In dieser Arbeit soll der Goldschmied René Cardillac aus Ernst Theodor Amadeus Hoffmanns ‚Das Fräulein von Scuderi‘ nach einer Skizzierung des historischen Hintergrundes der Novelle zunächst als Künstler und Verbrecher betrachtet werden. Anschließend soll dargestellt werden, inwiefern das Künstlertum Cardillacs ihn vom Verdacht der Täterschaft befreit und wiederum gleichzeitig das Motiv für sein verbrecherisches Verhalten darstellt. Vorweg einige Bemerkungen zur Entstehungszeit und den historischen Quellen, die Hoffmann für seine Novelle zu Rate zog.
Die Erzählung ‚Das Fräulein von Scuderi‘, die Hoffmann öffentliche Anerkennung einbrachte, entstand zwischen März und Oktober 1818 und erschien in dem bekannten Novellenzyklus ‚Die Serapions-Brüder‘. Diese Sammlung bot spannende Unterhaltung und war durch eine Vielfalt an Themen und Formen sowie einen leichten Plauderton gekennzeichnet.
‚Das Fräulein von Scuderi‘ spielt um 1680 und fällt somit in das Zeitalter Ludwig XIV., was bereits am Untertitel der Novelle, ‚Erzählung aus dem Zeitalter Ludwig des Vierzehnten‘, zu erkennen ist.
Zum Paris des 17. Jahrhunderts sowie zum damaligen preußischen Justizwesen hat Hoffmann nachweislich intensives Quellenstudium betrieben. Als historische Quellen lagen ihm unter anderem die ‚Briefe aus der Hauptstadt und dem Innern Frankreichs unter der Consular-Regierung‘ von Friedrich Lorenz Meyers (1802) und ‚Paris wie es war und ist‘ von Eberhard August Wilhelm von Zimmermann (1805/06) vor. Weiterhin zog Hoffmann die Übersetzungen von Voltaires ‚Siècle de Louis XIV.‘ (1778) sowie die ‚Causes célèbres et intéressantes‘ von Gayot de Pitaval (1737) heran.
Inhalt
1. Vorwort
2. historischer Hintergrund
3. René Cardillac als verbrecherischer Künstler
3.1. Cardillac als Künstler
3.1.1. Charakterisierung Cardillacs
3.1.2. Cardillac und die Scuderi
3.2. Cardillac als Verbrecher
3.2.1. Der unverdächtige Schuldige
3.2.1. Künstlertum als Motiv
4. Abschlußbetrachtung
5. Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Lexika
1. Vorwort
In dieser Arbeit soll der Goldschmied René Cardillac aus Ernst Theodor Amadeus Hoffmanns[1] ‚Das Fräulein von Scuderi‘ nach einer Skizzierung des historischen Hintergrundes der Novelle zunächst als Künstler und Verbrecher betrachtet werden. Anschließend soll dargestellt werden, inwiefern das Künstlertum Cardillacs ihn vom Verdacht der Täterschaft befreit und wiederum gleichzeitig das Motiv für sein verbrecherisches Verhalten darstellt.
Vorweg einige Bemerkungen zur Entstehungszeit und den historischen Quellen, die Hoffmann für seine Novelle zu Rate zog.
Die Erzählung ‚Das Fräulein von Scuderi‘, die Hoffmann öffentliche Anerkennung einbrachte, entstand zwischen März und Oktober 1818[2] und erschien in dem bekannten Novellenzyklus ‚Die Serapions-Brüder‘.[3] Diese Sammlung bot spannende Unterhaltung und war durch eine Vielfalt an Themen und Formen sowie einen leichten Plauderton gekennzeichnet.[4]
‚Das Fräulein von Scuderi‘ spielt um 1680[5] und fällt somit in das Zeitalter Ludwig XIV.[6], was bereits am Untertitel der Novelle, ‚Erzählung aus dem Zeitalter Ludwig des Vierzehnten‘, zu erkennen ist.
