Fragestellung und Zielsetzung
„Das merkwürdige am Grammatikunterricht ist, daß [sic!]es ihn immer noch gibt.“ (Köller, 1997, S.9)
Kein anderer Arbeitsbereich des Deutschunterrichts in der Grundschule ist so umstritten wie der Grammatikunterricht. Mit der Begründung, dass unzählige Menschen in der Vergangenheit ihre Muttersprache auch ohne grammatische Kenntnisse richtig erworben haben, wird schon im 19.Jahrhundert von den ersten Philologen eine Abschaffung des Grammatikunterrichts verlangt (vgl. Rauscher, 1982, S.64). Und doch, wie aus dem obigen Zitat hervorgeht, auch wenn der Grammatikunterricht nach wie vor zur Diskussion steht, ist er bis heute fester Bestandteil des Deutschunterrichts.
Der Grammatikunterricht erfährt jedoch in seiner Jahrhunderte langen Geschichte vielfältige Modifikationen und Variationen. Die Grundlage für die maßgeblichen Veränderungen des Grammatikunterrichts der vergangenen 40 Jahre bildet die kommunikative Wende in der Fachdidaktik Anfang der 70er Jahre, die den Weg für die Übernahme aktueller linguistischer und kommunikationswissenschaftlicher Erkenntnisse in den Deutschunterricht ebnet (vgl. Homberger, 2009, S.204).
Daraufhin erhalten zum ersten Mal sprachwissenschaftliche Grammatiktheorien und -modelle Einzug in Bildungspläne und damit auch in den Deutschunterricht und die Sprachbücher (vgl. ebenda). Durch die Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse wird eine grundlegende Veränderung des Grammatikunterrichts angestoßen, die bis heute eine umfassende Entwicklung des Arbeitsbereichs nach sich zieht.
In der vorliegenden Arbeit soll diese diachrone Entwicklung des Grammatikunterrichts in der Grundschule von den 70er Jahren bis heute dargestellt werden. Dabei wird insbesondere der Frage nachgegangen, welche sprachwissenschaftlichen und später auch didaktischen Grammatiktheorien und -modelle Einfluss auf den Grammatikunterricht und seine Methodik genommen haben und bis heute nachhaltig nehmen.
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
ERSTER TEIL
2. GRAMMATIKMODELLE UND -THEORIEN SOWIE IHRE AUSWIRKUNGEN AUF DIE KONZEPTIONEN DES GRAMMATIKUNTERRICHTS VON 1970 BIS HEUTE
2.1 TRADITIONELLE GRAMMATIK
2.2 STRUKTURELLE GRAMMATIK
2.3 GRAMMATIK NACH HANS GLINZ
2.4 FUNKTIONALE GRAMMATIK
2.5 DEPENDENZGRAMMATIK
2.6 GENERATIVE GRAMMATIK
2.7 SITUATIONSORIENTIERTE - SITUATIVE GRAMMATIK
2.8 HANDLUNGSORIENTIERTE GRAMMATIK - GRAMMATIKWERKSTATT
3. AUSSAGEN DER BILDUNGS- BZW. LEHRPLÄNE ZUR KONZEPTION VON GRAMMATIKUNTERRICHT
3.1 BILDUNGSPLAN FÜR DIE GRUNDSCHULE 1977 - KLASSE 3
3.2 BILDUNGSPLAN FÜR DIE GRUNDSCHULE 1984 - KLASSE 3
3.3 BILDUNGSPLAN FÜR DIE GRUNDSCHULE 1994 - KLASSE 3
3.4 BILDUNGSPLAN 2004 GRUNDSCHULE - KLASSE 3/4 27 ZWEITER TEIL
4. ANALYSEMATERIAL
5. UNTERSUCHUNGSKRITERIEN DER SPRACHBUCHANALYSE
5.1 BEZUG ZU GRAMMATIKMODELLEN UND -THEORIEN
5.2 KLASSIFIZIERUNG DER SATZGLIEDER
5.2.1 Semantisches Kriterium
5.2.2 Pragmatisches Kriterium
5.2.3 Formales Kriterium
5.2.4 Syntaktisches Kriterium
5.3 DIDAKTISCH-METHODISCHES VORGEHEN
5.4 TERMINOLOGIE
5.5 VERKNÜPFUNG ZU ANDEREN ARBEITSBEREICHEN DES DEUTSCHUNTERRICHTS
5.6 BEZUG ZU DEN JEWEILIGEN BILDUNGS- BZW. LEHRPLÄNEN
6. SPRACHBUCHANALYSEN
6.1 SPRACHBÜCHER AUS DEM VERLAG HERDER/ OLDENBOURG
6.1.1 Wir sprechen Wir schreiben Wir lesen 3. Schuljahr (Herder, 1978)
6.1.2 Wir sprechen Wir schreiben Wir lesen 3. Schuljahr (Herder, 1885)
6.1.3 Wir sprechen schreiben lesen 3 (Oldenbourg, 1996)
6.1.4 Leseschule 3 Lese-Sprach-Buch (Oldenbourg, 2005)
6.2 SPRACHBÜCHER AUS DEM VERLAG DIESTERWEG
6.2.1 Sprachbuch für die Grundschule 3. Schuljahr (1978)
6.2.2 Bausteine Deutsch Sprachbuch 3. Jahrgangsstufe (1987)
6.2.3 Bausteine Sprachbuch 3. Neubearbeitung (1997)
6.2.4 Bausteine Sprachbuch 3 (2005)
7. SCHLUSS
7.1 ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE
7.2 GRUNDSÄTZLICHE ENTWICKLUNGEN
7.3 AUSBLICK
8. LITERATURVERZEICHNIS
8.1 FACHLITERATUR
8.2 SPRACHBÜCHER UND LEHRERHANDBÜCHER
9. ANHANG A
9.1 ANALYSEMATERIAL AUS DEN SPRACHBÜCHERN A
9.2 INTERNETQUELLEN A
Anmerkung:
Wird im Folgenden dieser Arbeit das generische Maskulinum verwendet, gilt dieses nicht geschlechterspezifisch, sondern schließt sowohl weibliche als auch männliche Personen mit ein
1. Einleitung
Fragestellung und Zielsetzung
„Das merkwürdige am Grammatikunterricht ist, daß [sic!]es ihn immer noch gibt.“ (Köller, 1997, S.9)
Kein anderer Arbeitsbereich des Deutschunterrichts in der Grundschule ist so umstritten wie der Grammatikunterricht. Mit der Begründung, dass unzählige Menschen in der Vergangenheit ihre Muttersprache auch ohne grammatische Kenntnisse richtig erworben haben, wird schon im 19.Jahrhundert von den ersten Philologen eine Abschaffung des Grammatikunterrichts verlangt (vgl. Rauscher, 1982, S.64). Und doch, wie aus dem obigen Zitat hervorgeht, auch wenn der Grammatikunterricht nach wie vor zur Diskussion steht, ist er bis heute fester Bestandteil des Deutschunterrichts.
Der Grammatikunterricht erfährt jedoch in seiner Jahrhunderte langen Geschichte vielfältige Modifikationen und Variationen. Die Grundlage für die maßgeblichen Veränderungen des Grammatikunterrichts der vergangenen 40 Jahre bildet die kommunikative Wende in der Fachdidaktik Anfang der 70er Jahre, die den Weg für die Übernahme aktueller linguistischer und kommunikationswissenschaftlicher Erkenntnisse in den Deutschunterricht ebnet (vgl. Homberger, 2009, S.204).
Daraufhin erhalten zum ersten Mal sprachwissenschaftliche Grammatiktheorien und -modelle Einzug in Bildungspläne und damit auch in den Deutschunterricht und die Sprachbücher (vgl. ebenda). Durch die Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse wird eine grundlegende Veränderung des Grammatikunterrichts angestoßen, die bis heute eine umfassende Entwicklung des Arbeitsbereichs nach sich zieht.
In der vorliegenden Arbeit soll diese diachrone Entwicklung des Grammatikunterrichts in der Grundschule von den 70er Jahren bis heute dargestellt werden. Dabei wird insbesondere der Frage nachgegangen, welche sprachwissenschaftlichen und später auch didaktischen Grammatiktheorien und -modelle Einfluss auf den Grammatikunterricht und seine Methodik genommen haben und bis heute nachhaltig nehmen.
Vorgehen und Gliederung
„Daß [sic!] Linguisten-Sprachtheorien einen Einfluß [sic!] hatten und haben, ist sicher nicht zu bestreiten. Man muß [sic!] nur einen Blick auf die Lehrpläne werfen und auf das, was den Schülern viel direkter vor Augen steht und den Unterricht viel mehr bestimmen kann als die Lehrpläne, nämlich die Lehrmittel, die Sprachbücher. Wie anders die heutigen Sprachbücher sind, in Aufbau und Einzel-Angebot, als diejenigen vor 30 und 40 Jahren, das sieht man schon beim ersten Blättern“ (Glinz, 1987b, S.395)
Um einen Einblick in den Grammatikunterricht der Grundschule der vergangenen 40 Jahre und seine Veränderungen zu erhalten, werden im zweiten Teil der Arbeit exemplarische Teilbereichsanalysen von Sprachbüchern für die dritte Klassenstufe aus jedem Jahrzehnt von 1970 bis heute vorgenommen, wobei Beeinflussungen durch verschiedene Grammatikmodelle und -theorien, sowie Übereinstimmungen mit den jeweiligen Bildungs- bzw. Lehrplänen herausgearbeitet werden.
Damit bei der Analyse eine präzise und nachvollziehbare Identifikation der Grammatikmodelle und -theorien in den einzelnen Sprachbüchern vorgenommen werden kann, werden im ersten Teil dieser Arbeit die linguistisch bedeutungsvollsten Lehrmeinungen von 1970 bis in die Gegenwart und deren Auswirkungen auf die grammatischen Konzeptionen der Sprachbücher anhand ihrer prägnantesten Merkmalen dargelegt (siehe 2.).
Des Weiteren werden die Vorgaben der relevanten Bildungs- und Lehrpläne für die Grundschule daraufhin analysiert, welche methodischen Vorgaben zum allgemeinen Deutschunterricht gegeben werden und welche spezifischen Aussagen zum Arbeitsbereich Grammatik getroffen werden, die eventuell einen bestimmten grammatischen Grundgedanken präferieren und damit auf die folgende Gestaltung von Sprachbüchern Einfluss nehmen (siehe 3.).
