Zur Zeit leben über zweieinhalb Millionen Muslime in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Gros stammt aus der Türkei und aus Bosnien, ein geringerer Teil aus arabischen Ländern, dem Kosovo-(Albanien) sowie aus Staaten des mittleren Ostens, 100.000 Muslime sind deutsche Konvertiten.
Die Etablierung des Islam als heute drittgrößter Religionsgemeinschaft neben den beiden christlichen Konfessionen begann mit den Anwerbevereinbarungen in den sechziger Jahren, die zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs von der Regierung der Bundesrepublik nach Italien, Spanien und Griechenland am 31. Oktober 1961 auch mit der Türkei abgeschlossen wurden. Obwohl die Anzahl der Muslime ein Jahr später um 130% angestiegen war, partizipierten sie zu dieser Zeit und auch viele Jahre später nur am Rande an der deutschen Gesellschaft und lebten meist isoliert zwischen Arbeitsplatz und Wohnheim. Ihre Intention war es damals, nach einem zeitlich begrenzten Arbeitsaufenthalt in ihrer Heimat eine Existenz zu gründen. In den folgenden zehn Jahren änderten die muslimischen Arbeitsmigranten diese Zielsetzung.
Im November 1973 erließ die Bundesregierung einen Anwerbestopp für Ausländer.
Daraufhin reduzierte sich die Anzahl der Griechen und der Spanier, die der Türken stieg im gleichen Zeitraum an, weil sich viele auf einen längeren Aufenthalt in Deutschland einrichteten und ihre Familien nachkommen ließen. Damit fand der Islam nach und nach Eingang in die deutsche Gesellschaft.
Gliederung:
Vorbemerkung
1 Einleitung
1.1 Islam in Deutschland
1.2 Islamische Unterweisung in Deutschland
1.3 Islamische Unterweisung im europäischen Vergleich Deutschland - Österreich
1.4 Formen der islamischen Unterweisung in Berlin
1.5 Islamische Grundschule
2 Psychologische, soziologische, sprachwissenschaftliche und methodische Voraussetzungen des Islamischen Religionsunterrichts
2.1 Curriculum-Theorien
2.2 Entwicklungstheorien
2.3 Sprachwissenschaftliche Implikationen
2.4 Religionsdidaktik
2.4.1 Islamische Religionsdidaktik
2.4.2 Abendländische Religionsdidaktik
2.5 Eigene Intentionen eines Lehrplans für den IRU
3 Zur Entscheidungsfindung der unter Punkt 2 gestellten Problematik: Die Kommission zur Erarbeitung von Lehrplänen des IRU
3.1 Mitglieder der Kommission
3.2 Befragung der KommissionsteilnehmerInnen
3.3 Zur Vorgehenssweise der Kommission
3.4 Zur Arbeitsweise der Kommission: Sachanalyse, Didaktische Reduktion, Planung der Unterrichtseinheiten
3.5 Schwierigkeiten bei der Kommissionsarbeit
4 Der vorläufige Lehrplan für den Islamischen Religionsunterricht
4.1 Die Quellen des Islam: Koran, sunna, Konsens der Gelehrten (igma`)
4.1.1 Zum Koran
4.1.2 Zur sunna (ahadit)
4.1.3 Zu den Rechtsschulen (madahib)
4.1.4 Zum Konsens der Gelehrten (igma`)
4.1.5 Zum islamischen Dogma (`aqida).
4.2 Die Oberbegriffe der Lernziele
5 Die immanente Hierarchie der Themen in den Lernzielen und Lerninhalten des Oberbegriffs "Religiöses Wissen" der Klassen 1-6
5.1 ALLAH (t), SEINE Eigenschaften
5.1.1 Islamisch-theologische Begründung des Themas
5.1.2 Religionsdidaktische Begründung des Themas
5.1.3 Beispiele aus den Hinweisen zur Unterrichtsgestaltung von Klasse 1
5.2 Der Islam, die fünf Säulen, die sechs Glaubensartikel
5.2.1 Islamisch-theologische Begründung des Themas
5.2.2 Religionsdidaktische Begründung des Themas
5.2.3 Beispiele aus den Hinweisen zur Unterrichtsgestaltung von Klasse 2
5.3 Muhammed (a.s.s.), der letzte Gesandte ALLAHS (t)
5.3.1 Islamisch-theologische Begründung des Themas
5.3.2 Religionsdidaktische Begründung des Themas
5.3.3 Beispiele aus den Hinweisen zur Unterrichtsgestaltung von Klasse 3
5.4 Die Schöpfung, sichtbar und unsichtbar
5.4.1 Islamisch-theologische Begründung des Themas
5.4.2 Religionsdidaktische Begründung des Themas
5.4.3 Beispiele aus den Hinweisen zur Unterrichtsgestaltung von Klasse 4
5.5 Koran und sunna, die Quellen des Glaubens
5.5.1 Islamisch-theologische Begründung des Themas
5.5.2 Religionsdidaktische Begründung des Themas
5.5.3 Beispiele aus den Hinweisen zur Unterrichtsgestaltung von Klasse 5
5.6 Muslime in der Welt, die Vielfältigkeit des Islam
5.6.1 Islamisch-theologische Begründung des Themas
5.6.2 Religionsdidaktische Begründung des Themas
5.6.3 Beispiele aus den Hinweisen zur Unterrichtsgestaltung von Klasse 6
6. Zusammenfassung
7. Literaturangaben
Vorbemerkung
Die Transkription arabischer Belegstellen und Termini ist kursiv wiedergegeben und erfolgt nach den Regeln der Denkschrift des 19. Internationalen Orientalistenkongresses in Rom, vorgelegt von der Transkriptionskommission der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Haben sich Begriffe oder Eigennamen im Deutschen eingebürgert, werden sie in ihrer eingedeutschten Form wiedergegeben (z.B. der Koran anstatt al-qur'an). Fachspezifische Termini sind aus Gründen der korrekten Aussprache in arabischer Umschrift wiedergegeben und zum Teil eingedeutscht (z.B. Ši`iten, ši`itisch anstatt Schiiten, schiitisch). Wortverbindungen und -konstruktionen stehen in grammatischer Form des Arabischen, wenn dies der Lesefluss ratsam erscheinen läßt (z. B. qanunu l-`uqubat, anstatt qanun al-`uqubat).
Sind koranische Texte ohne Transkription in ihrer sinngemäßen deutschen Bedeutung angegeben, stehen sie auch kursiv.
Nach islamischer Tradition[1] werden Belegverse des Koran im arabischen Original unter Berücksichtigung der Koranexegese in wortwörtlicher Bedeutung als Offenbarungs- und nicht als Literaturtexte verstanden.[2]
Koranerklärungen sind den Werken von AT-TABARI und AS-SABUNI entnommen. Bei der möglichen Bedeutung koranischer Texte in deutscher Sprache wurden die Übersetzungen: "Der Koran", von Ahmad von DENFFER und "Der Koran" von Rudi PARET mit dazugehörendem Kommentar und Konkordanz herangezogen, die ich im heutigen Sprachgebrauch vereinfacht habe.
Suren- und Versangaben beziehen sich auf die kufische Zählung der kairiner Staatsausgabe von 1344 nach der higra (n.d.H.) / 1925 nach der Zeitrechnung (n.d.Z.).
Um die Namen GOTTES, arab.: ALLAH (t) sowie Pronomina und Adjektive, die sich auf GOTT beziehen im Text hervorzuheben, sind sie in Großbuchstaben geschrieben.[3]
1 Einleitung
1.1 Islam in Deutschland
Zur Zeit leben über zweieinhalb Millionen Muslime in der Bundesrepublik Deutschland.[4] Das Gros stammt aus der Türkei und aus Bosnien, ein geringerer Teil aus arabischen Ländern, dem Kosovo-(Albanien) sowie aus Staaten des mittleren Ostens, 100.000 Muslime sind deutsche Konvertiten.[5]
Die Etablierung des Islam als heute drittgrößter Religionsgemeinschaft neben den beiden christlichen Konfessionen begann mit den Anwerbevereinbarungen in den sechziger Jahren, die zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs von der Regierung der Bundesrepublik nach Italien, Spanien und Griechenland am 31. Oktober 1961 auch mit der Türkei abgeschlossen wurden. Obwohl die Anzahl der Muslime ein Jahr später um 130% angestiegen war,[6] partizipierten sie zu dieser Zeit und auch viele Jahre später nur am Rande an der deutschen Gesellschaft und lebten meist isoliert zwischen Arbeitsplatz und Wohnheim. Ihre Intention war es damals, nach einem zeitlich begrenzten Arbeitsaufenthalt in ihrer Heimat eine Existenz zu gründen. In den folgenden zehn Jahren änderten die muslimischen Arbeitsmigranten diese Zielsetzung.
Im November 1973 erließ die Bundesregierung einen Anwerbestopp für Ausländer. Daraufhin reduzierte sich die Anzahl der Griechen und der Spanier, die der Türken stieg im gleichen Zeitraum an,[7] weil sich viele auf einen längeren Aufenthalt in Deutschland einrichteten und ihre Familien nachkommen ließen. Damit fand der Islam nach und nach Eingang in die deutsche Gesellschaft.
Nachdem die Anstrengungen der Bundesrepublik zur Reduzierung der Ausländer bei den muslimischen Arbeitsmigranten erfolglos verlaufen waren, rückte in den 80er Jahren der Begriff "Integration" in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen und politischen Diskussion.[8]
Die 80er Jahre waren bestimmt von der Gründung einer großen Anzahl türkisch/islamischer Organisationen in der Bundesrepublik,[9] was von der deutschen Öffentlichkeit entweder als Aktion auf eine bewusste Segregation hin oder als Reaktion auf unzureichend durchdachte Integrationsmodelle verstanden wurde. Neben diesen national an den Herkunftsländern der Migranten orientierten Organisationen entstand in Lützelbach im Odenwald die deutschsprachige muslimische Tagungs- und Begegnungsstätte "Haus des Islam". Bis heute werden dort zu islamischen Themen überregionale Treffen abgehalten.[10]
In den 90er Jahren betonten muslimische Organisationen und Vereine gegenüber der deutschen Politik ihre Präsenz in Deutschland. Neben Hilfen zur Lösung von Problemen der heranwachsenden muslimischen Generation forderten sie u.a. eine Gleichstellung des Islam neben anderen religiösen Einrichtungen. Als Dachorganisation und Ansprechpartner des deutschen Staates wurde der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) gegründet, der heute den größten Teil der in Deutschland lebenden Muslime vertritt.[11] Fast zeitgleich trat eine neue Regelung des Ausländergesetzes in Kraft, welche die Familienzusammenführung und Einbürgerung der Migranten erleichterte.
