Die Bachelorarbeit ergründet mithilfe einschlägiger Literatur und einer qualitativen Untersuchung die psychologischen Beweggründe des Teilens. Dafür werden innerhalb der theoretischen Fundierung Themen im Kontext des Teilens und der Share Economy genauer betrachtet. Die Kulturen und Ethiken des Teilens werden beschrieben sowie verschiedene grundlegende Theorien, die Erklärungsansätze zum Motivationshintergrund des Teilens bieten.
Des Weiteren wird das Teilen innerhalb des Wertesystems der Menschen betrachtet, wobei die Solidarität und Gerechtigkeit, das Teilen in der menschlichen Natur und die Bedürfnispyramide nach Maslow genauer beschrieben werden. Die Möglichkeiten sowie verschiedenen Anwendungsbereiche der Share Economy bilden den letzten Punkt der theoretischen Fundierung.
Um der Forschungsleitfrage auf den Grund zu gehen, beinhaltet der empirische Teil der Thesis ein teilstrukturiertes Interview mit vier Probanden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Wandel weg vom Besitzen hin zum Nutzen, der Umweltschutz, der Wirtschaftswandel und verschiedene soziale Aspekte für die Befragten eine wichtige Rolle in der Share Economy spielen und als Beweggründe angesehen werden können.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Hinführung zum Thema
1.1 Einleitung
1.2 Zielsetzung
2 Theoretische Fundierung
2.1 Teilen
2.1.1 Begriffsbestimmung
2.1.2 Kulturen und Ethiken des Teilens
2.1.3 Medienbasierte Kulturen des Teilens
2.1.4 Motivation des Teilens
2.1.4.1 Prosoziales Verhalten
2.1.4.2 Gesetz der Reziprozität
2.1.4.3 Vertrauen
2.1.4.3 Theorie des sozialen Kapitals
2.1.5 Teilen im Wertesystem
2.1.5.1 Definition von Werten
2.1.5.2 Solidarität und Gerechtigkeit
2.1.5.3 Teilen in der menschlichen Natur
2.1.5.4 Bedürfnispyramide
2.2 Share Economy
2.2.1 Begriffsbestimmung
2.2.2 Möglichkeiten
2.2.2 Anwendungsbereiche
2.2.2.1 Produkt- und Dienstleistungssysteme
2.2.2.2 Redistributionsmärkte
2.2.2.3 Kollaborativer Lebensstil
3 Empirische Umsetzung
3.1 Forschungsleitfragen
3.2 Methodisches Vorgehen
3.3 Qualitative Forschung
3.3.1 Sampling, Feldzugang und Durchführung
3.3.2 Teilstrukturiertes Interview
3.3.2 Begründung der Methodenwahl
3.3.4 Datenaufbereitung
3.3.5 Auswertungsverfahren
3.3.6 Begründung der Methodenwahl
3.4 Ergebnisdarstellung
3.4.1 Kurzfragebogen
3.4.2 Interviews
3.4.2.1 Interview mit Frau Braun
3.4.2.2 Interview mit Frau Kober
3.4.2.3 Interview mit Herrn Arnold
3.4.2.4 Interview mit Herrn Klein
3.5 Interpretation der Ergebnisse
4 Diskussion
4.1 Güte und Limitationen
4.2 Implikationen für neue Forschungsfragen
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang 1: Interviewleitfaden und Kurzfragebogen
Anhang 2: Transkribierte Interviews
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Nutzung alternativer Besitz- und Konsumformen über das Internet
Abb. 2: Zusammenhänge zwischen den Begriffen Hilfeverhalten, prosoziales Verhalten und Altruismus
Abb. 3: Edelman Trust Barometer
Abb. 4: Children's mean responses to the sharing-related tasks
Abb. 5: Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow
Abb. 6: 3-Q-Design
Abb. 7: Allgemeines Ablaufmodell qualitativer Inhaltsanalyse
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Übersicht über die Umweltauswirkungen von „Nutzen statt Besitzen“- Formen.
Tab. 2: Vorteile strukturiertes und unstrukturiertes Inteview
Tab. 3: Ergebnisdarstellung des Kurzfragebogens..
1 Hinführung zum Thema
Ob bewusst oder unbewusst, das Teilen in der Gesellschaft spielt eine große Rolle. Die Share Economy ist nicht neu, nur ihr Umfang hat sich erheblich verändert. Früher wurde mit Bekannten, Nachbarn und Freunden geteilt. Erreichbare Menschen aus der unmittelbaren Umgebung halfen aus und es wurde ihnen ausgeholfen. Doch die Bedeutung des Teilens wurde maßgeblich durch die zahlreichen Entwicklungen der letzten Jahre beeinflusst. Neue Praktiken konnten sich entfalten, die Rolle des sozialen Zusammenhalts und des Teilens wurde neu definiert.
Eine der Hauptgrundlagen für diese neue Entwicklung ist die Mediatisierung. Seit der digitalen Vernetzung kann heute nicht mehr nur mit dem Nachbarn geteilt werden, sondern jeder kann mit jedem Teilen und zwar schnell, einfach und unkompliziert. Es sind weitaus mehr Ressourcen verfügbar und schneller erreichbar.
Doch was ist der Grund für die scheinbar wachsende Motivation, Dinge zu teilen? Teilt die Gesellschaft so gern, weil es einfach ist zu teilen? Oder gibt es andere psychologi- sche Beweggründe, die vermutlich schon vor der Mediatisierung handlungsleitend für die Menschen waren und durch die Vereinfachung lediglich besser ausgelebt werden können?
1.1 Einleitung
Die repräsentative Airbnb Studie „Deutschland Teilt“, durchgeführt im Juni 2012, ist eine der jüngsten Studien in Deutschland, die nachweist, dass die Ökonomie des Teilens immer mehr an Bedeutung gewinnt. Professor Dr. Heinrichs von der Leuphana Universität Lüneburg belegt Airbnb, dass die sogenannte Collaborative ConsumptionBewegung mehr als nur ein Medienphänomen darstellt. Mehr als jeder zweite Deutsche ist bereits Teil der Sharing Economy.
