persönlicher Einsichtnahme bzw. Interpretation des Zuschauers; Esslin spricht auch von der „eigenen schöpferischen Leistung“[9].
Im Gegensatz etwa zu Auto sacramental kann dem Menschen durch das absurde Theater keine Welt- und Werteordnung angeboten werden, da diese ja selbst in der Realität verneint wird. Die Katharsis im ursprünglichen Sinne ist somit von selbst hinfällig. Blasphemische Elemente bzw. die Infragestellung jedweder Religion prägen das absurde Theater gleichwohl, ihre Verneinung ist eine Art Grundvoraussetzung. „Das Theater des Absurden ist Ausdrucksform dieser Suche“[10], womit Esslin die verzweifelte Suche des Menschen nach der Möglichkeit des Bestehens in einer Welt meint, die eben jeden Sinns entbehrt. Dennoch haben sowohl das klassische als auch das absurde Theater zum Ziel, dem Menschen seine Situation im Universum darzulegen; die zur Lösung angebotenen Denkmuster aber zielen in kontroverse Richtungen.
Auf der Bühne wird keine Geschichte mit Entwicklungslinie, Anfang, Höhepunkt und Schluss dargestellt, vielmehr soll ein Seinsgefühl vom Autor vermittelt werden, das dem Zuschauer Raum für interaktiv zu erlangende Erkenntnis gibt. Dadurch, dass Aggressionen, Ängste und eine chaosartige Welt gezeigt werden, soll das Publikum diese ideologischen Puzzleteile für sich zusammensetzen, so dass der Einzelne „seine eigene Situation in ihrer ganzen Verzweiflung und Härte begreifen“[11] kann. Dem Menschen wird ein Neustart ermöglicht: nicht Reinigung, sondern Rosskur. Werden im klassischen Theater nur einzelne Handlungen und Verhaltensweisen des Menschen als moralisch verwerflich gegängelt, so stellt die Theorie des Absurden das ganze System auf den Kopf: Schon die Ausgangsidee, mit welcher der Mensch das Theater betritt, ist falsch, sein Weltbild wird zerbrochen, damit er es später auf die oben genannte Weise wieder zusammensetze.
Um diesen Umbruch glaubhaft darstellen zu können, behilft sich das absurde Theater mit den menschlich elementaren Themen: Tod, Einsamkeit, Angst, Sexualität, etc. Durch Tabubrüche, durch das Darstellen von Menschen in Extremsituationen macht es den Weg frei zu neuen Denkmustern.
Seine Radikalität findet sich in allen Bereichen wieder: „Die Stücke sind personenarm, die Personen sind wesensarm, [...] dementsprechend ausdruckslos ist ihre Sprache“[12].
[...]
[1] Esslin, Martin,1965, Das Theater des Absurden, Hamburg: Reinbek.
[2] Templado, José García,1981, Literatura de la postguerra : El teatro, Madrid.
[3] Floeck, Wilfried (Hg.), 1990, Spanisches Theater im 20.Jh. Gestalten und Tendenzen, Tübingen, S.62.
[4] LWR, 1997, hg. von Hess u.a., München: dtv, S.451.
[5] Esslin, Das Theater des Absurden, S.14.
[6] ebd. S.414.
[7] ebd. S.416.
[8] LWR, hg. v. Hess u.a., S.450.
[9] Esslin, Das Theater des Absurden, S.428.
[10] Esslin, Das Theater des Absurden, S.413.
[11] ebd. S.428.
[12] LWR, hg. v. Hess u.a., S.451.
- Citation du texte
- Sabine Halbach (Auteur), 1999, Elemente des Absurden Theaters in Fernando Arrabals "El Cementerio de los Automóviles", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23316
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