Die Zukunft der Kinder eingewanderter muslimischer Migranten liegt in Deutschland. Somit kann der Islam zukünftig nicht mehr als ausländische "Gastreligion" angesehen werden.[12]
In den Medien und von politischer Seite aus wurde/wird hierzulande der Islam oft als erstes Integrationshindernis muslimischer Türken beklagt, und deren Rückbesinnung auf ihre Religion als Ablehnung europäischer Werte fehlgedeutet.[13] Dabei blieb die Bedeutung des Islam als wesentlicher Bestandteil der kulturell-religiösen Identität von Türken und Muslimen anderer Länder unberücksichtigt. Die Bewahrung des Islam behindert eine Integration keineswegs sondern fördert sie, vor allem wegen dessen Toleranz gegenüber Andersgläubigen, die auf der Akzeptanz des göttlichen Willens basiert. Denn ALLAH (t) gab jedem Menschen die Entscheidung, für oder gegen einen Glauben, und was ER gegeben hat darf kein Muslim in Frage stellen.[14]
Mit der steigenden Anzahl muslimischer SchülerInnen an deutschen Schulen, 1994 waren es ca. 800.000, wächst die Herausforderung an die Politik vor allem im pädagogischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Bereich.[15] Im Prozess der Persönlichkeitsbildung treffen für diese Heranwachsenden zwei Kulturen aufeinander, zum einen die Erziehung und der Alltag in ihren Familien mit tradierten Werten und Handlungsmustern, zum anderen die deutsche Realität innerhalb und außerhalb der Schule. Eine solche bikulturelle Sozialisation kann sich nicht selbst überlassen bleiben, wenn ein friedliches und konstruktives Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen gelingen soll.
1.2 Islamische Unterweisung in Deutschland
Das Ziel einer islamischen Unterweisung ist die islamische Identität, die weitestgehend auf den Quellen des Islam,[16] dem Koran und der sunna (Überlieferungen, in ahadit gesammelt) gründet.[17] Unter dem Begriff "islamische Unterweisung" oder "islamischer Unterricht" wird jede Form der Vermittlung von Inhalten verstanden, die mit dem Islam zusammenhängen.[18]
Koranschulen
Die religiöse Unterweisung türkischer muslimischer Kinder und Jugendlicher erfolgt in der Bundesrepublik hauptsächlich in Koranschulen oder in Korankursen, die von allen Moscheevereinen und islamischen Organisationen angeboten werden. Unterrichtet wird dort neben religiösen Inhalten vorrangig das Lautieren des arabischen Koran nach bestimmten Koranleseregeln.[19] Allgemein wurde/wird in den Medien und in der deutschen Öffentlichkeit diese Art des Unterrichts wegen des rezeptiven Lernens und einer unzureichenden pädagogischen Ausbildung der Lehrenden, die nach unzeitgemäßen Lehrmethoden unterrichten, kritisiert. In wieweit diese Kritik heute noch gerechtfertigt ist, soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Fest steht jedoch, dass diese Art des Unterrichts unzureichend die deutsche, nicht-islamische Lebenswirklichkeit der SchülerInnen berücksichtigt.
An dieser Stelle sei ein Exkurs zur Bedeutung der arabischen Hochsprache im Islam gestattet.
Ein speziell türkischen Phänomen ist der Umgang mit der arabischen Sprache. Wie schon erwähnt wird von türkischen ReligionslehrerInnen in Deutschland und in der Türkei dem Lautieren der arabischen Texte des Koran großer Wert beigemessen, jedoch nicht dem Erlernen des Arabischen.[20]
Diese Haltung basiert meiner Meinung nach auf zwei Annahmen: Zum einen halten diese LehrerInnen den Islam für türkisches Kulturgut, das es allein in türkischer Sprache zu vermitteln gilt, zum anderen halten sie die arabische Sprache für zu schwer erlernbar. Wie tief die Ablehnung der türkischen Regierung gegen eine Vermittlung islamischen Unterrichts in einer nicht-türkischen Sprache verwurzelt ist, zeigt sich in einer Erklärung der türkischen Botschaft in Wien 1983 anläßlich der Einführung des islamischen Religionsunterrichts.
"In dieser spricht sich der Botschafter, Ecmel Barutcu, gegen die Religionslehrer, die einer anderen Nation als der türkischen angehören, und gegen Deutsch als Unterrichtssprache in Religion aus. Die türkischen Eltern werden aufgefordert, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden, es sei denn, die österreichischen Behörden holten qualifizierte, vom Religionsamt in Ankara ernannte Lehrer, die dann in türkischer Sprache und unter Ausschaltung jeglicher Einlagen von Arabisch-Unterricht die islamische Religionsunterweisung für türkische Schüler in Österreich besorgen sollen."[21]
Die arabische Sprache wäre hingegen eine gute Qualifikation zum Aufbau einer Identität, die aus dem muslimischen Glauben erwächst, in ihm wurzelt und vielfältige Möglichkeiten für Berufe im Handel und in der Unterweisung/Lehre bis hin zur Forschung eröffnen könnte. Arabisch, die Sprache des Herkunftslandes, Deutsch und ein bis zwei weitere Sprachen - sollte das Bildungspostulat für Menschen, muslimischen Glaubens sein.[22] Diese Form der Mehrsprachigkeit bietet die Möglichkeit, zu einer Identität zu kommen, die aus dem Glauben und der religiösen Ethik erwächst. In der abendländisch-europäischen Geschichte gab es in der Entwicklung der lateinischen Sprache eine Entwicklung, die teilweise mit der der arabischen Sprache vergleichbar ist. Latein wurde im Mittelmeerraum lange gesprochen, alle Texte der weltlichen und religiösen Literatur, die nicht in griechischer Sprache verfasst waren, waren lateinisch kodifiziert.
Die Entwicklung der romanischen Volkssprachen vollzog sich vor der Anerkennung als Schriftsprache erst in der Mündlichkeit. Dieser Emanzipationsprozess dauerte recht lange. Für den geistlichen und wissenschaftlichen Diskurs blieb Latein das maßgebliche Kommunikationsmittel. Die romanischen Schriftsprachen wurden dann auch in diesen Bereichen gesellschaftsfähig, so dass die ausschließlich dem Latein vorbehaltenen Kommunikationsbereiche kleiner und kleiner wurden. Diese alte Sprache hat es jedoch vermocht, eine neue Entwicklung für sich zu initiieren: Sie ist Grundlage für etliche Fachsprachen (Biologie, Medizin, Jura, allgemeine Wissenschaftssprache), sie ist "als Fundus für lexikalische und phraseologische Übernahmen von Bedeutung" und ermöglicht "den unmittelbaren Zugang zum antiken Kulturerbe".[23]
Für die arabische Hochsprache des Koran gibt es eine ähnliche Situation: Sie existiert neben den Volkssprachen und bleibt durch den religiösen Kontext lebendig und ständig präsent. Durch die Rezitation der täglichen rituellen Pflichtgebete (as-salah), die in Arabisch zu verrichten sind sowie das Lesen des Koran erreicht die arabische Sprache alle Volksschichten. Arabisch war lange Zeit hindurch die führende Wissenschaftssprache im muslimischen Raum. Ihre Buchstaben sind von verschiedenen Sprachen übernommen worden (Persisch, Urdu bedienen sich ihrer bis heute, die türkische Sprache bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts).[24] Die Traditionen und Inhalte werden mit ihr ebenso vermittelt, und der Erkenntnisgewinn durch den sicheren Umgang mit der Sprache eines so bedeutenden Textes, wie es der Koran ist, stellt sich zwangsläufig ein.
Die Sprache des Koran, Arabisch, ist für die morgenländisch-muslimische Welt also ebenso grundlegend wie das Alt-Griechische und das Lateinische für die abendländisch-christliche Hemisphäre. Dass daher Schulen, die hauptsächlich mit muslimischer Klientel arbeiten, Korankunde mit entsprechendem Arabischunterricht verpflichtend (in der Grundschule) und zumindest im Wahlpflichtbereich (auf weiterführenden Schulen) anbieten, sollte eine Selbstverständlichkeit sein.[25]
Pädagogisch-didaktische Initiativen zur islamischen Erziehung
Eine noch kleine Anzahl von Arbeitsgruppen, Kommissionen und Instituten erarbeitet derzeit pädagogische und didaktische Lehr- und Arbeitsmethoden für den Islamischen Religionsunterricht (IRU) muslimischer Kinder und Jugendlicher. Dazu zählen die Arbeitsgruppen des Instituts für islamische Erziehung in Stuttgart, des Instituts für Pädadogik und Didaktik in Köln, des Zentralrats der Muslime in Aachen und der Islamischen Grundschule in Berlin.
"Ziel dieses Modells ist, die muslimischen Kinder zu befähigen, mit einer bewussten islamischen Identität, die gegenwärtige Lebenswirklichkeit zu bewältigen. Dieses Modell erfordert, die neuen Lebensbedingungen in Deutschland gegenüber dem Islam neu zu verstehen. Dieser Versuch sollte jedoch die Grundprinzipien der islamischen Theologie nicht verdunsten lassen, sondern neu argumentieren".[26]
Das Besondere bei diesem Erziehungsansatz sind die deutsche Unterrichtssprache, die Berücksichtigung deutscher Lebensbedingungen und die Dialogbereitschaft zu Andersdenkenden.
Ein Problem der Akzeptanz dieses Unterrichtsansatzes
"liegt darin, dass sich die Muslime überwiegend gern noch in ihren national-ethischen, homogenen Gruppen organisieren und solche internationalmuslimischen Unternehmungen mit Skepsis betrachten".[27]
Islamische Unterweisung an öffentlichen Schulen
Muslime in Deutschland stammen mehrheitlich aus der Türkei. Aus diesem Grund fühlt sich die türkische Regierung zur religiösen Unterweisung der türkischen muslimischen Kinder berechtigt, und bietet im Rahmen des muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts eine islamische Unterweisung in türkischer Sprache an. Dieser Unterricht wird nach türkischen Lehrplänen erteilt.