Die Studie zeigt auf, dass individueller Besitz und Konsum, als zentrale Merkmale einer auf materiellen Wohlstand ausgerichteten Wirtschafts- und Lebensweise, an Wichtig- keit verlieren. Stattdessen gibt es immer mehr alternative Besitz- und Konsumformen, die an Popularität gewinnen und vermehrt Anhänger finden. Jeder zweite Deutsche soll Erfahrungen im Umgang mit alternativen Konsumformen wie zum Beispiel CarSharing oder Rent-A-Bike haben. Unterstützt wird diese Entwicklung von sozialen Medien, denn diese bieten häufig erst die Möglichkeit in einem erweiterten Rahmen zu handeln.
Ein interessanter Aspekt der Studie ist der belegte stark positive Zusammenhang zwi- schen Alter, Bildung und Einkommen. Jüngere Menschen, mit hoher Bildung und hohem Einkommen nutzen eher Verleihsysteme um Dinge zu teilen (Airbnb, 2012).
Durch diese Erkenntnis drängt sich die Frage auf, wieso genau diejenigen, die ohnehin schon ein hohes Einkommen haben, auf die häufig kostengünstigeren Konsumalternativen zurückgreifen?
Nach dieser Studie sind die Treiber der Sharing Economy postmaterialistische Wert- vorstellungen, das heißt Werte wie Gemeinschaft, Abwechslung und Kreativität. Diese Werte sind vor allem bei jungen Erwachsenen wichtiger als Besitz und Eigentum. Der positive Zusammenhang zwischen diesen Wertvorstellungen und der Nutzung alterna- tiver Besitz- und Konsumformen wurde in dieser Studie belegt (Airbnb, 2012).
1.2 Zielsetzung
Ziel dieser Bachelorarbeit ist es, herauszufinden, welche psychologischen Beweggrün- de es für Individuen gibt, zu teilen. Unter Berücksichtigung der nachhaltigen gesell- schaftlichen Veränderung, die in der oben genannten Studie unterstellt wird, soll mithil- fe einschlägiger Literatur und einer qualitativen Befragung aufgezeigt werden, weshalb die Konsumalternativen, abgesehen von den finanziellen Vorteilen, erstrebenswert sind und welche Vorteile im Vergleich zum Eigentum darin gesehen werden. Welche der postmaterialistischen Wertvorstellungen sind für den einzelnen von so hoher Bedeu- tung, sodass sie mitverantwortlich für den Wandel zur Share Economy sind? Im Zuge dieser Arbeit soll vor allem der Aspekt des Teilens betrachtet werden, wenngleich die Share Economy ein Oberbegriff für viele verschiedene Konsumformen wie zum Bei- spiel das Tauschen und Verleihen oder das Kaufen und Verkaufen durch Privatperso- nen beinhaltet.
Des Weiteren soll betrachtet werden, inwiefern die Mediatisierung die Entwicklung des Teilens beeinflusst. Führt die erhöhte Zugänglichkeit zu Sharing Plattformen dazu, dass mehr geteilt wird? Die Frage, inwieweit die Medien die Veränderung zur Ökono- mie des Teilens beeinflussen und fördern, wird mit in die Untersuchung einbezogen.
2 Theoretische Fundierung
Um diese Thesis und ihre Ergebnisse ganzheitlich betrachten zu können, werden nachfolgend in der theoretischen Fundierung essentielle Begriffe und Zusammenhänge näher erläutert und theoretische Grundlagen, welche zum Thema Share Economy und Teilen in der Literatur bestehen, herausgearbeitet.
2.1 Teilen
Katharina Hamann vom Max-Planck-Instiut für evolutionäre Anthropologie fand heraus, dass bereits Kleinkinder nur dann gerecht mit anderen Kindern teilen, wenn diese auf- grund kooperativer Handlungen eine Belohnung verdient haben. Gab es allerdings eine Belohnung ohne ersichtlichen Grund oder wurde die Aufgabe nicht kooperativ gelöst, verhielten sich die Kinder eher egoistisch. Die Veranlagung zur Kooperation ist dem- nach angeboren. Bereits Kinder verstehen, was es bedeutet, ein gemeinsames Ziel zu haben, was Katharina Hamann mithilfe der evolutionären Vergangenheit erklärt. Men- schen kooperieren viel und teilen häufig. Kooperatives Denken reicht weit in die Ver- gangenheit zurück, schon vor Jahrhunderten war es für den Menschen notwendig ge- meinschaftlich zu jagen, um genug Nahrung zu bekommen. Die Neigung etwas zu tei- len wird einem nach dieser Erkenntnis also in die Wiege gelegt. Die Weiterentwicklung in diese Richtung ist von vielen weiteren Faktoren wie zum Beispiel die Wertevermitt- lung durch die Gesellschaft und die Eltern oder positive beziehungsweise negative Erfahrungen abhängig (Max-Planck-Gesellschaft, 2011).
Um das Teilen vom Tauschen und Schenken abzugrenzen, erfolgt zunächst eine Begriffsdefinition. Im Anschluss daran werden die Kulturen und Ethiken des Teilens betrachtet und im Vergleich dazu die medienbasierten Kulturen des Teilens mithilfe der Airbnb Studie genauer erläutert.
2.1.1 Begriffsbestimmung
„Teilen liegt zwischen behalten und abgeben“ (Lempart, 2008, S.55), heißt es in dem philosophischen Werk „Spirit of Sharety“. Gemeint ist damit, dass man „behalten“ und „abgeben“ als zwei Gegenpole betrachtet. Behalten bedeutet, dass ein materielles oder immaterielles Gut bei einem selbst verbleibt, während abgeben genau das Gegenteil davon ist, das Gut also nicht bei einem selbst verbleibt, sondern an jemand anderen
gegeben wird. Teilen liegt demnach in der Mitte, da man selbst sowohl etwas abgibt,
als auch einen Teil davon behält. Des Weiteren soll das Teilen vom Schenken differen- ziert werden. Dabei wird die dahinter liegende Absicht des abgegebenen Guts betrach- tet. Beim Schenken wird es dem Beschenkten selbst überlassen, was er mit dem ihm überlassenen Subjekt macht, während beim Teilen ein bestimmtes Ziel verfolgt wird. Teilen bedeutet also „gezieltes Abgeben“ ohne Gegenleistung (Lempart, 2008). Würde wiederum die Rückgabe eines anderen Guts an den Gebenden erfolgen, spricht man von einem Tauschgeschäft.