Im zweiten Teilbereich der Arbeit wird zunächst das Analysematerial vorgestellt (siehe 4.). Weiterhin werden die Kriterien für die spezifische Auswahl der Sprachbücher erläutert und der zu untersuchende Teilbereich wird eingegrenzt, da die Durchführung von Sprachbuchanalysen in vollem Umfang den Rahmen dieser Arbeit bei Weitem übersteigen würde. Stattdessen werden exemplarische Teilbereichsanalysen zum Themenbereich Satzgliedlehre der einzelnen Sprachbücher durchgeführt.
Unter 5. werden die Kriterien für die im Anschluss folgenden Sprachbuchanalysen dargelegt, damit eine Vergleichbarkeit der Analysen unter ausgewählten Gesichtspunkten ermöglicht wird. Zu den einzelnen Untersuchungskriterien werden der Bezug zu den unter 2. aufgeführten Grammatikmodellen und -theorien, die Klassifizierung der Satzglieder, das methodisch- didaktische Vorgehen, die Terminologie, die Verknüpfung der Arbeitsbereiche und der Bezug zu den relevanten Bildungs- und Lehrplänen des Landes Baden-Württemberg gezählt. Dieses Vorgehen ermöglicht eine möglichst ganzheitliche Darstellung des Grammatikunterrichts.
Die anschließenden Sprachbuchanalysen (siehe 6.) werden anhand der unter 5. aufgeführten Kriterien in chronologischer Reihenfolge an den Sprachbuchreihen vorgenommen.
Im Schlussteil werden die Ergebnisse der Sprachbuchanalysen zusammengetragen und bewertet, um eine diachrone Entwicklung des Grammatikunterrichts von den 70er Jahren bis heute darzustellen. Dabei werden insbesondere allgemein gleichbleibende Aspekte, sukzessive Entwicklungen und einschneidende Veränderungen des Grammatikunterrichts hervorgehoben und in einen chronologischen Gesamtzusammenhang eingeordnet. Dadurch soll geklärt, werden welche Grammatikmodelle und -theorien beständig Einzug in den Grammatikunterricht finden und welche nur zeitweise oder in Teilaspekten berücksichtigt werden. Des Weiteren wird der Versuch unternommen, unter Einbezug der Ergebnisse der Sprachbuchanalysen und der aktuellen Stellung und Ausführung des Grammatikunterrichts, einen möglichen Ausblick in die zukünftige Entwicklung des Grammatikunterrichts zu geben.
Anmerkungen zur Begrifflichkeit
Der in der vorliegenden Arbeit verwendete Terminus Satzglied wird in einem neutralen Verständnis gebraucht, der keine Verbindung zu einem bestimmten Grammatikmodell oder einer Theorie nahelegt. Der neutralen Kategorie Satzglieder zugehörig gelten Subjekt, Prädikat (im engen Sinne, in Kongruenz mit dem Verbkomplex), Objekte und Adverbiale Bestimmungen sowie das Attribut als nicht selbstständiges Satzglied, das in dieser Arbeit jedoch aufgrund des Bezugs auf die Grundschule vernachlässigt wird. Sollten syntaktische Kategorien von diesem Begriffsverständnis abweichen, wird dies explizit angemerkt.
2. Grammatikmodelle und -theorien sowie ihre Auswirkungen auf die Konzeptionen des Grammatikunterrichts von 1970 bis heute
Da die Veränderungen in der Didaktik der Grammatik seit der kommunikativen Wende eng mit der Entwicklung in der wissenschaftlichen Grammatikdiskussion zusammenhängen (vgl. Khadjehzadeh, 2002, S.34), werden im Folgenden die einflussreichsten Grammatikmodelle und -theorien der letzten 40 Jahre in ihren Grundannahmen kurz erläutert. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Auffassung zu den Satzgliedern der einzelnen Grammatikmodelle und -theorien.
Bei den Grammatikmodellen und -theorien 2.1 - 2.6 handelt es sich um linguistische Grammatiken, welche von Sprachwissenschaftlern entwickelt werden, die ihre Grammatik nicht primär mit Bezug auf die Verwendung in der Schule erarbeiten (vgl. Helbig, 1992, S.880f). Die situationsorientierte Grammatik (2.7) und die handlungsorientierte Grammatik (2.8) gelten als p ä dagogische Konzeptionen der Grammatik, das heißt, sie haben im Gegensatz zu den anderen hier vorgestellten Grammatikmodellen und -theorien keine sprachwissenschaftliche Orientierung, sondern verfolgen didaktisch-methodische Ziele für die konkrete Unterrichtsgestaltung. Dabei greifen Fachdidaktiker einzelne Elemente aus sprachwissenschaftlichen Grammatiktheorien auf und binden diese in einen didaktisch-methodischen Gesamtzusammenhang ein (vgl. Menzel, 2010, S.5).
2.1 Traditionelle Grammatik
„Die traditionelle deutsche Grammatik geht in Einzelheiten bis in die Antike zurück, erfuhr Modifikationen im europäischen Mittelalter und erhielt, was die deutsche Schulgrammatik anlangt, in wichtigen Einzelheiten ihre letzten Ausformulierungen im 19. Jahrhundert bei K. F. Becker.“ (Rauscher, 1982, S.28)
Auf die traditionelle Grammatik nehmen viele philosophische und sprachwissenschaftliche Vertreter Einfluss, vor allem Platon, Aristoteles, Stoiker und Scholastiker (Piitulainen, 1980,S. 35). Der Begriff traditionelle Grammatik ist heute häufig negativ besetz und gilt als Kennzeichnung für eine veraltete Konzeption der Sprachwissenschaft, die an neuere sprachwissenschaftliche Richtungen nicht mehr heranreichen kann. Hierbei darf jedoch angemerkt werden, dass in „neuen“ grammatischen Konzeptionen nicht immer alles „neu“ ist, sondern vieles aus der grammatischen Tradition übernommen wird (vgl. Piitulainen, 1980, S.35).
Die Basis der traditionellen Grammatik bilden die am Lateinischen orientierte Lautlehre, Wortlehre, Satzlehre und Wortbildungslehre (vgl. Piitulainen, 1980, S.35).
Die traditionelle Satzgliedlehre geht auf Karl Ferdinand Becker zurück und unterscheidet fünf verschiedene Satzglieder Subjekt, Prädikat, Objekt, Adverbial und Attribut. Die Subjekt-Prädikat-Beziehung gilt dabei als primär, da in jedem Satz mindestens zwei logische Teile enthalten sein müssen, das „Sein“ (Subjekt) und eine „Tätigkeit“ (Prädikat). Das Prädikat kann durch ein Objekt erweitert werden, wobei die traditionelle Satzgliedlehre das ergänzende und das bestimmende Objekt unterscheidet. Das ergänzende Objekt gilt als ein notwendiges Objekt, das Objekt im heutigen Sinne, während das bestimmende Objekt als nicht notwendig gilt, und damit dem heutigen Verständnis des Adverbials entspricht (vgl. Piitulainen, S.38f).
Allgemein sind die Entstehung der Methoden der traditionellen Grammatik, sowie ihre Terminologie jedoch wenig transparent. Problemfelder der Grammatik werden ignoriert, oder die „richtige“ Vorgehensweise wird ohne erklärenden Zugriff vorgegeben. Auf Schülerseite führt dies zu bloßen deduktiven Zuordnung sprachlicher Strukturen zu vorgegebenen Bezeichnungen (vgl. Bredel, 2007, S.327). Diese starke Systematisierung der Sprache, das Ausgehen von Definitionen statt von greifbaren Sachverhalten, die Fixierung auf die geschriebene Sprache, der Mangel an einheitlichen Identifizierungskriterien und das Ignorieren der Veränderungen in der Sprache im Laufe der Zeit machen die traditionelle Grammatik angreifbar und anfällig für Kritik (Menzel, 1975, S.66). Der Hauptvorwurf, welcher der traditionellen Grammatik vielfach gemacht wird, ist, dass eine Methode, die zur Analyse klassischer Sprachen dient, nicht einfach auf moderne europäische Sprachen übertragen werden kann (vgl. Dürscheidt, 1991, S.6).
Aber auch wenn die Grundzüge der traditionellen Grammatik viel kritisiert und bereits Jahrhunderte alt sind, finden sie bis in die 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, teilweise sogar noch bis heute Einzug in den Grammatikunterricht der Schulen (vgl. Menzel, 1975, S.63).
Insgesamt lässt sich die traditionelle Grammatik und ihr Einfluss auf Unterricht und Sprachbücher dadurch beschreiben, dass der Grammatikunterricht als isolierter Teilbereich des Deutschunterrichts betrachtet wird, der eine systematische Vermittlung verlangt. Als schulgrammatisches Ziel gilt die schrittweise aufgebaute deduktive Vermittlung eines Wissens über das deutsche Sprachsystem und seine Struktur, die Entwicklung von Sprachbewusstheit wird nicht explizit verfolgt (vgl. Gornik, 2006, S.815f).
2.2 Strukturelle Grammatik
Die strukturelle Grammatik wird fast ausschließlich im Ausland, hauptsächlich durch den Schweizer Ferdinand de Saussure und den Amerikaner Leonard Bloomfield entwickelt. Da sich der Strukturalismus an verschiedenen geographischen Orten entwickelt, gibt es auch innerhalb der strukturalistischen Sprachauffassung Differenzen verschiedenen Ausmaßes. Gemeinsam ist jedoch allen Ausrichtungen, dass sie Sprache als ein Beziehungssystem und eine immanente Struktur auffassen (vgl. Helbig, 1989, S.46). Im Folgenden wird die grundsätzliche Auffassung der strukturellen Grammatik nach Ferdinand de Saussure dargelegt, da er von strukturalistischen Ausrichtungen verschiedenster Prägungen als Begründer des Strukturalismus bezeichnet wird (vgl. ebenda).
