„Die Erinnerung ist bei Staaten der Prüfstein ihrer Politik. Je grundlegender die Erfahrung, umso tiefgreifender wertet eine Nation die Gegenwart im Licht der Vergangenheit. Es kann sogar vorkommen, daß eine Nation so starke Erinnerungen mit sich herumträgt, daß sie zum Gefangenen ihrer eigenen Vergangenheit wird.“
Diese Sätze Henry Kissingers, obwohl in einem völlig anderen Kontext verfasst, lesen sich beinahe und ganz natürlich als eine Beschreibung der (bundes-)deutschen Nachkriegsgeschichte. Die nationalsozialistische Vergangenheit wiegt schwer und hat nicht nur die deutsche Außenpolitik, durch eine komplette militärische Enthaltung bis zum Kosovokrieg (1999) und der Erklärung des Erhaltes des Staates Israel zum vitalen Interesse der BRD, geprägt. Die ganze Struktur des zumindest westdeutschen Staates ist mit Dezentralisierung, Föderalismus und dem Grundgesetz ganz an den Lehren aus der Zeit des Hitler-Regimes ausgerichtet. Doch auch die innergesellschaftliche Diskussion bewegt sich, spätestens seit der 68er Bewegung, immer wieder und mit scheinbar zunehmendem Interesse um die 12 Jahre der „Braunen Diktatur“. Im Zentrum dieses Interesses steht das Jahrhundertverbrechen, der Genozid an 6 Millionen Juden, und die damit verbundenen Fragen nach der ethischen und praktischen Möglichkeit einer solchen Tat, aber auch nach den Tätern und dem Umgang mit diesen. Die so genannte „Fischer- Kontroverse“, der „Historikerstreit“, die Goldhagen-Debatte und zuletzt auch die Diskussionen über die Wehrmachtsausstellung waren im Endeffekt Auseinandersetzungen über Sinn oder Sinnlosigkeit von Erklärungsversuchen und Deutungsmustern in Bezug auf eben diese Fragen.
Die Brisanz und Langlebigkeit dieser ‚Täter und Motiv’- Kontroverse(n) ergab sich dabei aus der Deutung der jeweiligen Historiker, welche in den Tätern eine „kleine Gruppe fanatisierter Antisemiten“ oder aber, wie im Falle Goldhagens, einen „repräsentativen Querschnitt der deutschen Bevölkerung“ erblickten. Die Debatte entzündete sich unter anderem an der Einordnung des Völkermordes an den europäischen Juden im Sinne einer quasi ‚kollektiven Verurteilung’ des deutschen Volkes oder der ‚Verharmlosung’, durch Einengung des Täterkreises auf nur wenige Personen. Gerade ersteres, die Kollektivschuld aller Deutschen,wurde spätestens mit den Thesen Goldhagens zur „Opinio communis“, wie etwa der renommierte Historiker Johannes Hürter meint und vor einem „stark vereinfachte[m] Geschichtsbild“ warnt,
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Rahmenbedingungen I — Die Wehrmacht in der Niederlage
- Die Rahmenbedingungen II - Die mentale Dimension
- Niederlageerwartung
- Endsiegerwartung
- Die Rahmenbedingungen III - Die Entgrenzung der Gewalt
- Der Fall „Weida"
- Spieltheorie und die Analyse des Falls „Welda"
- Die Machtfrage und das ,Markteintrittsspiel'
- Die ,Befehlssituation' und die Principal-Agent-Theorie
- Die Erschießung des Müller und das „Chicken-Spiel"
- Fazit
- Quellen- und Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Ursachen für die Gewalt des NS-Regimes gegen die eigene Bevölkerung in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Sie analysiert die Handlungsmotive der Täter anhand des Fallbeispiels „Weida“ und verwendet dazu die Spieltheorie als Methode.
- Die militärische und mentale Situation der Wehrmacht in der Kriegsendphase
- Die Entgrenzung der nationalsozialistischen Gewalt
- Die Anwendung der Spieltheorie zur Analyse von Entscheidungssituationen
- Die Rolle von Befehlen und Machtstrukturen im Kontext der Gewalt
- Die individuellen Überlebensstrategien von Soldaten in einer chaotischen Situation
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Brisanz der deutschen Nachkriegsgeschichte und die andauernde Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit heraus. Sie hebt die Bedeutung der deutschen Opfer des NS-Regimes, insbesondere in der Kriegsendphase, hervor und kündigt die Untersuchung der Gewalt gegen die eigene Bevölkerung an.
Kapitel 2 beschreibt die Rahmenbedingungen der militärischen Niederlage der Wehrmacht. Es werden die materiellen und personellen Verluste, die mangelhafte Ausrüstung und Ausbildung, die Folgen des Bombenkriegs und das zunehmende Chaos im Deutschen Reich dargestellt.
Kapitel 3 analysiert die mentale Dimension der Kriegsendphase. Es werden die unterschiedlichen Erwartungshaltungen der deutschen Soldaten in Bezug auf den Ausgang des Krieges und die Zukunft nach dem Krieg untersucht. Die beiden Hauptkategorien „Niederlageerwartung“ und „Endsiegerwartung“ werden anhand von Feldpostbriefen und Geheimdienstlichen Analysen beleuchtet.
Kapitel 4 untersucht die Entgrenzung der nationalsozialistischen Gewalt. Es wird gezeigt, wie sich die Gewalt des NS-Regimes in der Kriegsendphase von der gezielten Verfolgung bestimmter Gruppen hin zu einer allgemeinen Terrorherrschaft gegen die eigene Bevölkerung entwickelte.
Kapitel 5 stellt den Fall „Weida“ vor und beschreibt die Ereignisse, die zu der Erschießung des Bauern Müller führten. Es werden die Urteile des Landgerichts Paderborn von 1948 und 1957 analysiert und die widersprüchlichen Aussagen der Beteiligten beleuchtet.
Kapitel 6 wendet die Spieltheorie auf den Fall „Weida“ an. Es werden die „Markteintrittsspiel“-Theorie, die Principal-Agent-Theorie und das „Chicken-Spiel“ verwendet, um die Entscheidungssituationen der Akteure zu analysieren und die Handlungsmotive zu verstehen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Wehrmacht, die Kriegsendphase, die nationalsozialistische Gewalt, die deutsche Opfer des NS-Regimes, die mentale Dimension der Niederlage, die Spieltheorie, die „Markteintrittsspiel“-Theorie, die Principal-Agent-Theorie, das „Chicken-Spiel“, der Fall „Weida“, die Befehlsstruktur, die Handlungsmotive der Täter und die individuellen Überlebensstrategien der Soldaten.
- Citation du texte
- M.A. Thomas Grunewald (Auteur), 2011, Kriegsendverbrechen der Wehrmacht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231896
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