Im Duden heißt es, etwas weniger philosophisch, unter anderem: „gemeinsam (mit einem anderen) nutzen, benutzen, gebrauchen“ (Dudenredaktion, 2004).
Neben dem Teilen von materiellen Gütern wird im Laufe der Arbeit ebenfalls immer auch das Mit-Teilen von Informationen, Wissen und Ideen miteinbezogen.
2.1.2 Kulturen und Ethiken des Teilens
Teilen ist ein Prozess der sozialen Interaktion und spielt eine wichtige Rolle im gesell- schaftlichen Zusammenleben. Nach Nell-Breuning ist die Gesellschaft eine Verbun- denheit von Menschen, die dauernd besteht und ein gemeinschaftliches Ziel verfolgt (Nell-Breuning, Sacher, 1954). Wie unter 2.1 erläutert, ist das kooperative Denken schon für Kleinkinder relevant, wenn ein gemeinschaftliches Ziel erkannt wird. Daraus lässt sich ableiten, dass Individuen in einer Gesellschaft das Teilen immer als loh- nenswert ansehen, da eine Gesellschaft ja schon aus sich heraus ein gemeinsames Ziel verfolgt.
In der Kultur des Teilens geht es darum, dass eine Person, die einen Gegenstand nicht ständig braucht, diesen Gegenstand nicht für sich alleine anschafft, sondern mit ande- ren zusammen, die diesen Gegenstand oder das Wissen dann ebenfalls nutzen. Dabei gibt es verschiedene Elemente der Moral, die aus der Kultur des Teilens eine Ethik generieren. Das Teilen spricht eine unübersehbare Breite von Verhaltensweisen an, die alle darauf abzielen, sich so zu verhalten, dass die Ressourcen nicht völlig ver- braucht werden und die Umwelt geschont wird. Die ökologische Rolle ist also ein Ele- ment der Moral, die das Teilen fördert. Hat eine Person ein hohes Umweltbewusstsein, kann das zum Beispiel zu einer höheren Bereitschaft führen, Geteiltes in Anspruch zu nehmen oder selbst etwas zu teilen. Ein weiteres Element ist das grundsätzliche Um- denken, nicht alles selbst kaufen und somit auch nicht alles selbst besitzen zu müssen, sondern zu leihen. Dies fördert nebenbei auch noch den sozialen Zusammenhalt. Es geht also weniger um Eigentum und Besitz in der Kultur des Teilens, sondern vielmehr um die sozialen Komponenten, das Einsparen von Ressourcen und den Nutzen, den jeder Einzelne daraus ziehen kann (Sützl, Stalder, Maier, Hug, 2012).
2.1.3 Medienbasierte Kulturen des Teilens
Jeder der möchte, kann mittlerweile einen guten Teil seines Lebens über Mitnutzungsportale im Internet organisieren. Nach der von Airbnb in Auftrag gegebenen Studie „Deutschland teil“, teilen zwölf Prozent der Bevölkerung in Deutschland mithilfe von Online-Portalen Dinge. Bei den 14 bis 29-jährigen sind es 25 Prozent, bei den 30 bis 39- jährigen haben bereits 88% Dinge im Internet verkauft oder gekauft (Airbnb, 2012). Die nachfolgende Tabelle veranschaulicht diese Zahlen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Nutzung alternativer Besitz- und Konsumformen über das Internet (eigene Darstellung).
In der Studie „Nutzen statt Besitzen“ der Heinrich-Böll-Stiftung ist die Rede von einer kulturellen Veränderung. Ressourcen werden gemeinsam genutzt und somit effizienter verwendet. Dadurch wird der Verbrauch von Ressourcen gesenkt und gleichzeitig die Lebensqualität erhöht. Ermöglicht wird diese Veränderung durch das Internet. Schnel- les und unkompliziertes Teilen auf vielen verschiedenen Plattformen macht es für je- den einfach das zu finden, was er gerade braucht, aber nicht kaufen möchte (Leis- mann, Baedeker, Schmitt, Rohn, 2012). Die sogenannten digitalen Natives, also junge Erwachsene, die mit dem Internet aufgewachsen sind, hätten ein hohes Grundvertrau- en in andere Nutzer(Botsman, Rogers, 2010). Dies spiegelt auch die obere Grafik zu der Airbnb Studie wieder. Die Nutzung des Internets für alternative Besitz- und Kon- sumformen ist bei den 14-39 jährigen sehr viel höher, als bei älteren Personen. Das Grundvertrauen ist deshalb so wichtig, da man im Internet meist mit fremden Men- schen agiert. Dabei ist es unumgänglich, darauf zu vertrauen, dass genau diese frem- den Menschen keine bösen Absichten haben. In diesem Zusammenhang wird Vertrau- en als neue Währung bezeichnet. Durch dieses Vertrauen steigt die Zahl der Anbieter ebenso wie die Zahl der Nutzer verschiedenster Internetplattformen, denn erst das Vertrauen schafft die Bereitschaft, Dinge zu teilen (Botsman, Rogers, 2010).
In der Studie der Heinrich-Böll-Stiftung wird das Internet als Vermittlungsinstanz be- zeichnet. Die Umständlichkeit des Leihens und Tauschens verhinderte bisher eine brei- te Kultur des „Nutzen statt Besitzen“. Das änderte sich mit den wachsenden Möglich- keiten und der Einfachheit im Internet, verschiedenste Gegenstände einer breiten Mas- se anzubieten. Nischenprodukte, die andernfalls kaum weiterzuverkaufen waren, fin- den leichter einen neuen Besitzer. Auch der mobile Zugang durch Smartphones und den darauf installierten Apps bieten eine erhöhte Mobilität für den Nutzer.
Im Internet erfahren Menschen, dass man kein Eigentum an Dingen haben muss, um ihre Vorteile nutzen zu können. Ob kommerziell oder nichtkommerziell, Informationen oder Musik beispielsweise können jederzeit geteilt werden. Ebenso wie die realen Tauschbörsen den sozialen Zusammenhalt fördern, bringen auch digitale Kommunika- tionsplattformen einen sozialen Mehrwert (Leismann, Baedeker, Schmitt, Rohn, 2012).
2.1.4 Motivation des Teilens
Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit diversen bedeutsamen Theorien, die Erklärungsansätze bieten, was Personen veranlasst, ihre verfügbaren Ressourcen mit anderen zu teilen oder das Eigentum von anderen in Anspruch zu nehmen.