Saussure unterscheidet drei Aspekte der Sprache die Language, als die menschliche Fähigkeit zur Rede, die Parole als individuell gesprochene Sprache und die Langue als überindividuelles Sprachsystem. Als Gegenstand der Linguistik definiert Saussure daraufhin die Langue, das überindividuelle Sprachsystem. Aufgabe der Linguistik ist es, die Struktur des Sprachsystems zu beschreiben, indem die einzelnen Elemente der Sprache erfasst werden. Es soll eine explizite Auflistung aller Elemente erstellt werden, um schließlich Regeln über die Beziehungen und Kombinierbarkeit der Elemente festzuhalten (vgl. Rauscher, 1982, S.36).
„[...]das Wesentliche ist, daß [sic!] die abstrakten Tatsachen immer letzten Endes auf konkreten Tatsachen beruhen. Keine grammatische Abstraktion ist möglich ohne eine Reihe von materiellen Elementen, die ihr als Grundlage dienen, und man muß [sic!] schließlich immer auf diese Elemente zurückkommen.“ (Saussure, 1967, S.164)
Bei der Analyse wird, wie im obigen Zitat beschrieben, von konkretem Sprachmaterial ausgegangen, das induktiv, mit Hilfe von objektiven Verfahren, auf Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Nähe und Distanz zwischen den einzelnen Einheiten untersucht wird.
Diese Beschreibung erfolgt auf vier Ebenen, der phonologischen, morphologischen, syntaktischen und semantischen Ebene (vgl. Piitulainen, 1980, S.102ff). Die strikte Trennung der verschiedenen Ebenen beruht auf der Tatsache, dass in der traditionellen Grammatik eine Vermischung verschiedener Dimensionen herrscht, die Saussure durch die Isolierung vermeiden will (vgl. Helbig, 1989, S.93f).
Saussure kritisiert an der traditionellen Grammatik die semantischen und damit ungenügend definierten Kriterien, weshalb er sich hauptsächlich an Relationskriterien orientiert (vgl. Helbig, 1989, S.94). Er betrachtet das Sprachsystem als ein „immanentes System, das aus sich selbst heraus betrachtet werden kann, ohne Zuhilfenahme aussersprachlicher [sic!] Faktoren.“ (Piitulainen, 1980, S.102) Das bedeutet, dass weder psychologische, kulturelle, noch ästhetische Faktoren auf die grammatische Beschreibung Einfluss nehmen dürfen. Daraufhin werden spracheigene Methoden ausgearbeitet, die als Entdeckungsprozeduren bezeichnet werden (vgl. ebenda, S.104). Diese experimentierenden Methoden orientieren sich an naturwissenschaftlichen und mathematischen Standards, wodurch die Objektivität und Transparenz der Ergebnisse gesichert werden soll. Zum Methodenrepertoire des Strukturalismus zählen unter anderen die Distribution, Segmentierung, Substitution und Transformation als wichtigste Vorgehensweisen (vgl. Helbig, 1989, S.94-98).
Distribution
Unter der Distribution eines sprachlichen Elements versteht man alle möglichen Kontexte, in denen es auftreten kann. Damit lassen sich Distributionsklassen ermitteln, in welchen sprachliche Elemente, die in der gleichen sprachlichen Umgebung auftreten, gefasst werden können (vgl. Helbig, 1898, S.95f).
Segmentierung
Bei der Segmentierung geht man von dem Gedanken aus, dass eine grammatische Einheit ein Teil einer größeren grammatischen Konstruktion darstellt und diese hierarchisch aufgebaut ist (vgl. ebenda, S.96f).
Substitution
Unter Substitution versteht man das Austauschen verschiedener grammatischer Einheiten in einem festen syntaktischen Rahmen. Erfüllen die austauschbaren Einheiten beide die identische syntaktische Funktion , gelten sie als äquivalent und können in eine Formklasse gefasst werden (vgl. ebenda, S.98).
Transformation
Transformation meint die Umwandlung von syntaktischen Einheiten, wodurch neue syntaktische Einheiten entstehen, jedoch keine lexikalische Änderung vorliegt. Ein Beispiel hierfür wäre das Verhältnis zwischen Aktiv und Passiv. (vgl. Helbig, 1989, S.97f)
Der strukturalistische Ansatz erhält vor allem im methodischen Bereich Einzug in den Grammatikunterricht. Unter Hans Glinz werden die strukturalistischen Arbeitsweisen unterrichtstauglich gemacht und daraufhin auch in Sprachbüchern berücksichtigt (siehe 2.3). Des Weiteren folgen aus dem strukturalistischen Ansatz zwei Grammatikmodelle, die später ebenfalls in Schulgrammatiken berücksichtigt werden, die Dependenzgrammatik (siehe 2.5) und die generative Transformationsgrammatik (siehe 2.6) (vgl. Rauscher, 1982, S.37). Insgesamt kann man sagen, dass alle anschließend entwickelten Grammatikmodelle und -theorien unter dem Einfluss der Erkenntnisse der strukturellen Grammatik stehen. Somit gilt der Strukturalismus als bedeutender Wegbereiter für weiterentwickelte und spezifizierte Grammatiktheorien und -modelle.
2.3 Grammatik nach Hans Glinz
Die Grammatik nach Hans Glinz nimmt eine „Stellung zwischen den Fronten“ (Helbig, 1989, S.216) ein. Seine Grammatikauffassung stellt eine Synthese der inhaltsbezogenen und strukturalistischen Sprachbetrachtung dar.
Die inhaltsbezogene Sprachauffassung beklagt die rein formale Betrachtung der Sprache im Strukturalismus und fordert eine Betrachtungsweise, die die kommunikative Leistung der Sprache in realen Sätzen berücksichtigt. Sie stellt die Sprachinhalte als primären Untersuchungsgegenstand hervor (vgl. Rauscher, 1982, S.28). Einen erheblichen Einfluss hat die inhaltsbezogene Grammatik damit auf den Sprachkundeunterricht. Der Sprachlehreunterricht, der eigentliche Grammatikunterricht, verläuft jedoch weitgehend nach dem traditionellen Vorbild(vgl. ebenda, S.32). Erst Hans Glinz verfolgt neben strukturalistischen Inhalten auch eine Berücksichtigung inhaltsbezogener Aspekte im Sprachlehreunterricht (vgl. Helbig, 1989, S.216).
Er entnimmt aus dem Strukturalismus experimentierende Methoden, die ihn deutlich von den rein inhaltsbezogenen Grammatikern unterscheiden. Die Ergebnisse der strukturalistischen Methoden, die hauptsächlich die materielle und klangliche Seite der Sprache betreffen, reichen ihm jedoch nicht aus. Sie gelten lediglich als Ausgangspunkt für den Weg zum eigentlich Zweck, den Sprachinhalten, die im Sinne der inhaltsbezogenen Grammatik den wesentlichen Wert ausmachen (vgl. Piitulainen, 1980, S.105).
Glinz hat an den beiden Strömungen der strukturellen Linguistik und der inhaltsbezogenen Grammatik, die seine Werke beeinflussen, zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Maßen Teil. Dadurch lässt sich eine Entwicklung in den Werken und insbesondere der Satzgliedlehre ablesen (vgl. Helbig, 1989, S.216).
Im Folgenden wird das Werk Die innere Form des Deutschen (1.Auflage 1952) von Hans Glinz zur Beschreibung der Satzgliedlehre berücksichtigt, in welchem die strukturalistischen Ansichten gegenüber den inhaltsbezogenen Betrachtungsweisen überwiegen (vgl. Piitulainen, 1980, S.107).
Glinz gliedert den Satz nicht unter logischen Aspekten, wie in der traditionellen Grammatik, in zwei Teile (siehe 2.1), sondern in drei Teile nach der im Satz verwirklichten geistig-künstlerischen Grundgestalt, das heißt, dem zugrundliegenden geistigen Bild. Damit unterstreicht Glinz seine Ansicht, dass die Sprache nicht nur unter rein logischen Gesetzen, sondern ebenso auch unter künstlerischen Normen steht (vgl. Glinz, 1957, S.130). Die Gliederung nach Glinz erfolgt in verbale Satzteile, fallbestimmte Satzteile und fallfremde Satzteile (vgl. ebenda, S.131f).
Zu den verbalen Satzteilen (Prädikat) zählen die Personalform und Infinitform des Verbs, sowie die abhängigen Verbalpartikel. Der verbale Teil des Satzes prägt nach Glinz den Satz als ein „Geschehen“ oder „Sein“ (vgl. ebenda). Die fallbestimmten Satzteile (Subjekt, Objekt, Adverbiale) sind ihrem Namen nach kasusgeprägt, das heißt deklinierbar. Sie zeigen „[...]die an dem Geschehen oder Sein beteiligten Wesen[...]“(Glinz, 1957, S.131) an. Die fallfremden Satzteile sind nicht flektierbar und geben zusätzliche Angaben zu dem Geschehen und den beteiligten Wesen (vgl. ebenda, S.132).
Bei der Bestimmung der Satzglieder setzt Glinz strukturalistische Vorgehensweisen ein. Die Kategorisierung „[...]ist hauptsächlich auf operationale und formale Kriterien gestützt [...] inhaltliche Definitionen weichen zurück.“(Piitulainen, 1980, S.107) Glinz entwickelt Proben, anhand derer die Satzglieder operativ kategorisiert werden. Zu den drei wichtigsten dieser Proben zählen die Permutationsprobe, die Substitutionsprobe und die Weglassprobe (vgl. Bredel, 2007, S.222).
Permutationsprobe
Bei der Permutationsprobe oder auch Umstellprobe werden Wortfolgen im Satz verschoben, wobei der Sinn des Satzes erhalten bleiben muss. Wortfolgen, die nur gemeinsam verschoben werden können, lassen darauf schließen, dass es sich um ein Satzglied handelt (vgl. ebenda).
Die Bundesbahn erhöht ihre Preise wieder.
Wieder erhöht die Bundesbahn ihre Preise.
die Bundesbahn, wieder = Satzglieder (ebenda, S.222)
Substitutionsprobe
Bei dieser Probe wird untersucht, ob sich Wortfolgen durch ein Wort ersetzen lassen, funktioniert dies, weist das darauf hin, dass es sich um ein Satzglied handelt (vgl. Bredel, 2007, S.222).
Die Bundesbahn erhöht ihre Preise wieder.