"Ziel des Unterrichts soll die Förderung und Pflege der türkischen Identität sein. Mit Hilfe des muttersprachlichen Unterrichts sollten den Kindern ihre ethischen und nationalen Werte des Heimatlandes nahegebracht werden".[28]
Im Jahre 1984 untersuchte eine Kommission der Kultusministerkonferenz die Möglichkeiten religiöser Erziehung muslimischer Kinder an öffentlichen Schulen und stellte die folgenden sieben Übergangsmodelle zum IRU vor:
- Islamischer Religionsunterricht außerhalb der Schule im Einvernehmen mit den deutschen Behörden.
Dieses Unterrichtsmodell unterliegt nicht der Schulaufsicht und wird von allen Religionsgemeinschaften angeboten. Sie unterrichten in eigener Verantwortung, nach eigenen Lehrplänen und LehrerInnen einvernehmlich mit den deutschen Behörden. Unterrichtet wird außerhalb der Schulzeit im Rahmen der freien Religionsausübung. Problematisch ist dieses Modell wegen der Vielzahl muslimischer Meinungen, die heute oft -entgegen jeder muslimischen Tradition- als alleingültig vermittelt werden, was zu Spaltungen innerhalb der umma (islamischen Gemeinschaft) führen kann.
- Religiöse Unterweisung auf islamischer Grundlage für muslimische SchülerInnen im Rahmen des von diplomatischen Vertretungen veranstalteten muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts.
Dieses Modell ist eine freie Einrichtung im Sinne des Privatschulrechts der Länder und existiert in Baden-Würtenberg, Berlin, Bremen, Hamburg, dem Saarland und in Schleswig-Holstein. Den Unterricht erteilen LehrerInnen der konsularischen und diplomatischen Vertretungen für Kinder ihrer Staatsangehörigen nach den Lehrplänen der jeweiligen Länder. Schulräume und Kostenzuschüsse werden von der deutschen Schulverwaltung zur Verfügung gestellt. Ein solcher Unterricht bietet für die Lebensbewältigung der Muslime in Deutschland keine Hilfe, weil er die Lebenswirklichkeit der Kinder nicht berücksichtigt.
- Religiöse Unterweisung auf islamischer Grundlage für türkische SchülerInnen im Rahmen des von den Unterrichtsverwaltungen der Länder veranstalteten muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts.
In Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz unterliegt der muttersprachliche Ergänzungsunterricht der Verantwortung der Länder, und die unterrichtenden türkischen LehrerInnen stehen im deutschen Staatsdienst. Die Unterrichtsverwaltungen der Bundesländer können auf die Inhalte der Lehrpläne Einfluss nehmen und arbeiten dazu mit der türkischen Regierung zusammen. Dieses Modell ist wegen der türkischen Unterrichtssprache für einen IRU in Deutschland ungeeignet, weil damit einer Segregation der Muslime Vorschub geleistet wird. Islamische Inhalte und Termini sollten in deutscher Sprache vermittelt werden, was die SchülerInnen dazu befähigt, sich den Menschen in ihrem Lebensumfeld mitzuteilen.
- Religionskundlicher Unterricht für muslimische SchülerInnen oder Ethikunterricht auf der Grundlage islamischer Wertvorstellungen im Rahmen des Regelunterrichts.
Dieses Modell wird z.Z. in keinem Bundesland praktiziert, und es gibt dazu keine Lehrpläne. Der Unterricht unterliegt der Schulaufsicht und könnte als Form des Integrationsunterrichts konzipiert werden. Vorgeschlagen ist ein religionskundlicher Unterricht für muslimische SchülerInnen auf der Grundlage islamischer Wertvorstellungen, der von speziell ausgebildeten deutschen oder ausländischen LehrerInnen in zwei Wochenstunden erteilt wird. Bei einer Realisierung sind Probleme vorauszusehen, die sich aus der Entwicklung des Lehrplans sowie einer Aus-, Fort- und Weiterbildung von LehrerInnen ergeben. Eine Akzeptanz des Unterrichts durch die Muslime ist zudem äußerst fraglich.
- Religiöse Unterweisung auf islamischer Grundlage für türkische SchülerInnen im Rahmen des Regelunterrichts in Übernahme türkischer Lehrpläne.
In diesem Modell ist die religiöse Unterweisung als ordentliches Lehrfach vorgesehen. Der Unterricht soll von türkischen LehrerInnen in türkischer Sprache und anhand von in der Türkei konzipierten Lehrplänen in zwei Wochenstunden erteilt werden. Hierbei handelt es sich um den "Wunschunterricht" der türkischen Regierung. Eine allgemeine Akzeptanz durch die Muslime in Deutschland kann wegen der Ausgrenzung nicht-türkischer muslimischer Kinder nicht erwartet werden. Außerdem ist bei einem Unterricht in türkischer Sprache und nach türkischen Lehrplänen kaum davon auszugehen, dass die Kinder an einen Dialog in deutscher Sprache über islamische Themen herangeführt werden, was ihre Akzeptanz in der deutschen Gesellschaft erheblich erschweren kann.
- Religiöse Unterweisung auf islamischer Grundlage insbesondere für türkische SchülerInnen im Rahmen des Regelunterrichts nach deutschen Lehrplänen (Dieses Modell wird derzeit im Land Nordrhein-Westfalen verwirklicht).
Der Unterricht ist ordentliches Lehrfach und wird mit zwei Wochenstunden für türkische Kinder aber auch für Kinder anderer Nationalitäten von türkischen oder ausländischen LehrerInnen, die im Landesdienst stehen, in deutscher Sprache -übergangsweise auch in türkischer Sprache- erteilt. Bei der Konzeption der Lernziele und Lerninhalte ist der Einfluss des deutschen Staates deutlich erkennbar, denn die besondere Situation muslimischer Kinder in einem nicht-islamischen Umfeld ist berücksichtigt und die Kinder werden an einen Dialog mit Andersdenkenden herangeführt. Muslimische Organisationen in Deutschland werden diesem Modell kaum zustimmen, weil die religiöse Basis der Lernziele und -inhalte nicht ausreichend durchdacht ist.
- Islamischer Religionsunterricht für muslimische SchülerInnen im Rahmen des Regelunterrichts nach mit islamischen Religionsgemeinschaften abgestimmten Lehrplänen.
Dies ist das Modell eines konfessionsgebundenen Religionsunterrichts (RU) wie er von den christlichen und anderen Religionsgemeinschaften erteilt wird. Er gilt als ordentliches Lehrfach, ist auf zwei Wochenstunden angelegt und wird für alle muslimischen Kinder gleich welcher Nationalität von deutschen oder ausländischen muslimischen LehrerInnen oder Geistlichen mit entsprechender Bevollmächtigung in deutscher Sprache erteilt. In Zusammenarbeit mit den islamischen Religionsgemeinschaften bzw. mit deren Dachverbänden sprechen die Schulbehörden Lernziele und Lerninhalte der Lehrpläne ab. Damit besteht eine berechtigte Hoffnung, dass sich hierzulande dieses Unterrichtsmodell in Zukunft durchsetzt und von den in Deutschland lebenden Muslimen allgemein akzeptiert wird. Mit Protesten gegen eine Einführung dieses Unterrichts ist seitens der türkischen Regierung zu rechnen, deren Kompetenzen zur Unterweisung muslimischer türkischer Kinder bei diesem Modell entfallen.
Die z.Z. praktizierten Modelle für den IRU befinden sich derzeit in einer Legitimations- und Akzeptanzkrise, welche auf eine unzureichend durchdachte Konzeption entweder in Bezug zur deutschen Lebenswirklichkeit der Kinder oder zu den religiösen Grundlagen des Islam zurückgeführt werden kann.[29]
Islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen
Glaubensfreiheit und freie Religionsausübung sind Menschenrechte, die in Deutschland allen Religionen und Weltanschauungen garantiert sind.[30] Das Grundrecht der Religionsfreiheit beinhaltet auch das Recht der Eltern, ihren Kindern eine religiöse Erziehung angedeihen zu lassen, das Kind seinerseits hat Anspruch auf diese Erziehung. Religionsunterricht ist an öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach, er steht unter staatlicher Aufsicht und wird zusammen mit den Religionsgemeinschaften organisiert. Zur Erteilung von Religionsunterricht ist die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts erforderlich.[31]
Bis heute wird in keinem Bundesland IRU als ordentliches Lehrfach erteilt. Von staatlicher Seite aus werden dafür zwei Gründe genannt -ein fehlender Repräsentant der Muslime und die Frage nach der Vereinbarkeit der islamischen Lehre mit dem Grundgesetz.[32] Beide Gründe stellen heute kein Hindernis mehr für eine Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts dar. Denn seit seiner Gründung im Jahre 1994 bietet sich der Zentralrat der Muslime in Deutschland als Ansprechpartner des deutschen Staates an, der als Dachorganisation muslimischer Vereine und Organisationen allgemein von Muslimen akzeptiert ist. Die Frage nach der Verfassungskonformität des Islam mit dem Grundgesetz wird in der öffentlichen Diskussion hauptsächlich um zwei Bereiche geführt -die Stellung der muslimischen Frau und das islamische Gesetz (aš-šari`a). Eine ausfürliche Behandlung dieser Themen würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen, deshalb sei es mir gestattet, nur kurz darauf einzugehen.
Zur Stellung der Frau im Islam
Die Frau im Islam ist gegenüber dem Mann gleichwertig und nicht gleichberechtigt. Einige Rechte und Pflichten entsprechen denen des Mannes, wie das Recht auf Bildung und Verfügungsfreiheit über eigenes Vermögen, andere nicht.[33] So besitzen Frauen im Gegensatz zu den Männern Anspruch auf Unterhalt.[34]
Wie der Mann ist auch eine Frau zur Verrichtung des rituellen Pflichtgebet (as-salah) verpflichtet, sie muss die Steuer (az-zakah) entrichten und ALLAH (t) sowie SEINEM Gesandten gehorchen:
"Die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen sind einander beschützende Freunde; sie gebieten, was richtig ist, und verbieten, was falsch ist; sie verrichten das rituelle Pflichtgebet, sie geben die Steuer und sie gehorchen GOTT und SEINEM Gesandten ...".