2.1.4.1 Prosoziales Verhalten
Prosoziales Verhalten bezeichnet im Allgemeinen das hilfreiche Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen. Dazu zählt der Altruismus, das Teilen, das Spenden, das Eintre- ten für soziale Gerechtigkeit und die mitmenschliche Anteilnahme (Schmidt-Denter, 2005). Das intrinsisch motivierte Helfen wird eher als altruistisches Verhalten bezeich- net, wobei das selbstlose Handeln im Vordergrund steht. Das Verhalten ist nicht immer durch die Erwartung einer Belohnung erklärbar. Teilweise wird Altruismus auch so de- finiert, dass die Interessen und das Wohlergehen eines anderen über den eigenen In- teressen stehen (Zimbardo, 1988). Die Motivation des Helfers ist dadurch gekenn- zeichnet, dass er empathisch ist, sich also in die Situation eines Anderen hineinverset- zen kann. Bei prosozialem Verhalten gibt es keine Unterscheidung zwischen subjekti- ven Beweggründen und äußerem Verhalten, das heißt, auch die eigennützige Hilfeleis- tung ist prosozial.
Abb. 2: Zusammenhänge zwischen den Begriffen Hilfeverhalten, prosoziales Verhalten und Altruismus (eigene Darstellung in Anlehnung an Stroebe, Jonas, Hewstone, 2003).
Das prosoziale Verhalten kann abhängig sein von sozialen Normen, Persönlichkeits- faktoren oder Situationsvariablen wie zum Beispiel die Unselbstständigkeit eines Ande- ren.
Da das Teilen gewissermaßen das prosoziale Verhalten beziehungsweise das Hilfeverhalten oder gar Altruismus darstellt, sollen nun die Gründe für dieses Verhalten auf das Teilen übertragen werden. Stroebe et al. erklärt die Antwort auf die Frage, warum Menschen helfen, mithilfe von vier verschiedenen Analyseebenen: die biologische, die individualistische, die interpersonale und die sozialsystemische Ebene.
Die biologische Ebene betrachtet den Prozess der natürlichen Selektion. Ein Gen das die Neigung fördert, anderen zu helfen und zu teilen, kann durch den Prozess der natürlichen Selektion begünstigt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass sich ein Individuum fortpflanzt.
Auch der individualistische Ansatz erklärt die individuelle Tendenz, Bereitschaft zur Hilfeleistung und zum Teilen zu zeigen. Hier wird diese Tendenz beispielsweise durch soziales Lernen oder soziale Normen erworben. Abhängig ist das Hilfeverhalten dann von Stimmungszuständen oder Persönlichkeitsmerkmalen, wie zum Beispiel Empathie, soziale Verantwortung oder interne Kontrollüberzeugung. Es gibt eine positive Korrelation zwischen guter Stimmung und hilfreichem Verhalten. Hat eine Person beispielsweise eine positive Stimmung, ist sie eher bereit, anderen einen Gefallen zu tun und etwas zu teilen. Die Einflüsse der Persönlichkeit auf prosoziales Verhalten sind dann sehr wahrscheinlich, wenn sich jemand dauerhaft engagiert, zum Beispiel an verschiedenen Sharing Aktionen beteiligt ist. Aber auch auf spontanes prosoziales Verhalten hat die Persönlichkeit einen Einfluss (Stroebe et al., 2003).
Auf der interpersonalen Ebene wird die Abhängigkeit zwischen Menschen betrachtet.
Die Austauschtheorie erklärt das Verhalten von Individuen in sozialen Situationen. Demnach will ein Individuum seine eigenen positiven Konsequenzen maximieren und seine Kosten minimieren (Homans, 1961). Die Interdependenztheorie erweitert diese Ansicht dadurch, dass es für Personen, die voneinander abhängig sind, für beide Sei- ten erstrebenswert sein kann, prosoziale Transformationen durchzuführen. Das heißt, es werden nicht nur eigene positive Konsequenzen maximiert, sondern jeder handelt so, dass es für alle beteiligten Personen am Besten ist. Es entsteht also eine prosozia- le Beziehung (Kelley, Holmes, Kerr, Reis, Rusbult, van Lange, 2003). Diese prosozia- len Beziehungen existieren beispielsweise bei langjährigen Freundschaften. Dies er- klärt, wieso Menschen meist gern bereit sind, ihr Eigentum mit engen Freunden oder Verwandten zu teilen. Ebenso kann die Austauschtheorie erklären, weshalb jemand mit Fremden teilt. Beim Teilen eines Gegenstands werden die Kosten für beide Parteien minimiert und die positiven Konsequenzen maximiert. Dies lässt sich am Beispiel eines gemeinsam genutzten Autos erklären. Aus Sicht des Eigentümers liegen die Vorteile bei der Kostenreduzierung durch die Beteiligung des Nutzers. Der Eigentümer gibt sein Auto zur Nutzung dann an eine andere Person, wenn er selbst das Auto nicht benötigt. Er kann also alle positiven Konsequenzen eines eigenen Autos ausnutzen und gleich- zeitig seine Kosten weitestgehend minimieren. Der Nutzer wiederum, muss sich nicht selbst ein Auto kaufen und zahlt nur dann, wenn er es auch wirklich nutzt. Er minimiert also ebenfalls seinen Kostenaufwand und vermeidet negative Konsequenzen, die ein eigenes Auto mit sich bringen kann, wie zum Beispiel Unfallschäden oder Verschlei- ßerscheinungen.
Die sozialsystemische Ebene betrachtet die Norm sozialer Verantwortung, die besagt, dass Menschen anderen Menschen helfen sollen, wenn diese hilfsbedürftig sind. Je abhängiger Menschen voneinander sind, umso größer ist die soziale Verantwortung für andere. Prosoziales Verhalten ist die wahrgenommene Verantwortung in einer sozialen Situation. Empfindet die Person eine hohe soziale Verantwortung, wird sie eher helfen oder eher einen Gegenstand teilen, den ein andere dringend gebrauchen kann. Unter Berücksichtigung der Verantwortungsdiffusion, die besagt, dass sich jede einzelne Person weniger angesprochen fühlt, wenn die Verantwortung unter mehreren Perso- nen aufgeteilt wird, greift die Norm der sozialen Verantwortung vor allem dann, wenn eine Person persönlich angesprochen wird. Fragt zum Beispiel ein enger Familienan- gehöriger nach einem bestimmten Gegenstand, den er sich ausleihen möchte und drückt damit seine Hilfsbedürftigkeit aus, sorgt die Norm der sozialen Verantwortung dafür, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Gegenstand tatsächlich verliehen wird, relativ hoch ist (Stroebe et al., 2003).