Sie erhöht ihre Preise wieder.
die Bundesbahn = Satzglied (ebenda S.222)
Weglassprobe
Wenn eine ganze Wortfolge weggelassen werden kann, ohne dass der Satz seine grammatikalische Richtigkeit einbüßt, kann man daraus schließen, dass es sich um ein fakultatives Satzglied handelt (vgl. Bredel, 2007, S.223).
Die Bundesbahn erhöht ihre Preise wieder.
Die Bundesbahn erhöht ihre Preise.
wieder = fakultatives Satzglied (ebenda, S.223)
Des Weiteren versucht Glinz sich von der traditionell lateinischen Terminologie zu lösen und entwickelt eigene Termini für Satzglieder, die etwas über den Inhalt der Kategorie aussagen, wie Grundgröße für das Subjekt, Satzkern für das Prädikat und Gleich-, Ziel-, Beziehungs- oder Zuwendungsgröße für die Objekte. Die neue Terminologie stiftet jedoch Verwirrung unter Schülern und Lehrern und kann sich nicht durchsetzen (vgl. Rauscher, 1982, S.33f). In der Neuauflage von Die inneren Form des Deutschen greift Glinz wieder auf herkömmliche Bezeichnungen der einzelnen Kategorien zurück (vgl. Piitulainen, 1980, S.107).
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Glinz’schen Proben eine neue didaktische Dimension im Grammatikunterricht eröffnen. Die deduktive Vermittlung von grammatischen Kategorien wird durch die Eigeninitiative der Schüler beim Operieren und Experimentieren mit Sprache abgelöst (vgl. Conrady, 2004, S.37). Aufgrund dieser bahnbrechenden Umkehrung des didaktischen Verständnisses und der damit verbundenen Motivation der Schüler zum selbstständigen Umgang mit grammatischen Phänomenen haben die Proben zur Bestimmung der Satzglieder bis heute in Lehrpläne, Schulbücher und selbst in den Grammatikduden Einzug gefunden (vgl. Gornik, 2006, S.817).
2.4 Funktionale Grammatik
Der funktionellen Sprachauffassung liegt das Organonmodell nach Karl Bühler zugrunde, das Sprache als Werkzeug der Verständigung ansieht. In diesem Modell werden drei Funktionen der Sprache unterschieden, die Ausdrucksfunktion, die Appellfunktion und die Darstellungsfunktion, wobei Letztere von besonderer Bedeutung ist, da sie die sprachliche Form bestimmt. Die Darstellungsfunktion, bei der sich der Sprecher auf Sachverhalte aus der Welt bezieht und diese sprachlich umsetzt, gilt also nach Bühler als nicht loslösbar von der Sprachstruktur. Das bedeutet, dass die Form, die syntaktische Struktur, nicht losgelöst von der Funktion, dem kommunikativen Effekt, betrachtet werden darf (vgl. Dürscheidt, 2010, S.175f).
Die funktionale Grammatik stellt somit die Frage nach der Funktion, also der Leistung der Sprache. Alle sprachlich-grammatischen Formen haben eine Funktion. Durch diese Funktionen der Wortarten oder Satzglieder können z.B. räumliche Beziehungen durch Präpositionen, Adverbien oder Adverbiale Bestimmungen ausgedrückt werden, sowie Perspektiven durch Personalpronomen festgelegt werden (vgl. Rauscher, 1982, S.34). Die funktionale Grammatik geht davon aus, dass Sprache in ihrem Aufbau und ihrer Gestalt durch ihren kommunikativen Zweck bestimmt wird (Hoffmann, 2004, S.1).
Ein funktionaler Grammatikunterricht soll Schülern zeigen, „wozu wir Sprache haben und was wir damit tun und erreichen können.“ (Hoffmann, 2004, S.1) Die Grammatik beschäftigt sich dabei nicht mit abstrakten Formen, sondern der Sprachwirklichkeit, die sie versucht zu erklären und verständlich zu machen (vgl. Hoffmann, 2004, S.1). Grammatik wird so als Werkzeug für das Schreiben und Überarbeiten von Texten, sowie die mündliche Kommunikation aufgefasst und muss deshalb auch integrativ in diese Lernbereiche eingebettet werden (vgl. ebenda, S.21).
Im Bezug auf die Unterrichtspraxis formuliert Wilhelm Köller in seinem Buch Funktionaler Grammatikunterricht (1.Auflage 1983) Prinzipien, die es dem Lerner erleichtern sollen, sich auf die abstrakte Ebene der Grammatik einzulassen (vgl. Köller, 1997, S.27).
Funktionales Prinzip
Der „Werkzeugcharakter“ der Sprache soll an konkreten Äußerungssituationen thematisiert werden (vgl. ebenda, S.30f).
Prinzip der Verfremdung
Durch Isolation, überraschende Kontexte und ungewöhnliche Gebrauchsweisen soll dem praktisch Bekannten die Selbstverständlichkeit genommen werden, wodurch die Schüler verwirrt und angeregt werden ein neues Gleichgewicht wiederherzustellen (vgl. ebenda, S.29).
Prinzip der operativen Produktivität
Das produktive Denken soll durch Operationen (siehe 2.3 Proben) an der Sprache gefördert werden, da durch operative Verfahren das Vorgehen schrittweise und anschaulich erfolgt und somit den Schülern das Begreifen erleichtert (vgl. ebenda, S.29).
Genetisches Prinzip
Den Lernenden sollen nicht einfach die Antworten präsentiert werden, sondern sie sollen zuerst die Fragestellungen kennenlernen, welche die Wissenschaft dazu bewogen hat, die Antworten zu suchen. Das heißt, sie sollen mit an die Anfänge der grammatischen Reflexion zurückgeführt werden, um zu verstehen, warum überhaupt eine Grammatik notwendig ist (vgl. ebenda, S.30).
Integratives Prinzip
Grammatische Fragestellungen sollen immer in übergeordneten Zusammenhängen stehen, die die pragmatische und anthropologische Dimension des grammatischen Phänomens betont (vgl. ebenda, S.31).
Ein funktionaler Grammatikunterricht thematisiert in einem systematischen Aufbau das Sprachsystem im Sprachgebrauch (vgl. Gornik, 2006, S.825). Die Prinzipien, die Köller formuliert, ermöglichen ein deskriptives, handlungspraktisches, operatives, autonomes und integratives Vorgehen im Unterricht (vgl. Bredel, 2007, S.338).
2.5 Dependenzgrammatik
„Man kann so das Verb mit einem Atom vergleichen, an dem Häkchen angebracht sind, so daß [sic!] es je nach der Anzahl der Häkchen eine wechselnde Zahl an Aktanten an sich ziehen und in Abhängigkeit halten kann. Die Anzahl der Häkchen, die ein Verb aufweist, und dementsprechend die Anzahl der Aktanten, die es regieren kann, ergibt das, was man die Valenz des Verbs nennt. (Tesnière, 1980, S.161)
Der Begründer der Dependenzgrammatik, Lucien Tesnière, prägt den Begriff der Valenz, also der Wertigkeit des Verbs in seinem Werk Grundz ü ge der strukturalen Syntax, aus dem auch obiges Zitat entnommen wurde. Tesnière vergleicht in diesem das Verb mit einem chemischen Atom, das je nach Element verschieden viele weitere Atome an sich binden kann. Ein Verb kann ebenfalls, je nachdem um was für ein Verb es sich handelt, mehrere Ergänzungen an sich binden und in Abhängigkeit bringen. Diese Wertigkeit der Verben bezeichnet Tesnière als die Valenz des Verbs, die den Wert null bis drei annehmen kann. Die Aktanten sind Wesen oder Dinge, die am Geschehen teilhaben (vgl. Dürscheidt, 2010, S.107). In Lexikoneinträgen wird die Valenz von Verben häufig durch unbestimmte Pronomen angegeben (hier in Klammern)(vgl. Schlobinski, 2003, S.62).
Es reg net. (re g ne n) nullwertiges Verb
Hans schläf t. (jmd. schl äf t) einwertiges Verb
Hans betracht et das Bild. (jmd. betrac htet jmdn./ etw.) zweiwertiges Verb
Hans wi dm et seiner Frau das Buch (jmd. wi d m et jmdm. etw.) dreiwertiges Verb
Die Valenz eines Verbs stellt die Anzahl der notwendigen Ergänzungen dar, damit der Satz als grammatikalisch korrekt gilt. Des Weiteren können natürlich zusätzliche Ergänzungen hinzugefügt werden, die jedoch als fakultative oder freie Ergänzungen bezeichnet werden, da sie für die grammatikalische Richtigkeit der Syntax nicht erforderlich sind (vgl. Rauscher, 1982, S.38).
Tesnière stellt die Annahme auf, dass sich die Valenz eines Verbs auf den gesamten Satzbau eines Satzes auswirkt. Daraufhin entwickelt er die Dependenzgrammatik, die den „syntaktischen Aufbau von Sätzen als ein Gefüge von Abhängigkeiten darstellt.“ (Dürscheidt, 2010, S.107) Damit löst sich Tesnière von der traditionellen Sicht der Zweiteilung des Satzes in Subjekt und Prädikat und stellt das Verb mit seiner Valenz in den Mittelpunkt der dependentiellen Syntax (vgl. Rauscher 1982, S.38). Das Verb regiert über die abhängigen Elemente und wird daher als Regens bezeichnet, während die abhängigen Elemente als Dependens bezeichnet werden (vgl. Engel, 1996, S.21).
Die Darstellung der hierarchischen Gliederung der dependentiellen Satzauffassung
erfolgt durch ein Stemma, das auch als Baumdiagramm bezeichnet wird. Der folgende Satz wird beispielhaft in ein solches Schema transferiert (vgl. Dürscheidt, 2010, S.108).
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Die komplexe Verbform (hat ausgelacht), die im Beispielsatz enthalten ist, wird als ein Regens und nicht getrennt aufgefasst. Das Regens (hat ausgelacht) bildet den verbalen Nukleus, also den Kern des Satzes. Das Subjekt (meine jüngere Schwester) und das Objekt (meine neue Frisur) stehen als Dependens auf einer Hierarchieebene unter dem Nukleus und gelten damit als gleichwertig, das heißt, die Sonderstellung des Subjekts, wie in anderen Grammatiken, wird aufgelöst. Die Abhängigkeit der Pronomen (meine) und Adjektive (jüngere, neue) ist von anderer Art und beruht nicht auf einer Valenzbeziehung, weshalb an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen wird (vgl. Dürscheidt, 2010, s.108f).
