In Ihrem Aufsatz Crime in Drag stellt die Autorin Elfi Bettinger Mary Frith, eine bekannte Verbrecherpersönlichkeit Englands im 15. Jahrhundert, unter Einbezug des Theaterstücks The Roaring Girl von Thomas Middleton und Thomas Dekker, vor, das noch zu ihren Lebzeiten im Jahre 1611 aufgeführt wurde. Frith, die auch als Moll Cutpurse bekannt war, stand Vorbild für das Schauspiel. Im Weiteren diente auch Frith's Biographie dazu, das Leben einer Frau in Männerkleidung darzustellen.
Bettinger beginnt ihren Aufsatz mit einigen einleitenden Worten zur Situation von Cross-dressing in England. Die Diskussion um das Tragen von Männer- bzw. Frauenkleidern des anderen Geschlechts geht weit zurück und ein Verbot desselben ist sogar in der Bibel nachzulesen. Im Zuge der Entwicklung des öffentlichen Theaters, bei dem Männer in Frauenkleidern auf der Bühne standen und sich auch das anwesende Publikum in seiner Herkunft stark voneinander unterschied, veranlasste König James I. 1620 seinen Klerus dazu, den Frauen, den unruly women, das Tragen von Männerkleidern und das Kurzschneiden ihrer Haare zu verbieten. Hinter der strikten Kleiderordnung steckte die Angst, die gesamte, von Gott gewollte, (Standes-) Ordnung zu verlieren. Durch die Kleiderordnung sollte also Beständigkeit verliehen werden. Bettinger stellt nun jedoch fest, dass alles, was Stabilität garantieren soll, auch Möglichkeiten zur Täuschung öffnet.
Inhalt
Bettinger, Elfi: Crime in Drag. Kleidertausch und Rechtsbruch im England der frühen Neuzeit am Beispiel von Mary Frith alias Moll Cutpurse
Erhart, Walter: Männlichkeitsforschung und das neue Unbehagen der Gender Studies
Girard, René: Das „trianguläre“ Begehren
Kraß, Andreas: Queer Studies - eine Einführung
Kraß, Andreas: Queer lesen. Literaturgeschichte und Queer Theory
Literaturverzeichnis
Bettinger, Elfi: Crime in Drag. Kleidertausch und Rechtsbruch im England der frühen Neuzeit am Beispiel von Mary Frith alias Moll Cutpurse
In Ihrem Aufsatz Crime in Drag stellt die Autorin Elfi Bettinger Mary Frith, eine bekannte Verbrecherpersönlichkeit Englands im 15. Jahrhundert, unter Einbezug des Theaterstücks The Roaring Girl von Thomas Middleton und Thomas Dekker, vor, das noch zu ihren Lebzeiten im Jahre 1611 aufgeführt wurde. Frith, die auch als Moll Cutpurse bekannt war, stand Vorbild für das Schauspiel. Im Weiteren diente auch Frith Biographie dazu, das Leben einer Frau in Männerkleidung darzustellen.
Bettinger beginnt ihren Aufsatz mit einigen einleitenden Worten zur Situation von Cross-dressing in England. Die Diskussion um das Tragen von Männer- bzw. Frauenkleidern des anderen Geschlechts geht weit zurück und ein Verbot desselben ist sogar in der Bibel nachzulesen. Im Zuge der Entwicklung des öffentlichen Theaters, bei dem Männer in Frauenkleidern auf der Bühne standen und sich auch das anwesende Publikum in seiner Herkunft stark voneinander unterschied, veranlasste König James I. 1620 seinen Klerus dazu, den Frauen, den unruly women,[1] das Tragen von Männerkleidern und das Kurzschneiden ihrer Haare zu verbieten. Hinter der strikten Kleiderordnung steckte die Angst, die gesamte, von Gott gewollte, (Standes-) Ordnung zu verlieren. Durch die Kleiderordnung sollte also Beständigkeit verliehen werden. Bettinger stellt nun jedoch fest, dass alles was Stabilität garantieren soll auch Möglichkeiten zur Täuschung öffnet.
Interessant ist, dass sich die Kleiderordnung von James I. in der frühen Neuzeit nur auf den Stand, nicht aber auf das Geschlecht bezog und somit Transvestismus nicht verboten war. Schließlich war es durch Einbußen im Tuchhandel jedem, der es sich leisten konnte, möglich Kleidungsstücke zu kaufen, selbst wenn er sie laut Gesetz nicht tragen durfte. Dennoch wurden Fälle von „Cross dressing“[2] vor der Kirche verhandelt, bei denen auch Mary Frith als Angeklagte auftaucht.