Zum Paris des 17. Jahrhunderts sowie zum damaligen preußischen Justizwesen hat Hoffmann nachweislich intensives Quellenstudium betrieben.[7] Als historische Quellen lagen ihm unter anderem die ‚Briefe aus der Hauptstadt
und dem Innern Frankreichs unter der Consular-Regierung‘ von Friedrich
Lorenz Meyers (1802) und ‚Paris wie es war und ist‘ von Eberhard August Wilhelm von Zimmermann (1805/06) vor. Weiterhin zog Hoffmann die Übersetzungen von Voltaires ‚Siècle de Louis XIV.‘ (1778) sowie die ‚Causes célèbres et intéressantes‘ von Gayot de Pitaval (1737) heran.[8]
2. historischer Hintergrund
Die Figur Cardillacs wird durch eine allgemeine Beschreibung der Situation in Paris im 17. Jahrhunderts exponiert. Dabei werden historische Ereignisse nahtlos in die Erzählung eingebettet, wodurch der Schrecken und die Verdachtsmomente der fiktiven Geschehnisse untermauert werden.[9]
Gleich zu Beginn, als um Mitternacht an das Haus der Scuderi gehämmert wird, kommen der Kammerfrau die schaurigsten Gedanken, und sie steht große Ängste aus: „[A]ller Frevel von Einbruch, Diebstahl und Mord, wie er jemals in Paris verübt worden, kam ihr in den Sinn [...]“.[10] Nachdem der nächtliche Eindringling geflüchtet ist[11], wird ein langer Bericht über die Pariser Verbrecherwelt eingeschoben, eingeleitet mit folgenden Worten: „Gerade zu der Zeit war Paris der Schauplatz der verruchtesten Greueltaten [...]“.[12]
Hoffmann schildert nun die Alchimistenszenerie, die in verbrecherische Bahnen ausgeufert war.[13] Berichtet wird von dem Apotheker Glaser und seinem Gehilfen Exili, denen es gelungen war, ein tödliches Gift herzustellen, das keine Spuren hinterläßt. Darüber hinaus wird von der skrupellosen Marquise de Brinvillier und ihrem Geliebten, dem Hauptmann Godin de Sainte Croix, erzählt, die scheußlichste Verbrechen ausgeführt und dabei unzählige unschuldige Menschen vernichtet hatten. Trotz Festnahme und Hinrichtung der beiden schien die Giftmischerkunst weitergetragen worden zu sein, so daß in ganz Paris Argwohn und Mißtrauen herrschte[14]: „Wie ein unsichtbares tückisches Gespenst schlich der Mord sich ein in die engsten Kreise [...]“.[15]
Um dem Schrecken entgegenzuwirken, richtete der König einen eigenen Gerichtshof ein, der die heimlichen Verbrechen untersuchen und bestrafen sollte. Der sogenannten Chambre ardente stand la Regnie als Präsident vor. Ihm unterstellt war Desgrais, ein Beamter der Marechaussée.[16] Schließlich gelang es der Chambre ardente, die Giftmorde weitestgehend einzudämmen.[17]
Aufatmen konnten die Bewohner der Stadt Paris jedoch nicht, denn nun zeigte sich ein Unheil anderer Art[18]: „Eine Gaunerbande schien es darauf angelegt zu haben, alle Juwelen in ihren Besitz zu bringen.“[19] Die Träger des Schmucks wurden niedergeschlagen und meist sogar ermordet, getroffen von einem tödlichen Dolchstich in das Herz. Trotz aller Anstrengungen konnte die Chambre ardente diesen fürchterlichen Verbrechen kein Ende setzen.[20]
Zusätzlich zu dem Schrecken, den die Überfälle und Morde verbreiteten, hatten die Pariser auch unter der willkürlich handelnden Chambre ardente erheblich zu leiden[21]: „Vergebens ließ Argenson, der Polizeiminister, alles aufgreifen [...], was von dem Volk nur irgend verdächtig schien, vergebens wütete la Regnie und suchte Geständnisse zu erpressen [...]“.[22]