Um in einem Satz zwischen fakultativen und obligatorischen Ergänzungen unterscheiden zu können, wird die Eliminierungsprobe (siehe 2.3 Weglassprobe) eingesetzt. Dabei wird die Ergänzung aus dem Satz weggelassen, wird dieser anschließend noch als grammatisch richtig wahrgenommen, gilt die Ergänzung als fakultativ. Wird der Satz jedoch nach der Eliminierung als ungrammatisch aufgefasst, gilt die Ergänzung als obligatorisches Dependens und muss erhalten bleiben. Problematisch bei dieser Methode ist jedoch, dass in bestimmten Kommunikationssituationen nahezu jede Ergänzung als fakultativ ausgelegt werden kann. Hinzukommend kann eine eigentlich obligatorische Ergänzung auch ausgelassen werden (Ellipse), wenn sie als selbstverständlich gilt. Beispielsweise, Die Henne legt (ein Ei). (vgl. ebenda, S.109f).
Die Terminologie der Dependenzgrammatik beschränkt sich auf das Verb als Regens, sowie auf die Dependens bzw. Ergänzungen, die durch ihren Kasus näher differenziert werden können. Das heißt, die üblichen fünf Satzgliedbezeichnungen der Schulgrammatik (Prädikat, Subjekt, Objekt, Adverbiale Bestimmung, Attribut) werden auf lediglich zwei Termini reduziert (vgl. Rauscher, 1982, S.40).
Ein Problem der Dependenzgrammatik liegt darin, dass Verben auf semantischer Ebene ihre Valenz ändern können. Dies soll am Verb geben aufgezeigt werden.
geben im Sinne von schenken: „Ich schenke dir ein Buch.“ dreiwertige Valenz geben im Sinne von spenden: „Ich spende 100 Euro.“ zweiwertige Valenz geben im Sinne von Karten austeilen: „Ich gebe.“ einwertige Valenz
Es kann also keine feste Regel aufgestellt werden, wie hoch die Valenz eines Verbs ist, da sich die Valenz je nach Kontext ändern kann (vgl. Rauscher, 1982, S.40).
Für den Grammatikunterricht und die Konzeption von Sprachbüchern bedeutet eine Ausrichtung an der Dependenzgrammatik, dass dem Verb, als strukturbestimmendes Element, erheblich mehr Betrachtung geschenkt werden muss als in der traditionellen Ausrichtung der Grammatik.
2.6 Generative Grammatik
Die generative Grammatik wird hier in ihren Grundzügen nur angerissen, da eine explizite Darstellung aller komplexen Theorien, die seit Ende der 60er Jahre bis heute aufgestellt wurden, den Rahmen dieser Arbeit bei Weitem übersteigen würden.
Als Hauptvertreter und Begründer der generativen Grammatik gilt Noam Chomsky, der sich seit nunmehr 40 Jahren mit dem Zusammenhang von Spracherwerb, Sprache und Kognition auseinandersetzt.
Die generative Grammatik befasst sich ihrem Namen nach mit der Erzeugung (lat. generare: dt. erzeugen) von grammatisch richtigen Sätzen (vgl. Homberger, 2009, S.127). Damit hebt sie sich von allen anderen bisher aufgeführten Grammatikmodellen ab, da sie eben nicht die Strukturen einer Sprache beschreibt. Stattdessen werden die mentalen Kompetenzen eines Menschen nachgewiesen, die nötig sind, um einen grammatisch richtigen Satz zu erzeugen. Der Sprachgebrauch, die Performanz, gilt der Sprachkompetenz untergeordnet und wird lediglich als Datengewinnung betrachtet (vgl. Dürscheidt, 2010, S.146).
Als Grundannahme gilt für Chomsky, dass jeder Mensch eine angeborene Universale Grammatik besitzt, die es ihm ermöglicht, jede beliebige Sprache zu erwerben (vgl. Dürscheidt, 2010, S. 126).
Der damalige Forschungsstand der behavioristischen Schule geht in den 60er Jahren davon aus, dass ein Kind Sprache durch Nachahmung der Sprache der Erwachsenen eine erlernt (vgl. Philippi/ Tewes, 2010, S.18). Chomsky stellt jedoch fest, dass Kinder Sätze bilden, „[...]die sie nie vorher gehört haben und die sie deshalb auch nicht durch Imitation erworben haben können.“(Philippi/Tewes, 2010, S.18) Darauf begründet er die Annahme einer Universalen Grammatik, die jedoch variable Parameter enthält, die eine Anpassung an verschiedene Sprachen ermöglicht. Die entsprechenden Einstellungen der Parameter für eine spezifische Sprache erfolgen im Spracherwerb. Die Parameter werden auf die gehörte Sprache eingestellt (vgl. ebenda, S.24).
Daraufhin wird versucht, ein Regelwerk zu erstellen, das alle Normen erfasst, die nötig sind, um jede syntaktische Struktur einer Einzelsprache darstellen zu können. Diese Regeln werden als Phrasenstrukturregeln bezeichnet (vgl. Dürscheidt, 2010, S.127). Daraus folgt, dass in der generativen Grammatik der Satz nicht in die traditionellen Satzglieder eingeteilt wird, sondern vorerst in Phrasen. Eine Phrase bezeichnet eine syntaktische Einheit, die nach ihrem Kern bezeichnet wird. Als Kern kann ein Nomen, ein Verb, ein Adjektiv, ein Adverb oder eine Präposition fungieren. Die Analyse erfolgt anhand der immediate constituent analysis (IC Analyse) (vgl. ebenda, S.29).
Der Satz wird bei der IC Analyse zunächst in seine zwei unmittelbaren Konstituenten zerlegt, das heißt, er wird in die zwei längsten Wortfolgen (Phrasen) zerlegt, die man in dem Satz ausmachen kann. In einem einfachen deutschen Satz entspricht dies einer Einteilung in eine Nominalphrase und eine Verbalphrase. Die Darstellung erfolgt in der IC Analyse durch Baumdiagramme (vgl. Philippi/Tewes, 2010, S. 35f).
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Die NP und die VP können wiederum in zwei Konstituenten zerlegt werden. Dieses binäre System wird solange verfolgt, bis man schließlich die einzelnen Wortarten analysiert hat (siehe unten) (vgl.ebenda).
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In den Grammatikunterricht der Grundschule hat die generative Grammatik zwar nicht mit den Termini Nominalphrase und Verbalphrase Einzug gefunden, jedoch durch die deutschen Entsprechungen Satzgegenstand und Satzaussage. Die Satzaussage wird auch als Prädikat im weiten Sinne bezeichnet, während das traditionelle Prädikat im engen Sinne nur das Verb bezeichnet (vgl. Ossner, 1994, S.74f).
2.7 Situationsorientierte - Situative Grammatik
Als Grundlage der situativen Grammatik gilt das Buch „ Der andere Grammatikunterricht “ von W. Böttcher und H. Sitta. Da Sprache nie alleine, sondern immer in kommunikativem Zusammenhang verwendet wird und auch Spracherfahrungen immer an einen Kontext gebunden sind, sollen die Schüler auch grammatische Phänomene nicht künstlich isoliert, sondern in Relation zu ihren situativ relevanten Situationen bearbeiten. Aus diesem enormen Interesse am Sprachgebrauch ergibt sich, dass die grammatischen Aspekte immer in Äußerungs- und Textzusammenhängen eingebettet werden, um dort ihre Bedeutung zu erhalten (vgl. Böttcher/ Sitta, 1978, S.181).
„Die Grammatik gilt somit nicht mehr als eigenständiger Lerngegenstand, sondern bedarf der Integration in sprachliche Kontexte“ (ebenda, S.201). Diese sprachlichen Kontexte bieten sich in bestimmten Situationen zufällig an und werden daraufhin analysiert und bearbeitet. Diese Situationen sind jedoch nicht als Demonstrationsbeispiele arrangiert, sondern sie sollen sich aus realen mündlichen oder schriftlichen Sprachhandlungen heraus ergeben. Tritt eine solche Situation auf, soll das grammatische Phänomen handlungspraktisch, operativ und induktiv erarbeitet werden (vgl. Böttcher/ Sitta, 1978, S.93f).
Böttcher und Sitta formulieren folgende Ziele, die mit einer situativen Grammatik erreicht werden sollen:
Sensibilisieren - Alltägliches Sprachhandeln bewusst machen
Sichern - Bemerken und Korrigieren von eigenen sprachlichen Mängeln
Operieren - Beim Schreiben Alternativen ausprobieren
Lokalisieren - Problematische Phänomene ermitteln
Diagnostizieren - Gründe für problematische Phänomene ausfindig machen
Konstruieren - Grammatisches Wissen in seiner Dienerfunktion anwenden
Verbalisieren - Sich über grammatische Phänomene verständigen
Diskurs - Sich über aufgestellte Normen verständigen (vgl. ebenda, S.146f)
Ein Problem der situativen Grammatik ist die fehlende Systematik. Da die Situationen nicht geplant sind, können die grammatischen Phänomene auch nicht schrittweise aufeinander aufbauend vermittelt werden, sondern müssen je nachdem, wie sich die Situation ergibt thematisiert werden. Dadurch ergibt sich die Prämisse, dass zwingend vorhandenes Vorwissen für ein spezielles grammatisches Phänomen noch nicht thematisiert wurde und somit muss dieses Vorwissen entweder gegen den eigentlichen Grundsatz vermittelt werden, oder das Phänomen muss hinten angestellt werden (vgl. Bredel, 2007, S.331f).
Für Sprachbücher bedeutet diese Konzeption der Grammatik eigentlich das Aus, da sie mit der spontanen grammatischen Situation arbeitet, die sich im Unterricht real und nicht durch ein Buch arrangiert, ergibt. Wie jedoch Bredel schon betont, ist diese strikte situative Vorgehensweise problematisch. Dagegen können einzelne Aspekte der situativen Grammatik auch für die Konzeptionen von Sprachbüchern aufgegriffen und durch integrative Grammatikaufgaben in Sprachbüchern umgesetzt werden. Des Weiteren können auch in Sprachbüchern Anregungen zum Diskurs über
grammatische Phänomene gegeben, sowie eine Sensibilisierung für sprachliches Handeln angebahnt werden.