9. Sure at-tauba (die Reue) Vers 71
Und sie erhält göttlichen Lohn für ihre Bemühung:
"Die muslimischen Männer und die muslimischen Frauen, die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen, die (GOTT gegenüber) demütig ergebenen Männer und die (GOTT gegenüber) demütig ergebenen Frauen, die wahrhaftigen Männer und die wahrhaftigen Frauen, die geduldigen Männer und die geduldigen Frauen, die bescheidenen Männer und die bescheidenen Frauen, die Almosen gebenden Männer und die Almosen gebenden Frauen, die fastenden Männer und die fastenden Frauen, die sich keusch haltenden Männer und die sich keusch haltenden Frauen, die GOTTES viel gedenkenden Männer und die GOTTES viel gedenkenden Frauen - für sie (alle) hält GOTT Vergebung und gewaltigen Lohn bereit".
33. Sure al-ahzab (die Gruppen) Vers 35
Dass in der deutschen Öffentlichkeit ein völlig anderes Bild über die Stellung der muslimischen Frau existiert, hat seinen Ursprung in -von Muslimen hierzulande- gelebten Traditionen ihrer Herkunftsländer, die nicht auf islamischen Quellen gründen.
Zum islamischen Gesetz (šari`a)
Oberster Gesetzgeber ist im islamischen Recht ALLAH (t), und SEIN Gesetz, welches im Koran und in Überlieferungen (ahadit, sunna)[35] dokumentiert ist, gilt als religiöses Gebot. Dieses Gesetz beinhaltet u.a. ein Strafgesetz (qanunu l-`uqubat oder al-hudud), welches zum Teil drastische Strafen für klar definierteVerbrechen beinhaltet.
In Deutschland lebende Muslime haben sich der Fürsorge des deutschen Staates unterstellt. Damit sind die Muslime eine Abmachung eingegangen und deshalb verpflichtet, die deutschen Gesetze zu achten:
"Und diejenigen, welche sich um ihnen anvertraute Dinge und ihre Abmachungen achtgeben (werden das Paradies erben) ".
23. Sure al-mu'minun (die Gläubigen) Vers 8
1.3 Islamische Unterweisung im europäischen Vergleich Deutschland - Österreich
Deutschland und Österreich weisen ähnliche Voraussetzungen in Bezug auf den Islam auf. Beide Länder gelten faktisch als Einwanderungsländer, sind abendländisch-christlich geprägt und bezeichnen sich als multikulturelle Gesellschaften.
Ebenso wie in Deutschland etablierte sich der Islam im Zuge der Arbeitsmigration auch in Österreich als drittgrößte Religionsgemeinschaft und stellte auf Grund seiner kulturellen und religiösen Andersartigkeit die Gesellschaften vor eine große politische Herausforderung. Besondere Bedeutung wurde dabei der religiösen Erziehung beigemessen. Bildungspolitisch gelten für die religiöse Erziehung in beiden Ländern ähnliche Vorgaben, z.B. sind Kirchen oder Religionsgemeinschaften (KoR) an der Gestaltung des Religionsunterrichts beteiligt.
In Deutschland steht der Religionsunterricht unter staatlicher Aufsicht und wird "in Übereinstimmung" mit den Religionsgemeinschaften organisiert. Anders in Österreich, wo der Religionsunterricht eigenverantwortlich von den KoR besorgt wird, d.h. sie sind verantwortlich für die Erstellung der Lehrpläne, eine inhaltliche und methodische Gestaltung und die Aufsicht. Zur Erteilung eines Religionsunterrichtes ist in beiden Ländern die Anerkennung einer Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts Voraussetzung.
Österreich nahm die heranwachsende muslimische Generation rechtzeitig wahr und erteilte 1978 der muslimischen Gemeinschaft die volle Gleichberechtigung als Körperschaft des öffentlichen Rechts.[36] Die gesetzliche Anerkennung des Islam bewirkte bei den Muslimen ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens und trug mit dazu bei, dass sie sich in der Gesellschaft angemessen involvieren. Von der islamischen Glaubensgemeinschaft wurde drei Jahre nach der gesetzlichen Anerkennung des Islam in Österreich 1981 an öffentlichen Schulen islamischer Religionsunterricht (IRU) als ordentliches Lehrfach eingeführt. Dieser wird von den meisten muslimischen Kindern besucht. Der IRU wird ohne Einfluss der Herkunftsländer auf österreichische Verhältnisse bezogen durchgeführt, was einmalig in ganz Europa ist. In Österreich genießt die islamische Glaubensgemeinschaft sowohl von muslimischer als auch von staatlicher Seite hohes Ansehen und gilt als Partner des Staates.
In Deutschland besteht keine Anerkennung der islamischen Religionsgemeinschaft (Glaubensgemeinschaft) als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Von staatlicher Seite aus wird dafür u.a. der fehlende Ansprechpartner einer anerkannten islamischen Religionsgemeinschaft angegeben. Meiner Meinung nach ist es jedoch wahrscheinlicher, dass die bundesdeutsche Regierung die Einwanderung nach Deutschland bis heute nicht als Fakt realisiert hat, sondern als vorübergehendes Phänomen betrachtet. Wegen der staatlichen Aufsicht über den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ist den Religionsgemeinschaften weniger Freiheit in ihren inneren Angelegenheiten gegeben als in Österreich. Zudem existieren in den deutschen Bundesländern unterschiedliche Modelle eines provisorischen IRU, die inhaltlich und methodisch mit den jeweiligen Herkunftsländern abgestimmt sind. Dieser Unterricht entspricht in keiner Weise den Zuwanderungsrealitäten in Deutschland und führt zu einer Disharmonie zwischen dem Staat und muslimischen Einrichtungen.
Bei dem Vergleich im Umgang mit dem Islam bei ähnlichen Voraussetzungen (Arbeitsmigration), weist das deutsche Bildungssystem eine deutliche Benachteiligung muslimischer Heranwachsender in Bezug auf ihre religiöse Erziehung auf. Während die Kinder in Österreich an öffentlichen Schulen islamischen Religionsunterricht erhalten, werden sie in Deutschland nach Vorgaben der Herkunftsländer und Koranleseschulen religiös unterrichtet, die keine ausreichende Hilfestellung zur Lebensbewältigung in der Gesellschaft in der sie leben, bieten. Muslime können heute in ihrer religiösen Bildung nicht von ihren Herkunftsländern vertreten werden, weil jede Religion und jede Weltanschauung Antworten auf Fragen der tatsächlichen Lebenssituation eines Menschen geben muss, um glaubhaft zu sein. Der Islam kann seinen Anhängern diese Lebenshilfe geben und ist somit in der Lage, aktiv zum sozialen Frieden in der Gesellschaft beizutragen.
1.4 Formen der islamischen Unterweisung in Berlin
Bei einer Einwohnerzahl Berlins von 3.358.235 beträgt der Ausländeranteil 13%.[37] Offiziell führt die islamische Religionsgemeinschaft 199.259 Mitglieder, von deren 39.9906 Deutsche sind. Insgesamt gibt es 104 Moscheen und Versammlungsräume.
Im Jahre 1980 wurde die Islamische Föderation als Dachorganisation türkischer und arabischer Moscheen gegründet, zwei Jahre später folgte die Gründung der DITIB. Unter ihren Trägerschaften wurde seit dieser Zeit organisiert eine islamisch-religiöse Unterweisung in Koranschulen bzw. Korankursen angeboten. Islamischer Unterricht wurde damals auch von privaten Initiativen -hauptsächlich von muslimischen Studenten- erteilt. Anders als in den türkischen Moscheen maß man dabei dem Erlernen der arabischen Hochsprache eine zentrale Bedeutung zu.
Nachdem 1981 die Islamische Föderation einen Antrag auf Zulassung zum IRU an öffentlichen Schulen gestellt hatte, zog der türkische Staat mit der DITIB schnell nach. In Berlin, Bremen und Brandenburg muss dabei eine besondere rechtliche Lage berücksichtigt werden, denn es existieren keine Staatskirchenverträge -wie in den 16 Bundesländern -sondern Protokolle zur Zulassung der Kirchen und anderer Gemeinschaften (wie des Humanistischen Verbundes) an öffentlichen Schulen. Ab 1991 führte die evangelische Kirche zum IRU Verhandlungen, die 1995 scheiterten und erst 1997 wieder aufgenommen wurden. Dabei kam es zu einem Parteienstreit zwischen der CDU und der SPD, denn die CDU ist daran interessiert mit dem Senat so schnell als möglich einen Staatskirchenvertrag abzuschließen, die SPD dagegen möchte erst die Urteile zu zwei Verfassungsbeschwerden vor dem Verfassungsgericht -die eine zum § 23 Schulgesetz von der evangelischen Kirche zum Unterrichtsfach Lebenskunde Ethik Religion (LER) in Brandenburg, die andere zum Grundgesetz Artikel 7 gegen die Einführung des RU als Pflichtfach- abwarten. In diese Verhandlungen wurden die Muslime mit einbezogen, und, um mit einer Stimme sprechen zu können, sind die drei größten muslimischen Gemeinden Berlins -DITIB, Türkischer Kulturverein und Islamische Föderation- dazu aufgefordert worden, sich zu einer Institution zusammenzuschließen. Die beiden Letztgenannten erklärten sich im Rahmen eines Gremiums mit Vereinsstatus unter dem Arbeitstitel "Kooperationsrat der Muslime in Berlin" dazu bereit.[38]
1.5 Islamische Grundschule
Am 16. Oktober 1989 wurde unter ihrem Trägerverein Islam Kolleg e.V. die Islamische Grundschule mit dem Status einer vorläufig genehmigten Ersatzschule eröffnet.[39] Sie unterliegt der Schulaufsicht, unterrichtet wird nach den Berliner Rahmenplänen in deutscher Sprache.
Die Idee dazu kam von aktiven muslimischen Müttern, die zuvor eine Kita gegründet hatten und in der Grundschule eine islamische Erziehung weitergeführt sehen wollten.