Ein weiterer Aspekt, der bei der Analyse des prosozialen Verhaltens zu beachten ist, sind die Normen der Fairness. Menschen tendieren zum Glauben an eine gerechte Welt (Lerner, 1980). Dabei spielt Empathie eine wichtige Rolle. Wird beispielsweise jemand ungerecht behandelt, wird Mitgefühl ausgelöst. Dies erhöht die Wahrschein- lichkeit mit jemandem zu Teilen, der selbst weniger Eigentum besitzt, weil ihm die Mit- tel dazu fehlen.
Es gibt also viele erleichternde Einflüsse auf das prosoziale Verhalten und damit auf das Teilen. Die Motivation zu Teilen ist vor allem dann hoch, wenn egoistische Ansprüche befriedigt sind (Stroebe et al., 2003).
2.1.4.2 Gesetz der Reziprozität
Das Gesetz der Reziprozität wird auch als Gesetz der Gegenseitigkeit bezeichnet und besagt, dass Menschen dazu neigen, sich für einen Gefallen oder eine Leistung revan- chieren zu wollen, also einen Ausgleich herzustellen. Dies gilt besonders dann, wenn eine Leistung ohne eine Gegenleistung in Anspruch genommen wird. Nach diesem Gesetz handeln Menschen anderen gegenüber genauso, wie sie sich einem selbst gegenüber verhalten haben. Demnach ist es nicht nur eine Geste der Freundlichkeit, sich für Geschenke oder Hilfe zu bedanken, vielmehr wird dies stillschweigend erwar- tet. Die Gesellschaft funktioniert nach diesem Prinzip. Kaum jemand würde einem an- deren Menschen helfen, wenn derjenige nicht damit rechnen würde, dass er im Be- darfsfall auch Hilfe bekommt. Menschen helfen also zum Ausgleich dafür, dass ihnen geholfen wurde (Adloff, Mau, 2005).
Etwas zu verschenken ist im ersten Moment aus wirtschaftlicher Sicht nicht besonders vorteilhaft. Jemand bietet eine Leistung an, ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Doch das Schenken kann auch aus anderen Blickwinkeln betrachtet werden. Es dient dem zivilisierten Zusammenleben, pflegt soziale Kontakte und stärkt den Zusammenhalt. Schulz-Nieswandt behauptet sogar, dass trotz der Neigung, sich für ein Geschenk zu revanchieren, Menschen eher mehr geben, als sie tatsächlich zurück erwarten, da dies Wohlstand und Großzügigkeit suggeriert. Wer viel besitzt, kann auch viel hergeben. Dies führt sogar teilweise zu wettkampfähnlichen Situationen, in denen jeder versucht, mehr zu verschenken, als ein anderer. Der Geber übt also Macht aus und es bildet sich eine hierarchische Situation. Dann handelt es sich eher um die Selbstdarstellung und Einflussnahme, als um das tatsächliche Hilfeverhalten (Bigalke, 2010).
Im Gesetz der Reziprozität könnte demnach auch ein Motivator des Teilens stecken. Nimmt eine Person beispielsweise einen kostenlosen Übernachtungsplatz in Anspruch, entsteht nach dem Gesetz der Reziprozität der Drang, sich zu revanchieren. Ist dies nicht bei derselben Person möglich, weil diese vielleicht nie in die eigene Stadt kommt, hat man die Möglichkeit, sich wenigstens an der Gemeinschaft zu revanchieren, indem man seine eigene Wohnung anderen als Übernachtungsplatz anbietet. Es entsteht also ein Kreislauf des Nehmens und Gebens. Auch wenn etwas negativer besetzt, ist es ebenfalls denkbar, dass der Geber seine Wohnung deshalb großzügig einem Besucher überlässt, weil er seinen Wohlstand präsentieren möchte.
2.1.4.3 Vertrauen
Die weit verbreitete Auffassung von Vertrauen basiert auf dem Entwicklungsmodell von Erik H. Erikson. Nach diesem Modell ist die Grundlage einer gesunden Persönlichkeit das Vertrauen, das sich schon bei Kleinkindern durch das Gefühl der Geborgenheit auszeichnet. Das Grundvertrauen setzt sich aus dem Gefühl zusammen, sich auf seine Umwelt verlassen zu können und selbst ein verlässlicher Teil dieser Umwelt sein zu können. Dieses Urvertrauen ist die Bedingung dafür, überhaupt Vertrauensbeziehungen zu anderen Menschen aufzubauen (Erikson, 1959).
Eines der wichtigsten Treiber des Teilens ist das Vertrauen. Das Teilen von Eigentum ist immer mit Risiken verbunden, die kaum abschätzbar sind, denn gerade wenn je- mand mit Fremden über das Internet teilt, kann derjenige kaum beurteilen, wie mit sei- nem Eigentum umgegangen wird. Es muss also ein hohes Maß an Vertrauen über die Richtigkeit der Angaben im Internet bestehen. Das Edelman Trustbarometer von 2013 zeigt, genauso wie im Jahr zuvor, einen Anstieg des Vertrauens gegenüber Medien und Technologien. Gleichzeitig wächst auch das Vertrauen gegenüber „Menschen wie du und ich“ und Branchenexperten, während es gegenüber CEOs und Politikern sinkt (Edelman GmbH, 2013).
Das gestiegene Vertrauen gegenüber „Menschen wie du und ich“ machen sich viele Sharing Plattformen zunutze. In den meisten Portalen ist es möglich, als Nutzer selbst Bewertungen abzugeben. Hat also ein Portal viele positive Bewertungen von Men- schen, die selbst Nutzer sind, führt das zu einem höheren Vertrauen gegenüber die- sem Anbieter. Ebenso werden häufig Experten zitiert, die als Testimonial dienen und Vertrauen schaffen.
Abb. 3: Edelman Trust Barometer 2013 (Edelman GmbH, 2013, S.7).