2.8 Handlungsorientierte Grammatik - Grammatikwerkstatt
Horst Bartnitzky präferiert für die handlungsorientierte Grammatik das Grundmodell der Dependenzgrammatik (siehe 2.5). Dabei steht das Verb im Zentrum des Satzes, von dem aus alle weiteren Satzglieder durch verschiedene linguistische Operationen als Ergänzungen ermittelt werden können (vgl. Bartnitzky, 2004, S.40).
In der handlungsorientierten Grammatik spielen optische Signale eine große Rolle (Beispiel siehe nächste Seite). Sie gelten als enorm große Hilfestellung für Schüler zum besseren Verständnis des syntaktischen Aufbaus. Jedes Element erhält eine spezifische Farbe und Form. Durch die Farb- und Formgebung können Satzbaupläne symbolisch dargestellt werden, was den Schülern das Verstehen erleichtert (vgl. ebenda, S.41f).
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(vgl. Bartnitky, 2004, S.41)
Bei der Terminologie geht Bartnitzky einen Kompromiss ein. Sind deutsche Termini für Kinder verständlich und sachlich richtig, werden diese verwendet. Gibt es keine geeigneten deutschen Termini für ein grammatisches Element, zieht er die für Kinder inhaltsleeren lateinischen Termini den womöglich verwirrenden deutschen vor. Deutlich macht er das Prinzip an den deutschen Termini Satzgegenstand und Satzaussage (im Sinne des engen Prädikatverständnisses), die seiner Meinung nach nicht mit der Schülervorstellung überein gehen (vgl. Bartnitzky, 2004, S.40f).
„ Ich bekam ein neues Fahrrad. Was ist hier der Satzgegenstand im Verständnis von Kindern? Sicher das Fahrrad und eben nicht das Subjekt i c h. Was ist die Satzaussage? Natürlich auch, dass i c h es bekommen habe, aber Satzaussage im Verständnis der Kinder ist nicht nur das inhaltsblasse Prädikat bekam.“ (Bartnitzky, 2004, S.40)
Die Ergänzungen (Objekte und Adverbiale Bestimmungen) werden nach der Frageweise (Wen oder Was?, Wem?, Wo?, Wann?, Wie? etc.) kategorisiert. Die Wer? - Ergänzung wird aufgrund der hervorgehobenen Rolle als Subjekt bezeichnet (vgl. Bartnitzky, 2004, S.41).
Grundlegend fordert Bartnitzky den Grammatikunterricht in die anderen Teilbereiche des Deutschunterrichts zu integrieren. Das heißt also, dass die Satzgrammatik nicht losgelöst vom Schreibunterricht, dem sie ja letztlich dient, behandelt werden darf (vgl. Bartnitzky, 2004, S.41f).
Eine besondere Form der handlungsorientierten Grammatik stellt die Grammatikwerkstatt n ach Menzel dar, die im Folgenden erläutert wird.
„[...]was denn das ist: eine Grammatik. [...]das ist nur einzusehen, wenn man selbst einmal daran beteiligt war, eine kleine Grammatik herzustellen.“ (Menzel, 2010,S. 13)
Die Grammatikwerkstatt nach W. Menzel richtet ihre Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf das Endprodukt, also die Kategorien selbst, sondern vielmehr auf den Prozess der Kategorienbildung. Wie das obige Zitat betont, geht es nicht um das bloße Einüben grammatischer Begriffe, sondern darum, dass eigenständig Regeln aufgestellt werden (vgl. Menzel, 2010, S.16).
Menzel bezeichnet die deduktive Vermittlung von grammatischen Kategorien zwar als durchaus ökonomisch, aus lernpsychologischer Sicht jedoch ist nachgewiesen, dass selbstermitteltes Wissen weitaus einprägsamer ist als bloße Vermittlung des Wissens. Des Weiteren sollten Schüler aus pädagogischer Sicht das was sie gelernt haben, auch selbst überprüfen können, was ohne das Wissen über Verfahren zur grammatischen Theorienbildung nicht möglich ist. Die Induktion von Wissen gilt nach Menzel als weitaus sinnvoller im Gegensatz zu einer deduktiven Vermittlung und erscheint für das durchdringende Verständnis einer Grammatik als unerlässlich (vgl. Menzel, 2010, S.15).
In der Grammatikwerkstatt ist Sprache das Material und die grammatischen Operationen (vgl. 2.3 Proben) sind die Handwerkszeuge, mit Hilfe derer die Schüler experimentieren (vgl. Menzel, 2010, S.12). Die Grammatik darf nicht als Ergebnis von Systematisierungsprozessen anderer verstanden werden, sondern Schüler müssen zum Handeln angeregt werden, um selbst zu einer nicht sprachwissenschaftlichen, aber reduzierten schulgerechten Grammatik zu gelangen. Diese genetische Methode entspricht dem pädagogischen Prinzip der Rückführung in die Originalsituation (vgl. ebenda, S.13).
Bei der Satzgliedbestimmung setzt Menzel die operative Umstellprobe (siehe 2.3) ein, mit welcher die Satzglieder isoliert werden können. Anschließend werden die Satzglieder durch Fragen näher bestimmt bzw. das Prädikat kann durch die Ersetzung durch „ tun “ meist identifiziert werden (vgl. Baurmann/ Menzel, 1995, S.79).
Wer oder Was? Subjekt
Wessen? Wem? Wen oder Was? Objekte
Wann? Wo? Wie? Warum? Wohin? Womit? Adverbiale Bestimmungen Ersetzung durch „ tun “ Prädikat (vgl. Baurmann/ Menzel, 1995, S.79)
Menzel sieht die Fragetechnik aber auch kritisch, da sie seiner Meinung nach hohe Ansprüche an Schüler stellt. Die Annahme, dass die richtige Fragestellung zur richtigen Antwort führt, sei eben nicht richtig, sondern „Der Prozess des Denkens dürfte aber andersherum laufen: Wer das Subjekt schon kennt, kann auch die Frage richtig stellen.“(Menzel, 2010, S.47)
Menzel kritisiert auch aufgrund der Fragetechnik, dass die Satzglieder Subjekt und Objekt in der Grundschule als erstes eingeführt werden, da die Bestimmung ein hohes Maß an Abstraktion von den Schülern verlangt. Die Satzglieder können zwar durch die Umstellprobe relativ einfach isoliert werden, jedoch stellt das anschließende Erfragen, ob es sich um das Subjekt (Wer oder Was?) oder um das Objekt (Wessen? Wem? Wen oder Was?) handelt, eine abstrakte Meisterleistung dar, die von vielen Kindern kaum zu leisten ist (vgl. Menzel, 1995, S.85).
Dem hingegen stellen die Adverbialen Bestimmungen nach Menzel eine grammatische Kategorie dar, die durch ihre semantischen Bedeutungsinhalte als weitaus einfacher und auch nachhaltiger in der Grundschule eingeführt werde können. Obwohl die Adverbialen Bestimmungen zu den obligatorischen Satzgliedern gehören, findet man sie in nahezu jedem Satz vor. Besonders in eigenen Texten der Schüler, die oft Erzählungen darstellen, kommen Adverbiale vor, da sie Angaben „[...]über das Wann, Wo und Wohin, das Womit, Wie und Warum[...]“(Menzel, 2010, S.47) geben. Die Adverbiale lassen sich durch einfache, für die Kinder fassbare Fragen ermitteln, wie Wann?, Wo? und Wie?. Letztendlich müssen die ermittelten Satzglieder nicht mit dem abstrakten Terminus Adverbiale Bestimmung betitelt werden, sondern können als Umstandsbestimmungen oder noch einfacher als, Wann-, Wie- oder Wo- Bestimmung bezeichnet werden (vgl. Menzel, 2010, S.48f).
Das Ziel dieses handlungsorientierten Verfahrens sind Einsichten in den Aufbau und das Funktionieren der Sprache sowie damit verbunden, die Verbesserung im Verstehen und im Gebrauch der Sprache (vgl. Menzel, 2010, S.12).
Für Sprachbücher bedeutet dies weg von vorgegebenen Merksätzen und deduktiven Aufgabenstellungen zu kommen und stattdessen sollten Aufgabestellungen entwickelt werden, die auf Experimentieren und genaues Beobachten ausgelegt sind.
3. Aussagen der Bildungs- bzw. Lehrpläne zur Konzeption von Grammatikunterricht
Nachdem die einzelnen sprachwissenschaftlichen und pädagogischen Grammatikmodelle unter 2. beschrieben wurden, soll nun geklärt werden, inwieweit die Bildungs- und Lehrpläne der vergangenen 40 Jahre durch die verschiedenen Grammatiktheorien beeinflusst wurden. Die Bildungs- und Lehrpläne werden dahingehend untersucht, ob sie ein Grammatikmodell durchgängig vorschreiben oder welche Aspekte aus verschiedenen Grammatiktheorien übernommen wurden. Die Vorgaben des Kultusministeriums des Landes Baden-Württemberg sind verbindlich und sollten weitegehend von Schulbuchautoren berücksichtigt werden.
Im Folgenden werden die allgemeinen methodischen Vorgaben der einzelnen Bildungs- bzw. Lehrpläne, sowie die spezifischen Vorgaben im Fachbereich Deutsch in Hinsicht auf den Grammatikunterricht aus den Bildungsplänen der Jahre 1977, 1984 und 1994 für die Klassenstufe 3 herausgearbeitet. Da der Bildungsplan 2004 die Kompetenzen im Abstand von zwei Jahren formuliert, werden hier die Vorgaben des Fachbereichs Deutsch für das Ende der Klasse 4 berücksichtigt.
3.1 Bildungsplan für die Grundschule 1977 - Klasse 3
Der Bildungsplan selbst versteht sich als Minimalplan, der die Lernziele in den einzelnen Fächern vorschreibt, jedoch bei den konkreten Inhalten eine Auswahlmöglichkeit eröffnet (vgl. Kultusministerium Baden- Württemberg, 1977, S.14).