In einem Klassenraum des Erdgeschosses begann der Unterricht mit 2 LehrerInnen und 16 SchülerInnen der ersten Klasse. Ein Jahr später kam die neue erste Klasse hinzu; damals wurde in zwei Schichten, von 8:00h bis 13:00h und von 13:00h bis 18:00h, unterrichtet. Bis in den Herbst 1991 hinein dauerten die Um- und Ausbauarbeiten der dritten Etage, dann konnten die Klassenstufen 2 und 3 in neu renovierte und eingerichtete Klassenräume einziehen. Die Umbauarbeiten der zweiten Etage waren im August 1993, die der ersten Etage und des Erdgeschosses mit der Moschee, die zugleich als Gymnastikraum genutzt wird, im August 1996 abgeschlossen.
Nach umfangreichen Prüfungen der Senatsschulverwaltung erfolgte im November 1995 die staatliche Anerkennung der Islamischen Grundschule. Seitdem trägt die Senatsverwaltung 97 % der Gehälter des Regelunterrichts. Die Gebäudekosten und die Zusatzangebote des islamischen Religionsunterrichts und des muttersprachlichen Unterrichts trägt die Schule.
Heute unterrichten 12 LehrerInnen, fünf von ihnen sind Muslime, 144 SchülerInnen in sechs einzügigen Klassenstufen. Die SchülerInnen wohnen überwiegend in den Bezirken Kreuzberg und Neukölln, 30% sind von ihnen sind deutsche Staatsangehörige. Jährlich kommen auf 25 freie Plätze ca. 150 Bewerbungen für Klasse 1. Für ein Kind beträgt der Mitgliedsbeitrag 200 DM monatlich, Ermäßigungen und Freistellungen werden bei Geschwisterkindern und in sozialen Härtefällen erteilt. Bisher wechselten vier Jahrgänge problemlos nach der sechsten Klasse an öffentliche Oberschulen.
Das Besondere an der Islamischen Grundschule ist der islamische Rahmen, der den Schulalltag bestimmt. So beginnt in jeder Klasse der Unterricht morgens mit einer Koranrezitation, die Klassen 5 und 6 verrichten zwei Mal wöchentlich gemeinsam mit muslimischen LehrerInnen das Mittagsgebet bzw. das Freitagsgebet in der Schule, die beiden höchsten religiösen Feste, das Fest des Fastenbrechens (`idu l-fitr) und das Opferfest (`idu l-adha) werden in der Schule gefeiert, und ein- bis zweimal jährlich findet ein Koranlesewettbewerb statt.
Die Islamische Grundschule ist unabhängig von islamischen Organisationen. Oberstes Enscheidungsgremium ist der Vorstand, der z.Z. aus vier Personen besteht, ins Vereinsregister eingetragen ist und alle drei Jahre neu gewählt wird. Innerhalb der Schule entscheiden alle Gremien, die laut Schulverfassungsgesetz der öffentlichen Schulen vorgeschrieben sind, also Elternabende, Gesamtelternvertretung (GEV), Gesamt-, Klassen-, Schulkonferenzen und darüber hinaus eine Schülervertretung (SV), die sonst erst in der Oberschule eingerichtet wird und an der Schülervertreter ab Klasse 4 teilnehmen. Die Einrichtung der SV geschah aus der Überlegungen heraus, den SchülerInnen schon früh Gelegenheit zu geben, sich in der Anwendung demokratischer Regeln zu üben. Anhand eigener Erfahrungen lernen sie so, dass es Einsatz, Mühe und Geduld kostet, eigene Vorstellungen zu artikulieren und durchzusetzen. Die SchülerInnen erfahren dadurch, dass Verantwortliche, in diesem Falle die LehrerInnen, ihren Wünschen und Erwartungen Interesse entgegenbringen, dass sie "wichtig" sind und als Partner Anerkennung genießen. Dies sind unerläßliche Voraussetzungen für ihr schulisches Wohlbefinden, somit für ihren Lernerfolg, und ihre Persönlichkeitsentwicklung, für ein Gefühl des Angenommenseins seitens der deutschen Gesellschaft, womit ein wichtiger Schritt für ihre Integration getan ist.
Es ist das Ziel der Islamischen Grundschule, muslimischen Kindern die Möglichkeit zur Entwicklung einer eigenen islamischen Identität zu geben, die sie dazu befähigt, gewaltlos, unter Anwendung demokratischer Regeln für die Integration des Islam in Deutschland einzutreten. Sie sollen sich aufgrund ihrer Identität als Teil dieser Gesellschaft fühlen und dahingehend gefestigt werden, dem Assimilationsdruck dieser Gesellschaft zu widerstehen. Werden die SchülerInnen derart in ihrer Persönlichkeit anerkannt, sind auch sie dazu in der Lage und willens für Toleranz gegenüber Andersdenkenden einzutreten und werden dazu beitragen, bestehende Vorurteile gegenüber dem Islam abzubauen. Nur so kann es von der jetzt manchmal offenenen Konfrontation zu einer Verständigung und Kooperation mit der deutschen Gesellschaft kommen.
Erfahrungen der Islamischen Grundschule aus heutiger Sicht
Im Folgenden sind Erfahrungen der Islamischen Grundschule zur Elternarbeit, zur Spracherziehung sowie zum islamischen Religionsunterricht wiedergegeben, die einen Einblick in die Besonderheit islamischer Erziehung in unserer Gesellschaft bietet.
Elternarbeit
Obwohl ausländische und speziell muslimische Eltern der Schulbildung ihrer Kinder, Mädchen wie Jungen, einen hohen Stellenwert beimessen, beteiligen sie sich nur wenig am aktiven Schulleben.[40]
Durch eine intensive Elternarbeit und dem damit verbundenen Bemühen um jedes einzelne Kind wird dem entgegengewirkt. Bei den Hausbesuchen, mit oder ohne ÜbersetzerInnen, wird den Eltern Achtung und Interesse entgegengebracht. So kann eine persönliche Beziehung zum Lehrenden entstehen, die insgesamt im Umgang mit ausländischen Eltern sehr wichtig ist. In den meisten Fällen wirkt sich ein positiver Kontakt zu den Eltern vorteilhaft auf den Schulerfolg des Kindes aus, denn bei Leistungsschwankungen oder sonstigen gravierenden Veränderungen im SchülerInnenverhalten kann schnell zusammen mit den Eltern die Ursache dafür herausgefunden werden und Hilfestellung in Erziehungsfragen und beim Lernen angeboten werden. Die Resonanz auf diese intensive Elternarbeit ist allgemein sehr positiv.
In der Regel kommen muslimische Eltern nichtdeutscher Herkunft aus Gesellschaften, in denen eine Erziehung, wie wir sie hier und heute verstehen, nicht üblich ist. In diesen Gesellschaften herrscht ein starker Wertekonsens, die Gesamtheit ihrer Mitglieder "erzieht" die Heranwachsenden, was vorrangig ein Einüben allgemein akzeptierter Regeln bedeutet. Für eine Gesellschaft wie der unsrigen reicht ein solches Erziehungsverständnis nicht aus. Soll eine Erziehung in einer pluralistischen, multikulturellen Gesellschaft ohne verbindlichen Wertekonsens und mit Traditionen und Verhaltensnormen aus einem anderen Kulturkreis gelingen, ist ein besonderes erzieherisches know-how erforderlich. Dies ist der Mehrheit der Eltern bewusst, was sie durch ihr reges Interesse an Erziehungsfragen bekunden. Die Eltern wünschen sich Hilfestellung seitens der Schule, um die rein passive/anpassungsmäßige Übernahme von Verhaltensmustern durch ihre Kinder zu Gunsten einer bewussten, integrierten Haltung zu überwinden. In Elterngesprächen werden deshalb neben Beratungen in Erziehungsfragen verschiedene Themen angeboten, wie z.B.: Tagesablauf eines Schulkindes, häusliche Voraussetzungen des Schulerfolgs, Freizeitgestaltung (Welche Spiele für unser Kind? Umgang mit Fensehen), Leseförderung, Konzentrationsfähigkeit, Erziehung zur Selbständigkeit, gesunde Ernährung, Bedeutung der Bewegung für die kindliche Entwicklung.
Spracherziehung
Die Mehrheit muslimischer SchülerInnen nichtdeutscher Herkunft hat sowohl in der deutschen als auch in der Muttersprache Defizite, über deren Ursachen viel geforscht und geschrieben worden ist. Ziel muss es sein, die SchülerInnen in beiden Bereichen zu fördern. Durch eine gute Sprachkompetenz in der Muttersprache werden Fertigkeiten erworben, die für den Erwerb weiterer Sprachen erforderlich ist. Wörter und sprachliche Strukturen, die in der Muttersprache beherrscht werden, haben einen höheren "Behaltens"-Wert in der Zweit- oder Fremdsprache. Die Islamische Grundschule hat für die Spracherziehung folgendes Konzept erarbeitet: Ab Klasse 1 erfolgt die Vermittlung des Unterrichtsfachs Deutsch in Form von Teilungsunterricht, in den Klassen 5 und 6 mit leistungsdifferenzierten Kursen. Zusätzlich werden deutscher Sprachunterricht sowie muttersprachlicher Unterricht in türkischer, arabischer und persischer Sprache (zwei Wochenstunden) angeboten. Weiterhin bestehen Angebote in Schülerzeitungs- und Literaturarbeitsgemeinschaften mitzuarbeiten, sowie die Möglichkeit des Umgangs mit der deutschen Sprache im außerschulischen Bereich. Für ein besseres Verstehen von Unterrichtsinhalten hat sich, insbesondere in den Klassen 1 und 2, eine enge Zusammenarbeit im vorfachlichen Unterricht mit dem muttersprachlichen Unterricht bewährt. Die Eltern sind sich mehrheitlich der Bedeutung der deutschen Sprachkompetenz ihres Kindes für den Schulerfolg bewusst und nehmen entsprechende Angebote gerne an.