Ebenfalls wird nach dem Edelman Trust Barometer in Deutschland kleinen Unternehmen aktuell eher vertraut, als großen Konzernen. Dies kann eine Erklärung dafür sein, weshalb viele kleine Start - Up Unternehmen im Bereich Sharing erfolgreich sind (Edelman GmbH, 2013).
2.1.4.3 Theorie des sozialen Kapitals
Der Begriff soziales Kapital bezeichnet die Gesamtheit der Ressourcen, die mit Netz- werken einher gehen. Netzwerke werden definiert als eine bestimmte, abgegrenzte Menge von Elementen und der zwischen ihnen verlaufenden Kanten (Jansen, 2006). Das bedeutet, dass Akteure durch die zwischen ihnen verlaufenden Beziehungen ver- bunden sind. Durch die Einbettung in ein Netzwerk handelt ein Akteur nicht nur aus reinem Eigeninteresse, sondern bezogen auf einen sozialen Kontext. Durch diesen sozialen Kontext wird ein Gewinn für ein Individuum produziert. Dieses soziale Kapital bietet einen Zugang zu Ressourcen des sozialen und gesellschaftlichen Lebens wie beispielsweise Anerkennung, Wissen und Verbindungen. Die Höhe des Gewinns für ein Individuum hängt von der Größe, Platzierung oder Positionierung des Netzwerks, sowie der Art der Beziehung ab. Netzwerke können sowohl aus starken, als auch aus schwachen Beziehungen bestehen. Geschlossene Netzwerke wie es bei engen Freun- den oder Partnerschaften der Fall ist, bestehen eher aus starken Beziehungen. Offene Netzwerke, die zum Beispiel auf Onlineplattformen vertreten sind, beinhalten eher schwache Beziehungen. Diese verschiedenen Beziehungsarten haben Einfluss auf die Gewinne, die ein Einzelner aus einem Netzwerk ziehen kann (Granovetter, 1973).
Im Konzept zur Stärke schwacher Beziehungen wird der Begriff der Beziehungsstärke von vier Faktoren abhängig gemacht: die verwendete Zeit, die emotionale Intensität, die Intimität und die Reziprozität. Nach Granovetter sind schwache Beziehungen eher geeignet, um dem Individuum verschiedene Möglichkeiten zur Informationsgewinnung zu bieten. Das Strukturargument überwiegt im Gegensatz zum Motivationsargument, denn schwache Beziehungen bieten die Möglichkeit, neue Informationen zu gewinnen. Zwar ist die Hilfsbereitschaft bei starken Beziehungen höher, dennoch kommt man durch diese weniger an neue und wertvolle Informationen (Granovetter, 1973). Über- trägt man diese Ansicht auf das Teilen in der Gesellschaft, sticht auch hier der Vorteil von schwachen Beziehungen heraus. Handelt jemand in einem großen Netzwerk mit vielen schwachen Beziehungen, stehen mehr zu teilende Ressourcen zur Verfügung als in einem kleinen, engen Rahmen. Es ist also einfacher für ein Individuum an viele verschiedene Ressourcen zu gelangen und diese zu nutzen. Dieses System ist auch auf online Sharing Plattformen gegeben. Dort besteht die Möglichkeit, sein Netzwerk ständig zu erweitern und dadurch höhere Gewinne aus den vielen schwachen Bezie- hungen zu ziehen.
2.1.5 Teilen im Wertesystem
Da der Begriff „Werte“ vielseitig gebraucht werden kann, wird im folgenden Abschnitt zunächst ein zum Thema Sharing passender Definitionsversuch unternommen. Anschließend wird der Standpunkt von Solidarität und Gerechtigkeit in Deutschland genauer betrachtet. Des Weiteren wird das Teilen in der menschlichen Natur im Zusammenhang mit einer gerechten Wertvorstellung analysiert. Mithilfe der Bedürfnispyramide von Maslow wird veranschaulicht, welche Bedürfnisse in welcher Reihenfolge angesiedelt sind und auf welcher Ebene das Teilen liegt.
2.1.5.1 Definition von Werten
Werte sind Vorstellungen, die in einer Gesellschaft allgemein als wünschenswert anerkannt sind und den Menschen Orientierung geben. Nach Oerter sind Werte ein internes Konzept, welches mitentscheidet, wie wir uns verhalten im Zusammenhang damit, wie wir Dinge betrachten. Das Wertesystem einer Kultur hängt mit Einstellungen zusammen und wird häufig mit ihnen identifiziert (Oerter, 1982).
Es kann zwischen individuellen und kulturellen Werten unterschieden werden. Individuelle Werte sind Präferenzmodelle, die vor allem subjektiv geleitet sind und für einen selektierten Weltausschnitt gelten. Kulturelle Werte sind die dominanten Präferenzmodelle einer Gesellschaft (Scholl-Schaaf, 1975).
Menschen messen Werte nicht ausschließlich anhand von Geld. Soziale, gesellschaft- liche und religiöse Werte spielen eine ebenso große Rolle. Werte sind das Fundament des menschlichen Handelns. Alle menschlichen Kontakte führen zu einer Entstehung des Wertegerüsts einer Gesellschaft. Übermittelte Werte, zum Beispiel in der Erzie- hung oder während der Schulzeit prägen Empfindungen und das Verhalten des Einzel- nen (Staehle, 1999).
2.1.5.2 Solidarität und Gerechtigkeit
Solidarität und Gerechtigkeit sind für viele Menschen in der Gesellschaft eine Art Grundwert. Gerechtigkeit wird als optimaler Zustand des sozialen Miteinanders bezeichnet. Einige politische Parteien und kirchliche Einrichtungen werben fortan mit der Steigerung dieser Werte. Dabei geht es bei der Solidarität meist um die Stärkung der schwächeren Mitglieder einer Gesellschaft und bei der Gerechtigkeit um den Ausgleich der Interessen und der Verteilung von Gütern und Chancen (Höffe, 2004). Demnach liegt es schon in der Definition, dass Gerechtigkeit und Solidarität sehr viel mit Teilen zu tun haben. Vor allem diejenigen, die weniger Eigentum besitzen und sich weniger leisten können, profitieren von der Ökonomie des Teilens.