Als allgemeine Unterrichtsziele in der Grundschule werden „die Förderung der Lernfreude, die Vermittlung von Erfolgszuversicht, die Anregung zum selbständigen Arbeiten und die Hinführung zur Übernahme von Verantwortung“(Kultusministerium Baden- Württemberg, 1977, S.10) genannt. Auf methodischer Ebene wird nochmals hervorgehoben, dass der Unterricht Lernsituationen ermöglichen soll, welche das selbständige und selbsttätige Arbeiten und Kontrollieren der Schüler anregen sollen. Das Lernen soll durch konkrete anschauliche und handlungsbezogene Erfahrungen erfolgen (vgl. ebenda, 1977, S.10f).
Als Hauptaufgabe des Grammatikunterrichts wird die Ermöglichung von Einblicken in die Funktionen und Strukturen der Sprache genannt. Diese erfolgt hauptsächlich im Lernbereich Einsicht in Sprache gewinnen, wobei alle Lernbereiche in enger Verknüpfung miteinander und gegenseitiger Abhängigkeit gesehen werden (vgl. Kultusministerium Baden- Württemberg, 1977, S.20). Eine besondere Verbindung zum Lernbereich Einsicht in Sprache gewinnen besteht zwischen den Teilbereichen Mündliche Verständigung, Texte verstehen, Texte verfassen und Rechtschreiben (vgl. ebenda, S.63).
Die Funktion und Wirkung grammatischer Strukturen steht im Mittelpunkt des Grammatikunterrichts. Diese sollen in konkreten Situationen der Sprachverwendung im Unterricht zum Ausdruck gebracht werden. Von einer Sprachbetrachtung im Sinne der rein deduktiven Vermittlung grammatischer Kenntnisse wird Abstand genommen (vgl. Kultusministerium Baden- Württemberg, 1977, S.63).
Das „Sprechen über Sprache erfordert eine sachgerechte Terminologie.“
(Kultusministerium Baden- Württemberg, 1977, S.63) Die Einführung der Fachbegriffe ist jedoch auch an die Einsicht in die Funktion des grammatischen Elements gebunden und darf nicht isoliert erfolgen. Erst wenn die Schüler sich der Funktion des Bezeichneten bewusst sind, werden Fachtermini verwendet (vgl. Kultusministerium Baden- Württemberg, 1977, S.63). Zu den vom Lehrplan vorgegeben Fachbegriffen für die 3. Klasse im Bereich der Syntax gehört nur der Terminus Satzglied, eine weitere Ausdifferenzierung findet noch nicht statt. erst in der 4. Klasse werden die lateinischen Termini Subjekt und Prädikat sowie die Ergänzung eingeführt (vgl. ebenda, S.73) .
Als verbindliche Lernziele im Bereich Syntax gibt der Bildungsplan 1977 vor, dass die Schüler „erste Einblicke in Funktion und Struktur einfacher Sätze und Satzglieder gewinnen“ (Kultusministerium Baden- Württemberg, 1977, S.68ff) sollen und die „Funktion und Struktur des Prädikats kennenlernen“ (ebenda). Auf der Ebene der konkreten Inhalte des Unterrichts werden Vorschläge gemacht, die zum Erreichen der Lernziele führen sollen. Dabei wird das Satzglied als umstellbares Element im Satz definiert und die Umstell- und Ersatzprobe (siehe Permutations- und Substitutionsprobe 2.3) zur Analyse der Syntax angeführt. Das Prädikat wird als satzstrukturbestimmendes Element bestimmt und soll von den Schülern als solches in ein- und zweiteiliger Erscheinung erkannt werden (vgl. ebenda, S68ff). Die starke Gewichtung des Prädikats lässt eine Anlehnung an die Dependenzgrammatik (siehe 2.5) erkennen.
3.2 Bildungsplan für die Grundschule 1984 - Klasse 3
Der Bildungsplan 1984 geht in den allgemeinen Unterrichtszielen und Methoden mit dem Bildungsplan 1977 (siehe 3.1) konform. Ebenfalls handelt es sich um einen Minimalplan, der Freiräume in der spezifischen Gestaltung des Unterrichts eröffnen soll (vgl. Ministerium für Kultus und Sport Baden- Württemberg, 1984, S.10).
Im Bildungsplan 1984 werden drei Arbeitsbereiche des Deutschunterrichts formuliert, Sprechen und Schreiben, Lesen und Sprachbetrachtung. Der Grammatikunterricht fällt unter den Arbeitsbereich Sprachbetrachtung, wobei eine enge Verbindung zum Arbeitsbereich Sprechen und Schreiben besteht, da beim Formulieren von Texten strukturelles Wissen über die Satzbildung, Satzvariation und Satzerweiterung angewandt werden kann(vgl. Ministerium für Kultus und Sport Baden- Württemberg, 1984, S.101).
„Ausgehend von Situationen des kindlichen Erlebnis- und Erfahrungsbereichs soll[en] das Entdecken von Sprachstrukturen im handelnden Umgang mit Sprache angebahnt [...] werden“. (Ministerium für Kultus und Sport Baden- Württemberg, S.101) Der Einblick in den Bau der Sprache und ihrer Leistung steigern den sicheren Gebrauch der mündlichen und schriftlichen Sprache, wobei nochmals der starke Bezug zum Arbeitsbereich Sprechen und Schreiben deutlich wird (vgl. ebenda, S.120).
Als verbindliches Lernziele im Bereich Syntax gibt der Bildungsplan 1984 das „Kennenlernen der Satzglieder Satzgegenstand und Satzaussage“ (ebenda, S.121) an. Das Kennenlernen, wie auch im Bildungsplan 1977 formuliert, soll durch die Umstell- und Ersatzprobe geschehen(vgl. Ministerium für Kultus und Sport BadenWürttemberg, S.120f). Im Gegensatz zum Bildungsplan 1977 werden hier bereits zwei Satzglieder differenziert betrachtet und benannt.
Auffällig ist die ausschließlich deutsche Terminologie des Lehrplans im Gegensatz zu den lateinischen Fachausdrücken (Prädikat, Subjekt), die im Lehrplan 1977 für die Klasse 4 vorgeschrieben waren (vgl. Kultusministerium Baden- Württemberg, 1977, S.73). Im Bereich Satzglieder sind im Bildungsplan 1984 die Begriffe Satzglied, (zweiteilige) Satzaussage und Satzgegenstand zur Verwendung im Unterricht vorgegeben (vgl. Ministerium für Kultus und Sport Baden- Württemberg, S.130).
3.3 Bildungsplan für die Grundschule 1994 - Klasse 3
Zusätzlich zum Bildungsplan für die Grundschule 1994 wird das Buch Deutschunterricht für Kinder in der Grundschule berücksichtigt, da diesem Buch „Gespräche und Diskussionen[,] der Mitglieder der Lehrplankommission Deutsch für die Grundschule des Landes Baden Württemberg zu Grunde liegen.“ (Ossner, 1994, S.2)
Im Aufbau und den grundlegenden Ansichten zu den Zielen und Methoden des allgemeinen Unterrichts geht der Bildungsplan für die Grundschule 1994 mit seinem Vorgänger von 1984 überein, wobei fächerverbindende Aspekte deutlicher hervorgehoben werden (vgl. Ministerium für Kultus und Sport Baden- Württemberg, 1994, S. 9-15).
Der Lehrplan des Faches Deutsch hingegen erfährt explizite Veränderungen, die bereits in den Bezeichnungen der einzelnen Arbeitsbereiche deutlich werden. Der Arbeitsbereich Sprachbetrachtung (1984) wird zu Sprache untersuchen, wodurch die aktive Tätigkeit der Schüler schon hier betont wird (vgl. Ossner, 1994, S.24). Die vier Arbeitsbereiche des Deutschunterrichts Miteinander sprechen, Lesen und Verstehen, Sprache untersuchen und Schreiben sollen besser untereinander vernetzt werden. Damit erteilt der Lehrplan eine klare Absage an einen isolierten Grammatik- oder Rechtschreibunterricht, der lediglich „[...]die Inhalte abhandelt, die Bausteine lehrt und schließlich üben lässt.“(ebenda, S.18) Speziell für den Grammatikunterricht ist eine Vernetzung zu den anderen Lernbereichen von erheblicher Bedeutung, da er isoliert für die Schüler keinen Sinn zu haben scheint. Erst durch die Anwendung des erworbenen Wissens über Sprache, beispielweise beim Texteschreiben, erhält es für Kinder einen ersichtlichen Sinn (vgl. Ossner, 1994, S.19). Ossner formuliert das Zusammenspiel der einzelnen Arbeitsbereiche wie folgt. „Die Teile, so sehr sie über eine bestimmte Zeit lang ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden, müssen mit Blickrichtung auf das Ganze thematisiert und präsentiert werden.“(ebenda, S.19)
Als verbindliches Lernziel zum Themenbereich Satzglieder wird die Untersuchung der Satzaussage und des Satzgegenstands vorgegeben. Zusätzlich wird die Anweisung gegeben, dass alles, was nicht dem Satzgegenstand zugeordnet werden kann, der Satzaussage zugesprochen wird. Dieses Vorgehen entspricht der generativen Einteilung des Satzes in Nominal- und Verbalphrase (siehe 2.6). Als bevorzugte Arbeitstechniken zur Gliederung des Satzes werden das Umstellen, Ersetzen, Erweitern, Weglassen und Erfragen (siehe 2.3 Proben) genannt (vgl. Ministerium für Kultus und Sport Baden- Württemberg, 1994, S.133). Der operationale Zugang ermöglicht nicht nur den Erwerb grammatischen Wissens, sondern auch Lernen zu lernen (vgl. Ossner, 1994, S.72).
Die Terminologie tritt im Lehrplan 1994 bewusst in den Hintergrund, um ein inhaltsleeres Vermitteln von grammatischen Begriffen zu verhindern. Die Termini stehen immer am Ende eines Verstehensprozesses, erst wenn der Sachverhalt begriffen ist, erhält er seine Bezeichnung (vgl. ebenda, S.72). Eine Liste verbindlicher Termini, wie im Bildungsplan 1977 und 1984 wird nicht vorgegeben. In den Lernzielformulierungen werden jedoch die Termini Satzgegenstand und Satzaussage verwendet (vgl. Ministerium für Kultus uns Sport Baden- Württemberg, S.133).