Islamischer Religionsunterricht
Die Entwicklung des islamischen Religionsunterrichts erfolgte in drei Phasen, in denen zu Beginn die arabische Sprache als Medium göttlicher Offenbarung einen überaus hohen Stellenwert besaß, der sich im Laufe der Zeit immer weiter reduzierte.[41]
Von 1989 bis 1992 erfolgte keine Trennung der beiden Unterrichtsfächer Arabisch und Religion, die von Anfang an als Arbeitsgruppen auf freiwilliger Basis angeboten worden waren. Arabisch beinhaltete das Vermitteln von Konversationsübungen und grammatikalischen Grundstrukturen in modernem Hocharabisch sowie Textarbeit mit dem Koran. Methodisch war dieser Unterricht teilweise an den Sprachunterricht der Waldorfschulen angelehnt. So wurden Bedeutungen kurzer arabischer Texte mit Hilfe von Bildmaterial oder Handpuppen erklärt und dann in der Lerngrupe auswendig gelernt.
Die Vermittlung religiöser Inhalte, z.B. Prophetengeschichten, die fünf Säulen des Islam und die sechs Glaubensartikel, erfolgte anhand von Koransuren, wobei koranische Vokabeln mit einflossen. Dieser Unterricht war wenig erfolgreich, weil die Kinder der Klassen 1 bis 3 zwar sehr gut und mit großer Begeisterung arabische Texte auswendig lernten, sich jedoch nur äußerst ungerne mit deren Bedeutung befassen wollten und das Gelernte auf Grund mangelnder Übung auch schnell wieder vergaßen.[42]
In den Jahren von 1993 bis 1996 erfolgte der Unterricht in Arabisch und Religion schon differenzierter. Weiterhin wurden Inhalte des Religionsunterrichts anhand koranischer Suren vermittelt. Beispielsweise bei der Biographie Muhammeds (a.s.s.) wurde der Beginn koranischer Offenbarungen mit den ersten fünf Versen der 96. Sure al-`alaq (was anhaftet) erklärt.[43] Dazu waren die arabischen Vokabeln der Verse in deutscher Entsprechung vorgegeben, zu deren Bedeutungen neben dem historischen Kontext die SchülerInnen frei assoziieren d.h. schreiben, zeichnen, malen konnten. Die Assoziationen wurden dann in kleinen Heften gesammelt. Zusätzlich wurde kindgerecht ein Wörterbuch mit bildhaften Darstellungen der koranischen Vokabeln zum Ausmalen erstellt.
Auf diese Weise erarbeiteten sich die SchülerInnen die Bedeutungen kurzer Suren des guz'u `amma[44], die 55. Sure ar-rahman (der BARMHERZIGE) und die 37. Sure yasin (die beiden Buchstaben ya und sin). In Klasse 6 schrieben die SchülerInnen Erklärungen zum ganzen guz'u `amma und zur 29. Sure al-ginn (die unsichtbaren Geschöpfe), die in Buchform zusammengefasst wurden. Ferner wurde für die SchülerInnen der Klasse 3 ein Religionsbuch erstellt, welches die fünf Säulen des Islam und die sechs Glaubensartikel beinhaltet. Der arabische Sprachunterricht trat weiter in den Hintergrund.
Auf allgemeinen Wunsch der Eltern hin wurde ab Januar 1996 das Unterrichtsfach Arabisch durch Korankunde ersetzt, was bedeutete, dass die Vokabelarbeit und die Assoziationen dazu fast ganz entfielen. Koranlesen besteht seitdem im Lautieren von Suren des Koran, deren Bedeutung in deutscher Sprache erklärt wird. Der arabische Sprachunterricht ist nicht mehr auf koranische Texte bezogen, sondern wird für Muttersprachler erteilt.
Folgende Wochenstunden werden für die Fächer Religion und Korankunde angeboten:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Für den islamischen Religionsunterricht gab es bei Gründung der Schule weder Rahmenpläne noch geeignete Unterrichtsmaterialien. Rahmenpläne, die in Nordrhein-Westfalen und Hamburg im türkischsprachigen Ergänzungsunterricht entwickelt worden waren, konnten nicht verwendet werden, weil an der Islamischen Grundschule Religionsunterricht in deutscher Sprache und für Kinder verschiedener Muttersprachen erteilt wird. Mit dem Einsatz von Unterrichtsmaterialien aus islamischen Ländern wurden ausnahmslos schlechte Erfahrungen gemacht, weil diese für SchülerInnen eines anderen gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrundes konzipiert waren. So gab es nur die Alternative, für neue Rahmenpläne und Unterrichtsmaterialien in deutscher Sprache zu entwickeln.
2 Psychologische, soziologische, sprachwissenschaftliche und methodische Voraussetzungen des Islamischen Religionsunterrichts
Die Planung, Durchführung und Analyse jeden Unterrichts haben stets zwei wichtige Grundlagen: den Inhalt und die Lerngruppe. Bei dem Inhalt ist auf die Auswahl (einschließlich Reduktions- und Erweiterungsmöglichkeiten zur Binnendifferenzierung), die Begründung sowie den Aufbau zu achten, bei der Lerngruppe sind die Möglichkeiten und Grenzen des Machbaren zu reflektieren, zu berücksichtigen, wobei allgemeine Erkenntnisse zu der entsprechenden Altersstufe durch die Besonderheiten jeder einzelnen Gruppe ergänzt werden müssen.
Bei der Konzeption des vorliegenden Lehrplans mussten sowohl die Literatur zum Curriculum[45] als auch die Aussagen verschiedener Entwicklungspsychologen besonders sorgfältig auf den speziellen Unterrichtsgegenstand und die meist nicht eigens beschriebene Situation muslimischer Kinder und Jugendlichen in Deutschland bezogen oder adaptiert werden; denn die Recherche hat nur wenig Literatur zu Curricula islamischen Religionsunterrichts oder zu entsprechender Religionspädagogik zu Tage gefördert.
2.1 Curriculum-Theorien
Die Entwicklung von Curricula für die verschiedenen Unterrichtsbereiche, Fächergruppen oder auch einzelne Fächer datiert aus den siebziger und achtziger Jahren unseres Jahrhunderts und ist sowohl mit negativen als auch mit positiven Konnotationen behaftet.[46]
Mittlerweile wird die Vorstellung, Unterricht in jeder Phase und in allen Einzelheiten wie einen technischen Vorgang planen, ja programmieren zu können, belächelt oder scharf zurückgewiesen. Die Operationalisierung von Lernzielen ist gleichwohl für einige Bereiche der Unterrichtsplanung durchaus sinnvoll, erleichternd und empfehlenswert, daher wird bis heute der Begriff ”Curriculum” verwandt und mit Leben erfüllt; denn neben der diskussionswürdigen Methoden- und Technologie-Betonung ist die grundsätzliche Unterscheidung von Unterrichtsziel und –inhalt zu begrüßen. In der Erziehung und Ausbildung sollte es Ziele geben, die gemeinsam (als Ergebnis eines gesellschaftspolitischen Prozesses, des Austausches innerhalb einer Institution –Lehrkräfte, Eltern, SchülerInnen-) gesteckt sind. Diese Ziele, die per definitionem regelmäßig überprüft werden müssen, werden mit immer neu abzusprechenden Inhalten errreicht. Es geht also nicht um ein komplettes Absolvieren einmal gefundener und möglichst lange konservierter Pläne, sondern um exemplarisches Lernen, das mit Blick auf das Ziel gruppenspezifisch und/oder individuell gestaltet wird.[47]
"Dementsprechend beabsichtigte die Curriculumstheorie nicht nur eine Neubewertung der Unterrichtsfächer, sondern sie wollte auch die Grenzen der bisherigen Fächer überschreiten. Unterricht sollte interdisziplinär sein. So wurden die Fächer nicht nur zu Bereichen zusammengefasst ..., sondern es wurden auch fächerübergreifende Lernziele und Unterrichtsprojekte entworfen".[48]
Bei der curricularen Gestaltung von Religionsunterricht muss aber eine Kritik ernst genommen werden. SCHWINN weist darauf hin, dass besonders die Zielreflektion in der Curriculumentwicklung immer mit Traditionskritik gekoppelt sei. Er befürchtet, dass Zielfindung und -modifizierung in eine sinnentleerte Beliebigkeit abgleiten könne.
”Normen sind entwerder beliebig und erweisen ihre Berechtigung unter anderem durch ihre Effektivität für bestimmte Zwecke oder sie werden erst in Zukunft auf dem Weg eines ‚praktischen Diskurses‘ ihren Sinn und ihre Wahrheit erweisen.
In beiden Fällen fehlt dem Curriculum in der Gegenwart, in der es um konkrete Lernprozesse oder um emanzipatorische Operation geht, evidenter Sinn”.[49]
Die vielschichtige Zielstruktur, die der vorliegende vorläufige Lehrplan aufweist und welche verschiedene Ebenen umfasst (Wissen, Anwendung, Urteil, Verhalten, Ethik), ist nicht gefährdet, ihre Wiedererkennbarkeit und Glaubwürdigkeit dadurch zu verlieren, dass von Zeit zu Zeit an ihr gearbeitet wird. Im Gegenteil wird es ihr in den meisten Fällen zum Nutzen gereichen.
Die gedankliche Verbindung zwischen Curriculumentwicklung und Auf-/Ausbau von Gesamtschulen fällt je nach gesellschaftspolitischer Grundeinstellung angenehm oder löst Bedenken aus. Ein gut gemachtes Curriculum, ”das k o m m u n i k a t i v e und i n t e g r a t i v e Erziehungsfunktionen zur Hauptsache macht”, kann allerdings in allen Schulformen dabei helfen, die wachsenden sozialpädagogischen, ja -therapeutischen Anforderungen an (Aus-) Bildungs- und Erziehungseinrichtungen zu erfüllen. Und es sollte die Voraussetzung dafür sein, dass Chancengleichheit oder zumindest Chancengerechtigkeit erreicht werden kann.[50] Auf das vorliegende Curriculum übertragen, bedeutet dies: Muslimische Kinder und Jugendliche festigen durch die Unterweisung in ihrem Glauben, in ihrer Kulturtradition und durch das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten und Lebensformen in ihrem Lebensumfeld ihre eigene Position in der deutschen Gesellschaft. Sie werden befähigt, beide Bereiche mitreinander zu verbinden.