Im Theaterstück The Roaring Girl steht Moll Cutpurse im Mittelpunkt einer Geschichte über Heirat, Geld und Liebe, die im ökonomischen Milieu spielt und auch eine sexuelle, die Geschlechterordnung störende, Komponente aufweist. Zweideutigkeit spielt eine große Rolle im Stück, was sich in der (transvestischen) Kleiderwahl einiger Protagonisten und vor allem der von Moll Cutpurse zeigt, aber bereits bei doppeldeutigen Namen beginnt. Die geschlechterübergreifende Kleiderwahl wird durch Orte wie dem Theater als Ort von Täuschung und Tausch verstärkt.
Zusammenfassend zitiert Bettinger Marjorie Garber: „The Roaring Girl is a play about the circulation of parts, about woman with penises and testicles and man who lack them.“[3] Moll Cutpurse stellt im Stück eine außergewöhnliche Frau dar, da sie gegen Ehe und Prostitution ist, jedoch den zeittypischen Werten nicht vollständig entfliehen kann, wenn sie, wie damals üblich, über „untreue, verschwendungssüchtige Ehefrauen“[4] klagt. Zusätzlich ist sie dafür verantwortlich, dass zwei der Protagnisten trotz Hindernissen doch heiraten können.
Moll Cutpurse ist weder männlich noch weiblich sondern etwas neues „Drittes,“ bei dem männliche und weibliche Begriffe nicht richtig passen, bei dem die natürliche Ordnung ins Wanken gerät. Obwohl sie als transvestische Protagonistin gesehen werden kann, wird im Spiel auch betont, dass sie jungfräulich lebt und die ihr vorgeworfene Unzucht ebenso wenig haltbar ist wie ihre angebliche Verstrickung in kriminelle Machenschaften. Im Gegenteil gibt sie gestohlene Ware wieder an die Besitzer zurück. Am Ende bleibt lediglich ihr Transvestismus als von der Norm abweichendes Verhalten übrig. Doch im Schlussmonolog des Stücks wird auch dies relativiert und Moll Cutpurse als „Vielleicht-doch-Ehefrau“[5] zurückgelassen. So ist sie schließlich eine Figur, die „zur Hüterin der patriarchalen Ordnung“[6] wird.
Im zweiten Teil des Aufsatzes beschäftigt sich Bettinger mit der realen Vorlage des Theaterstücks, also mit Mary Frith und ihrem Lebensbericht. Auch dort wird Marys Besonderheit und das Tragen von Männerkleidung hervorgehoben und als Sinnbild des herrschenden Konfessionsstreites und der sich wandelnden Welt genutzt. Außerdem werden aktuelle Diskurse besprochen, in denen Marys Devianz untersuchbar ist. Hierbei geht es um die Darstellung Marys als Hermaphrodite[7], zusätzlich wird ihre Andersartigkeit versucht mit ihrer Herkunft, ihrer Familie und ihrem Geburtsort zu erklären. Mary wird in ihrem Lebensbericht äußerst positiv geschildert. Sie bekommt keine typischen Frauenkrankheiten, ist intelligent und immun gegen fleischliche Genüsse. Trotzdem erkennt Mary in ihrem Tagebuch selbst, dass sie für andere unnormal wirkt, auch wenn sie sich selbst nicht so empfindet. Einen Unterschied zum Theaterstück sieht die Autorin, dass Mary nicht als Figur des Ausgleichs, sondern des Austauschs dargestellt wird und deutlich mehr ins (politisch motivierte) kriminelle Gewerbe einsteigt, als ihr literarisches Pendant. Sie lebt in Verschwendungssucht und muss am Ende ihres Lebens in Frauenkleidern sterben, da ihr Körper von der Wassersucht so angeschwollen ist, dass ihr nichts mehr passt außer einem Büßergewand. Außergewöhnlich erscheint Bettinger eine Episode aus Marys Tagebuch, in der sie einen männlichen Transvestiten trifft. In „natürlicher Abscheu“[8] und Angst um ihre eigene Stellung lässt sie diesen verprügeln und aus der Stadt verjagen. Mary fürchtet, dass ihre eigene Künstlichkeit von ihrer Umgebung wahrgenommen wird und sie so die Macht über ihre Selbstrepräsentation verliert.
[...]
[1] Bettinger, Elfi: Crime in Drag. Kleidertausch und Rechtsbruch im England der frühen Neuzeit am Beispiel von Mary Frith alias Moll Cutpurse, in: Bettinger, Elfi/Funk, Julika (Hrsg.): Maskeraden. Geschlechterdifferenz in der literarischen Inszenierung, Berlin 1995, S. 61-81, S. 61.
[2] Ebd. S. 63.
[3] Ebd. S. 66.
[4] Ebd. S. 67.
[5] Ebd. S. 70.
[6] Ebd. S. 71.
[7] Ebd. S. 72.
[8] Ebd. S. 78.
- Citation du texte
- Bachelor Ramona Schilling (Auteur), 2012, Images of Gender, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231185
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