3.4 Bildungsplan 2004 Grundschule - Klasse 3/4
Der Bildungsplan 2004 stellt eine grundlegende Veränderung im Bildungswesen dar. Auch wenn die Bildungspläne von 1977, 1984 und 1994 bereits als Minimalpläne mit möglichst wenigen Vorgaben bezeichnet wurden, eröffnet der Bildungsplan 2004 durch die Formulierung von Kompetenzen erheblich größere Handlungsspielräume für Lehrer und auch für die Gestaltung von Schulbüchern (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden- Württemberg, 2004, S.6f). Die Kompetenzen und Inhalte werden jeweils für das Ende der 2. und der 4. Klasse formuliert, das heißt, es wird nicht explizit vorgegeben, welches Thema in Klasse 3 und welches in Klasse 4 behandelt werden soll (vgl. ebenda, S.48-52). Es findet ein Wechsel von der bisherigen Inputorientierung, also der Vorgabe von Inhalten, zur Outputorientierung, der Formulierung von Kompetenzen, statt (vgl. Bredel, 2007, S.249f).
Das Lernen gilt als doppelt handlungsorientiert, da es sich einerseits zu einem großen Teil durch Handeln vollzieht, und andererseits auf eine spätere Anwendbarkeit im Berufsleben ausgelegt ist (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden- Württemberg, 2004, S.16). Das didaktische Motto (ebenda. S.16) Es wird kein fertiges Wissen vermittelt, sondern ein aktiv entdeckender Unterricht gestaltet (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden- Württemberg, 2004, S.16). Die Schüler sollen im Fachbereich Deutsch zu einem bewussten Sprachhandeln und eigenständigen Umgang mit Sprache befähigt werden (vgl. ebenda, S.43).
Die Arbeitsbereiche des Deutschunterrichts Sprechen, Lesen, Schreiben und
Sprachbewusstsein entwickeln sind untereinander eng verknüpft und sollen nicht isoliert betrachtet werden. Erstmals wird die Sprachenvielfalt einer Klasse thematisiert, indem die Herkunftssprachen als Anlass zur Sprachbetrachtung aufgegriffen werden (vgl. ebenda, S.42).
Speziell für den Arbeitsbereich Sprachbewusstsein entwickeln wird das induktive entdeckende Vorgehen nochmals betont.
„Der Weg führt nicht von der Grammatik zur Sprache, sondern von der Sprache zur Grammatik“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden- Württemberg, 2004, S.46)
Das Wissen über Sprache soll in praktischen Sprachhandlungen bewusst zur Anwendung kommen. In den Prozess der Bewusstwerdung der Sprache können auch Fremdsprachen sowie die verschiedenen Herkunftssprachen einer Klasse miteinbezogen werden, da das Sprechen über Sprache auf der Metaebene, Kindern, durch den Bezug zu anderen Sprachen, erleichtert wird (vgl. ebenda, S.46f).
Als Kompetenzen zum Bereich Satzglieder werden am Ende der Klasse 4 die
Fähigkeit die Schriftsprache zum Gegenstand des Nachdenkens zu machen genannt sowie die Kenntnis und Anwendung von Verfahren zum Formulieren sprachlicher Regelm äß igkeiten. Zu diesen Verfahren zählen das Erweitern und Verkürzen von Sätzen sowie das Umstellen, Austauschen, Weglassen und Ergänzen von Satzteilen (siehe 2.3 Proben). Als verbindliche Termini werden die lateinischen Ausdrücke Subjekt und Prädikat vorgegeben. Inhaltlich wird die Arbeit an grammatischen Phänomenen forschend und erprobend dargestellt, wobei die Grammatikwerkstatt (siehe 2.8) als Arbeitsmethode explizit genannt wird (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden- Württemberg, 2004, S.52).
4. Analysematerial
Die Auswahl der Sprachbücher erfolgt unter der Berücksichtigung, dass es sich
möglichst um eine Sprachbuchreihe handeln sollte, die eine große Zeitspanne des zu betrachtenden Zeitraumes von 1970 bis heute umfasst. Da sich dies bei einem Zeitraum von 40 Jahren jedoch nahezu als unmöglich erweist, wird als zweites Kriterium die Zugehörigkeit zu demselben Verlag bestimmt, um eine möglichst realistische Entwicklung der Grammatikaufgaben zu beschreiben, die nicht bereits durch die Auswahl der Sprachbücher beeinflusst wird.
Um ein gewisses Maß an Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, ohne den Rahmen dieser Arbeit zu übersteigen, wird eine Sprachbuchanalyse an vier Sprachbüchern, je eines aus jedem Jahrzehnt von 1970 bis heute, zweier unabhängiger Verlage durchgeführt. Die Analyse beschränkt sich auf die Einführung der Satzglieder sowie auf die Aufgaben zum Thema Satzglieder. Es werden bewusst Sprachbücher der Klassenstufe 3 ausgewählt, da in dieser Jahrgangsstufe in der Regel die Einführung des Themenbereichs Satzglieder stattfindet und somit insbesondere auf die spezifischen Klassifikationen der Satzglieder eingegangen werden kann.
Folgende Sprachbücher wurden anhand der oben angeführten Kriterien, für die Analysen (6.) ausgewählt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5. Untersuchungskriterien der Sprachbuchanalyse
Die Analyse der Sprachbücher zum Teilbereich Satzglieder soll einen kritischen Einblick in die Entwicklung des Grammatikunterrichts ermöglichen. Um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Analysen zu gewährleisten, werden Kriterien festgelegt, nach diesen die Sprachbuchanalysen durchgeführt werden. Als Hauptkriterium gilt die Einflussnahme der wissenschaftlichen Grammatikmodelle und -theorien die sich auf alle weiteren Kriterien auswirkt. Des Weiteren werden die Klassifizierung der Satzglieder, die Terminologie, das didaktisch-methodische Vorgehen, die Verknüpfung zu anderen Arbeitsbereichen des Deutschunterrichts und der Bezug zu den relevanten Bildungs- und Lehrplänen als Kriterien dargelegt, die die zeitgeistabhängige Entwicklung des Grammatikunterrichts ganzheitlich widerspiegeln.
5.1 Bezug zu Grammatikmodellen und -theorien
Bei der Analyse unter 5. werden die Sprachbücher dahingehend untersucht, welche Aspekte und Grundgedanken der unter 2. aufgeführten Grammatikmodelle und -theorien bei der Ausarbeitung der Grammatikbereiche im Sprachbuch aufgegriffen wurden. Es wird analysiert, ob nur ein Grammatikmodell durchgängig berücksichtigt wurde oder mehrere Grammatiktheorien zu einer Mischgrammatik im jeweiligen Sprachbuch geführt haben.
5.2 Klassifizierung der Satzglieder
„Über den Status, das Wesen, die Kriterien und die Abgrenzung der Satzglieder im Deutschen gibt es noch sehr unterschiedliche Auffassungen.“(Helbig, 1978, S.418) In der Grammatik wird zwar bereits seit Jahrhunderten mit den Satzgliedern gearbeitet, jedoch ohne dass bestimmte Kriterien zur Abgrenzung explizit genannt werden oder deren Gewichtung untereinander thematisiert wird (vgl. Helbig, 1968, S.13).
Bei der Satzgliedbestimmung gibt es bisher kein einheitliches Kriterium, das es
ermöglicht, alle Satzglieder angemessen voneinander unterscheiden zu können. Es werden somit verschiedene Kriterien eingesetzt, um eine möglichst eindeutige Definition eines Satzglieds zu ermöglichen. Je nach Grammatikmodell und dessen Grundannahmen variiert die Verwendung und Gewichtung der einzelnen Kriterien (vgl. Dürscheidt, 2010, S.31). Im Folgenden werden die vier wichtigsten Kriterien zur Kategorisierung der Satzglieder erläutert und deren prototypische Aussagen zu den Satzgliedern Subjekt, Prädikat (enger Prädikatbegriff), Objekt und Adverbiale Bestimmung dargestellt.
In den unter 6. folgenden Analysen werden die Kriterien, die zur Klassifikation der einzelnen Satzglieder führen dargelegt und daraufhin untersucht, inwieweit eine einheitliche Rangfolge der Kriterien erkennbar wird.
5.2.1 Semantisches Kriterium
Die Semantik beschäftigt sich mit der Relation zwischen einem Zeichen und dem von ihm bezeichneten realen Objekt (vgl. Homberger, 2009, S.382). Diese Relation scheint bei einem Satzglied nahezu unmöglich zu sein, da ein Satzglied kein reales Objekt darstellt. Jedoch kann ein Satzglied als Relationsbegriff eine Beziehung zwischen Erscheinungen der Realität darstellen und somit auch semantisch näher bestimmt werden (vgl. Helbig, 1968, S.29). Vor allem in der traditionellen Grammatik nach K.F. Becker (siehe 2.1) werden die Satzglieder primär von innen nach ihrer Bedeutung klassifiziert (vgl. ebenda, 1968, S.17).
Subjekt
„Das Subjekt ist mit Wer oder Was? erfragbar.“ (Dürscheidt, 2010, S.34)
Prädikat
„Das Prädikat bezeichnet eine auf das Subjekt bezogene Handlung, einen Vorgang oder einen Zustand.“ (ebenda, S.35)
Objekt
„Das Objekt trägt die semantische Rolle des Patiens bzw. des Rezipienten.“ (ebenda, S.36) Es kann mit Wen oder Was? (Akkusativ), Wem? (Dativ) und Wessen? (Genitiv) erfragt werden (vgl. Homberger, 2009, S.294f).
Adverbiale Bestimmung
„Adverbiale Bestimmungen drücken die näheren Umstände des Geschehens aus, den Ort (lokal), die Zeit (temporal), die Art und Weise (modal), den Grund (kausal), u.a..“ (ebenda, S.38)
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- Arbeit zitieren
- Evelyn Wink (Autor:in), 2011, Darstellung der Entwicklung des Grammatikunterrichts von den 70er Jahren bis heute anhand von Sprachbuchanalysen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/232244
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