An dieser Stelle sind wichtige Bereiche des schulischen Lebens und Lernens zu erwähnen, die neben der inhaltlichen und methodisch-didaktischen Gestaltung des Unterrichts ” sozialpsychologisch und lernpsychologisch die tatsächliche Situation in einer Schulklasse bestimmen”:
”Neben den rational planbaren –intentionalen- Einwirkungen der Lehrer auf die Schüler tritt in der Realität der Schule eine Fülle von unbeabsichtigten Nebeneffekten, sogenannten ‚Störfaktoren‘ auf, die für die Schüler zum großen Teil Wesentliches von dem ausmachen, was sie in der Schule lernen, wie sie Schule erleben. Diese gleichsam ‚zweite‘ Schicht schulischer Lernprozesse bezeichnet man als ‚Hidden Curriculum‘ = verdeckter/verborgener Lehrplan”.[51]
Mit diesen Effekten sind im Wesentlichen Verhaltensweisen und -strategien gemeint, die Tag für Tag das Schulleben prägen. BECKER nennt z.B. Strategien, das Lernen zu vermeiden, die stete Unterdrückung der Neugier aus ”organisatorischen” Gründen, Ausübung von Machtmechanismen, Kampf um einen günstigen Platz in der Hierarchie, Auswirkung des Mangels jeglicher Sinnlichkeit und Zuneigung im sozialen System der Schule.[52]
Der Streit um die beste Schulform und die Übernahme pädagogischer Verantwortung sind eng mit der Auseinandersetzung um die Bildungsinhalte verknüpft. Saul B. Robinsohn dachte in den achtziger Jahren ”Bildungsreform als Revision des Curriculum” (5. Auflage 1981). Er forderte dazu auf, Kulturtraditionen wahrzunehmen und sie bewusst anzunehmen, zu modifizieren oder abzulehnen. Er war den gesellschaftlichen Initiationsriten auf der Spur, deren Grundlagen omnipräsent, aber nie thematisiert waren (sind?). Bei jeder Abiturprüfung, jedem Universitätsexamen und jeder staatlichen Berufszulassung werden zumindest Teile dieser Riten abverlangt. In der fraglichen Zeit lautete das Begriffspaar ”Humanismus – Realismus”. Die Kenntnis dieses grundlegenden Schemas hinter dieser Auseinandersetzung schwächt die Wirkung heimlicher Lehrpläne auf der inhaltlichen Ebene. Anzustreben ist daher eine ”Mündigkeit in einer Kultur, nicht für eine Kultur”.:[53]
”Die Erkenntnis, dass an Gehalten einer Kultur gebildet wird, kann nicht bedeuten, dass wir die Kriterien unserer Auswahl nicht von dem Bildungsziel, das ein Ziel des Verhaltens ist, ableiten dürfen. Die tradierte Kultur, gleichsam als objektivierter Geist, ist dieses pädagogische Kriterium nicht”.[54]
Auf eine muslimische Existenz im Besonderen bezogen, kann man ganz dezidiert formulieren, dass GOTT der Ausgangs und Endpunkt aller Gebete, Gedanken, Worte und Taten und damit aller Lebensäußerungen ist. Diese einfache, unumstößliche islamische Basis ist zugleich die Handlungsmaxime der Lehrenden und das angestrebte Ziel für die Schützlinge. Damit ist auch eine grundsätzliche Definition von RU gegeben: Die Erfahrungswelt der Lernenden wird in der Person der Lehrkraft mit einem Beispiel gelebten Glaubens konfrontiert.[55]
2.2 Entwicklungstheorien
Bei entwicklungspsychologischen Theorien ist zu beachten, dass Theorien zu Rate gezogen sind, die aus der Arbeit mit Grundschulkindern (im Alter von fünf bis dreizehn Jahren) entstanden sind, und nicht z.B. Erkenntnisse grundgelegt werden aus dem Zeitalter der Aufklärung, während dessen man Kinder vom Standpunkt der Erwachsenen beschrieb und beurteilte als kleine Erwachsene, oder aus Kulturen oder Zeiten, in denen es keine schulische Unterweisung gab oder gibt. Die Gefahr, diesen Extremen zu verfallen, dürfte recht gering sein; gleichwohl soll damit deutlich gemacht werden, dass der gewählte Ansatz für die Situation passend sein muss. In der aktuellen Grundschuldidaktik wird Folgendes angestrebt: Die Kinder sollen, ausgehend von ihrer Lebenssituation und ihrem physischen und geistigen Entwicklungsstand, so interaktiv wie möglich lernen, spontane Aktivitäten (situationsbedingtes Lernen) haben einen hohen Wert. Die Form des "Offenen Unterrichts" -Wochenpläne, flexible Stunden- steht dem Wunsch der Eltern zwar nicht entgegen, ihre Kinder früh zu klar definierten Leistungen zu führen, sie muss aber transparent und nachvollziehbar gemacht werden. Zur Kenntnis zu nehmen und zu bewerten, ist auch die Tatsache, dass die Kinder immer früher -manchmal sogar schon in der zweiten Klasse- Nachhilfe bekommen. Neben der körperlichen Entwicklung gilt es, drei weitere Bereiche zu betrachten:
- die kognitive Entwicklung,
- die Sprachentwicklung,
- die sozial-emotionale Entwicklung.
[...]
[1] Ist im Zusammenhang mit Religion und Recht des Islam von "Tradition", "Traditionariern" und "Traditionalismus" die Rede, so handelt es sich dabei um Nachrichten über Worte und Werke des Propheten Muhammed (a.s.s.), um die formalisierte Überlieferung dieser Zeugnisse und um die Tendenz der Lehrenden, Glaube und Handeln der Muslime auf die Tradition der Urgemeinde zu gründen, vgl.: ENDREß 21991: 74.
Die Eulogie "a.s.s." arab.: `alaihi s-salatu wa s-salam, bedeutet: Segen und Frieden sei mit ihm und wird von Muslimen dem Namen des Propheten Muhammed (a.s.s.) nachgestellt.
[2] Vgl.: 4.5.1 Zum islamischen Dogma.
[3] ALLAH, arab.: der GOTT, zusammengesetzt aus dem Artikel "al" und "ilah", wobei der erste Vokal i von ilah entfällt.
Die nachgestellte Eulogie "t" arab.: ta`ala, bedeutet: Der ERHABENE, ER ist erhaben.
[4] Die genaue Anzahl der Muslime in Deutschland ist nicht bekannt, weil laut telefonischer Anfrage am 08.03.99 beim Statistischen Bundesamt Wiesbaden bei einer Volkszählung deutschlandweit die muslimische Religionszugehörigkeit nicht erfasst wird. Die Zahl der Muslime ist aus der Anzahl der Ausländer errechnet, die aus islamischen Ländern kommen. Am 31.12.1997 lebten 2.107.426 Türken, 281.380 Bosnier, 232.579 Araber (13.927 Ägypter, 17.499 Algerier, 2.370 Libyer, 83.904 Marokaner, 25.394 Tunesier, 40.229 Iraker, 11.878 Jordanier, 55.904 Libanesen, 21.703 Syrer ) und 11.343 Albaner in Deutschland, vgl.: Statistisches Bundesamt Wiesbaden -VIII B- 176- Ausländischer Bevölkerung nach der Staatsangehörigkeit am 31.12.1997 in Deutschland. SPULER-STEGEMANN schätzt für das Jahr 1997 2,8 Millionen Muslime, das sind 3% der Gesamtbevölkerung, vgl.: SPULER-STEGEMANN 1998: 43-44.
[5] Der Begriff deutsche Muslime beinhaltet in den Islam konvertierte Deutsche und deutsche Staatsbürger unterschiedlicher Herkunft. Zur Anzahl deutschstämmiger Muslime divergieren die Angaben von 48.000 bis 100.000, vgl.: SPULER-STEGEMANN 1998: 44.
[6] Vgl.: Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden. Im Jahre 1961 wurden in Deutschland 6.800 Türken registriert, 1994, 33 Jahre später, waren es 1.965.377.
[7] Wärend sich die Anzahl der Griechen in den Jahren 1973-1981 um 1973.500 und die der Spanier um 77.800 reduzierte, lebten 1981 436.500 Türken in Deutschland, vgl.: GOLDBERG 1994: 20.
[8] In der öffentlichen Diskussion war und ist die Forderung nach Integration oft mit dem Impetus des Stärkeren bzw. der Mehrheit, als Bringeschuld vorgetragen, die allein die Migranten zu leisten hätten, wenn sie in Deutschland leben wollten. So ist in der Heitmeyer-Studie u.a. eine Integrationsunwilligkeit der Migranten dargestellt. Die Publikationen von Wilhelm Heitmeyer beruhen zum größten Teil auf Umfragen unter türkischen Jugendlichen, aus denen eine hohe Gewaltbereitschaft hervorgeht.
[9] Die größten türkisch-islamischen Organisationen, die ihren Hauptsitz in Deutschland haben und europaweit agieren, sind: Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG, türk:. Islam Toplumu Milli Görüs, Nachfolgeorganisation der 1975 gegründeten AMGT (Avrupa Milli Görüs Teskilatlari), Vereinigung der Neuen (nationalen) Weltsicht in Europa; die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, DITIB (Diyanet Isleri Türk-Islam Birligi); der Verband islamischer Kulturzentren VIKZ. Die genannten Organisationen ähneln sich in ihren Funktionen und Arbeitsweisen, z.B. bieten sie eine islamische Unterweisungen an, die sich mehrheitlich nach herkömmlichen heute praktizierten Lernmethoden und Inhalten der Türkei richtet.
[10] Das Haus des Islam wurde von Muhammed Siddiq, gegründet. Zusätzlich zu den Treffen deutschsprachiger Muslime werden dort auch Seminare zur islamischen Unterweisung angeboten.
[11] Der Zentralrat der Muslime in Deutschland wurde unter der Leitung von Dr. Nadeem Elyas im November 1994 gegründet. Bei seiner Gründung gehörten ihm nach eigenen Angaben 15 islamische Dachorganisationen mit mehr als 1200 Gemeinden an, das sind 70% der organisierten Muslime.
[12] Adnan ASLAN beschrieb die Stationen der muslimischen Migration ausführlich in seinem Buch "Religiöse Erziehung der muslimischen Kinder", vgl.: ASLAN 1998: 28-41.
[13] Zu dieser Fehldeutung kam es u.a. auch auf Grund der islamischen Revolution im Iran in den Jahren 1978/79, weil durch sie die Muslime als Gefahr für die westliche Welt erschienen.