Nicht nur die Chambre ardente als gesamte Institution gerät hier in ein schlechtes Licht, sondern auch La Regnie und Desgrais sind in der Novelle durchweg mit negativen Attributen besetzt. So wird von la Regnies „blinde[m] Eifer“[23], seinem „garstige[n] Ansehen und heimtückische[n] Wesen“[24] gesprochen. Die Charakterzeichnung des „verschlagenen“[25] Desgrais fällt kaum besser aus: Er unterrichtet seinen Chef la Regnie „blaß, entstellt, außer sich“[26] und „vor Wut stammelnd“[27] von seinen nächtlichen Bemühungen, die Verbrecherbande zu fassen.[28]
Anders als in Hoffmanns Novelle wird dem historischen Desgrais kluges und methodisches Ermittlungsvorgehen bescheinigt. Hoffmann zeichnet allerdings ein durchweg negatives Bild von einer entarteten Polizeiorganisation.[29] Davon einmal abgesehen hat er seinen Bericht über die Verbrechen im Paris des 17. Jahrhunderts inhaltlich fast unverändert aus Gayot de Pitavals ‘Causes célèbres et intéressantes ‘ entnommen.[30]
Nachdem Hoffmann nun die Sitten und Zustände in der Stadt geschildert hat, knüpft die Geschichte wieder an die Episode im Haus der Scuderi an, in dem nach dem nächtlichen Vorfall helle Aufregung herrscht.[31]
3. René Cardillac als verbrecherischer Künstler
3.1. Cardillac als Künstler
3.1.1. Charakterisierung Cardillacs
Die Gestalt des Goldschmiedes René Cardillac ist, wenn auch angeregt durch das Werk Pitavals, frei erfunden.[32] Cardillac ist der Kunstvollste seiner Zunft in Paris und wahrscheinlich sogar der geschickteste Goldarbeiter auf der ganzen Welt.[33] Innig vertraut ist er mit der Natur der Edelsteine. Auch aus den unscheinbarsten Rohmaterialien zaubert er wunderschöne Arbeiten.[34]
Zwar wird er schon zu Beginn der Novelle für sein Können und seine Fertigkeiten gelobt, gleichzeitig aber stellt Hoffmann auch das Doppelbödige und Vielschichtige in seinem Erscheinungsbild und Wesen heraus[35]:
„René Cardillac war damals der geschickteste Goldarbeiter in Paris, einer der kunstreichsten und zugleich sonderbarsten Menschen seiner Zeit. Eher klein als groß, aber breitschultrig und von starkem, muskulösen Körperbau [...]. Von dieser Kraft, die ungewöhnlich zu nennen, zeugte auch das dicke, krause, rötliche Haupthaar und das gedrungene gleißende Antlitz. Wäre Cardillac nicht [...] als der rechtlichste Ehrenmann [...] bekannt gewesen, sein ganz besonderer Blick aus kleinen, tiefliegenden, grün funkelnden Augen hätten ihn in den Verdacht heimlicher Tücke und Bosheit bringen können.“[36]
[...]
[1] E.T.A. Hoffmann wurde im Jahre 1776 in Königsberg geboren und verstarb 1822 in Berlin. 1809 hatte er seinen dritten Vornamen Wilhelm als Ausdruck seiner Bewunderung für Wolfgang Amadeus Mozart durch Amadeus ersetzt. Vgl. hierzu Zimmermann, Bernhard: Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus. In: Metzler Autoren Lexikon. Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. v. Lutz, Bernd. Stuttgart 1986. S. 286f.
[2] Vgl. hierzu Lindken, Hans Ulrich: Erläuterungen zu E.T.A. Hoffmann. Ritter Gluck. Der goldne Topf. Das Fräulein von Scuderi. Hrsg. u.a. v. Bahners, Klaus u. Gerd Eversberg. 5., neubearbeitete Aufl. Hollfeld 1985 (=Königs Erläuterungen und Materialien, Bd. 314). S. 81.
[3] Ebd. S. 5.