In Deutschland ist es Fakt, dass die Kluft zwischen armen und reichen Menschen im- mer größer wird. Die Mittelschicht hingegen wird stetig kleiner (Opaschowski, 2011). Dennoch sind Werte wie Solidarität und Gerechtigkeit in Deutschland stark vertreten. Die bereits zitierte Studie „Deutschland Teilt“, belegt, dass der Kultur des Teilens, in den letzten Jahren, vor allem bei jüngeren Menschen, stetig größerer Beliebtheit zuge- schrieben wird. Dies kann eventuell daher rühren, dass der Wunsch nach der Vergrößerung der Mittelschicht und damit einem höheren Maß an Gerechtigkeit in Deutsch- land immer stärker wird. Werte wie Gerechtigkeit werden früh vermittelt und nehmen bei vielen einen hohen Stellenwert ein, doch die immer größere Kluft zwischen Arm und Reich lässt vermutlich viele an der tatsächlichen Gerechtigkeit in Deutschland zweifeln. Das Teilen hingegen kann für viele wieder ein Gefühl der Gerechtigkeit her- stellen, da man neben der Einsparung von Ressourcen, die dazu führen, dass mehr Menschen mit weniger Ressourcen auskommen können, auch denjenigen etwas ge- ben kann, die nicht die Möglichkeiten haben selbst an diese Ressourcen heranzukom- men. Vielleicht rührt also der Drang zu Teilen auch daher, dass die Werte Gerechtig- keit und Solidarität mehr ausgelebt werden. Denn wie schon lange in der Glücksfor- schung nachgewiesen, macht Besitz und Eigentum alleine selten glücklich (Seligmann, 2011).
2.1.5.3 Teilen in der menschlichen Natur
Kinder kennen die Regeln des fairen Miteinanders schon sehr früh und haben bereits in sehr jungen Jahren ein tiefes Verständnis für Gerechtigkeit, wenden dieses aber erst später an. Denn erst ab circa 7 Jahren erkennen sie den Wert des gerechten Teilens. Ein Versuch mit 102 Kindern zwischen drei und acht Jahren zeigte, dass auch jüngere Kinder bereits wussten, dass man gerecht teilen soll. Sie taten es aber nicht. Die For- scher vermuten, dass sie die Regel bereits kennen, aber diese für sie noch keinen Wert hat. Erst ab einem gewissen Alter ist diese Regel für die Kinder von so hohem Wert, dass sie dafür teilen und den direkten Vorteil aufgeben (Smith, Blake, Harris, 2012). Auf folgender Grafik sind die Ergebnisse der Studie veranschaulicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Children's mean responses to the sharing-related tasks (Smith, Blake, Harris, 2012).
Demnach verändert sich die Norm mit dem Alter nur sehr gering, während sich das Teilverhalten stark ändert. Bei den drei- bis vierjährigen werden die Sticker, die in die- sem Versuch verwendet wurden, kaum geteilt, während bei den älteren Versuchsteil- nehmern die Einstellung, also das Wissen über Gerechtigkeit und das Verhalten, über- einstimmen.
Die Studie zeigt also, dass das Bewusstsein für Gerechtigkeit schon sehr früh vorhan- den ist und dass die Bedeutung des gerechten Teilens im Laufe der Entwicklung zu- nimmt, sodass bereits in jungen Jahren zum direkten eigenen Nachteil gehandelt wird, nur um zu teilen.
2.1.5.4 Bedürfnispyramide
Die Bedürfnispyramide des Psychologen Maslow beschreibt in einer hierarchischen Struktur menschliche Bedürfnisse und Motivationen. Die Pyramide ist in fünf Teile un- tergliedert, wobei Maslow davon ausging, dass sie von unten nach oben gelesen wer- den soll. Das heißt, um die oben stehenden Bedürfnisse zu befriedigen, müssen zuerst die unteren befriedigt sein (Maslow, 1970, zitiert nach Myers, 2008). Die Hierarchie ist allerdings nicht starr, denn je nach Situation ist es möglich, dass bei einzelnen Perso- nen ein höheres Bedürfnis auftritt, auch wenn ein niedrigeres noch nicht ausreichend befriedigt ist. Ebenso ist es möglich, dass bei einem Individuum ein übergeordnetes Bedürfnis überhaupt nicht auftritt, weil untergeordnete Bedürfnisse noch nicht ausrei- chend erfüllt worden sind. Die Hierarchie kann also bei jedem Individuum anders sein (Fisseni, 1998). Den Grundstock dieser Pyramide bilden die physiologischen Bedürf- nisse wie beispielsweise das Bedürfnis nach Nahrung. In der nächsten Ebene stehen die Sicherheitsbedürfnisse. Dort ist der Wunsch nach Stabilität und einer geordneten Welt angesiedelt. Diese beiden Ebenen beschreiben die Grundbedürfnisse eines jeden Menschen. Sind diese erfüllt, wird das Individuum nach Zugehörigkeit und Liebe su- chen. Die vierte Stufe beinhaltet den Selbstwert. Darunter zählen unter anderem Be- dürfnisse nach Erfolg, Kompetenz und Unabhängigkeit. In der Spitze der Pyramide steht die Selbstverwirklichung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5: Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow (eigene Darstellung in Anlehnung an Myers, 2008).
Die Reihenfolge der Grundbedürfnisse impliziert eine Rangordnung der Wertigkeit. Spätestens ab Ebene drei spielen die Werte Gerechtigkeit und Solidarität bereits eine Rolle, denn um das eigene Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Liebe befriedigen zu können, ist ein soziales Umfeld, in dem diese Werte gelebt werden, Voraussetzung. Vor allem aber in der Pyramidenspitze ist es denkbar, dass das Teilen einen festen Platz einnimmt, da hier das Selbstbild mit Sicherheit am häufigsten reflektiert wird. Sind alle voran gehenden eigenen Bedürfnisse befriedigt, fällt es einem Individuum womög- lich leichter, sich auch um andere zu kümmern und prosoziales Verhalten zu zeigen, während im unteren Bereich zuerst die eigenen Grundbedürfnisse befriedigt werden müssen. In Deutschland ist es für die meisten Einwohner einfach, die eigenen Grund- bedürfnisse zu befriedigen. Demnach ist es denkbar, dass das Teilen den Menschen in Deutschland leichter fällt, als in anderen, ärmeren Ländern, da dort erst einmal die ei- genen Grundbedürfnisse im Vordergrund stehen. Verzichten kann eben auch nur der- jenige, der vorher viel hatte. Sind die Grundbedürfnisse also erst einmal erfüllt, wird vielen Menschen klar, dass Beziehungen, Gesundheit, Erlebnisse und sinnvolle Arbeit für sie einen höheren Wert besitzen, als Dinge. Der Ansatz der Share Economy fordert demnach zu einer Überprüfung der eigenen Werte auf. Der Trend zum Teilen ist auch dadurch zu begründen, dass Deutschland als erfolgreiches Industrieland seinen Bür- gern die Bedürfnisbefriedigung vereinfacht. Die Grundbedürfnisse werden in einem Sozialstaat durch Existenzsicherungsmaßnahmen und die Stabilität der Inneren Si- cherheit gefördert.