[14] Vgl.: 5.6.1 Islamisch-theologische Begründung des Themas.
[15] Vgl.: Statistisches Bundesamt, Ausländer 1994. (A. S.14)
[16] Mit "weitestgehend" ist hier das Ziel des national-türkischen muttersprachlichen Unterrichts gemeint, der zwar in den Inhalten seiner religiösen Unterweisung auch auf den islamischen Quellen gründet, aber der türkischen Herkunft eine überaus hohe Bedeutung zumisst. Nach muslimischen Quellen erhält ein Muslim jedoch seinen Wert durch die Ehrfurcht gegenüber ALLAH (t). In der 49. Sure al-hugurat (die Gemächer), Vers 13 steht sinngemäß: "... der beste/edelste unter euch ist der, der am gottesfürchtigsten ist ..." (gottesfürchtig ist mit Ehrfurcht gegenüber ALLAH (t) definiert).
[17] Zu den islamischen Quellen, vgl.: 4.1 Die Quellen: Koran, sunna, Konsens der Gelehrten (igma`).
[18] Der Begriff "Unterweisung" benennt in der christlichen Religionspädagogik einen religiösen Unterricht, der eine Einübung in den Glauben und eine Einführung in das Gemeindeleben beinhaltet, vgl.: MOHR: 2.
[19] Im Gegensatz zum Lesen eines geschriebenen Textes, bei dem der Sinn der Wörter erfasst wird, beinhaltet der Begriff "Lautieren" ein Verbalisieren arabischer Buchstaben ohne Vermittlung von Wortbedeutungen, d.h. ohne Vokabelarbeit und ohne arabische Grundgrammatik.
Die Koranleseregeln sind behandelt unter 4.1.1 Zum Koran.
[20] In Gesprächen mit türkischen Eltern und ReligionslehrerInnen höre ich immer wieder die Meinung, dass allein ein Rezitieren -ohne inhaltliches Verstehen- koranischer Texte aufgrund des Segens, der dabei auf die Kinder übergeht, schon zu einer Verbesserung in deren Verhalten und zu einem tiefen Verständnis des Islam führt. Unbestreitbar ist es nach muslimischer Tradition segensreich, den Koran zu lesen und zu rezitieren. Eine pädagogische Wirkung des reinen Memorierens ohne Kenntnis der Bedeutung des Gelesenen habe ich jedoch in meiner langen Tätigkeit als Religionslehrerin nicht erkennen können.
[21] Vgl.: BALIC 31984: 121.
[22] Die Mehrsprachigkeit hat in der islamischen Geschichte eine lange Tradition. Im Osmanischen Reich wurde 1869 ein neuer Schultyp ins Leben gerufen, in dem mit einem hohen Anteil von Arabisch, Persisch und Lehre des Islam auf zweisprachiger Grundlage türkische Kinder zusammen mit Kindern nationaler und kultureller Minderheiten unterrichtet wurden. Bildung drückte sich in jener Zeit in der Beherrschung der Sprachen: Osmanisch-Türkisch, Arabisch, Persisch neben der gesprochenen Muttersprache aus, vgl.: SCHEINHARDT 1986: 95.
[23] Vgl.: SCHWEICKARD 1991: 121.
[24] Mustafa Kemal Atatürk, der erste Präsident und Begründer der modernen Türkei, verbot 1928 die arabische Schrift und führte die lateinischen Buchstaben ein.
[25] Dabei muss berücksichtigt werden, dass in Deutschland eine besondere Situation besteht: Die Muslime haben hierzulande Arabisch nicht als Muttersprache, wir sollten also eigentlich von (mindestens) Dreisprachigkeit ausgehen. Zum Vergleich: Die Marokkaner haben es "nur" mit Arabisch und Französisch zu tun.
[26] Vgl.: ASLAN 1998: 153.
[27] Vgl.: ebenda: 153.
[28] Vgl.: ebenda: 150.
[29] Vgl.: auch ebenda: 160-177.
[30] Der Artikel 4 I GG behandelt die Glaubens-, Bekenntnis-, und Gewissensfreiheit und der Artikel 4 II GG die Freiheit der Religionsausübung.
[31] Laut Artikel 140 GG i.v.m. Artikel 137 V WRV stehen diese Körperschaftsrechte auch nicht-christlichen Religionsgemeinschaften zu, vgl.: CAMPENHAUSEN 1986: 8.
[32] Die Hindernisse für einen IRU sind aus christlicher Sicht ausführlich behandelt von KROLLMANN 1986: 24-28.
[33] Deutlich erkennbar ist die gleiche Wertigkeit der Geschlechter in der koranischen Aussage, die "schlechten" Frauen verbietet "gute" Männer zu heiraten und "schlechten" Männern verbietet "gute" Frauen zu heiraten: "Schlechte Frauen gehören zu schlechten Männern und schlechte Männer zu schlechten Frauen", 24. Sure an-nur (das Licht) Vers 26.
[34] Den Anspruch auf Unterhalt hat eine muslimische Frau gegenüber ihrem Ehemann, ihrem Vater, ihrem Sohn.
[35] Vgl.: 4.1 Die Quellen: Koran, sunna, Konsens der Gelehrten (igma`).
[36] Mit dem Islamgesetz, das schon 1912 die vollständige Eingliederung Bosniens und der Herzegowina in den österreichisch-ungarischen Staatsverband abschloss, war der Islam schon lange vor der gesetzlichen Anerkennung als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft in Österreich akzeptiert.
[37] Die Zahl bezieht sich auf melderechtlich registrierte Einwohner mit Hauptwohnung in Berlin am 31. Dezember 1998, Statistisches Landesamt Berlin.
[38] Der islamische Unterricht in Berlin wurde von Irka-Christin MOHR in ihrer Magisterarbeit "Inhalte und Ziele islamischen Unterrichts in Berlin" ausfürlich dargestellt.
[39] Das Gebäude in der Boppstraße 4 gehört einer islamischen Stiftung (waqf), die das zweite Quergebäude, bestehend aus drei Etagen und einem Erdgeschoss, kostenfrei zur Verfügung stellte. Als Gegenleistung leistete die Schule Um- und Ausbauarbeiten.
[40] Die geringe Beteiligung ausländischer Eltern am öffentlichen Schulleben ist zurückzuführen auf: Unsicherheiten wegen vermeintlichen oder tatsächlichen Sprachbarrieren, fehlendes Verständnis für die in den Herkunftsländern unbekannten Schulgremien, ein Gefühl des Abgelehntwerdens, des Unerwünscht- und nicht Angenommenseins, Berührungsängste mit der deutschen Gesellschaft-.
[41] Die Gründe für den schwindenden Stellenwert der arabischen Sprache sind hauptsächlich im Fehlen eines durchdachten Rahmenplans mit operationalisierten Lernzielen, die aufeinander aufbauen und sich ergänzen zu sehen, was zu geringen Lernerfolgen bei den SchülerInnen führte. Des weiteren kamen Defizite in der Didaktik, die erst spät ausgeglichen waren, sowie eine mangelnde Akzeptanz des Arabischen seitens der Eltern hinzu. Zum überwiegenden Teil waren sie der arabischen Sprache nicht mächtig und empfanden diese als zu schwer erlernbar. Den meisten Eltern türkischer, persischer und pakistanischer Herkunft ist es äußerst wichtig, dass ihre Kinder den Koran nach bestimmten Koranleseregeln auf Arabisch lautieren können, dabei soll die Bedeutung des "Gelesenen" auf Deutsch ohne Bezug zur arabischen Sprache d.h. ohne Vokabelarbeit auf Deutsch erklärt werden. Zusätzlich erhielten die SchülerInnen, die im Verbalisieren religiöser Inhalte weder auf Deutsch noch in ihrer Muttersprache geübt waren, wenig positive Resonanz von ihren Eltern, weil diese das Gelernte nicht verstanden.
[42] Beispielsweise konnten die SchülerInnen nach Beendigung der ersten Klasse neun Suren des guzu' `amma fehlerfrei auf Arabisch rezitieren, nach den großen Ferien hatten sie jedoch das meiste wieder verlernt oder rezitierten die gelernten Suren mit türkischem Akzent.
[43] Vgl.: 4.1.1 Zum Koran.
[44] Der guz'u `amma ist der 30ste Teil des Korans, kurze Suren daraus werden bei den rituellen Gebet auf arabisch rezitiert, so dass die Kinder diese Suren immer wieder hören und auch rezitieren.
[45] Unter dem Begriff "Curriculum" wird ein Rahmenplan verstanden, der Unterrichtsinhalte und -ziele und/ oder -methoden enthält.
[46] Die Rahmenpläne des evangelischen Religionsunterrichts der 50er Jahre enthielten keine konkreten Lernziele. RU war bibelorientiert und für eine "Kirche in der Schule" konzipiert, in welcher der Lehrende als Zeuge und Verkündiger des göttlichen Wortes verstanden wurde. In den 60er und 70er Jahren konzipierte man evangelische Rahmenpläne zielorientierter nach didaktischen Gesichtspunkten mit genauen Definitionen von Lernzielen und Bildungsinhalten. RU war erfahrungsorientiert auf die Lebenssituation der SchülerInnen -als Adressaten- ausgerichtet. Der evangelische RU der 80er Jahre war problemorientiert und von einem Sozialkundeunterricht kaum zu unterscheiden.
[47] Vgl.: BIRKENBEIL 1976: 20.
[48] Vgl.: LÄMMERMANN 1991: 107.
[49] Vgl.: SCHWINN 1979: 281f.
[50] Vgl.: KONUKIEWITZ: 7. Dieses Grundanlegen der Currikulumrevision ist sehr anschaulich dargestellt worden von BIRKENBEIL 1976: 46 f.
[51] Vgl.: BECKER 21975: 203.
[52] Vgl.: ebenda: 205.
[53] Vgl.: ROBINSOHN 51981: 29.
[54] Vgl.: ebenda.
[55] Vgl.: EBERLE 1986:14-16.
- Arbeit zitieren
- Irmgard Zingelmann (Autor:in), 1999, Die Zielproblematik islamischen Religionsunterrichts in der Grundschule. Über das Beispiel eines Modellplans für die Islamische Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231403
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