[4] Vgl. hierzu Bönnighausen, Marion: E.T.A. Hoffmann. Der Sandmann/ Das Fräulein von Scuderi. Hrsg. v. Bogdal, Klaus Michael u. Clemens Kammler. München 1999 (=Oldenbourg Interpretationen, Bd. 93). S. 69.
[5] Vgl. hierzu Hoffmann, E.T.A.: Das Fräulein von Scuderi. Erzählungen aus dem Zeitalter Ludwig des Vierzehnten. (=Hamburger Leseheft, Bd. 57). S. 3.
[6] Ludwig XIV., 1638 geboren, wurde bereits 1643 zum König ernannt, regierte aber erst ab 1661 selbständig. Er verstarb im Jahre 1715. Vgl. hierzu Der Brockhaus in einem Band. 9., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Leipzig 2000. S. 564.
[7] Vgl. hierzu Lindken: Erläuterungen. S. 8 u. Bönnighausen: Hoffmann. S. 69.
[8] Vgl. hierzu Bönnighausen: Hoffmann. S. 71. ‚Causes célèbres et intéressantes‘ des Pariser Advokaten Gayot de Pitaval erschien 13 Jahre nach der Veröffentlichung in französischer Sprache unter dem Titel ‚Erzählung sonderbarer Rechtshändel‘ auch in deutscher Übersetzung. Bei dieser Publikation handelt es sich um eine Zusammenstellung von Verhörprotokollen, Gerichtsbescheiden, Gesetzesexzerpten und Plädoyers. Vgl. hierzu Landfester, Ulrike: Um die Ecke gebrochen. Kunst, Kriminalliteratur und Großstadttopographie in E.T.A. Hoffmanns Erzählung ‘Das Fräulein von Scuderi‘. In: Die Stadt in der europäischen Romantik. Hrsg. v. Graevenitz, G. v. Würzburg 2000. S. 118.
[9] Vgl. hierzu Bönnighausen: Hoffmann. S. 71.
[10] Zitiert nach Hoffmann: Fräulein. S. 3.
[11] Vgl. hierzu Hoffmann: Fräulein. S. 5.
[12] Zitiert nach Hoffmann: Fräulein. S. 6.
[13] Vgl. hierzu Lindken: Erläuterungen. S. 89.
[14] Vgl. hierzu Hoffmann: Fräulein. S. 6ff.
[15] Zitiert nach Hoffmann: Fräulein. S. 8.
[16] Vgl. hierzu Hoffmann: Fräulein. S. 7f.
[17] Ebd. S. 9.
[18] Ebd. S. 8.
[19] Zitiert nach Hoffmann: Fräulein. S. 9.
[20] Vgl. hierzu Hoffmann: Fräulein. S. 9ff.
[21] Ebd. S. 9f.
[22] Zitiert nach Hoffmann: Fräulein. S. 9.
[23] Ebd.
[24] Ebd.
[25] Ebd. S. 8.
[26] Ebd. S. 10.
[27] Zitiert nach Hoffmann: Fräulein. S. 10.
[28] Vgl. hierzu Hoffmann: Fräulein. S. 10.
[29] Vgl. hierzu Bönnighausen: Hoffmann. S. 88.
[30] Vgl. hierzu Marsch, Edgar: Die Kriminalerzählung. Theorie, Geschichte, Analyse. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. München 1983. S. 144.
[31] Vgl. hierzu Hoffmann: Fräulein. S. 13.
[32] Vgl. hierzu Marsch: Kriminalerzählung. S. 142.
[33] Vgl. hierzu Hoffmann: Fräulein. S. 15.
[34] Ebd.
[35] Vgl. hierzu Lindken: Erläuterungen. S. 93.
[36] Zitiert nach Hoffmann: Fräulein. S. 15.
- Arbeit zitieren
- Nadine Bliedtner (Autor:in), 2003, Cardillac - Künstler und Verbrecher: Künstlertum als Befreiung vom Verdacht der Täterschaft sowie als Motiv für die Verbrechen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23279
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