2.2 Share Economy
Der nächste Teil beschäftigt sich mit dem eigentlichen Begriff Share Economy. Es soll geklärt werden, wie genau es möglich ist, diesen Begriff abzugrenzen und mit welchem Teilbereich sich der darauffolgende empirische Teil dieser Arbeit beschäftigt. Abschließend wird auf ausgewählte Bereiche, in denen die Share Economy erfolgreich Anwendung findet, genauer eingegangen.
2.2.1 Begriffsbestimmung
Martin Weitzmann prägte den Begriff Share Economy, welcher besagt, dass sich der Wohlstand aller in einer Gemeinschaft lebenden Personen erhöht, wenn unter den Marktteilnehmern geteilt wird. Ursprünglich untersuchte Weitzmann die Frage, ob in einem Unternehmen feste oder erfolgsbezogene Vergütung zu höherer Wohlfahrt führt. Die erfolgsabhängige Vergütung wäre bei Konjunkturschwankungen eher in der Lage, Arbeitslosigkeit zu verhindern. Gründe hierfür sind die dynamischen Kosten, die sich der wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers anpassen. Fixe Personalkosten hinge- gen führen zu sinkenden Umsätzen und um dies auszugleichen zum Personalabbau (Weitzmann, 1984).
„Der Begriff der Sharing Economy meint das systematische Ausleihen von Gegenstän- den und gegenseitige Bereitstellen von Räumen und Flächen, insbesondere durch Pri- vatpersonen und Interessengruppen. Der Begriff der Share Economy wird synonym oder - neben der ursprünglichen Definition von Martin Weitzman - in Bezug auf das Teilen von Informationen und Wissen verwendet (Gabler, 2013).“ Nach dieser Idee der Ökonomie des Teilens soll der Nachfrager etwas nicht mehr zu seinem Eigentum ma- chen, sondern vorübergehend nutzen. Wie also die Ökonomie des Teilens selbst schon aussagt, ist der Begriff von hoher wirtschaftlicher Bedeutung, denn Gebrauchs- güter werden nicht mehr nur gekauft und allein genutzt, sondern gemeinsam gekauft oder gemeinsam genutzt oder verliehen. Große Firmen haben längst darauf reagiert und bieten zum Beispiel das Carsharing an. Auch Musikportale im Internet basieren auf der Sharing Idee. Im Mittelpunkt der Share Economy steht der kollaborative Konsum, auch bekannt als Collaborative Consumption oder P2P Economy. Diese Konsumform bezeichnet einen neuen wirtschaftlichen Weg, in dem Marktteilnehmer einen gemein- schaftlichen Zugang zu Produkten oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen und auf individuelles Eigentum verzichten (Botsman, Rogers, 2010).
Seit 2009 wird der Begriff Share Economy zunehmend in Bezug zum Internet gesetzt und ist fester Bestandteil des Web 2.0. Das Web 2.0 bezeichnet bestimmte kollaborati- ve Elemente des Internets. Inhalte und Wissen wird nicht mehr ausschließlich von den Rezipienten konsumiert, sondern die Konsumenten werden immer mehr auch zu Distributoren oder Produzenten. Dafür gibt es den Begriff „Prosumer“, welcher Produ- zent und Konsumer in einem Wort vereint. Bei der Personalisierung von Gütern bei- spielsweise gibt der Konsument Informationen über seine Präferenzen preis, welche die Grundlage für die Herstellung eines Gutes darstellt. Somit wird der Konsument Teil des Produktionsprozesses und zu einem gewissen Grad zum Produzenten (Toffler, 1983). Der Begriff wird häufig im Zusammenhang mit Social Media verwendet. Die Konsumenten von Informationen im Internet sind häufig ebenfalls die Produzenten, wie es zum Beispiel bei Wikipedia der Fall ist. Im World Wide Web ist also die Share Eco- nomy eng mit dem Begriff „Prosumer“ gekoppelt, vor allem im Bereich der sozialen Netzwerke.
2.2.2 Möglichkeiten
Bei der Überlegung, welche Möglichkeiten die Share Economy bietet, gibt es viele ver- schiedene Perspektiven. Die Ökonomie des Teilens bringt in viele wirtschaftliche, aber auch in nicht wirtschaftliche Bereiche einen Umschwung mit sich. Es bieten sich neue Möglichkeiten für große und kleine Unternehmen, ebenso wie für Start-Ups. Die Um- welt wird beeinflusst, Ressourcen werden eingespart und Kosten gesenkt. Der Einfluss des Konsumenten verändert sich. Da in dieser Thesis der Schwerpunkt auf dem Indivi- duum und dessen Empfindungen liegt, sollen nun ausschließlich die Möglichkeiten, die die Share Economy für den Einzelnen mit sich bringt, betrachtet werden.
Eine große Rolle in der Share Economy spielen häufig die Kosten für ein Individuum. Für viele ist es kostengünstiger, sich einen Gegenstand auszuleihen oder mitzunutzen, als ihn zu kaufen, vor allem dann, wenn derjenige das Gerät oder die Dienstleistung nur einmalig in Anspruch nimmt. Damit im Zusammenhang steht die Möglichkeit, an Gegenstände oder Dienstleistungen ranzukommen, an die jemand ohne die Chance der gemeinsamen Nutzung nicht rankommen würde. Ein Beispiel hierfür wäre ein Schüler oder Student, der sich kein eigenes Auto kaufen kann, dem aber durch Car- Sharing-Angebote dennoch die Möglichkeit geboten wird eines zu nutzen (Botsman, Rogers, 2010).
[...]
- Citation du texte
- Claudia Eckmayer (Auteur), 2013, Share Economy. Psychologische Beweggründe des Teilens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/232694
-
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X.